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Luthers Verständnis des Glaubens | 7.6.2

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 1. Juli 2017 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

In manchen christlichen Kreisen werden zwei Aspekte immer wieder betont: »Gott beschenkt zwar den Menschen, aber der Mensch muss dieses Geschenk auch annehmen«. Und: »Der Gehorsam ist das Wichtigste. Es kommt darauf an, dass wir Gott gehorchen.« Beide Akzentsetzungen sind problematisch und führen schneller und häufiger als viele denken in gesetzliche Engstirnigkeiten. Das Annehmen eines Geschenks wird in den Vordergrund gestellt, nicht die Überraschung und Freude, die das Geschenk bewirkt. Und die Vorrangstellung des Gehorsams führt bei vielen Christen zu einem dauerhaft schlechten Gewissen und dem deprimierenden Ein-druck: »Ich bin Gott nicht gut genug. Ich könnte noch viel mehr tun, als ich tue.« Martin Luther vermeidet aus viel Erfahrung in seinem reformatorischen Verständnis des Glaubens diese beiden schiefen Akzentsetzungen: Siegfried Zimmer erläutert, dass das Geschenk Gottes selbst bei Martin Luther im Vordergrund steht und bewirkt, wenn es in seiner Größe und Schönheit zum Leuchten kommt die Annahme im Menschen. Der Mensch wird dann freudig und spontan zugreifen. Dieses Zugreifen ist aber keinerlei Verdienst, auf den der Mensch sich etwas einbilden kann. Denn nicht der Gehorsam steht bei Luther im Vordergrund, sondern der Glaube, der in erster Linie ein Vertrauen ist. Je tiefer das Vertrauen zu Gott ist, desto leichter kommt der Gehorsam von ganz allein. Er ist eine Frucht des Vertrauens.
Diese reformatorische Freiheit gewinnt Luther durch die Vorrangstellung des Wortes vor dem Glauben. Das Wort der Zusage hat für ihn eine schöpferische Kraft und diese schöpferische Kraft verhilft dem Menschen zum Glauben. So wird Gott geehrt und nicht der bekehrte Mensch.

28. Juli 2022

Gotthold Ephraim Lessing – Bibelkritik in der Aufklärung | 11.13.1

Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du nicht frei sagen kannst, was du denkst. Im schlimmsten Fall kommst du für unerwünschte Aussagen ins Gefängnis, oder du verlierst nur deine Arbeitserlaubnis, wirst gemieden und ausgelacht. Nicht schön. Gotthold Ephraim Lessing lebte im falschen Land zur falschen Zeit, um geradeheraus zu schreiben, was er dachte. Also schrieb er verschlüsselt, schrieb Nathan der Weise und Emilia Galotti. Er war clever, versteckte, was er wirklich dachte, in Theaterstücken. „So raffiniert, dass er manchmal wahrscheinlich selber nicht wusste, was er dachte“, sagt Thorsten Dietz. In seinem Schlüsselvortrag über die Bibelkritik in der Aufklärung, erklärt er zentrale Weichenstellungen im 18. Jahrhundert, die uns bis heute betreffen. Anschaulich, aber anspruchsvoll beschreibt er das Leben Lessings, seine Lehren und den großen Streit unter Gelehrten, in dem Lessing die Hauptrolle spielte. Denn er war nicht nur Theaterautor. Er war auch Bibliothekar. Und eines Tages, irgendwann um das Jahr 1777 herum, fand Lessing Texte von Hermann Samuel Reimarus. Echtes Dynamit, das merkte Lessing schnell. Texte, die den gesamten christlichen Glauben infrage stellten. Echtes Plutonium in einer Zeit, in der ohnehin noch Glaubenskriege tobten. Lessing veröffentlichte die Texte. Und entfesselte damit einen Streit, der unser Verständnis von Glaube und Geschichte bis heute prägt.