Evangelische Kirche und Homosexualität, das ist das Thema für diesen ersten Vortrag. Jetzt  könnte man sagen, evangelische Kirche, also gibt es denn da nicht gerade Spannenderes,  könnte man nicht über katholische Kirche oder über evangelikale Bewegung. Es ist kein Glück,  mittendrin zu sein, wenn so ein Thema richtig heiß gekocht wird. Also es ist manchmal auch  ein Vorteil, sich etwas anzuschauen, wo es nicht mehr so heiß ist, wo es nicht mehr so  hoch gekocht wird. Und das ist in den meisten evangelischen Kirchen der Fall. So, dann könnte  man fragen, evangelische Kirche, vielleicht Theologie und Homosexualität, warum nicht,  was sagt die Bibel dazu? Dazu wird es einen zweiten Vortrag geben, ja, Bibel und Homosexualität. Und
Auslegung der Bibel gibt es nie jenseits der Zeit, jenseits der eigenen Debatten. Jede  Schriftauslegung hat ihren Kontext. Und um den heutigen Stand der Exegese, der Schriftauslegung,  kennenzulernen, tut es, glaube ich, schon gut zu gucken, wie war denn die Entwicklung in den  letzten 70 Jahren? Das ist so der Zeitraum, den ich betrachten möchte, Entwicklung innerhalb  der evangelischen Kirche in den letzten 70 Jahren. Was habe ich vor? Ich möchte weit überwiegend  erzählen und berichten. Ich möchte berichten, wie es in dieser Frage immer wieder zu Veränderungen  gekommen ist. Und jetzt nicht nur so Kleinveränderungen, sondern wo man richtig  sagen kann, da hat sich das Paradigma verändert, die Perspektive, der Grundzugang, der ist anders  geworden. Und wie kam es dazu? Wie kam es dazu, dass so richtig große Umbrüche stattgefunden
haben in der evangelischen Kirche? Das möchte ich erzählen, dem so ein bisschen nachspüren,  theologisch, biblisch, und wir werden damit einigermaßen bis in die Gegenwart kommen. So,  und jetzt springen wir mitten rein. Wir fangen an in der Schweiz bei Karl Barth. Irgendwo muss  man anfangen, ich glaube, das ist aber ein ganz guter Ort. Karl Barth, einer der bedeutendsten  Theologen des 20. Jahrhunderts, für alle möglichen Fragen eine Art ständige Referenz,  auf die man sich bezieht. Ein Kirchenvater für viele Fragen, hat zu fast allem Stellung genommen,  auch zum Thema Homosexualität und das vor knapp 70 Jahren im Rahmen seiner kirchlichen Dogmatik.  Und da hören wir jetzt mal rein, ein bisschen Originalton, was man 1952 so schreiben konnte.  Barth schrieb da, Homosexualität ist eine physische, psychische und soziale Krankheit,  die Erscheinung der Perversion, der Dekadenz und des Zerfalls. Homosexualität ist eine letzte
Konsequenz aus der Verkennung Gottes, folgt die Verkennung des Menschen, folgt jene Humanität ohne  den Mitmenschen, folgt, da Humanität als Mitmenschlichkeit in ihrer Wurzel, als Mitsein  des Mannes und der Frau zu verstehen und zu gestalten wäre, als Wurzel solcher Inhumanität,  das Ideal einer frauenfreien Männlichkeit und einer männerfreien Weiblichkeit. Daraus folgt  endlich die korrupte geistige und schließlich auch noch die korrupte physische Lust, in der  in einer Geschlechtsbeziehung, die keine ist, noch sein kann, der Mann im Manne, die Frau in der Frau,  so etwas wie den verschmähten Partner nun dennoch suchen zu müssen und finden zu können meint.  Aber das ist fast zu selbstverständlich, als dass es ausdrücklich festgestellt werden müsste,  hoffentlich im Wissen um Gottes Gebot, aber auch um seine sündenvergebende Gnade werden hier der
Arzt, der psychotherapeutisch geschulte Seelsorger und zum Schutz gefährdeter Jugend auch der  Gesetzgeber und Richter ihr Bestes tun müssen. Das entscheidende Wort der christlichen Ethik  aber muss in der Warnung vor den Betreten des ganzen Weges bestehen, der dann in konkreter  Homosexualität sein bitteres Ende finden kann. Das Gebot Gottes deckt ihm in hellem Widerspruch  zu seinen eigenen Entdeckungen unweigerlich auf, dass er als Mann gerade nur mit der Frau,  als Frau gerade nur mit dem Mann zusammen echt Mensch sein kann. In dem Maß, als er sich diese  Aufdeckung gefallen lässt, wird die feine und grobe Homosexualität bei ihm keinen Raum haben können.  1952, ich glaube er hat Nein gesagt, er war dagegen, das hat man schon gemerkt. So, das ist aus heutiger  Sicht klingt das krass, klingt nach starken Tobak. Was gab es denn da für Reaktionen? Gab es da
Kongresse, gab es da Petitionen, gab es Proteststürme? Nö, es gab mehr oder weniger nichts. So, also das  war so, wurde abgedruckt, auch in Auswahlausgaben wurde zitiert, wurde als sehr normal empfunden.  Was Karl Barth hier beschreibt, ist nicht irgendeine spezifische bathianische Sicht, es ist ja die Sicht  seiner Zeit. Sie ist aus heutiger Sicht auch ein bisschen verstörend, so weil man merkt,  Homosexualität ist vielerlei Falsches und Schlechtes. Krankheit wird gesagt, Perversion,  Dekadenz, Sünde, Schuld, so und es ist immer so eine Mischung, der Gesetzgeber und der Richter  soll da was machen, der Arzt und der Seelsorge und das entscheidende Wort ist die Warnung,  geh gar nicht in diese Richtung, lass dich nicht drauf ein, der Mann wird nur mit einer Frau
Erfüllung finden können, die Frau nur mit einem Mann. Diese Gegengeschlechtlichkeit ist ja ein  Wesen des wahren Menschseins und wer nicht in diesem gegengeschlechtlichen Gegenüber Liebe und  Partnerschaft finden möchte, der verfehlt sein Menschsein insgesamt, der ist auf einem großen,  schwerem Irrweg. So, das ist eine sehr verbreitete und vielfach variierte Position, für die Barth auch  gar nicht viel Platz braucht und wer in der damaligen Zeit sich andere Ethiken anschaut,  das Thema fehlt oft auch ganz oder wird sehr vergleichsweise abgehandelt. Wir bleiben mal in  der Schweiz. In der Schweiz ist Homosexualität bereits seit 1942 nicht mehr strafbar, Deutschland  ist in vielen Entwicklungen auch spät dran, also wenn man ein bisschen nach Norden, Süden, Westen
schaut, ist Deutschland eigentlich immer den meisten Nachbarländern von Dänemark, Niederlande,  Schweiz hinterher. So und es gibt in der Schweiz nun einen Mann, einen Theologen, der sich um dieses  Thema in besonderer Weise gekümmert hat, Theodor Bové, weiß nicht, ob man den noch kennt,  wahrscheinlich nicht, war ein Bestsellerautor seiner, der damaligen Zeit, war jemand so an  der Kreuzung von medizinischem Wissen, seelsorgerliche Kompetenz, theologischer  Kompetenz, hat viele Ehebücher geschrieben, allein seine Ehelehre, ich habe ein Exemplar,  da steht drauf, Gesamtauflage 700.000, ich denke, er wird in Deutschland mitgekauft,  verkauft haben für die Schweiz allein, wäre schon arg krass, also Millionen Auflage insgesamt  seines Werkes und sehr viel eben Ehebücher, er war in Zürich in Basel teilweise Leiter der  christlichen Eheberatung und kannte sich da sehr gut aus. So 1959 gibt Bové ein Buch heraus und das
ist nun sehr interessant, es ist ein Buch über Homophilie, so nennt er es, von ihm stammt nur  das Vorwort und in diesem Vorwort schreibt er, homophilen Menschen ist in der Vergangenheit  gerade auch von christlicher Seite sehr viel Unrecht getan worden. Schon wie über sie geredet  wird, wie sie als Homosexuelle abgestempelt oder gebranntmarkt wird, ist eine ganz komische,  ja schiefe Wahrnehmung ihres Lebens, man sollte im Grunde davon wegkommen, fast von homosexuell  zu reden, warum es geht diesen Menschen gar nicht um Sex an und für sich, so es sind im Grunde  Menschen wie wir, so es geht ihnen um Liebe, um Beziehung, es geht ihnen um ein Gegenüber. Es will  heißen, Zitat, das was sie für das gleiche Geschlecht empfinden ist dasselbe wie das was die
meisten Menschen für das andere Geschlecht empfinden und es geht ihnen gar nicht darum jetzt Sex haben  zu wollen mit dem gleichen Geschlecht, sondern es geht um Anziehung auf geistiger, seelischer,  erotischer und sexueller Ebene. Es geht gar nicht um ein bestimmtes tun, was sie auszeichnet,  es ist ein Anderssein ihrer ganzen Person. Die sind, so wie wir, aber andersrum, sagte man eine  Zeit lang, und das jetzt aber so hören zu lernen, im Wesentlichen wie wir, so wie wir für das andere  Geschlecht empfinden, empfinden sie eben für das eigene. So und dann ist das ganze Spektrum möglich,  natürlich gibt es da Menschen, die sexuell haltlos und ruhelos werden, aber es gibt auch welche,  die in treuer Liebe einander hingeben, es gibt auch welche, die asketisch leben oder es gibt das  ganze Spektrum. Und Bouvet schreibt das nur so in einem Vorwort und sagt, das Wichtige ist, dass wir
sie mal hören, wir reden über sie, wir machen uns da Gedanken, wir sind entrüstet, wir sind angeekelt,  das ist alles, man sollte da gar nicht darüber reden und urteilen, wenn man die Menschen nicht  zu Wort kommen lässt. Ein Großteil des Buches besteht dann aus Zeugnissen, Erzählungen und  Geschichten. Es gab in der Schweiz eine Gruppe, die hieß Der Kreis, homosexuell empfindene Menschen,  die sich getroffen haben. Bouvet hatte Kontakt, kannte da viele und hat da sich Dinge zusammensstellen  lassen und das mit herausgegeben als Bestsellerautor, um überhaupt mal Menschen die Chance zu geben,  hört es doch mal aus erster Hand. Bouvet hat dann mehrfach nachgelegt, 1962 schreibt er eine  Ehelehre über alles, so über alle Fragen, die damit zusammenhängen und es gibt eben dann auch  ein 20-seitiges Kapitel über gleichgeschlechtlich Liebende und Bouvet stellt sich hier auch der
Frage und sagt, ja ist das hier eine Perversion, ist es eine Fehlform, ist das irgendwie etwas,  wo Ärzte und Therapeuten was klar kriegen können. Bouvet hat sich damit beschäftigt und so und sagt,  also nach seiner breiten Erfahrung, vielen Gesprächen, eine Behandlung hat hier wenig  bis kein Aussicht auf Erfolg. So diese Idee, man könnte das therapieren, da sieht er keine  Grundlage für. Er hat sich dann auch viel umgehört, es gab natürlich damals auch Menschen,  die gesagt haben, doch ich war so und ich bin geheilt worden. So und Bouvet sagt also, ja er  hat mit vielen gesprochen, letztlich auf Nachfrage war am Ende schon immer der Eindruck, es gab  Menschen, die für beide Geschlechterempfindungen hatten, davon erschrocken und getroffen genug waren,  dass das bei ihm so war und sie haben es für sich klar bekommen, ihre eigene Bisexualität jetzt  nicht zu akzeptieren, sondern zu sagen, ich fokussiere mich ganz auf das gegengeschlechtliche
Begehren und möchte im Grunde lernen, gleichgeschlechtliche Anziehung in irgendeiner  Weise zu schwächen oder nicht leben zu lassen oder da Fantasien im Ansatz immer schon zu  unterbinden und Bouvet sagt, gut, das ist aber eine andere Situation, also so was gibt's,  das ist wohl möglich, ansonsten sollte man aber hier niemandem Hoffnung machen, die die richtige  Therapie könnte das in irgendeiner Weise in den Griff kriegen. Bouvet schreibt, der Homophile  folgt seiner ureigenen Natur, wenn er Menschen des gleichen Geschlechts faszinierend findet,  begehrenswert, prickelnd, erotisch, anziehend, so dann ist das einfach seine Seinsart, so ist er  als Mensch, so und er ist auch in der Lage das ganze Spektrum auszufüllen, so er ist auch in
der Lage Bindung zu kultivieren, es wird ihn halt sehr erschwert, weil in der Schweiz war es nicht  verboten, in Deutschland war es aber verboten, zum Beispiel in der damaligen Zeit noch, es ist  sehr schwer Verbindlichkeit, Treue, Verlässlichkeit zu leben in einem Umfeld, in dem null Unterstützung  denkbar ist, sondern alles letztlich in eine Art Heimlichkeit und Untergrund abgeschoben ist,  das ist dann natürlich wirklich wirklich nicht einfach. Bouvet hat dann noch ein Buch dazu  nachgelegt, ein Sammelband mit verschiedenen Studien, so und bekam Gegenwind. 1963 zum Beispiel  gab es so eine Art Deutsch-Schweizer Kirchentag in Basel und damals wurde dann in der Zeitung  ein Aufruf gestartet, gestartet, zwei Pfarrer haben den gezeichnet, gab viel Unterstützung,  die sagten wir protestieren dagegen, dass Theodor Bouvet da auftreten und reden darf,
er ist irgendwie bei Kirchens angestellt, aber er missbraucht seine Vertrauenstellung,  die er hat, indem er wirbt für eine Lebensform, die wir als lasterhaft und pervers und sündhaft  einschätzen. So in diesem Aufruf hieß es dann, wir fragen die Eltern und Behörden unseres Landes,  ob es ihnen gleichgültig ist, wenn unsere Jugend von Lehrern, Pfarrern und Offizieren erzogen wird,  die homosexuell oder zügellos leben. Es ist Aufgabe der Kirche, sowohl der Theologen wie der  Leyen hier Einhalt zu gebieten und daran festzuhalten, dass in Christus Sieg über jede  Sünde gegeben ist. Wir verlangen deshalb, dass Dr. Bouvet die Gelegenheit entzogen wird, als  anerkannter Lehrer der Kirche in diesen Fragen aufzutreten. Das war die damalige Stimmung und  dann gab es große Diskussionen, Zeitungen, Leserbriefe, teilweise im Internet noch zu finden,  kann man sich so ein bisschen anschauen und man sieht hier diese Sicht, es ist Sünde, es ist
Laster, es ist gefährlich, es gefährdet die Jugend. Was dabei interessant ist, es sind eine Reihe von  Menschen gewesen, die vom Umfeld geprägt haben, Gruppenbewegung, moralische Aufrüstung, Frank  Buchmann, also eine geistliche Strömung, die von der Heiligungsbewegung angeregt war, so eine  erweckliche, evangelikale, pietistische Gruppe. Auch Bouvet hatte ursprünglich starke Anregungen  aus dieser Gruppierung. So, also er, ganzen Begriffe von liberal konservativ sind immer ganz  schwierig auf so Leute, bei Karl Barth ja auch. Bouvet stammt eigentlich so aus demselben  Hintergrund und da gibt es eben das, diese Spektrum, wo manche das total ablehnen, so und Bouvet aber  nach vieler Beschäftigung sagt, diese ganzen Begrifflichkeiten, als wäre das so irgendeine  Tatsünde oder ein unmoralisches Tun, was man auf Aufforderung hin unterlassen kann, das stimmt so
nicht. Es geht hier nicht um ein bestimmtes Verhalten, was man moralisch disqualifizieren  kann als böse und gefährlich, es geht um Menschen. Es geht um Menschen, denen wir gerecht werden  müssen und denen wir bitter Unrecht tun, wenn wir sie halb für krank und halb für böse erklären.  Es gab damals auch einiges an Unterstützung. Einer, der sich zum Beispiel stark hinter Bouvet  gestellt hat, war Eduard Thurn Eisen, praktischer Theologe in der Schweiz, sehr bekannt als früher  und lebenslanger Freund von Karl Barth, einer, der in Seelsorge, Wort Gottes Theologie, sehr stark  profiliert war und setzte sich in einem großen Leserbrief 1963 für Bouvet ein, da schreibt er,  gerade aus der christlichen Verantwortung, Herr Haus, möchte Bouvet diese Menschen von der
kirchlichen Gemeinde aus betreut und getragen wissen, damit sie aus ihrer seelischen Vereinsamung  herausgerissen werden. Die Homosexualität ist eine Erscheinung, die nicht aus der Welt geschafft  werden kann. Es geht nicht an die Homosexualität einfach als Sünde zu bezeichnen. Man kann keinesfalls  sagen, ein Homosexueller würde, stünde er bloß im rechten Glauben von seiner homosexuellen  Triebrichtung befreit. Ein solcher Standpunkt ist reines Pharisäertum und hat weder mit Christentum  noch mit Moral etwas zu tun. Das ist also Schweizer Debatte 1963 zur Vereinsamung. In der Tat, es reden  hier sehr viele Menschen über diese Leute. Es gibt so gut wie keine im heutigen Sinne Geouteten. Es ist  eine Gesprächslage, wo die nicht vorkommt, wo man sie nicht hört, wo man sie nicht sieht. Auch die  Zeugnisse, die Bovet in dem Buch abgedruckt hat, waren alle anonymisiert, weil es Menschen waren,
die waren Lehrer, die waren Ärzte, die waren alles Mögliche. Und die sagten, okay, es ist ja in der  Schweiz nicht mal strafrechtlich verfolgt, aber es ist sozial eine Katastrophe. So als Lehrer,  wenn die Schüler, wenn die Eltern sagen, was der Schwul, so das wollte sich keiner antun. So,  das heißt für die meisten Menschen waren diese Leute schlechthin unsichtbar. Und es war unendlich  schwer, sich hier irgendwie sichtbar zu machen. Es gibt in diesen Texten dieser Gruppe der Kreis so  einen Bericht, den fand ich schon bewegend und bedrückend zugleich. Da schreibt ein junger Mann,  er hat irgendwann an sich gemerkt, dass er so ist, dass er angezogen wird vom gleichem Geschlecht,  christliches Haus, christliche Eltern, großbürgerlich und so. Und für die Eltern wäre das  null gegangen und er litt daran. Und dann hörte er, dieser Theodor Bovet, der sieht das anders,
der sagt, das können wir so nicht machen, da müssen wir uns ändern. Und eines Tages sagten  die Eltern, ach, am Wochenende kommt übrigens bekannte Persönlichkeit, Theodor Bovet, christlicher  Seelsort, so ein Kaffee kannst du auch gern mit dabei, ist wirklich ein interessanter Mensch,  kann man sich mal anhören. So, und der Mann schreibt dann, er hatte so die Hoffnung, dass er dann  irgendwie die Möglichkeit kriegt, dem mal zu sagen, ja, und Herr Bovet, und Sie haben da was über  homophile Menschen geschrieben und ich möchte Ihnen danken, weil ich auch so empfinde. Und ich  habe es noch niemandem gesagt. So, und er hat sich das irgendwie so vorgenommen, weil er sagte, das  ist der einzige Mensch, bei dem ich Gott sei Dank weiß, wenn ich dem sage, wie ich bin, wird er mich  nicht verurteilen. Der einzige heterosexuelle christliche Mensch, den meine Eltern sogar  sehr respektieren so als Ehretgeber. So, und Bovet war da und er war nett und die Eltern waren höflich
und man sprach und man diskutierte und am Ende war Bovet gegangen und er hat sich nicht getraut.  Er hat sich nicht getraut, obwohl er wusste, dass das der einzige ist, der ihn nicht verurteilen  würde. Er hat es nicht geschafft. Er hat es nicht geschafft, weil es so tief drin setzte. Das ist  nicht sagbar. Das kannst du nicht äußern und deine Eltern, die werden sich von diesem Schock  nie wiederholen und dein Leben wird so anders sein danach. Er blieb im Schweigen, er blieb im  Untergrund und hat viele, viele Jahre einfach noch so anders versucht, damit umzugehen. Ja, wir hatten  gerade gehört, Thurn Eisen ist einer derer, die gesagt haben und Bovet hat recht. Es ist Zeit  gewesen mal für so einen Vorstoß. Bovet durfte dann auch reden, diesen Kirchentag so. Es war weit  entfernt von, wie wäre es mit Ehe für alle so. Es geht überhaupt erst mal darum zu sagen, es sind  keine Bösen, keine Kranken, keine Beversen. Es sind Menschen. So Menschen wie wir. Thurn Eisen war,
wie gehört, Freund von Karl Barth. Damit haben wir ja angefangen. Er hat Thurn Eisen dann den  Kopf gewaschen bekommen von Karl Barth. Was er denn da jetzt ausdrücklich sagt, wo doch Barth in  seiner kirchlichen Dogmatik festgestellt hätte. Es ist Perversion, es ist Dekadenz, es ist Zerfall,  es ist Sünde, es ist Schuld. So Menschen haben an Barth geschrieben. Mitte, Ende der 60er Jahre,  Barth war gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe, hat die kirchliche Dogmatik zu schreiben inzwischen  eingestellt die letzten Jahre. So, aber er bekam Briefe nach wie vor viel, unter anderem mit der  Frage, wie er sich denn dazu verhält, dass selbst sein Freund Thurn Eisen jetzt solche Vorstöße  irgendwie in Schutz nimmt. Ja, es ist ein Brief erhalten, den Karl Barth seinem Assistenten  diktiert hat, Eberhard Busch. Eberhard Busch, Sohn von Johannes Busch, also Neffe von Wilhelm Busch,
so im deutschen Pietismus sind das sehr bekannte Namen. Und Barth lässt schreiben auf diese Frage  hin, er diktiert, nein, also er muss sagen, was er da 1952 geschrieben hat, das zieht er zurück,  das sieht er so nicht mehr. So, er sagt, diese Frage müsste man im Grunde ganz neu aufrollen,  man müsste diese Frage im Gespräch mit Medizinern und Psychologen entwickeln zu einer neuen  Beurteilung und neuen Darstellung des Phänomens. Das Ganze wird nochmal dargestellt, Eberhard Busch  hat später da ein dickes Buch geschrieben, Meine Zeit mit Karl Barth, er kommt darauf nochmal  ausdrücklich zu sprechen, er hat diesen Brief im Namen Barth geschrieben und er hat protokolliert  das Gespräch mit Barth. Barth habe ihm im Gespräch gesagt, nein, was er da geschrieben hat in der  geligen Dogmatik über Homosexualität, jetzt 1967 oder so, müsse er sagen, das geht gar nicht mehr,  Zitat wörtlich von Barth, das sei einer der Schnellschüsse, von dem ihm einige gerade in
diesem Band unterlaufen seien und dahinter stünde auch keine nähere Beschäftigung mit dem Thema.  Er hat im Grunde versucht zu schreiben, was er so dachte oder was man so dachte, so und die  Auseinandersetzung der letzten Jahre, Beschäftigung mit Bowe, was Thurn Eisen ihm sagt, habe ihm gezeigt,  man müsste hier echt nochmal zu einem neuen Anfang kommen, hier müsste man deutlich Hilfreicheres  sagen, hier ist es Zeit für eine Öffnung in dieser Frage. Er schreibt nicht mehr, er wird das nicht  mehr schaffen, aber für die nächste Generation wird das eine Herausforderung sein. Ja, das war  so ein erster Kreis 50er, 60er Jahre und es ist die Zeit, wo man über die Menschen schreibt,  so in der Regel, es nicht kennt, wenig darüber weiß, in einer Welt lebt, die ihre alte  Überlieferung hat, dass es Sünde ist, dass es Schuld, dass es alles so nicht geht. Man könnte
jetzt gleichzeitige Entwicklungen in England nachzeichnen, England hat in den 50er Jahren  eine intensive Beschäftigung damit, es gab damals stark angestiegene Zahl von Verfolgungen,  von Verurteilungen, es wurde ein großer Report aufgegeben, ein wolfenden Report. Es war in  England interessant, dass gerade die Anglikanische Kirche damals stark gesagt hat, wir müssen weg  von dieser überlieferten Form der Verurteilung, der Ächtung, die Strafbarkeit und die strafrechtliche  Verfolgung dieser Menschen ist aus heutiger Sicht falsch, weil es ist nichts, was in dieses Muster  hineinpasst, es sind Verbrechen, es ist irgendwie, man könnte es auch lassen, man kann rauskommen  aus dem Stehlen, aus dem Lügen, aus dem Betrügen und aus dem homosexuellen Handeln, es geht um  Menschen. So, es gibt Menschen mit einer homosexuellen Prägung, die konstitutionell homosexuell sind,
das gibt es in allen vergleichbaren Dingen, die wir im Strafgesetzbuch haben, so eben einfach nicht  und insofern müsste man hier nochmal neu anfangen. So, wir kommen nach Deutschland. Wie hat sich in  Deutschland die Diskussion entwickelt? Es ist ziemlich mühsam und schwierig, überhaupt halbwegs  gründliche, ausführliche Beschäftigung mit dem Thema in Deutschland zu finden. Als Thema in  neuem Verständnis ist es ja auch ja was Modernes. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entsteht dieses  Konzept, so wo man nicht sagt, es gibt bestimmte Formen der Sünde, die man Sodomie genannt hat,  so bestimmte Verhaltensweisen, die falsch, pervers, sündhaft und schuldhaft sind, so, sondern es gibt  Menschen. So, da gibt es schon Anfang des 19. Jahrhunderts erste Überlegungen. Zweite Hälfte
Ulrichs ist jemand, der das als Erster im Grunde in Deutschland sehr stark beschreibt. Es gibt dann  eine nicht mehr abreißende Theorieentwicklung dazu. Magnus Hirschfeld ist hier ein sehr wichtiger  Vertreter, auch jüdischer Sexualwissenschaftler wird 33, alles verboten dazu. Es ist so gut wie  gar nichts greifbar an theologischer und kirchlicher Auseinandersetzung mit diesem ganzen Feld. Man ist  noch sehr, sehr lange befangen in einer Logik, wo man sagt, ja, aber dieses Verhalten ist schlecht.  Diese Taten sind Sünde und dass es um Menschen geht, ist im Grunde in Deutschland eine Nachkriegsentdeckung.  Es gibt 1966 interessanter Text, Hans Bulewski, der das so ein bisschen sagt. Er sagt, die  Sexualmoral ändert sich. 1966 stellt er es fest und wir haben hier als Kirche und Theologie im Grunde
zu konstatieren, wir machen gerade keinen frischen Eindruck. Wir sind auf dem falschen Fuß erwischt,  weil Dinge entwickeln sich, so entwickeln sich raus aus unseren Bewertungsmustern und er sagt,  also ganz sicher ist, dass wir etwas versäumt haben. Er sagt, es ist offen, was wir versäumt  haben. Die einen sagen, wir haben begründeten Widerstand versäumt, die anderen sagen, wir haben  begründete Anpassung versäumt, aber darin sind sich alle einig. Sachen entwickeln sich, Lebensformen  entwickeln sich und die Kirche wirkt sprachlos. Er sagt, wahrscheinlich ist es beides. Wir haben  lange Zeit bestimmte Normen, bestimmte Beurteilungen hochgehalten, da waren wir uns ganz sicher und haben  darüber hinaus die Wirklichkeit aus den Augen verloren. Und jetzt ist unsere Aufgabe überhaupt
erstmal die Wirklichkeit anzusehen, die Wirklichkeit zu verstehen, die Menschen zu verstehen, die da  sind und uns ganz schlicht die Frage zu stellen, was ist ihre Wirklichkeit, was ist die Realität.  Dann können wir überhaupt erst neu schauen, müssen wir unsere Ethik, was weiß ich, Richtung  Widerstand oder Richtung Lernen umstellen, aber wir müssen überhaupt erstmal sprachfähig werden.  Es gibt lange Zeit wirklich nichts, was man da finden kann. Es gibt 1962 ein Sammelband,  evangelische Theologie, wo mehrere Theologen, damals alles immer Männer, hilft keine inklusive  Sprache, also lauter Männer das irgendwie behandeln. Sehr interessant 1962, einer der sich damit  beschäftigt ist Köberle. Köberle ist ein pietistischer Theologe, Schüler von Karl Heim,  der bedeutendste pietistische Theologe der damaligen Zeit und er guckt sich das alles an,
hat inzwischen auch die neuen Sachen gelesen, die es da so gibt, Ernst Giese, wichtiger Name,  Sexualwissenschaften, Bouvet in der Schweiz hat da vorgelegt. Köberle sagt, ja, also offensichtlich  müssen wir uns erstmal dem Phänomen stellen. Es gibt Menschen, wo die gleichgeschlechtliche Liebe  tief in ihrem Wesen angelegt ist und da muss man einfach mal behutsam differenzieren. Es war damals  üblich zu sagen, es gibt unterschiedliche Formen gleichgeschlechtlicher Sexualität, es gibt ja das,  was man so hört im Gefängnis, schlimme Verhältnisse, manchmal auch auf hoher See oder  in Männerbündischen Kisten im Militär oder so, wo im Grunde Menschen gewissen Überdruck  aneinander abreagieren und manchmal da auch einander erniedrigen und quälen und all so Sachen
und sowas gab es immer quer durch die ganze Geschichte. Das sind ja aber Menschen, die in  der Regel, wenn sie frei sind oder wieder zu Hause oder bürgerliches Leben, sich mal schütteln und  gucken, ob sie heterosexuell heiraten und Kinder kriegen und das wurde in der damaligen Diskussion  genannt uneigentliche Homosexualität. Uneigentlich, weil hier Menschen ein bisschen irgendwie aus Not  oder aus Gelegenheit oder aus Übermut oder sonst wie tun, so davon aber abgehoben wird. Es gibt  Menschen, für die das nicht irgendwas ist im Gefängnis oder auf hoher See oder so, sondern es  gehört zu ihrem Wesen. Sie können sich gar nichts anderes vorstellen. So Männer, für die Frauen  völlig undenkbar Intimpartner sind. Klammer auf, weibliche Homosexualität ist viel, viel, viel  weniger Thema auch in der öffentlichen Diskussion. In deutschem Gesetz war es ja auch so, verboten
war allein die mann-männliche Homosexualität. Gab da immer mal Diskussionen drum, wo dann aber  auch gesagt wurde, ja aber mit Frauen. Man hört, da ist was, aber wir kriegen nichts mit, gar nichts  irgendwo. Bei Männern kriegt man irgendwie mal was mit, irgendwie, dass da öffentliches Ärgernis  oder Straßenstrich oder sonst wie bei Frauen, die sind wie unsichtbar. Darum ist es mehr oder  weniger unvermeidlich. Die meisten Diskussionen haben in der Regel mann-männliche Homosexualität  vor Augen. Die war strittiger, die war sichtbarer, die wurde viel stärker ins Visier genommen.  Weibliche Homosexualität war ganz lange im Schatten davon so und wurde weniger wahrgenommen.  So, Köberle sagt, wir müssten uns damit beschäftigen und er sagt, es gibt heute verschiedene  Haltungen. Es gibt noch die, die sagen, Sodomie, es ist Sünde, es ist ein Verbrechen, es gehört  bestraft. War ja auch 1962 noch die Gesetzgebung. Es war noch strafbar, man muss auch dazu wissen.
Es wurde 1872 im BGB strafbar, so neues Reichsgesetz, so und wurde dann immer wieder  übernommen, Weimarer Republik. Es wurde 1935 im Nationalsozialismus verschärft, so dass bis fünf,  bis zehn Jahre Zuchthaus verhängt werden konnte. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die  nationalsozialistische Version bis 1969 beibehalten. In der DDR wurde es bereits 1950 wieder zurückgeführt  und deutlich ermäßigt, so, aber Bundesrepublik Deutschland war sehr konservativ in dieser Frage  und hat lange noch eine ziemlich rigide rechtliche Position auch hochgehalten. Köberle sagt 1962,  das ist nicht mehr an der Zeit. Wir wissen zu viel, es ist im Strafgesetzbuch ja als eine Straftat,
wo im Grunde wir erwarten, so wie Menschen das Lügen, Stehlen, Klauen, Morden auch mal einstellen  kann, weil es zu niemandes Natur gehört, so könnten die es auch. Das ist aber auf das,  was uns heute vor Augen steht, konstitutionelles Empfinden bestimmter Menschen, die gar nicht anders  können. Dafür ist das nicht brauchbar. So Köberle sagt, es gibt inzwischen einige, die sagen,  vielleicht müsste man es einfach anerkennen, vielleicht müsste man sagen, es gibt solche,  es gibt solche. So und andersrum ist auch nicht schlechter. So und Köberle sagt, ja,  haben Leute vorgeschlagen und so, aber er sagt, um die Öffentlichkeit für diese Einsicht reif und  frei zu machen, sie als eine der polaren Liebe ebenbürtigen Möglichkeit anzuziehen, müsste  allerdings ein gewaltiger Aufklärungsfeldzug unternommen werden. Das ist ganz interessant,  also es klingt so, als könnte er sich das was vorstellen, aber rein pragmatisch hat er das
Gefühl, also die Leute denken so anders, also da müsste man ja jahrzehntelang die Menschen zeigen,  dass es nicht so ist, er hält das nicht für aussichtsreich. So dass er im Grunde dann sagt,  naja, was ist realistisch? Realistisch ist für uns heterosexuelle Liebe, ist das Normale,  es ist das, was Ehe und Familie auch als Leitbild der christlichen Ethik auch im Grundgesetz  vorgeben, daran halten wir irgendwie auch fest, aber so auch wenn wir das gleichgeschlechtliche  Begehren nicht als gleichwertig ansehen können, für die reformatorische Ethik, für das reformatorische  Menschenbild war immer schon klar, wir können Menschen nicht nach irgendwelchen Idealen bewerten,  wir müssen sie nehmen, wie sie sind und wir alle, alle, ob hetero oder homo, sind gebrochene,  gefallene Menschen, jeder von uns hat so seine besondere Anfälligkeit, heißt auch so das Streben
nach dem Guten darf niemals perfektionistisch, rigoros oder rücksichtslos sein. Das heißt also  nicht gleichwertig, aber wir können es auch nicht mehr als völlig böse und sanktionswürdig darstellen.  Er schreibt, wer mit der homosexuellen Anlage ins Dasein getreten ist, der wird in diesem Kampf  nicht immer als Sieger auf dem Platz bleiben. Was heißt das? Ja, also er findet es ideal, wenn Leute  sagen, oh Gott, ich empfinde so, ich versuche ans andere Ufer zu kommen oder ich versuche es einfach  zu lassen, so und Köberle rechnet aber damit, das wird nicht für alle funktionieren, das wird  vielleicht viele Menschen geben, die dann etwas leben, wo er sagen würde, also das können wir  nicht für ideal halten, aber er hält es offensichtlich für möglich, die christliche  Gemeinde kann Zitat, die die so aus der Tiefe rufen, nicht aus ihren Reihen ausstoßen, sondern
tragen und nach besten Vermögen stützen. Also ein bisschen graduell, es ist nicht ideal, es ist nicht  das was wir empfehlen, aber wenn Menschen so leben wie sie sind, werden wir sie auch nicht  verstoßen, wir werden es tolerieren, ist wahrscheinlich das richtige Wort, nicht akzeptieren,  aber irgendwo mittragen, weil es für sie nicht anders zu gehen scheint. Jemand, der in eine  vergleichbare Richtung stieß, war damals Helmut Thielicke. Thielicke, lutherischer Theologe,  konservativ lutherischer Theologe, also jemand der zum Beispiel die 68er, das findet er alles  überspannt. 70er Jahre ist Thielicke ein großer Hero, konservativer, pietistischer, gläubiger,  weil er so einer der wenigen waren, die sagten, die ganzen 68er, das ist doch alles, die drehen  doch alle frei, das ist doch alles übertrieben, diese ganzen kommunistischen jungen Vikare und
so, das brauchen wir alles gar nicht, wir brauchen schon ein bisschen mehr Orientierung an Bibel und  Bekenntnis, also auch kein Linker, kein Liberaler. Dieser Thielicke schreibt am ausführlichsten,  60er Jahre, zum Thema Homosexualität, schreibt sehr ausführlich, es ist schon so ein Einschnitt  in die Ethik, weil hier jemand erstmals jetzt nicht einfach so reproduziert, es ist Sünde,  es ist Schuld, irgendwie ist es auch krank, es ist pervers, es ist der Fall, das macht er alles nicht,  so und sagt, also wir haben es hier mit Menschen zu tun, es gibt so etwas wie konstitutionelle  Homosexualität, davon müssen wir inzwischen ausgehen, Klammer auf, seit 100 Jahren war das  Thema in der Welt, die ersten 30, 50, 70 Jahre hat die Theologie das ausgesessen, aber nach dem Zweiten  Weltkrieg kommt es an. So inzwischen gibt es viele, die sagen, also offensichtlich ist es real,
so jeder kennt einen, der einen kennt, bei dem das so sein soll und auch Thielicke sagt, also das ist  so, auch nach dem, was er erfragt hat oder sich mit Experten unterhalten und so, nach seiner  Erkenntnis und Erfahrung ist es einer medizinischen und psychotherapeutischen Einflussnahme weithin  entzogen, müssen wir das nicht alles aufrollen, was er dazu schreibt, er sagt, wir können es nicht  anerkennen als Erscheinung der normalen Schöpfungsordnung. Also das Normale, das Maß, das,  was wir als Kirche in unserer Liturgie, in unserer Verkündigung, in unserer Ethik hochhalten, das ist  Ehe und Familie und das ist die Verwirklichung gelungener menschlicher Beziehungen, wo Leben  weitergegeben wird und Familie wächst, so und das ist für uns Leitbild, aber jetzt gibt es diese  Menschen und nach diversen Überlegungen hin und her schreibt er am Ende, naja, die Herausforderung
wird wohl sein, dass der Homosexuelle, Zitat, auf dem Boden seiner irreversiblen Situation ethisch  optimale Möglichkeiten zu realisieren hätte. So, das muss zusammengebracht werden, wie ist seine  Situation, wie ist seine Wirklichkeit, wie ist seine Realität und was ist unter den Voraussetzungen  dieser Realität das Optimale? So und Tilike sagt, naja, so Leuten zu heiraten, zu sagen, heirate doch  eine Frau, vielleicht findest du Freude, nein, das ist unethisch, das kann man so nicht machen, das ist  für jede Frau und auch für die Betroffenen irgendwie eine Zumutung, zu sagen, bleib doch allein, ist doch  auch schön und so, irgendwie ist das auch etwas, was Menschen überfordern kann, dafür ist nicht  jeder gemacht. So, was ist denn das ethisch Optimale auf dem Boden dieser Situation? Und Tilike  formuliert es als Frage zumindest, Zitat, man muss ernsthaft fragen, ob hier nicht ähnliche Normen zu
gelten hätten, wie im normalen Verkehr der Geschlechter. So, er wird damit nicht zum  Erfinder der Ehe für alle, es bleibt alles noch sehr konservativ, es wird nachgeordnet, es wird  abgestuft, es soll auf keinen Fall gleichwertig aussehen, aber er sagt, also wenn wir im Normalfall  dafür sind, dass Liebe, Beziehung, Sexualität hingeordnet werden auf eine, auf Ehe in Treue und  Verbindlichkeit und Zusammensein, müsste das nicht analog auch für die gelten. So, wir sind im Jahr  1962, könnte man sich vorstellen, jetzt wird darüber ein paar Jahre diskutiert und dann ist  das durch. Ja, aber es ist noch längst nicht durch, im Grunde fängt es jetzt an, fängt es jetzt an,  ein Thema der Kirche zu werden, das waren die ersten Vorstöße innerhalb der Ethik, innerhalb
der Theologie und was wir hier sehen, ist der große Paradigmenwechsel, der im 20. Jahrhundert in der  Kirche ankommt, nachdem er im 19. Jahrhundert erstmals angestoßen war, man kommt also weg von  der Beurteilung bestimmter Handlungen und Taten, so und merkt, das ist eine totale Verkürzung,  es geht um bestimmte Menschen und wir müssen bestimmt menschengerecht werden in unserer  Beurteilung und können diese Menschen nicht quasi abtrennen von den Taten. So, die Beurteilung der  reinen Tatebene war ganz offensichtlich nicht in der Lage wahrzunehmen, dass da Menschen mit ihrem  So-sein dranhängen. So ein Karl Barth ist eins von vielen Beispielen, der in seiner Lebenszeit  er so schreibt und dann im Alter irgendwie sagt, da bin ich Leuten offenbar nicht gerecht geworden,  das stand mir auch nicht vor Augen. Ich hatte mich damals nicht näher damit beschäftigt,  ich habe irgendwie, also hatte schon so, na hat auch Leute gefragt, kann man alles nachforschen,
aber die sind dann aus späterer Sicht auch nicht auf der Höhe der Debatte gewesen so und Ende der  60er Jahre ist er einer von denen, die gesagt haben, nein, es ist eine neue Epoche und jetzt stehen wir  am Anfang und wir müssen einfach schauen, wie kommen wir mit diesen Menschen zurecht. So,  wir kommen jetzt zu einer neuen zweiten Epoche und im Grunde kann man sagen Ende der 60er Jahre  beginnt das 1969, wird die Strafbarkeit stark eingeschränkt, 1973 wird das noch mal etwas  liberalisiert. Gustav Heinemann war da auch stark drin, vertreten, späterer Bundespräsident, ja  durchaus auch ein sehr christlicher Politiker, der so Weiglerhaus auch so seine sehr pietistische  Prägung hatte. Das war jetzt keiner, der gesagt hat, schwul, finde ich normal, finde ich gut. So,  er war da jemand, der gesagt hätte, ach müsst jetzt nicht, aber so Justizministerium, Innenministerium
haben jetzt lange Expertisen vor Augen gehabt und merken, die Strafbarkeit dieser Handlungen  produzieren im Grunde mehr Verbrechen, fast als dass sie irgendwie mehr gesellschaftlichen Frieden  hervorbringen. Dadurch, dass es strafbar ist, kommen ständig Sachen, Erpressungsversuche aller  Art, Straßenstrich, öffentliche Unzucht, weil die Leute keine Normalität zugestanden bekommen,  entsteht überhaupt erst eine Subkultur, die immer wieder auch mit dem Gesetz im Widerspruch  rät und Ende der 60er, Anfang 70er Jahre setzt sich in der Bundesrepublik Deutschland durch,  in der Großen Koalition, wie dann später in der Sozialliberalen Koalition. Nein, das müssen wir  entkriminalisieren. Endgültig wird der Paragraf 175 an 1994 erst gestrichen. Er war aber davor,
sagen wir mal so zurückgeschoben, dass die Verführung Minderjähriger andere Altersfristen  kannte. So, also es gab schon erhebliches Maß an Straffreiheit ab 73 für Erwachsene, einvernehmlich,  so und hat dann aber immer noch eine Zeit lang gedauert. Das ist auch die Zeit, wo Menschen  sichtbar werden, wo Menschen sich also öffentlich sichtbar machen und man überhaupt das vor Augen  hat. Da könnte, müsste, sollte man sehr viel zu sagen, unser Thema evangelische Kirche,  Homosexualität, wir werden jetzt leider nicht der schwulen Bewegung und der neuen Sichtbarkeit  folgen können, sondern folgen weiter den Entwicklungen jetzt in der Kirche. Was wir  bis jetzt gesehen haben, waren ja theologische Veränderungen, wo Leute sehen, es ist ein anderes  Thema als es in unserer Jugend war. So und jetzt hat es seine Folgen in der Kirche. 1971 lässt
die EKD eine Sexualethikdenkschrift zu Sexualfragen schreiben, Grundlinien sexualethische Orientierung,  könnte man jetzt viel zu sagen. Die war für ihre damaligen Zeit ein großer Sprung, so wo erstmals  so bestimmte Dinge auch neu sortiert worden sind, wo man sagt, also Ehe und Familie ist schon das  Ziel aller Dinge und die evangelische Kirche legt sich ab jetzt eine gewisse Zurückhaltung auf,  da alles im Detail zu normieren, wann man sich zum ersten Mal, wie weit anfassen dürfe und so ein  bisschen, kann man den Menschen auch selbst zutrauen, das zu sortieren. Und es gibt in  in dieser Text eine Passage zum Thema Homosexualität, da heißt es so, 71. Die weit  verbreitete unreflektierte Verurteilung der Homosexualität als wieder natürliches schuldhaftes  Verhalten darf nicht beibehalten werden. Also wir sehen, der Paradigmenwechsel ist jetzt angekommen,
so man sagt unreflektierte Verurteilung als schuldhaftes Verhandeln, das wird der Realität  nicht mehr gerecht, das haben wir jetzt alle verstanden, so es geht weiter. Die christliche  Verkündigung sieht den Sinn der menschlichen Sexualität in der dauerhaften Beziehung eines  Mannes und einer Frau. Aha, also einerseits so, als Sünde verurteilen wollen wir nicht mehr,  aber eigentlich machen wir schon auch klar, ideal, Leitbild ist für uns Ehe und Familie,  Sexualität, Mann und Frau und daraus wird abgeleitet, diese Personalisierung, so also  Mann und Frau, Lebensgemeinschaft wird bei vielen Formen der Homosexualität verfehlt,  so dass keine dauerhafte Partnerbeziehung, sondern häufiger Partnerwechsel entsteht.  Die evangelische Kirche versteht die Homosexualität als sexuelle Fehlformen und lehnt
ihre Idealisierung ab. Das ist aber eine andere Beurteilung als die frühere moralisch Verurteilende,  die die Bestrafung als einzige Reaktionsmöglichkeit kannte. Das Wissen um die Personalisierung der  Sexualität eröffnet heute neue Möglichkeiten der seelsorgerlichen und therapeutischen Hilfe  für diese Menschen. Ja, man hört es heute vielleicht mit gemischten Gefühlen, je nachdem,  so, aber man sieht, also jetzt ist es ein bisschen weiter geschoben, ein bisschen weiter verändert,  nicht mehr verurteilen, nicht mehr moralisch böse Schuld und so, also man versteht, es geht um  bestimmte Menschen, aber man sieht irgendwie auch an die Stelle der Kriminalisierung tritt jetzt  eine Form der Pathologisierung. So, und das Leitparadigma ist, es ist eine sexuelle Fehlform,
es ist eine Fehlentwicklung und es wird dann auch versucht, ausdrücklich zu benennen,  was sie auszeichnet. In dieser Lebensweise ist offensichtlich nicht die lebenslange Treue und  Verbindlichkeit und sonst wie Ziel, sondern im Grunde geht es um häufigen Partnerwechsel, so,  es geht um eine zügellose, vielleicht nicht zügellos, aber im Grunde auf ständige Wechsel  eingestelltes Sexualverhalten, so, und das finden die irgendwie auch, so, und das zu sagen, da braucht  man echt mal Beratung, da braucht man Therapie, die brauchen Hilfe, so, und sie sind ein Feld für  die Seelsorge und das war damals ein großes Thema. Es gab viele seelsorgerliche Dienste der Kirche,  es war so ein Netz überall, Statistiken zeigen, Homosexualität war auch ein Thema, mit dem sich  viele einbrachten, so, also jetzt kamen viele und sagten, ja, ich empfinde so und dann sagten
viele kirchliche Stellen, ja, und wir verdammen das gar nicht mehr, wir verurteilen das nicht,  aber es ist auch, also das was wir so hören auf dem Schwulenstrich und so, ist da nicht richtig,  irgendwie, also kann man das nicht irgendwie in geordnete Rebanen und kann man das irgendwie  stabiler. Was genau die Perspektive war, aus gechlicher Sicht, war dann aber ziemlich kompliziert,  so, und das gucken wir uns in den 70er Jahren an einem Fall an, in den nächsten Jahren noch  sind wenige Leute sichtbar, noch kennt man immer nicht viele, viele Menschen, viel später erfährt  man, aha, war auch lesbisch, war auch schwul und so, boah, in der damaligen Zeit, so ein Mann,  der damit öffentlich wird, Klaus Brinker, hannoverische Kirche, jemand Theologie studiert,  Vicariat absolviert, steht zur Wahl fürs Fahramt, es ist Ende der 70er Jahre, Vorstellungspredigt,
Vorstellungsgespräch vor der Gemeinde, alle sind da, ja, wenn der sich vorher gut präsentiert hat  und so, gibt noch keine Fahrer Schwemme, man könnte theoretisch noch alle brauchen und so,  so und in diesem Verfahren aber, im Gespräch vor der Gemeinde meldet sich jemand und sagt,  ja Herr Brinker, es gibt das Gerücht, dass Sie homosexuell seien, können Sie dazu mal was sagen,  ist in so einer Situation schwierig und so. Klaus Brinker entscheidet sich, ehrlich zu sein,  so und sagt, das stimmt, ich bin homosexuell, ich habe auch einen Partner und ich würde gerne mit  meinem Partner in einer treuen Verbindung leben, so auch im Fahrhaus, aber eigentlich ganz normal,  für mich ist es kein großes Ding, ich bin der, den ihr kennengelernt habt, ich bin wie ich bin  und möchte hier meinen Dienst versehen, aber eben in der Partnerschaft, die für mich so stimmt.  Ja, aber die Gemeinde war unentspannt und sagt, ja, das können wir jetzt aber gerade nicht
bewilligen und so und das ganze Thema nimmt Fahrt auf. So und auch die Kirche ist ein bisschen  überfordert und so und es gibt Gespräche mit ihm noch und noch und gleichzeitig wird das Thema  öffentlich, 1977 bildete sich die Arbeitsgemeinschaft Homosexuelle und Kirche, 1979 hat die erstmals in  Nürnberg auf dem Kirchentag einen größeren Auftritt und auch Klaus Brinker, jetzt wo er da schon geoutet  war, so sagt, jetzt bin ich geoutet, jetzt stehe ich dazu, jetzt bringe ich es auch einfach mal  in die Debatte, das was wir an Doppelleben in unseren Kirchen haben, schreit zum Himmel,  es sind so viele, die sich daran gewöhnt haben zu verheimlichen, zu lügen, sich zu verstellen,  das kann nicht das Ziel sein. So und die Kirchen haben ihm auch mehr oder weniger signalisiert,
also eigentlich würden wir sie nehmen, aber sie hätten das nicht so öffentlich sagen dürfen. Also  eigentlich, das ist das ganze Problem, dass sie das öffentlich machen und dass sie dafür einstehen  und wir würden sie schon bitten, halten sie sich jetzt mal sehr zurück. Ja, macht er nicht. 1979  auf dem Kirchentag, er tritt auf, er schildert seinen Fall, kommt in Hannover nicht gut an,  kommt da gar nicht gut an. Man merkt jetzt aber auch, es gibt eine Kirchentagsöffentlichkeit,  wo Menschen sensibel sind und sagen, das passt alles nicht mehr. Eine Frau meldet sich und sie  sagt, ich fasse es nicht, dass ich in einem Land lebe, wo man bis heute Denkmäler pflegt von  Menschen, die aufeinander schießen und Männer verachtet, die einander küssen. Da passt was nicht,  weil was ist denn da los mit uns, dass wir die Liebe zwischen Männern so verachten und den Krieg  zwischen Männern nach wie vor als Ehrentod fürs Vaterland und so an jeder Ecke. Da muss ich mal  was ändern. Und Applaus auf dem Kirchentag und viele Kirchenleitungen merken, da kommt was auf
uns zu. Die Kirche tagt. Hannover ist immer auch lutherische Kirche, vereinigte evangelische  Lutherik-Kirche, wird eingeschaltet der theologische Ausschuss der Vereinigten Evangelischen Lutherischen  Kirche, also Bund aller möglichen lutherischen Kirchen, nicht alle, aber der meisten, schreibt  dazu eine Studie. So und die stellen da folgendes fest. Sie sagen, ja, wir stehen vor neuen  Herausforderungen, haben ja auch mit der Sozialdenkschrift EKD schon so Dokument. Also  wir können nicht mehr einfach wie früher verurteilen, verdammt. Wir sehen inzwischen  das Phänomen der Homophonie. Das scheinen die biblischen Texte echt nicht zu kennen. Wir  können das gar nicht darauf beziehen. Aber auf der anderen Seite müssen wir auch sehen,  in der Bibel läuft es schon ganz klar darauf hinaus. Die Ehe von Mann und Frau ist die  göttliche Ordnung. Das ist eigentlich das, wofür wir stehen. Und das ist im Grunde der
Spagat auf der einen Seite Leitbild Ehe und Familie, auf der anderen Seite nicht mehr moralische  Verurteilung Homosexueller, sondern Retro und Homosexuelle bedürfen gleichzeitig der Annahme  durch Christus. Was heißt das jetzt? Ja, ist alles nicht so einfach. Es wird so ein bisschen  unterschieden, dass man sagt, also in unseren Gemeinden sind Homosexuelle willkommen und wir  haben uns ja insgesamt auch abgewöhnt, da nachzufragen oder so. Also muss jeder gucken,  wir predigen vernünftige Maßstäbe und jeder muss dazusehen. Aber anders ist es jetzt im  kirchlichen Dienst. Weil im kirchlichen Dienst, und das ist nicht nur für die Facherschaft,  das ist schon auch für Messner und Diakone und für alle. Also da ist es so, dass die Lebensführung  und das Lehrzeugnis der Kirche einheitlich sein muss. Was heißt das? Die Veranlagung als solche
schließt nicht vom Dienst aus. Wir können ja nicht Menschen diskriminieren, dass sie so sind,  wie sie sind. Aber wenn gelebte Homosexualität propagiert wird, dann ist das mit dem Dienst  eines Pfarrers nicht zu vereinbaren. Wann propagiert man es? Wenn man es irgendwie öffentlich  lebt. So, das heißt, es wurde im Grunde ernsthaft Leuten auch geschrieben, wir können ihn nicht  genau sagen, was sie im Detail tun sollen. Also einer fragte, soll ich mich von meinem Freund  trennen? Er sagte, ja, so Ratschläge würden wir nicht geben. Wichtig ist, dass es keiner merkt.  Also das ist der Punkt. Wenn das gemerkt wird in der Gemeinde, haben wir alles ein Problem. Das  ist dann schwierig, weil sie dann durch ihrem Lebenszeugnis eigentlich im Widerspruch stehen  zum Lehrzeugnis der Kirche, wo wir sagen, Ehe und Familie von Mann und Frau ist das Maß.
Das ist diese Stellungnahme Theologischer Ausschuss von 1979. Das Kirchenamt der VILKD,  alles wahnsinnig kompliziert, aber alles wichtig, alles so Gremien, die übernehmen das 1980 und  verfügen dann Zitat Homosexualität von Pfarrern ist in erster Linie nicht eine individuelle und  private Angelegenheit eines Pfarrers, sondern muss als Bestandteil seines Lebens als Amtsträger  beurteilt werden. Der einzelne Pfarrer soll der Verpflichtung seines Amtes nicht durch  individuelle Haltungen ausdrücklich widersprechen. Wird darum die Homosexualität offen und mit dieser  Absicht bekannt, dann widerstrichen sie dem Maßstab kirchlicher Lehre. Denn die Kirche will  nicht durch ihre Amtsträger ein Wegweiser in die Homosexualität sein. Ja, fanden damals auch schon
nicht mehr alle logisch. Aber war geltende Lehre geltende Position. Klaus Brinker wurde nicht  übernommen, wurde nicht in den kirchlichen Dienst zugelassen. Es gab eine ganze Reihe von weiteren  Fällen, wo man Menschen, die waren Anfang 40, hat man im Wartestand im Ruhestand versetzt. So,  dann dann sagte man ja, leider ist der Weg zu Ende. So, wir können das witzigerweise. Wir sind ja  auch irgendwie öffentliches Recht. Also sie sind im Ruhestand. Herzlichen Glückwunsch Anfang 40.  Ja, Rente ist jetzt ein bisschen bescheidener. Sie können ja nebenbei schauen. Vielleicht geht  ja noch irgendwie etwas. Also es gab schon eine ganze Reihe von Fällen. Viele wurden nicht  übernommen. Ziemlich viele haben auch ein Doppelleben geführt. So, und bis in die Gegenwart  hinein ploppt ja immer mehr auch auf, was Doppelleben damals Menschen abverlangt hat.
Ich möchte eine andere Stimme jetzt präsentieren aus dieser Diskussion. Helmut Gollwitzer, damals  ein Theologe in Berlin, Karl Barth Schüler, hatte Mitte der 70er Jahre Auslegung des Hohen Lieds.  Das galt für viele so als eine moderne Sexualethik, wo mehr möglich war als bei früher. Und manche  sagen aber auch, es geht um Mann und Frau, um Frau, um Mann und Frau. Und schrieben Herr Gollwitzer,  Homosexualität, großes Thema in der Kirche. Wie sehen Sie das? Interessant, Mitte der 70er Jahre  weicht er noch so ein bisschen aus und sagt, ist jetzt nicht das Thema im Hohen Lied, kommt das  gar nicht vor. So dann aber hält er irgendwann auf dem Kirchentag schon eine Bibelarbeit und sagt,  und ich möchte mich bei meinen homosexuellen Geschwistern an der Stelle entschuldigen jetzt  in meiner Bibelarbeit, kommen Sie leider nicht vor, weil die Textgrundlage auch bei bisheriges  Nachdenken war sehr stark im Grunde immer orientiert am Verhältnis von Mann und Frau.
So habe ich es gelernt und ich ahne aber, das ist nicht mehr genug, aber da müssen wir sicher noch  mal weiterkommen. So und Gollwitzer kam weiter. Als das um Klaus Brinker so eskalierte, schaltete sich  Gollwitzer ein und schrieb dazu eine längere Stellungnahme. Daraus jetzt ein paar Texte.  1979 schreibt Gollwitzer, ich bin mein Leben lang ohne selbst irgendwelchen Neigungen in dieser  Richtung zu verspüren, Klammer auf, das sagte man damals immer dazu, ich bin es nicht, so aber,  durch das Schicksal einiger Freunde und Bekannte immer wieder mit der Frage der Homosexualität  und der Stellung der Gesellschaft und auch der Kirche zur Homosexualität beschäftigt gewesen  und habe im Laufe der Zeit, wie wohl wir alle, einen ziemlichen Lernprozess durchgemacht. Er  fährt fort. Für mich ist nicht die umstrittene Frage entscheidend, ob es sich bei Homosexualität  um angeborene Veranlagung oder um erst in der individuellen Biografie im Kindesalter
entstandene Fixierung handelt. Entscheidend ist doch, dass es sich um eine Fixierung handelt,  von der der Homosexuelle sich ebenso wenig frei machen kann, wie der heterosexuell Fixierte,  mit der also leben muss und aber also eben auch leben können muss. Was heißt das für die Kirche?  Für die Kirche ist aus Goldwitzers Sicht eine Schlussfolgerung unvermeidlich, nämlich die,  für die Kirche müssen wir festhalten, dass sie eine große Schuld auf sich geladen hat gegenüber  einer Minorität, eine Vorurteilsschuld, die man wohl mit der kirchlichen Schuld gegenüber den  Juden vergleichen kann. Homosexualität ist infolgedessen in unserem Kulturkreis nur in  Deformation gelebt worden und alle negativen Urteile beziehen sich auf diese Deformation.
Erst in einer Gesellschaft, in der Homosexualität frei von Vorurteilen und also ohne Deformation  gelebt werden kann, können wir einigermaßen empirisch gesichert über die Unterschiede  zwischen homosexueller und heterosexueller Fixierung urteilen. Dazu muss man jetzt wissen,  wir hatten es an einzelnen Stellen schon 70er Jahre, jetzt hatte da jeder eine Idee, Soziologen,  Sozialwissenschaftler, Therapeuten und manche sagen ja, Homosexualität gibt es, aber also es  sind bestimmte Menschen, die sind jetzt aber nicht genau wie wir nur andersrum, das ganze Muster ist  da anders. Es ist flexibel und ständig im Umbruch, es wird nie stabil, es ist sexual fixiert, es ist  immer sex, sex, sex und es ist immer mit so einem Getriebensein und die finden eigentlich nie so  richtig Stabilität und da gab es ganz viele Deskriptionen und Golwitzer ist jetzt einer der
ersten, die sagen, was redet ihr denn? Wir kommen aus einer Welt, wo wir das durch ewigen Druck  verschoben haben in die Unsagbarkeit, in die Illegalität, in Verfolgungssituation. Wir haben  doch die Menschen eingeschlossen in den Hinterhof und in die Unterwelt und in den Straßenstrich.  Sie haben doch in einer Weise gelebt, die nicht frei gewählt war, weil es alles anerkannt worden  wäre, sondern wir haben doch den Untergrund im Grunde gezeugt durch unser ausgrenzendes Verhandeln.  So und es ist ja wenige Jahre überhaupt erst mal entkriminalisiert. Alle, die jetzt erwachsen sind,  sind doch mit einer ganz anderen Verfolgungsangst und Entschlafungspanie groß geworden. Es ist doch  Unsinn, als könnten wir jetzt schon sagen, wie das gelebt werden könnte, wenn wir eine freie,  tolerante Gesellschaft wären. Davon sind wir weit entfernt. So, darum seine These. Es ist bisher
immer in Deformation gelebt worden. So diese ganzen Urteile, da könnten wir alle mal viel  leiser werden. Was folgt daraus theologisch? Golwitzer fährt fort. Daraus folgt für mich,  ich habe für die vorurteilslose Anerkennung der Homosexualität als einer lebensberechtigten Form  von Sexualität neben der Heterosexualität einzutreten. Ich habe der Kirche ihr bisheriges  Verschulden deutlich zu machen und habe den Lernprozess, der jetzt auch in kirchlichen  Kreisen endlich eingesetzt hat, zu befördern. Bibelsche Aussagen, die bisher für die Verwerfung  der Homosexualität herangezogen wurden, sind in ihrem historischen Kontext zu interpretieren.  Aus ihnen ist keine negative Norm zu gewinnen. Sexualethische Forderungen und Ratschläge können  für beide Formen von Sexualität nur die gleichen sein. Sie betreffen die Treue der Beziehung,
die Verantwortung für den Partner, die Warnung vor Ausnützung und Instrumentalisierung des  Partners. So, das ist der erste Text, von dem ich sagen würde, damit könnte man heute so ungefähr  noch über die Straße. Es gibt keine älteren Texte, die mehr bekannt sind, wo in der deutschsprachigen  Theologie es so stark betont wird, wir müssen hin zu einer Gleichbehandlung. Wir müssen hin zu  einer gleichen Wertschätzung und wir brauchen hier einen Lernprozess, wo wir auch unsere eigene  Schuldgeschichte aufarbeiten. So, aber diese Position von Gollwitzer gilt in der damaligen  Zeit als extrem, als linksliberal außen. In der Kirche aber ist jetzt klar, das Thema ist da und  es stellt sich und stellt sich und stellt sich und jetzt beginnen jahrzehntelange Auseinandersetzungen.  Auf den Kirchentagen ist es so, 80er Jahre das Thema ist präsent, aber in den Kirchen ist die
Rechtslage auch völlig eindeutig. Homosexuelle Beziehungen im Pfarrhaus sind überall verboten,  gibt keine Kirche, die das irgendwie offiziell gestattet und es gibt natürlich keine positive  Bewertung oder gar gottesdienstliche Begleitung von gleichgeschlechtlich Liebenden, nirgendwo.  In keiner Kirche ist das ein Thema, aber das Thema wird diskutiert, es wird angebahnt, es kommt immer  stärker. In den 90er Jahren schwappt es dann endgültig in die Synoden rein. So und jetzt,  das ist ein Riesending, je nach Liberalität oder Konservativität. Ein bisschen Vorreiter ist die  Rheinische Kirche, die Rheinische Synode. Da gibt es Anfang der 90er bereits einen theologischen  Entwurf, theologischen Arbeitskreis, Homosexualität neu bewerten. Da geht sie im Grunde in diese
goldwitzische Richtung. So und in den 90er Jahren macht die evangelische Kirche im Rheinland da ein  Riesending raus. Sie sagt, ja, wir sind eine Synodale Kirche, Presbyterial Synodal, das kommt  jetzt in jede Gemeinde und jede Gemeinde erwarten wir von, die beschäftigen sich damit, die  Presbyterien beschäftigen sich damit und von jedem Presbyterium hätten wir gern Rückmeldungen. Was  sagt ihr? So und das ist ein Riesenprozess durch tausende von Gemeinden, es wird diskutiert,  es gibt eine Stellungnahme, die für Öffnung plädiert, es gibt aber auch viele in der Kirche,  die da noch gegen sind. Rückmeldungen kommen, Hunderte über Hunderte, das Bild ist ein bisschen  schwierig. 45 Prozent der Presbyterien melden zurück, nee, kommt hin übertrieben vor. So,  das ist die die meist abgegeben Stimme. Dann gibt es aber auch ja und unentschieden, die sind dann  aber knapp über die Hälfte. So in der Synode sieht man bereits im Rheinland Mitte der 90er
Jahre die Mehrheit der Synode, würde eigentlich gern Richtung Öffnung gehen, aber die Mehrheit  der Presbyterien war noch anders und es wird weiter diskutiert und es wird weiter geguckt.  Hessen-Nassau nimmt eine ähnliche Entwicklung und so zwei große Showdowns führen wir uns jetzt  noch mal vor Augen. Hannoverische Kirche waren wir ja vorhin schon, Mitte der 90er Jahre wird  das intensiv diskutiert in der Synode. Wir hatten mehrfach den Fall, was machen wir denn  gleichgeschlechtlich liebende Pfarrpersonen, Männer und Frauen, können wir es erlauben,  können wir es nicht erlauben. Es wird diskutiert, die Frage ein bisschen weniger die Gemeinde,  lutherische Kirche ist es mehr so die Kirchenleitung, die Synode, der Bischof. Am Ende,  Synode entscheidet 45 zu 44, wir sollten das künftig erlauben. Denn die Realität ist ja,  es gibt diese Paare, so aber die unsere Kirchengesetze schreiben mehr oder weniger vor,
sie dürfen nicht zusammen leben im Fahrhaus, das heißt wir haben Fahrpausen und die leben Familie,  sie leben Beziehung und ihre Partner, ihre Partnerin lebt noch mal woanders gesondert,  die treffen sich ständig, haben halt doppelte Wohnungsführung und solange keiner was merkt,  sagen wir nichts. Das ist doch komisch, doch komisch. Synode entscheidet mit Mehrheit,  es war aber nur eine Stimme Mehrheit, so dass dann der Bischofhorst Hirschler sagte,  nö, ungültig. Aber so einer Frage ist eine Einstimmenmehrheit, keine Mehrheit. Das fand  die Synode jetzt auch demokratisch schwierig irgendwie, aber Hirschler sagte, nö, unterschreibe  ich nicht, Punkt, wir sind hier auch vielschichtiges Gebilde, ich bin immerhin der Bischof und wir  haben eine Kirchenleitung, wir haben eine Synode und es ist doch völlig klar, dass es so spitz auf  Knopf steht und unter diesen Umständen, nö, ändern wir nichts. Das ist für uns klar Ehe und Familie  von Mann und Frau und nichts anderes. In der Nordelbien hieß es damals noch, vor der Nordkirche,
nordelbischen Kirche, ähnliche Zuspitzung, große Diskussionen, Synode entscheidet, knappe Mehrheit  ist für eine Öffnung, Mehrheit der Bischöfe ist dagegen. So und es ist große Spannung in  vielen Synoden und Kirchen, manche Württemberg, Sachsen, da sind so große Mehrheiten dagegen,  sich überhaupt nur damit zu beschäftigen, da dauert es noch. Da ist auch jetzt noch alles dran.  So, aber eine Reihe von westlichen Kirchen macht hier im Grunde Vorstöße und es wird sichtbar,  eine Mehrheit in den Synoden, eine Mehrheit in der Pfarrerschaft will eigentlich eine Veränderung.  In der Theologie 90er Jahre ähnliches Bild. Wolfert Pannenberg ist einer der bedeutendsten  systematischen Theologen der damaligen Zeit, war mit allen Sachen ausgezeichnet, mit unzähligen  Ehrendoktoren und so weltweite Koryphäe, sehr stark auch im ökumenischen Dialog engagiert,
und eines Tages ist er sehr vergretzt und sehr sauer. Was war passiert? Hertha Leistner,  eine feministische Theologie, hatte ein Bundesverdienstkreuz bekommen für ihre  Verdienste als Vorkämpferin für die Gleichstellung von Mann und Frau und mehr noch, wahrscheinlich  auch homosexueller Lebensgemeinschaft, weil sie lesbisch war. So und das traf Wolfert Pannenberg  so sehr, dass er sein Bundesverdienstkreuz zurückschickte und sagte, er möchte nicht  so einen Orden haben, den man inzwischen auch für lesbisch sein bekommen kann. Und Pannenberg  hat an dieser Stelle also sehr klar Kante gezeigt, gesagt, wenn die evangelische Kirche  weiter in diese Richtung geht, dass sie Homosexualität anerkennt, dann hat sie keine Zukunft mehr,  dann werden die Evangelikalen allein die Zukunft der evangelischen Kirche sein. Für den  ökumenischen Dialog ist das eine furchtbare Belastung. Wer die jüngere Entwicklung in
der katholischen Kirche verfolgt hat, es ist ja nicht mehr so inzwischen in Deutschland,  aber damals war es absolut so. So, was sagten denn damals liberale Theologen 90er-Jahre?  Trutz-Rendorf war der große Denker einer liberalen Theologie, liberalen Ethik, zweibändige  Ethik, geschrieben 1981. 91 erschienen in zweiter Auflage, überarbeitet, aktualisiert.  Trutz-Rendorf hatte jetzt eine wirklich nicht-biblizistische Ethik. Für ihn war klar, die Bibel ist irgendwie  Grundlage des Christendums, aber wir müssen doch heute in der Gegenwart vernünftig im  Grunde verstehen, was ist Sache und welche Orientierungen können wir dafür geben für  alle möglichen Fälle. Was sagt denn so eine liberale Ethik zu unserem Thema? Oh ja, Rendorf  schreibt 90er-Jahre, die Grundstruktur human gelebter Sexualität ist die Ehe. Alle anderen
Beziehungen sind darum, im Verhältnis zur Ehe zu bestimmen und zu korrigieren. Das heißt  für die Homosexualität, naja, wir wissen, das gibt es. So und jede Verurteilung und  das ist natürlich gar kein Thema mehr. Aber die Frage bleibt, ob die Homosexualität als  gleichwertig zur Heterosexualität anerkannt werden kann. Zitat, es sprechen alle Gründe  dagegen, die Homosexualität in den Rang einer eigenen Lebensform zu erheben. Die Kirche  hat daran festzuhalten, dass die Richtung, in die das evangelische Verständnis der Sexualität  weist, die Richtung auf die Ehe hin ist. Aus diesem Grund kann sie auch keine öffentlichen  Repräsentanten der in der Kirche geltenden Ethik zulassen, die Homosexualität generell  als der Eheäquivalente, Alternative zu verkünden, beabsichtigen. So, auch das war die damalige  Zeit. Es war damals an den Fakultäten unübersichtlich. Es gab, also ich habe ja da studiert, es gab
meines Wissens keine Fakultät, wo man sagen könnte, hier sind jetzt alle irgendwie für  Anerkennung der Homosexualität. Überall, wo ich war, gab es eine Reihe von Leuten,  die gesagt haben, das wollen wir nicht, das brauchen wir nicht, das ist das geilige Zeugnis,  das Gerät hier in Schieflage. Aber fast überall gab es eben auch welche. So und das Interessante  ist, es war damals nicht die Evangelikalen und die Liberalen. Es war nicht der Punkt.  Wir sehen Liberale, Konservative, Traditionelle konnten sich hier unterschiedlich positionieren.  Es war gar nicht so einhellig, war gar nicht so schwarz-weiß. Evangelikal waren natürlich  damals ausnahmslos kritisch. Da werden wir gleich noch zu kommen. So, für die EKD war  es inzwischen ein sehr heißes Thema, weil es kochte und kochte und kochte. In den 90er
Jahren war die Hochzeit der Auseinandersetzung, das war so die Out-in-Church-Phase der evangelischen  Kirche und reihenweise waren Synoden so am Rande ihrer Belastungskraft, weil es sie intensiv  beschäftigte. EKD rief eine Kommission ein, EKD hat ja lauter Kammern, aber sie gründete  jetzt eine Extrakommission prominent besetzt, Wilfried Herle, dem traute man das zu, der  war Leitungserfahren, Vermittlungserfahren und er sollte jetzt eine Schrift mit einer  Kommission, einer bunt zusammengesetzten Kommission erstellen, die ein bisschen Frieden schafft,  so wo alle mal eingebunden werden. Es gibt dazu interessanterweise einen Bericht von  Wilfried Herle selbst auf seiner Homepage. So und er schreibt da, ja es war am Anfang  ein bisschen schwierig, weil wie zu erwarten, die Leute waren dafür, sie waren dagegen,  sie waren empört, sie waren verstört, es gab das ganze Spektrum, so und wir kamen
auf keinen grünen Zweig quer, wir kamen einfach nicht zusammen. So und einmal nach  stundenlangen Diskussionen trat auf einmal der Fall ein, dass es einen Satz gab, wo Herle  sagte, Moment, habe ich das gerade richtig gesehen, dass alle gerade diesem einen Satz  zustimmen können. Alle gucken und sagen, naja, das ist vielleicht der erste kleine  Konsens, Herle schrieb das auch so und sagte, das muss jetzt eigentlich der Trick sein,  gibt es irgendwas, wo wir alle zustimmen können. So und er sammelte und sammelte und machte  daraus eine Methode, gibt es eine kleinste gemeinsame Wirklichkeit in der Beschreibung  der Phänomene in der Beurteilung. Am Ende dieses Prozesses war eine Schrift entstanden,  die von einer gemischten Kommission getragen wurde, wo Befürworter und Gegner der alten  Fronten integriert waren. So und wie sah das Ergebnis aus? Ja, es sah so ein bisschen aus,
wie man es bei so einer Gruppe vermuten würde, ein bisschen verblüffend. Es wurde zunächst  mal gesagt, also die biblischen Texte äußern sich ausnahmslos negativ zu gelebten homosexuellen  Akten, so die werden durchgängig in einen negativen Zusammenhang gezeichnet. So und  heißt es dann weiter, ja und es gibt aber heute auch unter gläubigen Christen homosexuelle  Lebensgemeinschaften. Die gibt es irgendwie auch und die versuchen im Glauben und Treue  irgendwie zusammen sein. Und die Logik war jetzt, wir müssen hier im Grunde diese Spannung  aushalten, dass wir auf der einen Seite sehen, also eigentlich verurteilt die Bibel all  diese Akte, auf der anderen Seite gibt es aber Beziehungen, zu denen die Bibel so direkt  eigentlich gar nichts sagt. So und die müssen wir noch mal anders bewerten, so und diese
Beziehung, ja was ist für uns Christen das höchste Prinzip? Wir bewerten diese Beziehung  nach dem Maßstab der Nächstenliebe. So was in Liebe gelebt wird, das muss von der Liebe  her gestaltet werden, so und das ist im Grunde die Spannung, die wir aushalten müssen. Es  gibt ein Nein, dass wir irgendwie auch ernst nehmen wollen zu Sexualakten gleichgeschlechtlicher  Art und es gibt Beziehungen, die aber in Liebe gestaltet werden müssen, so und dieses  spannungsvolle Nebeneinander zweier Linien, das müssen wir als Kirche aushalten und wir  machen es so, dass wir sagen, ja also wir wollen die Menschen nicht verurteilen, wir  wollen sie nicht ausgrenzen, wir wollen sie nicht ausschließen aus unseren Gemeinden,  sie gehören dazu und wir wollen sie akzeptieren und das Maß ist einfach, dass sie ihre Beziehung  in Liebe und Treue gestalten dürfen. Wir müssen aber irgendwie auch das Nein, was
es in der Bibel ja auch gibt, respektieren und das tun wir so, dass wir sagen, Leitbild,  für das die Kirche sich einsetzt, kann aber ausschließlich sein Ehe und Familie von Mann  und Frau, das ist das Leitbild, das heißt so etwas wie eine Segnung oder gar Trauung  gleichgeschlechtlicher Paare kann in der Kirche nicht stattfinden. Wir müssen also gleichzeitig  nicht verurteilen, nicht diskriminieren, andererseits in Gottesdienst und Liturgie nicht anerkennen  und nicht gleichwertig behandeln. Ja, wie will man das einschätzen? Also ich glaube,  das war damals das äußerste Maß an diplomatischer Kunst, was irgendwie möglich war, eine gemischte  Gruppe zusammenzubringen, wo alle das, was sie denken, in den Text reinkriegen und jeder  etwas auch trägt, was er eigentlich nicht so liebt, aber irgendwie nicht. Also die,
die für Anerkennung waren, sagt naja und das es da diese biblischen Texte mit Nein  gibt, sehen wir ja irgendwie auch und andere sagten eben ja, dass es das gibt, was wir  hier haben mit Verneinungen, irgendwie wer will schon gegen die Nächstenliebe kämpfen?  Irgendwie muss es das auch geben. So das Ergebnis war dann aber schon so eine gewisse  Verstörung, dass das ein Text war, mit dem niemand absolut glücklich war, so niemand  konnte das so ganz irgendwie feiern, weil für die einen war es ein konservativer Text,  er blieb weit zurück hinter dem, was im Rheinland, in Hessen-Nassau auf vielen Synoden sich bereits  durchgesetzt hatte, für die anderen war es aber irgendwo der Dammbruch und sie fragten,  wo wird das hingehen? Es trat aber eine gewisse Beruhigung ein, weil viele Kirchen sich sagten,  jetzt haben wir so viele Jahre diskutiert und jetzt nehmen wir das einfach mal so als
ein Punkt, wir müssen mit Spannung leben, wir haben Spannung in den Synoden, wir haben  Spannung in den Kirchen. 1998, ja passiert Großes, Helmut Kohl ist nicht mehr Bundeskanzler,  rot-grüne Koalition und nun war absehbar, schon im Koalitionsvertrag ein Partnerschaftsgesetz  würde kommen. Das bringt jetzt nochmal eine neue Phase. Für die EKD ist es eine Herausforderung,  2000 gibt sie bereits einen ersten kleinen Text heraus, im Grundlage ist der Gesetzesentwurf,  der vorliegt und die EKD sagt, ja wir haben uns dabei jetzt auch schon sehr viele Gedanken  gemacht in der Gehlig und haben da eine Schrift mit Spannung leben und müssen sagen, also  das was da geplant ist von der rot-grünen Regierung, das können wir ehrlich gesagt  nicht gut finden und wir sind ja natürlich auch mit der Zeit gegangen. Also für uns ist  auch klar, wir wollen verstärkten rechtlichen Schutz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften,
das wollen wir, wir wollen Verantwortung stärken, aber als Kirche stehen wir letztlich für  Ehe und Familie von Mann und Frau und das bitten wir bitte zu berücksichtigen und im bisherigen  Gesetzesentwurf ist uns das zu stark eigentlich Richtung Ehe geschoben. Das war damals ja  auch eine Position, die in den meisten unionsregierten Bundesländern so vertreten wurde. Dann wurde  das Gesetz verabschiedet, so 2001 war es da, die EKD reagiert erneut mit einem Text dazu,  2002, sie erklärt ihr Bedauern, dass es jetzt so gekommen ist, dass ein Lebenspartnerschaftsgesetz  verabschiedet wurde und sie sagen, ja wir hätten uns gewünscht, dass das Abstandsgebot zu Ehe  stärker berücksichtigt wird. Das sieht aus wie eine Eheleid und das ist etwas, was eigentlich
so unserer bisherigen Sicht dabei widerspricht. Wir müssen aber auch einräumen, das Thema wird  sich jetzt auch vermehrt für uns stellen, es werden Menschen kommen, die jetzt in einer anderen  rechtlichen geordneten Verfassung leben und das heißt, wir werden wohl darauf zu gehen müssen,  uns da neu mit zu beschäftigen. So was das heißt für uns als Kirche, wie wir damit umgehen. Das  sind zwei EKD Texte, 2000, 2002, gar nicht so lange her, viele die gerade zu hören haben das schon  noch miterlebt oder so. Die EKD, man hat manchmal so Neigung zu sagen links-rot-grün-versifft,  ja Pustekuchen, eigentlich nicht. Eigentlich war das hier christlich Union, eins zu eins,  so waren überhaupt nicht dafür. Jetzt muss man aber differenzieren, das war die EKD Ebene,  es sah auf Gliedkirchen Ebene anders aus. Sowohl im Rheinland wie in Hessen-Nassau hat man um diese
Zeit herum, 2000, 2001, 2002, 2003 auch ein bisschen unordentlich so nachgeschoben, so es hieß, ja,  jetzt ist das Gesetz da, da können wir nicht dran vorbeigehen, die Menschen sind sowieso schon da,  wir haben uns hier bewegt und wir wollen jetzt für Menschen, die nach einem solchen geschlossenen  Lebenspartnerschaft auf uns zukommen, wir werden denen was anbieten. Da war man jetzt unsicher,  was die einen sagten, ja, wir können doch da einfach eine Segnung machen, so andere sagten,  ja, Segnung, also in evangelischer Sicht ist die Trauung ja auch eine Art Segnung, wo ist denn da  der Unterschied? Manche Kirchen sagten, wir bieten an eine gottesdienstliche Begleitung und dann gab es  ungeheuer vielstimmig, das wäre jetzt im Detail sehr langweilig, also manche sagten, es darf was  gefeiert werden, aber bitte nicht in der großen Kirche. Man kann ja auch in ganz kleiner Zahl in  der Sakristei still und heimlich ohne Glocken geläut und so wird ein Gebet gesprochen, es wird
nicht gesegnet, aber es gibt eine Gratulation, andere sagten, ja, man kann es auch im Ausnahmefall,  wenn alle dafür sind, wirklich in der Kirche machen, es darf aber auf keinen Fall nach der  Trauliturgie sein und es muss wirklich anders aussehen und es darf nicht dasselbe sein. So,  dann hat man diese Regeln, aber im Rheinland dachte sich irgendjemand, ich bin ja Superintendent  von Köln, ich mache das jetzt ehrlich gesagt wie eine Trauung, sofort wieder Dienstbeschwerde,  diese Node, muss ich damit beschäftigen, findet es jetzt aber auch nicht ganz so teuflisch und  die Dinge verschieben sich und in den ganzen Nullerjahren ist da sehr viel Musik drin. So,  in dieser Zeit aber ist die Richtung, glaube ich, jedem klar, in die es gehen wird. Man merkt es  endgültig Ende des Jahrzehnts, ein neues Pfarrerdienstrecht wurde verabschiedet. So,  und da waren, das war sowieso schon fällig, das musste novelliert werden, das wurde auf  EKD-Ebene neu aufgesetzt, 2010 beschlossen und da gab es nun einen Skandal, weil dazu gehörte auch,
welches Verhalten kann man denn Pfarrerinnen und Pfarrer abverlangen. So, und man mildert das so  ein bisschen, also was nicht geht, ist, dass die, was weiß ich, damit ständig wechselnden Belegschaften  das Pfarrhaus bevölkern, was nicht geht, ist, dass die da frei florierende Beziehung, man sagt aber  auch nicht mehr, also nur mit Hochzeit und sonst wie, sondern es wird im Grunde gesagt, lebt halt  so, dass das kirchliche Zeugnis für Ehe und Familie in Verbindlichkeit einigermaßen gedeckt ist durch  euer Handel. So ungefähr, so kleine Abweichungen tolerieren wir, wir sind ja auch Menschen und  Scheidung, nimmt alles zu und ist ja okay. So, und auffällig war aber, dass das Thema Homosexuelle  hier gar nicht vorkommt. So, es wird einfach gesprochen von Leben in Partnerschaft, so und
viele merken es dann auf einmal und meinten, hoppla, also so, wie es sich jetzt liest, könnte man es so  lesen, dass hier im Grunde für homosexuelle Partnerschaften keine Sonderregeln gelten. So,  und es formierte sich ein gewisser Widerstand, die sagte, Moment, wir haben festgestellt, das Thema  wird gar nicht angesprochen, das könnte als Einladung missverstanden werden, wir wollen,  dass ausdrücklich ausgeschlossen wird, dass Menschen in einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen  Lebenspartnerschaft mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin im Fahrhaus wohnen. An die Spitze des  Widerstands stellten sich damals eine Reihe von Altbischöfen, acht Altbischöfe haben einen Brief  geschrieben und gesagt, das neue Fahrraddienstgesetz ist irgendwie nicht tragbar, weil es diesen  Ausschluss nicht mehr vorhält. Das wäre am Ende ein großer Bruch mit unserer bisherigen  Verkündigung. So, und man merkte dann aber auch, es waren nur Altbischöfe, bei so offenen Briefen
ist ja immer die Frage, entsteht eine riesen Run und stellen sich jetzt alle möglichen dahinter  und sagen, ich bin auch der Meinung, ich sehe es auch so. Nein, keiner, kein aktive Bischöfin oder  Bischof stellte sich dahinter und auch in den Synoden merkte man, die Mehrheiten waren weitgehend  inzwischen so, dass man sagte, nö, wir finden das Gesetz so wie es ist, eigentlich in Ordnung. Also  spätestens ab der Stelle kann man sagen, dass Kirchenweit hier eine andere Position inzwischen  erreicht war. Die letzten zehn Jahre waren jetzt ein bisschen tumultarisch. So, es gab 2013 eine  Orientierungshilfe der EKD mit dem Titel Autonomie und Angewiesenheit und da sollte es um  Familien politische Fragen geben. Das war auch eine Adhoc-Kommission, da waren Menschen aus der  Politik und aus dem Recht und aus allen möglichen Bereichen, nur ein bis zwei theologische Personen
waren dabei. So, und es ging viel um Ehe und Familie, es war eigentlich gar nicht geplant,  dass jetzt da theologische Grundsatzfragen angesprochen werden, aber es gab eine kleine  theologische Passage. So, und in dieser Passage war es jetzt doch auffällig, dass man sagte,  es gibt vielfältige Lebensformen heute, Ehe und Familie von Mann und Frau haben kein Monopol mehr  und das ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. Wir als Kirche können das auch  mittragen, wir können uns auch einsetzen für die Gleichberechtigung aller Menschen und entscheidend  ist für uns nicht mehr, in welcher Lebensform Menschen leben, entscheidend ist, ob ihre  Lebensformen den Normen der Verantwortung, der Fürsorge, der Treue und Verbindlichkeit gerecht  wird. Das ist für uns entscheidend. Ja, der Text erschien im Sommer, die EKD winkte ihn durch als
Orientierungshilfe. Man muss dazu wissen, die EKD hat verschiedene Kammern, zuletzt waren sieben,  die haben alle so ihr Gepräge und so. Das war keine reguläre Kammer, das war eine Ad hoc-Kommission,  dann kann die EKD so Texte unterschiedlich ranken, sie kann sie als Denkschrift oder Grundlagentext  bezeichnen, dann haben sie eine ziemliche Verbindlichkeit für eine EKD-Linie. Dieser  Text wurde Orientierungshilfe, das ist ein bisschen weniger, also das ist, man merkt,  so total hundertprozentig hatte der Rat, ein bisschen damit zu kämpfen. Man hätte auch noch  weniger sagen können, indem man sagt, ist ein Text der Kammer. Dann merkt man schon, im Rat haben  viele gesagt, ich finde, das ist nichts. Aber es wurde eine Orientierungshilfe, das Echo war gemischt.  Es gab Applaus aus vielen binnenkirchlichen Kreisen, die sagten, endlich, endlich sind wir in einem  großen Sprung angekommen in der Gegenwart, wir freuen uns. Das ist richtig schön, weil wir
verurteilen nicht mehr, wir grenzen nicht aus, wir diskriminieren nicht, wir sind auf einem guten  Weg zur diskriminierungsfreien Kirche. Es gab aber auch sehr viel Stunk, es gab sehr viel Widerspruch  von Konservativen, von Evangelikalen, es gab auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit, im Feuilleton  vieler Zeitschriften. Schon Verwunderung, dass man sagte, Moment, Moment, es ist 2013, ich bin schon  ein paar Jahre älter, habe ich nicht jahrzehntelang, jahrzehntelang von der Kirche gehört, Ehe und  Familie, Familie und Ehe. Und jetzt in einem Handstrich kommt das kaum noch vor. Jetzt ist  im Grunde nur noch Verantwortung für Sorge, Verbindlichkeit. So, und die EKD merkte auch,  es war ein bisschen tumultarisch. So, also man kann ja dieser Meinung sein, aber im Gefüge der
kirchlichen Entscheidung war das ein so, so ein disruptiver Umschlag, so wo man im Grunde auf  ganz andere Logik einstellte und gar nicht mehr blieb, was jahrzehntelang wie ein Mantram gepredigt  wurde. Es hieß dann, ja, da waren wir vielleicht doch alle schon ein bisschen müde, die Kammer  für soziale Verantwortung, die ist bei der Arbeit, die arbeitet an einer neuen Denkschrift,  Grundlagentext für Sexualethik, wird ja auch höchste Zeit. Man merkte dann aber, da gab es  Probleme, der Text wurde nicht Denkschrift, der wurde nicht Grundlagentext, der wurde gar nichts,  gar nichts. Es wurde nicht mal ein Text der Kammer. Dieser Text wurde dann herausgegeben  unter dem Namen der Verfasser. Peter Dabrock war einer der Verfasser. Unverschämt schön. Man kann  das lesen. So, es ist im Grunde ähnlich auf der Linie von Autonomie und Angewiesenheit. Das  Ergebnis war dann aber so in der Wahrnehmung noch ein bisschen verstörender. Also Autonomie
und Angewesenheit wurde von der Kirche übernommen als Orientierungshilfe. Ein Grundlagentext,  der so ähnlich ist, wollte man jetzt nicht. Weil man irgendwie merkte, wir müssen da noch mal  rangehen. Das ist in dieser Zeit ja diese etwas beruhigte Entwicklung in der kirchlichen Entwicklung  dazu. Jetzt blicken wir noch mal auf die evangelikale Entwicklung. Was war eigentlich  die evangelikale Position in den ganzen Fragen? Ich habe mir Zeit genommen für die Geschichte  und ich hoffe, es ist deutlich geworden. Es ist nicht so, dass wir hier 50 Jahre einen ewigen  Kampf hatten von Liberalen gegen Evangelikalen. Es war sehr viel bunter. So, und es waren über  Jahrzehnte hinweg viele klassisch konservative, traditionelle, lutherische, kirchliche Menschen,
die ein bisschen Öffnung aber auch nicht zu weit gehen wollten. Also Evangelikale waren immer Teil  eines viel breiteren Spektrums, was nicht allzu große Öffnungsschritte mitgehen wollte. Es ist  eine Entwicklung, ja fast müsste man sagen, der letzten 10, 15 Jahre, dass man in den Kirchen im  Grunde sagen kann, es sind überwiegend, wenn nicht ausschließlich Evangelikale vor Ort in den  Gemeinden die Starkorpsposition treiben in diesen ganzen Fragen. So und viele andere Strömungen eben  mit der Zeit nicht mehr. Was ist die evangelikale Position? Dazu muss man jetzt sagen, eine  evangelikale Position zu Homosexualität gibt es gar nicht. Evangelikale haben ihre Position immer  im Fluss der Zeit mitgebildet. So, es gibt da keine übergreifende Kontinuität, wo man sagen kann,
die Evangelikalen sehen seit, was weiß ich, der Urgemeinde anders so und so. Auch nicht seit dem  19. Jahrhundert, das ist so gar nicht der Fall. Die pietistisch erwecklichen Gruppen haben lange Zeit  die Strafbarkeit und gerichtliche Verfolgung von Homosexualität befürwortet, wie aber auch  das gesamte kirchliche Establishment ohne Ausnahme. Sie haben bis in die 50er Jahre hinein in dieser  Frage null Unterschied zu den Kirchen. Sie sind völlig eingebettet in das, was die Kirchen so  sagen. Sie fallen überhaupt nicht auf, überhaupt nicht. Wäre völlig sinnlos zu sagen in der ersten  Hälfte des 20. Jahrhunderts, was haben denn da Evangelikale zu dem Thema gesagt? Das, was alle  sagen. So ist gar kein Unterschied. Dann haben wir ja bereits gesehen, als das Thema ins Laufen kommt,  ist nicht sofort diese Polarisierung da. Ein paar Liberale öffnen sich, Evangelikale stehen
geschlossen. Witzigerweise ja ein Pietist wie Adolf Köberle oder einer später von Evangelikalen  auch sehr geschätzter, Helmut Thielicke, die hier im Grunde für Öffnung plädiert haben. Es gab dann  60er, 70er Jahre viele Evangelikale, die kritisch waren gegen die Strafrechtsreform im Sexualrecht.  Das gab es, gab aber auch nicht so wenige, die das mitgegangen sind. Das ist gar nicht einheitlich.  So und dann kann man sagen, 70er, 80er Jahre vertreten viele Evangelikale das, was kirchlich  konservativ vertreten ist. Zum einen Ehe und Familie sind das Leitbild der Ethik und auch,  das muss nicht so bleiben, das ist eine Entwicklungsschlörung, Homosexualität  kann man heilen. Dazu jetzt ein paar weitere Beobachtungen. Nun ist es so, Heilung von
Homosexualität hat eine schwierige lange Geschichte. Es gab eine Zeit lang die Idee, kann man da mit  ruppigen Methoden nicht was machen, mit Elektroschocks oder irgendwelchen chemischen  Kastrationen oder Lobotomie oder so kann man die umpolen. Hier gibt es schreckliche Versuche,  die man heute als Menschenrechtsverbrechen einstufen würde, mit dem man 40er, 50er Jahre  rumprobiert hat in verschiedenen Ländern mit großer Verzweiflung und wenig Ertrag. So und  dann gibt es in der therapeutischen Szene eine Sicht, die sich herausbildet vor allem in tiefen  psychologischen Therapieansätzen, also Ansätze, die sich an Sigmund Freud, teilweise an Alfred  Adler festmachen, wo es hier Ansätze gegeben hat zu sagen, das kommt aus der Kindheit. So,
das ist eine Fehlentwicklung des menschlichen Sexualtriebs und wenn Menschen hier ihre  Kindheitsverletzung aufarbeiten, dann können sie finden zu einer gesunden, gegengeschlechtlichen,  sexuellen Orientierung und auch Praxis. So und dazu muss man jetzt sehen, diese tiefen  psychologischen Ansätze, war ja Wiener Schule, Schweiz später dann mit Jung, Freud, Ansätze und  so, die dann in die USA vielfach emigriert sind und nach dem zweiten Weltkrieg in den USA eine  führende Stellung aufbauen. Das ist da erstmal so, dass die Psychologie das große Grundmuster  von Therapie ist und da war es sehr stark zu sagen, Aufarbeitung von frühkindlichen Verletzungen und  Fehlentwicklung ist der Königsweg, Menschen auf einen guten Weg zu kriegen. Freud war da durchaus  ambivalent, es gibt bei ihm unterschiedliche Aussagen, aber schon seine Tochter Anna Freud
war da stärker in diese Richtung und auch andere. So und diese Idee Homosexualität als Störung,  Entwicklungsverirrung als Krankheit ist in der tiefen Psychologie stark. Ab den 60er, 70er Jahren  findet in der therapeutischen Welt ein Shift statt, wo mehr und mehr weltweit diese tiefen  psychologischen Ansätze, ich sag mal mindestens ihre führende Stellung verlieren, wo sich  verhaltenstherapeutische Ansätze stärker durchsetzen, auch klinische Verfahren, die sagen,  wir fangen nicht mit irgendeiner Theorie an, wie gutes Leben ist und wie Entwicklung läuft und wie  wir das mit vielen Gesprächen und so weiter, wir arbeiten evidenzbasiert. Das heißt, wir wollen ein  klar beschreibbare Störungsmuster und eine klare therapeutische Intervention und das muss geteckt  und geprüft werden, funktioniert das und dann ist das für uns state of the art. So und das führt dazu,  dass in den 1970er Jahren bereits in den USA es gibt, 1973 gibt es da ein erstes Ergebnis einer
großen Tagung, dass man hier sagt, nein, wir nehmen Homosexualität raus aus dem Katalog der  Krankheiten. Das war tiefenpsychologisch inspiriert, das so zu sehen, aber wir finden dafür keine  therapeutischen Mittel, das ist wahrscheinlich auch gar nicht nötig und auch nicht möglich,  das so zu machen. So 73, wir haben vorhin ja gesehen, 71 gibt es diesen EKD Text zur Sexualethik,  da wird noch klar gesagt Homosexualität als Entwicklungsstörung, als Krankheit, so für die  Kirche der damaligen Zeit ist Tiefenpsychologie und Gesprächstherapie das Muster, das Modell und  es war 60er, 70er Jahre durchaus in kirchlichen Beratungsstellen weit verbreitet auf so was zu  setzen und zu sagen, wir haben gelernt, so man kann daran arbeiten. Das Interessante ist jetzt,  gerade evangelikale, pietistische, erweckliche Gruppen haben 60er, frühe 70er Jahre dieses
Eindringen der Tiefenpsychologie, der Psychoanalyse gar in die kirchliche Seelsorge stark bekämpft,  stark kritisiert und es ist ausgerechnet beim Thema Homosexualität so, dass evangelikale,  fromme Gruppen irgendwann merkten, hoppla, das sind ja die einzigen, die das noch irgendwie  therapieren wollen oder sagen, da gibt es Wege der Heilung, so dass dann im evangelikalen Bereich der  späten 70er, 80er, 90er vor allem es eine Riesenwelle wird, dass evangelikale im Grunde  diese beiden Positionen vertreten, Maßstab ist Ehe und Familie und Homosexualität ist eine Störung,  die man heilen kann. So und das wurde evangelikalerseits zu einer gesamtstimmigen  Position weiterentwickelt, dass sie sagten, naja, bei diesem Thema kommen immer mehrere Sachen
zusammen, was sagt die Bibel, was ist die biblische Grundlage, die scheint irgendwie im Urteil  negativ zu sein, wir können jetzt aber nicht nur die einzelnen Verse und so vielleicht etwas  komplizierter, eindeutiger ist aber Ehe und Familie ist der Ort, wo Sexualität und Lebensgemeinschaft  gelebt werden soll, das nehmen wir so als theologische Orientierung und wir verstehen  auch, dass man bei ethischen Fragen in irgendeiner Weise der Wirklichkeit gerecht werden muss,  wir müssen es beschreiben, wir müssen es einordnen und wir müssen zeigen, wie wir von unserer  biblischen Grundlage her auch praktisch umgehen mit Menschen, die an homosexuellen Empfindungen  leiden. So wie machte man sich da jetzt dran? Und hier kann man sagen, 80er, 90er, Nullerjahre gibt  es in der evangelikalen Landschaft eine weit verbreiteten Konsenz, wie man das angehen möchte,
der Konsens sah so aus, erstens Homosexualität ist keine konstitutionelle Prägung, es ist keine  naturhafte Anlage, das ist nichts, was wesentlich zu Menschen gehört, sondern wir lesen es in der  Bibel, Römer 1, es geht um Männer und Frauen, die den natürlichen Verkehr verlassen haben,  so und die sich einem wieder natürlich im Verkehr zuwenden, das heißt, das ist nicht natürlich,  das ist nicht wesensgemäß, das ist nicht konstitutionell, das ist kein So-Sein dieser  Menschen, also diesen neueren Konsens, dass bestimmte Menschen so sind, den lehnte man ab.  Zweite, was man damit immer verbannt war, so und die, die so leben und die jetzt in der Mitte  ihres Lebens so geprägt sind, so das ist eine Prägung, die ist erworben, die ist nicht ursprünglich,
die ist erworben und angeeignet und das ist aber eine deformierte und deformierende Prägung,  die ist so gestaltet, dass diese Menschen gar nicht in der Lage sind, treue, verbindliche  Partnerschaften zu führen, so also das kann niemals ein glückliches und erfülltes Leben  werden, weil die ganze Prägung einfach eine Entwicklungsstörung ist, es funktioniert so nicht.  Dritte Überzeugung war, wir vertreten eine Botschaft der Hoffnung, das muss nicht so bleiben,  da kann man raus, da kann man sich raus entwickeln, da kann man Hilfe bekommen, seelsäugerliche Hilfe,  therapeutische Hilfe, warum? Ja, weil es in der Bibel so steht, also Paulus nennt das ja,  bleib jetzt mal bei der Luther Übersetzung, Lustknarben und Knabenschänder, manche  evangelikalen Übersetzungen haben dann auch von homosexuell da sogar gesprochen und sie sagten,  Paulus sagt ausdrücklich den Korinthern, solche sind einige von euch gewesen, ihr wurdet aber
reingewaschen, gerechtfertigt, geheiligt und erlöst, so ihr seid so nicht mehr. Die, die so bleiben  wollen, die sich damit identifizieren, für die ist klar, sie werden das Reich Gottes nicht ererben,  die Gläubigen aber, die so gelebt haben, sind da raus durch Rechtfertigung und Heiligung,  sie sind davon erlöst und das ist eine Verheißung, die wir allen so mitgeben können,  Homosexualität muss kein Schicksal sein. Und das haben Evangelikale 20, 30 Jahre lang miteinander  verschraubt und gesagt, wir haben hier ein konsistentes Angebot, biblisch begründet,  so bewährt durch die Geschichte hindurch, Leitbild ist Ehe und Familie und wir haben eine Diagnose  und eine Therapie für den, die dem nicht gerecht werden wollen oder können oder so, das muss nicht  so bleiben, wer daran festhalten will, dann ist es ein gewählter Lebensstil, man kann davon aber
loskommen. Ein paar Belege, also landesgeiliger Gemeinschaftsbereich, Freikirchenbereich,  Grischona ist ja so ein bisschen beides, 1998 einen Text herausgegeben, wo sie sagen, 1. Korinther 6  bezeugt Paulus die Hoffnung auf Veränderung. Paulus hat es an den Korinthern gesehen und  deshalb davon überzeugt, dass durch das Geschenk der Sündenvergebung, die Rechtfertigung durch  Christus, durch die Kraft des Heiligen Geistes, Veränderung auch für Verhaltensweisen der Unzucht  möglich ist. Der Heilungsweg von der homosexuellen Fixierung hin zu einer gleichgeschlechtlichen ist  in der Regel lang und beschwerlich, aber Heilung ist möglich. Sie merkten Ende der 90er Jahre schon,  es geht nicht so ganz auf schwupp, so nicht, aber grundsätzlich sagen sie, es ist möglich,  Veränderung ist möglich, weil es in der Bibel steht. Es ist nicht natürlich, da steht Römer  1 und Veränderung und Heilung ist möglich, da steht 1. Korinther 6. Bundfreier evangelischer
Gemeinden, 2004 ein Text, so ähnlich, da sagen sie, es ist die seelsorgerliche Aufgabe der Gemeinde,  Christen die homosexuell empfinden herauszufordern, ihre Identität in Übereinstimmung mit dem  Evangelium verändern zu lassen. Wo homosexuell empfindene Menschen dazu bereit werden, wollen  wir ihnen seelsorgerlich und therapeutisch helfen. So, es bleibt dabei, wenn man sagt,  es gibt keine homosexuellen Menschen, es gibt nur homosexuelle Empfindung, homosexuelle Gefühle,  die sind das Ergebnis einer Fehlentwicklung, da kann man was machen, Seelsorge und Therapie. So,  es wird dann weiter betont, 2004 in diesem Text der Effigies, Christen müssen sich nicht mit ihrer  sexuellen Orientierung abfinden, sondern können erwarten, dass sie von Gott Hilfe und Heilung  erfahren, auch durch die Tätigkeit von Fachleuten und Seelsorgern. Je nach Schwere der Identitätsstörung  kann der Prozess von einer homosexuellen Orientierung zu einer überwiegend
heterosexuellen Identität durchaus drei bis zehn Jahre dauern. Was genau hatte man da vor? So,  und was in diesen Kreisen übernommen wurde, war jetzt nicht mehr Umpolungsverfahren schrecklicher  Art, 40er, 50er Jahre, das alles nicht, also wenn die sich von Umpolungstherapie distanzieren,  dann zu Recht. Sie haben im Grunde tiefenpsychologische Logik übernommen, die sah  im Grundriss jetzt so aus. Diese tiefenpsychologischen Ansätze, manchmal reparativer  Therapie auch genannt, sagten, das Begehren nach dem gleichen Geschlecht ist eine Entwicklungsstörung,  warum? Weil der Mensch natürlicherweise sich im Grunde heraus entwickeln würde,  erst aus der symbiotischen Engbindung zur Mutter. Man muss selbstständig werden, man muss ein  eigenständiger Mensch sein, man muss sich mit seinen Eltern erst identifizieren, dann auch
abgrenzen, dann selbstständig werden, beziehungsfähig werden und dieser ganze  Entwicklungszyklus endet da, wo man bereit ist, einen gegengeschlechtlichen Partner, mit dem man  in Liebe sich verbindet und reif wird, eine eigene Familie zu gründen, das wäre das Ideale. Wer Neigung  hat zum gleichen Geschlecht, der ist hängen geblieben, der ist irgendwo in dieser Entwicklung  hängen geblieben, er bleibt mit seinem Begehren beim eigenen Geschlecht. Das heißt, er ist nicht  ausgereift, er ist nicht zum Ziel gekommen. Weiter sagt diese Sicht das so, dahinter steckt im Grunde  jetzt folgendes. Diese Menschen haben nicht gelernt, eine reife, akzeptierte Identität  ihres eigenen Geschlechts für sich zu entwickeln. Also diese Menschen sind nicht in der Lage, sich  als Mann oder als Frau wahrzunehmen, anzuerkennen, wertzuschätzen, dafür Verantwortung zu übernehmen
und sich zu öffnen für die Welt des anderen Geschlechts. Sondern was passiert ist, diese  Menschen haben durch Entwicklungsstörung oder Verzögerung immer so ein Defizitgefühl in ihrem  eigenen Mannsein oder Frausein nicht zu reichen, nicht zu genügen, sich nicht anerkennen zu können.  Und dieses sich nicht mit sich identifizieren zu können, führt bei denen dahin, dass sie im Grunde  eine sexuelle Anziehungskraft erleben, die eine Pseudolösung ist. Das ist im Grunde das Tragische,  sie identifizieren sich erotisch mit demselben Geschlecht in einer anderen Person. Das heißt,  es findet so eine komische Verschiebung statt, die Liebe, die sie zu sich selbst und ihrer männlichen  oder weiblichen Identität haben müssten, wird von ihnen abgespalten, übertragen auf einen anderen
Menschen des gleichen Geschlechts. Und das Tragische dabei aus dieser Sicht ist, es funktioniert halt  nicht. Das Entwicklungsziel müsste sein, mit sich selbst und der eigenen Männlichkeit und Weiblichkeit  ins Reine zu kommen. Die erotische oder sexuelle Vereinigung mit dem gleichen Geschlecht in einem  anderen Menschen ist der Versuch zu reparieren, zu heilen, was an Selbstwertgefühl im Blick auf das  sich selbst eigene Geschlecht nicht gegeben ist. Und das ist auch der Grund dafür, dass solche  Beziehungen nie reif werden, nie stabil, nie verantwortlich, öffentlich gelebt werden können,  weil es immer im Grunde so eine selbstbezügliche Schleife ist, wo man Reifung verweigert und einfach  diesen sexuellen Umweg wählt. Im Detail kann das natürlich alles sehr tragisch sein. Also es kann  im härtesten Fall durch Missbrauch so angezeigt sein, dass Menschen sexuellen Missbrauch erfahren
haben, zutiefst beschädigt und verletzt sind in ihrer eigenen sexuellen Identität, geschlechtlichen  Identität und im Grunde Angst aufgebaut haben vor dem Gegengeschlecht und im Grunde die Liebe zum  eigenen Geschlecht, wie so ein Schutz- und Schonraum suchen. Es kann aber auch eben so sein, man hat  nicht genug Unterstützung erfahren vom gegengeschlechtlichen Elternteil, man hat nicht  genug Loslösung erfahren vom gleichgeschlechtlichen Elternteil, also man ist da irgendwie nicht in eine  gute Entwicklung hineingekommen. So und die Idee war nun, wir therapieren nicht Menschen das Schwulsein  und Lesbischsein ab. Da merkte man schon so eine Umpolung mit Elektroschocks, ja das ist ganz  furchtbar und so, das wird nicht funktionieren, sondern wir vermitteln Menschen diese Diagnose,  dein gleichgeschlechtliches Begehren ist ein Symptom. Du leidest an einer Identitätsstörung,
du bist in dir selbst nicht Mann genug und Frau genug und es ist der falsche Versuch deiner Seele,  das auszugleichen durch gleichgeschlechtliches Begehren. Du schaue das Problem, sieh, dass es  nicht funktioniert. So und dann finde hinein in eine gute Selbstannahme, in ein gutes Ankommen  in deinem eigenen Geschlecht, so dass du zum einen mit einer Therapeutin, einem Therapeuten  oder einem Seelsorger aufarbeitest, wo ist es in deinem Leben schief gegangen, wo bist du traumatisiert  worden, verletzt worden, nicht unterstützt worden in der Gewinnung der eigenen Identität und baue  nicht sexuelle Freundschaften auf mit anderen Betroffenen, mit Menschen, wo du in einer Gruppe  lernst reifes Verhalten zu entwickeln. Und das ist ja immer diese tiefenpsychologische Grundidee,  geh in enge vertraute Beziehung mit einem therapeutischen Gegenüber oder einer Gruppe
und hole in diesem Schutzraum nach, was dir an Entwicklung in deinem Elternhaus nicht gelungen  ist. Ist immer die Idee, nicht in der Beziehung zum Therapeuten wirst du früher oder später durch  lauter Übertragungen die Konstellation wiederholen, die du mit deinen Eltern oder wesentlichen  Kontaktpersonen schon mal hattest und dann ist es aber möglich, weil der Therapeut ganz viel  durchgearbeitet hat für sich, dass du eine reifere Bewältigung von Konflikten, von Übertragung, von  Sehnsüchten schaffen kannst und wenn du bei dir ankommst, hast du was großes erreicht und die Idee  war, Menschen die bei sich selbst ankommen, werden auf einmal erleben, dass das gleichgeschlechtliche  Begehren den Sinn verliert. So und je weniger stark Menschen involviert waren in gleichgeschlechtlicher
Praxis, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie das gar nicht mehr brauchen werden,  so und dass sie frei werden können, sich öffnen können für heterosexuelle Anziehung und mit  ein bisschen Glück können sie noch ganz wunderbar in den Hafen der heterosexuellen  Ehe und Familie einmünden. Das war die Grundidee so und das war 60er, 70er Jahre schon State of the  Art. Das ist also jetzt nicht irgendeine Unterwinkelidee, das hatten schon die Psychologen  sich so alles überlegt. Es ist auch nicht so, dass jetzt alle sagen, was für ein Vollquatsch,  nicht? Also es gab Menschen, wo gerade im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch man sich  vorstellen kann, dass das nicht komplett falsch war oder so, also dass es für einzelne Entwicklungsverläufe  passte. Das große Problem, was die psychologischen Schulen aber je länger je mehr merkten ist, man kann
solche Einzelerfahrungen nicht generalisieren und sagen, bei homosexuellen Menschen ist es immer  Entwicklungsstörung, ist es immer Unreife. Für Betroffene in solchen therapeutischen Verfahren  war es, naja, gemischte Erfahrung für viele, war es erstmal ein ungeheurer Freiraum offen sein zu  können. So und es waren ja in der Regel Betroffene mit Betroffenen. So weit überwiegend waren es  Selbsthilfegruppen von Menschen, die Hilfe suchten und es bei diesem tiefen psychologischen Konzepten  fand, also für viele fühlte sich das erstmal sehr befreiend an. Es kam aber auch je länger je mehr  die Erfahrung dazu, dass es nicht gut funktioniert hat. So und das ist etwas, wo man in den letzten  20 Jahren sehen kann, wo die Ziele immer bescheidener werden. Ich selbst habe noch vor 25 Jahren gehört,  die meisten schaffen das, dem Aufrechten lässt es Gott gelingen, das ist eigentlich so ganz gut.
Dann hieß es irgendwann nach 2000, ja bei zwei Dritteln der Leute ist das erfolgreich oder so.  So um 2010 hieß es, also jeder zweite hat da gute Aussichten, jeder zweite kann es schaffen. 2015 habe  ich dann zuletzt gehört, also manche Studien sagen, Drittel vielleicht auch nur ein Viertel,  aber immerhin, da tut sich was. Ich glaube, da ist man noch viel, viel bescheidener. Inzwischen  haben hat man weitgehend Abstand davon gewonnen, weil man hier ein Schema, was vielleicht für  einzelne zutreffend gewesen sein mag, das hat man ausgedehnt und übertragen auf alle und es war für  viele dann tatsächlich auch eine Tortur. Warum war es eine Tortur? Weil vor allem zwei große  Schablonen für viele Menschen je länger je mehr sehr verheerend waren. Die eine Schablone war,  du bist durch und durch ein unreifer Mensch. Du bist ein Mensch mit einer Identitätsstörung,
du bist nicht ausgewachsen, du bist nicht ausgereift. Deine Homosexualität ist ein  Symptom dafür, dass du irgendwie kaputt bist. So und es gibt Bücher, die das sehr drastisch  auswalzen und sagen, das Problem des Homosexuellen ist ein Selbstmitleid, ist ein Narzissmus. Man  sagte schon, die Orientierung auf das eigene Geschlecht ist narzisstisch, ist selbstbezüglich,  ist unreif, ist nicht offen für das andere Geschlecht, für die Ergänzung und so. Es ist  im Grunde eine verkappte Form der Selbstliebe. So und dann wurde ständig so gezeichnet, dass man  lernt, die eigene Homosexualität zu hassen, um da rauszukommen. Es ist unreif, es ist weinerlich,  es ist krank, es ist kindisch, es ist selbstbezüglich, es ist nicht erwachsen,  es ist nicht gelungen. So und wenn man sich immer mit diesem Blick anschaut, tut das der Seele nicht  gut. Spannungen hatten die Menschen ja allzu mal, wenn man sich fragte, fühlst du dich denn rund,
gesund und glücklich und so weiter? Ja, wenn du dein Leben lang in Gemeinde, in Freundschaft,  überall im Grunde mit dem Gefühl aufwächst, so wie ich bin, bin ich nicht richtig,  welches super Duper Selbstvertrauen willst du da entwickelt haben? So, also Leute darauf hin  anzusprechen, dass sie sich vielleicht auch konflikthaft mit sich selbst fühlen, wer kriegt  das noch auseinander? Konflikthaft mit der Familie, mit gesellschaftlichen Werten, mit dem eigenen  Glauben oder mit der eigenen Entwicklung, sehr, sehr schwierig. Was für manche noch bitterer war,  war natürlich die permanente Suche, was ist denn falsch gelaufen in der Beziehung zu deinen Eltern?  So und da wurde endlos nachgehakt, deine Mutter, war sie eigentlich liebesfähig? Konnte deine Mutter  wirklich für dich da sein? Warst du der uneingeschränkten Liebe deiner Mutter immer  gewiss? Hat deine Mutter dich wirklich gesehen in deinen ganzen Gefühlen und Beziehungen? Hat dein  Vater immer für dich Zeit gehabt? War er ein guter Vater oder hast du dich auch manchmal überfahren
gefühlt oder verlassen oder sonst wie? So und ständig und jetzt sind die meisten Menschen ja  unvollkommene Wesen. So, wenn man erst mal anfängt sich tief in die Frage zu versenken, was die  eigenen Eltern einem alles schuldig geblieben sind, die meisten finden da Sachen, ob das der  Beziehung immer dienlich ist, eine Frage. Für viele war es ein großer Kampf irgendwann zu sagen,  meine Eltern waren keine Übermenschen, aber eigentlich haben sie mich immer geliebt und ich  habe es immer gespürt und es stimmt nicht, es stimmt nicht, dass mir das so eingeredet wird.  So, es war für viele ein langer, langer, langer Kampf so dieses Muster irgendwann auch zu  hinterfragen und zu sagen, es passt bei mir nicht, ich bin nicht in der Lage mich als so unreif und  gestört oder fehlerzogen oder sonst wie wahrzunehmen, wie dieses Schema so sagt. Inzwischen gibt es ja
sehr, sehr, sehr viele Bücher dazu. Es gibt eine Netflix Dokumentation, wo die führenden  Vertreter solcher reparativen Therapien sagen, so und so, ich war dabei, ich habe tausende  therapiert, Alan Chambers war Vorsitzender von Exodus International, hat wirklich tausende  begleitet, sagt am Ende eines langen Weges, ich bin da raus, ich habe damit aufgehört,  ich war auch lange im Glauben, ich wäre jetzt heterosexuell. Im Grunde merke ich, ich habe mit  wahnsinniger Wut versucht, es zu sein, ich habe es nie geschafft und im Rückblick bin ich mir bei  mehr oder weniger keinem sicher, ob es wirklich je funktioniert hat. Es gibt einige, die bisexuell  genug waren, dass es für sie Sinn gemacht hat, aber ich wüsste nicht unter den vielen Tausenden,  die ich kenne, einen einzigen Fall, wo jemand stockschwul war und am Ende eines Weges stockhetero,  eigentlich haben wir das nicht erlebt. Für die Betroffenen war diese Matrix natürlich schon dann
auch eine große Belastung, weil man hat dem Eigenzeugnis der Menschen schlicht nicht geglaubt.  Wenn sie sagten, ich bin so, hieß es, das sagst du nicht, sag nicht, dass du so bist, du hast das  gewählt als Lebensstil. So ihren Geschichten wurde nicht zugehört. Wenn sie sagten, ich habe das aber  eigentlich schon mein Leben lang. Nein, das ist durch eine Entwicklung in der Erziehung, es wurde  ausgelöst, es ist erworben, es ist nicht ursprünglich. So, dann hat man mehr über sie  gesprochen, als wirklich hingesehen und gehört. Man hat vor allem auch kein Vertrauen in sie gehabt,  dass sie ja beziehungsfähig sein können. Man sagte, so wie du bist, kannst du ja gar nicht  beziehungsfähig sein. Ist ja unreif. Du kannst es gar nicht. Eine reife, bewusste Beziehung,  wo man sich für Verbindlichkeit und Treue, wirst du nie schaffen. Es wird immer ein verzweifelter  Versuch sein, zu simulieren, was du nie wirst leisten können. Umgekehrt hat man gesagt nicht,
also so wie du schwul oder lesbisch bist, du wirst es nie schaffen, reife Beziehungen zu führen in  Verbindlichkeit, das wirst du nie schaffen. Dazu bist du gar nicht in der Lage, egal was wirklich  war. Umgekehrt hat man ihnen gesagt, so aber du kannst deine sexuelle Orientierung verändern. Auf  der einen Seite, du kannst dein Verhalt nie so ändern, dass es reif, verbindlich und treu ist.  Du kannst aber deine sexuelle Orientierung verändern, von schwul und lesbisch auf hetero. So,  und das waren Glaubenssätze, die wieder und wieder und wieder Menschen eingeimpft wurden,  wo man hat ihrem Selbstzeugnis nicht vertraut, man hat ihrem Lebensweg nicht vertraut, man hat ihrer  Verzweiflung nicht vertraut, ihren angestrengtesten Bemühungen, diese Erwartung irgendwie umzusetzen,
hat man nicht vertraut. Und wenn es nicht klappte, hieß es immer, ja, man muss sich auch wirklich  öffnen für die Kraft des Heiligen Geistes. Man muss wirklich auch bereit sein, ganz loszulassen,  man muss wirklich sich auch hier öffnen und wenn man da irgendwas zurückhält, wenn man irgendwie  Dinge, was weiß ich, nicht öffnen möchte in der Beichte für Gottes Richten und für Gottes heilen,  ja, dann entscheidet man sich auch gegen Gott. So, im strengen Sinne ist es ausgeschlossen,  gläubig zu sein und schwul und lesbisch zu leben. Das heißt, denen, die es versucht haben, hat man  letztlich Glauben abgesprochen. So, und innerhalb von Kreisen, die so geprägt waren, war auch klar,  es werden keine anderen Lebensbeispiele repräsentiert, gezeigt, gehört, ernst genommen.  Sprach mal mit jemandem, der sagte, ja, aber ich habe wirklich noch nie irgendeinen schwulen oder
lesbischen Menschen gehört von, der richtig gläubig ist. Da war ich erstmal völlig perplex,  weil es gibt ganz, ganz, ganz, ganz viele und dann wurde mir schon auch klar, na ja, aber die Kultur  vieler Gemeinden, Zeitschriften, Bücher und so weiter, wenn du nur die Sachen aus einer bestimmten  Richtung hörst, genau das ist der Eindruck. Es gibt keine. Nie. Kann ja jeder für sich noch  mal scannen, was er da so kennt im Zeitschriften-Bereich oder im Buch-Bereich oder im  Verlagsbereich oder im Medienbereich und so. Gibt es das da irgendwo in den letzten Jahrzehnten,  so dass Menschen schwul und gläubig, lesbisch und gläubig gab es lange, lange, lange nicht. In den  letzten Jahren verändert sich es ja. In den letzten Jahren, aber lange Zeit, war das komplett  undenkbar. So, das ist in den letzten zehn Jahren ja gekippt. Da hat sich viel getan, so dass irgendwann
auch evangelikale pietistische Therapeuten gesagt haben, Moment mal, es stimmt so nicht. Martin Grabe  zum Beispiel, Direktorin an der Hohen Mark, Arzt hat das so gesagt, zusammenfassend lässt sich  feststellen, dass sexuelle Orientierung in der Regel in der Persönlichkeit eines Menschen verankert  ist und nicht geändert werden kann. Das ist die Regel. So, es gibt immer Sonderfälle und es gibt  eine Fluidität und so, aber das ist nicht machbar, nicht erzwingbar, auch nicht durch Anstrengung oder  Willen. Das kann nicht Gegenstand von Therapie sein. Inzwischen haben die Gruppen, die da beteiligt  gewesen sind, auch vieles noch mal korrigiert. Also ehemals Wüstenstrom hat 2020 erklärt,  als Selbsthilfegruppe verurteilen wir Versuche der Konversionsbehandlung, die wir selbst erlebt  haben. Sie schreiben, wenn wir das Thema Veränderung sexueller Orientierung bewegt haben
in unserer Geschichte, dann deshalb, weil wir als Männer homosexuelle und heterosexuelle Anziehung  gleichzeitig empfanden, so lag für uns die Frage, wie wir uns eindeutig in die eine oder andere  Richtung entwickeln konnten auf der Hand, als einige von uns ihre heterosexuelle Anziehung  weiter vertieften konnten, dachten wir eine Zeit lang, dass dies jedem möglich sein könnte. Doch  schon bald begegneten wir Menschen, denen es nicht möglich war, die von uns gemachten Erfahrungen  zu wiederholen. Wir anerkannten ab diesem Zeitpunkt, dass jeder Mensch seine Sexualität,  auch seine sexuelle Orientierung sehr unterschiedlich erlebt und dass Menschen vor unterschiedlichen  Lebenssituationen gestellt werden. In den Kirchen ist in den letzten zehn Jahren ja doch ziemlich  rasant ein Umschwung passiert, dass die Kirchen, die evangelischen Kirchen inzwischen sehr einhellig  sagen, es ist keine Sünde, es ist keine Krankheit, es ist keine Störung, es ist gut, es ist eine
Schöpfungsvariante und wir begleiten es mit dem Segen, genauso wie jede heterosexuelle Ehe auch,  ein wesentlicher Grund dafür ist ganz schlicht, dass die evangelikale Gegenposition in den letzten  zehn Jahren implodiert ist. Eine Gegenposition, die lange versucht hat zu betonen, es gibt keine  Homosexualität, es ist keine Prägung, die man nicht loswerden kann, es ist nichts, was treu und  verbindlich gelebt werden kann. Dafür kann man aber die sexuelle Orientierung verändern, wenn  man Therapie und Gebet und Glaube dazu nimmt. Das war ja zusammen mit der vermeintlich biblischen  Grundlage die evangelikale Position. Als solche ist die Geschichte, als solche wird sie kaum noch  geteilt. Inzwischen versucht man eher zu sagen, ja, anscheinend gibt es wahrscheinlich doch
homosexuelle Menschen, aber von unserer Ethik her können wir das irgendwie nicht anerkennen und ja,  Zölibat vielleicht, wir wissen es gerade auch nicht, aber eine zusammenhängende geschlossene  Sicht, was das ist und wie man damit umgeht und so weiter, gibt es nicht. Es gibt da natürlich  viele Fragen, wie man umgehen will mit der langen Geschichte von Erklärungen, wo man das Leben von  Menschen in einer Weise fehl gedeutet hat, die zu sehr viel Schmerzen und sehr viel Zusammenbrüchen  geführt hat. Ich komme zum Schluss. In der evangelischen Kirche, in den meisten Landeskirchen  sind das Auseinandersetzungen von früher. In den meisten genießen Menschen inzwischen ja, das Gefühl  selbstverständlich an erkannte Vielfalt. Man hat Zeit für viele andere Fragen und braucht das auch  nicht zurück. Ich glaube, man kann aus diesem Weg aber auch ja wirklich was lernen. Es waren
mehrere Paradigmenwechsel. Es waren mehrere große Veränderungen, wo man merkte, man kommt, wenn man  auf einen bestimmten Wahrnehmungswinkel festgelegt ist, bestimmte Sachen nicht in den Blick. So,  man hat eine lange christliche Geschichte der Tabuisierung dieses Themas, wo es völlig unsagbar  war. Es war Gräuel, es war abscheulich. So, und das wurde überführt irgendwann in Kriminalisierung,  Kriminalisierung, Verfolgung, der Versuch mit gesetzgeberischen Mitteln und Polizeimaßnahmen  es irgendwie aus der Welt zu kriegen. So, und das hat nie funktioniert. Es wurde eher immer schlimmer,  bis man dann im 20. Jahrhundert allgemein umstellt auf eine Pathologisierung und sagt, oho, aha, es  sind Menschen. Es ist irgendwie nicht nur ein schreckliches, grauenhaftes Verhalten, sondern  Menschen, ja aber arme Menschen, gestörte Menschen, hilfsbedürftige Menschen. Sie brauchen Seelsorge,
sie brauchen Mitgefühl, sie brauchen unser Rat. So, und diese Pathologisierung war erst mal ein  Fortschritt, weil man konnte reden, man konnte mit ihnen reden, man konnte zuhören, man konnte sagen,  Mensch, was ist denn schiefgelaufen bei dir und jetzt erzähl mal. So, und was passiert ist in vielen  christlichen, therapeutischen, anderen Settings, das Zuhören hat nochmal eine andere Welt beschaffen.  So, im Zuhören merkte man, vielleicht ist das mit der Pathologisierung auch noch nicht das Ende der  Geschichte. Wenn die Menschen anfangen zu erzählen und man ihr Leben kennenlernt, ist man in einer  neuen Welt. Nur man merkt vielleicht, dass dieses ganze Muster, es ist krank, es ist eine Störung,  sie brauchen unser Mitgefühl und so, dass es so nicht funktioniert, sind einfach Menschen,  die anders sind. So, und viele kamen dahin zu sagen, ja dann gibt es das. So, wir sind anders  und ich möchte das auch echt tolerieren. Ich will das total tolerieren, dass die anders sind und dann  blieb man aber bei so einer Art Exotisierung. Es sind halt so, ja die sind andersrum, die sind vom
anderen Ufer. So, das toleriere ich total, aber es ist nicht normal. Es ist nicht normal und ja,  sehr anstrengend und im Staat, in der Gesetzgebung, in der Kirche und so. Normal ist anders. Normal ist  Ehe, normal ist heterosexuell und darauf konzentrieren wir uns und das sind so Exoten.  Das ist die kleine schrille Minderheit. Als offene Gesellschaft können wir das akzeptieren, so, aber  sie sollen nicht was anderes sein wollen als Exoten. Nur da können wir immer sagen, ihr seid zwar nicht  normal, aber auch witzig und im Karneval auch echt cool und so und können wir schon machen. Nun,  bis man irgendwann ganz am Ende eines langen Weges merkte, wofür haben wir das genau nötig,  ist es echt so, die Angst, wenn die sind, wie sie sind, kriegen wir alle Lust auf Ehebruch und  Radau und wer weiß wie und so. Also ist das so oder sind das nicht ganz komische Ängste, ganz
komische Ideen. Warum können wir nicht in die gleichmäßige Wertschätzung einer weiten Vielfalt  eintreten, dass wir sagen Gleichstellung, wir stellen das gleich, wir erkennen es an. So,  wir sind nicht mehr darauf irgendwie angewiesen, es zu pathologisieren, es zu exotisieren. Wir  können es als anders, aber gleich anerkennen. So, das ist etwas, was sich im Laufe der Zeit mehr  und mehr durchgesetzt hat. Was ich im Blick auf die Kirche jetzt nochmal abschließend sagen will,  die Kirche war da kein Vorläufer. Die Kirche war da nicht vorne dabei, sie war auch ewig nicht rot,  grün oder sonst wie unterwegs. Sie hat sehr lange gebraucht, hier überhaupt in die Gänge zu kommen.  Es gab vom Bundesverfassungsgericht 1957 große Verhandlungen, wo es darum ging, ist das noch  zeitgemäß, Paragraph 175 und so. Ist es nicht ungerecht, dass Frauen nicht verfolgt werden,
Männer schon. Ist es nicht gegen die Selbstentfaltung des Einzelnen. Das Bundesverfassungsgericht sagte,  ja, könnte einem ungerecht erscheinen, aber also das sittliche Empfinden im Volk, das natürliche  Sittengesetz scheint zu sagen, das ist schlecht. Und so das Verfassungsgericht 1957, die beiden  großen Kirchen, 90 Prozent der Bevölkerung, die prägen schon jetzt so und wir müssen feststellen,  1957, es gibt keine einzige Stimme aus Kirche und Theologie, keine einzige, die das anders sieht.  So wir müssen als Verfassungsgericht wahrnehmen, die großen sittlichen Garanten unserer ethischen  Orientierung, die Kirchen sind da komplett geschlossen und da können wir als Verfassungsgericht  auch nicht sagen, egal, so vielleicht kommt da nochmal Bewegung rein, aber im Moment ist es so.  Und ein Ruhmesblatt ist es nicht, also wenn man guckt, die SPD zum Beispiel hat bereits 1898
erstmals plädiert, Antrag gestellt, kann man den ganzen Paragrafen vielleicht streichen und so. Die  Kirchen sind nicht früh dran. So, es ist aber auch nicht so, als wären die Kirchen nur hinterher.  Im Grunde kann man sagen, die Kirchen fangen an sich zu entwickeln in der Zeit, wo gesamtgesellschaftliche  Entwicklungen im Gange kommen. Mehr oder weniger haben die evangelischen die Durchschnittsgeschwindigkeit  der Gesamtbevölkerung. Da gibt es manche Landeskirchen, die ein bisschen schneller sogar  sind als die gesamtgesellschaftliche Entwicklung bei manchen anderen Kirchen, dauert es ein bisschen  länger. Was man im Rückblick fragen muss, die große kirchliche Sicht Ehe und Familie, wie will  man das jetzt am Ende nochmal bewerten? Dazu würde ich Folgendes sagen. In der Tat ist das für das  Christentum wesentlich zu sagen, Ehe und Familie sind für uns sehr hohe Werte. Und man muss vom  Anfang der Kirchengeschichte an ja auch sehen, die Stärkung von Ehe und Familie ist für die antike
Welt eine ungeheure Integrationsleistung, wo Menschen ihren sicheren Platz bekommen,  wo sie nicht mehr freiwillig werden für Männer, die glauben über alles verfügen zu können. Die  griechischen, römischen, vielen anderen Praxen sahen so aus, Sex war das natürliche Recht von  herrschenden, besitzenden Männern. Sie verfügten über ihre Frauen, über ihre Sklavinnen und  Sklaven, über Gefangene, über Käufliche und für sie waren viele Menschen mit ihrem Körper  Verfügungsmasse. So und die kirchliche Ethik der frühen Christenheit hat durch ihre starke Betonung  Ehe in Treue und Verbindlichkeit, Exklusivität, Familie sehr viele Menschen, Sklavinnen, Sklaven,  Frauen, Käufliche herausgerissen aus dieser Freiwildposition. So ich glaube, das muss man
erstmal sehen und die Kirche hat lange Zeit Ehe und Familie gestärkt und damit viele Menschen  geschützt, Frauen geschützt, Heranwachsende geschützt. Es war eine Schutzvorrichtung,  es war ein sicherer Hafen für ganz ganz viele. So und dann ist es irgendwann dahin gekommen,  dass das war als eine Schutzeinrichtung war, mehr und mehr als Repression empfunden wurde,  als etwas Einengendes, schlimmer noch als Ausgrenzendes und also spätestens in der  Neuzeit der Fall, wo kirchliche Eheethik sehr ausgrenzend, sehr verletzend, sehr diskriminierend  war, wo Kirche im Grunde mit Entwicklungen, die sie selbst angestoßen hat, nicht mehr klar kam. Denn  auffällig ist ja, seit wann reden wir von homosexuellen Menschen? So, Geschichte ist  sehr kompliziert, aber wir reden weitgehend nicht in Antike, Mittelalter davon. Im Grunde
Ende des 18. Jahrhunderts dann schlichtig im 19. Jahrhundert, ganz stark im 20. Jahrhundert wird  das überhaupt sichtbar. Was ist denn da der Zusammenhang? Naja, offensichtlich der. Ende  des 18. Jahrhunderts setzt sich das romantische Zeitalter durch. Die Idee, dass Ehe gegründet  sein sollte, auf die wechselseitige freie Zuneigung, das zueinander Hingerissen sein von Menschen,  die sich seelisch, geistig und erotisch füreinander attraktiv sind und sich so ganz und gar bejahen  wollen. Das ist ja nicht Antike, das ist nicht Mittelalter, das ist nicht die Normalität,  diese Erwartung. Ehe ist gegründet auf wechselseitige Zuneigung und Anziehung. So erst in einer Zeit,  wo das der Standard ist für Liebesbeziehungen aller Art, merken manche Menschen immer mehr,  dass sie nicht in der Lage sind, das aufzubauen zu Menschen anderen Geschlechts. Dass Homosexualität
sichtbar wird in der modernen Art und Weise hat ganz schlicht zu tun mit der Veränderung der  modernen Liebeslogik insgesamt, die auf wechselseitige Liebe setzt. So und dieses  Ding, dass die Ehe von Liebe geprägt sein soll, war mal eine ursprüngliche christliche Idee. Die  Romantik ist eine Steigerung, eine Verlängerung dieser ursprünglich christlichen Idee, nur dass  die Kirchen damit irgendwann nicht mehr klarkommen. Sie kommen nicht mehr klar, dass Menschen wirklich  lieben wollen und ja gerade das ernst nehmen und so wie sie sind nicht mehr reinpassen in die  Kästchen christlicher Eheethik. So darum ist die zunehmende Kritik an einer eng geführten  christlichen Eheethik verständlich, weil sie im Namen von Menschen von der Authentizität,  der Selbsterfahrung her vorgebracht wird. Heute würde ich die Herausforderung darin sehen,  wie kann man Ehe weiterdenken und weiterentwickeln. In den Zehnerjahren gab es in der evangelischen
Kirche so diesen Trend zu sagen, Ehe oder nicht Ehe, eigentlich auch egal, vielleicht reicht es ja  wirklich zu sagen, jede Form der Beziehung in Verbindlichkeit, Treue, Fürsorge, das ist für uns  das Maß. Ich finde jetzt da ein bisschen kurios, das Ergebnis in der Gesetzgebung ist ja in vielen  Ländern nicht Liebe für alle, sondern Ehe für alle. Also Ehe ist doch nach wie vor sehr attraktiv,  ist doch als verbindliche Lebensform, wo man füreinander und für die Öffentlichkeit sichtbar  und erkennbar wird, wo man auch Familie stiftet, Familienbeziehungen zu Schwiegereltern, Schwager,  Schwägerin, Nichten, Neffen, wo man Teil eines größeren Ganzen wird, das ist ja für viele  attraktiv. Im Grunde könnte man die kechliche Ehelehre weiterentwickeln, so dass man sagt,  wenn die Ehe gerechter wird, verliert sie nicht an Substanz, sondern gewinnt an Substanz. Vielleicht
geht der Weg da noch weiter. Das war aber jetzt ein Überblick über evangelische Kirche und  Homosexualität. In einem weiteren Vortrag wird dann die Frage natürlich erfolgen müssen,  Bibel und Homosexualität, wie kann man diese Entwicklung sehen im Lichte der biblischen Texte?  Wie kann man sie verstehen? Wie kann man sie auslegen? Wie hat man sie früher ausgelegt? Wie  versteht man sie heute und welche Hilfe und welche Herausforderungen bieten sie uns mit dem Thema  Homosexualität in guter Weise umzugehen?
Homosexualität und die evangelische Kirche | 12.1.1
Die Kirche hat sich im Laufe ihrer Geschichte schwer getan mit der Homosexualität. Die Kirche? Im Gegensatz zur katholischen Kirche scheint zumindest die evangelische Kirche das Thema inzwischen entspannt zu sehen. Da gibt es homosexuelle Pfarrerinnen, homosexuelle Paare werden gesegnet, Regenbogenfahnen hängen vor Kirchengebäuden. Alles Friede, Freude also? In seinem ersten Vortrag über Homosexualität erklärt Thorsten Dietz, wie beschwerlich der Weg der evangelischen Kirche zum heutigen Umgang mit Homosexuellen war. Es ist ein rascher Ritt durch sieben Jahrzehnte, angefangen bei den Jahren, in denen sich die Kirche überhaupt bewusst wurde, dass es Homosexualität als Neigung gibt. Über die Zeit, in der Homosexualität als böse galt, später als krank, schließlich als heilbar. Dietz erzählt von den Versuchen, Mensch und Tat voneinander zu trennen, spricht vom Leid des Versteckens und der Erkenntnis: Auch die evangelische Kirche hat eine große Schuld auf sich geladen. Die Einstellung, dass Ehe von Liebe geprägt sein soll, ist ein völlig neues Phänomen in der Menschheitsgeschichte. Sollten sich nur Mann und Frau lieben dürfen? Wer hat darüber zu urteilen? Dietz jedenfalls kommt zu einem eindeutigen Urteil. Aber kommt die Kirche damit klar?