Wer war Jesus von Nazareth? – Annäherungen an ein Phänomen, an das Gesicht des Geheimnisses | 1.1.1
Etwas Aufregung lag in der Luft. Siegfried Zimmer hatte sein Zimmer in der kleinen Residenz bereits am Nachmittag bezogen, um sich optimal auf seinen Grundlagenvortrag vorzubereiten. Die letzten Teilnehmer schafften es gerade noch rechtzeitig den Hörsaal des Anna Amalia Studienzentrums zu erreichen, um pünktlich bei dem Start der ersten Worthaus Vorlesung überhaupt dabei zu sein. Und dann ging es auf einmal ganz unspektakulär los. Es war kein lauter, furioser Start, sondern eher ein Hineingleiten, ein sanftes Aufbrechen in die Thematik. An diesem ersten Abend war es so als ob sich Worthaus warm läuft. Doch wer wäre auch so töricht und würde einen Marathon mit einem Sprint beginnen? Und trotzdem stellt dieser Vortrag perfekt die Weichen für das, was kommt. Denn in aller Nüchternheit öffnet er ein Fenster zu einer verborgenden Wirklichkeit voller Geheimnisse.
Eine Begegnung, die alles veränderte – Das Gleichnis von den beiden Schuldnern (Lk 7,36-50) | 1.2.1
Ohne Umschweife kommt Siegfried Zimmer direkt zum Punkt, um dann voll durchzustarten. In der ersten Minute stellt er gleich klar, dass das Lesen mit Lineal unerlässlich für das Verstehen biblischer Texte ist. Denn nur wer ernsthaft Wort für Wort Millimeterarbeit leistet, hat die Chance einen unverstellten Blick zu bekommen. So demonstriert Siegfried Zimmer in den verbleibenden 76 Minuten an dem ersten Gleichnis-Text eindrucksvoll, was das bedeutet: Er sensibilisiert für Ausblendungen, erläutert Hintergründe, erschliesst neue Zugänge, feiert Jesus als Meister der Sprache, spricht von Nähe, Freiheit, Faszination und Energie, um in einer geheimnisvollen Verbindung zu enden. Was für eine Eröffnung der Gleichnis-Trilogie!
Das Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-35) | 1.3.1
Was soll man so einer bekannten Geschichte wie der vom barmherzige Samariter noch Neues abgewinnen können? Und kann man wirklich ernsthaft über diese paar Zeilen des Gleichnisses eine 69-minütige Vorlesung halten, ohne dass Langeweile aufkommt? Die zweite Vorlesung der Gleichnis-Trilogie gibt hier eine verblüffend einfache Antwort: Man kann es und es gibt vieles zu entdecken. Mit fundiertem Hintergrundwissen und großer Leidenschaft nähert sich Siegfried Zimmer diesem Text. Fernab von jeglicher Spekulation oder Verklärung, eröffnet er die Lebenswelt des Textes und nimmt einen mit auf den staubigen und gefährlichen Pfad von Jerusalem nach Jericho bis man selbst die Spitze des Textes spürt.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20, 1-16) | 1.4.1
Ist das fair? Zehn Stunden in der Hitze des Tages schuften und genau so viel bekommen wie die Kollegen, die kurz vor Feierabend mal etwas mit angepackt haben! Das ist für keine Gewerkschaft in Deutschland in Ordnung, aber auch die schwarz-gelben Freundinnen und Freunde mit ihrem Leistung-muss-sich-lohnen-Credo laufen bei einem solchen Verhältnis Amok. Doch Jesus scheint damit überhaupt kein Problem zu haben. Oder geht es ihm gar nicht um diesen Vergleich, sondern um etwas ganz anderes? Siegfried Zimmer nimmt sich 73 Minuten Zeit, um die Situation des Textes lebendig werden zu lassen und bricht einmal mehr mit üblichen, gerade auch christlichen Vorstellungen und Klischees. So wird das Gleichnis der Arbeiter vom Weinberg so hörbar, wie es die Menschen vor 2000 Jahren in Juda aus dem Mund des Nazareners gehört haben, und landet ganz nebenbei bei den tieferen Geheimnissen des Lebens.
Die Gotteserfahrung des Jesus aus Nazareth als zentraler Aspekt des christlichen Glaubens | 1.2.2
Es ist schon merkwürdig: Obwohl man über 90 Prozent seines Lebens nichts Genaues weiß, wurden über keinen anderen Menschen mehr Bücher geschrieben als über Jesus Christus. Und es wird noch mysteriöser, wenn man bedenkt, dass er nichts Schriftliches für die Nachwelt hinterlassen hat, weltlich gesehen weder Ruhm noch Macht erlangt hat und seine entscheidenden Jahre im Prinzip als Landstreicher verbracht hat. Diesen Mann umgibt zweifellos ein tiefes Geheimnis. Denn da muss irgendetwas passiert sein, dass so jemand nicht in der Bedeutungslosigkeit der Geschichte versinkt, sondern zu ihrer beachtesten Persönlichkeit wird.
Mit Scharfsinn und aller wissenschaftlicher Redlichkeit nähert sich Siegfried Zimmer im ersten Teil der Jesus-Trilogie dem Phänomen Jesus aus Nazareth über seine Gotteserfahrung an und bringt so etwas Licht ins Dunkel der Geschichte. Entstanden ist so ein absoluter Basisvortrag, der das »Wort« nennt, das vor Jesus niemand so benutzt hat.
»Reich Gottes« als zentrales Thema im öffentlichen Auftreten des Jesus aus Nazareth | 1.3.2
Besucht man christliche Gotteshäuser so ist man meistens zuerst mit Jesus-Darstellungen konfrontiert, die ihn in den letzten qualvollen Stunden seines Lebens, zeigen. Schaut man sich genauer um, findet man mit Glück unter der Decke, auf Kirchenfenstern oder in den Ecken einiger Altarbilder ein paar illustrierte Episoden die Jesus schmerzbefreit und lebendig zeigen. Nun gibt sicherlich einige Gründe dafür, dass Sterben und Leiden dieses Mannes näher zu thematisieren, doch eine so dominante Zurschaustellung, die einen mitunter das Leben des Nazareners vergessen lässt, ist schon überraschend – auch wenn sie sich damit nahtlos in die Tradition christlicher Glaubensbekenntnisse einfügt.
Genau bei dieser schweren Einseitigkeit, die das Leben und Reden weit nach hinten stellt, setzt Siegfried Zimmer an, um sich dem Lebensthema von Jesus aus Nazareth zu widmen. Denn dieser Mann war ja ein Mann, der sein Thema gefunden hat und der nicht nur bereit war diesem Thema sein ganzes Leben zu widmen, sondern auch für dieses Thema seine gesamte etablierte Existenz aufzugeben.
Jesus aus Nazareth und sein Verhältnis zu Kindern (Mk 10, 13-16) | 1.4.2
Welche Rolle wird Kindern in einer Gesellschaft zugewiesen? Jesus war ein Mensch, der sich intensiv mit den Rissen einer Gesellschaft und den sich oftmals dadurch gegenüberstehenden Gruppen beschäftigt hat. So definiert er vor dem kulturellen Kontext seiner Zeit das Verhältnis zwischen Armen und Reichen, Männern und Frauen, Einheimischen und Fremden, aber auch von Erwachsenen und Kindern neu und durchaus recht revolutionär.
Siegfried Zimmer vermittelt anschaulich wie Kinder in jeder Epoche ein Spielball der Erwachsenen sind und die Parole “Kinder sind unsere Zukunft!” letztlich auch nichts anderes meint. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann erahnen, dass die Botschaft des Nazareners bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren hat und durchaus das Potenzial hat das gesamte Spektrum des Etablierten fundamental zu hinterfragen.
Die Sinnfrage als Leitfrage des modernen Menschen | 1.5.1
Worthaus 1 war für alle Beteiligten sehr anstrengend und bereichernd. Siegfried Zimmer ist an seine Limits als Vortragender gegangen. Welcher ernsthafte 50plus-Wissenschaftler hält schon vier Tage am Stück durchschnittlich drei Vorträge pro Tag und lässt sich dann noch auf intensive Diskussionsrunden ein? Und diese enorme Frequenz ging auch an der Worthaus-Teilnehmerschaft nicht spurlos vorüber. Umso beachtlicher ist es, dass am letzten Tag in Weimar noch zwei abschliessende Vorträge möglich waren, die den Blick noch einmal etwas weiteten. Denn während an den anderen Tagen die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Juden Jesus aus Nazareth im Mittelpunkt stand, schlägt der erste Teil des Epilogs anhand von sozialwissenschaftlichen Grunderkenntnissen und philosophischen Überlegungen eine Brücke zu den Lebensfragen des modernen Menschen. So schließt sich der Kreis während die verchromtem Füllhalter-Metallclips aus der Brusttasche des Professorenhemds hervorblitzen.
Die drei entscheidenden Dimensionen in der Lebenserfahrung des Menschen | 1.5.2
Der Mensch, was ist der Mensch? Im Abschluss-Vortrag von Worthaus 1 begibt sich Siegfried Zimmer in aller Freiheit auf die Suche nach dem Geheimnis des Lebens. Dabei ist er sich bewusst, dass es nicht möglich ist den Mensch an sich zu definieren. Und doch schafft er es sich dem Mensch an sich durch die Beobachtung von menschlichen Grunderfahrungen so zu nähern, dass deutlich wird, welche Erfahrungen für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung entscheidend sind. Das macht nachdenklich, fordert heraus, setzt Impulse und appelliert letztlich an jede Hörerin und jeden Hörer das Leben aus einem “sich-getragen-wissen” in die Hand zu nehmen.
Die Erzählung von den Sternforschern aus dem Osten (Mt 2, 1-12) | 1.8.1
Für viele Menschen ist Deutschland ein richtiges Weihnachtswunderland. Hier gibt es nicht nur alles zu kaufen, sondern auch viele bewährte Weihnachtstraditionen. Doch weißer Schnee, grüne Tannen, heißer Glühwein und ein alter Mann mit weißem Bart, der sich in den Unternehmensfarben eines amerikanischen Limonaden-Herstellers kleidet, haben den Blick auf den Kontext in dem die Geburt des Nazareners stattfand, inzwischen gehörig verstellt. So schildert Siegfried Zimmer erst einmal in Ruhe die damalige Situation und man erahnt, dass Bethlehem nicht im Erzgebirge liegen kann und die Sternforscher weder Heilige noch Adelige, noch zwingend zu dritt und erst recht auch keine volksliedersingenden Kinder mit Sammelbüchsen waren. Und dann öffnet sich die Perspektive für die große Reise des Lebens und ein Gefühl von Aufbruch und Abenteuer breitet sich aus.
Unfriede als fundamentales Problem des Menschen – eine Bestandsaufnahme aus biblischer Sicht | 1.6.1
Obwohl wir nicht genau wissen, wann und wo der jüdische Mann aus Nazareth das Licht unserer Welt erblickt hat, setzt mit seiner Geburt die Stunde Null unserer Zeitrechnung ein. Und gleichzeitig beginnt damit auch die eigenständige Geschichte des Christentums. Es ist eine Geschichte in der sich Schönes und Gutes mit viel Brutalität, Gier, Heuchelei, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit vermengt. Mit einem Blick in die Historie der Menschheit könnte man sagen, dass das normal ist. Mit einem Blick auf die Botschaft des Mannes aus Nazareth könnte man sagen, dass das schizophren ist. Doch wenn man Siegfried Zimmer zuhört, dann liegt es nahe zu sagen, dass das vollkommen absurd ist. Denn er ist der Überzeugung, dass der Grund für den seltsamen weihnachtlichen Inkarnationsvorgang, der gerne als “Menschwerdung Gottes” bezeichnet wird, eben genau jene Unmenschlichkeit, jener Unfriede unter den Menschen ist. Kann man das ernst nehmen?
Ein merk-würdiger Tod – historische Aspekte der Kreuzigung Jesu | 2.1.1
Der Eröffnungsvortrag von Worthaus 2 ist vielleicht das passendste, wie man mit dem mysteriösen Tod des Jesus von Nazareth umgehen kann. Er nähert sich behutsam der Thematik, indem er nicht gleich nach dem “warum” fragt, sondern erst einmal das “wie” in seiner physischen, aber auch gesellschaftlichen Brutalität schildert. Dabei geht es Siegfried Zimmer jedoch nicht darum in bester Mel-Gibson-Manier Splatter-Effekte aneinander zu reihen, sondern darum eine heute nicht mehr wahrgenommene Absurdität aufzuzeigen: Wie kann ein Mann dessen Biografie so elend und glanzlos endet, zu der zentralen Figur einer Weltreligion werden?
Wie denkt Jesus aus Nazareth über die Auferweckung der Toten? (Lk 20, 27 –40) | 2.5.1
Man könntes es als überraschend bezeichnen: Wenngleich sich im Christentum eine große Jenseitsfixierung entwickelt hat, äußert sich der Mann aus Nazareth zur Frage der Auferweckung nur ein einziges Mal. Ein guter Grund für Siegfried Zimmer an dieser Stelle etwas genauer hinzuschauen. Dabei bringt er allen, die die Vorstellung an ein jenseitiges Leben befremdlich finden, große Sympathie entgegen. Und trotzdem versteigt er sich zu der These, dass es niemals ein Argument gegen die “Auferweckung der Toten” geben wird – auch wenn diese sicherlich nicht so aussieht, wie man sich diese landläufig in den letzten Jahrhunderten ausgemalt hat. Denn der Nazarener hatte offensichtlich etwas anders im Blick, wenn er auf das Zentrum vom Zentrum des Zentrums des jüdischen Glaubens verweist.
Jesus aus Nazareth und seine Gegner | 2.2.1
Hat Jesus aus Nazareth in einer Atmosphäre von “Love, Peace and Happyiness” gelebt? Oder lauerte hinter jeder Ecke ein böser Pharisäer, der ihm eine Falle stellen wollte? Und was ist überhaupt ein Pharisäer und war Jesus nicht vielleicht selbst einer?
Mit der Vorlesung “Die Gegner von Jesus aus Nazareth” gibt Dr. Thomas Breuer als zweiter Worthaus-Referent seinen Einstand. Er spricht aus der Sicht der historisch-kritischen Bibelwissenschaft und beschreibt in dieser Vorlesung das gesellschaftliche Umfeld des Mannes aus Nazareth. Dabei hinterfragt er gängige Einschätzungen und liefert erhellende Einblicke auf die in christlichen Traditionen begründeten Ursprünge des Judenhasses. Denn in der Tat ist es ja ein schwierig zu verstehendes Paradoxon der Geschichte, wie im “christlichen Abendland” die Herkunft des Religionsstifters und seine durch ihn bejahte Religion so weit ausgeblendet werden kann, dass “seine Volks- und Glaubensgenossen” derartig angefeindet wurden.
Gottes Liebe und Gottes Gericht: Wie passt das zusammen? | 2.7.1
“Gott ist nicht nur Liebe, er ist auch gerecht!” – ein Satz den man in vielen christlichen Kreisen immer wieder hört. Aber stimmt er eigentlich? Was meinen die biblischen Texte, wenn vom Tag des Gerichts die Rede ist? Und wie passt der bestrafende Gott mit dem Gottesbild vom lieben Vater zusammen? Nach dem Motto “Den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche” stellt sich Siegfried Zimmer in salopper Sprache auf die Teilnehmer des Freakstocks ein, um diese zentralen Fragen zu klären. Dabei stellt er verschiedene Auffassungen vom Gericht Gottes gegenüber und bringt frischen Wind in die Debatte, um die Spannung zwischen der Liebe Gottes und der Schaffung von Gerechtigkeit am jüngsten Tag.
Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu aus heutiger Perspektive | 2.4.1
Musste Jesus aus Nazareth stellvertretend für die Schuld der Menschheit sterben? Brauchte Gott dieses Opfer, um vergeben zu können? Und was ist das dann bitte schön für ein Gott, der seinen eigenen Sohn grausam über die Klinge springen lässt?
Die Frage nach der Deutung und Bedeutung des Todes von Jesus aus Nazareth ist zweifellos eine der zentralsten Fragen des christlichen Glaubens. Dass es trotzdem nicht die eine Antwort auf diese Frage gibt und sich zu verschiedenen Zeiten auch sehr unterschiedliche Deutungen durchgesetzt haben, demonstriert Dr. Thomas Breuer in seiner Vorlesung sehr eindrucksvoll und auch sehr mutig. Denn Thomas Breuer weicht nicht aus, akzeptiert kein “Das muss man halt so glauben”-Dogma und gibt sich auch der Versuchung der in diesem Kontext beliebten “Das ist halt so”-Ausrede nicht hin. Aus Sicht der historisch-kritischen Bibelwissenschaft zeigt er die Thematik in ihrer Komplexität, scheut sich nicht davor Paulus zu kritisieren, verweist auf außerbiblische Quellen der Antike, erläutert die Satisfaktionslehre, ihre bis heute wirkenden Folgen und zeigt auf, dass ein zweiter und dritter Blick auf den Begriff der Sühne nicht nur eine gute Idee ist, sondern der entscheidende Schlüssel, um sich letztlich mit Paulus “zu versöhnen” und sich der Bedeutung des Todes von Jesus aus Nazareth angemessen zu nähern.
Mit dieser Vorlesung liegen 83 anspruchsvolle Minuten vor, die viele Anregungen zum Nachdenken und zum persönlichen Weiterforschen geben. Denn eins ist klar: Dieses Thema ist keine leichte Kost, sondern fordert seinen Tribut.
Das Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und vom Perlenkaufmann (Mt 13, 44-46) | 2.9.1
Die Auseinandersetzung mit den Gleichnissen des Mannes aus Nazareth gehören zweifellos zu den absoluten Lieblingsbeschäftigungen von Siegfried Zimmer. Für das drei Verse kurze Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und vom Perlenkaufmann nimmt er sich über 60 Minuten Zeit. In diesen verdeutlicht er behutsam den historischen Kontext und zeigt durch eine genaue Analyse auf, welche unerwartete Pointen sich in diesen wenigen Worten aus dem Lukasevangelium verbergen. So wird deutlich, dass die Veröffentlichung dieser Vorlesung am 24.12.2012 kein Zufall ist. Es handelt sich hierbei um ein echtes Geschenk, das der Menschheit ohne die Geburt des Gleichnis-Erzählers nicht zu Teil geworden wäre. Welcher Veröffentlichungstermin wäre da passender gewesen als der “heilige Abend”?
Worauf gründet sich der Glaube an die Auferweckung Jesu von den Toten? | 2.3.2
Da wird ein jüdischer Wanderprediger in einer Provinz des römischen Reiches gekreuzigt. Das hätte eigentlich das todsichere Ende seiner Karriere bedeuten müssen. Seine Hinrichtung befördert ihn eigentlich unweigerlich in den Abgrund des Vergessens, verurteilt ihn zum Versinken in die historische Bedeutungslosigkeit. Die Chancen, dass seine treusten Anhänger traumatisiert in ihr altes Leben zurückkehren, stehen bestens. Wie sollte es auch weitergehen? Ihr Messias ist tod. Es gibt niemanden, der auf seine Position nachrücken könnte. Und seine Anhänger sind auch gesellschaftlich nicht in der Lage sein Andenken öffentlichkeitswirksam und nachhaltig zu zelebrieren. Doch es kommt ganz anders. Die Geschichte nimmt einen völlig unerwarteten Verlauf.
Sehen die Anhänger des Nazareners wirklich, wie ihr Idol vom Tode zurück ins Leben kommt? Oder lauert im April 30 die Mutter aller Verschwörungstheorien? Aus Sicht der historisch-kritischen Bibelwissenschaft nähert sich Thomas Breuer behutsam und nüchtern dem Ostergeschehen. Er zeigt die Entwicklung des Aufweckungsglaubens im Judentum auf und setzt sich sowohl kritisch mit der christlich, österlichen “Verklärungs”-Tradition, als auch mit den Auferweckungstexten und ihren Interpretationen auseinander.
Was geschieht nach dem Tod? – die christliche Erwartung einer Auferweckung der Toten | 2.5.2
Was nach dem Tod passiert, ist schon immer ein intensiv bespieltes Feld menschlicher Spekulation gewesen und wird es wohl auch immer bleiben. Diese Frage nach dem “Danach” ist natürlich auch der christlichen Welt alles andere als fremd. So scheint die Hoffnung darauf, dass “nach dem Horizont alles weiter geht” elementarer Teil der biblischen DNA zu sein. Doch das Jenseits ist da nicht ein Ort, sondern mit Himmel und Hölle sind es mindestens zwei Orte. Je nach Traditionsentwicklung gibt es mit dem Totenreich und dem Purgatorium noch weitere, wenn auch nur vorübergehende, Optionen.
In seiner Vorlesung hinterfragt Thomas Breuer aus seiner historisch-kritischen Sicht die verschiedenen Jenseits-Spekulation, indem er klar stellt, dass es nicht einfach weiter geht, sondern dass das Jenseits weder durch Raum noch durch Zeit limitiert ist. Es ist ein Vortrag, der durch seine überraschenden Wendungen zur Kontroverse anregt. So outet sich Thomas Breuer beispielsweise als Fan des Purgatoriums und zeigt auf, dass die Antwort auf die Frage nach dem Jenseits letztlich nicht eine tröstliche Spielerei ist, sondern eine Wirklichkeitsveränderung im Diesseits bewirken kann – wenn nicht sogar muss! Vor dem Hintergrund der Auferweckung entstehen neue Relationen. Alles muss neu bewertet werden. Es scheitert nichts an der Macht des Faktischen.
Kriterien einer gesunden Entwicklung der Persönlichkeit – zur Bedeutung der biblischen Rede vom „Segen“ | 2.6.1
Wie handelt der Gott der biblischen Texte? Begegnet er Menschen in einmaligen krassen Erlebnissen oder handelt er eher unmerklich im Verborgenen? In einigen Lagern christlicher Prägung gibt es einen Kultur des »Höhepunktschristentums«: Man hangelt sich von Christenevent zu Christenevent in der Hoffnung intensiver Gottesbegegnung. Was bedeutet diese Ereignisfixierung für die Persönlichkeitsentwicklung? Warten zwischen den Höhepunkten nicht automatisch die tiefen Täler? Siegfried Zimmer erörtert diese Thematik für die Teilnehmer des Freakstocks in salopper Sprache. Er zeigt Wege zu einer kranken und zu einer gesunden Glaubens- und Persönlichkeitsentwicklung auf und untersucht das Phänomen des Segens.
Wer ist der Mensch? Die Erschaffung des Menschen (Genesis 2, 5–7) | 3.1.1
Nicht bei Adam und Eva anfangen. Das sagt man, wenn jemand höchstens über Umwege zum Thema kommt. Siegfried Zimmer fängt bei Adam und Eva an. Aber nicht, weil er nicht zum Wesentlichen käme, sondern weil er die Erschaffung der ersten Menschen zum Thema macht. Wer ist der Mensch? Es ist eine der Fragen aller Fragen. Die Bibel beantwortet sie mit nur drei Versen, kommt ohne Analysen oder Theorien aus. Alle Aspekte des Menschlichen packt sie in ein paar schlichte Worte. Siegfried Zimmer presst die Verse aus wie eine Zitrone, er holt in seiner Anatomie der Schöpfungsgeschichte des Menschen auch den letzten Tropfen aus ihr heraus. Er dreht jedes Wort um, arbeitet sich Stück für Stück zum Wesentlichen vor. Eine Reise ins Wesen des Menschlichen – eine Expedition ins Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf.
Der Lebensraum des Menschen – der Garten Eden (Genesis 2, 8–9) | 3.2.1
Für viele Deutsche mag es eine provozierende Botschaft sein: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – nö, nicht bei Gott. Das Leben seiner Geschöpfe soll pure Lust sein. Das Beste ist für das Kunstwerk Mensch gerade gut genug. Nicht als naive Phantasiewelt interpretiert Siegfried Zimmer den Garten Eden, sondern zieht aus ihr eine zeitlos gültige Charakterisierung Gottes. Wie bei einer Zwiebel schält sich Zimmer Schicht für Schicht zum Kern einer heilenden Botschaft vor: Der Schöpfer meint es gut mit den Menschen, wo Gott ist, da hat auch der Mensch Platz, wo sein Garten blüht, da blüht der Mensch auf.
Der Baum der Erkenntnis und der Lebensauftrag des Menschen (Genesis 2, 15–17) | 3.2.2
In Eden stehen keine Gartenzwerge. Es gibt dort keine moralinsaure Benutzungsordnung, keine einengende Satzung, kein kleinkariertes Spießertum, keine Denkverbote. Eden ist keine Kleingartenkolonie mit autoritärem Vorstand, kein geheimdienstumstellter Polizeistaat, kein Ort einengender Befehle. Und warum dann der Baum, warum keine grenzenlose Freiheit? Siegfried Zimmer klärt ein jahrhundertealtes Missverständnis auf, wandelt eine strenge Gehorsamsprobe in eine liebevolle Notwendigkeit. Seine Interpretation ist mitunter zwar eher Schwarzbrot als süße Frucht am Baum der Erkenntnis. Doch an Siegfried Zimmers Schwarzbrotbaum hängt dafür so manches Aha-Erlebnis.
Die Sache mit der Schlange (Genesis 3, 1–7) 7 3.3.3
»Der Apfel, den Frau Eva brach, uns zuzog alles Ungemach«, so lautet ein deutsches Sprichwort. Die Geschichte von Eva, der Schlange und der Frucht am Baum der Erkenntnis ist eine der bekanntesten Bibel-Geschichten überhaupt – und eine der fehlinterpretiertesten obendrein. Siegfried Zimmer klärt zentrale Fragen rund um den sogenannten Südenfall auf: Ist die Schlange der Teufel? Ist die Frau besonders schuldig? Was ist überhaupt Sünde? Warum macht dem Menschen das Sündigen so eine Freude? Der Griff nach dem Baum zwängt den Menschen hinter Masken und in Rollen, weckt die Angst vor dem Verletztwerden, schürt Misstrauen, macht den Großmütigen zu einem scheinbar kleinlichen Gott. Die Schlange hat Giftzähne – die Sünde auch.
Ist der Mensch unsterblich erschaffen worden? | 3.4.2
Der Tod gehört zum Leben. Das sagen viele. Der Tod gehört von Anfang an zur Schöpfung. Das sagen nicht viele. Aber Siegfried Zimmer schon. Vorsicht: Dieser Vortrag hat es in sich. Siegfried Zimmer zeigt auf, dass die Schöpfung nicht nur heile Welt ist. Leid gehört ebenso zu Gottes guter Schöpfung. Für diese und ähnlich provokante Thesen führt er verblüffende, wenn auch nicht immer leicht zu durchsteigende Argumente aus der Bibel ins Feld. Was auf den ersten Blick ein abseitiger Aspekt zu sein scheint, ist in Wahrheit zentral für den Umgang mit dem Tod, mit dem Leben, mit den Mitmenschen. Denn wer mag schon den Tod annehmen, wenn er eine Ausgeburt der Sünde ist? Wer kann schon gesund mit seinem Alter umgehen, wenn er es für eine Konsequenz des Schlechten hält? Siegfried Zimmer räumt an dieser Stelle auf – und zwar gewaltig!
Kann die Erzählung von der Sintflut historisch gemeint sein? | 3.5.1
„Meine Meinung steht fest, verwirren Sie mich bitte nicht mit Argumenten“, das sagt so mancher Christ. Freilich, ohne sich dessen bewusst zu sein. Etwa, wenn es um die Historizität der Bibel geht. Da stellen Christen in scheinbarer Verteidigung der Heiligen Schrift Berechnungen auf, wie alle Tiere auf die Arche Noah gepasst haben könnten. Sie rechnen und rechnen, sie grübeln und grübeln – sie rechnen und grübeln am Ziel vorbei. Das macht Siegfried Zimmer auf humorige Weise deutlich. Nein, er spricht den Rechnern und Grüblern nicht ihre guten Motive ab. Doch weil man ein Gedicht über den Wald nicht nach den aktuellen Holzpreisen fragen sollte, führt auch die historische Auslegung der Geschichte mit der Arche in die Irre. Und dabei ist ihre Botschaft so viel wichtiger als ein Ereignis aus der Urgeschichte des Orients: Gott hält trotz aller Schwierigkeiten seine Beziehung mit den Menschen durch.
Kann die Erzählung von Adam und Eva historisch gemeint sein? | 3.5.2
Am Ende spricht Siegfried Zimmer über den Anfang. Er geht ans Eingemachte, macht sich ans Grundsätzliche, unternimmt einen sprachlichen Ausflug zu den Grundlagen der Welt. Ist die Geschichte von Adam und Eva, ist der biblische Schöpfungsmythos eine Abhandlung, die historisch-naturwissenschaftlich verstanden werden will? Oder geht es vielmehr um die Grundlage des menschlichen Lebens, um das grundsätzliche Verhältnis von Gott und Mensch und Welt? Zimmers These: Wie man diese Fragen beantwortet, ist entscheidend für das Verständnis der restlichen Bibel. Adam ist nicht Adam – Adam ist jedermann, ist jeder Mensch. Die Tür, die diese Erkenntnis öffnet, ist vielleicht erst einmal das Tor zu einer anderen Galaxie, aber letztlich das Tor zu unserer Galaxie und zu einem angemessenen Umgang mit den Texten der Bibel.
Die Beziehung von Mann und Frau (Genesis 2, 18, 21–25) | 3.3.1
Siegfried Zimmer kann auch romantisch. Und wie. Wie der Schöpfer Adam und Eva zueinander führt, das interpretiert er als eine Geschichte der Liebe, der Gegenseitigkeit und des Miteinanders. Zimmer räumt auf mit angeblichen Rangfolgen und mit den Abwertungen des Weiblichen. Nein, die Frau ist im Schöpfungsbericht keine Gehilfin, keine Dienerin, keine bessere Angestellte. Sie ist eine Retterin, sie begeistert den Mann, reißt ihn heraus aus dem Leid der Isolation. In der Einsamkeit Adams zeigt sich die Sozialität des Menschen: Adam braucht Eva, Eva braucht Adam, Mensch braucht Mensch.
Der Mensch und die Tiere (Genesis 2, 19–20) | 3.3.2
Es ist einer der großen Widersprüche des 20. und 21. Jahrhunderts: Es sind die Jahrhunderte der Tiere, aber auch die Jahrhunderte gegen die Tiere. Während Millionen Zuschauer Tierfilme anschauen und dabei den Familienhund streicheln, warten in den Schlachthöfen Millionen Hühnchen auf ihre maschinelle Enthauptung, sitzen Schweine in überdimensionierten Mastanlagen dicht gedrängt im eigenen Dreck. Der moderne Mensch überschüttet manche Tiere mit Liebe, rechnet andere in einen eiskalten Wirtschaftsplan ein. Was sagt der Schöpfungsbericht zum Verhältnis von Mensch und Tier? Weniges und doch alles, wie Siegfried Zimmer zeigt. Tiere sind dort weder Partner des Menschen, noch Geschöpfe zweiter Klasse. Sie sind aus dem gleichen Material gemacht – eine Beobachtung, die ungeahnte Interpretationsansätze eröffnet.
Entwicklung der Persönlichkeit: Das Leben als Exodus | 3.6.1
Siegfried Zimmer bricht mit seinen Zuhörern auf in die Wüste. Klar, dass dieser Vortrag eine besonders heiße Sache ist. Es geht nicht nur mit dem Volk Israel auf den langen Weg ins gelobte Land, sondern auf den langen und steinigen Weg ins gelobte Land eines jeden Menschen. Von einer Kindheit in Geborgenheit und einer Jugend in Abhängigkeit, geht es auf die Suche nach der Bestimmung des eigenen Seins, nach der eigenen Identität und schließlich ins Ziel, in ein selbstbestimmtes und aufrechtes Leben. Zimmers Interpretation des uralten Textes ist eine einzige Befreiung für die Moderne: Heute ist Exodus, heute ist Auszug, heute ist Aufbruch.
Gott und das Böse | 3.7.2
Der Teufel, Satan, Beelzebub – was hat man nicht schon alles von ihm gehört. Er ist der angebliche Gegenspieler Gottes, der sogenannte gefallene Engel, das personifizierte Böse. »Glaubst du an den Teufel?« – diese Frage ist für viele Christen erstaunlich wichtig. Siegfried Zimmer nicht. Er schaut genau auf die biblischen Texte und erteilt vielen Gedankengebäuden rund um den Fürst der Finsternis mit teils deftigen Worten – Freakstockzeit eben – eine Absage. Dabei rückt er so manches höllisch schiefe Bild himmlisch gerade. Frei nach dem Motto: Wasser auf das Höllenfeuer!
Anmerkung: Der Vortragsstil spiegelt die ungezwungene Atmosphäre des Freakstock-Festivals wider. Siegfried Zimmer stellt sich auf sein Publikum ein, indem er wesentlich salopper und deftiger formuliert als gewöhnlich.
Gott und das Leid | 3.7.1
Vorsicht: Siegfried Zimmer entsichert in diesem Vortrag den schärfsten Revolver des Atheismus’ und hält ihn an die Schläfe seiner Zuhörer. Wird er auch abdrücken? Die Frage nach dem Leid der Welt im Angesicht Gottes ist eine der größten Anfragen an das Christentum. Wie kann es sein, dass vor Gottes Augen Kinder sterben, Arme verhungern, Menschen leiden? Kann es einen Allmächtigen eigentlich geben, der das alles geschehen lässt? Zimmer scheut diese Fragen nicht. Er drückt sich nicht. Er stellt sich. Also: Einmal warm anziehen, bitte – und auf in den Kühlschrank der Theodizee.
Anmerkung: Der Vortragsstil spiegelt die ungezwungene Atmosphäre des Freakstock-Festivals wider. Siegfried Zimmer stellt sich auf sein Publikum ein, indem er wesentlich salopper und deftiger formuliert als gewöhnlich.
Die einzige Fabel der Bibel – Systemkritik par excellence (Richter 9, 8-15) | 3.7.3
Die Bibel kann auch politisch! Siegfried Zimmer beweist: Die Heilige Schrift enthält Untergrund- und Widerstandsliteratur, sie ist nicht auf Linie mit den Mächtigen ihrer Zeit. Was eine Fabel, in diesem Fall eine konstruierte Unterhaltung zwischen Bäumen, mit dem Urteil über ein politisches System zu tun hat, zeigt Siegfried Zimmer anhand eines weitgehend unbekannten Bibeltextes.
Eines ist dabei sicher: Den Mächtigen der Welt, den Investmentbankern, Konzernchefs, den Reichen, Starken und Unterdrückern unserer Zeit geht es mächtig an den Kragen.
Vom Sinn des Abendmahls (Markus 14,17–19.22–26) | 3.8.1
Es ist ein Mythos, ein Ritus, vielen ein Rätsel, manchen ein Missverständnis: das Abendmahl. Siegfried Zimmer nähert sich dem letzten Abendessen Jesu ganz unprätentiös und stellt doch seine ungeheure Dimension ins Zentrum. Jesus nutzt den letzten Abend mit seinen Leuten nicht, um den Zeigefinger zu heben oder um Angst zu machen. Es geht Jesus nicht um Glamour, sondern um Hoffnung, nicht um Appelle, sondern um Integration, nicht um Strenge, sondern um Zuwendung. Zimmer deutet das Abendmahl als Quelle des Friedens, der Gerechtigkeit und der Akzeptanz. Niemand hat Brot und Wein verdient, aber jeder bekommt es – und darf leben.
Die Bibel – Annäherung an ein Phänomen | 4.1.1
Siegfried Zimmer macht das Unmögliche möglich: Er bietet einen Abriss über die gesamte Geschichte der Bibel in 72 Minuten und hat dabei allerlei Überraschendes parat. Dass die Bibel das Moment der Befreiung ins Zentrum stellt, dass sich das Buch der Bücher nicht vor politischen Dimensionen scheut, dass die Heilige Schrift der Christen sich nicht vor der Weltordnung duckt, sich nicht auf die Seite der Starken, sondern auf die der Schwachen schlägt. Bei Zimmer entpuppt sich die Bibel als das, was sie wirklich ist: Die pure Revolution.
Die Entstehung des Alten Testaments | 4.2.1
Das Alte Testament ist verschrien als schwere Kost, als undurchdringlich, langweilig, scheinbar unkonsumierbar. So oder ähnlich dachte anfangs auch Manfred Oeming. Erstaunlich, denn er ist nichts anderes als ein Theologe mit dem Schwerpunkt Altes Testament. Ihn, den früheren Skeptiker, hat das Alte Testament gepackt und nicht mehr losgelassen. Wie konnte es dazu kommen? Woher hat die heilige Schrift zweier Weltreligionen diese Kraft? Vielleicht, weil es an die Anfänge von allem geht, ans grundsätzlich Menschliche, an die Grundzüge menschlicher Existenz, an den Anfang, ans Eingemachte. Zum Elementaren reist Manfred Oeming mit seinen Zuhörern, bereist 1.000 Jahre Literaturgeschichte in eineinhalb Stunden. Eine Reise, die für die, die sich aufmachen, kaum folgenlos bleiben dürfte.
Die Bedeutung des Alten Testaments für das Neue Testament und die Christen | 4.2.2
Für die Christenheit ist das Alte Testament von jeher eine einzige Herausforderung gewesen. Die ersten Christen überlegten, es komplett zu verwerfen, die Aufklärung verdammte es als ethisch inakzeptabel, die Romantik verklärte es als wahrhaft menschlich. Irgendwo dazwischen liegt vielleicht die Wahrheit, nach der sich Manfred Oeming auf die Suche macht. Dass der Alttestamentler eine Lanze für das Alte Testament bricht, überrascht vielleicht nicht so sehr, wie er das tut, dagegen schon. Er hat viel zu sagen dazu, dass die Bibel der Juden auch den Christen viel zu sagen hat. Über das Leben an sich, über die menschliche Existenz, über Liebe und Erotik, über Antworten auf Fragen, die das Leben stellt. Manfred Oeming zeigt das Alte Testament als das, was es ohne Zweifel ist: Ein gleichwertiger Gesprächspartner im Boot des Glaubens.
Auf der Suche nach dem Sinn – Zugänge zur Bibel | 4.2.3
Was bedeuten die Dinge, die in der Bibel stehen? Dieser Frage geht Manfred Oeming nach. Seine überraschende Antwort: Vieles. Es kommt darauf an, wer den Text liest. Ein Gebildeter oder ein Ungebildeter, ein Alter oder ein Junger, eine Frau oder ein Mann, ein Reicher oder ein Armer, ein Europäer oder ein Araber. Die Bibel hat allen Menschen etwas zu sagen, aber sie sagt jedem etwas anderes. Heraus kommt kein Chaos an Deutungen, sondern ein Reichtum an Sichtweisen, eine Fülle des Verstehens, eine einmalige Multidimensionalität. Die Bibel spricht ins Leben von Menschen, sie zeigt auf ganzer Breite Auswege, Perspektiven, Hoffnungen. Manfred Oeming bringt es auf eine klare Formel: Bibelleser wissen mehr.
Die Entstehung des Neuen Testaments | 4.3.1
Was wie ein Buch aussieht, ist eigentlich eine Sammlung von 27 Büchern. Wie ist daraus bloß das neue Testament entstanden? Stefan Schreiber eröffnet auf den Entstehungsprozess lauter überraschende Perspektiven. Er deutet die Evangelien als sich durchaus widersprechende Jesus-Biografien, erläutert warum und wie die neutestamentliche Forschung zwischen echten und nicht-originalen Paulus-Briefen unterscheidet, berichtet, wie das Christen- aus dem Judentum erwuchs. Sein Vortrag ist eine Reise in das Werden »des zweiten Teils« eines der meistgelesenen Bücher der Welt, die Neuentdeckung eines Jahrhunderte alten Buchs.
Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30) | 4.5.2
Wenn es vor zweitausend Jahren schon so etwas wie ein Meisterschaft der Gleichnis-Erzählung gegeben hätte, dann hätte Jesus aus Nazareth ganz sicher auf dem Siegertreppchen gestanden. Er hat Gleichnisse eifrig genutzt, um seine Botschaft seinen Zuschauern »vor Augen« zu führen. Deshalb gilt: Wer wissen möchte, was Jesus wichtig war, muss seine Gleichnisse kennen und wissen, was seine Gleichnisse bedeuten. Doch da sich die heutigen Lebensumstände in Deutschland gravierend von den Lebensumständen Palästinas im 1. Jahrhundert unterscheiden, kann dies nur gelingen, wenn man den historischen Hintergrund und die konkreten Situationen der Gleichnisse genau betrachtet. Noch etwas schwieriger wird es, wenn sich in der Bibel die Interpretation eines Gleichnisses findet, die dem Meister in den Mund gelegt wird, aber eigentlich in frühen christlichen Gruppen herangewachsen ist. Das macht diese Interpretation zwar nicht weniger interessant, aber sie verstellt automatisch den Blick für die ursprüngliche Jesus-Botschaft.
Und weil das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen aus dem Matthäus-Evangelium ein Gleichnis ist, auf das dies zutrifft, blendet Siegfried Zimmer die allegorische Interpretation aus Matthäus 13, 36ff aus, und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, der genauen Untersuchung von Gleichnis-Texten. Das Ergebnis ist so verblüffend wie überraschend. Statt Verdammnis entdeckt Siegfried Zimmer eine Sicht auf die Realität, die die Abgründe des Lebens nicht ausblendet. Doch trotzdem lässt sich diese Sicht nicht zur Destruktivität hinreißen. Denn sie sieht außer all dem Elend und den Katastrophen noch etwas anderes genauso deutlich: Hoffnung.
Die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth (Lk 2, 1–21) | 4.6.1
Obwohl die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth die wahrscheinlich berühmteste Geschichte des zweiten, neueren Teils der Bibel ist. Und obwohl diese Geschichte seit Jahrhunderten jedes Jahr in allen christlichen Kirchen der Welt gelesen wird, wird sie seltsamerweise nie bis zum Ende gelesen. Der letzte Vers wird immer weggelassen!
Warum das so ist und warum das Weglassen des Endes alles andere als eine akademische Randnotiz ist, erklärt Siegfried Zimmer mit Nachdruck und Verve. Dabei zeigt er nicht nur wie literarisch formvollendet diese Geburtsgeschichte gestaltet ist, wenn man sie vollständig liest. Er entlarvt auch die »zuckersüße Weihnacht« mit dem Kindlein in der Krippe als ein heimeliges, kleinbürgerliches Produkt der Neuzeit und öffnet den Blick für eine neue, ungeahnte Dimension dieser altbekannten Geschichte: Auf einmal geht es um die Verlierer der Weltpolitik und eine Gegenkraft, eine Hoffnung, die dem Angesicht einer brutalen Wirklichkeit standhält. Nicht weil sie wegschaut, sondern weil jemand genau hinschaut.
Auf der Suche nach dem historischen Jesus | 4.3.2
Allein schon das Thema, dem sich Stefan Schreiber stellt, mag den ein oder anderen erstaunen. Der Jesus der Bibel – das muss doch wohl der historische Jesus sein? Nein, antwortet der Theologe. Er gibt Einblick in der Forschungsstand der modernen Bibelwissenschaft, die zwischen dem Jesus, den die vier Evangelien präsentieren und dem Jesus, wie er tatsächlich gelebt und gewirkt hat, unterscheidet. Eine spannende und bisweilen gar provokante Perspektive. Und Stefan Schreiber erläutert wie die moderne Bibelwissenschaft darauf gekommen ist, von historischen und nicht-historischen Jesus-Zitaten in der Bibel zu sprechen und Jesus ganz als Repräsentant der Königsherrschaft Gottes in den Blick zu nehmen.
Die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben – was Christen der Bibel verdanken | 4.4.1
Die Bibel ist merkwürdig. Wer das sagt, der mag es spöttisch meinen. Wilfried Härle sagt es voller Anerkennung. Denn das Buch der Bücher ist eigentlich gar kein Buch, sondern eine Bibliothek verschiedener Bücher in verschiedenen Sprachen, es ist innerhalb eines Zeitraums von 700 Jahren entstanden, ist verwirrend vielstimmig und vielperspektivisch, sich selbst widersprechend und bildet doch eine geheimnisvolle Einheit, ist nicht Alltagsgeschwätz und doch alltagstauglich. Wilfried Härle gibt einen eindrücklichen Überblick über die Bedeutung der Bibel für den Glauben, aber auch für Kultur und Gesellschaft.
Ist die Bibel Gottes Wort? Bibelauslegung, Bibelkritik und Bibelautorität | 4.4.2
Mit der Bibel ist das so eine Sache. Christen und Nichtchristen reiben sich an ihr, an ihren Widersprüchen, an ihrer herausfordernden Botschaft. Ohne die Bibel hätte der christliche Glaube vermutlich kaum überlebt. Aber ist die Bibel auch Gottes Wort? Ja, sagt Wilfried Härle, und zwar, in dem sie den Mann aus Nazareth bezeugt und indem sie Menschen im Leben und im Sterben Hoffnung schenkt. Wilfried Härle sieht zwar keine uneingeschränkte Autorität der Bibel, denn es gibt auch Botschaften der Bibel, denen man widersprechen müsse, trotzdem sei sie eine Instanz. Als Vermittlerin von Glauben, als Werk, das einstehe für das Wirken Gottes in der Welt.
Was alle Christen im Blick auf die Bibel eint | 4.4.3
Über Unterschiede reden Christen gemeinhin mehr als über Gemeinsamkeiten. Es hat etwas Befreiendes, dass Siegfried Zimmer den Spieß einmal umdreht und das Einende zum zentralen Thema macht, Brücken baut statt sie einzureißen. Erstaunlich ist, wie groß die Schnittmenge aller christlicher Gruppen bei genauem Hinsehen ist. Alle Christen akzeptieren die Bibel, alle Christen vertrauen auf Gott, lieben alle Gott, setzen ihre Hoffnung auf Gott, keinem Christen ist der Wille Gottes egal. Diese Gemeinsamkeiten deutet Zimmer als das, was sie sind: Ein Wunder.
Warum das fundamentalistische Bibelverständnis nicht überzeugen kann | 4.5.1
Ist die Bibel göttlich, ist sie unfehlbar, ist sie vollkommen? Ja, würden viele Christen auf diese Frage antworten. Nein, antwortet Siegfried Zimmer. Er nimmt einer gut gemeinten, aber unangemessenen Sicht auf die Bibel den Wind aus den Segeln. Göttlich ist nur Gott, lautet Zimmers Credo. Schließlich sei die Bibel entstanden, Gott aber nicht, schließlich habe die Bibel einen Entwicklungsprozess, Gott aber nicht, schließlich sei Gott fehlerlos, die Bibel aber nicht. Zimmers Botschaft ist herausfordernd, steckt aber voller Aha-Momente.
Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle | 5.1.1
Mit Verve widmet sich Siegfried Zimmer dem Thema, das in der Christenheit in den letzten Jahren wahrscheinlich so intensiv und kontrovers diskutiert wurde und immer noch wird, wie kaum ein anderes. Und das Thema hat es ja auch in sich! Ein Blick in den Rückspiegel der Geschichte zeigt deutlich, dass Schwule und Lesben in christlich geprägten Gesellschaften genauso extremer Ausgrenzung und Verfolgung ausgesetzt waren wie in fast allen Gesellschaften auch – nach dem Prinzip: Sozial geächtet, religiös verdammt.
Dieser Blick ist aber auch ein trauriges Lehrstück für einen im großen Stil betriebenen manipulativen, voreingenommen Umgang mit biblischen Texten. Siegfried Zimmer zeigt dies eindrücklich an der Geschichte von Sodom und Gomorra. Sie musste in der christlichen Welt jahrhundertelang herhalten, um eine homophobe Sicht zu untermauern, während ihr eigentlicher Inhalt komplett ausgeblendet wurde. Aber Siegfried Zimmer geht noch weiter: Alle – es sind überraschend wenige! – Bibelstellen, die sich mit gleichgeschlechtlicher Liebe befassen könnten, werden von ihm in ihrem Textumfeld und vor dem gesellschaftlichen Kontext ihrer Entstehung beleuchtet.
Dabei stellt er schließlich die berechtigte Frage, ob es ein Ausdruck von Gottes Liebe für seine Geschöpfe ist, wenn »seine Kinder« in den letzten 1.800 Jahren schweigend und tatenlos bei der Hinrichtung und Ächtung von Lesben und Schwulen zugesehen haben? Und ob es nicht an der Zeit ist, sich dafür zu schämen, dass Christen die Kernbotschaft des christlichen Glaubens, die Botschaft des liebenden Gottes, zugunsten von einem eigenen Unwohlsein gegenüber Menschen, die ihnen fremd sind, geopfert haben?
Die Basketball-Legende Charles Barkley brachte es in einer Debatte über Homophobie im April 2015 so auf den Punkt: »Die Konservativen verstecken sich hinter der Bibel. Sie mögen einfach keine Schwulen. Sie sollten das einfach zugeben.« Wenn man den Ausführungen von Siegfried Zimmer folgt, fällt es schwer Charles Barkley nicht zuzustimmen. Denn nüchtern betrachtet ist die Ablehnung von schwulen oder lesbischen Partnerschaften aus biblischer Perspektive nicht haltbar. Oder zugespitzt gesagt: Menschen aufgrund eines Persönlichkeitsmerkmals im Namen der Bibel und des Mannes aus Nazareth zu diskriminieren ist nicht nur unredlich, sondern auch ein schwerer Missbrauch.
Das Prophetische als Besonderheit der monotheistischen Weltreligionen | 5.2.1
Das ist typisch Zimmer: Ehe er den Titel seines Vortrages auch nur ansatzweise ins Visier nimmt, bekommt man erstmal eine weite Einleitung, die das Thema ganz grundsätzlich einordnet. »Kennst du eine – kennst du alle.« würde Zimmer in Bezug auf Religionen wohl nicht unterschreiben – eher das Gegenteil. Wer ihn kennt weiß, dass man eine Religion nur im Kontrast zu anderen Glaubenslehren verstehen kann. Zunächst werden also die Religionen der Welt systematisch eingeteilt, auch wenn das vordergründlich erstmal nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat. Auch das Judentum bekommt – sozusagen als großer Bruder des Christentums – eine Menge Redezeit gewidmet. Das große Charakteristikum der monotheistischen Religionen lässt sich mit dem Wort »KONFRONTATION« beschreiben, Konfrontation mit dem Willen Gottes. Das muss man sich erstmal auf der auditiven Zunge zergehen lassen. Gott kennzeichnet sich durch seinen Mitteilungswillen aus. Er will, dass der Mensch ihn kennt. Das ist eine bemerkenswerte Aussage, die das Leben auf den Kopf stellen kann. Nur was steckt hinter diesem mitteilungsfreudigen Wesen? Und was hat es sagen? Dieser Vortrag beantwortet diese Fragen nicht umfassend, aber man kann ihn als Fenster verstehen, durch das frische Luft hereinströmt – oder als eine Tür, durch die man hindurchgeht.
Geschichte und Merkmale der israelitischen Prophetie | 5.3.1
Wie entsteht das Prophetische? Warum steht es in einem engem Zusammenhang mit dem Aufkommen des Königtums in Israel? Siegfried Zimmer zeigt auf, dass das Prophetische einen konkreten Bezug zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen hat. Dabei versteht er es gewohnt fesselnd historische Zusammenhänge nachvollziehbar zu skizzieren. Das Prophetische entwickelt sich als Gegenreaktion zu einer zentralistischen Machtkonzentration, zur Monarchie, zur Oberschicht am Königshof mit ihren Spitzenbeamten, Großgrundbesitzern und Führungskräften in Wirtschaft und Religion, zu dem Auseinanderdriften der israelitischen Gesellschaft. Hier treten Propheten als Mahner gegenüber dem Absolutistischen auf. Sie sind Königskritiker und Systemkritiker.
So kann das Fazit des Vortrags in Analogie zu dem Ausspruch: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten« lauten: »Wer Könige bestellt, bekommt Propheten geliefert.«
Die Gerichtspropheten und ihr Kampf um Recht und Gerechtigkeit | 5.3.2
Simone Paganini präsentiert einen exegetischen Ansatz, der dem einen oder der anderen Zuhörenden durchaus »das Blut in den Adern gefrieren« lassen kann. Denn er negiert zunächst die historische Relevanz des Textes und konzentriert sich rein auf den literarischen Inhalt. Er macht klar, dass Propheten eigentlich immer ein ziemlich übles Los nach dem folgenden Muster gezogen haben: »Es gibt eine Notsituation. Deshalb beruft Gott einen Propheten. Der will aber nicht. Er bittet Gott dann aber um ein Zeichen, um den Job dann doch zu machen. Und am Ende scheitert er, weil niemand die Botschaft Gottes hören oder befolgen möchte.« Dieses Muster wird in der Regel mit den Worten »Und es erging das Wort des Herrn an« eingeleitet und der literarische Exeget weiß dann schon wie der Hase läuft – so ähnlich wie bei der Standard-Märchen-Eröffnung »Es war einmal«. Doch sind die prohetischen Erzählungen auch fiktive Geschichten? Und wäre es tragisch, wenn beispielsweise die Jona-Geschichte eine rein fiktive Erzählung ist? Steckt nicht auch in dem Text allein die entscheidende Botschaft?
Diesen Fragen geht Simone Paganini nach und macht dabei deutlich, dass der »Gott der Propheten« eine klare Vorstellung davon hat, wie eine Gesellschaft sein sollte: Solidarisch. Es geht um die Unterstützung der Armen und Unterdrückten, um Kritik an den Mächtigen und der damit verbundenen Ungleichheit. Und die ist leider keine Fiktion, sondern knallharte Realität – damals wie heute.
Die Bedeutung der alttestamentlichen Prophetie für den christlichen Glauben und die heutige Gesellschaft | 5.3.3
Wer aus der Geschichte lernen möchte, wird relativ neugierig an die uralten Texte herangehen, die Simone Paganini in diesem Vortrag unter die Lupe nimmt. Aber welche Aktualität haben diese Schriften noch für heute? Haben sie uns noch Wichtiges zu sagen? Und wenn ja: Was? Wer diesen Fragen auf den Grund geht, steht unweigerlich vor einigen Herausforderungen. Denn die Aussagen dieser Texte wurden in ganz konkreten Situationen vor tausenden Jahren gemacht. Ist es da nicht seltsam, diese auch in unserer, ganz anderen Zeit als relevanten Beitrag verwenden zu wollen?
Besonders problematisch ist zudem, dass die prophetischen Aussagen weder einheitlich noch eindeutig sind. Das macht schwer, absolute Lehr- und Glaubensaussagen mit ihnen zu begründen. Simone Paganini wirbt an dieser Stelle dafür, die Texte einer „Aktualisierung“ zu unterziehen. Er weist daraufhin, dass die Sozialkritik der Propheten von der Wirkung lebte, die sie erzielte. Die Botschaften wollten schockieren und haben deshalb oft keine sachliche Sprache benutzt. Es kommt also entscheidend auf die damalige Situationen an, in der diese Worte ihre Wirkung entfaltet haben. Heute werden diese Worte aber heute nur selten dieselben Reaktionen hervorrufen. Also wie sind die prophetischen Texte in unsere Zeit zu übertragen, um ihre ursprünglichen Aussagen erfahrbar zu machen?
Hier macht Paganini zunächst klar, dass wir nicht die ersten Adressaten dieser Texte sind. Und dass es Demut erfordert, sich als heutiger Hörer in die zweite Reihe zu stellen und nicht so zu tun, als wüsste man sofort, was die prophetische Botschaft bedeutet, nur weil man die deutschen Worte versteht. Aber wer mit dieser Grundhaltung startet, der wird Paganinis Einladung verstehen, die Interpretationslinien in den alten Texten zu ergründen und sich vielleicht sogar auf die Reise machen, ihnen bis in unsere Zeit zu folgen.
Die Prophetie des Neuen und deren Bedeutung für das neue Testament (zu Jesaja 40-66) | 5.4.1
Andreas Schüle versteht es, mit seiner unaufgeregten Art einen hervorragenden Überblick über das Jesajabuch zu geben. Es beginnt mit einem eher düsteren Bild, um dann in einem großen Bogen in der zweiten Hälfte in eine freundlichere Stimmung in Richtung Hoffnung umzuschwenken. Als Leser kann man also innerhalb eines Buches quasi in Miniaturform die gesamte Idee von »Gottes Heilsgeschichte« betrachten.
Baupläne von Architekten geben hier eine hilfreiche Analogie. Sie bieten in reduzierter, abstrakter und stark vereinfachter Form ein Abbild eines reellen Bauwerks. Dabei lassen sie zwar eine Menge Details weg, aber die wesentlichen Aspekte werden hervorgehoben, um das gesamte Werk zu beschreiben. Und so wie auf einer Bauzeichnung erkennt man bei Jesaja die Highlights der Gott-Mensch-Beziehung und verfolgt sie im Zeitraffer mit. Am Ende wird eine neue Ära, eine neue Zeitrechnung eingeleitet. Die alten Denkmuster werden verändert. Das gesamte Glaubensgebäude wird neu definiert.
So gesehen wirkt Andreas Schüle in seinem Vortrag wie eine Art neugieriger Archäologe, der vorsichtig Schicht für Schicht einer großartigen Entdeckung freilegt. Hier wartet etwas Faszinierendes darauf gefunden zu werden, nichts Geringeres als der »Masterplan« des Schöpfers mit seiner Schöpfung.
Knecht und Messias – Aspekte prophetischer Hoffnung im Jesajabuch | 5.4.2
In diesem Vortrag knüpft Andreas Schüle nahtlos an den vorhergehenden Vortrag »Die Prophetie des Neuen und deren Bedeutung für das neue Testament (zu Jesaja 40-66)« an und demonstriert, wie hier der entscheidende Grund für den Glauben an einen Messias gelegt wird, der sich dann im Neuen Testament mit Wucht entfaltet.
In der damaligen Zeit waren natürliche Personen wie selbstverständlich die Gesalbten Gottes. Die aktuellen Könige hatten diese Rolle inne, versagten jedoch auf vielerlei Weise darin, Gottes Heil zu Israel und den Menschen zu bringen. Der Fokus wird deshalb stärker auf die Rolle des Messias‘ im Allgemeinen gelegt – weg von dem konkreten geschichtlichen Bezug hin zu einem idealtypischen Bild der Messias-Rolle. Durch die Betonung des Heiligen Geistes beginnt eine Loslösung von dem stark israelzentrierten Gottesbild hin zu einem universalen Gottesglauben, der Relevanz für die ganze Welt hat. Das Bild vom Messias wird also auf eine weitere, von Menschen losgelöste Ebene gebracht. Und dann kommt das Überraschende: Jesus aus Nazareth beansprucht diese gewissermaßen von menschlichem Makel befreite Rolle für sich, weil Gottes Geist auf ihm ruht. Man kann es in diesem Vortrag nur ahnen, wie folgerichtig dann die Pfingstbotschaft in diese Linie passt. Aber es ist erstaunlich, wie so gesehen in dem alten Jesajabuch diese Weichenstellung vorgenommen wird. Das hat etwas Geheimnisvolles.
Die Visionen des Amos – ein Meilenstein in der Geschichte der Prophetie | 5.4.3
Man kommt nicht umhin zu fragen, was denn das wohl jetzt für ein Zimmer-Vortrag wird: »Wohn-Zimmer« – schön gemütlich und entspannt, »Arbeits-Zimmer« weil theologisch sehr herausfordernd oder »Schlaf-Zimmer« weil man danach beruhigt sein Haupt betten kann? Weit gefehlt! Es passt wohl eher »Küche« oder »Vorratskammer«, denn es geht richtig ans Eingemachte. Es geht ums Gericht.
Seit Beginn der seit rund 2.000 Jahren erfolgreich weitererzählten Weihnachtsgeschichte dürfte jedem Hörer klar sein, dass Gott einer von uns geworden ist. Er begibt sich auf die Ebene von Menschen und sucht dabei bevorzugt die Nähe der einfachen, benachteiligten und armen Menschen. Mit viel Empathie und einer guten Botschaft in der Tasche. Aber wie passt das zum Gericht, denn dabei Mal geht es ja um keine frohe Botschaft? Und leider hat auch der vielzitierte kleine Mann keine weiße Weste – von den Mächtigen und Starken ganz zu schweigen. Hier setzen die Visionen des Amos an und man darf gespannt sein, wie sich Gottes Wesen in den Amos-Versen zeigt. In diesem Sinne: Es ist angerichtet. Bon appétit!
Die Gerichtsworte des Amos über die Hauptstadt Samaria | 5.5.1
Die »lange Geschichte«, die mit dem Vortrag »Die Visionen des Amos – ein Meilenstein in der Geschichte der Prophetie« begonnen hat, setzt Siegfried Zimmer mit diesem Vortrag mit viel Engagement fort. Natürlich geht es in den Gerichtsworten aus dem Amosbuch weiter um das etwas abstrakt klingende »Gericht«. Aber Zimmer schafft es nicht nur diese alten Worte für das Hier und Jetzt verständlich zu machen. Er eröffnet auch ungewohnte Perspektiven auf die Amos-Verse, indem er sie in aktuelle Bezüge setzt und aus dem klassisch religiösen Kontext herauslöst.
So nähert er sich den Gerichtsworten über ein Gedicht von Nelly Sachs, in dem Propheten als »Einbrecher« verstanden werden. Sie brechen die verstopften Gehörgänge der Menschen auf mit »Sturmschwingen der Ewigkeit«.
Ausgehend von diesem lyrischen Zugang verdeutlicht Zimmer die enorme – und leider oft ausgeblendete – politische Dimension der Gerichtsworte des Amos. Sie klagen die gesellschaftlichen Eliten an, die kleine superreiche Oberschicht, die auf dem Rücken der armen Bevölkerungsmehrheit ihr Luxus-Leben frönt und jedes Gefühl für Anstand verloren hat. Sie konfrontieren die »High Society« mit einem Gott, der sie für ihren Lebensstil Verantwortung ziehen wird und sich eindeutig auf der Seite der Unterdrückten und Armen positioniert. Und es spricht nicht nur vieles, sondern alles dafür, dass sich an dieser Positionierung Gottes bis heute nichts geändert hat und auch nie ändern wird: Seine uneingeschränkte Solidarität gilt den Ausgegrenzten, den Chancenlosen, den Ohnmächtigen, den Entrechteten, den Ausgenutzten.
Frühchristliche Prophetie: Im Kontext des antiken Judentums – von Jesus zu Paulus | 5.5.2
Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion. Das Wesentliche wird nicht durch das menschliche Erkenntnisvermögen erschlossen, sondern durch Offenbarungen Gottes enthüllt. Dabei spielen Propheten eine wichtige Rolle. Es ist spannend zu analysieren, wie sich Prophetie im Zeitablauf unterschiedlich intensiv und mit wechselnden Schwerpunkten darstellt.
Dabei geht Marco Frenschkowski in seinem nicht ganz einfachen Vortrag folgenden Fragen nach: Was ist mit erloschener Prophetie gemeint? Wie kann vergangene Prophetie für die Gegenwart Identität stiften? Wie wirkt sich das prophetische Element in der entstehenden messianischen Atmosphäre des neuen Testamentes aus? Welchen Stellenwert bekommt Prophetie in den Gottesdiensten der ersten christlichen Gemeinden?
Frühchristliche Prophetie: Von der Johannesapokalypse zum Verschwinden der Prophetie in der alten Kirche | 5.5.3
Marco Frenschkowski zeigt bei seinem zweiten Worthaus-Vortrag sein »zweites Gesicht«. Während der erste eher schwierig verständlich war, präsentiert er hier die Zusammenhänge der frühchristlichen Prophetie in einer einfacheren Sprache. Und das tut dem Vortrag sehr gut!
In der Zeit nach Paulus hat sich Prophetie als selbstverständliches und geordnetes Element in den christlichen Gottesdiensten etabliert. Es entwickelt sich ein mündiger Umgang mit den Geistesgaben. Marco Frenschkowski beschreibt Prophetie als solides, hinterfragbares und geerdetes Element im Leben der ersten Christen. Das klingt so gar nicht nach sensationsgierigem, abgehobenem, charismatischem Holy-Spirit-Hype, der seit dem 20. Jahrhundert in Teilen der Christenheit en vogue ist.
Im zweiten Teil schwenkt Frenschkowski zur Mutter aller prophetischen Bücher: Der Offenbarung des Johannes, dem »Buch mit sieben Siegeln«. Bei dessen Lektüre dürften sich viele Leser gefragt haben, welches Kraut der Autor denn geraucht haben mag, um solche merkwürdigen Bilder zu beschreiben, aber noch viel mehr natürlich, was das alles zu bedeuten hat. Marco Frenschkowski überrascht hier mit der Aussage, dass die Offenbarung doch eigentlich ziemlich einfach zu verstehen sei und liefert tatsächlich eine Reihe von spannenden Auslegungshilfen. Und er geht der nicht ganz unwichtigen Frage nach, was denn die ersten Adressaten dieser Texte unter der wirren Bilderflut verstanden haben mögen.
Man bekommt Lust, sich diesem Buch mal etwas anders zu nähern. Ist es am Ende tatsächlich nicht so verkehrt, mit Worten unbeschreibliche Dinge mal ganz anders auszudrücken und sich als Zuhörer auf diese Bildsprache einzulassen? Dann erschließt sich das letzte Buch der Bibel vielleicht ja doch ein bisschen. Die Chancen stehen nach diesem Vortrag jedenfalls gut!
Johannes der Täufer – ein prophetisches Phänomen | 5.6.1
Siegfried Zimmer widmet sich in diesem Vortrag einer eigenartigen und einzigartigen Gestalt des Neuen Testaments. Der Lebensstil und die Botschaft Johannes des Täufers passen nicht so Recht in die damalige theologische Landschaft. Und auch für den heutigen Betrachter wirkt die Szenerie reichlich bizarr und trägt Züge einer Freakshow.
Interessanterweise verbindet sich der Mann aus Nazareth auf bemerkenswerte Weise mit diesem Sonderling und Zimmer zeigt auf, welche Rolle dieser Mann für den christlichen Glauben spielt. Der Vortag ist – wie üblich – gespickt mit geschichtlichen, gesellschaftlichen und geographischen Details, die einen soliden Rahmen für die eigentliche Botschaft dieses Rufers aus der Wüste geben: Das Gericht kommt – und zwar für alle. Keine Abstammung, kirchliche Tradition oder sonst wie gearteten religiösen Pfunde taugen bei Johannes etwas. Es gibt auch keinen Armen- oder Unterschichtsbonus – alle sind fällig und stehen erstmal, im eigentlichen und übertragenen Sinne, auf der falschen Seite (des Flusses) – das rettende Ufer ist drüben. Das war damals und ist wohl auch heute noch eine erschütternde Botschaft, wenn man sie hört und an sich heranlässt. Aber es gibt Hoffnung!
Der Weg zur Vergebung steht offen – und zwar auch allen. Hier wird nicht diskriminiert und es gibt keine Vorbedingungen. Das Bild der Taufe erklärt auf hervorragende Weise und zugleich auf körperlich erlebbare, emotional spürbare aber auch intellektuell valide Art worum es geht – Umkehr, Rettung, Neuanfang, Leben. Phänomenal.
Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lukas 12, 16–20) | 5.6.2
Willkommen auf einer kurzen Reise in die Lebenswirklichkeit eines von Gott gesegneten Menschen, dem es erst richtig gut und dann noch viel besser geht. Dieser Mann, der im Leben nichts falsch und in der beschriebenen Geschichte alles richtig macht, ist wirklich zu bedauern – schließlich wird sein Leben am Ende von ihm gefordert. Man fragt sich die ganze Zeit, warum er am Ende eine so fette Rechnung präsentiert bekommt? Es ist unbegreiflich und irgendwie auch verstörend.
Der Gleichniserzähler aus Nazareth gibt sich redlich Mühe, diesen Kornbauern als guten Typen darzustellen. Er hat seinen Reichtum nicht auf krummen Wegen erlangt. Er wird unverdient und ohne sein Zutun geradewegs von Gott mit einem immensen Wohlstand überschüttet. Und dann handelt er auch noch ökonomisch weise und weitsichtig. Geht’s noch besser? Und hatte er überhaupt eine andere Wahl?
Siegfried Zimmer gibt am Ende des Vortrags unzweifelhaft zu Protokoll, dass er jederzeit genauso handeln würde wie dieser Bauer. Ist es deshalb nun an der Zeit über ein fortgeschrittenes Stadium von geistiger Umnachtung des Referenten zu spekulieren? Oder ist es tatsächlich möglich, dass man im Leben in jedem einzelnen Schritt richtig rechnet und am Ende das Gesamtergebnis doch nicht stimmt? Wer hierauf eine Antwort haben möchte, sollte genau die Ohren spitzen. Denn in diesem Vortrag gibt es sie.
Das hohe Lied der Liebe (1. Korinther 13) | 5.7.1
Der neutestamentliche Text aus 1. Korinther 13, gerne überschrieben mit »Das hohe Lied der Liebe« und nicht zu verwechseln mit dem alttestamentlichen Buch »Das Hohelied Salomos«, ist heute einer der bekanntesten Texte der Bibel. Das liegt in erster Linie an seiner poetischen Sprache und an der Thematisierung der Liebe, was ihn zu einem sehr populären Text bei kirchlichen Trauungen macht und ihm eine weite Verbreitung auf allerlei »christlichen«, gerne kitschigen Druckerzeugnissen beschert. Darüber hinaus wird dieser Text aber auch regelmäßig von christlichen Strömungen benutzt, die der charismatisch geprägten Christenheit skeptisch gegenüberstehen, um die Bedeutung der Geistesgaben (Charismen) abzuwerten.
Also beste Voraussetzungen für einen Worthaus-Vortrag und Siegfried Zimmer taucht mit Verve in die charismatische Großwetterlage ein. Er schildert den historischen Kontext den dieser Text adressiert. Er stellt durch genaue Textbeobachtung fest, dass diese Verse die vielleicht wichtigsten »Aber« der Bibel enthalten. Und er arbeitet heraus, dass Paulus als »bekennender« Charismatiker und Autor des Textes wahrscheinlich als Erster eine geniale Erkenntnis formuliert hat: Selbst die besten Dinge im Leben sind ohne Liebe zum Gegenüber sinnlos. Denn ohne Liebe ist alles sinnlos.
Auffällig ist wie leidenschaftlich Paulus schreibt und wie leidenschaftlich Siegfried Zimmer über das Geschriebene redet. Letzteres lässt sich sicher auf die besondere Atmosphäre des Freakstock-Festivals zurückführen, die Zimmers lebhaftes Temperament schon bei früheren Vorträgen herausgekitzelt hat. Aber diese Erklärung greift zu kurz. Bei genauem Hinsehen wir deutlich, dass der Text von 1. Korinther 13 auch der Text von Siegfried Zimmer ist. Er hat ihn verinnerlicht. Dieser Text ist ein wesentlicher Schlüssel, um Zimmers Vortragsarbeit, seine Anliegen zu verstehen. Denn genauso wie es Paulus bei seiner Kritik nicht um eine Verurteilung der Christen in Korinth geht, geht es Siegfried Zimmer bei aller von ihm geäußerter Kritik nie darum Menschen zu verurteilen. Genau wie Paulus treibt ihn der Wunsch »die Dinge« zu justieren, in Balance zu bringen. Die geäußerte Kritik soll nicht vernichten, sondern Anregung zur Korrektur, zur Selbstreflexion, eine Einladung zur Bescheidenheit und Demut sein. Damit die Liebe einziehen kann.
Hinweis zum Video: Der Vortrag wurde unter schwierigen technischen Bedingungen aufgezeichnet, so dass nach rund einer Stunde nur der Ton, aber leider kein Bild mehr zu Verfügung steht.
Das Verständnis der Moderne als ein Schlüssel zum angemessenen Verständnis von biblischen Texten | 5.7.2
Der Vortrag lässt sich am einfachsten als eine Art Prostatakrebsvorsorge-Untersuchung für den christlichen Glauben beschreiben. Vor dieser – auch gerne als »große Hafenrundfahrt« bezeichneten – Untersuchung haben viele Männer Scheu. Dabei tut sie nicht wirklich weh, ist aber unangenehm. Je nach Empfinden sogar sehr! Außerdem fürchten sich viele Männer vor Schmerzen, aber auch vor Schäden, die diese Untersuchung verursachen kann. Allerdings kann man nach Abschluss der Untersuchung die »Dinge« klarer einschätzen und muss nicht im Vagen verbleiben. Ganz ähnlich wird es der konservativen Christenheit mit diesem Vortrag gehen. Einige sensible Stellen wie das angemessene Verständnis der biblischen Botschaft, die Übertragbarkeit von biblischen Aussagen auf die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts, die Tatsache, dass biblische Gestalten nicht alles das gewusst haben, was der heutige Mensch weiß, werden gestreift und dabei gezeigt, dass ein konservatives Schwarz-Weiß-Denken weder hilfreich noch intelligent ist. Aber dafür bietet Siegfried Zimmer in diesem Vortrag viele gesunde Erkenntnisse an – ohne auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Er weiß auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass der Modernisierungsprozess auch ambivalent ist und dass ein Überlegenheitsgefühl des modernen Menschen gegenüber Menschen vorheriger Epochen deplatziert ist. Doch statt auf die Herausforderung der Moderne mit Weltflucht in religiöse Schneckenhäuser zu reagieren, hat Zimmer ein anderes Rezept für die Christenheit: Es gilt die Beschleunigung des historischen Wandels nicht zu bewerten, sondern zu bewältigen!
Damit erweist sich dieser einundsechzigste Worthaus-Vortrag auf eine überraschende Weise als absoluter Basis-Vortrag. Hier wird thematisiert, warum Worthaus entstanden ist. Mit dem Kampf Zimmers um ein angemessenes Verständnis der Moderne wird deutlich, warum der christliche Glaube heute zwingend eine Bildungskultur benötigt, um seine biblische Botschaft in das Hier und Jetzt zu tragen. Denn eine 1:1-Übertragung biblischer Texte in die Gegenwart greift nicht nur zu kurz, sie ist nicht nur zu leichtfertig, sie stellt ganz klar einen gravierenden Missbrauch dar. Stattdessen muss genau berücksichtigt werden, in welcher Zeit, in welcher Kultur und mit welcher Intention ein Text ursprünglich entstanden ist. Alles andere führt in Sackgassen und mitunter zu schweren Missverständnissen.
Christliche Sexualethik – Der Unterschied in den Paarbeziehungen zwischen antiken und modernen Gesellschaften | 5.8.1
Der Vortrag von Siegfried Zimmer über christliche Sexualethik mit dem Fokus auf dem Unterschied in den Paarbeziehungen zwischen antiken und modernen Gesellschaften überrascht. Eigentlich ist es kein Vortrag. Es ist ein Plädoyer. Anders als gewohnt nähert sich Zimmer der Thematik nicht sachlich, nicht systematisch, sondern überaus leidenschaftlich. Denn er hat ein Anliegen. Dafür kämpft er. Dafür streitet er. Für eine falsche Zurückhaltung ist ihm diese Thematik viel zu wichtig.
Natürlich tritt er dabei einigen auf den Schlips. Und das kann man ihm ankreiden. Aber bevor man das tut, sollte man sich drei Aspekte vor Augen führen: Erstens – und das betont Zimmer – kritisiert er keine Menschen, sondern ein religiöses System. Zweitens ist auch der Bibel diese Art der Zuspitzung vertraut: Paulus kritisiert ähnlich energisch eine Gruppe von Judenchristen, die versuchte bei »seinen« Galatern die Beschneidung einzuführen, – »Sollen sie sich doch gleich verschneiden lassen« lässt grüßen. Drittens kritisiert Zimmer ein religiöses System, dass seit Jahrhunderten keinerlei Gewissensbisse hat, die Bibel für seine Sichtweise zu vereinnahmen und zu verdrehen. Er kritisiert ein religiöses System, das vollkommen schamlos in das persönliche Leben von Menschen eingreift, das diesen Menschen nicht nur »auf den Schlips« tritt, sondern das Menschen manipuliert, mitunter sogar versklavt.
Siegfried Zimmer wendet sich gegen eine als christlich bezeichnete Sexualethik, die so tut als ob die heutige Gesellschaft mit der orientalischen Gesellschaft der Antike identisch wäre. Und er zeigt auf, dass diese »Ethik« zudem noch in sich selbst zutiefst verlogen ist! Sie ist willkürlich. Sie blendet nach Lust und Laune aus. Sie ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Sie ist definitiv nicht »bibeltreu«! Kein Sex vor der Ehe? Dazu sagt die Bibel nichts. Kann sie auch gar nicht. Gab es eigentlich nicht. Denn für jemanden, der schon vor seiner Geschlechtsreife verheiratet ist, ist es äußerst schwierig schon vorab tätig zu werden. Polygamie? In der Welt der Bibel gesellschaftlich und religiös vollkommen problemlos. Praktizieren auch Glaubenshelden. Aber welche »bibeltreue« Gemeinde würde heute einem Mann noch für seine Zweit- und Drittfrau den Segen geben?
Zimmer plädiert für eine christliche Sexualethik, die sehend ist. Die sich den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen der Moderne stellt. Die sich nicht an pseudo-christlichen Dogmen orientiert, sondern – und hier schließt sich der Kreis – an diesen Worten aus dem Galaterbrief: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!«
Ein Beispiel zur Arbeitsweise der modernen Bibelwissenschaft | 5.8.2
Worthaus ist ein Bildungsangebot, das »gesicherte« Erkenntnisse der theologischen Wissenschaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen möchte. Diesem Anspruch wird der Vortrag zur Arbeitsweise der modernen Bibelwissenschaft in jeder Hinsicht gerecht. Denn Siegfried Zimmer ermöglicht am Beispiel der Gleichnisforschung, konkret am Gleichnis vom Sämann aus Markus 4, einen Einblick in die »Black Box« der Theologie. Und da gibt es Wesentliches zu entdecken!
Denn wie so oft, ist es vertrackt: Gleichnisse sind quasi das erzählerische Lebenswerk von Jesus aus Nazareth. Von daher sind sie in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzen. Doch tragischerweise versinken die Gleichnisse über die Jahrhunderte in der gesamten Christenheit in einer Art allegorischem Nebel. Sie werden zu »Geheimtexten«, zu mystischen Rätseln, die entschlüsselt werden müssen. Ihr Sinn erschließt sich also nicht dem interessierten, aufgeschlossenem Leser, sondern nur demjenigen, der den Gleichnistext mit dem richtigen Schlüssel dechiffrieren kann. Es braucht eine Art Erleuchtung, um zu verstehen. Der ursprüngliche Sinn der Gleichnisworte bleibt im Dunkeln. Die Kernerzählungen des Nazareners werden Opfer eines folgenschweren Missverständnisses, das ein willkürliches Verständnis der Gleichnisse ermöglicht – schönen Gruß vom vierfachen Schriftsinn!
Siegfried Zimmer beschreibt diese Misere anschaulich und schildert die Geschichte einer Rettung. Er zeigt auf, wie die intensive Beschäftigung der modernen Bibelwissenschaft mit den Gleichnistexten ihren eigentlichen Sinngehalt wiederentdeckt und so für den christlichen Glauben neu zugänglich gemacht hat. Außerdem erläutert Zimmer, warum das Gleichnis vom Sämann in der theologischen Wissenschaft als Jesusworte verstanden werden, die anschließende Deutung aus Markus 4 jedoch aus guten Gründen nicht Jesus zuzuschreiben ist, sondern in der frühen Christenheit entstanden ist und so ihren Einzug in das Markusevangelium gefunden hat.
Trinität – Die Sache mit dem dreieinigen Gott | 5.9.1
Sie ist eines der größten Rätsel des Christentums und gleichzeitig das, was den christlichen Glauben im Inneren ausmacht: die Dreieinigkeit. Doch oft verstehen Christen selbst nicht so genau, was es mit dem dreifaltigen Gott auf sich hat. Noch schwerer tun sich im christlichen Glauben nicht Verwurzelte mit der Trinität. Woran glauben die Jesus-Anhänger denn nun? An einen Gott? An drei Götter? An einen Gott mit drei Persönlichkeiten? Der Theologe Prof. Dr. Klaus von Stosch, Professor für systematische Theologie, wagt sich an den Kern des Christentums. Er zerlegt die Trinität in ihre Bestandteile: Den Sohn, der das Wort nicht nur verkündet, sondern selbst Wort Gottes ist. Den Geist, der in der Seele des Menschen wirkt. Und den Vater, der alles umfasst. Klingt nach drei Personen? Das sind sie nicht. Drei und doch eins – wie das sein kann, dazu liefert von Stosch passenderweise drei Theorien. Einfach und anschaulich erklärt, damit jeder versteht, woran Christen eigentlich glauben.
Viele Religionen – Eine Wahrheit? | 5.9.2
Wenn Jesus von sich sagt, niemand komme in den Himmel, der nicht an ihn glaubt – haben dann all die Muslime, Hindus, Atheisten oder Anhänger von Naturreligionen keine Chance auf ein Leben nach dem Tod? Denn an dieses Leben bei Gott, ein glückliches, erfüllendes Leben im Himmel, daran glauben Christen ja und das wünschen sie in der Regel auch ihren Mitmenschen. Was aber, wenn diese Mitmenschen etwas anderes glauben? Wenn sie gar nicht an irgendeinen Gott glauben wollen? Oder wenn sie – wie manches Naturvolk – noch nie von Jesus gehört haben? Klaus von Stosch, Professor für systematische Theologie an der Universität Paderborn, wagt sich an die Klärung dieser Fragen. Fragen, die sich auch Christen sicherlich irgendwann stellen: Was wäre eigentlich aus mir geworden, wenn ich nicht in eine christliche Familie hingeboren worden wäre? Wenn ich nie vom Christentum, von Jesus, gehört hätte? Kurz und prägnant erklärt von Stosch jene Theorien, mit denen Theologen bisher versucht haben, das Dilemma zu lösen. Und kommt schließlich zu einem überraschenden Fazit: Vielleicht bergen auch andere Religionen Geheimnisse, die den christlichen Glauben bereichern können?
Was ist Gerechtigkeit? – Eine Grundfrage der Menschheit | 5.11.1
Wer sich einmal in die jüngere deutsche Geschichte vertieft oder auch mit dem heutigen Justizsystem zu tun hatte, weiß: Geltendes Recht und Gerechtigkeit sind nicht das Gleiche. Das Recht ist ein Regelsystem, das Gerechtigkeit zwar herstellen soll. Es kann dabei aber völlig ungerecht sein, Schwache schwächen, Reiche bereichern, Ausgegrenzte noch weiter ausgrenzen. Geltendes Recht ermöglichte die Shoa, den Sklavenhandel, die Inquisition. Und wenn geltendes Recht ungerecht ist, dann ist es notwendig, gegen dieses Recht zu verstoßen, Widerstand zu leisten. Um wahre Gerechtigkeit herzustellen. Was aber ist wahre Gerechtigkeit? Davon hat jede Kultur ihr eigenes Verständnis, erklärt Siegfried Zimmer. Das europäische Verständnis von Gerechtigkeit gründet auf der griechischen und römischen Vorstellung der Justitia, jener Frau mit verbunden Augen, mit Waage und Schwert in der Hand. Ohne Ansehen der Person wägt sie Tatsachen ab und straft entsprechend. Ohne Strafe, keine Gerechtigkeit. Richtig? Falsch. Jedenfalls nach biblischem Verständnis. Denn die Gerechtigkeit des christlichen Gottes sieht ganz anders aus. Vor ihr muss niemand zittern. Sie hat nichts mit Strafe zu tun. Im Gegenteil, sie versöhnt, baut Brücken zwischen Menschen und holt Ausgegrenzte zurück in die Gemeinschaft. Aber kann das gehen? Gerechtigkeit ohne Strafe? Und wie passt der Tod Jesu dazu, scheint er doch wie die ultimative Strafe für alle Sünden der Menschen zu sein? Zimmers Vortrag öffnet einen ganz neuen Blick auf dieses Thema – und macht all jenen Hoffnung, die sich nach Gerechtigkeit sehnen oder – auch das gibt es ja – Gottes Gerechtigkeit fürchten.
Die Bedeutung des Schabbat | 5.11.2
Wenigstens einen Tag die Woche frei haben, das ist fast auf der ganzen Welt selbstverständlich, egal ob im abendländisch-christlichen Europa, im buddhistisch-hinduistischen Südostasien oder in muslimischen Ländern. Doch nur im Judentum und Christentum ist dieser eine freie Tag in der Woche in den heiligen Schriften verankert. Die Israeliten waren die Ersten, die jeden siebten Tag die Arbeit niederlegen sollten, nicht einmal Sklaven und Tiere arbeiten lassen durften. Was für eine Revolution in einer Zeit, in der die Armen fast ohne Pause arbeiteten und die Reichen andere für sich arbeiten ließen. Dieser freie Tag in der Woche, der Schabbat, ist eine Erfindung, die Menschen befreit. Und er ist nichts, was sich ignorieren ließe. Kein Gebot im Alten Testament wird so häufig erwähnt wie das Gebot, den Schabbat zu heiligen. Und wie soll das gehen, dieses „heiligen“? Jeden Sonntag in die Kirche rennen, auch wenn es einen anödet? Siegfried Zimmer gibt Entwarnung. Der Schabbat ist für den Menschen da, für Ruhe und Erholung. Aber viel mehr noch ist er ein Kampfmittel gegen das herrschende System. Es zeigt: Religion ist keine Privatsache. Gott mischt sich in alle Angelegenheiten des Lebens ein. Und das ist gut so. Das befreit.
Trinität – Was soll das? | 5.12.1
Da atmen nicht nur seine muslimischen Studenten auf, wenn Siegfried Zimmer verkündet: „Ihr dürft die Lehre von der Trinität komisch finden!“ Es ist schließlich eine Lehre, die in der Bibel gar nicht erwähnt ist, die erst im dritten Jahrhundert nach Christus entwickelt wurde, eine Lehre, die selbst die meisten Christen nicht begreifen. Und die deswegen dem Dialog mit anderen Religionen oft im Weg steht. Doch heute, da immer mehr Muslime in Deutschland leben und der Austausch mit anderen Religionen immer bedeutender wird, ist es umso wichtiger, diese Lehre zu verstehen, die das Christentum so stark vom Islam und dem Judentum unterscheidet. Zimmer nimmt es mit diesem schwierigen Thema auf und berichtet begeistert von seinen Gesprächen mit muslimischen Studenten an Universitäten in der Türkei und Marokko. Denn dabei wird klar: Die Dreieinigkeit muss Christen und Muslime nicht trennen. Sie lässt sich verstehen, selbst für jene, die sie ablehnen. Lebendig erklärt Zimmer, warum die Dreieinigkeit so einmalig und universell ist. so neu und doch uralt, wo sie in der Bibel schon angekündigt wird, warum sie ohne den Tod Jesu nicht möglich wäre und wie sie das gesamte Denken der Christen über Gott verändert hat.
Luthers reformatorischer Durchbruch | 6.1.1
Es ist ein großes Jubiläum: Vor fast 500 Jahren nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Deswegen sieht man den bekannten Reformator im Jahr 2017 immer wieder auf Plakaten, in Magazinen und Fernsehsendungen. Doch was ist eigentlich so besonders an diesem Mann aus dem späten Mittelalter? Womit hat er die moderne Welt so verändert? Was für eine Entdeckung hat er gemacht, die ihn beinahe auf den Scheiterhaufen brachte, die Kirche, Familien und ganze Nationen entzweite, die Gläubige zum Zweifeln brachte und einen jahrzehntelangen Krieg auslöste? »Wie wenn die Tür zum Paradies aufgegangen ist, ich fühlte mich wie neugeborenen.« So beschreibt Luther sein Aha-Erlebnis. Es ist keine neue Erkenntnis, schon andere Kirchenväter hatten sie niedergeschrieben. Doch Luther denkt diese Erkenntnis weiter und entdeckt im Wort Gottes ein fast unglaubliches Versprechen. Es befreit ihn von einer Last, die er Zeit seines Lebens mit sich herumgetragen hat. Seine Erkenntnisse und damals nie gehörten Thesen stecken voller Überraschungen – und sind zu vielschichtig, um sie in einem Vortrag abzuhandeln. Deswegen widmet Worthaus eine ganze Vortragsreihe der Reformation. Zum Auftakt erklärt Siegfried Zimmer, welche Entdeckung Martin Luther vor 500 Jahren gemacht hat. Was die lutherische und die katholische Lehre gemeinsam haben. Und warum ausgerechnet 2017 das Jubiläum der Reformation gefeiert wird.
Luthers Verständnis des Wortes | 6.2.1
Nachdem Siegfried Zimmer in seinem Vortrag »Luthers reformatorischer Durchbruch« beschrieben hat, mit welcher Entdeckung Martin Luther die Welt verändert hatte, ist dieser Vortrag etwas theologischer. Also hingehört: Zimmer beschäftigt sich in diesem Vortrag mit dem Wortverständnis Luthers. Christen wissen: Mit dem Wort Gottes ist in der Regel die Bibel gemeint. Nicht aber bei Luther. Er meint mit dem damit einen ganz bestimmten Teil der Bibel, eine Zusage Gottes, die das Verhältnis des Menschen zu Gott bestimmt. Und die Gottes Liebe für den Menschen erst erlebbar macht. Es ist ein Versprechen, mit dem Gott den Menschen gewinnt. Das Schönste, was die Sprache zu bieten hat. Oder, wie Zimmer es sagt: »Das Wort Gottes ist der Weg, auf dem die Liebe Gottes zu uns kommt.« Und das galt für die Zeitgenossen Martin Luthers ebenso wie es für die Menschen im unübersichtlichem 21. Jahrhundert gilt.
Luthers bahnbrechende Heidelberger Disputation und die reformatorischen Anfänge | 6.2.2
Eigentlich wollte Martin Luther nur eine Debatte anstoßen über die verheerende Wirkung des Ablasshandels auf das „arme, einfältige, grobe Volk“. Das nämlich erliege durch den Ablasshandel nämlich dem fatalen Irrtum, so glaubte Luther, dass nur der Kauf eines Ablassbriefes der Seele den Weg in den Himmel ebnen würde. Doch als Luther 1518 nach Heidelberg gerufen wurde, um seine Thesen zum Ablasshandel zu verteidigen, stellt er weitere neue Thesen auf – Lehren, die die Reformation noch mehr anheizen und die Kirche der damaligen Zeit auf den Kopf stellen sollte. Der Heidelberger Theologe Prof. Dr. Dr. Michael Welker seziert diese 28 Thesen, die Luther in seiner Heidelberger Disputation aufgestellt hat. Er erklärt, warum Gott nicht in seiner Herrlichkeit erkannt werden kann, sondern in Verzweiflung und Leid Christi. Und vor allem setzt er sich dabei immer wieder mit einer der größten Fragen der Christenheit auseinander: der Theodizeefrage. Wie kann Gott Leid und Not in der Welt zulassen? Wie passt die Allmacht und Liebe Gottes zur Verzweiflung unzähliger Menschen? Wie kann Leid gar nötig sein, um Gott zu erkennen? Es ist kein einfacher Vortrag. Es ist ein theologischer. Und es lohnt sich, gut zuzuhören.
EUROPA REFORMATA: Was sagen uns 48 Reformationsstädte über die Anliegen der Reformation? | 6.2.3
Nun wird es vielseitig und international – aber richtig. Michael Welker reist einmal quer durch Europa, durch 48 Städte, von Spanien bis Finnland, von denen aus die Reformation Kirche und Kontinent verändert hat. Die meisten Menschen verbinden die Reformation mit Martin Luthers Kampf gegen den Ablasshandel, mit der Entstehung der evangelischen Kirche und einem veränderten Gottesbild. Doch die Reformation brachte noch viel mehr. Sie machte die Christen zu mündigen Gläubigen, die die Bibel selbst lesen und für sich interpretieren konnten. Sie revolutionierte die Bildung, stellte kirchliche Ordnungen infrage, sie brachte sogar einige Reformatorinnen hervor, die für Frauenrechte eintraten. In 13 knappen Punkten wirft Welker mehrere solcher Schlaglichter auf die Reformation und zeigt, dass Martin Luther nicht nur die Kirche, sondern die halbe Welt verändert hat.
Erzählung: Zlateh, die Geiß | 5.10.5
Es war einmal eine Zeit, lange vor der Erfindung von Radio, Fernsehen und Smartphone, da versammelten sich Familien abends in der Stube, und irgendjemand erzählte eine Geschichte. Solche Szenen kennt man heute fast nur noch von Adventskalendern oder aus Heimatbüchern. Dabei ist ein ruhiger Abend mit Familie oder Freunden doch in unserer hektischen Zeit oft schöner als jedes Weihnachtsgeschenk. Erst recht im Advent. Wer nicht selbst erzählen mag, schaltet diese Folge von Worthaus ein. Denn dieses Mal hält Siegfried Zimmer keinen Vortrag, er erzählt die Geschichte von Zlateh, der Geiß. Geschrieben hat sie Isaac Bashevis Singer, geboren 1904 in Polen, 1978 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Doch all Ehrungen sind unwichtig, wenn Zimmer zu erzählen beginnt. Dann geht es nur noch um die Geschichte, um Stimme und Klang. Mal wird Zimmer beim Erzählen lauter, dann flüstert er fast, und spricht gleich darauf schnell wie im Galopp. Und plötzlich meckert er wie eine Ziege. Mit allen Klängen, die die menschliche Stimme hergibt, erzählt Zimmer von dem Pelzhändler Ruben, der seine einzige Geiß verkaufen muss, von dem tödlichen Schneesturm, in dem sich die Geiß und Rubens Sohn auf dem Weg zum Markt verlaufen, von dem einfachen Wunder, das beide rettet. Und von der Magie eines einzigen Wortes. Das nicht einmal menschlich ist.
Luthers Verständnis der Rechtfertigung | 6.3.1
Machen wir uns nichts vor: Wir alle urteilen über andere. Wir lästern über Kollegen, beschweren uns über die unfreundliche Kassiererin im Supermarkt, glauben, die eigenen Kinder seien besser erzogen als die Nachbarskinder. Gleichzeitig sind wir alle abhängig von der Meinung anderer. In unserer Leistungsgesellschaft ist die Meinung der Kollegen und Chefs nahezu überlebenswichtig. Hält der Chef uns für nützlich, behalten wir den Job. Lästern die Kollegen und halten uns für unfähig, dann beantragen wir bald Arbeitslosengeld. Wen andere Menschen für unnütz halten, schlecht bewerten und verurteilen, der hat keinen Platz in der Gesellschaft. Was andere von uns halten kann uns aufbauen oder zerstören. Martin Luther aber ging es immer darum, was Gott von einem Menschen hält. Diese Frage bestimmte sein Leben, denn die Meinung Gottes war im damaligen Verständnis noch lebensspendender oder zerstörender als die Meinung der Menschen. Wen Gott schlecht findet, der kommt in die Hölle. Glaubte man. Bis Luther durch seine Rechtfertigungslehre mit diesem Glauben aufräumte. Was so sperrig klingt, bringt Siegfried Zimmer auf einen einfachen Satz, den er dann leicht verständlich in seine Einzelteile zerlegt. Und danach ist endlich klar, was diese „Rechtfertigung“ eigentlich bedeutet. Warum Gott jeden Gläubigen für gerecht erklärt, egal welche Sünden und Verbrechen, er begangen hat. Wie wir uns frei machen von dem Urteil anderer. Und wie Christen lernen, andere nicht zu verurteilen.
Ein Gott zum Fürchten? Ein Lebensthema Luthers | 6.3.2
Mit Begeisterung und einigen Lachern aus dem Publikum steigt der Marburger Theologe Thorsten Dietz ein in ein Thema, das eigentlich gar nicht lustig ist: die Angst. Ein fieses Gefühl, das wir nicht zugeben wollen, wenn es uns doch mal packt. Und gerade Menschen, die bewundert werden, die großen Vorbilder der Geschichte verbindet man kaum mit Angst und Furcht. Dabei fürchten selbst die Mutigsten zumindest den Tod – die Ungewissheit und Unendlichkeit, die dahinter lauert. Für Martin Luther war die Angst vor dem Tod sogar lebensbestimmend. Todesangst war es, die ihn ins Kloster trieb, Todesangst quälte ihn selbst dort, obwohl das Dasein als Mönch im damaligen Glauben die größtmögliche Sicherheit bot, nach dem Tod in den Himmel zu kommen. Doch überall wurde die Todesangst geschürt. Folterszenen aus der Hölle und Bildnisse qualvoller Märtyrertode schmückten die Kirchen. Diese Angst vor dem Tod ging zu Luthers Zeiten einher mit der Angst vor der Hölle. Dabei heißt es in der Bibel an verschiedenen Stellen: „Fürchtet euch nicht.“ Doch Furcht und Angst sind nicht das gleiche. Wie wir unnötige Angst verlieren, aber die gute, die „reine“ Furcht bewahren, erklärt Thorsten Dietz anschaulich und alltagsnah. So dass zum Ende des Vortrags selbst diese Aussage Luthers einleuchtet: Er werde Gott auch dann noch lieben und loben, wenn er in der Hölle landen sollte.
Die dunkle Seite des Reformators: Luther und die Juden | 6.3.3
Es ist die dunkelste Seite Martin Luthers – unangenehm, beschämend, geradezu schmerzhaft ist es, seine späteren Schriften über die Juden zu lesen. Sie strotzen nur so von Vorurteilen und Gerüchten, die man vierhundert Jahre später so ähnlich wieder in Deutschland hören würde. Der junge Luther allerdings dachte noch ganz anders. Er hatte noch betont, dass „Jesus Christus ein geborener Jude sei“, hatte gefordert, Juden in die Zünfte zu lassen und mit ihnen über den Glauben zu diskutieren. Wie kam es zu diesem Wandel? Wie wurde der junge Mönch, der gefordert hatte, Juden besser in die Gesellschaft zu integrieren, zu dem einflussreichen Reformator, der die Juden aus der Gesellschaft auslöschen wollte? Ganz ungeschönt erzählt der Marburger Theologe Thorsten Dietz von den judenverachtenden Schriften Luthers, erklärt die überraschende Wandlung Luthers vom Paulus zum Saulus und erläutert, ob Luther dennoch ein Vorbild für Christen bleiben kann.
Luthers Spiritualität als Herausforderung für heute | 6.4.2
Christentum – das klingt altmodisch, langweilig, naiv. Spiritualität aber klingt modern, entspannend, ein bisschen exotisch. Spirituelle Menschen werden bewundert, Christen werden belächelt. Dabei meint Spiritualität nichts anderes, als den Glauben an etwas, der eingeübt wird und ethisches Handeln im Alltag verlangt. Nichts anderes tun Christen. Sie suchen die Nähe zu Gott und versuchen, ihren Glauben in den Alltag zu integrieren. Das versuchte auch Martin Luther. Er war spirituell, lebte seinen Glauben, wollte ihn erfahren. Und wie so oft in Luthers Theologie hatte seine Spiritualität, sein Verständnis eines lebendigen Glaubens, auch mit Sünde und Vergebung zu tun. Der Leipziger Theologe Peter Zimmerling erklärt, was der christliche Glaube mit Spiritualität zu tun hat, wie der Glaube erfahrbar wird und warum schwierige Lebenssituationen das beste sind, was uns für unseren Glauben und unsere Spiritualität passieren kann.
Luthers Seelsorge | 6.4.3
Sie hatten sich das so einfach vorgestellt: Im Leben begeht man immer wieder Sünden, das lässt sich kaum vermeiden. Dann geht man hin, kauft einen Ablassbrief, und der Platz im Himmel ist gesichert. Dachten sie. Aber dann kam dieser junge Pfarrer und haut den ganzen schönen Plan kaputt. Er wirft der Kirche nicht nur vor, mit dem Ablasshandel Geld zu machen. Viel schlimmer findet er, dass die Kirche dadurch Gläubige heranzüchtet, die aus Furcht vor Strafe wertloses Papier kaufen statt ehrlich Buße zu tun und die Strafe anzunehmen. Dieser sogenannte Beichtstuhlstreit ist Auslöser einer Revolution, die das Verständnis der Sündenvergebung zu Luthers Zeiten über den Haufen wirft. Und die theoretisch alle Christen von der Angst vor der Sünde befreien könnte. Die Angst aber belastet noch immer die Gläubigen. Auch Nicht-Christen fühlen sich bisweilen von der eigenen Schuld erdrückt. Diese schlechten Gefühle zu nehmen und Rat zu geben im Umgang mit Schuld und Sünde, das sollte eigentlich die Aufgabe der Beichte sein. Die Abnahme der Beichte ist also Seelsorge am anderen. Der Leipziger Theologe Peter Zimmerling erklärt, wie sich die Gläubigen einst die Sündenvergebung zu erkaufen suchten, warum jeder Gläubige die Beichte abnehmen kann und was Luther damit meinte, als er dazu aufrief, »tapfer zu sündigen«.
Passion I: Die Tempelaktion Jesu (Markus 11, 15–19) | 2.2.2
Es sind nur wenige Verse in den Evangelien. Sie werden schnell überlesen. Und auch gern ignoriert, denn sie zeigen einen Jesus, der auf den ersten Blick so gar nicht zu dem liebevollen, sich aufopfernden Sohn Gottes passt, von dem gerne gepredigt wird. Die Geschichte der Tempelaktion – oder auch Tempelräumung – zeigt einen Jesus, der die Tische der Geldwechsler umschmeißt, der Händler vertreibt. Wenn man sich das so ausmalt, klingt die Tempelaktion wie der Beginn der Revolution, auf die so viele Juden damals gewartet haben. Doch Jesu Händlervertreibung im Tempel ist viel weniger – und viel mehr als das. Er beginnt keine Revolution. Er bringt lediglich die Botschaft nach Jerusalem, die er schon in ganz Galiläa gepredigt hat. Nach Jerusalem: Ins politische Zentrum der Juden, wo die Römer die Herrschaft über die Region ausüben. In den Tempel: Das Herz des jüdischen Glaubens, wo Sünden vergeben werden, wo Gott selbst wohnt. Es ist keine Revolution. Es ist der Anbruch einer neuen Zeit.
Luthers Verständnis der Bibel | 6.5.1
Die von Martin Luther angestoßene Reformation war zugleich eine der größten Erneuerungs- und Erweckungsbewegungen in der Geschichte der Christenheit. Von besonderer Wirkung erwies sich dabei Luthers Übersetzung der Heiligen Schrift ins Deutsche. Sie ist für die deutschsprachige Christenheit von unschätzbarem Wert. Doch welches Verständnis der Heiligen Schrift hatte der Reformator und Übersetzer der Heiligen Schrift?
Siegfried Zimmer wendet sich in seinem Vortrag zunächst der berühmten Formel »sola scriptura« zu. Doch sie ist keineswegs so klar und eindeutig, wie Viele meinen. Und Luther versteht sie auch deutlich anders, als viele der konservativen Christen, die sich auf diese Formel berufen. Danach geht es um den Inhalt, die Einheit und die Klarheit der Heiligen Schrift. Besonders brisant wird es, wenn Zimmer erläutert, dass für Martin Luther die Heilige Schrift keineswegs die gleiche Autorität hat wie Jesus Christus. Jesus Christus steht vielmehr über der Heiligen Schrift. Er ist ihr König und Richter und sie ist sein Knecht. Im Schlussteil seines Vortrags wendet sich Zimmer der praktischen Frage zu, wie die Heilige Schrift tatsächlich im Alltagsleben der Christen zur Geltung kommt. Und kommt dabei zu überraschenden Einsichten.
Die Seligpreisungen – Teil 1 (Mt 5,3-10) | 6.6.1
Wie zynisch das klingt: »Glückwunsch, dass Du pleite bist.« »Glückwunsch, dass Du krank bist.« So zynisch muss auch der Beginn der Bergpredigt Jesu für seine Zeitgenossen geklungen haben. Die beginnt mit »Selig sind, die geistlich arm sind. Selig sind …«. Dieses fromme Wort »selig« bedeutet korrekt übersetzt: »zu beglückwünschen sind …«. Und dann geht es weiter damit, warum all diese Armen, Verfolgten, Hungernden angeblich so gut dran sind. Die Seligpreisungen sind einer der provokativsten Texte der Bibel, und Siegfried Zimmer seziert sie hier Satz für Satz. Die Seligpreisungen richten sich nicht allein an Christen oder Juden. Sondern an alle. In allen Ländern und Religionen sind Menschen arm, hungrig, verfolgt. Jeder, egal ob Christ, Jude, Buddhist, Muslim oder Atheist kann sich angesprochen fühlen. Mit diesen ersten Worten seiner programmatischen Rede holt Jesus die aus dem Dreck, die von niemandem beachtet werden. Und gibt denen ihre Würde zurück, die sich wertlos fühlen. Sie enthalten keine Gebote, keine Drohungen, kein »wenn, dann«, sondern bedingungslose Versprechen. Sie prägen sich direkt ein, und wenn es Musik dazu gäbe, wären sie ein Ohrwurm. Wer sie versteht, versteht die Botschaft Jesu. Deswegen lohnt es sich, genau hinzuhören.
Die Seligpreisungen – Teil 2 (Mt 5,3-10) | 6.7.1
Schon der Umstand, dass Siegfried Zimmer den acht Sätzen der Seligpreisungen noch einen zweiten Vortrag widmet zeigt, welche Bedeutung und Brisanz diese Sätze haben. Während es Siegfried Zimmer bei seinem ersten Vortrag zu den Seligpreisungen um eine allgemeine Einführung geht und um die Interpretation der ersten Seligpreisung, beleuchtet der zweite Vortrag die Seligpreisungen zwei bis acht.
Diese acht Sätze gewinnen an Profil, wenn man wie Siegfried Zimmer zwei »Strophen« unterscheidet (Sätze 1-4 und 5-8). Die erste Strophe will unsere Aufmerksamkeit und Sensibilität vertiefen. Erst bei der zweiten Strophe handelt es sich um Ethik. Diese Strophe bringt die Ethik Jesu auf konzentrierte Weise zum Ausdruck: Barmherzigkeit als Grundlage. Ein Defizit in diesem Bereich kann durch nichts anderes ausgleichen werden. Und die beiden entscheidenden Werte in der Ethik Jesu sind Frieden und Gerechtigkeit. So betrachtet kann wohl niemand die Seligpreisungen Jesu hören, ohne in seinen bisherigen Seh- und Denkweisen hinterfragt zu werden.
Das Salz der Erde – Was ist Jüngerschaft? (Mt 5,13-16) | 6.8.1
Das Salz der Erde sollen wir sein? Also weiß, käuflich und in großen Mengen ungenießbar? Nein, das hat Jesus nicht gemeint, als er sagte: »Ihr seid das Salz der Erde.« Was Salz in der Antike bedeutete und welches Verständnis Jesus von Jüngerschaft hatte, erklärt Siegfried Zimmer. Salz war nicht einfach nur ein Gewürz neben Pfeffer, Paprika und Curry. Salz war heiß begehrt wie Gold. Salz konserviert und stoppt den Verwesungsprozess. Salz reinigt. Salz funktioniert nur in einer gewissen Menge, ein einzelnes Salzkorn ist wirkungslos. Und Salz ist das einzige Gewürz, das für unseren Körper überlebensnotwendig ist. So hoch denkt Jesus von Jüngerschaft. Damit verleiht er dem Leben und Wirken seiner Nachfolger eine universale Bedeutung. Deshalb schließt Siegfried Zimmer seinen Vortrag mit einem gewichtigen Satz: »Unterschätzt nicht das, was Gott aus euch noch machen kann.«
Die christliche Gemeinde – der Mann als Gottes Repräsentant, die Frau als schweigende Zuhörerin? | 6.7.2
Darf die Frau in der Gemeinde sprechen? Gar lehren? Mitbestimmen? Über den Mann? Kaum einer würde das noch infrage stellen. Doch dann kommt Lettland und schließt Frauen auf einmal vom Pfarramt aus. Logisch, denken sich wahrscheinlich konservative Christen, in der Bibel steht es doch, dass Frauen in der Gemeinde den Mund halten sollen. Thorsten Dietz wagt es und nimmt tatsächlich erst einmal diese Haltung ein. Er verteidigt die konservative Auslegung der Paulusbriefe: Dass Frauen in der Gemeinde keine Leitungsämter übernehmen dürfen, sei eben eine natürlich Ordnung. Dass Frauen heutzutage als Pfarrerinnen arbeiten dürfen, sei nur auf Druck der nicht-christlichen Gesellschaft hin möglich geworden. Doch dann nimmt Thorsten Dietz die Position ein, die er wirklich vertritt. Er erklärt, was Paulus‘ Gebote in der damaligen Zeit bedeuteten. Er erzählt von frühen Feministinnen. Und erläutert, was die vermeintlich frauenfeindlichen Briefe des Paulus wirklich zu sagen haben.
Der Mann des Weibes Haupt – Gottes Bild eines Ehebundes im 21. Jahrhundert? | 6.8.2
Die Vorstellung, dass die Frau dem Mann zu gehorchen und der Mann das Sagen hat, die kennen wir eher aus einer anderen Zeit oder aus anderen Kulturen. Wir in der aufgeklärten westlichen Gesellschaft sind natürlich alle völlig gleichberechtigt. Wenn man dann doch versehentlich mal die Bibel aufschlägt, die Heilige Schrift des Christentums, auf dem unsere moderne westliche Gesellschaft unter anderem gründet, dann wird es schwierig. Dann steht da im Epheserbrief: „Die Frau sei dem Mann untertan.“ Da lässt sich schnell sagen: Die Bibel passt eben nicht mehr in unsere Zeit. Tatsächlich sind viele Weisungen in der Bibel für die Menschen der Antike geschrieben, erläutert Thorsten Dietz. Dass die Frau dem Mann, der Sklave seinem Herrn und Kinder ihren Eltern gehorchen sollen, hätte damals niemand infrage gestellt. Doch nach diesen ersten Worten formuliert Paulus Ideen , die in der Antike eigentlich unvorstellbar waren. Geradezu revolutionär. Ideen, die uns heute zum Teil selbstverständlich scheinen. Aber bei diesen Anweisungen, die sich nur an Männer richten, sollte mancher Ehegatte auch heutzutage nochmal ganz genau hinhören. Aber Achtung: Das könnte nämlich ungemütlicher werden, als Paulus Worte vom Mann als Haupt der Frau im ersten Moment klingen!
Genderwahn & Gendergaga – Rebellion gegen Gottes gute Schöpfungsordnung? | 6.6.2
Bis vor kurzem noch war es legal, einer Frau in den Schritt zu greifen. Logisch, Frauen durften ja auch Männer ungefragt anfassen. Wenn die Frau dann aber mit einer Ohrfeige reagierte, war das eine strafbare Körperverletzung. Erst seit den sexuellen Übergriffen in Köln ist diese absurde Regelung bekannt geworden. So gesehen müsste man den übergriffigen Männern der Silvesternacht fast dankbar sein. Und allen, die sich mit Genderfragen beschäftigen. Gender? Da bekommen viele – vom Ultrareligiösen über den Erzkonservativen bis zur harten Feministin – gleich Aggressionen, sehen Familie, Sitte und Anstand in Gefahr oder fühlen sich gar ähnlich heftig bedroht wie durch den islamistischen Terrorismus. Dabei behandeln Genderthemen einfach nur die Fragen danach, was für Frauen – und Männer – in der Arbeitswelt, in den Gesetzen oder in der Medizin verbessert werden kann. Der Theologe Thorsten Dietz, Direktor des Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie, erklärt, warum wir, Christen und Nicht-Christen, Genderthemen ernst nehmen sollten, ob Männer wirklich stillen können und wer nun eigentlich besser einparken kann.
Der Sinn der Bergpredigt | 6.6.3
In diesem Vortrag geht es um das Gesamtverständnis der Bergpredigt. Siegfried Zimmer stellt fünf verschiedene Verstehensmodelle der Bergpredigt vor, die in den letzten Jahrhunderten eine bedeutende Rolle gespielt haben. Dabei erstaunt, wie unterschiedlich die Bergpredigt verstanden worden ist. Doch dennoch ist keines dieser Verstehensmodelle ganz falsch, alle enthalten wichtige Wahrheitsmomente und fordern heraus: Wo steht man selbst in Blick auf diese fünf sehr unterschiedlichen Auslegungen?
Im zweiten Teil des Vortrags macht Siegfried Zimmer deutlich, dass auch keines dieser fünf Verstehensmodelle ganz dem entspricht, wie der Autor des Matthäus-Evangeliums die Bergpredigt versteht. Die Worte der Bergpredigt stammen zwar von Jesus, aber Matthäus hat diese Worte zu einer großen Komposition geformt (Mt 5-7), sie mit Rahmenverse eingefasst. Durch diese Rahmenverse drückt Matthäus seine eigene Sicht der Dinge aus und ermöglicht dem Leser eine verblüffende Erkenntnis: Der Gesamtsinn der Bergpredigt wird erkennbar, wenn man die Rahmenverse der Bergpredigt als Schlüssel zu ihrem Verständnis entdeckt.
Luthers Verständnis des Menschen | 7.6.1
Wir alle sind Menschen, also weiß auch jeder, was ein Mensch ist. Richtig? Wenn es mal so einfach wäre. Was man im Mittelalter unter einem Menschen verstanden hat, unterscheidet sich nämlich sehr stark von dem, was Martin Luther über den Menschen lehrte. Inwiefern Martin Luthers Verständnis des Menschen gegenüber dem theologischen Denken seiner Zeit neu war, beschreibt Siegfried Zimmer. Was er zu Beginn seines Vortrags referiert, ist nicht ganz einfach, denn Zimmer erläutert zunächst einige grundlegende Begriffe der mittelalterlichen (scholastischen) Theologie. Doch es lohnt sich, genau zuzuhören und hier nicht die Geduld zu verlieren. Im Grunde geht es bei diesen differenzierten Äußerungen Zimmers um die wichtige Frage: Hat der Mensch einen freien Willen? Die Antwort schockiert. Während die mittelalterliche Theologie diese Frage bejaht, verneint sie Luther im Blick auf die heilsentscheidenden Aspekte der Beziehung des Menschen zu Gott. Luther zufolge kann der Mensch die tiefsten Regungen seines Herzens nicht selbst verändern. Nur Gott kann den Menschen dazu bewegen, ihn zu lieben und ihm zu vertrauen. Ob der Mensch sich für oder gegen Gott entscheidet, liegt nicht einfach in der Hand bzw. in der Verfügung des Menschen. Dennoch ist der Mensch nach Luther keine Marionette Gottes, sondern eine verantwortliche Person.
Gemäß Luther wird unser Leben viel stärker bereichert, wenn wir von Gott bewegt werden, als wenn wir nur um unseren eigenen Willen kreisen. Und schließlich ist Luthers Menschenverständnis vielleicht auch für uns moderne Menschen nicht nur ein (heilsamer!) Schock, sondern auch eine große Erleichterung und der Beginn der reformatorischen Freiheit.
Luthers Verständnis des Glaubens | 7.6.2
In manchen christlichen Kreisen werden zwei Aspekte immer wieder betont: »Gott beschenkt zwar den Menschen, aber der Mensch muss dieses Geschenk auch annehmen«. Und: »Der Gehorsam ist das Wichtigste. Es kommt darauf an, dass wir Gott gehorchen.« Beide Akzentsetzungen sind problematisch und führen schneller und häufiger als viele denken in gesetzliche Engstirnigkeiten. Das Annehmen eines Geschenks wird in den Vordergrund gestellt, nicht die Überraschung und Freude, die das Geschenk bewirkt. Und die Vorrangstellung des Gehorsams führt bei vielen Christen zu einem dauerhaft schlechten Gewissen und dem deprimierenden Ein-druck: »Ich bin Gott nicht gut genug. Ich könnte noch viel mehr tun, als ich tue.« Martin Luther vermeidet aus viel Erfahrung in seinem reformatorischen Verständnis des Glaubens diese beiden schiefen Akzentsetzungen: Siegfried Zimmer erläutert, dass das Geschenk Gottes selbst bei Martin Luther im Vordergrund steht und bewirkt, wenn es in seiner Größe und Schönheit zum Leuchten kommt die Annahme im Menschen. Der Mensch wird dann freudig und spontan zugreifen. Dieses Zugreifen ist aber keinerlei Verdienst, auf den der Mensch sich etwas einbilden kann. Denn nicht der Gehorsam steht bei Luther im Vordergrund, sondern der Glaube, der in erster Linie ein Vertrauen ist. Je tiefer das Vertrauen zu Gott ist, desto leichter kommt der Gehorsam von ganz allein. Er ist eine Frucht des Vertrauens.
Diese reformatorische Freiheit gewinnt Luther durch die Vorrangstellung des Wortes vor dem Glauben. Das Wort der Zusage hat für ihn eine schöpferische Kraft und diese schöpferische Kraft verhilft dem Menschen zum Glauben. So wird Gott geehrt und nicht der bekehrte Mensch.
Luthers Verständnis der Sakramente | 7.7.1
Im Mittelalter waren die Sakramente die Grundlage des kirchlichen Lebens. Man war der Meinung, die Sakramentshandlung bewirke mehr als bloße Worte. Die Sakramente vermitteln »das Heil«. An die Stelle dieses »solo sacramento« der mittelalterlichen Kirche setzte Luther ein »solo verbo« (allein das Wort). Darin besteht bis heute eine konfessionelle Grunddifferenz zwischen der evangelischen und der katholischen Theologie. Mit »solo verbo« meint Luther nicht etwa die Bibel sondern das mündliche Wort der Zusage beziheungsweise des Evangeliums. Auch die Sakramente sind für Luther eine Gestalt des Wortes. Das Wort gibt den Sakramenten ihre Kraft. Luther denkt dabei an die Zusage »Ich taufe Dich zur Vergebung der Sünden« und »Dies ist mein Leib, für euch gegeben und mein Blut, für euch geflossen.“
Ausgehend von dieser neuen Wesensbestimmung der Sakramente in der Theologie Martin Luthers erläutert Siegfried Zimmer weitere charakteristische Merkmale des reformatorischen Sakramentsverständnisses. Es geht dabei vor allem um das Wesen, den Nutzen, die Bedeutung und den Empfang der Sakramente. Dabei meint Luther mit dem Begriff Sakramente, den er durchaus als problematisch empfand, stets die Taufe und das Abendmahl. Der Vortrag über Luthers Sakramentsverständnis regt dazu an über die eigene Sicht der Sakramente nachzudenken: Wie wichtig sind Taufe und Abendmahl für mein christliches Leben?
Was bedeutet heute eine verantwortbare christliche Erziehung? | 7.1.1
In manchen Kindergärten und Schulklassen glaubt heute über die Hälfte der Kinder an Allah und Mohammed statt an Gott und Jesus. Viele andere Kinder wissen gar nicht, wer dieser Jesus war. Und dann sind da noch die Götter, die den meisten Menschen in westlichen Ländern wichtiger sind als irgendein übernatürlicher Gott: Konsum, Karriere und Selbstverwirklichung. Es ist eine schwierige Zeit für Eltern, die ihre Kinder christlich erziehen wollen. Zumal der Ruf der »christlichen Erziehung« nicht makellos ist. Dabei waren es evangelische Pädagogen, die Bildung für alle Kinder forderten, auch für die Armen. Die Reformation des christlichen Glaubens war nicht zuletzt auch eine Bildungsreform.
Friedrich Schweitzer, Professor für Religionspädagogik und Praktische Theologie in Tübingen, erklärt, was verantwortungsvolle christliche Erziehung überhaupt ist, was christliche Erziehung mit Demokratie zu tun hat und warum religiöse Bildung eine Pflicht aller Eltern ist, auch jener, die an keinen Gott glauben. Und er stellt sich auch der gängigen Kritik gegen christliche Erziehung: Widerspricht sie modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen? Und stört sie in einer multikulturellen Gesellschaft nicht sogar das friedliche Zusammenleben?
Das Recht des Kindes auf Religion | 7.2.1
Die allermeisten Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Es soll glücklich sein, spielen, toben, lachen – und lernen natürlich, Mathe, Englisch, Kunst, Koreanisch, Astronomie. Aber bloß nicht: Diese Sache mit Gott. Da halten sich moderne Eltern lieber zurück. Religiöse Erziehung ist in den meisten westlichen Ländern umstritten. Weil immer weniger Menschen einer Religionsgemeinschaft angehören. Weil immer weniger Menschen es selbstverständlich finden, dass Kinder religiös erzogen werden. Weil sich immer weniger Menschen einig darüber sind, in welcher Religion ihr Kind überhaupt erzogen werden soll. Und überhaupt: Sind Kinder nicht eigentlich glücklicher ohne religiöse Erziehung? Ist der Glaube nicht längst durch die Naturwissenschaften widerlegt worden? Und ist die religiöse Erziehung nicht schuld daran, dass Menschen sich des Glaubens wegen hassen?
Friedrich Schweitzer widerspricht. Er findet sogar: Kinder haben ein Recht auf Gott. Religiöse Erziehung, das Wissen also, dass es da einen Gott geben könnte, gibt ihnen einen Sinn jenseits von Karriere und Konsum, vermittelt ihnen bestimmte Werte, verleiht Selbstbewusstsein. Und beantwortet existentielle Fragen von Kindern, an denen Eltern ohne Gott oft scheitern.
Mit Kindern über den Tod reden | 7.2.2
Die Frage kommt aus dem Nichts wie ein Autounfall: »Papa, stirbst du auch?« Was antwortet man darauf? »Ja klar, du ja auch.«? Wir reden nicht gern über den Tod. Er existiert in der modernen Welt nicht. Heute geht es um Karriere, Schönheit, Jungsein. Nicht um den Tod. Gestorben wird im Krankenhaus oder Altenheim, über den Tod spricht man höchstens bei Beerdigungen. Was danach kommt, dazu hat jeder eine andere Meinung. Und einen Toten hat sowieso kaum jemand gesehen, der nicht alt genug ist, um alte Eltern zu haben. Wir haben also so gut wie nichts mit dem Tod zu tun. Außer wenn er wie ein Autounfall, ein Attentat oder eine schwere Krankheit über uns hereinbricht. Wie spricht man in solch einer scheinbar unsterblichen Welt mit einem Kind über den Tod, wenn es wissen will: Müssen Papa und Mama auch sterben? Wer kümmert sich dann um mich? Und was kommt nach dem Tod? Siegfried Zimmer erklärt, wie Eltern mit Kindern über Tod und Sterben sprechen können, was die Forschung über das Todesbewusstsein von Kindern weiß und was passiert, wenn man mit Kindern nicht über den Tod redet.
Mit Kindern beten | 7.2.3
Fromme Familien beten vor dem Essen – soweit bekannt. Manchmal sitzen nicht-fromme Freunde betreten am Tisch und lassen das kurze Gespräch mit Gott über sich ergehen. Oder sind froh, dass sie auch ein Gebet beisteuern können: »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.« Was man eben früher so beten musste. Hier würde Siegfried Zimmer wahrscheinlich aufschreien: Ein Gebet aus Pflichtgefühl ist eine Beleidigung für Gott! Und: Gebete sollten nur in Ausnahmefällen gereimt werden! Was es sonst noch über das Beten mit Kindern zu wissen gibt, bringt Zimmer in diesem Vortrag unterhaltsam und treffsicher auf den Punkt: Dass Gebete zutiefst kindliche Bedürfnisse befriedigen, dass Gebete Denken und Sprechen fördern und damit auch für nicht-fromme Kinder wichtig sind. Und dass die beste Unterweisung im Gebet manchmal einfach nur ist, das Schneetreiben vor dem Fenster zu bewundern.
Mit Kindern über Gott reden | 7.3.1
Am Anfang war der Zauber. Kinder leben in einer Welt, in der alles möglich ist. In der ein Hase Eier legt, ein alter Mann in einer Nacht Milliarden Kinder mit Geschenken beliefert und Gott mit seinen Engeln über den Schlaf der Kinder wacht. Dann werden die Kinder älter. Und beginnen, die Eltern, das Leben und den Glauben infrage zu stellen. Als Jugendliche müssen sie zweifeln, das ist quasi ihre Pflicht. Außerdem müssen sie alles anders machen als die Eltern, und vor allem müssen sie cool sein. Eltern, die ihren Kindern einen festen Halt im Glauben mitgeben wollen, dürfen sich daher nicht darauf ausruhen, wenn ihre kleinen Kinder verzaubert den Geschichten aus der Bibel lauschen. Denn bald schon müssen sie sich der größten Herausforderung in der Erziehung stellen: nämlich in kritischen Jugendlichen die Neugier auf Gott wach zu halten. Und zwar am besten mit Worten, die auch Menschen außerhalb der frommen Welt verstehen.
Janusz Korczak | 7.3.2
Zu diesem Vortrag bleibt nicht viel zu sagen, außer: anhören. Handy und Tablet abschalten, tief Luft holen und zuhören. Siegfried Zimmer beweist einmal mehr, dass er Geschichten erzählen kann. Wahre Geschichten mit all ihrer Dramatik und Eindringlichkeit. Obwohl diese Geschichte auch ohne einen großen Erzähler dramatisch und eindringlich genug wäre. Es geht um Janusz Korczak. Er war ein polnischer Jude zur Zeit des dritten Reichs. Aber dass er Jude war, tut fast nichts zur Sache. Korczak war so angesehen und berühmt, dass die Nazis ihn laufen lassen wollten, als der Transport Richtung Treblinka abfuhr. Er hätte leben können. Stattdessen blieb er bei »seinen« Kindern. So fuhren mit Korczak am 5. August 1942 etwa 200 jüdischen Waisenkinder frisch gebadet und festlich gekleidet in die Gaskammern.
Mit Kindern die Bibel entdecken | 7.3.3
Am Anfang ist es ja noch schön einfach: Man erzählt Kindern diese spannenden Geschichten von einem Mann, der hungrige Löwen besänftigte, einem Mann, der von einem Wal verschluckt wurde, oder einem Mann, der Besuch von Engeln bekam. Die Kinder hören neugierig zu und sprechen danach ihr Abendgebet zum lieben Gott. Dann kommt die Pubertät. Und damit die Fragen: Warum lässt Gott Leid zu? Warum erhört er meine Gebete nicht? Warum soll ich an die Schöpfungsgeschichte glauben, glaubt ja sonst auch keiner? »Der Kinderglaube verdunstet«, warnt Religionspädagoge Georg Langenhorst. Die Pubertät zertrümmert den Glauben. Aber das Grundmaterial ist meist noch da. Langenhorst erklärt, wie Eltern und Lehrer mit diesem Material arbeiten können, was Kinder und Jugendliche aus der Bibel lernen und warum auch Kinder und Jugendliche die Bibel kennen sollten, deren Eltern nichts mit Gott anfangen können.
Böse von Jugend auf? Das christliche Menschenbild des Kindes | 7.4.1
Kinder – sie waren schon in der Antike Geschenk Gottes und ein Segen, aber auch Altersvorsorge und billige Arbeitskraft. Und dann kam Jesus, stellte ein Kind vor sich und sagte den Erwachsenen: So sollt ihr werden, denn den Kindern gehört das Reich Gottes. Damit ändert sich allmählich und radikal das Bild, das Menschen einst von ihrem Nachwuchs hatten. Und auch heute, da Kinder nicht mehr Altersvorsorge und billige Arbeitskraft sein müssen, können Eltern noch einiges vom christlichen Menschenbild des Kindes lernen. Der Theologieprofessor Thorsten Dietz gibt Tipps, wie Eltern ihre Kinder ganz neu wahrnehmen. Er erklärt, warum Blicke töten können, jedenfalls dann, wenn man nicht genau hinschaut. Und er stellt etwas fest, das unheimlich entlastend sein kann: Nämlich, wem Kinder »gehören« und worauf es wirklich ankommt bei der Kindererziehung.
Die moralische Entwicklung bei Kindern | 7.4.2
Wie werden aus Kindern Menschen, die selbstständig sind und sich gleichzeitig in eine Gemeinschaft integrieren können? Und wann ist diese Entwicklung abgeschlossen?
Mit diesem Vortrag zur moralischen Entwicklung bei Kindern betritt Siegfried Zimmer ausnahmsweise das Gebiet der Entwicklungspsychologie. Denn für die heutige Religionspädagogik ist die Entwicklungspsychologie eine wichtige Nachbardisziplin. Dabei geht es Siegfried Zimmer in seinen Ausführungen nicht um die Darstellung des neuesten Standes der entwicklungspsychologischen Diskussion – er ist ja auch Theologe und kein Entwicklungspsychologe. Vielmehr geht es ihm darum anhand der Stufentheorie der Moralentwicklung von Lawrence Kohlberg, einem Professor für moralische Entwicklung der »Harvard University« und Klassiker seines Fachs, zu beschreiben, welche Schritte Menschen auf dem Weg zu einer reifen Persönlichkeit durchlaufen. So wird deutlich, wie lehrreich und spannend die Ergebnisse der Entwicklungspsychologie gerade auch für einen Umgang mit Kinder und Jugendlichen unter christlichem Vorzeichen sind. Und wie wichtig es ist, Kinder – aber auch Erwachsene – entsprechend der Stufe zu behandeln und zu fördern, auf der sie sich befinden.
Wer sein Kind liebt, der züchtigt es? Warum christliche Eltern heute mit gutem Gewissen auf Gewalt in der Erziehung verzichten | 7.4.3
Es ist noch gar nicht so lange her, da sah eine Kindheitsidylle so aus: Bauernhof, Tiere, Geschwister, Freiheit und gelegentlich ein wütender Vater, vor dem sich der kleine Michel in den Schuppen flüchten musste. Oder auch: ein hochherrschaftliches Haus, Spielzeug, Kindermädchen, und die kleine Madita, die in der Schule die Misshandlung ihrer Freundin beobachten musste.
Der Theologe Thorsten Dietz erzählt diese und andere Geschichten und stellt schließlich die Frage: Wenn das alles einmal normal war und selbst in der Bibel steht: »Wer die Rute schont, verdirbt den Knaben«, wie kann man da als bibeltreuer Christ auf Gewalt in der Erziehung verzichten? Eine provokante Frage, denn natürlich ist es heute selbstverständlich, seine Kinder respektvoll und ohne Angst zu erziehen. Umso wichtiger ist es, sich mit den Bibelversen auseinanderzusetzen, die Gewalt gegen Kinder zu propagieren scheinen. Und zu verstehen, was Gewalt durch die Eltern zu biblischen Zeiten mit einer Kindheitsidylle zu tun hatte.
Die Berufung des Mose am brennenden Dornbusch | 7.5.2
Im Katharinenkloster im Süden der Sinai-Halbinsel wächst ein Dornbusch. Neben ihm steht heute sicherheitshalber ein Feuerlöscher. Dieser Dornbusch soll jener sein, der vor einigen tausend Jahren in Flammen stand und aus dem damals Gott zu Mose sprach. Die Geschichte kennt jeder. Sie hätte aber auch so lauten können: Es war einmal ein Mensch (kein besonderer), der ging seinem Beruf nach (keinem besonderen). Dann geschah etwas Besonderes: Gott begegnete diesem Menschen. Denn es geht bei dieser Geschichte nicht allein um das besondere Schicksal eines Propheten, der den längsten Dialog mit Gott in der Bibel führte und von Juden, Christen und Muslimen gleichermaßen verehrt wird. Es geht bei dieser Geschichte auch darum, wie Gott uns begegnet. Siegfried Zimmer erklärt, was es für den modernen Leser bedeuten kann, dass der Dornbusch damals mitten in der Wüste brannte und Mose in diesem Moment ausgerechnet Mädchenarbeit verrichtete. Und Zimmer zeigt einmal mehr, wie spannend es ist, die Hintergründe und Besonderheiten dieser Zeit, die Details und Feinheiten der biblischen Geschichten zu verstehen.
Das israelitische Recht und die Sozialgesetzgebung der Thora | 7.8.1
Die Zehn Gebote haben die meisten im Religionsunterricht auswendig gelernt, auch Nicht-Christen kennen die meisten dieser Regeln: »Du sollst nicht…« Weniger bekannt – und schwerer zu merken – sind die Gebote, an die sich gläubige Juden halten sollen. 613 insgesamt. In der christlichen Geschichte wurde dieses Gesetz der Juden lange verachtet. Völlig zu Unrecht, erklärt Siegfried Zimmer und zeigt, wie einmalig und revolutionär das israelitische Recht im Alten Orient war. Die Gebote in der Torah nahmen dem König seine Allmacht, stellten alle Bewohner – Freie und Sklaven, Arme und Reiche – auf eine Stufe und schränkten Verstümmelungs- und Todesstrafen drastisch ein. Und diese Gesetze zeigen einmal mehr das Wesen Gottes. Denn bei den 613 Geboten geht es viel weniger um Verbote à la »Du sollst nicht…«, sondern viel mehr um den Schutz der Schwächsten im Land. Und um die Liebe Gottes zu seinem Volk.
Was ist Ethik? – Anleitung zu selbstverantworteter Urteilsfähigkeit | 7.8.2
Die frühen und nicht mehr ganz so frühen Christen haben sich die Schädel eingeschlagen über Fragen wie: In welchem Alter darf ein Mensch getauft werden? Oder: Wird beim Abendmahl die Hostie wirklich zum Leib Christi? Bei solchen Problemen kocht heute selten die Stimmung hoch. In unserer modernen Gesellschaft darf jeder glauben, was er will, an Himmel und Hölle, die Wiedergeburt oder gar nichts. Zur Sache geht es dagegen bei anderen Fragen: Ab wann beginnt das Leben und darf man es vor der Geburt beenden? Oder: Darf eine Frau mit einer Frau und ein Mann mit einem Mann…? Bei solchen Fragen wird die Diskussion schnell laut, Gläubige wechseln zu anderen Kirchen und sprechen anderen Christen gar den Glauben ab. Das ist völlig normal. Je unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr sehnen wir uns nach Orientierung im Chaos, nach klaren Antworten und einem deutlichen Richtig und Falsch. Ethische Fragen sind daher auch oft Identitätsfragen, sagt Thorsten Dietz. Deine Antwort auf ethische Fragen zeigt, in welche Ecke der Gesellschaft du gehörst, mit wem du dich abgibst, wen du wählst und sogar, was du konsumierst. Und er erklärt, warum die Bibel die Antwort auf ethische Fragen nicht für sich gepachtet hat, wie man mit dem Dilemma umgeht, wenn jemand etwas Verbotenes tut, das aber erlaubt ist, und wie eine Frau, die von ihrem Ehemann kein Kind bekommen kann, doch noch schwanger wird.
Die israelitische Sozialgesetzgebung – Das israelitische Fremden- und Asylrecht | 7.9.1
Ausländer, Asylsuchende, Einwanderer – der Fremde im eigenen Land hatte es in kaum einer Epoche und Kultur besonders leicht. Und im Moment wird es für Fremde eher noch schwerer, selbst in unserer aufgeklärten Gesellschaft. Eine Ausnahme in der Geschichte sind die Israeliten. Sie waren (und sind) selbst immer wieder Fremde gewesen, ob als Zwangsarbeiter in Ägypten, als Verschleppte in Babylon oder als Flüchtlinge in der Diaspora in den zwei Jahrtausenden seit der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer. Der Name »Hebräer« stammt sogar von der altägyptischen Bezeichnung für »heimatlose und nutzlose Fremde«. Und dann spricht Gott im brennenden Dornbusch zu Mose und gibt damit den Startschuss zum Aufstand gegen die Ägypter, zur Flucht ins Gelobte Land und für die Gründung einer Alternativgesellschaft ohne Regierung, in der das Recht des Fremden in den Geboten festgelegt wird. Und so passiert etwas Außergewöhnliches: Als einziges Volk im Alten Orient haben die Israeliten ein eigenes Recht alle Ausländer geschaffen, das Migranten, Flüchtlinge und Schutzsuchende in ein neues Licht rückt.
Aus der Bibel ethische Maßstäbe gewinnen: Die Bedeutung des kulturellen Wandels | 7.9.2
Wenn das Gesetz Gottes für immer gültig ist, darf man dann seine Tochter in die Sklaverei verkaufen? Im Garten einen Stier opfern? Den Nachbarn steinigen, wenn der am Samstag zur Arbeit geht? Solche Überlegungen klingen natürlich so absurd, dass auch Christen darüber lachen. Oder sich ärgern. Oder beides. Thorsten Dietz klärt auf, wie diese alten Gebote zu verstehen sind, wie Christen die Gebote der Bibel befolgen können und wie Regeln, deren Befolgung einen heute ins Gefängnis bringen würde, noch immer aktuell sein können. Denn für den, der sie richtig versteht, sind die biblischen Texte trotz mancher düsteren Geschichte heute noch ein Licht in der Dunkelheit, ein Halt, wenn alles ins Schwanken gerät, und ein Wegweiser durchs Leben.
Die israelitische Sozialgesetzgebung – Die Neuerungen der Thora im Sklavenrecht | 7.10.1
Es gibt Regeln, die ändern sich nie: Zum Himmel gehören Sonne, Wolken und der Wechsel von Dunkel und Licht. Zu einer Gesellschaft gehören König, Oberschicht, Unterschicht – und Sklaven. Davon jedenfalls müssen unsere Vorfahren überzeugt gewesen sein, denn bis in die Neuzeit hinein bestand die gesellschaftliche Weltordnung aus Freien und Sklaven. Und dann ist da einer, der diese Ordnung spätestens seit dem 6. Jahrhundert vor Christus infrage stellt: Gott. Seinem Volk, den Israeliten, gab er schon vor Jahrtausenden ein Regelwerk, das in der Geschichte einmalig ist und den Rechtlosen Rechte verleiht. Diese Gebote aus dem Alten Testament sollten Sklaven vor Misshandlung und Demütigung bewahren, versklavte Ehepaare vor Trennung schützen und Sklaven sogar nach wenigen Jahren Zwangsarbeit die Freiheit schenken. Es ist eine Lehre aus der Sklaverei in Ägypten: Israel soll ein Zufluchtsort für alle Vertriebenen und Versklavten sein. Ein Ort gegen die Herren dieser Welt.
Ethische Normen in der Bibel und ihre Übertragung auf heutige Herausforderungen – eine Fallstudie zu 1. Korinther 6 | 7.10.2
Es gibt unzählige Christen, die sich für ihren Glauben schämen. Andere sind wütend auf diese antichristliche Stimmung im Land, die den Glauben an Gott belächelt oder gar verspottet. Und sie alle wissen oft nichts zu antworten, wenn wieder jemand sagt: »Was in der Bibel steht, ist mehrere tausend Jahre alt – das kann uns heute doch völlig egal sein. Lass mich bloß mit dem alten Zeug in Ruhe.«
Wie wir auch heute noch von dem lernen können, was in der Bibel steht, erklärt Thorsten Dietz anhand eines Bibeltextes, der auf den ersten Blick kaum auf die Gegenwart übertragen werden kann. Als Paulus nämlich an die Gemeinde in Korinth schrieb, forderte er, dass die sich nicht dem geltenden Recht unterwerfen. Dietz nimmt den Text auseinander, macht deutlich, was Paulus eigentlich sagen wollte, und gibt all jenen Christen damit ein Werkzeug an die Hand, die sich gegen den Vorwurf wehren wollen, die biblischen Texte seien doch längst überholt.
Jesus und seine Schüler | 7.11.1
Als Jesus mit seinen Jüngern durch Galiläa zog, war er nur einer von vielen. Damals zogen unzählige religiöse Lehrer durch die Gegend, gefolgt von einer Schar Schüler, die ihren Lehren hören und irgendwann selbst Rabbinen werden wollten. Wissen viele gar nicht. Jesus war doch einmalig, der Sohn Gottes, kein Rabbi unter vielen – oder?
Einmalig war er, und wie sehr, beschreibt Siegfried Zimmer eindringlich und anschaulich. Jesus berief seine Jünger selber, statt sich von ihnen auswählen zu lassen. Ihr Ziel war es, ihm nachzufolgen, statt bald zum nächsten Rabbi zu wechseln. Jesus sprach vom Reich Gottes, statt von den Geboten. Und der größte Unterschied: Jesus berief auch Frauen! Zwar waren die Verfasser des Neuen Testaments Männer ihrer Zeit, die von Feminismus und Gleichberechtigung noch nie gehört hatten. Trotzdem zählten sie all die Frauen auf, die mit Jesus durch Galiläa zogen, berichteten, dass Jesus Frauen unterrichtete und zum Schluss, als alle Jünger ihn verlassen hatten, Frauen an seinem Grab wachten. Und auch sonst war Jesu Jüngerschar bunt gemischt, Frauen und Männer, Arbeiter und Gebildete, gar Erzfeinde folgten ihm nach. Und damit war er nicht mehr einer von vielen. Sondern einzigartig.
Dietrich Bonhoeffer: Ethische Verantwortung | 7.12.1
Stellen Sie sich vor, Sie lebten in einem Land, in dem Ungerechtigkeit zum Alltag gehört. In dem Menschen willkürlich verhaftet und ermordet werden, in dem Recht gesprochen wird, das eigentlich Unrecht ist. Es könnte auch Sie treffen, aber Sie könnten in ein anderes Land fliehen. Was würden Sie tun? Dietrich Bonhoeffer stellte sich diese Frage kurz vor Kriegsbeginn, da war er gerade in den USA. In Deutschland wurden Menschen willkürlich verhaftet und ermordet, vor Gericht wurde Recht gesprochen, das Unrecht war, und Bonhoeffer hätte im Exil den Krieg und die Diktatur aussitzen können. Wie er sich entschied, ist bekannt. Damit könnten wir das Geschichtsbuch zuschlagen. Doch worüber sich Bonhoeffer im Gefängnis Gedanken machte, betrifft auch uns: Wie sollten sich Christen und andere ethisch und moralische denkende Menschen in solchen Zeiten verhalten? Sollten sie bedingungslos ihrem Gewissen folgen? Wie soll das gehen in einem Land, in dem Falsches plötzlich richtig ist, das Böse gut, ein schlechtes Gewissen plötzlich ein gutes Zeichen ist? Und wie verhalten wir uns eigentlich heute christlich und ethisch verantwortungsvoll? In einer Zeit, in der für jeden Menschen in Deutschland dutzende Sklaven arbeiten – wenn sie auch weit weg leben. Geht das überhaupt, verantwortungsvoll zu leben?
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Dietrich Bonhoeffer: Eine Theologie für eine mündige Welt | 7.12.2
Am 20. Juli 1944 überlebt Adolf Hitler ein Attentat mit leichten Verletzungen. Am selben Abend sprach er wieder aus den Volksempfängern. Er dankte der schützenden Fürsorge Gottes und bezeichnete sein Überleben als Beweis dafür, dass die Vorsehung mit ihm noch viel vor habe. Millionen Christen dankten Gott für diese Rettung. Einige Christen waren an dem Attentat beteiligt und wurden kurz vor Kriegsende dafür hingerichtet. Unter ihnen auch Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis machte er sich Gedanken über das, was da gerade in der Welt – auch in der christlichen Welt – geschieht, und hinterließ einige Aufzeichnungen. Wie nämlich vermittelt man den Glauben an Gott in einer Welt, in der Diktatoren Gott für ihre Rettung danken? Wie vermittelt man diesen Glauben an Menschen, die Religion immer mehr für unwichtig halten? Deren große Fragen an das Leben – Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? – zunehmend von der Wissenschaft beantwortet werden? Wenn Menschen mündig werden und nicht mehr der Kirche hörig sind, können sie dann noch an Gott glauben? Sie können, glaubte Bonhoeffer. Doch dafür müssen Gott, Glaube und Christentum völlig neu gedacht und die biblische Botschaft wieder ernst genommen werden.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Das Geheimnis | 8.1.1
Vor Jahrtausenden bekriegten sich Menschen mit Keulen, Schwertern und Äxten, vor Jahrhunderten und Jahrzehnten dann mit Gewehren, Kanonen, Autobomben. Jedes Mal ging es um die Frage: Welcher Gott ist der mächtigste, der einzig wahre, der richtige? Ob Babylonier und Israeliten, Katholiken und Protestanten, Atheisten, Christen und Muslime – verschiedenste Kulturen und Glaubensrichtungen versuchten, den wahren Gott zu verkünden und Nicht-Gläubige zu Feinden zu erklären oder – heutzutage – zumindest für ein bisschen irre zu halten. Dabei ist ein Gott, den Menschen definieren können, ein Gott, der als Erklärung für das Leben, den Ursprung des Menschen und den Sinn des Lebens herhalten kann, kein Gott. Sondern ein Hilfsmittel zur Welterklärung. Theologe Thorsten Dietz versucht, das Geheimnis um Gott zu lüften, ohne Gott zu definieren. Er beschreibt theologisches Basiswissen, das sich zu wissen lohnt. Und zeigt, dass gerade in der Bibel die stärkste Religionskritik geschrieben steht und was wir davon lernen können.
Die Gottesfrage heute | 8.2.1
Früher war es keine Frage (oder man durfte sie nicht stellen): Gott gab es. Punkt. Kein Zweifel. Und natürlich war nur der christliche Gott der einzig wahre. Was dann geschah, erzählt die Theologin Christiane Tietz. Je mehr der Mensch infrage stellte, ob es wirklich nur diesen einen – ob es überhaupt einen Gott gab, umso mehr entwickelten Theologen und Philosophen Erklärungen dafür, warum Menschen trotzdem an einen Gott glauben wollen. Heute ist das Leben ohne Gott selbstverständlich geworden, an Gott verschwenden viele Menschen gar keinen Gedanken mehr. Er ist eine Option unter unzähligen geworden. Und zwar nicht die bequemste. Heute scheint es leichter zu fallen, an die Kraft der Steine zu glauben als an die Macht Gottes. Tietz erklärt, wie Christen mit den Zweifeln ihrer Mitmenschen umgehen können, was es für sie bedeutet, von anderen Weltanschauungen umgeben zu sein, und warum überzeugte Christen sich davon nicht bedroht fühlen müssen.
Gibt es ein biblisches Weltbild? | 8.2.2
In der Mitte ist die Erde, darüber der Himmel, darunter die Hölle – so sah Jahrhunderte lang das Weltbild in christlichen Ländern aus. Heute wissen wir: Die Erde ist eine Kugel irgendwo in der Unendlichkeit. Es ist das naturwissenschaftliche Weltbild, das frühere Weltbilder überholt hat. Hat es nicht, sagt Theologe Siegfried Zimmer. Und erklärt, warum das Weltbild unserer Vorfahren und naturwissenschaftliche Erklärungen sich nicht ausschließen. Worum es bei dem Weltbild, das in der Bibel berichtet wird, wirklich geht. Und wieso mal wieder alles nicht so ist, wie es scheint. Denn auch wenn wir den Naturwissenschaften viel zu verdanken haben, auch wenn naturwissenschaftliche Erkenntnisse uns das Leben erleichtern und Leben retten. Der Fortschritt zerstört auch – Tierarten, Ökosysteme und unsere Fähigkeit zu Fühlen.
Glaube und Zweifel | 8.2.3
Wer tut es nicht? Zweifeln am Sinn des Lebens, an Gott, am Grund der eigenen Existenz? Wir sind eine Wissensgesellschaft, sind aufgewachsen mit Gedichtanalysen, Textinterpretationen und anderen Formen des Hinterfragens. Nichts ist mehr vorgegeben, der Beruf nicht, die Art der Partnerschaft nicht und auch nicht das, was nach diesem Leben kommen soll. Dass jeder zweifelt und zweifeln darf, ist neu in unserer Kulturgeschichte. In vergangenen Jahrhunderten waren es die großen Denker und Philosophen, die gezweifelt haben. Von ihnen erzählt Theologin Christiane Tietz, nimmt berühmte Gottesbeweise auseinander und erklärt, wie das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das Zweifel an Gott auslösen, überwunden werden kann.
Wo bleibt der Sinn? Zu den Einseitigkeiten naturwissenschaftlicher Weltdeutung | 8.3.1
Setzen Sie sich außerhalb der Großstadt unter einen sternenklaren Himmel. Lassen Sie die Gedanken in die Unendlichkeit strömen, bis Sie sich ganz klein fühlen. Auch wenn es pathetisch klingt und der moderne Mensch für so etwas keine Zeit hat – kaum einer, dem in so einem Moment nicht die großen Fragen des Lebens in den Sinn kommen: Wer bin ich? Was ist mein Platz in dieser Unendlichkeit? Und was ist da draußen sonst noch alles? Jahrtausendelang haben Priester diese Fragen beantwortet, später auch Philosophen, heute hören wir lieber Naturwissenschaftlern zu, Physikern und Biologen, die von Atomen und zahllosen Zufällen erzählen. Theologe Patrick Becker, selbsterklärter Fan der Naturwissenschaft und dankbar für ihre Errungenschaften, zeigt ihre Grenzen auf. Er erklärt, warum es nicht reicht, die Welt durch eine naturwissenschaftliche Brille zu betrachten. Und warum gerade jeder Mensch als Individuum mehr braucht, als Antworten aus der Physik und Biologie auf die großen Fragen des Lebens.
Die erste Schöpfungserzählung (1. Mose 1,1-2,4a) – Teil 1 | 8.3.2
Erst waren Chaos und Leere, dann sprach Gott einige Worte, und keine Woche später war alles da, was wir heute kennen: Sonne, Pflanzen, Tiere. So erzählt es die Bibel in der ersten Schöpfungsgeschichte. Theologe Siegfried Zimmer erklärt, wie sich die erste von der zweiten Schöpfungsgeschichte unterscheidet und warum diese Unterschiede so wichtig sind. Das ist schnell erklärt, aufmerksam hinzuhören lohnt sich danach umso mehr. Dann zerlegt Zimmer die erste Schöpfungsgeschichte in ihre Einzelteile – so unterhaltsam und lehrreich, wie man es von ihm gewohnt ist: Jedes einzelne Wort, die Architektur jedes Satzes, der gesamte Rhythmus der Geschichte trägt seine eigene Bedeutung, die ganze Erzählung ist poetisch, durchdacht und über Generationen mit Geheimnissen angefüllt worden, die selbst Experten nach Jahrzehnten des Studiums manche Offenbarung noch verwehrt.
Die erste Schöpfungserzählung (1. Mose 1,1-2,4a) – Teil 2 | 8.4.2
Es ist eine poetische, tiefgründige Erzählung, kein Faktenbericht: Die Schöpfungsgeschichte soll staunen lassen, faszinieren, Dankbarkeit wecken. Nebenbei erzählt sie unheimlich viel über den Glauben und die Weltsicht unserer Vorfahren. In diesem zweiten Teil seiner Vorträge über die Schöpfungsgeschichte nimmt Theologe Siegfried Zimmer diese grundlegende Erzählung des Alten Testaments Wort für Wort auseinander. Er erklärt Wendungen wie »Wüste und Leere« oder »Er sah, dass es gut war«. Er versetzt die Zuhörer in eine Zeit vor knapp 3000 Jahren, als kein anderes Volk an nur einen Gott glaubte und die Israeliten für das Tun ihres Schöpfers eigens ein neues Wort entwickelten. Zimmer erklärt, was die Worte dieser uralten Überlieferung für die Menschen damals bedeutet haben mögen – und wie sie noch in unserem Leben nachwirken.
Die erste Schöpfungserzählung (1. Mose 1,1-2,4a) – Teil 3 | 8.5.2
Licht und Dunkelheit, Himmel und Erde hatte Gott voneinander getrennt, dann nahm die Schöpfung richtig Fahrt auf. Gott erschafft Wasser und Land, Leuchten am Himmel, Pflanzen, Tiere und Menschen. In 35 Versen handelt die Bibel die sieben Tage der Schöpfungsgeschichte ab. Theologe Siegfried Zimmer nimmt sich drei Vorträge Zeit, die tiefe Bedeutung dieser Erzählung zu analysieren. In diesem dritten Teil zerlegt Zimmer die Erzählungen vom dritten bis zum siebten Schöpfungstag. Es sind uralte Geschichten, nahezu unverändert durch die Jahrtausende überliefert. Es sind keine Faktenbeschreibungen, keine biologischen, anthropologischen, geologischen Ausführungen, sie haben einen viel grundlegenderen Sinn. Was jede einzelne Erzählung mit ihren wohlgewählten Worten für die Menschen vor knapp 3000 Jahren bedeutet hat, erklärt Zimmer. Und fasst die Schöpfungsgeschichte schließlich in sieben grundlegende Erkenntnisse, die sich jeder moderne Mensch ausdrucken und neben den Spiegel hängen sollte.
Das vergessene Jenseits? Zum Wert der christlichen Jenseitsbotschaft in säkularen Zeiten | 8.4.1
Wiedergeburt, Auferstehung, das unendliche Nichts – woran glauben Sie so? Wenn es Auferstehung oder Wiedergeburt sind, denkt in Deutschland immerhin ein Drittel der Bevölkerung wie Sie. Der Rest – also die Mehrheit – ist sich nicht sicher oder glaubt lieber an das Diesseits statt an das, was nach dem Tod kommen mag. Den Sinn ihres Lebens sehen die meisten im Hier und Jetzt. Sie meditieren oder pilgern, um zu sich selbst zu finden statt zu Gott. Sie lassen sich unter einem Baum bestatten oder ihre Asche zu einem Diamanten pressen, um nach dem Tod weiter zu existieren. Sie verwenden Begriffe wie „Sünde“ für das Schokoeis während einer Diät oder „Hölle“ für einen stressigen Arbeitstag. Und sie schauen nach Feierabend Hollywood-Filme über den Weltuntergang, der gerade noch von einem Helden aufgehalten wird. Obwohl in Deutschland in fast jedem Ort eine Kirche steht, ist das Jenseits fast vergessen. Der Theologe Patrick Becker erklärt dagegen, warum es so wichtig ist, trotz aller Diesseitsorientierung über die Botschaft vom Jenseits nachzudenken.
Die Macht | 8.4.3
Kaum etwas ist dem modernen Menschen wichtiger als seine Freiheit. Sicherheit vielleicht, aber darüber streitet man sich ja. Was zur Freiheit überhaupt nicht passt, ist der Gedanke daran, dass jemand Macht über einen hat. Und dann gar Allmacht. Gott, der Liebe ist, wie Theologe Thorsten Dietz in einem anderen Vortrag erklärt, ist auch Macht. Das klingt gefährlicher und bedrohlicher als ein Gott, der Liebe verkörpert. Um zu verstehen, was Gott mit Macht zu tun hat, wagt sich Dietz an die Theodizee-Frage, jener großen Frage, auf die es nie eine wirklich befriedigende Antwort gibt, nämlich: Warum lässt Gott Leid zu? Für eine Antwort bemüht Dietz den russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski und „Die Brüder Karamasow“, Immanuel Kant und einen hypothetischen Agnostiker, der kritische Fragen stellt. Es ist eine lange Antwort, durchzogen von nachdenklichen Geschichten, vielen Denkanstößen und dem Versuch, jenen allmächtigen Gott des Alten Testaments und der blutigen Kirchengeschichte mit Liebe in Einklang zu bringen.
Die Liebe | 8.3.3
„Ich glaube an Gott, den Vater…“ Unzählige Firmlings- und Konfirmandengenerationen haben das Glaubensbekenntnis auswendig gelernt: Vater, Jesus, Jungfrau, Auferstehung, Heiliger Geist und christliche/katholische Kirche. Aber wer ist dieser Gott, an den sie alle angeblich glauben? Was wissen wir eigentlich über ihn? „Gott ist Liebe“, sagt Thorsten Dietz, und das klingt furchtbar abgedroschen, etwas kitschig, lässt unwillkürlich die Augen rollen – klar, Liebe, was heißt das schon in unserer Zeit, wo man ständig irgendetwas liebt, Pommes oder Bali oder den HSV? Was das heißt, erläutert Dietz natürlich auch. Es war einmal ein Satz, der revolutionärer kaum sein konnte, der die frühen Christen von allen ihren Zeitgenossen abgehoben hat, die damals an Zeus und Co. glaubten. Er analysiert, was dieser Satz für uns heute bedeuten kann. Und er erklärt, was diese Liebe mit absoluter Freiheit zu tun hat.
Die Schöpfung | 8.5.1
Durchdringt man Erdschichten und analysiert Baumstämme, dann wird recht schnell klar: Eine Überschwemmung, die die gesamte Erde erfasste und alles Landleben bis auf ein paar Menschen und einige Tierpaare dahinraffte – die hat es nicht gegeben. Trotzdem berichtet nicht nur die Bibel, sondern auch Babylonier, Sumerer oder Mesopotamier von einer gewaltigen Flut und einem Mann, der mit seinem Boot Tiere rettete. All diese Erzählungen sind älter als das Alte Testament. Haben die Verfasser der Bibel also nur abgeschrieben? Und was wollten sie mit dieser Geschichte sagen? Die Unterschiede zwischen der biblischen Sintflutgeschichte und den älteren Überlieferungen erklärt Thorsten Dietz. Und macht daran deutlich, was die Geschichte der Zerstörung der Welt mit unserem heutigen Leben zu tun hat. Denn Paläoanthropologen und Physiker mögen belegen können, dass es keine weltweite Sintflut gab und dass die Erde älter ist als ein paar Tausend Jahre. Was sie nicht können, ist diese eine große Frage beantworten: Warum leben wir eigentlich hier?
ERZÄHLUNG: Händels Auferstehung | 8.4.4
Ein gewaltiger Mann, dessen Diener sich vor seinen Wutausbrüchen fürchtete, geachtet, gefeiert und manchmal tief verschuldet – das war Georg Friedrich Händel, Komponist und Erschaffer eines der größten Oratorien unserer Kulturgeschichte. Und wo geht es da jetzt um Gott und Christentum? Zwischen den Zeilen. Denn Siegfried Zimmer erzählt eine Geschichte, die sich in etwa so zugetragen hat, der man wunderbar zuhören kann, die Mut macht und berührt. Es geht um eine schwere Krankheit und den drohenden Schuldturm, um eisernen Überlebenswillen und verzweifelte Todessehnsucht. Und um den 21. August 1741, als ein schicksalhaftes Paket auf Händels Schreibtisch lag. Ein Paket, das ihn aus größter Not wieder auferstehen lässt, dessen Inhalt ihn befreit, genesen lässt und gleichzeitig in einen Wahn zu stürzen scheint, aus dem er erst Tage später wieder aufwacht – mit einem Meisterwerk in der Hand.
Wie glaubwürdig ist die Botschaft von der Auferweckung Jesu? | 8.7.1
Es ist eine ungeheuerliche Behauptung: Ein Mann wird öffentlich hingerichtet, jeder hat es gesehen – und der soll dann wieder aufgestanden sein und herumlaufen, fast ohne Folgeschäden außer ein paar Fleischwunden? An der Auferstehung Jesu zweifeln sogar viele, die sonst an die Existenz des historischen Jesus glauben. Und tatsächlich wird kaum jemand die letzten Kapitel der Evangelien lesen können, ohne dass Fragen offen bleiben. Siegfried Zimmer wagt sich trotzdem an eine der größten: Wie glaubwürdig ist es, was die Jünger damals erzählten? Glaubten die denn selber daran oder war die Erzählung von der Auferstehung nur ein Versuch, mit Trauer und Frust umzugehen? Wurden bei der Auferstehung tatsächlich Naturgesetze außer Kraft gesetzt, war Jesus so etwas wie ein Zombie? Zimmer prüft die Glaubwürdigkeit der Botschaft, die Jesu Jünger verbreiteten. Und diese Glaubwürdigkeit hat unter anderem mit Frauen als Zeugen zu tun, mit einer besonders dreckigen Art zu sterben und mit Widersprüchen in den Evangelien.
Die Bedeutung der Auferweckung Jesu für den christlichen Glauben | 8.7.2
Jesus war ein guter Mensch, ein großes Vorbild, hat Außenseiter der Gesellschaft anständig behandelt, Frieden und Vergebung gepredigt – reicht das nicht? Müssen wir wirklich noch daran glauben, dass Jesus gestorben ist, drei Tage tot war, dann wieder aufstand und mit seinen Jüngern sprach, aß und herumlief? Die Antwort ist simpel: Ja. Was die Bedeutung der Auferweckung Jesu alles mit sich bringt, ist weniger simpel. Siegfried Zimmer erklärt, warum der christliche Glaube ohne die Auferweckung unmöglich ist. Warum die Auferstehung Jesu mehr sein muss, als eine erstaunliche Geschichte, wenn der Rest seines Lebens irgendeine Bedeutung haben soll. Und wie diese Auferweckung jedem Einzelnen Hoffnung geben kann – auch schon vor unserem Tod, im Hier und Jetzt.
Gibt es einen strafenden Gott? | 8.6.1
Gott sieht alles, weiß alles, und wenn sich jemand danebenbenimmt, kommt der alte Mann mit dem weißen Bart und bestraft den bösen Sünder. So stellen sich immer noch viele (Nicht-)Christen das Verhältnis zwischen Gott und Menschen vor. Dabei gibt es in der hebräischen Bibel nicht einmal ein Wort für »Strafe«. Denn Gottes Job ist es nicht, den Menschen durch drastische Strafen zu einem besseren Wesen zu erziehen. Warum glauben dann so viele an einen strafenden Gott? Siegfried Zimmer klärt auf, wie sich das Verständnis von Sünde und Konsequenz im Laufe der Geschichte des Juden- und Christentums verschoben hat. Er erklärt, was wirklich die Folge von Sünde ist. Und warum nicht einmal das Weltgericht am Ende aller Zeiten etwas mit Strafe zu tun hat.
Galiläa, der Lebensraum Jesu (Teil 1) | 8.6.2
In zwei Tagesreisen ließ sich die Region durchqueren, sie war damals kleiner als das heutige Saarland. Und doch ist Galiläa die Wiege des christlichen Glaubens, der Ursprung des Christentums – die Heimat Jesu eben. Abgesehen von wenigen Ausflügen nach Jerusalem war Jesus in Galiläa, an den Ufern des Sees Genezareth aktiv. Um das neue Testament zu verstehen, lohnt es sich also, sich ein wenig in der Region auszukennen, die heute an vielen Orten noch so aussieht wie damals. Siegfried Zimmer erklärt, was diesen winzigen Landstrich, der Asien, Europa und Afrika miteinander verbindet, so besonders macht. Er erzählt von dem einzigartigen galiläischen Meer, das so reich an Leben und so tödlich ist. Er spricht vom Galiläa zu Jesu Zeiten, als eine Art antiker Feminismus in der Gesellschaft Einzug hielt, Attentäter ihre Feinde in der Menge meuchelten und größenwahnsinnige Herrscher sich selber Denkmäler setzten.
Galiläa, der Lebensraum Jesu (Teil 2) | 8.6.3
Am schönsten ist es natürlich, selber hinzureisen, an die Ufer dieses Sees, das in manchen Sprachen ein Meer genannt wird. Hier steht Kapernaum, das Dorf, das Jesus zu seiner Wahlheimat machte und das heute ein Open-Air-Museum ist. Da kann man durch die engen Gassen Nazareths schlendern, das zu Jesu Zeiten ein unbedeutendes Dorf war, und dessen Name auf eine jahrhundertealte Prophezeiung hinweist. Oder mit einem Boot auf den See hinauspaddeln und sich davon überzeugen, dass die Akustik in dieser einen speziellen Bucht so perfekt ist, dass Jesus vom Wasser aus zweifelsfrei zu Menschenmassen sprechen konnte. Wer selber nicht hinreisen kann, hört Siegfried Zimmer zu, wie er von jenen Orten erzählt, die Kulisse für Jesu Wirken waren. Und über die Lebensbedingungen, die Jesu Zeit prägten, über Glaubenskonflikte und Armutsflüchtlinge.
Karl Barth – Die Theologie und das Wort Gottes | 8.8.1
Als die Welt im Chaos versank, stand er mittendrin – und sah doch von außen zu. Gleich zweimal. Der Schweizer Theologe Karl Barth lebte, lernte und lehrte in Deutschland als der Erste Weltkrieg ausbrach und als 1933 deutsche Theologen neben vielen anderen dem nächsten Kriegswahn erlagen. Er schrieb Bestseller, war Mitgründer der Bekennenden Kirche, die sich gegen die Nazis stellte, und entwickelte eine neue Theologie. Wer verstehen will, was die protestantische Kirche in den vergangenen 100 Jahren prägte, kommt an Barth und seinem Bibelverständnis nicht vorbei. Ende 2018 jährte sich sein Todestag zum 50. Mal, viele protestantische Kirchen feiern in diesem Jahr ein Karl-Barth-Jahr. Thorsten Dietz führt durch das Leben des streitbaren Theologen – und spart auch die Stimmen seiner Kritiker nicht aus.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Friedrich Gogarten – Die Theologie und der Zeitgeist | 8.9.1
Wahrscheinlich hat kaum ein Nicht-Theologe von ihm gehört, dabei hat Friedrich Gogarten die Theologie des 20. Jahrhunderts ähnlich stark geprägt wie Karl Barth. Er stellte sich der Frage: Wie stark muss die Theologie in den Zeitgeist ihrer Epoche eingebettet sein? Gogarten selber folgte dem Zeitgeist so sehr, dass es den Zuhörern dieses Vortrags fast schon weh tun muss. Denn wie konnte aus einem suchenden Liberalen, den sein Lehrer mal einen „Erlebnisromantiker“ nannte, ein pro-faschistischer Mitläufer werden? Thorsten Dietz versucht, die vielen Wandel im Leben des Friedrich Gogarten zu erklären und zeigt, wie sehr die theologische Lehre dem Zeitgeist folgen sollte – oder eben nicht.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Die Nachfolge – Wie kann man heute an Jesus Christus glauben? | 9.1.1
»Jesus? Der schon wieder! Hat der nicht genug Aufmerksamkeit bekommen 2000 Jahre lang? Der ist doch langweilig.« So gähnte nicht nur Thorsten Dietz als Schüler. Andere dagegen treibt die Frage nach diesem Jesus ein Leben lang um. Und auch Dietz hat angefangen, sich damit zu beschäftigen, schließlich ist er Professor für Systematische Theologie. Kompliziert und akademisch ist sein Auftaktvortrag zur neuen Worthaus-Reihe trotzdem nicht. Im Gegenteil, wie immer wortgewandt und witzig reißt er seine Zuhörer mit, erklärt diese Frage und die Menschen, die sie stellen. Und dann setzt er sich auch noch eine alte Festival-Brille auf und rückt damit unsere Weltsicht zurecht.
Der aktuelle Stand der historischen Jesusforschung | 9.2.1
Seit Jahrtausenden denken die Menschen über Jesus nach. Und bei diesem Nachdenken entstand immer wieder ein neues Bild von jenem Mann, den Christen als den Sohn Gottes bezeichnen, den viele aber auch schlicht als historische Figur betrachten. Oder sogar als Erfindung, eine Legende oder ein Mythos. Was ist dran an diesem Jesus, von dem die Bibel erzählt? Was weiß die Wissenschaft über den Menschen, der Jesus einst war? Und wofür hielt dieser Jesus sich selbst eigentlich? Die Theologin Christine Jacobi beantwortet diese und viele andere Fragen rund um die Jesusforschung und zitiert dabei immer wieder diesen entscheidenden Satz, den einmal ein Pfarrer zu ihr sagte: »Jesus hat nicht an Jesus geglaubt.«
Das besondere Evangelium – Wie unterscheidet sich das Johannes-Evangelium von den drei anderen Evangelien? | 9.2.2
Wozu gibt es eigentlich vier Evangelien, wenn sie doch alle irgendwie die gleiche Geschichte erzählen? Hätte man das nicht zusammenfassen können?
So einfach ist es natürlich nicht, erklärt Siegfried Zimmer. Im Gegenteil, die Evangelien erzählen zwar alle die Geschichten von Jesu Wirken auf der Erde, seinem Tod und Auferstehung, doch gerade das Johannes-Evangelium unterscheidet sich grundlegend von den drei älteren Erzählungen. Im Johannes-Evangelium hält Jesus lange Reden, spricht zu einem Jünger, den er scheinbar besonders liebt, er wäscht seinen Jüngern die Füße und sagt über sich selbst Unerhörtes – Sätze für die er eigentlich „in die Psychiatrie“ gekommen wäre, wie Zimmer sagt. Worüber Jesus im Johannes-Evangelium – im Gegensatz zu den anderen Evangelien – nicht spricht, sind Nächstenliebe, Feindesliebe und all die Menschen, die besonderen Schutz brauchen, Waisen, Witwen, Prostituierte. Warum das Johannes-Evangelium so anders ist, erklärt Zimmer natürlich auch und rückt damit die Evangelien in ein neues Licht. Und man merkt schnell: Es ist mal wieder wichtig, aus welcher Richtung wir auf die Bibel schauen.
Der Sohn – Wer ist und wer war Jesus Christus | 9.2.3
Ist Jesus wahrer Gott oder wahrer Mensch?
»Gott? Blödsinn!« Sagen manche.
»Gott? Na klar, Dreieinigkeit und so!« Sagen andere.
Und mal wieder ist die Lösung nicht einfach. Im Gegenteil – die Frage, wer Jesus Christus ist und war, ist neben der Theodizee-Frage wahrscheinlich die schwerste der christlichen Lehre. Im Kampf um die Antwort auf diese Fragen haben sich Gläubige gezofft, beleidigt, geschlagen, sogar ermordet. Und sie spaltete die Kirche. Es ist also kein leichter Stoff, mit dem sich Thorsten Dietz hier beschäftigt. Er bewegt sich in seinem Vortrag durch die Kirchengeschichte, spielt die verschiedenen Möglichkeiten durch, über die Kirchenväter und Gelehrte in den vergangenen Jahrhunderten stritten: Ist Jesus nur eine Seite des einen Gottes? Ist er ein zweiter Gott? Eine Art Halbgott wie die zahlreichen Nachkommen des Zeus? Oder war er einfach nur ein Mensch? Oder ein Mensch mit zwei „Naturen“? Dietz erklärt, welcher große Gedankenschritt schließlich eine Lösung brachte. Und erläutert natürlich auch eine Möglichkeit, wie wir heute mit dieser schweren Frage nach Jesus Christus umgehen können.
Das Markus Evangelium | 9.3.1
Seit Jesu Tod sind erst wenige Jahrzehnte vergangen. In Rom lässt Kaiser Nero die ersten Christen verbrennen, kreuzigen, den Löwen vorwerfen. Geschichten machen die Runde über einen Kaiser, der Kranke heilt und dem Wind gebietet. In dieser Zeit wurden auch jene Erzählungen gesammelt, die von einem anderen Krankenheiler und Wundertäter berichten: Das Markus-Evangelium. Die Theologin Heidrun Mader nimmt die Zuhörer mitten hinein in diese Geschichtensammlung. Sie erklärt, was die Berichte von von Jesu Leben, Leiden und Sterben für die Menschen damals bedeuteten, was sie auch uns heute noch sagen und wer das eigentlich war, dieser Markus, der ein ganzes Evangelium geschrieben haben soll.
Dieser Vortrag ist der erste in unserer Reihe VORWORTE. Hier sammeln wir Vorträge, die in ein biblisches Buch einführen. Zuerst also: Das Markus-Evangelium.
PASSION II: Das nächtliche Verhör vor dem Hohen Rat (Markus 14, 53-65) | 9.3.2
Die Römer und Priester sind nervös. Das Pessachfest steht an, Tausende Juden sind nach Jerusalem gereist. Sicher sind auch einige dabei, die den Dolch unterm Mantel tragen, Aufrührer, Rebellen, Zeloten. In diesen brodelnden Kessel aus religiöser Euphorie und politischer Spannung zog Jesus wenige Tage vor seinem Tod. Kurz darauf wird er verhaftet. So weit ist die Geschichte bekannt. Aber was hatte er eigentlich verbrochen? War es nur die Behauptung, er sei der Messias? Warum sollten die Römer deswegen die Todesstrafe verhängen, was interessierte sie ein jüdischer Wanderprediger, der jüdische Priester verärgerte? Oder hatte Jesus schon bei seinen Predigten in Galiläa den entscheidenden Fehler gemacht, der die Römer gegen ihn aufbrachte? Siegfried Zimmer beschäftigt sich hier mit einem der umstrittensten Texte des Neuen Testaments anhand der Frage: Warum genau musste Jesus sterben?
Das Mysteriöse – Von der rationalen Wunderkritik über den postmodernen Wunderglauben zurück zu Jesus | 9.3.3
Ohne Wunder kommen die Geschichten von Jesus nicht aus. Er heilt Kranke, läuft übers Wasser, weckt Tote auf. Wie sollen moderne, aufgeklärte Menschen noch an so etwas glauben? Da gibt es doch bestimmt eine vernünftige Erklärung! Der Schweizer Theologe Peter Wick wagt sich an die Herausforderung, Wunder und Vernunft in Einklang zu bringen. Er ist zwar Akademiker, also einer, der sich rational und logisch mit Themen auseinandersetzt, sogar mit Themen des Glaubens. Er glaubt aber trotzdem an Wunder. Und erklärt auch, warum das kein Widerspruch ist. Wieso wir manchmal unsere festgelegte Meinung über Bord werfen sollten. Und was Wunder auch für Menschen bedeuten, die noch nie eins erlebt haben.
Warum musste Jesus sterben? | 9.4.1
Peter Wick lädt ein zu einem kleinen Experiment: Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich die Frage vor, die über diesem Vortrag steht: Warum musste Jesus sterben? Und nun achten Sie darauf, wo in Ihrem Körper Sie diese Frage fühlen.
Bitte, was?
Das mag ein wenig irre klingen, ist aber einen Versuch wert. Es könnte sein, dass Sie diese Frage langweilt, nervt, verunsichert – oder wütend macht. Es kann aber auch sein, dass Sie nach diesem Vortrag anders über diese Frage fühlen. Es ist eine der entscheidendsten Fragen im christlichen Glauben, und sie wird nirgendwo im heiligen Buch der Christen so richtig erklärt. Wollte Gott ein Menschenopfer, um den Menschen ihre Sünden vergeben zu können? Oder hat Jesu Tod etwas mit Gottes Liebe zu tun? Peter Wick beleuchtet die verschiedenen Erklärungsansätze, die sich in der Bibel finden lassen, erklärt, was das alles mit uns zu tun hat, und erläutert, warum all die verschiedenen Zugänge vielleicht die beste Antwort auf diese eine Frage sind.
PASSION III: Der Prozess vor Pilatus (Markus 15, 1-15) | 9.4.2
Dass Jesus Jude war, dürfte bekannt sein. Dass das Christentum aus dem Judentum hervorgegangen ist, dürften auch alle wissen. Trotzdem hatten die Juden schon wenige Jahrzehnte nach Jesu Tod und Auferstehung bei den Christen einen schlechten Stand. Und der wurde nicht besser. Sogar heute gibt es noch Christen, die den Juden die Schuld an Jesu Tod geben. Siegfried Zimmer räumt mit diesem falschen Glauben auf. Denn wenn irgendein Christ heute sauer sein will auf diejenigen, die Jesu Tod zu verantworten haben, dann müsste er sauer sein auf – die Italiener. Zimmer erklärt, wie es dazu kam, dass die Römer Jesus zum Tode verurteilte, er zählt die historischen Tatsachen hinter der Prozessgeschichte auf, und findet deftige Worte für jene Christen, die den einfachen, populistischen Darstellungen von den bösen Juden noch immer glauben wollen.
Der Prozess – Warum ist Jesus gestorben? | 9.4.3
Vor allem im Süden Deutschlands hängt er in Klassenzimmern und Amtsstuben: Der gemarterte Leichnam, diese ständige Erinnerung an einen Menschen, der zu Tode gefoltert wurde. Muss das sein? Warum war dieser qualvolle Tod überhaupt nötig und warum müssen wir heute noch immer daran erinnert werden? Die Antwort ist nicht leicht. Thorsten Dietz erzählt von Anselm von Canterbury, einem der ersten Theologen, der vor rund 1000 Jahren eine Lösung suchte, um den Kreuzestod zu verstehen. Dietz erzählt, warum die Darstellung der Qual und Verzweiflung Jesu im Mittelalter noch drastischer wurde – und die Menschen darin Trost fanden. Er liefert den Hintergrund, der nötig ist, um die Predigten von Hölle, Strafe und Versöhnung zu verstehen. Denn das zu verstehen, war für frühere Christen unheimlich befreiend. Und vielleicht auch für Gläubige im 21. Jahrhundert.
Der Lebendige – Die Begegnung mit dem Auferstandenen | 9.5.1
Wenn es damals schon Kameras gegeben hätte, hätte Maria dann am Grab ein Selfie mit dem auferstandenen Jesus machen können? Anders gefragt: War die Auferstehung so real wie das Wetter vor der Tür? Und selbst wenn man eine klare Antwort auf diese Fragen findet – was würde diese Antwort für unser Leben bedeuten? Thorsten Dietz nimmt die Argumente auseinander – vom Scheintod bis zum gigantischen Betrug – die Menschen gegen die Auferstehung vorbringen. Er nimmt die Zuhörer mit zu den Emmaus-Jüngern, die stundenlang mit dem Auferstandenen sprachen. Und er zeigt an dieser Geschichte, was es bedeutet, wenn man alles verliert, was bisher wahr war, und das eigene Weltbild neu kalibrieren muss. Und wenn Jesus dann noch die wichtigsten 15 Minuten Ruhm im eigenen Leben platzen lässt. Und zum Schluss kann vielleicht jeder für sich selbst beantworten: Muss ich das mit der Auferstehung jetzt glauben? Oder ist das vielleicht die falsche Frage?
Jesus und die blutende Frau (Mk 5, 25–34) | 9.5.2
Jesus hatte kein Problem mit Frauen. Das kann ruhig mal so betont werden. Er sprach mit ihnen, er lehrte sie, er ließ sich sogar von ihnen berühren. Das war nicht selbstverständlich in einer Zeit und einer Kultur, in der Frauen jeden Monat ein paar Tage lang als unrein galten. Kaum eine Erzählung in der Bibel beschreibt Jesu Beziehung zu Frauen deutlicher als die Geschichte von der blutenden Frau. Zwölf Jahre lang war sie schon unrein, sie durfte nicht in die Synagoge, auf keinem Tier reiten, mit keinem Mann schlafen, konnte daher keine Kinder bekommen. Ein Mensch also, der in der damaligen Zeit als wertlos galt. Und dann hört sie von einem, der ihr helfen kann. Aber wie kann eine Frau, die keinen Platz unter Menschen hat, auf Hilfe hoffen von einem, um den sich Menschenmassen drängen? Siegfried Zimmer erzählt diese Geschichte mit all ihren kulturellen und historischen Einzelheiten, und er zeigt, dass Jesus die Frau zum Schluss nicht nur heilt, sondern ihr noch etwas viel Kostbareres schenkt. Ein Geschenk nicht nur für die Frauen dieser Welt.
Kain und Abel (Gen 4, 1–16) | 10.1.1
Das fing ja bekanntlich nicht gut an mit der Krone der Schöpfung. Die ersten beiden Menschen werden aus dem Paradies geschmissen und dann wird ihr erstes Kind auch noch zum Mörder. Wenn man jetzt noch davon ausgeht, dass die ersten Kapitel der Bibel so gemeint sind, dass sowohl Adam und Eva als auch Kain und Abel für die gesamte damalige Menschheit stehen, bleibt ja nur ein Schluss: Der Mensch an sich ist böse. Oder? Siegfried Zimmer analysiert hier eine der bekanntesten Erzählungen der Bibel, eine urgeschichtliche Erzählung, die mehr über den Menschen und Gott sagt, als man zunächst glaubt. Sie erzählt von der Ungerechtigkeit der Welt, von Gottes Reaktion auf eine furchtbare Tat, warum Gott den Mörder schützt. Und wie letztendlich auch wir Menschen mit unseren Mitmenschen umgehen sollten, die Böses getan haben. Auch mit Mördern.
Jesus aus Nazareth – von Krieg zu Frieden | 10.1.2
Vielleicht war es der Vater, der ständig unterwegs war und selten mal lobte, vielleicht später die Partnerin, die ständig unzufrieden ist, oder der Chef, der noch nie an eine Beförderung gedacht hat. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht genug zu leisten, keine Anerkennung zu finden, kennt fast jeder Mensch. Ähnlich muss es auch Kain gegangen sein, bevor er Abel ermordete. Eugen Drewermann, Theologe und Psychoanalytiker, erklärt, was zu diesem ersten Mord in der Menschheitsgeschichte geführt haben mag. Er weckt Mitleid, nicht für das Opfer Abel, sondern auch für den Mörder Kain. Er erklärt, was Jesu Botschaft all diesen überwältigenden Gefühlen, die zu einem Mord führen können, entgegenzusetzen hat. Eine Botschaft, die heute wohl so aktuell ist wie nie in einer Zeit voller Kriege zwischen Ländern und Menschen, voller Angst und Selbstzweifel, in der sich so viele Menschen benachteiligt und nicht anerkannt fühlen. Wer nach diesem Vortrag nicht mehr Barmherzigkeit empfindet für Mörder, Zuhälter, sonstige Sünder – und sich selbst – klickt einfach noch einmal darauf.
Jesus aus Nazareth – von Krieg zu Frieden | Rückfragen | 10.1.2b
Eigentlich veröffentlicht Worthaus »nur« Vorträge. Manchmal sind die Fragerunden im Anschluss aber genauso interessant. Deswegen ist dieses Hörstück eine Premiere. Zum ersten Mal veröffentlichen wir hier, was nach einem Vortrag passiert. Und das hätte sich Eugen Drewermann nach seinem Vortrag zu »Jesus aus Nazareth – von Krieg zu Frieden« kaum passender hätte wünschen können. Mit Fragen wie »Muss ich nun Angst vor dem Jüngsten Gericht haben?«, »Wie viel freien Willen haben wir denn?« oder »Ist es nicht eine zusätzliche Belastung, wenn Opfer den Tätern vergeben sollen?« tauchen die Zuhörer noch tiefer ins Thema ein. Für seine Antworten holt Drewermann weit aus, von der Opferpraxis der Juden bis zur zweifelhaften Annahme, dass Jesus selbst ein Opfer für die Sünden der Menschen war. Dabei nutzt er die Gelegenheit noch einmal für kritische Worte zu unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das wir viel zu selten infrage stellen. Zur Kirche, die viel zu oft noch unantastbar scheint. Und für den Frieden zwischen Menschen, der viel öfter das Ziel unseres Handelns sein sollte.
Søren Kierkegaard – Angst und Glaube | 10.1.3
Die Reihe über große Theologen geht weiter: Dieses Mal erzählt Thorsten Dietz von einem Theologen, der unser Verständnis davon, was Menschsein bedeutet, wie kaum ein anderer geprägt hat. Søren Kierkegaard beeinflusste das Denken seiner Zeit weit über Christentum und Kirche hinaus und hinterließ ein Werk, das noch heute Theologen, Philosophen und Gelehrte auf der ganzen Welt beschäftigt.
Søren Kierkegaard wurde in einer spannenden Zeit geboren, nach den großen Revolutionen des 18. Jahrhunderts, als sich Gesellschaften neu orientierten und der Glaube an Gott einen neuen Platz zwischen Vernunft und Zweifel finden musste. Doch Kierkegaards Lehre – und Dietz‘ Vortrag – geht weit über Glaubensfragen hinaus. Dietz erklärt, wie wir lernen, uns selbst zu akzeptieren. Wie wir mit der ständigen Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, umgehen können. Und warum Gottvertrauen allein die Angst in unserem Leben nicht auflösen kann.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Geschichte, Gnosis, Gottes Wort: Die Bibel bei den frühen Christen | 9.6.1
Schon mal die Bibel gelesen?
„Was? Nein danke! Was soll ich mit einem Buch, dass seit 2000 Jahren kein Update bekommen hat? Ist doch sowieso nur eine Mischung aus Geschichts- und Märchenbuch!“ – sagen die einen.
„Was? Natürlich! Das ganze Buch ist schließlich eine Liebeserklärung Gottes an die Menschheit und gleichzeitig eine Gebrauchsanleitung für mein Leben!“ – sagen andere.
Beide Einstellungen hält Thorsten Dietz für fatal. Die Bibel ist mehr als eine Aufzählung von historischer Ereignisse. Ihre Geschichten sind aber auch immer eingebettet in eine historische Situation.
Wie kann man nun lernen, die Bibel zu verstehen? Wie kann man erkennen, was absolut ist und was relativ, was in eine historische Situation hineingewoben ist und was noch heute gültig ist? Und was unser Bibelverständnis mit unserer Position im Meer der Menschheitsgeschichte zu tun?
Um das zu verstehen, nimmt Dietz seine Zuhörer in diesem Vortrag mit in eine Zeit, an die man eher selten denkt: Ins zweite Jahrhundert nach Christus. Es ist – abgesehen von Jesu Lebenszeit – sicher die spannendste Epoche der christlichen Geschichte. Eine Zeit, in der diese junge Religion leicht ihr Ende hätte finden können. Wären da nicht nicht unzählige Unbekannte gewesen, die trotz allem am Glauben festhielten. Und ein paar Menschen, deren Namen wir heute noch kennen, die sich schon damals mit solchen Fragen beschäftigten: Was sagt uns die Heilige Schrift? Und wie gehen wir damit am besten um?
Die erste Hermeneutik der Bibelauslegung | 9.7.1
Nach fast drei Jahrhunderten der Verfolgung hat sich das junge Christentum durchgesetzt. Die Zahl der Gläubigen wächst, erste Herrscher nehmen den Glauben an, aber noch immer sind die Christen ein bunt gemischter Haufen, wie es ihn seither nicht mehr gab. Und sie waren noch immer in der Selbstfindungphase. Wer Zeit und Bildung hatte, dachte darüber nach, wie die Heilige Schrift zu deuten ist und was Christen da eigentlich glauben. Einer dieser Denker war Origines, ein Mann, von dem Thorsten Dietz erzählt: Es gibt Menschen, die ihn seit Jahrzehnten erforschen und ihn noch immer nicht vollständig verstehen. Ein komplexer Theologe also. Einer, der schon als Jugendlicher unbedingt den Märtyrertod sterben wollte, der mit 18 Jahren schon andere im Glauben unterrichtet und sich selbst irgendwann kastriert hat. Ein schräger Typ. Gleichzeitig aber auch einer der Vordenker im Christentum, der den noch jungen, aber immerhin schon dreihundert Jahre alten Glauben in das Denken seiner Zeit gehoben und die theologischen Grundlagen für Antworten auf so große Fragen wie die nach der Dreieinigkeit gelegt hat. Man muss sich nicht jahrzehntelang mit Origines beschäftigen. Fürs Erste reichen auch anderthalb Stunden mit Thorsten Dietz.
Das Amos Buch | 9.7.2
Das Buch Amos lässt sich als spannendes Geschichtsbuch lesen. Es erwähnt Kriege und Grausamkeiten, Unrecht und Ausbeutung in einer Zeit, als Israel bereits in ein Nord- und ein Südreich zerfallen war, als aufstrebende Völker die Israeliten bedrohten und eine reiche Oberschicht die Armen und Schwachen ausnahmen. Es erklärt, was der Gott Israels mit anderen Völkern dieser Zeit zu tun hatte und warum Israel so gar nicht um seinen Status als auserwähltes Volk zu beneiden ist.
Das Buch Amos lässt sich aber auch als zeitlose Kritik am Zustand unserer heutigen Gesellschaft lesen. Es erwähnt Ausbeutung und Missbrauch durch die Oberschicht, Betrug an der Unterschicht und zeigt, dass damals wie heute Sozialkritiker mundtot gemacht werden. Es erklärt, was der Gott Israels auch mit jedem von uns im Hier und Jetzt zu tun hat und wie wir auch heute wieder sehenden Auges Richtung Abgrund rennen.
Das Micha-Buch | 9.7.3
Der Prophet Micha findet drastische Worte für den Zustand seiner Gesellschaft, für eine Führungsschicht, »die das Fleisch meines Volkes gefressen hat«. Worte, die schockieren, und Worte, die trösten, wechseln sich ab. Und dann prophezeit Micha etwas, was nicht eintrifft. Trotzdem wird er als Prophet anerkannt, Worte, die ihm zugeschrieben werden, sind bis heute überliefert. Was war das für einer? Wie ist das Buch Micha entstanden? Und was macht es so bedeutend, dass es als einziges Propheten-Buch an anderer Stelle in der Bibel mit Quellenangabe zitiert wird? Der Theologieprofessor Rainer Kessler erklärt, warum es sich auch heute noch lohnt, Micha zu lesen. Sogar für Menschen, die sich nicht für jüdische Geschichte oder den christlichen Glauben interessieren.
Jonathan Edwards – Der amerikanische Theologe | 9.8.1
Jonathan Edwards ist der bedeutendste evangelikale Theologe der Kirchengeschichte.
Evangelikal? Wenn Sie dieses Wort hören, werden Sie dann nervös? Genervt? Aggressiv? Kann passieren. Thorsten Dietz erklärt deswegen erst einmal, was »evangelikal« bedeutet, wo der Begriff herkommt und warum er manchmal so einen schlechten Ruf hat. Genauso erklärt Dietz, was Theologie eigentlich bedeutet und was sie tatsächlich mit dem Glauben an Gott zu tun hat.
Über Jonathan Edwards, diesen bedeutenden evangelikalen Theologen, spricht Dietz aber auch noch. Und dann ist auch bald klar, warum er in der Kirchengeschichte so wichtig ist, wie Gefühle und Glaube zusammen passen und was das alles eigentlich mit Star Wars zu tun hat.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Das Markus Evangelium | 9.9.1
Wer es eilig hat, sollte das Markus-Evangelium lesen. In anderthalb Stunden hat man es durch und damit gleich die Texte abgehakt, die die Grundlage für die anderen drei Evangelien bilden. Man darf es also nicht unterschätzen. Es ist zwar das kürzeste, aber auch das umfassendste Werk des Urchristentums, immerhin die erste Sammlung von Erzählungen über Jesus aus Nazareth. »Ein beeindruckendes Werk«, nennt es der Zürcher Theologe Franz Tóth und erzählt, wer dieser Johannes Markus war, der das Evangelium geschrieben haben soll, und warum auch Petrus höchstselbst als Autor gelten könnte. Tóth erläutert, was die Geschichte einer chronisch kranken Frau und eines vom Tod auferweckten Mädchens mit uns zu tun haben. Er erklärt, warum das Markus-Evangelium ursprünglich schon mit den Frauen endet, die voller Panik aus dem leeren Grab fliehen. Und was dieser Cliffhanger für das Leben der Leser bedeutet.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Das Matthäus Evangelium | 9.9.2
Eigentlich fängt das erste Evangelium ziemlich öde an. Mit einer 15 Verse langen Aufzählung der Generationen von Abraham bis Jesus. Lauter Namen verstorbener Männer, manche kennt man, manche nicht. Langweilig? Überhaupt nicht, weiß der Zürcher Theologe Franz Tóth. Männer? Nein, ein paar Frauennamen stehen auch in Jesu Stammbaum, allesamt Heidinnen inmitten jüdischer Stammväter. Jesu Stammbaum? Auch nicht, denn Josef, der direkte Nachkomme Davids, ist doch gar nicht Jesu leiblicher Vater. Man merkt schnell: Kontext ist King. Denn nur wer das Matthäus-Evangelium in Zeit und Raum richtig verorten kann, begreift auch, was allein diese Namensaufzählung – und natürlich alle Kapitel danach – wirklich erzählen. Und dass das Evangelium nämlich gar nicht so antijüdisch ist, wie lange geurteilt wurde. Oder dass mit Jesu Leben, Tod und Auferstehung nicht nur eine neue Zeitrechnung für die Christen begann, sondern auch eine neue Epoche für die Bedeutung der Frau. Franz Tóth erklärt, wer Matthäus war, warum gerade sein Evangelium das Alte Testament braucht und wie auch wir heute noch die Botschaft dieses Evangeliums erfahren können.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Die Offenbarung des Johannes | 9.10.1
Wir schreiben das Jahr 94 oder 95 nach Christus, vor gut 60 Jahren wurde Jesus aus Nazareth gekreuzigt, seine Anhänger haben sich über die ganze bekannte Welt verbreitet. Auf einer Insel in der Ägais sitzt ein alter Mann und schreibt seine Visionen auf. Diese Visionen werden noch zwei Jahrtausende später die Menschheit bewegen. Mehr als jedes andere Buch auch jene, die gar nicht an die Geschichten dieses alten Mannes glauben. Die Offenbarung des Johannes lässt Christen und Nicht-Christen rätseln und fantasieren, lässt sie Malereien, Bücher und Filme über das Ende der Welt erschaffen. Und sie motiviert auch manche zum Studium der Theologie, so wie Franz Tóth, inzwischen Doktor der Theologie in Zürich. Wann kommt sie denn nun, die Apokalypse – oder ist sie in Wahrheit schon geschehen? Wie wörtlich sind die Geschichten zu verstehen, die Jesu Lieblingsjünger zugeschrieben werden? Und war er damals auf der Insel Patmos noch klar bei Sinnen oder schrieb er im Drogenrausch? Tóth offenbart Unbekanntes über das letzte Buch der Bibel, über den Autor und – unverzichtbar für das Verständnis des Neuen Testaments – über die Zeit, in die hinein die Offenbarung geschrieben wurde.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Der Dialog der Religionen in einer bedrohten Welt (1) | 9.11.1
Die Menschheit ist bedroht. Nicht nur durch den Klimawandel oder die Machtspiele zwischen Atommächten. Auch jene, die sich eigentlich Höherem verschrieben haben, die ihren Blick auf das Göttliche und die Ewigkeit richten, drohen die Menschheit zu ersticken. Aus Sicht der westlichen Welt stehen sich vor allem Islam und Christentum feindselig gegenüber, in anderen Teilen der Welt sind es etwa Buddhisten und Muslime oder Judentum und Islam. Dabei sind wir doch alle miteinander verbunden, beeinflussen einander mehr denn je in der Geschichte der Menschheit. Wie wichtig es daher ist, dass Menschen aller Religionen miteinander in Dialog treten, das betont Siegfried Zimmer immer wieder. Er selber hat sich kaum für den Islam interessiert bis er schon über 50 war. Seitdem hat sich einiges geändert. Und nun weiß Zimmer, worauf es zu achten gilt, wenn Menschen verschiedenen Glaubens aufeinander treffen, wie man Vorurteile ausräumt und wie sehr ein Mensch strahlt, wenn er einen Menschen Freund nennen darf, obwohl der einer anderen Religion angehört.
Der Dialog der Religionen in einer bedrohten Welt (2) | 9.12.2
Wenn Menschen im Internet gegen Flüchtlinge schimpfen oder gegen »Überfremdung« auf die Straße gehen, dann stören sie sich nicht an atheistischen Schweden, evangelikalen Amerikanern oder buddhistischen Koreanern. Sie fürchten den Islam. Kaum eine Religion löst in Deutschland und anderen westlichen Ländern solch harte Reaktionen aus: Wut, Hass, Angst. Siegfried Zimmer konzentriert sich in diesem Vortrag auf den Dialog zwischen diesen beiden Kulturen und Religionen, die da oft unversöhnlich gegenüberstehen: Islam und Christentum, westliche und muslimische Welt. Die Grundlage für diesen Dialog sind Gemeinsamkeiten: Christen und Muslime glauben an einen Gott. Da hört es aber oft schon auf mit dem Wissen um Gemeinsamkeiten. Zimmer zählt auf, was Muslime und Christen (und Juden) noch gemeinsam haben, vieles davon ist sogar unter Religionswissenschaftlern noch kaum ergründet. Und dann widmet sich Zimmer zum Schluss noch einer geheimnisvollen Gestalt, die in der Bibel nur am Rande erwähnt wird und ohne die der Islam undenkbar wäre: jenem Sohn, den Abraham verstieß.
Entstehung und Autorität des neutestamentlichen Kanons | 9.11.2
Wer in einem christlichen Land aufgewachsen ist, weiß, was die Bibel ist. Dieses Buch aus Altem und Neuen Testament, das von Gott und Jesus erzählt. Doch wer hat entschieden, was genau von Gott und Jesus darin erzählt wird, welche Texte in der Bibel gesammelt werden? Thorsten Dietz erklärt, wie die Bibel entstand, wer bestimmt hat, welche Bücher dazugehören. Warum manche Schriften von Anfang an ins Neue Testament aufgenommen wurden, kritische Texte oder Schriften von und über Frauen aber an den Rand gedrängt wurden. Und er beschäftigt sich mit einer der wichtigsten Fragen: Hat Gott nun höchstpersönlich die Bibel zusammengestellt oder war es doch nur die Entscheidung der Menschen? Dietz ist von den gängigen Erklärungen für die Entstehung der Bibel nicht überzeugt. Und erklärt, was es stattdessen bedeuten kann, dass die Bibel von Gott »inspiriert« ist – und warum Gläubige trotzdem daran zweifeln dürfen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.
Augustinus und sein Weg zur Bibel | 9.12.1
Rund 400 Jahre sind seit Jesu Auferstehung vergangen, die ersten Christen haben sich über drei Kontinente ausgebreitet, selbst Kaiser glauben inzwischen an den Mann am Kreuz. Das 5. Jahrhundert ist geprägt von ungeheuren Umbrüchen, großen Völkerwanderungen und dem Untergang des Römischen Reichs. Inmitten dieser Tumulte lebte Augustinus von Hippo im heutigen Algerien, Sohn einer Christin und eines Heiden, erst Lebemann, dann Mönch, eine der bedeutendsten Figuren in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums. Dabei hat das Christentum anfangs wenig Eindruck auf ihn gemacht. Er war fasziniert von der Philosophie, fand Cicero schlauer als Petrus. Zumal das Christentum eine entscheidende Frage nicht beantworten konnte: Warum hat Gott die Welt nicht im Griff? Hätte er die Kontrolle, gäbe es doch nicht so viel Böses. Oder? Es ist die Frage, die so alt ist wie der Glaube an einen liebenden Gott. Thorsten Dietz nimmt Augustinus Leben und Lehre auseinander, erklärt, wie aus dem jungen Vater mit unehelichem Sohn ein Gläubiger ohne Zweifel werden konnte und wie er den Glauben an Gott mit dem Wissen um das Böse in Einklang bringt. Dietz bleibt aber nicht unkritisch und verschweigt nicht, welche – nicht immer positiven – Auswirkungen Augustinus‘ Lehre für das Christentum hatte.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.
Das Jeremia Buch (Teil 1) | 10.2.1
Ungezählte und großteils unbekannte Menschen haben an der Bibel mitgeschrieben. Wer genau diese Menschen waren, lässt sich heute kaum noch ergründen. Und dann ist da Jeremia, auf den das längste Buch der Bibel, eines der größten Prophetenbücher zurückgeht. Jeremia erzählt darin selbst, wie Gott ihn beauftragte, ein Buch zu schreiben, dass ein Schreiber öffentlich vortrug und der König schließlich verbrennen ließ. Woraufhin Jeremia alles noch einmal aufschreiben ließ. Sogar Zeit und Epoche sind im Jeremia-Buch genau beschrieben. Damit dürfte alles klar sein – Job erledigt für die Jeremia-Forschung? Aber warum fehlen in der griechischen Übersetzung Textabschnitte, Worte und Namen aus den Originaltexten? Warum hat es eine strahlende Heilsverheißung gar nicht erst in die griechische Übersetzung geschafft? Und wer war dieser Jeremia, der zu Gott sagt, er solle sich doch einen kompetenteren Verkünder suchen? Der römisch-katholische Theologe Hermann-Josef Stipp lässt diesen jungen Propheten zu Wort kommen und eine Zeit voller Verzweiflung aufleben, in der die Juden den ersten Genozid ihrer Geschichte erlebten.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Das Jeremia Buch (Teil 2) | 10.2.2
Die Assyrer hatten sie eingeführt, die Babylonier perfektioniert: jene perfiden Methoden, um ganze Völker zu erobern, zu assimilieren und auszulöschen. Es wurde verfolgt, gemordet und entführt. Im 7. und 6. Jahrhundert vor Christus erlebte Israel durch die Babylonier das größte Trauma vor der Zerstörung des Reichs durch die Römer mehr als ein halbes Jahrtausend später: König und Oberschicht waren verschleppt, die Geräte aus dem Tempel geraubt, der Gott der Juden schien besiegt. Viele Propheten zogen durchs Land, trösteten das Volk mit frohen Botschaften: Die Verbannung werde nicht mehr lange dauern, König und Priester bald wieder zurückkehren. Und dann war da noch Jeremia, der verkündete: So billig kommt ihr nicht davon. Das Exil wird noch ziemlich lange dauern, die Juden sollten sich in Babylon niederlassen. Schließlich kommt es zum Showdown, Jeremia gegen einen anderen jüdischen Propheten. Jeremia verliert. Wie er reagierte und warum es Jeremia trotzdem ins Alte Testament schaffte, erzählt Hermann-Josef Stipp. Und er beschäftigt sich mit einem Dilemma, das heute noch manchen umtreibt: Warum geht es den Menschen, die egoistisch und boshaft handeln, oft besser als jenen, die versuchen, gut und anständig zu leben?
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
The gay question – the Bible, the Christians and the homosexual | 5.1.1/ENG
Full of verve dedicates the german professor of theology Siegfried Zimmer himself to the topic that has probably been, and still is, discussed within Christianity as intensely and controversially during the last years as hardly any other. And you can tell that the topic is not an easy one.
If you look back in history, you can clearly see that gays and lesbians have been exposed to marginalization and persecution as extremely in traditionally Christian societies as in almost all societies, according to the principle “outlawed by society, damned by religion”.
However, this historical review is also a sad example for how Biblical texts have widely been dealt with in a manipulative and biased manner. Siegfried Zimmer demonstrates this in an impressive way with the story of Sodom and Gomorrah. For centuries, in the Christian world this story served to underpin a homophobic view, while its actual content was completely faded out. But Siegfried Zimmer goes still further: All Biblical passages that might deal with homosexual love – and there are surprisingly few of them! – are examined both within their Biblical context and within the social context of their origin.
He finally asks the justified question whether it is an expression of God’s love for his creatures that during the last 1.800 years “his children” have silently stood by and watched the execution and outlawing of lesbians and gays? And if it is not about time to be ashamed of the fact that Christians have sacrificed the core message of Christian faith, the message of the loving God, in favor of their own discomfort towards human beings that are foreign to them?
Basketball legend Charles Barkley got to the heart of it during a debate on homophobia: “Conservatives hide behind the Bible. They just do not like gay people. And they should simply admit this fact.” If you follow the explanations of Siegfried Zimmer, it is hard not to agree with Charles Barkley, since, objectively considered, the rejection of gay and lesbian relationships is untenable from a Biblical perspective. Or to put it bluntly: Discriminating people due to a personal characteristic in the name of the Bible and the Man of Nazareth is not only dishonest, but is even a severe case of abusive behavior.
Der 1. Thessalonicherbrief | 10.3.1
Paulus war mit mindestens zwei Begleitern in die griechische Großstadt Thessaloniki gereist und hatte eine kleine Hausgemeinde gegründet. Dann reisten die Missionare weiter und ließen diese jungen Christen zurück, inmitten einer Welt, die Götterbilder verehrte und den neuen Glauben eher kritisch beäugte. Handwerker, und Kaufleute, Sklaven und Freie, Männer und Frauen beteten da zusammen zum Gott der Juden und glaubten an dessen auferstandenen Sohn. Eine interessante und explosive Mischung. Wie kümmert man sich ohne Videocalls und Social Media aus der Ferne darum, dass die Gemeinschaft nicht gleich wieder zerbricht? Wie hilft man jungen Christen, ihren Glauben zu festigen und den alten Göttern abzuschwören, ohne ihre Nachbarn gegen sich aufzubringen? Stefan Schreiber, katholischer Theologe an der Uni Augsburg, versetzt die heutigen Leser des Thessalonicherbriefs in eine Zeit vor 2000 Jahren. Er erklärt, was Christen – und Missionare – heute von diesen ersten Gemeinden und ihren Gründern lernen können. Und er widmet sich einer Frage, die die Menschen in der Antike auf unterschiedlichste Weise beantwortet haben und von der wir uns heute allzu gerne durch Internet und Social Media ablenken lassen: die Frage nach dem Tod.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Der 2. Thessalonicherbrief | 10.3.2
Es klingt, als sei er die Fortsetzung des ersten Thessalonicherbriefs, als sei der zweite Brief unter den gleichen Bedingungen, von den gleichen Menschen geschrieben worden. Doch die Situation der Gemeinde in Thessaloniki hat sich geändert, die Heiden setzen sie unter Druck, der Messias lässt auf sich warten, neue Missionare sind gekommen, die sich so anders verhalten als Paulus und seine Begleiter. Und dann erhält die Gemeinde einen Brief, den angeblich Paulus geschrieben hat. Aber: Ist Paulus überhaupt noch am Leben? Dass Paulus womöglich gar nicht der Verfasser des zweiten Briefs an die Thessalonicher ist – und warum der Brief trotzdem in die Bibel gehört – erklärt der katholische Theologe Stefan Schreiber. Er lässt jene Zeit, Menschen und Orte wieder aufleben, in die hinein der Brief geschrieben wurde. Und er beschreibt, was der Brief – wer auch immer ihn verfasst hat – für Christen in der Moderne mit all ihren starren Strukturen und überholten Traditionen bedeuten kann.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Die Hiobnovelle (Hiob 1,1–2,10 & 42,10b-17) | 11.5.1
Das Leben ist nicht berechenbar und auch nicht gerecht. Da kann man schon mal wütend werden. Traurig. Gereizt. Sauer. Rasend. Aber das hilft ja nichts. Was man dann vielleicht gut brauchen kann, ist ein Schub innere Stärke, auch wenn man manchmal nicht weiß, wo die noch herkommen soll. Ein Tipp? Vielleicht von einem, der schon Härteres durchgemacht und dafür so treffende Worte gefunden hat, dass sie durch die Jahrtausende hallen. Die Texte, die seine Geschichte erzählen, sind mehr als 2.200 Jahre alt. Sie erzählen von einem Mann, der alles hatte: Mehr Reichtum, als er jemals aufbrauchen könnte. Wohlgeratene Kinder. Einen unerschütterlichen Glauben. Und mit einem Schlag wird ihm alles genommen, Kinder und Reichtum jedenfalls. Nur den Glauben verliert er nicht.
Das ist die Kurzform einer der bekanntesten Geschichten im Alten Testament. Die meisten kennen die Geschichte von Hiob irgendwie – aber sicher nicht so: Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler des Landestheaters Tübingen haben diese Geschichte in verteilten Rollen gelesen. In zwei Teilen veröffentlichen wir sie . Das kurze Stück erzählt die Rahmenhandlung, die jeder kennt. Die Erzählung, die Novelle vom leidgeplagten Hiob, der trotzdem an Gott festhält.
Hinweis: Genutzt wir die Übersetzung »Die gute Nachricht. Dabei wird »Ijob« durch Hiob und die Gottesbezeichnung »HERR« durch Jahwe ersetzt.
Es lesen: Dennis Junge (Erzähler), Stephan Weber (Hiob), Franziska Beyer (Jahwe), Daniel Tille (Satan), Insa Jebens (Knechte), Stefanie Klimkait (Hiobs Frau)
Die Lesung der Hiobnovelle ergänzt unsere 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Hiobdichtung (Hiob 2,11 – 42,9) | 11.5.2
Hiob hat alles verloren – Kinder, Besitz, Gesundheit. In der Geschichte, die die meisten kennen, erträgt er dieses Leid stoisch: »Jahwe hat gegeben und Jahwe hat genommen. Ich will Ihn preisen, was immer er tut.« Ein untadeliger Gläubiger. Umso wichtiger für alle Menschen, die unverschuldet leiden, ist das, was zwischen der Rahmenhandlung, der Hiobnovelle steht. Und das sind immerhin 40 Kapitel! Hier in der Hiobdichtung spricht ein anderer Hiob als in der Hiobnovelle. Hiob klagt hier an. Er hadert mit seinem Gott. Er ist sich seiner Unschuld sicher. Und sieht Gott im Unrecht. Gott, dieses bis dahin unnahbare Wesen, dem sich nur der Hohepriester nähern durfte, den zieht Hiob in sein Leid hinab. Auf einmal ist Gott ganz da. Weiterhin allmächtig und doch auf Augenhöhe.
Die Rede Hiobs – unterbrochen von den Erklärungsversuchen seiner Freunde – wird vorgetragen von Schauspielerinnen und Schauspielern des Landestheaters Tübingen. Es ist eine im Internet bisher einzigartige Darbietung. Sie zu hören dauert mehr als anderthalb Stunden. Doch gerade in der eigenen Not kann man sie wieder und wieder anhören. Denn was Hiob da ausspricht, sind die Gedanken, die im großen Leid auch an unserer Seele nagen. Da unterscheiden wir uns heute offenbar nicht von unseren Vorfahren. Dieses »Hörbuch« kann dem Leidenden Worte verleihen, die im Leid oft fehlen. Dieser biblische Text gibt auch uns die Erlaubnis, Gott anzuklagen und Erklärungen zu fordern. Und er tröstet – und sei es nur durch das Wissen, dass wir in aller Verzweiflung nie allein sein werden.
Hinweis: Zur besseren Verständlichkeit der Hiobdichtung wird auf das Zwischenstück Hiob 28 (das Lied von der Weisheit) und Hiob 32-37 (die Elihu-Reden) verzichtet. Der »gestörte« dritte Redegang (Hiob 22-27) wurde wie folgt angespasst: Hiob 22 (Elifas), Hiob 23 – 24,12 (Hiobs Antwort), Hiob 24,13-24,25 & 25 (Bildad), Hiob 26,1-4 & 27,1-6 (Hiobs Antwort), Hiob 27,7-10 & 27,13-23 (Zofar). Genutzt wir die Übersetzung »Die gute Nachricht. Dabei wird »Ijob« durch Hiob und die Gottesbezeichnung »HERR« durch Jahwe ersetzt.
Es lesen: Dennis Junge (Erzähler), Stephan Weber (Hiob), Franziska Beyer (Jahwe), Daniel Tille (Zofar von Naama), Insa Jebens (Elifas von Teman), Stefanie Klimkait (Bildad von Schuach)
Die Lesung der Hiobdichtung ergänzt unsere 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Interpretation der Hiobnovelle (Hiob 1,1-2,10) – Hiob Vorlesung Teil 1) | 10.8.1
Das Buch Hiob ist so ein wichtiges und umfangreiches biblisches Buch, dass Prof. Dr. Siegfried Zimmer ihm zehn Vorträge widmet. In diesem ersten Vortrag der Hiob-Reihe legt er die Grundlage, um die Geschichte überhaupt zu verstehen: Hiob war ein Allerweltsname. Es könnte um jeden von uns gehen. Und noch wichtiger: Hiob aus dem Lande Uz war kein Israelit. Und trotzdem ein Gottesfürchtiger, der Gott der Israeliten war also schon immer ein Gott aller Menschen. Zimmer beschreibt die Lebenswelt Hiobs, die Weltsicht und Gewohnheiten seiner Mitmenschen. So wird deutlich, was man beim oberflächlichen Lesen schnell übersieht: Hiob war ein liebevoller Vater, seine Kinder standen sich außergewöhnlich nahe. Und Hiobs Frau, die in vielen Textauslegungen nicht gut wegkommt, sorgt sich lediglich um ihn. Sie will ihm irgendwie helfen, obwohl sie ihm einen schnellen Tod wünscht. Zimmer erklärt auch knallhart den Unterschied zwischen Gut und Böse – jedenfalls wie er im Hiob-Buch gemeint ist. Und auch heute noch gelten sollte. Es sind Themen, die uns noch immer beschäftigen, gerade in Krisenzeiten: Wie reagieren wir auf Leid? Können wir auf Gott vertrauen? Und: Warum glaubst du eigentlich an Gott?
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Paul Tillich – Glaube und Zweifel | 10.4.1
»Ich glaube; hilf meinem Unglauben« ist die Jahreslosung für 2020. Sie könnte kaum besser passen in dieses chaotische Jahr, in dem sich Glaube und Zweifel zu einem unentwirrbaren Chaos verknotet haben. Menschen glauben an einen Gott und zweifeln an Ihm, glauben an eine Pandemie und zweifeln an ihrer Existenz, glauben an die Fähigkeit des Staates, die Bevölkerung zu schützen, und zweifeln daran. Und manchmal verzweifeln Menschen auch an der Ungewissheit, was sie denn nun glauben können. In noch deutlich turbulenteren Zeiten hat sich ein Theologe immer wieder Gedanken darum gemacht, wie sich Glaube und Zweifel in Einklang bringen lassen: Paul Tillich wuchs in einem konservativen Pfarrhaus auf, durchlitt den ersten Weltkrieg, floh vor dem zweiten, und musste sich schließlich in den USA neu erfinden, nicht nur die Sprache, sondern auch das Denken seiner neuen Heimat verstehen lernen. Thorsten Dietz erklärt Tillichs Theologie in ihrer rasanten Entwicklung, die so geprägt ist vom Rausch der Ereignisse vor rund 100 Jahren. Bis heute wirkt Tillichs Lehre fort. Und auch wir scheinen wieder am Beginn eines Zeitalters zu stehen, in das wir wehrlos hineinstürzen, in dem wir herumgewirbelt werden und zweifeln müssen. Aber im Glauben Halt finden können.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Die Rolle des Satans in der Hiobnovelle und im frühen Judentum – Hiob Vorlesung Teil 2 | 10.9.1
Es ist die sicherlich einfachste Erklärung auf die große Frage: Wenn Gott uns liebt, warum gibt es dann Leid? – Warum? Na, weil der Satan da noch mitzureden hat. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, er scheint das Dilemma der Frage nach dem Leid schnell zu lösen. Doch so einfach ist es natürlich nicht. Siegfried Zimmer dröselt anhand der Hiob-Geschichte diese große Frage auf. Und dafür muss man wissen, welche Rolle der Satan zur Zeit Hiobs – im frühen Judentum also – spielte. Und wie sich die jüdische Vorstellung vom allmächtigen Gott und der Ursache von Leid in einem einzigen Jahrhundert entscheidend verändert. In dem nämlich, als das jüdischen Volk zum ersten Mal in unvorstellbare Not geriet, als es kurz vor dem Untergang stand. In diesen Jahrzehnten des Exils in Babylon wandelte sich die Vorstellung der Gläubigen von ihrem Gott enorm. Und diese Wandlung hat ganz viel damit zu tun, wie wir heute von Gott denken. Und wie wir mit der Frage nach Ursache und Schuld umgehen, wenn wir selbst einmal unvorstellbar leiden müssen.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Jürgen Moltmann – Glaube und Hoffnung | 10.5.1
Im Frühjahr 1945 sitzt ein junger Mann in einem Gefangenenlager in Belgien. Das »1000-jährige Reich« ist nach zwölf Jahren zusammengebrochen, die Deutschen haben sich vor der Schmach der Niederlage und dem Entsetzen über den Völkermord in ihrer Mitte verkrochen, Städte liegen in Trümmern, Eltern, Kinder, Freunde sind nicht mehr. Der junge Mann kennt Gott noch nicht, als er eine Bibel in die Hand gedrückt bekommt. So beginnt eine klassische Bekehrungsgeschichte. Jürgen Moltmann war verzweifelt und fand Trost im verzweifelten Schrei des Gekreuzigten: »Warum hast du mich verlassen?« Der Kriegsgefangene wird zum Studenten der Theologie. Und die Theologie, wie jede anständige Wissenschaft, sollte sich solch persönliche Geschichten doch eigentlich verkneifen, oder? Nicht unbedingt, weiß Thorsten Dietz. Es ist schließlich ein großer Unterschied auch für die eigene wissenschaftliche Arbeit, ob man mit dem Glauben aufgewachsen ist oder ihn erst später in sein Leben aufnimmt. Moltmann zieht aus seinem Glauben in tiefer Verzweiflung erste Hoffnung darauf, dass aus den Trümmern etwas erwachsen kann. Thorsten Dietz, selbst ohne den christlichen Glauben aufgewachsen, erklärt Moltmanns Verständnis von Glaube und Hoffnung, beschreibt warum der Glaube an die Erlösung uns eigentlich an die Seite all jener stellen müsste, die heute leiden. Und er hilft verstehen, warum die Kreuzigung so viel mehr ist als ein stellvertretender Tod.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.
Der Beitrag der Hiobnovelle zur Theodizee-Frage – Hiob Vorlesung Teil 3 | 10.9.2
In diesem dritten Teil der Hiob-Reihe geht es um die Frage, die Menschen umtreibt, seit sie an einen liebenden Gott glauben und dennoch Hunger, Krieg und Krankheit erleben: Warum lässt ein liebender Gott große Not zu? Und wie kann man überhaupt an einen gütigen und gleichzeitig allmächtigen Gott glauben, angesichts der Not in der Welt? Die Antwort auf diese Frage sagt viel über unseren eigenen Glauben.
Die Hiobnovelle bietet letztendlich keine Erklärung für das Leid. Trotzdem betont Siegfried Zimmer, dass Leid nicht sinnlos ist. Eine einzige Frage, die gleichzeitig eine Antwort ist, ist dafür wichtig: Warum glaubst du an Gott? Welche kühle Berechnung ist Grundlage deines Glaubens? Oder ist er vielleicht wirklich bedingungslos? Erst in größter Not lernen wir – wie Hiob – was der Glaube, was letztendlich Gott uns bedeutet. Und wie Hiob können wir aus der größten Not verändert hervorgehen.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Anfänge der historisch-kritischen Bibelauslegung – Erasmus von Rotterdam | 10.6.1
An jeder Uni hat man schon mal vom Erasmus-Programm gehört, bei dem Stipendien für Auslandssemester in Europa und weltweit vergeben werden. Jackpot für jeden Studierenden, dankbar ist man da der EU. Aber was hat dieser Erasmus damit zu tun? Kurz gesagt, war Erasmus einer der wohl ersten Europäer. In keinem Land Europas so richtig, dafür in sehr vielen ein Stück weit Zuhause. Geboren in den Niederlanden, studiert und gelebt in Paris, England und Italien, Schweiz und Belgien, auch nach Freiburg zog es ihn. Er hatte Brieffreunde auf dem ganzen Kontinent, schrieb mit dem Humanisten Thomas Morus und mit dem König von England. Erasmus war ein Influencer seiner Zeit, wer ihm schrieb – und Antwort bekam – ging in die Geschichte ein. So wie der Disput zwischen ihm und Martin Luther, der schließlich in Buchform ausgetragen wurde. Thorsten Dietz führt in diesem Beitrag der Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung« mit Erasmus von Rotterdam in die Anfänge der historisch-kritischen Bibelauslegung ein. Er erzählt von diesem großen Gelehrten, dem unehelichen Sohn eines Priesters und seiner Haushälterin, einem der ersten Pazifisten – und einem Antisemiten. Er war einer der ersten, der Bibeltexte von unkritischen dogmatischen Zuschreibungen befreite und ihren Hintergrund verstehen wollte. Und der sich schließlich mit einer der entscheidendsten Fragen des Glaubens beschäftigte, die sicher jeden Gläubigen irgendwann einmal umtreibt.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.
Anfänge der historisch-kritischen Bibelauslegung – Martin Luther | 10.7.1
Hier lohnt es sich, zuerst den Vortrag über Erasmus von Rotterdam (siehe 10.6.1) zu hören. Beide Vorträge gehören zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«. Für manche gilt Martin Luther als der Begründer der historisch-kritischen Bibelauslegung, für andere passen Bibelkritik und Luther zusammen wie Feuer und Wasser. Thorsten Dietz klärt über beide Positionen auf und bezieht dann Stellung: Mittendrin. Um zu verstehen, wie Luther zur Bibelkritik stand, zieht Dietz vor allem ein Werk Luthers heran: »Vom unfreien Willen«. Es ist eine Antwort auf ein Buch von Erasmus, Teil einer Auseinandersetzung zweier Gelehrter, die in Europa aufgeregt verfolgt wurde. Erasmus und Luther – unterschiedlicher können Biografien kaum aussehen: Der uneheliche Priestersohn und der Junge aus gutem Hause. Der Mönch, der zum Gelehrten wurde, und der Student, der Mönch wurde. Der eine, der sich alles selbst erarbeitet hat. Der andere, dem die Möglichkeit zum Studium von Zuhause vorgegeben wurde. Und vor allem: Der eine, der sich an den Glauben an einen freien Willen klammert. Und der andere, der Trost aus dem Glauben an den Willen Gottes zieht. Dietz erklärt, warum beide so unterschiedlich denken, was das für uns heute bedeutet und warum Theologie immer noch mehr ist als reine Wissenschaft.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.
Hiobs Ausgangsklage (Hiob 3) – Hiob Vorlesung Teil 4 | 10.10.1
Hiob hat alles verloren, Kinder, Reichtum, Gesundheit. Und hält trotzdem an Gott fest. Das ist die Kurzfassung der Hiob-Geschichte, die die meisten kennen. Ein unerreichbares Vorbild, dieser Hiob. Wer schafft es schon, in völliger Gottverlassenheit weiter völlig hingegeben auf Gott zu vertrauen?
Eben.
Da tröstet jener Teil der Hiob-Geschichte, der allzu oft übersehen wird: Da kommen drei Freunde, die Hiob beistehen wollen und suchen die Ursache seines Leids bei ihm. Und Hiob rastet aus. Er klagt Gott an, stellt die Frage, die alle Menschen in ihrer Not irgendwann stellen: Warum gerade ich? Und die Frage, die Gläubige stellen, wenn sie sich trauen: Warum tust Du mir das an? Er lässt sich nicht beirren von seinen Freunden. Er weiß, dass er unschuldig in Not geraten ist. Und diese sinnlose Not schmettert Hiob Gott zu Füßen, fordert Antwort – und schafft dennoch dieses Glaubensbekenntnis: »Du wirst mich erhören.«
Allen, die sich nicht trauen, in tiefer Verzweiflung ihre Wut und Not zu Gott zu brüllen, gibt dieses Buch die Erlaubnis. Oder, wie Siegfried Zimmer in diesem vierten Vortrag der Hiob-Reihe sagt: »Wir müssen die Klage wieder rehabilitieren.«
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Geschlechterverhältnisse und Sexualität im Neuen Testament | 10.7.2
Wenn die Körpertemperatur einer Frau hoch genug ist, wird das Kind in ihrem Leib ein Junge. Ist sie kühl, wird es ein Mädchen. Mit etwa neun Jahren entwickeln sich Jungen weiter zu einem vollständigen Menschen, dem Mann, kräftig, willensstark und selbst beherrscht. Mädchen bleiben auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehen, beeinflussbar und schwach wie Kinder. Der Mann schläft mit seiner Frau, um Kinder zu zeugen. Für das reine Vergnügen gibt es im Zweifelsfall – je nach Kultur – männliche Diener oder Sklaven. So weit, so normal die hebräische bzw. hellenistisch-römische Vorstellung von Mann und Frau, von Sexualität und Fortpflanzung in der Antike. So ungefähr war dann auch die Vorstellung jener Menschen, die sich zu den ersten christlichen Gemeinden zusammenschlossen. Manche Gemeindemitglieder gingen in Bordelle, über Sexualität bestimmten freie Männer; Frauen und Sklaven hatten wenig zu melden.
Und dann kam Paulus. Mit einer einer gewagten Idee, die all das Denken von dem, was ein Mann und eine Frau zu sein hat, über den Haufen warf. Die Machtgefälle einebnete und den Blick auf die Schwächsten der Gesellschaft richtete. Ein Skandal! Eine Herausforderung! Und vielleicht gar nicht so viel anders als der Denkprozess, mit dem wir noch heute angesichts von Gender-Sternchen und Frauenquote zu tun haben. Michael Tilly, Theologe aus Tübingen, erklärt in diesem Vortrag das Geschlechterverständnis der Antike, das den Hintergrund bildet für viele Texte im Neuen Testament. Und er überträgt einige dieser Texte ins Heute. Denn auch heute lässt sich dort noch einiges lernen.
Warum Hiob sich von seinen Freunden nicht trösten lässt – Hiob Vorlesung Teil 5 | 10.11.1
Hiob gerät unschuldig in größte Not – und schreit Gott seine Verzweiflung entgegen. Knapp 30 Kapitel lang. Seine Klage wechselt sich ab mit den Reden seiner Freunde. Sie suchen die Schuld für sein Leid bei ihm. Und Hiob antwortet immer schärfer. Die Freunde reden mit ihm. Hiob redet mit Gott. Die Freunde geben ihm die Schuld. Und das steigert Hiobs Einsamkeit und Verzweiflung ins Unerträgliche.
Heute würde es kaum ein guter Freund wagen, einem Menschen in Not selbst die Schuld zu geben. Hatte Hiob schlechte Freunde? Siegfried Zimmer erklärt in diesem fünften Vortrag der Hiob-Reihe die Mentalität der Antike. Leiden – so war man damals überzeugt – ist eine Strafe Gottes. Entweder für die Taten der Leidenden selbst oder für die Taten ihrer Vorfahren. Hiob dagegen ist unerhört überzeugt von seiner Unschuld. Was er ausspricht, dürfte in der Antike für Aufruhr und Empörung gesorgt haben. Umso erstaunlicher, betont Zimmer, dass es diese Geschichte in die Bibel geschafft hat. Und noch erstaunlicher ist wohl, wie Gott in dieser Geschichte auf Hiobs Anklage reagiert. Es ist eine bedeutsame Botschaft, die auch wir modernen Menschen uns ganz genau anhören sollten.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Hiobs Verhältnis zu Gott – Hiob Vorlesung Teil 6 | 10.12.1
Stell Dir vor, Du bist fromm. Also so richtig strenggläubig. Du weißt, was richtig und was falsch ist, wie man zu beten hat und was sich Gott gegenüber gehört. Und dann kommt da einer, und hält sich an keine dieser Regeln. Schimpft drauflos und redet mit Gott wie mit einem Freund, der gerade richtig Mist gebaut hat. Und nun? Da musst Du wahrscheinlich Deinen eigenen Ärger runterschlucken – oder rauslassen.
So ging es Gläubigen jahrhundertelang, wenn sie Hiobs Wutrede gegen Gott lasen. Juden wie Christen waren irritiert, verständnislos, sogar wütend. Erst nach dem Elend der Weltkriege, nach Shoa und Porajmos, nach Spanischer Grippe und Weltwirtschaftskrisen entdeckten auch die Frommen und Theologen das Geschenk, dass ihnen die Autoren der Hiob-Dichtung mit Hiobs Klagerede gemacht haben. Siegfried Zimmer untersucht in diesem sechsten Teil der Hiob-Reihe diese Klagerede. Was sagen sie über das Leid in der Welt aus? Über das Wesen Gottes? Und was über Hiob selbst, der irgendwie für alle Leidenden dieser Welt steht?
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Gottes Antwort an Hiob – Hiob Vorlesung Teil 7 | 10.13.1
Da klagt einer Gott an, wirft ihm Ungerechtigkeit vor, stellt sich selbst als unschuldig dar, obwohl doch alles gegen ihn zu sprechen scheint. Und Gott antwortet wortwörtlich. Das ist an sich schon überraschend genug, noch überraschender ist aber die Antwort, die Gott gibt. 37 Kapitel lang ging es vor allem um Hiob, um sein Leid, seine Klage und Verzweiflung. Wer die Geschichte liest oder als Lesungen (siehe 11.5.1 und 11.5.2) hört, hat die meiste Zeit diesen geschundenen, gebrochenen Mann vor Augen, mit seinen Tränen und Geschwüren.
Kaum aber hat Gott in dieser Geschichte das Wort ergriffen, da wird Hiob winzig klein. Und mit ihm wir alle, jeder einzelne Mensch. Gott verweist Hiob auf seinen Platz im Kosmos, auf seinen unfassbar winzigen Platz in der Unendlichkeit. Und wer es bei der Lektüre dieser Antwort Gottes im Hiob-Buch noch nicht begriffen hat, versteht es spätestens, wenn Siegfried Zimmer in diesem siebten Teil der Hiob-Reihe erklärt, was Gottes Antwort bedeutet, warum da von Wildeseln und gebärenden Gemsen die Rede ist oder davon, auf dem Grund des Meeres zu laufen. Letztendlich bleibt Gott Hiob die erhoffte Antwort schuldig. Oder auch nicht, denn im Grunde bekommt Hiob – und bekommen wir – viel mehr als das.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Der Beitrag der Hiobdichtung zur Theodizee-Frage – Hiob Vorlesung Teil 8 | 11.2.1
Um diese Frage dreht sich letztendlich fast jede Diskussion zwischen Gläubigen und Atheisten – auch hier bei Worthaus haben wir schon einige Vorträge zu dem Thema gehört. So entscheidend ist diese Frage für manche Gläubigen (und Atheisten), dass sie so alt zu sein scheint wie der Glaube an Gott selbst. Dabei ist die Theodizee-Frage ein ganz modernes Phänomen. Vermutlich bis ins 17. Jahrhundert hinein wurde die Frage, wie ein gütiger, allmächtiger Gott all das Leid in der Welt zulassen kann, nicht gestellt. Jedenfalls nicht öffentlich, nicht überliefert. Erst die Möglichkeit, nicht an Gott zu glauben, lässt diese Frage überhaupt zu. Der Atheismus ist Voraussetzung für die Theodizee-Frage, und um sie stellen zu können, müssen wir uns den schwersten Formen des Leids stellen. Die Theodizee-Frage gab es also zur Zeit Hiobs noch nicht. Und doch ist die Hiob-Dichtung der wichtigste Beitrag zu diesem Thema, sagt Siegfried Zimmer in diesem achten Teil der Hiob-Reihe. Er beschäftigt sich wieder mit dem rebellischen Hiob, der Gott anzuklagen wagt und der viel zu lange unbeachtet blieb. Er erklärt, warum wir die Hiob-Dichtung nicht überinterpretieren dürfen. Und warum manchmal Verzicht die einzige Antwort auf eine unlösbare Frage ist.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Die Entstehung des Hiobbuches – Hiob Vorlesung Teil 9 | 11.1.1
Dieser neunte Teil der Hiob-Reihe ließe sich auch gut als einer der ersten hören. Siegfried Zimmer erzählt, wie und wann das Buch Hiob überhaupt entstanden ist. Und welchen entscheidenden Wendepunkt er in der Geschichte des Judentums markiert. Denn das Hiob-Buch bricht mit alten Überzeugungen und führt neue ein, die noch heute unseren Glauben prägen. Zimmer erklärt, was es für uns bedeutet, dass dieses eine Buch von zwei Autoren geschrieben wurde. Und warum einer davon fast zweitausend Jahre lang ignoriert wurde. In drei Weltreligionen waren die Schriften jenes zweiten Autors nicht gern gelesen. Es war der fromme, geduldig leidende Hiob, der als Vorbild für die guten Gläubigen galt. Ein unerreichbares Ideal. Der andere Hiob, frech und wortgewaltig, wurde unterdrückt. Umso wichtiger ist er für uns heute. Zeigt er doch, wie sich ein frommer Mensch in größter Not auch verhalten kann. Und dass Gott sich gerade diesem Wutausbruch nicht entgegenstellt – sondern sich in diese Wut hinein dem Leidenden zuwendet.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Der literarische Charakter des Hiobbuchs – Hiob Vorlesung Teil 10 | 10.14.1
Der letzte Teil der Hiob-Vorlesung widmet sich der Frage: Hat das Buch Hiob einen historischen oder einen literarischen Charakter? Bei dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, sie nicht nach eigenen Präferenzen zu beantworten, sondern nach klaren Indizien im Hiob-Text. Diese Indizien prüft Siegfried Zimmer sorgfältig und ordnet sie gewissenhaft ein.
Und er zeigt: Der literarische Charakter des Hiob-Buchs bedeutet keineswegs, dass im Buch Hiob etwas »erfunden« ist. Denn in diesem plumpen Sinn ist im Buch Hiob überhaupt nichts erfunden. Zimmer weist darauf hin, dass der Inhalt des Hiob-Buchs aus dem Heiligen Geist, aus dem Gebet und aus einer weisen und reifen brüderlichen Beratung stammt. Ein literarischer, fiktionaler Text kann mehr historische Wahrheit enthalten, als ein historischer Text. So gehört das Buch Hiob zu den wertvollsten und tiefsten Büchern der Heiligen Schrift. Es kann uns Gott auf ungeahnte Weise näherbringen, gerade dann, wenn wir in Not sind und die alten, gelernten Antworten nicht mehr tragen.
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.
Psalm 1 | 11.4.1
150 Psalmen stehen in der Bibel, Lobgesänge auf Gott, voller Anbetung und Weisheit. 150? Nein, eigentlich nur 148. Denn die ersten beiden Psalmen sind irgendwie anders. Gott wird gar nicht angesprochen. Und doch stehen sie genau an der richtigen Stelle. Sie sind das Eingangstor zum Psalter, sagt Siegfried Zimmer. Und konzentriert sich in diesem Vortrag auf den ersten Psalm, ganze sechs Verse lang. Kurz und knackig fasst er zusammen, worauf es im Leben ankommt. Jeder Mensch ist angesprochen, wer es will, kann sich darin wiederfinden. Um ihn vollständig zu verstehen, zerlegt Zimmer diesen Psalm in seine Einzelteile, seziert ihn Wort für Wort, immer mit so viel Hintergrundinfos zur damaligen Zeit und dem Denken der damaligen Menschen, dass moderne Zuhörer gesättigt mit neuem Verstehen aus diesem Vortrag wieder auftauchen. Was bedeutet das Wort „glücklich“, mit dem alles beginnt? Um wen geht es hier? Halte kurz inne und überlege, wie es im nächsten Vers weitergehen könnte. Zimmer erklärt grundsätzlich, wie unser Verhältnis zur Bibel sein sollte. Was diese Verhältnis mit Lust zu tun hat. Und welch intime Zusage in diesem ersten Versen des Psalters steckt, der – so altmodisch sein Name auch klingt – mitten in die Herzen moderner Menschen sprechen kann. Und das aus der Mitte des sonst oft so blutigen Alten Testaments.
Der Römerbrief – Teil 1 | 10.8.2
56 nach Christus, irgendwo in einer Stube in Korinth, ein Mann diktiert einen Brief, für umgerechnet 2000 Euro Produktionskosten. Was da drin steht, sollte sich also besser lohnen! Und das tut es. Denn der Römerbrief ist nicht nur der aufwendigste und am meisten durchdachte Brief des Paulus, er hat auch durch die Jahrtausende hinweg Kirchenväter von Augustin bis Luther verändert, er ist mitverantwortlich für kirchliche und theologische Revolutionen, in jüngerer Zeit wurde er für philosophische Diskussionen entdeckt. Denker der Zukunft hatte Paulus natürlich nicht im Sinn. Er adressierte in seinem Brief die zerstrittene Gemeinde in Rom, zerrüttet durch Verfolgung von außen und Streit über Fleisch und Wein im Inneren. Elend und Elite trafen in der römischen Gemeinde aufeinander, verschiedenste Milieus, Reiche und Arme, Juden und Nicht-Juden. Die Gemeinde stand unter Hochspannung. In diese Spannung hinein sprach Paulus. Je besser wir die Situation damals verstehen, sagt Benjamin Schließer, umso klarer spricht Paulus auch zu uns. Deswegen erklärt er in diesem Vortrag ausführlich die Lebenswelt der frühen Kirche in Rom – und was Paulus‘ Brief mit uns, unserem Umgang mit den Geschlechtern und mit Homosexualität zu tun hat.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Der Römerbrief – Teil 2 | 10.8.3
Die Provinz Asia wollte dem Kaiser ganz besonders schmeicheln und ließ das Kalenderjahr fortan mit dem Geburtstag des Herrschers beginnen. Schließlich sei er ja der Heilsbringer, ein Gottessohn. Was für eine Provokation müssen die Inschriften und Ausrufe auf den Marktplätzen für Paulus gewesen sei. Für ihn gab es nur einen Heiland, nur einen Gottessohn. Und der stammte aus keiner Kaiserdynastie, sondern aus dem Hause Davids. Und daran galt es wohl auch die Gemeinde in Rom zu erinnern. Hier lässt Paulus sich eine besondere Schmeichelei einfallen: Er lobt ihren Glauben, von dem in der ganzen Welt gesprochen werde. Und noch eine Parallele zwischen Brief und Imperium: In Rom stand im Zentrum der Stadt das Heiligtum der Fides, Göttin der Treue und des Glaubens. Paulus dagegen stellt den Glauben an Gott ins Zentrum seines Briefs. Und er meint damit nicht diese lasche Art zu glauben, wie wir sie heute leben, dieser Glaube, der lediglich „nicht wissen“ bedeutet, betont Benjamin Schließer. Es geht um mehr. Paulus steigert den Begriff noch, es geht ihm um den „Christusglauben“. Seit Jahrzehnten beschäftigt Paulus-Forschende die Frage, was Paulus damit gemeint haben könnte. Schließer erklärt, was es mit diesem wahren Glauben auf sich hat, warum ausgerechnet Abraham in seinem schwächsten Moment das größte Vorbild ist und was es bedeutet, wirklich zu glauben.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Das Johannes Evangelium – Teil 1 | 11.6.1
Philosophen und Dichter waren von ihm fasziniert, Germanistikstudierende sollten es kennen, und Christen finden in ihm vor allem Vertrautheit und Trost. Kaum ein Buch in der Bibel konfrontiert uns derart mit Jesus Christus wie das Evangelium des Johannes. Jörg Frey beschäftigt sich seit 30 Jahren als Wissenschaftler mit diesem, seinem Lieblingsbuch in der Bibel. Dieses Evangelium ist zugänglich für jeden und doch unendlich tief. Diese Tiefe lotet Frey in gleich zwei Vorträgen aus. Wer war dieser Johannes, der das Evangelium geschrieben haben soll? Woher weiß er von so persönlichen Gesprächen zwischen Jesus und der Frau am Brunnen oder Jesus und Pilatus? Und warum lässt er Geschichten aus, die in den anderen Evangelien überliefert sind? Die ernüchternde Antwort vornweg: Das Johannesevangelium ist kein historisches Zeugnis, sagt Frey, sondern Literatur. Was bedeutet das für uns, für Christen und Nicht-Christen? Welche Autorität hat dieser Text dann noch? Frey versöhnt uns damit, dass Johannes hier keine historischen Tatsachen schildert. Er erklärt, warum der Text dennoch wahr ist und ein Weg, um Christus neu und anders kennenzulernen. Und wir lernen, was Bibeltreue wirklich bedeutet: Nämlich nicht schönreden und bedingungslos nicken, sondern auch kritische Fragen stellen. Denn erst die führen zur Erkenntnis.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Das Johannes Evangelium – Teil 2 | 11.6.2
Um das Johannesevangelium zu verstehen, fängt Jörg Frey hier am Ende an: Bei jenem Ereignis, das grausamer kaum sein könnte – Jesu Tod durch die Folter am Kreuz. Der doch das größte Liebesbekenntnis seit Menschengedenken ist. Was sagt dieses Evangelium über Jesus und sein Leben vor seinem schrecklichen Sterben? Was bedeutet es für uns, für unsere Sicht auf die Welt und den Glauben? Es geht in diesem Vortrag um die Theologie des Johannes, darum, was er aussagen will, wenn er wie kein anderer über Jesus als Gott spricht. Eine kühne Botschaft, vor allem für Juden. Denn im jüdischen Verständnis ist klar: Es gibt nur einen Gott. Und dieser Gott hat keine Kinder wie die Götter der Heiden. Aber auch die damaligen Nicht-Juden dürften ihre Schwierigkeiten mit Jesus als Gott gehabt haben. Denn nach allem, was sie wussten, können Götter zwar zahlreiche Kinder haben, aber nicht sterben. Und was machen wir heute aus dieser Geschichte? Wir haben die Menschwerdung Gottes gezähmt, zur Weihnachtgeschichte mit Baby und Engeln verniedlicht. Die Kreuzigung blenden wir aus, zur Auferstehung bemalen wir Hühnereier. Was wirklich hinter den Geschichten im Johannesevangelium steckt, erklärt nun Jörg Frey. Wie sich alles auf das Ostererlebnis ausrichtet, als die Jünger verzweifelten, andere spotteten und über all dem ein zweites Bild liegt, das Verzweiflung und Häme überstrahlt: Herrlichkeit statt Grausamkeit, Erfolg statt Niederlage. Das Johannesevangelium ist „eine Sehschule des Glaubens“, sagt Frey und führt uns so nah wie möglich dahin, zu verstehen, was es bedeutet, dass Jesus Gott ist – und doch Mensch. Und wie wir den Glauben daran in uns geschehen lassen können.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Die ersten vier Sätze des Johannesevangeliums | 11.3.1
Sie gehören zu den berühmtesten Sätzen der Bibel. Sie stecken den Horizont ab für den gesamten christlichen Glauben. Und sie stellen sich im Grunde noch vor den ersten Satz des Alten Testaments, lassen alle die, die bisher mit der Torah vertraut sind, Neuland betreten; eine Herausforderung, für manche Gläubige ein Skandal!
Jedoch kürzer als in diesen vier Sätzen kann man das Fundament der Welt nicht erklären.
Siegfried Zimmer füllt mit diesen ersten Sätzen des Johannesevangeliums einen Vortrag, und hätte sicher noch Stoff für weitere. Zimmer analysiert fast jedes einzelne Wort, und selten war eine grammatische Analyse so spannend. Er erklärt, was dieses »Im Anfang war das Wort…« für uns heute und für unsere Vorfahren damals bedeutet. Und letztendlich spricht er den Zuhörern diesen unglaublich tiefen Trost zu, der in vier kurzen Sätzen liegen kann.
Das Jona Buch | 11.19.1
Die Geschichte gehört in jede Kinderbibel: der widerspenstige, irgendwie etwas trottelige Prophet, der Gott nicht gehorchen will; der Sturm und der Wal, die nie so richtig bedrohlich wirken; und das Happy End, als Jona dann doch tut, was Gott von ihm will, und die bösen Menschen von Ninive schließlich gute Menschen werden.
Und die Moral von der Geschicht’? Das war’s noch nicht.
Die österreichische Theologin Irmtraud Fischer entreißt die Geschichte der Niedlichkeit der Kinderbibeln und macht deutlich, worum es im Buch Jona eigentlich geht: um ein Trauma. Gott schickt Jona nach Ninive, ins Herz des Assyrerreiches. Ausgerechnet die Feinde Israels soll Jona vor Gottes Zorn warnen – und damit retten. Die Assyrer haben das Nordreich der Israeliten zerstört und das Südreich fast dem Erdboden gleich gemacht. Sie haben die Bevölkerung verschleppt und verschreckt. Sie haben wahrscheinlich auch Jona leiden lassen. Kein Wunder, dass er vor Gottes Auftrag flieht.
Jona verhält sich wie ein traumatisierter Mensch im Angesicht seines Peinigers, diagnostiziert Irmtraud Fischer. Sie beschreibt, wie diese Zwangskonfrontation mit dem Erlebten dem traumatisierten Jona hilft, mit dem Schrecken klarzukommen. Sie zieht damit auch die Parallele zum Heute, zu unseren Ängsten und Traumatisierungen. Und sie erklärt, was es mit dem Epilog der Jona-Geschichte auf sich hat, der aus den Kindergeschichten meist herausfällt.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Sexualität und Geschlechterverhältnisse im Alten Testament | 11.18.1
In der Hebräischen Bibel, die das Christentum als Altes Testament in seine Heilige Schrift aufgenommen hat, finden sich an zahlreichen Stellen vielfältige Aussagen über Sexualität. Erotik und Sexualität haben eine große Bedeutung: Von den Schöpfungserzählungen, über rechtliche Regelungen der Geschlechtlichkeit, Liebeslieder – die ein ganzes Buch füllen –, Beschreibungen des Glücks und der Mühen sexueller Beziehungen bis hin zu den unerträglichen Texten über sexuelle Gewalt, welche selbst Gott als Komplizen vorstellen.
Häufig wurde die Bibel und insbesondere das Alte Testament – etwa durch fragwürdige Rezeptionen – jedoch dafür verwendet, um ungleiche Geschlechterverhältnisse, eine restriktive Sexualmoral oder das Verbot von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu rechtfertigen.
Irmtraud Fischer wirft in ihrem Vortrag ein neues Licht auf den Zusammenhang von Geschlechtlichkeit und Religion. Sie erklärt, warum es so wichtig ist, Menschen in dem zentralen Lebensbereich der Geschlechtlichkeit sprachfähig zu machen. Und sie zeigt auf, wie sich in biblischen Texten Impulse für gesellschaftliche Fragen der Geschlechterdemokratie entdecken lassen.
Was wir aus dem Alten Testament über den Heiligen Geist lernen können | 11.7.1
Das Thema »Heiliger Geist« gehört zu den wichtigsten und spannendsten Themen des christlichen Glaubens. »Vater und Sohn«, mit diesen Begriffen kann jeder etwas anfangen. Aber wer oder was – bitteschön – ist ein »Heiliger Geist«? Das Wort »Geist« weckt in uns nicht so vertraute Erinnerungen, Bilder und Gefühle, wie sie sich bei den Worten »Vater und Sohn« – und natürlich auch bei »Mutter und Tochter« – einstellen. Außerdem steht das deutsche Wort »Geist« in ganz bestimmten Zusammenhängen: Wir sprechen von der europäischen »Geistesgeschichte«, von Naturwissenschaften und »Geisteswissenschaften« et cetera. Für uns Deutschsprachige hängt »Geist« sehr eng mit »geistig« zusammen und ist eher etwas Intellektuelles und Theoretisches. Das ist im Hebräischen ganz anders!
Auf der Grundlage der hebräischen Sprache und Begriffe entfaltet Zimmer die alttestamentliche Sicht des Geistes beziehungsweise des Heiligen Geistes. Das führt zu überraschenden Erkenntnissen, die eng mit unserer Lebenserfahrung verbunden sind und der christlichen Erziehung beziehungsweise Verkündigung neue und sehr anregende Perspektiven eröffnen.
Die Todesfuge | 11.8.1
Am 27. Januar 1945, kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs, befreiten russische Truppen das in Polen gelegene Konzentrationslager Auschwitz. Den russischen Soldaten bot sich ein Bild unvorstellbaren Grauens. Der 27. Januar ist zum Gedenktag geworden, nicht nur für die Erinnerung an Auschwitz, sondern für die Erinnerung an die Vernichtung jüdischer Menschen insgesamt. Im Blick auf diesen Gedenktag und seine Bedeutung für eine Kultur der Erinnerung beschäftigt sich Siegfried Zimmer in diesem Vortrag mit dem Gedicht »Todesfuge« von Paul Celan. Paul Celan hat dieses Gedicht im Mai 1945 verfasst.
Das Gedicht »Todesfuge« darf in mehrfacher Hinsicht als einzigartig bezeichnet werden. Das gilt sowohl für Form und Inhalt des Gedichts als auch für dessen Verbreitung. Kein anderes Gedicht deutscher Sprache hat nach 1945 eine solche Verbreitung gefunden. Zimmer nähert sich dem Gedicht schrittweise. Er wendet sich sowohl den grundsätzlichen Aspekten des Gedichts zu – beispielsweise dem Titel »Todesfuge« – als auch dessen eigentümlichen Rhythmus und den vielen sprachlichen Details. Zimmer erläutert die zahlreichen Bilder des Gedichts, die uns zunächst fremd sind. Wenn er dann am Ende seiner Interpretation das Gedicht noch einmal vorträgt, hört man es mit ganz anderen Ohren. Wohl kaum jemand, der Zimmers Interpretation der »Todesfuge« hört, wird dieses Gedicht jemals wieder vergessen können.
Zimmer geht es aber nicht nur um das Gedicht selbst, sondern auch um dessen Autor, den Juden Paul Celan (1920 -1970), sein Leben und sein Schicksal.
Das Gedicht »Todesfuge« stellt jeden von uns vor die Frage, wie wichtig ihm die Erinnerung an die Judenvernichtung (Shoa) ist, wie er mit dieser Erinnerung umgeht und was er aus ihr macht.
Das Neue Testament in seinen Übersetzungen – eine Frage der Interpretation | 11.9.1
Kaum geschrieben, schon übersetzt: Bereits für das zweite Jahrhundert nach Christus sind Übersetzungen des griechischen Textes des Neuen Testaments belegt. Damals wie heute stellen sich beim Übersetzen grundlegende Fragen, die weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der biblischen Erzählungen haben können. Was ist zu bevorzugen: eine wörtliche oder eine sinngemäße Übersetzung? Und was, wenn eine Übersetzung ganz einfach unmöglich ist? Dazu gesellen sich rasch grundsätzliche theologische Fragen: Welchen Stellenwert haben Übersetzungen im Verhältnis zum griechischen Text? Und wie sind die frühen Christen und Christinnen mit der Vielfalt an Texten umgegangen, die sich aus unterschiedlichen Übersetzungen ergeben?
Christina Kreinecker widmet sich in ihrem Vortrag den frühesten Übersetzungen des Neuen Testaments und den Schwierigkeiten, die mit jeder Übersetzung damals wie heute verbunden sind.
Antike Alltagstexte und ihre Relevanz für das Neue Testament | 11.9.2
Antike Alltagstexte auf Papyrus, Tonscherben und Holztäfelchen geben ein buntes Bild vom privaten wie öffentlichen Leben der Menschen zur Zeit des Neuen Testaments. Die in diesen Texten enthaltenen Themen umfassen ein breites Spektrum menschlichen Lebens: Von Sorgen um das Wohlergehen von Familie und Freunden, von Unfällen und Krankheiten, von Streitereien mit Nachbarn und Verwandten, von Geschäftsbeziehungen und vielem mehr ist dort die Rede. Zusammen mit Texten der Administration, Gerichtsakten und Arbeitsverträgen ermöglichen die antiken Alltagstexte weitreichende Rückschlüsse auf das ganz konkrete Leben von Männern und Frauen in den unterschiedlichen sozialen Schichten in biblischer Zeit.
Christina Kreinecker unternimmt mit ihrem Vortrag eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit und zeigt anhand ausgewählter Beispiele, wie wichtig die durch Zufall erhalten gebliebenen Alltagstexte für ein zeitgemäßes Verständnis der beinahe 2000 Jahre alten neutestamentlichen Texte sind.
Gottes Rede an die Götter (Psalm 82) | 11.20.1
Psalm 82 hat es in sich! Er bietet eine Rede Gottes in der Vollversammlung der Götter. In dieser Rede bringt Gott es auf den Punkt, was er für den schlimmsten Schaden hält: die Mächtigen zu begünstigen und die Schutzlosen sich selbst zu überlassen. Dieser Tatbestand ist für Gott das alles entscheidende Kriterium. Wer so handelt, bringt alle Fundamente der Erde zum Wanken. Dieser Psalm macht auch deutlich, dass »richten« etwas sehr Wertvolles und Kostbares ist. Richten bedeutet nämlich »Recht schaffen«, wo Unrecht herrscht. So kommt Siegfried Zimmer in seinem Vortrag zu der Überzeugung, dass das Gericht Gottes deshalb die größte und schönste Hoffnung ist.
Was steht geschrieben? Eine Einführung in die Entstehung und Überlieferung des neudtestamentlichen Textes | 11.10.1
Über Jahrhunderte wurden uns die Schriften des Neuen Testaments als Handschriften weitergegeben. Allein 5700 sind es, die auf Altgriechisch erhalten sind. Schrittweise und fast unmerklich hat sich bei jeder neuen Abschrift der Charakter der Erzählungen und Briefe verändert, erklärt der evangelische Kirchenhistoriker Holger Strutwolf. Jede dieser winzigen Veränderungen sind geprägt von der Theologie, den Ängsten und Einstellungen jener Zeit, in der die Schrift abgeschrieben wurde. Auch Fehler wurden auf diese Weise weitergegeben, haben sich summiert.
Was bedeutet das nun für uns? Für alle Christen, die ihren Glauben und ihr Leben auf dem Neuen Testament gründen? Lässt sich wenigstens herausfinden, wie das Original lautet?
Holger Strutwolf erläutert, wie die neutestamentliche Textkritik versucht, den Urtext zu rekonstruieren, und wie Historiker und Theologen Texte vergleichen, Fehler entdecken und persönliche Einflüsse der längst verstorbenen Schreiber aufdecken. Und er erklärt, wie groß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten eines Textes wirklich sind – und ob Gläubige dem Neuen Testament noch vertrauen können.
Vom Gelegenheitsschreiben zur Heiligen Schrift – Wie das Neue Testament kanonisch wurde | 11.11.1
Der Heilige Geist hat vor langer Zeit Aposteln und Apostelschülern die Schriften des Neuen Testaments in den Kopf gepflanzt, sie haben gehorsam alles aufgeschrieben, und da steht es nun, unverrückbar, für immer. Und wir können es lesen.
Schön, wenn es so einfach wäre!
Jahrhundertelang hat die Kirche darauf bestanden: Das steht da so und gezweifelt wird nicht.
Wie Eltern, deren einzige Begründung ist: »Weil ich es saaage!«
Damit macht man sich angreifbar, wird nicht ernst genommen. Damit wird auch die Autorität der Bibel angreifbar gemacht, sagt der evangelische Kirchenhistoriker Holger Strutwolf. Er beschreibt, wie der Glaube an die sogenannte Verbalinspiration in der Aufklärung ihr größtes Disaster erlebte und wie die Verbreitung der Bibel nach der Erfindung des Buchdrucks diesen Glauben weiter erschütterte. Wie ist die Bibel nun wirklich entstanden, wenn sie nicht vom Himmel gefallen ist? Wie wurde aus Briefen und Handschriften die Heilige Schrift, wie wir sie heute kennen? Woran erkennt man, welche Schriften wann und warum geschrieben wurden? Wann wurden sie »heilig«? Strutwolf führt mit diesem Vortrag weiter durch die Entstehungsgeschichte des Neuen Testaments und klärt auf, was der Kanon den Gläubigen bedeuten kann, obwohl er von Menschen geschaffen wurde.
Der Glaube und der freie Wille des Menschen | 11.17.1
Wovon hängt es ab, ob jemand Christ wird? Ist der Glaube an Gott, Jesus und das Evangelium eine freie Entscheidung?
Unter Freiheit versteht jeder etwas anderes. Ob es nun die Freiheit ist, im Supermarkt keine Maske zu tragen, oder die Freiheit, auf dem Roten Platz gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren – die meisten Menschen sind sich darin einig, dass sie zumindest frei darin sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Mit allen Konsequenzen. Die meisten Menschen sind also überzeugt davon, einen freien Willen zu haben. Von diesem Willen hängt für sie auch ab, ob sie an Gott glauben oder nicht. Und gerade gläubige Christen schmücken sich gern damit, sich völlig frei und bewusst für ihren Glauben entschieden zu haben.
Siegfried Zimmer bezweifelt nicht, dass der Mensch einen freien Willen hat. Wenn es aber darum geht, ob in einem Menschen Glauben entsteht oder nicht, dann hält er – mit Martin Luther – die schnelle Rede vom freien Willen für sehr oberflächlich und auch für irreführend. Er belegt das an zahlreichen biblischen Aussagen. Es geht ihm in diesem Vortrag darum, dass die Rede von »meinem Glauben« bescheidener wird und biblisch tiefer gegründet ist.
Homosexualität und die evangelische Kirche | 12.1.1
Die Kirche hat sich im Laufe ihrer Geschichte schwer getan mit der Homosexualität. Die Kirche? Im Gegensatz zur katholischen Kirche scheint zumindest die evangelische Kirche das Thema inzwischen entspannt zu sehen. Da gibt es homosexuelle Pfarrerinnen, homosexuelle Paare werden gesegnet, Regenbogenfahnen hängen vor Kirchengebäuden. Alles Friede, Freude also? In seinem ersten Vortrag über Homosexualität erklärt Thorsten Dietz, wie beschwerlich der Weg der evangelischen Kirche zum heutigen Umgang mit Homosexuellen war. Es ist ein rascher Ritt durch sieben Jahrzehnte, angefangen bei den Jahren, in denen sich die Kirche überhaupt bewusst wurde, dass es Homosexualität als Neigung gibt. Über die Zeit, in der Homosexualität als böse galt, später als krank, schließlich als heilbar. Dietz erzählt von den Versuchen, Mensch und Tat voneinander zu trennen, spricht vom Leid des Versteckens und der Erkenntnis: Auch die evangelische Kirche hat eine große Schuld auf sich geladen. Die Einstellung, dass Ehe von Liebe geprägt sein soll, ist ein völlig neues Phänomen in der Menschheitsgeschichte. Sollten sich nur Mann und Frau lieben dürfen? Wer hat darüber zu urteilen? Dietz jedenfalls kommt zu einem eindeutigen Urteil. Aber kommt die Kirche damit klar?
Homosexualität und die Bibel | 12.4.1
Für manche Christen steht es fest: Homosexualität ist Sünde. Darf nicht sein. Wer so fühlt, sollte den Drang unterdrücken, kann eben keine Partnerschaft leben, schade, aber ist so. Wer so denkt, kann hier wegklicken. Denn in diesem zweiten Vortrag zur Homosexualität richtet sich Thorsten Dietz an jene Menschen, die sich zerrissen fühlen zwischen Toleranz und dem, was vermeintlich in der Bibel steht, zwischen moderner Weltanschauung und uralten Schriften. Die andere nicht für etwas ausgrenzen wollen, wofür sie nichts können, aber gleichzeitig christlichen Lehren treu sein wollen. Um dieses Spannungsfeld auflösen zu können, muss man verstehen, was in der Antike damit gemeint war, wenn „ein Mann bei einem Manne liegt“ oder wenn die Männer Sodoms zwei männliche Gäste vergewaltigen wollen. Und welche Vorstellung von Sexualität die Menschen der Antike teilten, wer mit wem Sex haben durfte. Und wer nicht.
Aber lassen sich die Vorstellungen der Antike auf die Gegenwart übertragen? Sollen wir Homosexuelle verurteilen, wo doch unsere Vorstellung von Partnerschaft, Liebe und Sexualität nur wenig mit dem zu tun hat, was unsere Vorfahren in der Antike dachten?
Dietz gibt eine klare Antwort. Und die führt aus dem Spannungsfeld und manchen sogar hin zu einem neuen Verständnis der Bibel.
Die Chronikbücher | 11.16.1
Es war doch alles schon erzählt: Der zeugte den, dann kamen ein paar Könige, einer baute einen Tempel und irgendwann wurden Tempel und Stadt zerstört und die Oberschicht der Israeliten nach Babylon verschleppt. Wozu also nochmal zwei Bücher, die seitenweise Namen auflisten und das ganze Grauen der Niederlage vor den Babyloniern erzählen? Und die ganze Geschichte dann auch noch an bedeutsamen Stellen verändern? Diese Fragen haben sich durch die Geschichte hinweg sicher unzählige Menschen gestellt und die Chronikbücher schnell überblättert. Wusste man ja alles schon. Der Theologe Thomas Hieke möchte die Chronikbücher von der unverdienten Geringschätzung befreien. Er erklärt, warum die Bücher wichtig sind, warum manches verändert, anderes neu erzählt wird. Und er führt in seinem Vortrag zum Herz der Chroniken, zur zentralen Aussage dieser zwei Bücher, die eben mehr sind, als ein Nachtrag zu den anderen Geschichtsbüchern. Und die auch heute noch zu uns sprechen sollen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Das Levitikus Buch | 11.16.2
Es ist ein Buch voller Regeln und Zurechtweisungen, keine leichte Kost in unserer Welt, in der Freiheit über allem steht und die meisten Menschen auch ihren Glauben an Gott eher locker nehmen. Thomas Hieke erklärt, warum es sich lohnt, sich dieses Buch genauer anzuschauen. Warum es nicht abgetan werden kann als eine Unmenge an Regeln, die ja den Israeliten, den Juden gegeben wurden, die mit uns nichts zu tun haben. Denn es geht um mehr als Regeln und wann welcher Priester welches Opfertier darbringen darf. Es geht um Versöhnung, um Gewissensbisse und Schuld. Darum, wie wir Menschen miteinander umgehen. Warum etwa die Verarmung großer Bevölkerungsanteile Freiheit und Wohlstand aller gefährden oder wie Geschlechtergerechtigkeit vor 2500 Jahren aussah. Und es die Grundlage dafür, den Tod Jesu überhaupt erst zu verstehen. Wer Hieke zuhört, verliert die Gleichgültigkeit vor diesem Buch. Denn seine Deutung von Levitikus kann zu mehr Glück und Erfüllung führen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Baruch de Spinoza – Bibelkritik in der Neuzeit | 11.12.1
Seit Jahrhunderten wird die Bibel ausgelegt, interpretiert und erklärt. Aber kritisiert? Das wird sie noch nicht lange. Und die Bibelkritik wird ihrerseits kritisiert.
Ihr stellt Menschenwort über Gotteswort! rufen die Kritiker der Bibelkritik.
Ihr seid antimoderne Fundamentalisten! kritisieren die Bibelkritiker.
Thorsten Dietz lässt beide Positionen aufeinanderprallen. In diesem siebten Vortrag der Worthaus-Serie »Geschichte der Bibelauslegung« legt er die Grundlage für das Verständnis der historisch-kritischen Methode. Er erklärt, wie im Humanismus erste kritische Arbeiten entstanden, wie die Reformation die historisch-kritische Methode vorantrieb und nun auch die Katholiken der Heiligen Schrift auf den Grund gehen wollten. Und er erzählt, wie ausgerechnet ein jüdischer Brillenglasschleifer quasi als Hobby die Grundlage für die historisch-kritische Methode legte und die Botschaft der Bibel auf drei Punkte zusammenfasste.
Gotthold Ephraim Lessing – Bibelkritik in der Aufklärung | 11.13.1
Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du nicht frei sagen kannst, was du denkst. Im schlimmsten Fall kommst du für unerwünschte Aussagen ins Gefängnis, oder du verlierst nur deine Arbeitserlaubnis, wirst gemieden und ausgelacht. Nicht schön. Gotthold Ephraim Lessing lebte im falschen Land zur falschen Zeit, um geradeheraus zu schreiben, was er dachte. Also schrieb er verschlüsselt, schrieb Nathan der Weise und Emilia Galotti. Er war clever, versteckte, was er wirklich dachte, in Theaterstücken. „So raffiniert, dass er manchmal wahrscheinlich selber nicht wusste, was er dachte“, sagt Thorsten Dietz. In seinem Schlüsselvortrag über die Bibelkritik in der Aufklärung, erklärt er zentrale Weichenstellungen im 18. Jahrhundert, die uns bis heute betreffen. Anschaulich, aber anspruchsvoll beschreibt er das Leben Lessings, seine Lehren und den großen Streit unter Gelehrten, in dem Lessing die Hauptrolle spielte. Denn er war nicht nur Theaterautor. Er war auch Bibliothekar. Und eines Tages, irgendwann um das Jahr 1777 herum, fand Lessing Texte von Hermann Samuel Reimarus. Echtes Dynamit, das merkte Lessing schnell. Texte, die den gesamten christlichen Glauben infrage stellten. Echtes Plutonium in einer Zeit, in der ohnehin noch Glaubenskriege tobten. Lessing veröffentlichte die Texte. Und entfesselte damit einen Streit, der unser Verständnis von Glaube und Geschichte bis heute prägt.
Das Herz – geheimnisvolle Mitte des Menschen | 12.5.2
Es kann stolpern, schmerzen, reißen, brechen, es hält unheimlich viel aus und uns dabei am Leben. Unser Herz ist mehr als eine Pumpe. Es schlägt 100.000 Mal am Tag, durch Blutbahnen, die aneinandergereiht zweimal um die Welt reichen. Sein Schlag ist Rhythmus und Spiegelbild unseres Lebens. Sind wir glücklich, schlägt es leichter, sind wir ängstlich, schlägt es schneller. Und wenn wir uns verschließen, erbarmungslos sind uns und anderen gegenüber – dann verengen sich auch die Gefäße rund um unser Herz. Kein Wunder also, dass die Menschen vor uns in allen Epochen, in fast allen Kulturen, das Herz als das wichtigste Organ im Menschen betrachteten, Sitz von Identität und Seele. Der Theologe Siegfried Zimmer erzählt in seinem Vortrag, was unsere Vorfahren über diesen Mittelpunkt ihrer Existenz dachten. Er erläutert philosophische, theologische und medizinische Erkenntnisse. Und er erklärt, was dieser unruhige, vergängliche Teil unseres Körpers auch heute noch mit unserem Glauben und unserer Seele zu tun hat.
Das Numeri Buch | 12.3.1
Wer Kinder hat, kennt es: Da befreit man sie aus dem tristen Alltag, macht einen Ausflug in den Zoo, kauft Eis und Plüschtiere – und dann nörgeln sie doch wieder nur. Undankbares Volk. Und trotzdem liebt man die Bande ja. So oder ähnlich ging es Gott wahrscheinlich, als er sein geliebtes und erwähltes Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreite, in der Wüste mit Wasser und Manna versorgte und sie dahin führte, wo sie sorgenfrei und gut leben sollten. Und was taten die Israeliten? Rannten davon, suchten sich andere Götter, beschwerten sich dann doch bei ihrem Gott und verlangten immer wieder, nach Ägypten zurückzukehren, da war es doch eigentlich ganz schön. Diese Geschichten zwischen dem Berg Sinai und der Grenze zum gelobten Land stehen im Buch Numeri. Es ist das unbekannteste Buch der fünf Bücher Mose. Völlig zu unrecht, beschreibt es doch wie kaum ein anderes, wie Gott mit seinem Volk umgeht. In keinem Buch spricht er so viel wie in Numeri. Es ist die Grundlage der Beziehung zwischen Gott und seinen Kindern. Der Theologe Christian Frevel bringt uns dieses Buch näher, das er selbst so faszinierend findet. Er blickt hinter die Zahlen und Listen im Numeri-Buch, die so viele Menschen abschrecken. Er zeigt, was das Buch mit der Suche nach Identität und Einheit trotz Vielfalt zu tun hat. Und er bringt diese uralte Schrift ins Heute. Denn dieses Buch kann auch allen von uns Orientierung bieten, die sich durch ihre ganz eigene Wüste schleppen. Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«
Ohne Sem und Japheth kein Jesus – christlicher Antisemitismus | 12.2.1
Sem und Japhet kennt man vielleicht, aber eigentlich nur in einer Reihe mit Ham, allesamt Söhne Noahs, damit irgendwie Vorfahren aller Menschen. War da sonst noch was?
Ja, sagt Religionswissenschaftler Michael Blume, und das wissen wahrscheinlich die wenigsten. Er erklärt, welche Bedeutung Japhet und Sem im Judentum zukommt, warum es Antisemitismus heißt und was ausgerechnet diese beiden damit zu tun haben, dass der junge Jesus Jahrtausende später in einer Synagoge mit Schriftgelehrten diskutieren kann. Denn Sem erfand etwas, was die Menschheit verändern sollte, was im Judentum Arme und Reiche einander gleicher stellte und was Menschen in Trance versetzen kann. Sein Bruder Japhet soll diese Erfindung noch weiter ausgefeilt haben, so dass die Trance ausblieb, aber Theologie und Bürokratie möglich wurden. Und Blume erklärt, was diese Erfindungen damit zu tun haben, dass Islam und Judentum keine Bilder brauchen, dass das Christentum dagegen ohne Bilder, Musik und Lichter im Gottesdienst nicht auskommt und dass gerade Juden so oft angefeindet und verfolgt werden. Dabei trifft der Antisemitismus auch ins Herz des Christentums und des Islams. Und bedroht schließlich uns alle.
David Friedrich Strauß – Geschichte der Leben-Jesu-Forschung | 11.14.1
Es war einiges los in den deutschen Städten des 19. Jahrhunderts. Darwin rüttelte an den Grundfesten des Glaubens, Hieroglyphen wurden entziffert, Sintflutgeschichten außerhalb der Bibel gefunden, frühjüdische Texte tauchten auf, Bücherberge über die Religionsgeschichte wuchsen. Genies sprossen geradezu aus dem Boden, Goethe, Schiller, Schubert, Beethoven, Kant. Und mittendrin ein junger Theologe. David Friedrich Strauß pilgerte 1830 nach Berlin, hörte Hegel – und war begeistert. Alles schien ihm plötzlich durchschaubar. Er kehrte nach Tübingen zurück und schrieb ein Werk über das Leben Jesu. Darin lässt er zwei Pole, zwei verfeindete Lager der damaligen Theologie, aufeinanderprallen. Nur um dann zu sagen: Ihr habt doch alle recht. Was Strauß dann ausführt, ist so skandalös, dass auch ohne Internet und Social Media bald die ganze Gelehrtenwelt Europas Bescheid wusste. Mit dem Holzhammer ist er durch das Neue Testament gefegt und hat den einst gläubigen Nietzsche vom Glauben abgebracht. Strauß musste Deutschland verlassen, wurde nach Zürich berufen – und direkt, mit gerade einmal 30 Jahren, pensioniert. Zu gewagt wäre es gewesen, ihn lehren zu lassen.
Thorsten Dietz erzählt das Leben dieses »berühmtesten, strittigsten und spektakulärsten Theologietreibenden« seiner Zeit, berichtet auch von anderen wichtigen Persönlichkeiten und tragischen Geschichten. Er verspricht „ein bisschen Kopfschmerzen“ und nimmt die Zuhörenden mit auf eine Reise in das vorletzte Jahrhundert und zu der Frage: Wie sollen aufgeklärte, gebildete Menschen noch glauben können?
Rudolf Bultmann – Entmythologisierung | 11.14.3
Es ist ein Name, den nicht viele kennen. Aber ein Name, an dem sich die Geister derer scheiden, die schon einmal von ihm gehört haben: Rudolf Bultmann. Der »dunkle Lord der Theologie«, wie Thorsten Dietz ihn nennt. Die einen nehmen seinen Namen kaum in den Mund, für die anderen ist es eine Gewissenssache, sich zu ihm zu bekennen. Dietz war selber Atheist, als er sein Theologiestudium begann. Er hatte also keine Angst vor Rudolf Bultmann. Dann bekehrte er sich und stieß auf Bultmanns Lehren, die »Abrissbirne des Glaubens«. Nicht ohne Grund schickt Dietz seinem Vortrag über Bultmann eine seelsorgerliche Einleitung voraus. »Wir müssen alle stark sein«, sagt er, und legt los: Von den Schockwellen, die Deutschland zu Bultmanns Lebzeiten erschütterten, von zerschmettertem Glauben, theologischen Erneuerungen und einem Theologen, dem die FDP zu links gewesen wären, der nicht an die Wunder der Bibel glaubte, aber dennoch zurück wollte zum Wort der Bibel, um die existenziellen Fragen des Lebens zu beantworten.
Die Geistesgaben bei Paulus – aus charismatischer und aus historisch-kritischer Sicht (1. Korinther 12–14) | 12.6.1
Zum ersten Mal in der Geschichte von Worthaus spricht Siegfried Zimmer in diesem Vortrag über sein eigenes Leben. Aus gutem Grund: Sein Leben führte ursprünglich in eine ganz andere Richtung, fernab von Theologie und Worthaus. Er hatte eine glückliche Kindheit und keine Ahnung von Kirche. Er spielte Tennis, Turnierschach und Klavier, wollte in diese Richtung studieren. Dann lud ihn ein Klassenkamerad zu einem Gottesdienst ein. Von der Überraschung, dass er dort Christ wurde, hat sich Zimmer bis heute nicht so recht erholt. Die Bekehrung war auch eine Kehrtwende in seinem Leben. Er wurde Pfingstler, änderte wieder die Richtung, studierte Theologie und hat damit heute die besten Voraussetzungen, über ein schwieriges Thema der Bibel zu sprechen: die Geistesgaben. Pfingstler streben danach, Theologen analysieren sie. Zimmer erklärt, was es mit diesen Gaben auf sich hat, warum sie ganz viel mit anderen und wenig mit einem selbst zu tun haben und warum man bei dem Thema sowohl Charismatikern als auch Wissenschaftlern gut zuhören sollte.
Ekklesia - Was ist eigentlich Kirche und wenn ja, wie viele? | 12.7.1
Kirche – für die meisten ist es nur ein Gebäude, das sonntagmorgens mäßig besucht wird und zum Heiligabend-Gottesdienst überquillt. Dessen Türen meist verschlossen sind, außer das Gebäude steht in Bayern. Gern sagen auch Christen: »Also, mit der Kirche habe ich nichts zu tun.« Und meinen damit die Kirche als Institution. Fast nie aber meinen sie die Kirche, wie sie ursprünglich gedacht war. Über diese ursprüngliche Bedeutung spricht die evangelische Theologin Sandra Bils, die eigentlich selber mit Kirche nichts zu tun hatte, die weder Kindergottesdienste noch Gute-Nacht-Gebete kannte und sich nur konfirmieren ließ, um sich von den Geldgeschenken eine Gitarre kaufen zu können. Die nun trotzdem voller Überzeugung sonntagmorgens in Kirchen predigt. Und gleichzeitig unzufrieden ist mit dem, wie Kirche heute meistens aussieht. »Wie genial ist die Botschaft, wie seltsam die Umsetzung«, sagt sie über das moderne kirchliche Leben. In diesem Vortrag erklärt sie, wie Kirche in der Bibel gedacht war, woran man Kirche erkennt und wie Kirche – oder besser: Gemeinde – ganz praktisch aussehen kann.
Der Heilige Geist - der geheimnisvolle Gott | 12.7.2
Christen werden getauft in seinem Namen, sie bekennen sich in fast jedem kirchlichen Gottesdienst zu ihm, und doch weiß kaum jemand mit ihm etwas anzufangen: dem Heiligen Geist. In Liturgie und christlichen Formeln wirkt er oft wie ein Anhängsel. Und das Fest, das allein der Ausgießung des Heiligen Geistes gewidmet ist, ist für die meisten doch nur ein Grund, an einem Montag ausschlafen zu können. Wer also ist der Heilige Geist? Ist er Gott? Eine Person? Und was hat es nochmal mit der Dreieinigkeit auf sich? Thorsten Dietz gibt in diesem Vortrag einen Überblick über das Thema und blickt dabei weit zurück in die Anfänge des Christentums, als im 4. Jahrhundert die Christen nicht mehr in Todesangst ihren Glauben lebten, sondern endlich vom römischen Kaiser anerkannt wurden. Der verlangte aber im Gegenzug, dass sie sich mal einig werden über das, was sie da glauben. Darum erzählt Dietz hier vor allem von Basilius von Caesarea und geht dabei den Weg ab, den die ersten Christen im Ringen um ein gemeinsames Bekenntnis zum Glauben zurückgelegt haben.
Koinonia - Die christliche Gemeinschaft im 21. Jahrhundert | 12.8.1
Schauen Sie sich mal einen Moment lang um: Was macht das Leben Ihrer Mitmenschen aus? Was bestimmt Ihr eigenes? Für die meisten von uns ist das Leben ein Hetzen von Termin zu Termin, von Online-Shop zu Social Media, von Partnerschaft zu Partnerschaft. Wir konsumieren, haken Aufgaben und Erlebnisse ab, suchen immer neue Erfahrungen, Orte, Menschen. »Wir leben ein Leben als Episode«, sagt die evangelische Theologin und Pastorin Sandra Bils. Und was passt nun so gar nicht in dieses unbeständige, postmoderne Leben? Richtig, die Kirche. Mit der die meisten Menschen nur Altbackenes verbinden wie Orgelmusik, Glockenturm und einen Pfarrer, der salbungsvoll daherredet. Kein Wunder, dass die evangelische und die katholische Kirche zusammen inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte der deutschen Bevölkerung zu ihren Mitgliedern zählt. Was muss passieren, damit Menschen die Kirche wieder wahrnehmen? Als ihr geistliches Zuhause begreifen? Damit die Botschaft weiterhin bei den Menschen ankommt, ebenso wie Unterstützung und Nächstenliebe? Sandra Bils beschreibt, wie andere Länder Kirche neu denken, was wir davon lernen können, welche neuen Formen von Kirche es bereits in Deutschland gibt. Und wie Christen nicht nur für sich selbst neue, postmoderne Gemeinschaften schaffen, sondern gleichzeitig Menschen erreichen, die nie ein Gebäude mit Glockenturm, Orgel und Pfarrer betreten würden.
Begeisternde Spiritualität – Der heilige Geist im neuen Testament | 12.8.2
Auch wenn sich erstmals weniger als die Hälfte aller Deutschen zur Kirche bekennt – die tiefe Verbindung zu einer höheren Ebene, zu irgendetwas Größerem suchen viele, die mit der Kirche nichts anzufangen wissen. Spiritualität liegt im Trend, seit Jahrzehnten. Die wenigsten zieht es in ein buddhistisches Kloster nach Tibet, immer mehr zieht es zu den Freikirchen. Wahrscheinlich, weil Menschen dort eine Kraft spüren, die den klassischen Gottesdiensten in Kirchengebäuden ausgegangen ist. Von dieser Kraft erzählt Volker Rabens, Professor für biblische Theologie in Jena. Er spricht über die Zeitzeugen Lukas, Paulus und Johannes, die ihrerseits besonders viel von jener weiblichen Komponente der Dreieinigkeit zu berichten wissen: vom Heiligen Geist. Rabens fragt vor allem danach, wie dieser Heilige Geist wirkt, wie ihn die frühen Christen erlebten, wann Gläubige diesen Geist empfangen und was das alles mit uns im Hier und Heute zu tun hat. Denn auch wenn Zungenrede selten geworden ist und Pastoren kaum noch in fremden Sprachen predigen, die Sache mit dem Heiligen Geist trifft auch heute noch mitten ins Herz einer Gemeinde und des gesamten Christentums.
Mehr als nur Jerusalem: Gemeindeaufbau in der Apostelgeschichte | 12.9.1
»Es ist die größte Krise unserer Zeit, dass Christen ihre Bibel nicht mehr kennen, Gottes Stimme darin nicht mehr verstehen und nicht wissen, wie man darauf antwortet.« So drastisch formuliert es der Theologe und Schriftsteller Klaus Douglass. Diese Krise ist der Grund, wenn Gottesdienste aus dem unmotivierten Abspulen von Ritualen bestehen und das Abendmahl in Form von faden Hostien eingenommen wird. Dabei steht doch in der Bibel ziemlich genau, wie die Gemeinschaft von Christen aussehen kann und ausgesehen hat. Die Apostelgeschichte ist die Blaupause für christliche Gemeinschaft schlechthin. Sie erzählt von Gemeinden in verschiedenen Kulturen, von Konflikten, Ungerechtigkeiten und Lösungsversuchen. Mit Begeisterung und einigen Lachern nimmt uns Douglass mit auf einen Tiefflug durch die Apostelgeschichte, erklärt, warum Gemeinschaft und der Heilige Geist für ein erfülltes Leben als Christ unverzichtbar sind und macht nebenbei noch all denen Mut, die – wie vermutlich auch Paulus – ihr Gott gegebenes Ziel letztendlich nicht erreichen.
Die Wiederkehr der Mystik | 12.9.2
Wir sind doch alle ganz vernünftige Menschen, nicht wahr? Auch die unter uns, die an Übersinnliches glauben, an Gott und die Auferstehung nach dem Tod. Wir betreiben Theologie als Wissenschaft, studieren die Bibel, beten unser Gebet vor dem Essen und dem Schlafengehen. Religion als Ritual. Glaube mit Verstand. Wer kennt schon die sinnliche Erfahrung des Übersinnlichen? Wer hat jemals das Mystische in der völligen Hingabe an Gott erlebt? Seine Nähe erfahren? Und wer sehnt sich nicht manchmal danach, ganz insgeheim wenigstens? Thorsten Dietz hat seine Leidenschaft für die Mystik vor Jahrzehnten entdeckt, sie wurde Teil seiner Frömmigkeit. In diesem Vortrag erzählt er, ganz vernünftig und doch voller Hingabe, von der Mystik im Glauben, von drei Mystikern der Kirchengeschichte, davon, was Mystik und Intellekt miteinander zu tun haben. Und was wir heute, in unserer vernunftgeplagten Gesellschaft, von Mystik und Sinnlichkeit lernen können.
Spiritualität – Verzauberung des Lebens | 12.10.1
Auch das ist wieder ein Begriff, den alle kennen, den aber niemand so richtig in wenige Worte fassen kann. Thorsten Dietz tut es trotzdem und erklärt, was Spiritualität bedeutet, als Begriff und für unseren Glauben. Denn in unserer wissenschaftsorientierten Welt, halten sich auch Christen eher an das mehr oder weniger Beweisbare, an die Theologie, die »Lehre von Gott«. Das Geistliche dagegen schieben wir von uns, verorten es irgendwo in anderen Kulturen und Religionen. Dabei ist Spiritualität auch im Christentum wichtiger als Theologie, »sie ist die Grundsubstanz, die Glaube und Religion ausmacht«, sagt Dietz. Wie aber holen wir Spiritualität in unser Leben? Wie lassen wir uns »vom Heiligen Geist gestalten«, wie werden wir Mitgestalter unseres spirituellen Lebens? Und wie kommen wir dabei mit anderen Menschen in Kontakt, mit dem Heiligen Geist und mit uns selbst? Dietz gibt uns Werkzeuge an die Hand, um Spiritualität im Alltag zu leben. Und er erklärt, wie wir mit diesen Werkzeugen vernünftig und geistlich umgehen, ohne uns und andere zu verletzen.
Der Kreuzestod Jesu | 13.1.1
Mit dem Tod am Kreuz hätte alles zu Ende sein und der arme Wanderprediger aus Nazareth bald vergessen sein können. Er war als Verbrecher verurteilt worden, zu der brutalsten und verachtenswertesten Art der Hinrichtung, die sich die Römer für die Menschen in ihrem Reich ersonnen hatten. Gekreuzigt wurde da ein junger Mann, etwas über 30 Jahre alt. Nicht einmal die Weisheit des Alters hatte er erreicht. Der frühe Tod galt als Strafe der Götter. Der Kreuzestod als Fluch. Diese Art der Hinrichtung sollte den Verurteilten völlig vernichten – er starb einsam, gequält, entblößt und allen zur Schau gestellt.
Wie konnte dieser Tod zu einer guten Nachricht für alle Menschen werden? Was war es, was die Mächtigen dieser Zeit an Jesu Botschaft so nervös machte? Und wie konnten dieser Mensch und diese Kreuzigung Weltgeschichte schreiben? Waren Jesu Anhänger völlig verwirrt, die nicht einmal richtig um ihn trauerten und stattdessen hinaus in die Welt zogen, einen Gott und diesen Wanderprediger verehrten – und sich für ihn auch noch ihrerseits töten ließen?
Siegfried Zimmer beantwortet in diesem Vortrag einige Fragen rund um den Kreuzestod Jesu und die Reaktionen der Menschen seiner Zeit. Aber mit diesem Vortrag ist das Thema noch lange nicht zu Ende. Weitere Worthaus-Vorträge zum Thema Kreuzestod Jesu sollen folgen, denn ein Vortrag wird diesem Thema nicht gerecht.
Die Auferweckung Jesu | 12.5.1
Es war einmal ein armer Handwerker aus einem Kuhdorf, das keiner kennt. Der überredet ein paar andere armselige Leute, mit ihm durch die Gegend zu ziehen, schwingt eine kurze Zeit lang große Reden, bis es der Regierung zu bunt wird – und dann stirbt er, viel zu jung und sehr erbärmlich.
Nichts in Jesu Leben lies erahnen, dass sich zwei Jahrtausende später die ganze Welt um diesen armen Handwerker drehen könnte. Dass selbst Menschen, die nichts mit ihm anfangen können, ihr Leben nach ihm richten. Unsere freien Tage, unser Konsum, selbst die Zeitrechnung auf der ganzen Welt orientiert sich nach diesem Menschen.
Warum?
Siegfried Zimmer erklärt in diesem Vortrag das entscheidende Merkmal des christlichen Glaubens und warum aus allen drei monotheistischen Religionen allein die Christen sagen: Wir glauben an Gott und an diesen Menschen, an Jesus Christus. Für alle Zweifler erläutert Zimmer ausführlich, warum die Auferweckung Jesu – bei aller Unwahrscheinlichkeit – sehr wahrscheinlich ist. Und was für ein Versprechen sie für alle Zweifler, Trauernden und Einsamen dieser Welt mit sich bringt.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 1): Offb 4, 1-3 | 12.13.1
Dieser Vortrag dreht sich um nur drei Verse – aber die haben es in sich! Denn sie tun nicht weniger, als das Aussehen Gottes zu beschreiben. Johannes sieht in seiner berühmten Offenbarung einen, der auf einem Thron sitzt. Was so schlicht klingt, hat eine tiefe Bedeutung. Was hat es mit diesem Thron auf sich? Was bedeutet es, dass derjenige, den Johannes da sieht, sitzt statt zu stehen? Was haben Edelsteine, Licht und Macht mit dieser Vision zu tun?
Siegfried Zimmer durchleuchtet diese wenigen Sätze im vierten Kapitel der Apokalypse des Johannes und legt damit die Grundlage dafür, die weiteren Kapitel des letzten biblischen Buches überhaupt zu verstehen. Gemeinsam mit Kapitel fünf bildet das vierte Kapitel die theologische Mitte der gesamten Johannesoffenbarung. Deswegen steht dieser Vortrag ganz am Anfang der zwölfteiligen Vortragsreihe über die Apokalypse des Johannes.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 2): Auf welche Zeit bezieht sich die Johannes-Offenbarung? | 12.14.1
Die Versuchung ist groß, dieses rätselhafte Buch am Ende der Bibel, direkt auf unsere Zeit und unser Leben zu beziehen. Meistens mit einem gewissen Gruseln. Denn haben uns nicht Blockbuster und B-Movies gelehrt, was es mit dem Tier aus der Tiefe, der bösen dreistelligen Zahl und überhaupt mit dem Ende der Welt auf sich hat? Der Text selbst bietet Anlass dafür, dass noch heute, rund 2.000 Jahre nach seiner Entstehung, unsere Fantasie stark angeregt wird. Denn Johannes erwähnt an keiner Stelle die Römer und das Römische Reich, die damals größte Bedrohung für die Nachfolger Jesu. Johannes nennt keinen römischen Kaiser beim Namen, keine bedeutenden Zeitgenossen. Er verschlüsselt seine Botschaft in eine Bildersprache. Er schreibt unter anderem von einem Tier, einem Drachen und einer mysteriösen Zahl.
Siegfried Zimmer erläutert in diesem Vortrag einige der rätselhaften Bilder der Johannesoffenbarung und klärt vor allem die Frage: Welche Zeit meinte Johannes, als er aufschrieb, was »bald geschehen muss«?
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 3): Das Vorwort (Offb 1,1–8) | 12.15.1
Wer liest schon Vorworte? Man will doch gleich voll einsteigen ins Geschehen, in die Geschichte, die Offenbarung!
Moment mal, würde da wahrscheinlich Siegfried Zimmer sagen – ohne dieses Vorwort geht es nicht. In seinem Vortrag behandelt er die ersten acht Verse der Offenbarung des Johannes, das Vorwort zur gesamten Apokalypse. Ohne diese Einleitung sind die 22 Kapitel des letzten Buches im Neuen Testament nicht wirklich zu verstehen, betont Zimmer und nimmt das Publikum mit auf einen kleinen theologischen Grundkurs. Was bedeutet der Begriff »Apokalypse«? Wie kann der Name »Jesus Christus« als ganzer Satz gelesen werden? Worum geht es bei den Knechten Gottes, den Zeugen, dem Erstgeborenen von den Toten? Und was bedeutet es für die Christen der Gegenwart, dass Gott sie zu Königen und Priestern machen will? So viel steckt in diesen wenigen Versen. Es ist ein Vorwort, das man nicht überlesen sollte.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 4): Die Eröffnungsvision der Apokalypse des Johannes (Offb 1,9–1,20) | 12.17.1
Nach seiner Analyse des Vorworts setzt Siegfried Zimmer in diesem Vortrag seine Reise durch die Offenbarung des Johannes fort. Es geht um die erste Vision, von der Johannes berichtet. Er sieht den auferstandenen Christus, wird von ihm direkt angesprochen. In dieser ersten Vision steckt schon so viel Geheimnisvolles: Was hat es mit dem Begriff »Menschensohn« auf sich? Was bedeutet es, dass er weiße Haare hat, ein langes Gewand, eine Stimme wie das Rauschen großer Wasser. Wer sind die sieben Gemeinden und was haben sie mit dem Volk Israel zu tun?
Zimmer erläutert diese elf Verse des ersten Kapitels im Licht der damaligen Zeit, beschreibt, wie die Menschen in der Antike Johannes Vision verstanden haben. Und findet dabei Worte, die auch heutigen Christen mitten ins Herz gehen.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 5): Die Lebenswelt einer antiken Großstadt am Beispiel von Ephesus | 12.7.3
Die Menschen der Antike lebten auf dem Land. Jedenfalls die allermeisten. Nur etwa jeder zehnte Bewohner des römischen Reichs wohnte in einer Stadt. Jesus selbst kam vom Land. Er betrat – nach Darstellung der Evangelien – in seinem Leben nur eine einzige Großstadt – und das endete für ihn tödlich. Doch nach Jesu Auferstehung waren es gerade die Großstädte, in denen sich der christliche Glaube rasch ausbreitete. Um die Schriften im Neuen Testament besser verstehen zu können, ist es deshalb eine Hilfe, wenn wir wissen, wie diejenigen gelebt haben, an die diese Schriften gerichtet waren.
Siegfried Zimmer malt in diesem Vortrag die antike Großstadt Ephesus in die Ohren seiner Zuhörer. Er erzählt vom Reichtum der Stadt und dem Elend der Mehrheit ihrer Bewohner, von düsteren Mietwohnungen, öffentlichen Küchen und der pragmatischen Kaiserverehrung der Oberschicht.
In der Offenbarung des Johannes werden die sieben Sendschreiben an sieben (Groß)städte gerichtet. Das erste Sendschreiben geht an Ephesus. Dieser Vortrag dient also auch als Grundlage, um die Interpretation der Sendschreiben in Kapitel 2 und 3 vorzubereiten.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 6): Die sieben Sendschreiben & das Sendschreiben an Ephesus (Offb 2,1–7) | 12.8.3
Wer an die Apokalypse des Johannes denkt, denkt vermutlich an das Untier aus dem Meer, an Armageddon und das Ende der Welt. Und überspringt dabei die ersten drei Kapitel der Offenbarung des Johannes, die unverzichtbar sind, um den Rest des Buches zu verstehen. »Die Sendschreiben richten den Blick in die Gegenwart, man darf nicht gleich in die Zukunft springen«, betont Siegfried Zimmer. Und er beschreibt in diesem Vortrag, wie diese Gemeinden damals ausgesehen haben, warum die Sendschreiben ausgerechnet an Gemeinden in diesen Städten gingen und warum manche von ihnen in diesen Schreiben gelobt, andere getadelt werden. Zimmer geht es vor allem auch darum, was diese Briefe von vor zwei Jahrtausenden uns im Hier und Heute zu sagen haben. Es sind Fragen, die Christen umtreiben, die ihren Glauben in einer Welt leben wollen, in denen dieser Glaube nicht mehr selbstverständlich ist. Was sollen wir um des Glaubens Willen erdulden, wann sollen wir uns wehren? Inwieweit sollen sich Christen an die Gesellschaft anpassen, in der sie leben? Und wie gelingt die Umkehr zurück zum Anfang, zur ersten Liebe?
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 7): Die Sendschreiben an Smyrna, Pergamon und Tiatira (Offb 2,8–29) | 12.9.3
Sieben Sendschreiben sollte Johannes in seiner Offenbarung an sieben Gemeinden verschicken. Manche Gemeinden wurden in diesen Schreiben gelobt, andere getadelt. Was haben sie, die ersten Christen, richtig gemacht, was falsch – so sehr, dass der Auferstandene selbst ihnen eine Nachricht zukommen ließ? Mal wieder ist es nicht so einfach. Nicht die Gemeinde wurde gelobt, in der alle Gläubigen konfliktfrei zusammen beteten. Und nicht die getadelt, in der es den Gläubigen schlecht ging.
Siegfried Zimmer erklärt in diesem Vortrag drei der sieben Sendschreiben und schaut dabei tiefer, weit hinter das, was man zuerst zu verstehen glaubt. Er holt diese uralten Schreiben durch die Jahrtausende in die Gegenwart. Er erklärt furchtbare Übersetzungsfehler, die den europäischen Judenhass befeuerten. Er macht all denen Mut, denen schwere Zeiten bevorstehen. Und erzählt dabei auch ganz persönlich von seinem eigenen Schicksal.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 8): Offenbarung 4, 4-11 | 12.16.1
Die ersten drei Kapitel der Johannesoffenbarung scheinen noch leicht verständlich. Johannes bekommt von Gott einen Auftrag und schreibt sieben Briefe an sieben Gemeinden. Drei Kapitel, in denen schon einiges steckte, was Siegfried Zimmer in den bisherigen Worthaus-Vorträgen zur Apokalypse erklärt hat.
In diesem Vortrag führt Zimmer in den Hauptteil der Offenbarung ein, eines der mystischsten und bildreichsten Bücher der Bibel. Der Autor Johannes, der anfangs noch von sich selbst schrieb, tritt nun völlig in den Hintergrund, als hätte er sich selbst vergessen und lasse die Lesenden selbst durch seine Augen blicken. Was er da sieht, ist irritierend, unverständlich, für uns noch viel mehr als für die Zeitgenossen des Autoren. Zimmer erklärt, was es mit diesem Blick ins Himmelreich auf sich hat, mit den Thronen und Fackeln, den vier Wesen und den Ältesten, was die Zahlen bedeuten und wie die ersten Worte zu verstehen sind, die in dieser überirdischen Vision gesprochen werden. Er erläutert, was in dieser Vision der Begriff »heilig« bedeutet, wieso die Ewigkeit nichts mit langer Zeit zu tun hat und warum es so einmalig ist, wie Gott in dieser Vision angesprochen wird.
Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 9): Offenbarung 5 | 13.2.1
Selten wird unser Weltbild in der Bibel derart auf den Kopf gestellt wie im fünften Kapitel der Offenbarung. Johannes hatte in seiner Vision Gott gesehen und weitere Personen, die mächtiger kaum sein könnten. Und doch ist es eine hilflose, gequälte Kreatur, die von den Mächtigen angebetet wird. Diese Szene in der Offenbarung im fünften Kapitel der Apokalypse ist die Ausgangsbasis für den restlichen Text. Es ist ein Text mit einer wichtigen Botschaft, vor allem auch für jüdische Bibelkenner. Damit es verständlich wird, führt Siegfried Zimmer führt Satz für Satz durch dieses Kapitel. Er erklärt, was es mit der Schriftrolle auf sich hat, die nie vorgelesen wird. Warum ausgerechnet ein einzelner israelitischer Stamm so eine herausragende Rolle spielt in einer Szene, die doch die gesamte Menschheit betrifft. Oder warum wir den Begriff »Opfer« künftig sorgsamer verwenden sollten. Und er macht auf einige Zeilen aufmerksam, die allzu leicht überlesen werden, und doch gerade in unserer angespannten Zeit eine Quelle der Zuversicht sein können.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 10): Offenbarung 13 | 13.15.1
Daraus sind billige Horrorstreifen gemacht: Ein Monster kriecht aus dem Meer, ein Tier mit sieben Köpfen, das womöglich nicht einmal getötet werden kann. Denn seine »Todeswunde wurde geheilt«. Dann taucht noch ein Drache auf und noch ein Tier. Das 13. Kapitel der Johannesoffenbarung ist Grusel-Vorlage für Apokalypse-Fans. Und entscheidend für das Verständnis der Offenbarung. Aber die Interpretation ist nicht leicht, warnt Siegfried Zimmer, anders als Filme es vermuten lassen. Denn Johannes sagt in seiner Offenbarung nicht direkt, was er meint. Er verwendet eine Bildersprache, die uns heute, Jahrtausende später, fremd ist. So nimmt Siegfried Zimmer sein Publikum mit zurück ins erste Jahrhundert nach Christus und erklärt, wie die Menschen damals Johannes‘ Vision verstanden haben müssen. Er erklärt die Klischees hinter der Apokalypse, das Tier, den Drachen und die Zahl. Er erklärt, warum die Offenbarung aus der Zeitgeschichte verstanden werden muss. Und warum sie uns trotzdem heute noch betrifft.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 11): Offb 17,1-5 & 18 | 13.18.1
Ist es möglich, mit einem ruhigen Gewissen aus diesem Vortrag zu gehen und sich Alltagsdingen zuzuwenden? Was Siegfried Zimmer hier über Kapitel 17 und 18 der Johannesoffenbarung erzählt, hallt nach. Es geht um die große Hure, die an den Wassern sitzt. Zimmer hält sich nicht lange damit auf, zu erklären, um wen es sich dabei handelt, denn die Zuhörer der Antike wussten, von wem Johannes da spricht. Schockierend ist, was danach kommt. Diese beiden Kapitel sind kein Schmusetext, Sie sind eine Anklageschrift gegen die Menschen jener Zeit. Eine Anklage, in der sich die Menschen unserer Zeit ohne Mühe wiedererkennen können. Denn „es gibt keinen unschuldigen Luxus“, wie Zimmer immer wieder betont. Die Johannesoffenbarung betrifft uns alle. „Da könnt ihr mal versuchen, Bibeltexte ernst zu nehmen“, fordert Zimmer auf. Keine leichte Aufgabe nach diesem Bibeltext.
Die Apokalypse des Johannes (Teil 12): Das neue Jerusalem (Offb 21,1– 22,5) | 12.10.2
Die Visionen des Johannes müssen in einer Zeit voller Verfolgung und Todesangst ein gewaltiger Trost für die damaligen ersten Christen gewesen sein. Johannes gewährt einen Blick in den Himmel, auf Gott selbst. Er verpackt Warnungen und Ermutigung in gewaltige Bilder. Und beschreibt in seiner letzten Vision das, worauf die Verfolgten und Gequälten, die Gläubigen und die ganze Welt hoffen können: eine neue Welt, in der Platz für alle ist. Mittendrin wohnt Gott. Und – was für eine Zusage gerade auch in unserer Zeit – »die Wunden der Völker werden heilen«. Aber an wen richtet sich Johannes’ Vision? Warum ist die neue Welt ausgerechnet eine Stadt? Und was bedeutet es, in Ewigkeit zu herrschen? Wird das nicht reichlich langweilig? Auch in diesem, seinem letzten Vortrag zur Apokalypse des Johannes-Reihe erklärt Siegfried Zimmer wieder, was hinter den Bildern steckt. Und was uns diese uralte Vision heute noch zu sagen hat.
Die Samuelbücher | 13.3.1
Es geht um die großen Themen der Menschheit: Liebe und Familie, Herrschaft und Gewalt, Depression und Heilung, Erfolg und Scheitern. Gebündelt in der Geschichte eines Menschen, wie er in der Bibel kein zweites Mal auftaucht: König David. Über keine biblische Figur erfahren wir so viele Details aus seinem Leben. Das meiste davon steht in den Samuelbüchern.
Das zentrale Thema dieser Bücher ist die Etablierung einer neuen Gesellschaftsform für Israel. Die Israeliten wünschten sich ein Königtum. Und damit fing das Chaos an. Vor der Kulisse der historischen Umwälzungen zu Zeiten Davids erzählen die Samuelbücher von jenem David, der als größter König der Israeliten, als Vorfahr Jesu, als herausragender Gottsucher in die Geschichte einging und doch immer wieder in seinem Leben vor Gott und den Menschen grandios versagte.
Die römisch-katholische Theologin Ilse Müllner führt in diesem Vortrag durch das Leben Davids und Samuels, hebt die schonungslose Machtkritik in den Samuelbüchern hervor und erklärt auch, wie zuverlässig die Bücher als Geschichtsbücher eigentlich sind.
Hoffnung | 13.4.1
Wieviel Zukunft, Krisenresilienz und Chaosresistenz stecken im christlichen Glauben? Wie viel Hoffnung? Hört man auf die althergebrachte Theologie mit ihrem pessimistischen Menschenbild, dann wirkt es, als drehe sich der christliche Glauben vor allem um menschliches Versagen und die Entscheidung für die richtige Lehre. Kein Gefühl, keine Stimmung, kein Bauchgefühl, und Körperlichkeit schon gar nicht, kritisiert Thorsten Dietz. Und spricht dann – im Kontrast dazu – von einer neuen Theologie und einem Gott der Hoffnung.
Dietz will die Bibel als Teil einer Hoffnungsgeschichte sehen und stellt in dem Zusammenhang die entscheidenden Fragen: Was ist gute Theologie? Wie bringt man den Gott der Hoffnung mit dem Leben im Diesseits in Verbindung? Und wer ist dieser Gott der Hoffnung eigentlich?
Worthaus 11 will die theologischen Gedanken aus der Comfortzone zwingen, aus der nerdigen Ecke holen, in der sich nur Theologen wohlfühlen. Und in Praxis und Alltag holen. Mit Hoffnung fängt es an.
Glaube – Grund zur Hoffnung oder zur Frustration? | 13.5.1
Für viele Christen beginnt der Glaube wie die erste große Liebe: Leidenschaftlich, begeistert, etwas verrückt. Voller Hoffnung. Für Martin Benz begann der Glaube auch mit Demonstrationen gegen Kinofilme, verteilten Traktaten und zertrümmerten Schallplatten – was man eben aus Leidenschaft für die große Liebe so tut.
Doch dann geht das Leben weiter und die Euphorie des Anfangs weicht Ernüchterung. Wir gleichen die Hoffnungen von damals mit der Realität von heute ab. Mit den Eheproblemen, den Geldsorgen und Gesundheitsproblemen, mit dem Alltag und geplatzten Träumen.
Martin Benz ist auch Jahrzehnte nach dem ersten Liebestaumel im Glauben noch dabei, predigt, schreibt und betreibt den Podcast »Movecast«. Er erklärt in diesem Vortrag, wie das Glaubensleben nach der großen Hoffnung und dem großen Frust weitergehen kann. Und erzählt anhand eines eigenen schweren Schicksalsschlags, wie Leben und Glaube wieder in Einklang gebracht werden können.
Trost | 13.5.2
Wie tröstet man einen Menschen? Wir alle erleben manchmal Krisen, sind untröstlich, verloren, gottverlassen. Nicht immer gelingt es dann anderen Menschen, uns Hoffnung zu geben, wirklich zu trösten. Trotzdem ist es ein zutiefst menschliches Bedürfnis, einen anderen, der leidet, trösten zu wollen. Und selbst in der Not Zuspruch zu erfahren.
Trost war auch ein großes Thema in der Antike. Thorsten Dietz erklärt, wie die damaligen Philosophen, allen voran die Stoiker, auf Leid reagieren wollten, wie im Gegensatz dazu die Bibel über Trost spricht, warum manche Denker der Moderne gerade den christlichen Trost ablehnten. Und wie echter Trost aussehen kann, der über ein »thoughts and prayers« hinausgeht.
Zukunft | 13.6.1
Da wird ein geliebter Mensch schwer krank, ein Kind stirbt, der Partner trennt sich, die Firma geht pleite – manchmal stürzt uns das Leben in tiefe Verzweiflung. Wie kann es dann weitergehen? Was sollen wir tun, wenn es keine Ausweg zu geben scheint? Gibt es noch Hoffnung darauf, dass das Leben irgendwann wieder leichter wird? Für Christen haben diese Fragen nach der Zukunft auch immer mit Gott zu tun. Antworten suchen sie häufig in der Bibel. Die Theologin Uta Schmidt blickt auf die Zukunft, die uns allen bevorsteht, die für manche beängstigend, für andere verheißungsvoll ist, die aber kein Mensch kennt. Diese Gefühle angesichts der Zukunft kannten natürlich auch die Menschen in den Jahrtausenden vor uns, von ihnen erzählt auch die Bibel. Anhand dreier Bibeltexte erklärt Schmidt, was es bedeutet, wenn in der Zukunft Unheil angekündigt wird, wenn Gott eine gute Zukunft verspricht und wenn die Zukunft so ganz anders aussehen soll als die Gegenwart.
Als Professorin für Feministische Theologie blickt Schmidt bei der großen Frage nach Zukunft auch immer auf die große Frage danach, wie Frauen in der Bibel dargestellt werden. Und natürlich, welche Parallelen diese Texte und ihr Bild der Geschlechter zu unserer Gegenwart haben.
Dankbarkeit | 13.6.2
Haben Sie schon einmal ein Dankbarkeitstagebuch geführt? Jeden Abend fünf Dinge aufgezählt, für die Sie danke sagen? Auch dafür gibt es natürlich eine App mit Dankbarkeitsübungen für jeden Tag. Oder auch mehrere. Dankbarkeit liegt im Trend. Sie soll glücklicher und gelassener machen. Und tatsächlich helfen Dankbarkeitsübungen bei psychischen Problemen. Kann Dankbarkeit also die Lösung sein für persönliche Probleme und die Krisen dieser Welt?
Thorsten Dietz führt in diesem Vortrag aus, was Dankbarkeit überhaupt ausmacht, welche Bedingungen für echte Dankbarkeit zutreffen müssen und warum Dankbarkeit je nach Kultur und Epoche unterschiedlich funktioniert. Und er beschäftigt sich schließlich auch mit den großen Fragen: Kann man es auch übertreiben mit der Dankbarkeit? Was schulden wir Gott? Und müssen wir Gott überhaupt Dankbarkeit zeigen?
Gelassenheit | 13.7.1
In einer Zeit, in der die meisten Menschen durchs Leben hetzen, sich ständig erschöpft, unter Druck und überfordert fühlen, hat das Thema Gelassenheit allerhand Fans. Es gibt Ratgeber, Podcasts, Apps über innere Ausgeglichenheit, innere Ruhe, inneren Frieden und natürlich über Achtsamkeit. Der Trend zur plan- und lernbaren Gelassenheit scheint aus Asien zu kommen, doch auch in der Kirchengeschichte gab es Experten für Gelassenheit, allen voran der Dominikanermönch Meister Eckhart. Er predigte, das Müssen zu lassen, den Drang nach Besitz und Ansehen, den Druck, Gott und den Menschen gefallen zu wollen, sich sogar selbst ganz zu lassen.
Es ist eine Gelassenheit, die verlockend scheint, aber zur Realitätsflucht werden kann. »Man kann nicht alles wegatmen«, kritisiert daher Thorsten Dietz angesichts der Krisen dieser Welt und erklärt in seinem Vortrag auch, welche Art der Gelassenheit wir in der Gegenwart unserer Welt brauchen.
Trotzkraft | 13.7.2
In einer Zeit voller Krisen, Kriege und Krankheiten brauchen Menschen nicht nur Hoffnung, sondern auch etwas, worüber in den vergangenen Jahren immer mehr Ratgeber und Artikel erschienen sind: Resilienz. Auch bekannt unter dem eher unbekannten Begriff: Trotzkraft. In der Bibel kommt das Wort kein einziges Mal vor. Trotzdem findet die Theologin und Autorin Christina Brudereck einige Beispiele trotzkräftiger Menschen und erzählt anhand von Noah, Jesus und Hesekiel, wie wir lieben statt zu hassen, uns von Gott bewegen lassen und anderen Menschen eine Arche bauen – mit Worten und Taten.
Und fast nebenbei gerät Brudereck immer wieder ins Schwärmen über die Bibel, ein wahres Kunstwerk, in dem kein Buchstabe ein Zufall ist. Sie inspiriert nicht nur zu Trotzkraft, sondern ermutigt auch, sich müde und verletzlich zu zeigen, Räume zu schaffen für Tränen und Unsicherheit. Weil das Leben mehr Fragen aufwirft als Wünsche erfüllt. Und wir manchmal einfach trotzig weitergehen müssen.
Zuversicht statt Zweckoptimismus (Num 14,24 + 2 Tim 1,7) | 13.7.3
Wenn es scheinbar nicht mehr weitergeht, aber aufgeben nicht infrage kommt – was bleibt dann noch? Die Hoffnung, auch bekannt als Zuversicht. Was sie von Zweckoptimismus unterscheidet, beschreibt Andreas Malessa in diesem Vortrag anhand der Geschichte von Kaleb, Josua und der Landnahme. Es ist ein zeitloser Text, der vor allem zeigt, wie schwer es jenen gemacht wird, die Hoffnung haben. Hoffnung muss man erklären. Resignation nicht. Zurückgehen in eine schreckliche, aber vertraute Vergangenheit, scheint oft leichter und verständlicher als die Zuversicht, dass eine andere, bessere Zukunft möglich ist, wenn man sich nur weiter durch die Wüste kämpft. Anhand dieser jahrtausendealten Geschichten wirft Malessa Fragen für die Gegenwart auf: Stimmen uns Krisen eher düster? Oder sind sie Chancen, über die wir uns freuen können? Lohnt es sich zu träumen? Können Utopien und Tagträume wahr werden?
Dass Malessa nicht nur Theologe und Autor, sondern auch Hörfunkjournalist ist, das hört man. Unterhaltsam und beschwingt tanzt er mit Worten durch sein Thema. Und lässt die Hörerschaft zuversichtlich zurück.
Das Blaue vom Himmel – Wer verspricht denn sowas? (Mt 5,1-12) | 13.8.1
»Gratuliere, du bist arm. Und schwach, hungrig, traurig, juchhuu!« So in etwa lassen sich die Seligpreisungen aus dem fünften Matthäus-Kapitel verstehen. Glückselig sind offenbar alle, denen es schlecht geht. »Himmlisches Heiapopeia« soll Heinrich Heine zu den Seligpreisungen gesagt haben. Doch der, der da die Verzweifelten glückselig preist, wusste, wovon er sprach. Jesus: unehelich geboren, von seiner Familie missverstanden, von den Geachteten seiner Zeit verachtet, obdachlos, besitzlos, kinderlos, verraten, verhöhnt, verurteilt. Alles andere also als Heiapopeia und Glückseligkeit. Andreas Malessa, Theologe und Hörfunkjournalist, trägt die Seligpreisungen ins Hier und Jetzt, erklärt, an wen Jesus diese Worte gerichtet haben könnte und was sie uns heute noch zu sagen haben.
Die goldene Regel (Mt 7,12) | 13.5.3
Acht Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten, unzählige Kulturen, Weltanschauungen, Sprachen, Meinungen. Dass es da immer wieder Auseinandersetzungen gibt – im Sandkasten, im Parlament und zwischen Nationen – wundert kaum. Doch es gibt eine einfache Regel, die (fast) allen Menschen Frieden und Freiheit sichern, Verletzungen vermeiden und sogar Kriege verhindern kann. Wenn sich nur alle, vom Kleinkind bis zum Politiker, daran halten würden.
Siegfried Zimmer erklärt, welche Kultur diese Goldene Regel erfunden hat, wieso sich Menschen jeder Kultur und Religion daran halten können und warum sie trotzdem nicht auf jeden Menschen in jeder Situation angewandt werden kann.
Das Doppelgebot der Liebe (Mt 22,35-40) | 13.6.3
Die Sache mit der Nächstenliebe, das haben sich doch die Christen ausgedacht, nicht wahr? Vor Jesu Zeit auf Erden galt Auge um Auge, Zahn um Zahn, erst Jesus forderte die Menschen auf, etwas sanfter miteinander umzugehen. Am besten so, wie sie auch mit sich selbst umgehen (sollten). Richtig?
Falsch natürlich. Das Gebot der Nächstenliebe steht etwas unscheinbar in einem der Mosebücher zwischen dem Verbot der Rache und dem Verbot, verschiedene Tiersorten zu kreuzen. Jesus allerdings hat das Doppelgebot der Liebe daraus gemacht, denn nicht nur den Nächsten sollen wir lieben, sondern davor noch Gott.
Was so einfach klingt, darüber lässt sich viel erklären – und sogar streiten. Warum muss man den Nächsten lieben? Reicht nicht etwas Nettigkeit aus? Wie sollen wir Gott lieben? Und steckt im Doppelgebot der Liebe etwa ein dreifaches Gebot, nämlich auch sich selbst zu lieben? Oder soll man den Nächsten dagegen nur so sehr lieben wie man es selbst schafft, sich zu lieben?
Monismus und Dualismus – Unser Leben zwischen Liebe und Freund-Feind-Denken | 12.7.4
Gut und Böse, Freund und Feind, Gläubige und Nicht-Gläubige – es ist so einfach, die Welt in uns und die anderen einzuteilen. Der Dualismus ist das Weltbild jener, die es sich leicht machen, die nicht tiefer über das Leben und die Welt nachdenken wollen, denen so christliche Werte wie Barmherzigkeit und Gnade fern liegen. Es ist auch das Weltbild vieler Christen. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg, christlich-islamischer Familienvater und verheiratet mit einer Muslimin kennt die Vorurteile gerade gegenüber dem Islam. Umso vehementer spricht er gegen den Glauben an eine schwarz-weiße Welt. Gegen den Dualismus und stattdessen für das dialogische Zusammenleben in Vielfalt. Er leugnet nicht, dass Menschen Böses tun, dass es das Böse gibt. Doch, so betont Blume, alles ist miteinander verbunden, und wer an eine Gottheit glaube, solle sie als Quelle der Liebe erkennen. Es klingt so einfach und ist so schwer. Doch diese Weltsicht, die niemanden zum Feind erklärt, lässt sich erlernen.
Glaube und Sinnlichkeit | 13.9.1
Wir Menschen sind sinnliche Wesen: Wir riechen, schmecken, sehen, hören, fühlen. Ausgerechnet eine der größten Weltreligionen aber gilt als absolut unsinnlich. Das Körperliche scheint im Christentum keinen Platz zu haben. Wir sollen uns kein Bild von Gott machen, sollen der Welt entsagen, Leiden und Feinde lieben statt Freuen und Spaß haben.
»Stimmt alles nicht«, sagt Thorsten Dietz. Die Bibel erzählt von Menschen, die spüren, sehen, erleben. Das Wort wurde Fleisch, wir sollen schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist. Die Sinne sind entscheiden, nur mit dem Kopf glaubt es sich nicht gut. Wie intensiv wir glauben können, hängt auch davon ab, was wir fühlen, was wir im Glauben und mit Gott erlebt haben. Was passiert also in der sinnlichen Erfahrung? Wahnsinnig viel, sagt Dietz und führt durch eine kurze Geschichte der Ästhetik. Und damit hin zu der Frage, wie Kunst, Ästhetik und Sinnlichkeit helfen können, die Fremdheit Gottes zu entdecken.
Das hohe Lied der Liebe – der körperfreundlichste Text der Bibel | 13.9.2
Natürlich geht es in der Bibel um die Liebe. Rauf und runter: die Liebe Gottes zu den Menschen, zu seinem Volk, zu ganz bestimmten Menschen, die Liebe der Menschen untereinander, Nächstenliebe, Feindesliebe. Aber körperliche Liebe? Leidenschaft, Lust, Begehren? Das gehört sich doch nicht!
Oder?
Diese Vorstellung war in der Geschichte des Christentums zeitweises so absurd, dass Luther den Titel des sinnlichsten Texts in der Bibel so übersetzte, dass er an einen anderen Text erinnerte, in dem es tatsächlich nicht um die sinnliche, körperliche Liebe geht. So absurd, dass sich Theologen jahrzehntelang darüber stritten, ob der Text nicht doch anders gemeint sein könnte.
Siegfried Zimmer hat da keine Scheu, sondern sagt es ganz deutlich: Beim hohen Lied der Liebe im Alten Testament geht es um die körperliche Liebe, um Leidenschaft und Erotik. Nirgendwo sonst im Buch der Bücher wird dieses Thema so einzigartig, so intensiv besprochen, voller Metaphern, Andeutungen und Eindeutigkeiten. Zimmer erklärt, wer das »Lied der Lieder« verfasst haben könnte, was einige Bilder im Text bedeuten und wie Gelehrte immer wieder vergeblich versuchten, ausgerechnet diesen Text zu beherrschen.
Glaube und Gefühl | 13.10.1
Es scheint eher ein Phänomen aus anderen Kulturen zu sein: Menschen, die sich völlig im Gebet verlieren, voller Euphorie loben und preisen, die glauben, weil sie fühlen, dass da Jemand ist. Dort scheint es eine Selbstverständlichkeit zu geben, den eigenen Glauben zu fühlen.
Nicht aber in der westlichen Kultur, nicht im Hier und Jetzt. Man glaubt mit dem Kopf und betet mit halbem Herzen. Mit Ausnahme mancher frommer Gemeinschaften, in denen Gefühle aber bitte in der richtigen Dosierung zum richtigen Zeitpunkt stattzufinden haben: tiefe Freude bei Lobliedern, Tränen bei der Passionsgeschichte. So jedenfalls hat es Friedrich Schleiermacher erlebt, von dem Thorsten Dietz erzählt. Schleiermacher lebte im vielleicht spannendsten intellektuellen geistlichen Jahrhundert der Menschheitsgeschichte und hat selbst einen turbulenten geistlichen Lebenslauf hingelegt: Vom angehenden Prediger zum Religionskritiker zurück zur Religion. Und immer begleitet von der Frage, wie entscheidend Gefühle für den Glauben sind, wie sich die Religion retten lässt in einer Zeit, die immer ungläubiger wurde. Schleiermacher verband Intellektualität mit Gefühl. Und ist damit wohl heute so aktuell wie damals im 18. Jahrhundert.
Erlösungsspiritualität und Schöpfungsspiritualität | 13.10.2
Woran erinnern wir uns, wenn wir an unsere Kindheit denken? An die Einschulung mit der großen Schultüte vielleicht, an die Geburt eines Geschwisterchens, an das erste Verliebtsein – die großen Momente. Woran wir seltener denken, ist das tägliche Essen auf dem Tisch, die gewaschenen Kleider im Schrank, Hand in Hand mit dem Vater zum Kindergarten gehen. So funktioniert auch die Bibel. Sie erzählt von den großen Momenten, vom rettenden Eingreifen Gottes. Weniger von den allmählichen Vorgängen, vom stetigen Lenken des Schöpfers.
Siegfried Zimmer stellt hier die entscheidende Frage: Was ist wichtiger für unser Leben – die plötzlichen oder die allmählichen Vorgänge? In diesem Vortrag erklärt er, wie das Plötzliche und das Allmähliche in der Bibel gewichtet werden, warum das Staunen über die kontinuierlichen Vorgänge nicht nur für Kinder entscheidend ist und woran wir festhalten müssen, um unser ganzes Potential zu entfalten.
Glaube mit Leib und Seele | 13.11.1
David tanzte und sang, Salomo hatte Hunderte Frauen, selbst Jesus feierte noch – mit Alkohol! In der Bibel kommen körperliche Freuden immer wieder vor. Dann entwickelte sich das Christentum weiter und der Körper ging verloren. Körper und Seele wurden getrennt, der Körper verfiel vom Tempel Gottes zum schlichten Werkzeug, das zu funktionieren hatte – vor allem, wenn es der Körper anderer Menschen war. Erst mit der Reformation bekamen Körper und körperliche Arbeit ihre Würde zurück. Und heute, so sagt es Thorsten Dietz, wird das Leibliche wiederentdeckt.
Dieser Vortrag ist der dritte in der Reihe, eine Art Zusammenfassung, ein Überblick, in dem Dietz einen Bogen von der Bibel bis heute schlägt. Und feststellt, dass die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist. Nachdem der Körper in der Theologie und im Glauben neue Bedeutung erlangt hat, brauche es endlich eine Theologie des ganzen Menschen. Eine Theologie gegen rassistische Denkmuster. Und eine befreiende Theologie gegen Sexismus.
Körper, Musik und Seele | 13.11.2
Musik ist Bewegung und Energie, Wissenschaft und Hobby, Entspannung und Anstrengung, Musik zu machen, ob mit Instrument oder Stimmbändern, ist ein komplettes Workout. Für Seele und Körper. Musik ist alles mögliche und vor allem das, was man selbst will.
Was Musik alles ist, was sie im Körper bewirkt und in der Seele entfacht, das erklärt Susanne Hagen, Pianistin und Sängerin. Und zeigt es auch gleich am Klavier, begleitet von Andreas Wäldele an Violine und Mandoline. Auf eine besondere Form der Musik geht Hagen im zweiten Teil des Vortrags ein: das Singen. Denn wir alle tragen bereits ein Instrument in uns. Singen, ob man nun glaubt, es zu können, oder nicht, macht glücklicher, schlauer und gesünder. Umso schlimmer, dass immer weniger gesungen wird, findet Hagen und ermutigt nicht nur ihr Publikum, die eigene Stimme einzusetzen.
Jesus und die Frauen | 13.12.1
Jesus hat Frauen wie Menschen behandelt. Nicht als Mutter, Ehefrau eines anderen oder (potentielle) eigene Ehefrau und Sexualpartnerin. Sondern einfach als vollwertige Menschen. Ein unerhörtes und selten gesehenes Verhalten in der Antike.
Denn in der Antike, wie heute auch noch viel zu oft, galt der Mann als der eigentliche Mensch, die Frau als das andere Geschlecht, irgendwie nicht so ganz vollständig. Ihre Aufgabe ist es, für andere zu funktionieren. In der Antike hieß das: Hochzeit mit 14, erstes Kind kurz danach, mit 30 Oma oder vorher schon tot, denn so eine Geburt ist nicht ohne. Die Frau hatte zu funktionieren und zu gehorchen. Zu lernen oder gar mitzureden hatte sie nicht. Und dann kommt da Jesus und lehrt Frauen wie Männer, beantwortet die Fragen von Frauen, richtet seine ersten und seine letzten (aufgeschriebenen) Worte an Frauen. Und das auch noch völlig unabhängig von ihrem Stand in der Gesellschaft. Er redet mit Herrinnen und Huren, lässt sich von einer Unreinen berühren und macht eine Frau mit unmoralischem Lebenswandel zur ersten Missionarin unter Nicht-Juden. Siegfried Zimmer erzählt von unterschiedlichsten Begegnungen zwischen Jesus und Frauen, welchen Eindruck diese Begegnungen damals machten und was sie für uns heute noch bedeuten können.