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In diesem zweiten Vortrag zur Einführung ins Johannesevangelium möchte ich Sie mitnehmen in die wohl kühnste Theologie, die wir im Neuen Testament finden. Was sagt dieses Evangelium über Jesus und seinen Tod? Welche Konsequenzen hat dieses für unser Bild von Gott, für unsere Sicht von der Welt und für unsere Sicht des Glaubens? In der frühen Kirche und bis heute in der Ostkirche wird Johannes, der Evangelist, mit dem ehrenvollen Beinamen der Theologe versehen, hoteologos. Das meint nun nicht Theologie in unserem Sinne als das begründete Nachdenken über Gott und den christlichen Glauben. Der Ehrenname ist Johannes vielmehr deshalb verliehen, weil er am deutlichsten über Jesus Christus als Gott spricht. Was die älteren Evangelien, obwohl auch Paulus noch nicht

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so klar auszusprechen wagten, wenn sie Jesus als Messias, als Sohn Gottes und Herrn bezeichnen, das spricht das Johannesevangelium aus. Programmatisch heißt es schon in den ersten Versen der Logos, der im Anfang war, war Gott, ist Gott. Das Wort, das Fleisch wurde, der einziggeborene vom Vater, der uns Gott offenbart hat, der ist Gott. Und ganz am Ende finden wir das Bekenntnis des Thomas, der ausruft nach der Begegnung mit Jesus, mein Herr und mein Gott. Das ist alles andere als selbstverständlich. Das ist bis zum äußersten kühn, vor allem für Menschen, die vom jüdischen Glauben her kamen, indem es ein einziges klares Bekenntnis gibt, höre Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einer und es ist kein anderer Gott neben ihm. Wenn der

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Gott Israels ein einziger ist und keiner neben ihm, wie soll dann von seinem Gesandten, von seinem Messias, ja von seinem Sohn gesagt werden können, er ist Gott. Ist das nicht Gotteslästerung? Ist das nicht Abfall ins Heidentum? So haben wohl manche Juden diese johaneischen Formulierungen verstanden. Ja, nach dem Alten Testament kann Gott Menschen senden, bevollmächtigen, selbst in den Himmel entrücken wie Henoch und Elia, aber er kann nicht selbst Mensch werden. Und für die meisten Juden wäre es eine Gotteslästerung zu behaupten, dass ein Mensch, der Jesus ja war, ein Gott wäre oder Gott geworden wäre. Das wäre Blasphemie. Und etwas von diesem Vorwurf spüren wir ja im Markusevangelium, wenn der hohe Priester Jesus fragt, bist du der Sohn des Hochglaubten? Und als Jesus bejaht, zerreißt er sein Gewand und stellt die Gotteslästerung fest. Menschen aus dem

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griechischen und römischen Umfeld hatten andere Probleme. Sie kannten viele Götter, die auf dem Olymp und viele andere, Staatsgötter, Stadtgötter, Hausgötter und daneben Halbgötter wie Herakles, die nach ihren Taten irgendwann zu Göttern erhoben worden waren. Die Grenze zwischen menschlichem und göttlichem war da viel durchlässiger als für Juden, die immer an dem klaren Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpft festhielten. Manche der griechischen Götter konnten auch auf Erden erscheinen. Wenn der Zeug mal wieder eine Frau schwängern wollte, dann erschien er ihr in irdischer Gestalt. Was traute man ihm zu? Allerdings nach der Affäre verschwand er schnell wieder, machte sich aus dem Staub und ließ sich nicht greifen. Er wurde nicht wirklich und dauerhaft Mensch, sondern erschien nur für kurze Zeit in Tier- oder Menschengestalt, um dann wieder als Gott zu entschwinden und auf die irdischen Dinge herabzusehen. Für Griechen kann

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einer, der stirbt, kein Gott sein. Götter sind unsterblich. Wenn Jesus gestorben ist, war er kein Gott. Wenn er ein Gott gewesen wäre, wäre er nicht gestorben. Dann hätte er sich vor dem Kreuz in Luft aufgelöst oder irgendwie entfernt. Allenfalls könnte er ein Scheinmensch sein mit einem Scheinkörper, aber reale Schmerzen, ein realer Tod, das geht nicht. Wenn das Johannes-Evangelium formuliert, dass das Wort Fleisch wurde und sich nicht einfach mal so nur kurz in irdischer Gestalt zeigte, dass Gott Mensch wurde und dass dieser menschgewordene Gott sich greifen ließ, gekreuzigt wurde und starb, dann ist das so eine unerhörte Botschaft, so kühn, dass sie bei Juden und Griechen Ärgernis und Kopfschütteln hervorrufen musste. Was Johannes in seinem Prolog formuliert, das ist so unverständlich und ärgerniserregend nach beiden Seiten. Es ist eine in der Bibel

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einzigartige Aussage und der Evangelist muss sich dessen bewusst gewesen sein, wie sie provoziert, damals wie heute. Wir haben diese Botschaft gezähmt, haben sie als Weihnachtsevangelium mit dem Kind in der Grippe aus Lukas und Matthäus verbunden, wir haben sie verniedlicht. Aber die Rede von der Menschwerdung Gottes ist Sprengstoff, denn sie hebt die Vorstellung von der Welt und ihrer Integrität aus den Angeln. Damit ist Johannes tatsächlich der kühnste Theologe im Neuen Testament. Doch möchte ich zur Entfaltung der Theologie dieses Evangeliums an einer anderen Stelle beginnen, dort wo der Zielpunkt ist, worauf alle Linien hinlaufen, beim Tod Jesu, wo Jesus sagt, es ist vollbracht, vollendet. Denn hier liegt der zentrale Punkt, an dem Johannes seine Leserinnen und Leser zur vertieften Einsicht führen möchte, wo sie in vertiefter Weise sehen

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und glauben sollen. Gewiss von der Passion Jesu reden alle Evangelien am Ende und sie hat Gewicht. Man hat schon Markus eine Passionsgeschichte mit verlängerter Einleitung genannt, aber rein vom Umfang her gesehen sind das nur zwei von 16 Kapiteln. Und erst ab der Mitte des Evangeliums spricht Jesus von seinem kommenden Leiden. Am Anfang ist davon noch nichts zu hören. Wenn Jesus zuerst auftritt, seine Wunder tut, seine Gleichnisse erzählt, rechnet noch keiner mit seinem Tod. Erst gegen Ende sagt er ihn an und zieht nach Jerusalem zum Passafest. Anders bei Johannes. Da ist der ganze Teil ab Kapitel 13 auf Passion und Ostern fokussiert. Neun von 21 Kapiteln, fast die Hälfte des Evangeliums. Und das sind nicht nur diese auffälligen Abschiedsreden, in denen Jesus vier Kapitel lang von seiner Passion und seinem Weggang spricht und was damit verbunden ist. Nein, viel

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früher, vom Anfang an, weist das Johannes-Evangelium auf Jesu Tod hin, der Ziel und Vollendung seines ganzen Weges ist. Das beginnt schon am Anfang, wenn Johannes der Täufer Jesus als das Lamm Gottes bezeichnet, dass die Sünde der Welt wegtrennt. Im zweiten Kapitel verweist Jesus in Cana auf seine Stunde, die noch nicht gekommen sei. Und bei der Tempelreinigung ist ganz deutlich Passion und Ostern im Blick. Wenn Jesus sagt, reißt diesen Tempel ab und ich werde ihn in drei Tagen wieder aufrichten. Der Tempel seines Leibes. In Johannes 3 begegnet ein weiterer Hinweis auf den Tod Jesu. Wie Mose in der Wüste die Schlange aufgerichtet hat, so muss der Menschensohn erhöht werden. Wie einst die Schlange an einem Stab aufgerichtet wurde, so steht nun der Stab des Kreuzes, an dem Jesus hängt, erhöht werden soll, als anschauliches Bild vor Augen. Und die Hinweise

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gehen weiter. Immer wieder ist davon die Rede, dass die Gegner Jesu greifen wollen, dass Judas ihn ausliefern würde. Und dann vor allem in den Worten Jesu, dass er als der gute Hirte sein Leben für seine Schafe einsetzen werde, dass er sein Fleisch für das Leben der Welt geben werde und so weiter. Lange bevor bei Johannes die Passion erzählt wird, gibt Johannes seinen Lesern Hinweise und Verstehenshilfen. Jesu Tod ist erfolgt in seiner Stunde, das heißt nach einem göttlichen Zeitplan. Sein Tod ist Eintreten für seine Schafe, für das Volk, für seine Freunde, Lebenseinsatz zu ihren Gunsten. Durch seine Erhöhung am Kreuz sollen die Glaubenden ewiges Leben haben. Überhaupt wird Jesu Tod bei Johannes mit ganz ungewöhnlichen Begriffen umschrieben. Jesus sagt einfach, er gehe

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weg, man werde ihn suchen und nicht mehr finden. Und dann redet er von Erhöhung und Verherrlichung. So spricht man eigentlich nicht von einem Tod, von gar nichts von einem so schrecklichen Tod, wie dem Kreuz. Besonders dicht begegnen diese Begriffe am Ende der öffentlichen Wirksamkeit, in seiner letzten öffentlichen Rede, in Kapitel 12. Da kommen Griechen zum Fest und wollen Jesus sehen. Und darauf sagt Jesus nicht zu ihnen, sondern zu allen, die Stunde ist da, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Jesu sterben wird also vorweg erklärt als eines, das Frucht bringt, das ihn nicht allein sein lässt, sondern ihm Menschen zuführt und eben als Erhöhung und Verherrlichung. Wie kommt Johannes auf diese Begriffe? Ist das ein Euphemismus, ein Versuch,

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die unappetitliche Realität zu verschweigen, wie wir heute beschönigend in Todesanzeigen lesen, jemand sei von uns gegangen? Will Johannes die harte Realität des Todes abmildern, um seine Leser nicht vor den Kopf zu stoßen, um Jesu Tod als einen edlen, respektablen Tod darzustellen und nicht als einen so unappetitlichen? Dafür könnte man anführen, dass Johannes auch das Leiden Jesu weniger betont als Markus und Matthäus. Aber wenn nachher die Kreuzigung berichtet wird, dann wussten alle Menschen in der Antike, was das für ein sadistisch grausames Geschehen war, das lässt sich nicht als ein edler Tod verkaufen. Und die frühen heidnischen Kritiker des Christentums wie Celsus haben das gesehen. Wer so stirbt, kann nicht edel sein, nicht einer, dem man folgen sollte, schon gar kein Gott. Erhöhung und Verherrlichung, diese beiden

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Worte, mit denen Johannes den Tod Jesu charakterisiert, zielen nicht auf Verharmlosung. Sie spiegeln vielmehr eine theologische Einsicht. Der Hintergrund ist die Bibel, die Schrift. In dem berühmten Gottesknechtslied in Jesaja 53, für wahrer Ertrog unserer Krankheit und so weiter, da kommen sie zusammen vor. Dort heißt es im griechischen Text, mein Knecht wird erhöht und sehr verherrlicht sein. Wenn man den Gottesknecht in diesem Text, wie die frühe Christenheit, auf Jesus deutet, dann ist da eine Weissagung von ihm. Das ganze Lied spricht davon, dass dieser Knecht stellvertretend Schuld von anderen trägt, dass sein Tod Frucht bringen, ja ihm Nachkommenschaft verschaffen wird. Und nun ganz konkret, er, der Knecht Gottes, Jesus, wird eben trotz seines Todes, ja durch seinen Tod erhöht und verherrlicht sein. Wenn das auf Jesus bezogen werden durfte,

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dann hieß dies, durch die Schrift erscheint sein Tod in einem ganz neuen Licht. Es ist in Wahrheit ein Geschehen der Erhöhung und der Verherrlichung. Letztlich soll Jesus eben nicht nur an einer Holzstange zwei Meter über den Boden erhöht werden, sondern zu Gott erhöht und mit Ehre überkleidet. So wird der Kreuzestod schon vorab im Licht der Schrift im Blick auf seinen Ertrag gedeutet. Diese neue Beleuchtung des Kreuzes aus der Schrift ist ein konkretes Beispiel dafür, wie sich die Jünger Jesu nach Ostern erinnerten und dadurch die Anleitung des Heiligen Geistes, Jesu Geschick und das Zeugnis der Schrift besser verstanden. Wir sehen hier, wie das Johannes-Evangelium zu seiner ganz eigenen Sichtweise auf Jesus und seinen Tod gelangt. Und all das, bevor ein Satz von Jesu Passion erzählt wird. Warum legt Johannes so gesteigerten

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Wert auf die Erläuterung des Todes Jesu? Warum wird von Anfang an dieses Geschehen so ins Auge gefasst? Gäbe es nicht schönere Themen? Hier müssen wir uns noch einmal einen Blick auf die Adressatengemeinde gönnen, in die das Evangelium wohl hineinsprechen wollte. Wie schon in meinem ersten Vortrag gezeigt habe, können wir ein Bild dieser Fragen der Leserinnen und Leser aus den Abschiedsreden des Evangeliums gewinnen. Es ist sehr auffällig, dass Jesus so lange und so ausführlich vor seiner Passion erläutert über seinen Weggang redet. Er bekommt mehr Raum als anderswo, als in jedem anderen Evangelium. Alles scheint darauf ausgerichtet zu sein, dass die Leserinnen und Leser dieses Geschehen richtig verstehen. Was sagt Jesus da seinen betrübten Jüngerinnen und Jüngern? Ich will euch nicht als Weisen zurücklassen. Ich gehe zum Vater.

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Ja, wenn die Jünger oder auch die spätere Gemeinde sich verwaist fühlen, weil Jesus nicht mehr da ist, dann sollen sie wissen, dass Jesus nicht einfach verschwunden ist, sondern beim Vater und dort für sie eintritt. Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Jesu Tod ist notwendig, heils notwendig, denn nur danach kann der Heilige Geist gegeben werden, gesandt werden, der die Gemeinde zum Verstehen führt. Und der ist eben verheißen für die Zeit nach Jesu Tod. An Ostern wird er den Jüngern zugehaucht. Wir können aus diesen Abschiedsreden erspüren, wo das Problem lag, nicht nur für den Jünger Jesu vor Ostern, sondern vor allem auch für die Gemeinde, an die Johannes sein Evangelium zunächst adressiert. Sie sind verunsichert, fühlen sich verwaist, allein gelassen in der Welt. Sie können sich nicht freuen, sondern trauern, denn Jesus ist

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weg. Er ist unsichtbar, nicht nur in den zwei Tagen zwischen Karfreitag und Ostern, sondern auch gerade in der Zeit danach. Das ist eben auch mit Ostern nicht einfach erledigt. Diese Anfechtung kommt immer wieder. Und wenn Menschen um einen herum sich lustig machen und fragen, wo ist denn dein Gott, zeig ihn uns doch. Wenn sie spöttisch oder auch offen feindsehlich gegenüber den merkwürdigen Anhängern dieses unsichtbaren Gottes verhalten, dann ist der Glaube angefochten und bedrängt. Und dabei stellt sich die Frage ja sehr existenziell, haben wir das richtig verstanden oder haben wir uns geirrt? War das Kreuz letztlich nur ein Unfall der Geschichte? Ist Jesus halt gescheitert? Hat nicht die Welt recht? Sind nicht all die vorherigen Hoffnungen durch diesen schmäligen Tod durchkreuzt? In dieser Situation

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verheißt Jesus in den Abschiedsreden, dass der Geist nach Ostern die Jünger stärken soll, der Paraklet, wie es hier heißt. Dieses griechische Wort meint eigentlich nicht Tröster, wie in vielen Bibelübersetzungen es wiedergegeben wird, sondern herbeigerufener Advokat. Wie ein Rechtsanwalt soll dieser Geist im Prozess gegen die nicht glaubende Welt die Glaubenden vertreten. Er soll den Aufweis führen, dass der Unglaube im Unrecht ist und der Glaube im Recht, dass Jesus zwar unsichtbar, aber eben beim Vater ist, dass er tatsächlich bei Gott ins Recht gesetzt ist. War das Kreuz ein Scheitern oder war es der Sieg, die Intronisation, die Einsetzung des wahren Königs? Das sind die Fragen, um die es geht. Sehr existenziell für die Leserinnen und Leser des Evangeliums und genauso existenziell bis heute. Auch unser Glaube erleidet Anfechtungen.

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Auch wir können fragen, ob der Glaube im Recht ist oder ob wir alle einer großen Selbsttäuschung aufgesessen sind. Ja, das Johannesevangelium spricht für die Gemeinde nach Ostern genau diese Frage an und hilft zu einer Antwort zu kommen. Darum wird Jesu Passion, bevor sie erzählt wird, mit so vielen erklärenden Hinweisen versehen. Darum wird sie in den Abschiedsreden so ausführlich besprochen, dass ihr Ertrag, Leben, Freude, Friede in Christus thematisiert wird. Darum spricht Jesus hier bereits vorab in einer Perspektive, als hätte er das alles schon hinter sich. Ich habe die Welt besiegt, das sagt Jesus, bevor er ans Kreuz geht. Und wenn dann endlich die Passionsgeschichte beginnt, dann erzählt Johannes sie anders als Markus. Er erzählt sie so, dass die Leserschaft über das hinaus, was sich hier vor Augen abspielt, eine andere Realität

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wahrzunehmen lernt, eine Realität hinter der irdischen. Vor Augen steht ein übler Tod eines Verbrechers am Kreuz, sadistisch, unappetitlich, so dass man nur wegschauen möchte. Und doch erzählt Johannes so, dass dieses Bild von einem zweiten Bild überlagert wird, dass es irgendwann kippt, wie man ein Kaleidoskop dreht. Hinter der grausamen Wirklichkeit des Todes erscheint das Bild einer Verherrlichung oder einer Intronisation, ein Bild von Jesus, der eigentlich der wahre König ist. Viele Details der Erzählung tragen dazu bei. So entsteht neben und über dem Bild des grausamen Geschehens das Bild des Glaubens, der Wahrheit hinter der irdischen Wirklichkeit. Die johannesische Passionsgeschichte ist in diesem Sinne eine Seeschule des Glaubens. Ich kann das nur in ein

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paar knappen Strichen erleiten. Zunächst einmal handelt Jesus auffällig souverän. Er ist nicht passiv, sondern aktiv in seiner Passion. Er weiß, was auf ihn zukommen werde. Er liefert sich freiwillig dem Verhaftungskommando aus und wehrt den Petrus, der ihn verteidigen will, ab. Soll ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? Auch im Verhör mit dem Hohen Priester tritt er sehr vollmächtig und hoheitlich auf. Nicht wie ein Angeklagter, sondern eher als ob er selber das Urteil zu sprechen hätte. Er trägt sein Kreuz selbst und braucht keinen, der ihm dabei hilft. Er regelt sogar vom Kreuz aus noch seine persönlichen Angelegenheiten und vertraut seine Mutter dem ihm nahestehenden Jünger an. Und am Ende, als er stirbt, wird ganz aktiv formuliert.

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Er sagt, es ist vollendet, senkt den Kopf, als ob das ein bekräftigendes Nicken wäre und übergibt den Geist. Kein Todeschrei, kein Warum hast du mich verlassen, sondern es ist vollendet. Besonders zentral ist das Thema des Königtums. Es ist ja interessant, dass das Thema der Königsherrschaft Gottes, die in allen anderen Evangelien der zentrale Inhalt der Verkündigung Jesu ist, bei Johannes zurücktritt. Im Gespräch mit Nikodemus wird es noch zwei Mal erwähnt, aber dann ist vielmehr vom ewigen Leben die Rede. Und statt der Königsherrschaft Gottes spricht Johannes vom Königtum Jesu, von Jesu Königsherrschaft oder von Jesus als König. In seinem Königtum ist Gottes Königsherrschaft realisiert. Das zeigt sich gerade in der Passionsgeschichte. Als Pilatus

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Jesus fragt, ob er denn ein König sei, ein politisch gefährlicher Aufständiger, einer, den er liquidieren müsste, Kraftamtes, da wird die Szene ganz tiefgründig. Pilatus befragt Jesus ja ohne Zeugen drinnen im Gebäude. Er fragt diesen ungefährlich aussehenden Mann ungläubig, bist du ein König? Und Jesus antwortet hoheitlich, du sagst es, ich bin ein König. Aber meine Herrschaft ist nicht von dieser Welt. Sie ist ganz anders, steht nicht in Konkurrenz zum Kaiser in Rom. Und dann führt Jesus tiefgründig fort, ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Pilatus kann das nicht

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verstehen. Für ihn ist Wahrheit keine Kategorie, er kennt nur Machtpolitik. Immerhin erhält Jesus diesen Jesus für unschuldig im Sinne der Anklage und versichert mehrfach mit Brief und Siegel, dass Jesus unschuldig sei. Er sagt zu den Anklägern, spöttisch, aber eben doch in der Tiefe wahr, seht euer König. Und dann, da ist der griechische Text ganz doppeldeutig, so dass unsere Übersetzungen das gar nicht richtig erfassen können, dann setzt Pilatus sich auf den Richterstuhl oder ist es doch anders, setzt er ihn, Jesus, auf einen erhöhten Platz. Fast scheint es, als solle Jesus noch einmal erhöht werden, auf einen Thron gesetzt und für einen Moment als König, als Richter präsentiert werden. Denn Pilatus spricht kein Urteil, er ist nicht auf dem Richterstuhl, Jesus ist der, der präsentiert wird. Und dann übergibt Pilatus ihn zur Kreuzigung. Er wird

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gekreuzigt mit einem dreisprachigen Schild versehen, Jesus von Nazareth, König der Juden. Und noch einmal setzt Pilatus seinen Stempel darunter, was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Das gilt. Man kann diese ganze Kreuzigungsgeschichte wie eine Intronisation lesen. Jesus bekennt sich als König, die Soldaten setzen ihm, spöttisch zwar, eine Krone auf, auf Dornen, kleiden ihn in einen roten Mantel. Pilatus präsentiert ihn als König. Die Ankläger bringen eine Huldigung im Negativen weg mit dem. Pilatus setzt ihn auf einen Stuhl und erst recht am Kreuz wird Jesus intronisiert und in drei Sprachen aller Welt als König verkündigt. Ein König nicht in Prunk und Macht, sondern ein König, der durch sein Wort die leitet, die ihn hören,

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seine Stimme hören. Diese Wahrheit leuchtet sozusagen hinter dem Augenschein auf. Sie ist eingeflochten in die Erzählung durch auffällige Details, deutende Worte, verstrickende Hinweise, so dass wir Lesende diese Wahrheit zugestiehlt bekommen. Die Wahrheit des Königtums Jesu ist eine Wahrheit, die erst nach Ostern sichtbar ist. Eine Einsicht, die den Jüngeren und dem Johannesevangelisten erst durch den Geist und dem Licht der Schrift vermittelt werden konnte. Es ist die Wahrheit des Glaubens über Jesus Christus und diese Wahrheit stellt das Evangelium seinen verunsicherten, angefochtenen Lesern vor Augen. Sie sollen das Kreuz richtig verstehen, nicht als Scheitern, sondern als Sieg, nicht als Ende, sondern als einen neuen Anfang, als den Beginn der Herrschaft des wahren Königs, als Quelle des neuen Lebens, des ewigen Lebens für alle, die ihm folgen.

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Das ist bei Johannes wohlgemerkt nicht erst mit Ostern verbunden, sondern schon mit Jesu Tod. Darin ist offenbar schon alles vollbracht. Darin ist er auch bereits erhöht und verherrlicht. Das heißt natürlich nicht, dass Ostern überflüssig wäre, ganz gewiss nicht. Aber Karfreitag und Ostern sind hier ganz eng zusammengeschaut, man kann sie nicht säuberlich trennen. Ohne Ostern wäre Jesu Tod irrelevant, aber ohne das Kreuz gäbe es auch kein Ostern, keinen Sieg über die Welt, keine Einsetzung in Herrlichkeit. Und so wie das Kreuz ist auch Jesu ganzer Weg vom österlichen Licht überstrahlt. Doch was ist das eigentlich, was die Jünger am Ostertag erkennen? Dass Jesus, der Tod war, halt wieder lebt? Die Wiederbelebung eines Leichnams, Pflaster drauf, alles wieder gut,

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das wäre viel zu wenig. Ein Hinweis gibt gleich die erste Ostererzählung, in der Petrus und der Lieblingsjünger miteinander zum Grab laufen und es leer auffinden. Der Lieblingsjünger ist schneller an der Grabkammer, aber er lässt Petrus den Vortritt. Der geht hinein und sieht sich zuerst um und versteht gar nichts. Dann geht der Lieblingsjünger hinein und sieht und glaubt. Aber was sehen die beiden? Und was ist der Inhalt des Osterglaubens? Sie sehen, wie es heißt, in der Grabliege Leichenbinden zusammengefaltet da liegen und das Schweißtuch, das über dem Kopf des Leichnams gelegen hatte, daneben separat. Um daraufhin heißt es, glaubt der andere Jünger. Was bedeutet das, was sie da sehen? Was ist das für ein Zeichen? Etwas flapsig ausgedrückt,

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da hat einer sein Bett gemacht. Der da lag, ist nicht einfach herausgerissen worden im Chaos, er war selber in der Lage aufzustehen, die Tücher zu falten, zurückzulegen. Während Lazarus in Johannes 11, als Jesus ihn aus dem Grab ruft, noch von den Tüchern umwickelt ist, als eine Wickelleiche aus dem Grab kommt und erst freigebunden werden muss, hat Jesus sich selbst befreit. Das heißt, nach Johannes ist Jesus auferstanden, nicht nur auferweckt. Er hat selbst die Macht, sein Leben hinzugeben und sein Leben wieder zu nehmen, die Vollmacht über das Leben. Und das heißt, er ist Gott. Das ist der österliche Glaube nach Johannes. Es geht nicht um die Wiederbelebung eines Leichnams bei Lazarus, sondern um die Erkenntnis der wahren Vollmacht Jesu,

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der eben Macht hat, sein Leben hinzugeben und wieder zu nehmen. In dieser göttlichen Vollmacht haucht er den Jüngern dann an Ostern den österlichen Geist ein, so wie Gott in der Schöpfungsgeschichte dem Erdenkloß seinen göttlichen Atem eingehaucht hat. Johannes gebraucht hier das gleiche Wort, das in der Genesis steht, wenn Gott dem Erdenkloß den Atem einhaucht. Das heißt, Jesus, der Auferstandene, handelt an den Jüngern in schöpferischer Vollmacht. Er ist Schöpfer, er ist Lebendigmacher, er handelt als Gott. Und das ist von Ostern her zu erkennen. Von Ostern her, durch den Geist, haben die Jünger dann auch alles andere besser verstanden den Weg Jesu, sein Geschick, seine Worte, seine Taten. Von Ostern her fällt ein Licht auf alles, auf die ganze Geschichte Jesu. Und so hat Johannes diese Geschichte dann gestaltet. Doch wer

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ist Jesus? Was sagt das vierte Evangelium über seine Identität? Ganz generell und von Anfang an wird offen formuliert, er ist Gott. Er ist von oben, er ist Zeuge himmlischer Dinge. Das ist natürlich nicht selbstverständlich, denn historisch ist Jesus zunächst als Mensch unter Menschen aufgetreten. Und seine Zeitgenossen sahen sich allenfalls mit der Frage konfrontiert, ob dieser Jesus mehr war als ein normaler Mensch, ein Prophet, ein Fortgottgesandter, der Messias. Im Markus-Evangelium haben wir noch den Hinweis, dass Jesu Identität zunächst noch geheim zu halten ist und dass man eigentlich erst nach Ostern von ihr reden kann. Und daran ist historisch sicher richtig, dass man dem irdischen Jesus von außen her keine göttliche Würde ansehen konnte. Der lief nicht

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einfach mit einer Aura herum, wie man es in Filmen zum Teil darstellen könnte. Seine wahre Identität war selbst für seine Jünger nicht völlig klar. In der Passion wurde das auf eine Probe gestellt, in der sie alle versagten. Erst nach Ostern verstanden sie langsam, wer er war. Und so ist bei Johannes von Anfang an diese österliche Erkenntnis der Rahmen, in dem Jesu Weg gezeichnet wird. Jesus steht im österlichen Licht, seine Würde ist kein Geheimnis. Die Leser sind vom Prolog schon auf das Ganze eingestimmt und Jesus selber spricht offen über seine Sendung und seine Würde. Da begegnet es einem ersten Kapitel eine ganze Menge von Titeln, Lamm Gottes, Messias, König Israels, Sohn Gottes, Menschensohn. In seinen Taten wie dem Weinwunder oder dem Brotwunder wird er in schöpferischer Vollmacht präsentiert und nach der Sabbatheilung in Johannes 5 sagt er, mein Vater wird bis jetzt am Sabbat und ich wirke auch. Das heißt, Jesus wirkt zusammen mit Gott

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in seinem Handel, Handel Gott und wenn er einen Menschen heilt, in diesem Wunder, dann geht es nicht nur um die zeichenhafte Heilung eines Kranken, sondern immer darum, dass das ganze Heil, das ganze Leben, das durch Jesus, sein Tod, seine Auferstehung geschaffen ist, hier zu Teil wird. Jesus tut damit, was im Alten Testament allein Gott tun kann. Er gibt Leben, wie der Schöpfer Leben gibt. Und die Kehrseite? Er übt an Gottes Stelle und in seiner Vollmacht auch das Gericht aus. Ja, diese göttliche Vollmacht ist nicht etwas, das er eigenmächtig an sich gerissen hätte, wie seine Gegner ihn vorwerfen. Vielmehr verweist Jesus darauf, dass Gott ihm diese Vollmacht verlieren habe, Leben zu haben in sich selbst und das heißt dann auch, Leben zu geben, Menschen aus dem Tod ins Leben zu führen. Drastisch vor Augen geführt wird das in der Auferwächerung des Lazarus.

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Dieser ist ja schon vier Tage tot, er stinkt schon. Das ist ein Zustand, in dem auch nach antiker Vorstellung nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu machen war. Und als alle schon trauen und klagen, ruft Jesus diesen Lazarus aus dem Grab, der kommt heraus, wie gesagt, als eine Wickelleiche noch von Binden umwickelt und Jesus gebietet dann den Umstehenden, ihn von diesen Binden zu befreien. Da handelt Jesus mit seiner Lebensmacht in Person und eben das erläutert sein Wort in Johannes 11,25, ich bin die Auferstehung und das Leben. Als solch vermittelt er eben auch denen, die an den Glauben, das Leben oder wie es eben heißt, das ewige Leben. Der, der Leben gibt, ist der Schöpfer, Gott. In seinem Ich Bin kommt das Ich Bin, der Ich Bin aus dem Alten Testament, der Name Gottes, die Vollmacht Gottes zur Sprache. Aber nun kommt das andere. Wenn dieser Jesus so

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sehr Gott ist, kann er dann noch wirklich ein Mensch sein? Kann er dann noch Gefühle haben, leiden und wirklich sterben? Das ist für die Griechen ein gravierendes Problem. Und manche Leser haben später gefragt, schwebte er nicht halb über die Erde, ungerührt von der Erdenschwere und Erdennot? Hinterließ er wirklich Fußspuren im Sand? Hatte er nur einen Scheinleib, den er dann zurücklassen konnte, als es ans Kreuz ging? Konnte man bei ihm sozusagen durch seine Erscheinung hindurchgreifen? Das Johannes-Evangelium lässt eine solche Deutung nicht zu. Es betont hingegen genauso stark die wirkliche Fleischwertung, die wirkliche Menschheit Jesu. Jesus ist ganz und wirklicher Mensch. Er nimmt einen jüdischen festen Teil als Pilger. Er wirkt an bestimmten Orten und

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zu bestimmten Zeiten. Er hat Durst und ist erschüttert am Grab des Lazarus, sodass sogar Tränen fließen. Pilatus präsentiert ihn mit der Spottdornenkohle unter den Worten, ex se homo, siehe der Mensch. Und auch wenn sein Leiden nicht eigens hervorgehoben wird, ist die Grausamkeit der Kreuzigung für jeden antiken Leser klar. Und wenn dann noch sein letztes Hemd verlost wird, dann ist deutlich, dass er am Kreuz nackt hängt, in äußerster Entwürdigung. Das ist kein edler Tod und auch schon gar kein Scheintod, so sehr manche neuzeitlichen Ausleger dies auch vermuteten. Ja, dann wäre man das Problem mit Ostern los, aber so leicht machen es uns die Evangelien nicht. Jesus war wahrer Mensch und wie Johannes sagt wahrer Gott. Nicht 50-50, sondern beides ganz nebeneinander

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paradox, so wie es das spätere Bekenntnis dann gegenüber allerlei Missverständnissen festhält. Und weil er beides ist, wirklicher Mensch und doch zugleich Gott, deswegen kann er auch nach Johannes gültig von den himmlischen Dingen zeugen, von dem Leben, das Gott schenkt und das Bestand hat. Und deshalb ist bei ihm gültig und in ihm gültig sichtbar, wer Gott in Wahrheit ist. Ja, wer ist Gott? Sollte das nicht klar sein aus dem alten Testament, aus den Schriften Israels, wusste man das nicht schon lange, wer Gott ist und wartete nur auf den Messias, auf das endzeitliche Heil. Das ist einerseits zutreffend und andererseits nimmt Johannes viele alttestamentliche Aussagen über den biblischen Gott auch auf. Es ist der eine und wahre Gott im Gegensatz zu den vielen Göttern

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der Griechen, der Römer, der Unsichtbare und auch Zugewandte. Er hat zu Mosel, seinem Volk geredet und schon lange vor Jesus konnte Israel zu Gott auch als unserem Vater reden. Und doch ist es nach Johannes so, dass sich Gott in Jesus Christus noch einmal ganz neu und umwerfend anders gezeigt hat. Bevor die Jesu-Erzählung beginnt, heißt es da, niemand hat Gott jemals gesehen. Der einzig Geborene, der Gott ist, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgegeben oder ausgelegt. Jesus ist das Bild Gottes, sodass wer ihn sieht, den Vater gesehen hat. Das heißt, in Jesus offenbart sich der unsichtbare Gott der Bibel noch einmal neu und anders. Das ist ein striktes Nein zu allen

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Versuchen, Gott aus der Schöpfung zu erkennen. In der Natur, bei einem Sonnenaufgang in den Bergen, da mag man in Staunen geraten über ein höheres Wesen. Da mag man sich klein fühlen oder auch erhaben und beschenkt. Aber die Natur ist, wie wir wissen, auch grausam, gnadenlos, ein Kreislauf des Werdens und Vergehens. Und aus ihr lässt sich nicht entnehmen, was Gnade ist, der Beziehungswille Gottes. Ja, seine Liebe gehen daraus nicht hervor. Abgesehen von Jesus Christus, selbst im Alten Testament, bleibt Gott ambivalent. In einem Steten, miteinander von Zorn und Barmherzigkeit. Das ist auch biblische Gotteserkenntnis, aber vor und außerhalb von Jesus Christus, vor und außerhalb der Erkenntnis, die sich im Johannes-Evangelium ausspricht. Denn hier, bei Johannes, wird in der

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Konsequenz aus der Sendung Jesu, ja aus dem Kreuz, deutlich, dass Gott Liebe ist. Gott hat sich aus urgründiger Liebe selbst in die Welt gegeben. Er hat sich auf eine menschliche Geschichte eingelassen, auf die Finsternis, ja auf den Tod, um die Macht des Todes zu brechen, die Welt zu retten und den Menschen das Leben, das ewige Leben zu schenken. So ist Gott. Und das wird allein an Jesus Christus und seinem Weg erkennbar. Der erste Johannesbrief bringt es dann auf den Begriff, Gott ist Liebe. Und diese Liebe ist darin erschienen, dass Gott seinen Sohn in die Welt gesandt hat, ja zur Sühne für unsere Sünden gesandt hat, damit wir durch ihn leben sollen. Am Kreuz also wird diese Liebe sichtbar. Ach, das ist eine unglaublich kühne Aussage, denn das Kreuz ist

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ja doch, wie jeder weiß, ein denkbar grausames Geschehen. Aber das Johannes-Evangelium macht eben deutlich, dass Gott in diesem Geschehen sich selbst in diese Tiefe gibt. Er selbst tritt für uns Menschen ein. Es ist eben nicht richtig zu sagen, dass Gott in Jesus einen anderen als sich selbst leiden lasse. Das wäre zynisch. Noch weniger darf man hier davon reden, dass der Sohn dem Vater geopfert würde. Ein solcher Gott, der Opfer bräuchte, wäre ein blutrünstiger Tyrann, ein blutsaugender Dämon, den niemand lieben könnte. Nichts ist verkehrter als das. Wenn Jesus eins ist mit dem Vater, dann heißt das, wenn Jesus sein Leben für seine Freunde einsetzt, dann gibt damit Gott selbst sich für uns in den Tod. Gott gibt sich mit seinem Sohn selbst in den Tod. Tiefer kann das Geheimnis des Kreuzes nicht erfasst werden, als das hier im Johannes-Evangelium zur Sprache kommt. Und das heißt eben zugleich, Gott definiert sich am Kreuz noch einmal neu.

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Von hier aus und nur von hier aus ist er zu erkennen als der, der er wirklich ist. Alle anderen, alle vorherigen Gottesbilder sind nur noch einmal zu korrigieren. Niemand hat Gott je gesehen, in seinem wahren Wesen je kennengelernt, wenn er ihn nicht im Licht Christi und seines Weges sehen gelernt hat. Was bedeutet das für unser Gottesbild? Wenn das Wesen des biblischen Gottes in der Sendung des Sohnes offenbar wird, die in seinem Kreuz mündet, dann lässt sich das nicht anders interpretieren, als dass der ewige Gott sich auf eine Geschichte eingelassen hat. Auf die räumlich und zeitlich konkrete Geschichte des irdischen Jesus und damit auf unsere menschliche Geschichte. Gott ist nicht, wie ihn die Philosophen definierten, der unwandelbare, unveränderliche,

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sondern Gott ist menschlich und den Menschen nah, mitgehend, erbarmend, voll Liebe. Und diese Geschichte ist nicht nur eine kurze Episode, nach der dann nach Ostern alles wieder im früheren Zustand wäre. Der Auferstandene lässt sich ja gerade an den Kreuzesmalen erkennen. Und in Anbetracht dieses Zeichens sagt Thomas, mein Herr und mein Gott. Das heißt, Gott lässt sich bleibend an den Zeichen des Kreuzes, an seiner Geschichte erkennen, weil da seine Liebe deutlich wird. Gott ist seit Christus und seit Ostern nicht mehr anders zu erkennen, als im Angesicht des Auferweckten, des Auferstandenen, Gekreuzigten. In der Menschwerdung und im Kreuzestod Jesu bekundet sich somit endgültig das Nahekommen Gottes zu uns, seine bleibende Bindung an unsere Menschheit und unsere menschliche Geschichte. Gott selbst ist, wie das von ihm geschaffene Heil,

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nicht mehr in Absehung von Welt und Geschichte, von menschlichem Leid und menschlichem Tod zu denken. An dieser Wirklichkeit vorbei lässt sich von Gott nicht mehr in Wahrheit reden. Und wenn diese Offenbarung gültig ist, dann ist sie endgültig und vollständig. Auch der Gedanke, Gott könnte dahinter noch einmal ganz anders sein oder er könnte seine Haltung zu uns Menschen ja noch einmal revidieren, ist abzuweisen. Nein, Gott hat sich selbst und seinen Willen am Kreuz gebunden, definiert als ungeteilte, unbeständige Liebe. Damit hat die johannäische Theologie für alles weitere theologische Reflektieren einen Maßstab gesetzt. Wenn Gott, wie er in Wahrheit ist, nur im Christus erkannt werden kann, dann ist auch die wahre Erkenntnis über die Welt, über das

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menschliche Leben und über das Heil, das ewige Leben nur von Christus her zu erkennen. Eine Erkenntnis an Christus vorbei oder ohne ihn würde diese Wahrheit nicht erfassen. Das ist der für heute viele ärgerliche Exklusivismus des Johannesevangeliums. Niemand kommt zum Vater außer durch mich, sagt Christus. Und niemand kann diese Welt in ihrem geistlichen Sinn verstehen, außer im Licht der Christus-Offenbarung. Das Johannesevangelium drückt das mit einigen sprachlichen Bildern aus, mit Metaphern, die an sich jedem einleuchten, aber doch ihre Probleme haben. Die Rede von Licht und Finsternis, von Nacht und Tag. Christus ist das Licht der Welt, wer ihm folgt wandelt nicht in der Finsternis, sondern hat das Licht des Lebens. Aber das heißt ja auch umgekehrt, dass diese Welt außer und vor Christus im Dunkeln tappt, ja in Finsternis ist

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und aus dieser Finsternis nicht von sich selbst herauskommt, es sei denn das Lichtscheine in sie. Ist das nicht ein allzu starkes Schwarz-Weiß-Denken? Führt das nicht gerade in eine sektiererische Weltdistanz oder in weltflüchtige Jenseitshoffnung? In der Tat, so hat die johannesische Sprache häufig gewirkt, wenn sich Christen von der bösen Welt zurückgezogen haben in ein Winkeldasein. Kann das so gemeint sein? Ich glaube nicht. Es kommt darauf an, wie wir diese dualistische Redeweise von Licht und Finsternis richtig verstehen. Johannes redet zunächst, wenn er von der Welt, dem Kosmos redet, nicht von der Natur, den Bergen, den Tieren, den Pflanzen, deren Schönheit, die gute Schöpfung ist in seiner Betrachtungsweise nicht im Blick. Und dass die Schöpfung schön ist und viele Qualitäten hat, ist damit auch nicht bestritten.

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Johannes redet, wenn er vom Kosmos redet, von der Menschenwelt. Um sie geht es, um ihr Leben, um ihr Heil. Dabei geht er von einer doppelten Feststellung aus. Da ist einerseits die Grundaussage, dass der Schöpfer die Beziehung zu seinen Geschöpfen sucht, dass er aus Liebe zur Welt seinen Sohn gesandt hat, dass er diese Welt retten will aus ihrem Zustand der Gottferne und Finsternis. Jesus Christus ist der Retter der Welt, so heißt es am Ende von Johannes 4, durchaus in einer Konkurrenz zu allen möglichen Gestalten, die in der Antike als Wohltäter und Retter verehrt wurden, Kaiser zum Beispiel. Und da ist andererseits die Aussage, dass diese Welt, die doch durch ihn geschaffen ist, diese Botschaft nicht aufgenommen hat, sondern in ihrer Mehrheit zurückweist. Das ist vielleicht die bittere Erfahrung der Gemeinden des Johannes-Evangeliums, dass Juden und Heiden ihre Botschaft nicht hörten, dass sie die Finsternis mehr liebten als das Licht.

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Die Jünger sehen sich zurückgestoßen, unverstanden, ausgegrenzt, ja, gehasst. Und gerade darum wird ihnen gesagt, dass die Welt auch schon Jesus gehasst habe. Also wundert euch nicht, das ist normal. Doch nun müssen wir sehen, wie das Johannes-Evangelium darum ringt, diese Ablehnung zu verstehen. Dass der Liebesantrag Gottes in Jesus Christus von einem Menschen achselzuckend oder gar feindlich ausgeschlagen wird, ist eigentlich unverständlich. Für den Glaubenden ist der Unglaube eigentlich unverständlich. Am Ende der Wirksamkeit Jesu, als deutlich wird, dass er nun in den Tod gehen wird, da wird diese Frage ausdrücklich noch einmal thematisiert. Obwohl Jesus vor seinen Zeugenossen so viele Zeichen getan hat, glaubten sie nicht. Warum? Waren sie einfach böswillig, gleichgültig?

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Haben sie sich einfach anders entschieden? Nein, diese flachen Antworten, die in der heutigen Theologie gerade auch bei Pietisten und Evangelikalen gerne begegnen, bringt Johannes nicht. Er sagt, sie konnten nicht glauben. Es ist nicht ihre eigene Entscheidungsfreiheit. Gott hat ihre Herzen verhärtet und ihren Sinn verfinstert. Und dazu wird ein Wort aus dem Propheten Jesaja zitiert. Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt. Der Unglaube ist nicht böser Wille und auch der Glaube ist nicht eigene Entscheidung. Niemand kann zu mir kommen, es sei denn der Vater, der mich gesandt hat, ziehe ihn. Das heißt dann aber auch, dass der Mensch nicht einfach die freie Möglichkeit hat, sich für das Heil zu entscheiden. Er kann nicht einfach von sich aus, aus eigener Kraft Jesus Christus vertrauen und glauben. Den freien Willen die Möglichkeit,

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sich für den Glauben zu entscheiden, gibt es nach Johannes und übrigens auch nach Paulus so nicht. Das worauf viele Prediger in unseren Tagen ihre Rhetorik stützen, ist nach Johannes viel zu kurz gedacht. Weil dann der Mensch für seine Entscheidung, ja oder nein, verantwortlich ist und der Mensch letztlich zum Urheber seines Heils wird. Da lässt man Gott nicht Gott sein und macht den Menschen zum Herrn über sein Leben und seinen Tod, ja zu seinem eigenen Gott. Aber nun kommt natürlich sofort der Einwand, es gibt doch Aufforderungen zum Glauben, die müssen doch ernst gemeint sein. Glaubt an Gott und glaubt an mich oder die Einladungssätze, wer zu mir kommt, den wird nicht hungern, wer zu mir kommt, den werde ich nicht zurückstoßen. Der Mensch muss doch darauf reagieren können. In der Tat haben wir bei Johannes viele Erzählungen, in denen Menschen in

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der Begegnung mit Jesus reagieren, zur Einsicht kommen und am Ende zu jüngern werden. Das sind Modelle, Lebensmodelle, mit denen das Evangelium uns sozusagen zuspielt, wie es zum Glauben kommen kann. Bei der samaritanischen Frau, die Jesus anredet, bei dem Blindgeborenen, den er heilt und bei Thomas, dem er eine eigene österliche Begegnung gewährt. Aber immer ist es so, dass die Initiative zu diesen Begegnungen von Jesus ausgeht. Er spricht die Frau an, er sieht den Blindgeborenen, er sagt Thomas, dass er um seinen Zweifel weiß. Immer geht der Impuls, die Initiative von Jesus aus und dann entwickelt sich ein Gespräch, eine Begegnung und am Ende ist der Mensch in dieser Beziehung oder immer mehr in dieser Beziehung verstrickt mit Jesus verbunden. Ja, Johannes kann auch davon reden, die ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Es gibt also ein Hören und

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Aufnehmen auf der menschlichen Seite, aber das ist immer umgriffen von einem Handeln Jesu, einem Handeln Gottes, das vorausgeht und diesem Hören und Glaubnen, Annehmen erst eine Möglichkeit gibt. Das Licht scheint in der Finsternis, der Vater zieht Menschen, Jesus zieht alle zu sich. Das ist eine dynamische Bewegung, die bei der Verwendung dieser Begriffe von Licht und Finsternis immer wieder erkennbar ist. Licht und Finsternis sind bei Johannes nicht statische Bereiche, denen Menschen einfach zugeordnet wären, schon gar nicht in dem Sinne, dass vorab über ihr Geschick entschieden wäre. Vielmehr sind die Sprachbilder von Licht und Finsternis bei Johannes in einem dynamischen Prozess verwickelt und es besteht immer die Hoffnung, dass wieder Menschen von der Finsternis zum Licht kommen, von der Lüge über sich selbst zur Erkenntnis der Wahrheit, ja vom

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Tod zum Leben. Tod und Leben, das ist vielleicht die schroffste Kategorie, die Johannes gebraucht, weil Gott das Leben ist, das Leben in Christus ist, der die Auferstehung und das Leben in Person ist. Deshalb ist die Existenz fern von Christus, Existenz im Tod. Auch wenn die Welt außer und neben Christus sich glücklich lebendig fühlt und ihres eigenen Lebens sich mächtig wähnt, so ist doch die johanesche Bezeichnung dafür, sie ist fern vom Leben, sie ist tot. Darum ist der Glaube an Christus ein Weg vom Tod ins Leben, eine Geburt, so wie es im Gespräch mit Nikodemus erläutert wird, ein Wunder, etwas, bei dem der einzelne Mensch nicht aktiv ist, sondern etwas, das an ihm geschieht und das er nur an sich geschehen lassen kann. Im Hören der Worte Jesu, im Glaubenden Hören,

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da eröffnet sich Leben, neues, ewiges, beständiges Leben, das den Tod überwindet. Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht mehr in ein Gericht, sondern er ist vom Tod zum Leben hinübergegangen. Das sind eigenartige Gesetze, aber sie zeigen eine Akzentverschiebung, die wichtig ist. Das Leben, das ewige Leben wird dem Menschen nicht erst nach dem Tod zuteil, quasi als Belohnung für seinen irdischen Gehorsam oder seinen irdischen Spaßverzicht. Es ist überhaupt nicht so, dass der Mensch erst irgendwann am Ende einer Beurteilung unterzogen würde und bis dahin immer noch im Unklaren sein müsste, ob es denn am Ende reicht oder nicht. Ich kenne Menschen, die mit einer solchen Vorstellung erzogen wurden und aufgewachsen sind und deren Leben an dieser

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ständigen Drohkulisse zerbrochen ist. Und es ist schlimm, dass für viele fromme Menschen und Prediger diese Drohbotschaft mit dem Gericht immer noch so zentral ist, der Knüppel aus dem Sack, den man gelegentlich schwingen kann, um Leute zur Gefügigkeit und zur Moral zu zwingen. Es ist kein Wunder, wenn andere sich von so einer Verkündigung abwenden, wo die Religion zum Mittel der Disziplinierung wird, zum Machtinstrument, mit dem Wohlverhalten belohnt und zu Widerhandeln bestraft wird. Bei Johannes zerbrechen alle diese Vorstellungen, die gewiss durch manche anderen Bibelstellen auch zu begründen sind. Aber entsprechen sie wirklich der Erkenntnis Gottes in Jesus Christus? Entsprechen sie wirklich dem Evangelium? Das beginnt schon mit der Sünde. Nach Johannes ist Sünde einfach der Unglaube, dass sie nicht an mich glauben, die Existenz in der

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Getrenntheit von Christus. Da gibt es erstaunlicherweise keinen Katalog von gebotenen und verbotenen Verhaltensweisen, den man dann abhaken könnte und sagen, nein, ich habe dies nicht getan, ich habe jenes erfüllt. Alle diese Details sind hier nicht näher ausgeführt. Es ist nicht die Rede von einzelnen Tatsünden, die man dann aufzählen könnte. Vielmehr ist grundsätzlicher davon die Rede, dass der Mensch ohne Christus, ohne den Glauben an Christus im Bereich der Finsternis und des Todes ist. Das ist die Sünde. Der Mensch unter der Sünde versklavt, tut dann natürlich auch entsprechende Handlungen. Aber das Entscheidende sind nicht die Handlungen, sondern der Unglaube, die Unfreiheit, die Distanz von Christus. Es ist Sünde im Singular. Und Jesus Christus ist erschienen als Gottes Lamm, um diese Sünde wegzutragen, diese Trennung zu beseitigen. Das ist der Sinn des Kreuzesgeschehens. Darum ist das Kreuz ein Akt der liebenden Zuwendung

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der Stiftung Neuer Gemeinschaft zwischen Gott und uns Menschen. Und wo der Glaube an Christus ist, da ist auch das Leben da. Nicht erst als ein zukünftiges, dereinst noch zu ererbendes, sondern jetzt gültig und dauerhaft. Der ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen. Das heißt natürlich nicht, dass nach dem Tod nichts mehr zu erwarten wäre. Aber das Entscheidende ist eben, dass das Leben schon jetzt beginnt, mitten im Leben. Und dass es nicht nur auf Probe oder auf Bewährung gegeben wird, sondern gültig und definitiv zugesagt. Beides ist zusammengefasst in dem Spitzensatz in der Lazarus-Erzählung. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, der wird niemals sterben.

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Dass das Leben, das Christus uns schenkt, je einmal zu Ende wäre, das kann man sich nicht denken. Darum redet Johannes, so dezidiert, vom ewigen Leben. Und dieses Leben Gottes und die Christusbeziehung, die auch den physischen Tod überdauert, die auch die leibliche Auferweckung aus dem Tod verbirgt, dieses Leben wird jetzt gegeben. Jetzt, wenn jemand Jesu Worte hört, wenn das Licht in sein Leben dringt, wenn er von der erneuernden Kraft getroffen und zum neuen Leben geboren wird. Das sind sehr unterschiedliche Sprachbilder, in denen das zum Ausdruck kommt, aber es ist immer wieder das Gleiche. Es ist wie eine Auferweckung aus dem Tod, eine neue Schöpfung. Im Johannes-Evangelium erfahren die Jünger am Ende in der östermlichen Begegnung mit Jesus, wenn er sie anhaucht und ihnen den heiligen Geist zueignet, wie einst in der Schöpfung Gott den

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erdenlos zum Leben anhauchte. Von Ostern her geht dieses neue Leben aus. Es bringt Menschen, die vorher tot waren, wie tot waren, zum Leben. Es macht ihnen verstehbar, welche überwältigende Liebe ihnen in Christus zugewandt ist. Darin lernen sie Gott und die Welt und sich selbst neu sehen und dann auch die anderen. Denn aus der Liebe Jesu strömt für Johannes ganz selbstverständlich auch das Verhalten, das die Liebe Jesu zum Beispiel nimmt und anderen in Solidarität und Liebe zugewandt ist. Sehen wir also, wie ungewöhnlich, wie radikal das Johannes-Evangelium die Dinge durchdenkt und vieles, was wir aus anderen biblischen Schriften kennen, noch einmal radikal in Frage stellt. So ist es, wenn alles an der Offenbarung Gottes in Jesus Christus gemessen wird und ausgerichtet wird. Gott ist nicht mehr ambivalent zwischen Zorn und

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Barmherzigkeit, sondern eindeutig zugewandt oder wie Martin Luther einmal sagte, ein Backofen voller Liebe. Die Welt, sie handelt und wirkt und ist vermeintlich Herrin ihrer selbst und erst durch den Lichtschein in Christus wird deutlich, dass sie eigentlich im Dunkeln tappt und vom Leben fern ist. Die Sünde ist nicht eine Fülle von einzelnen Verfehlungen an einem Katalog von Verboten und Geboten zu bestimmen. Vielmehr wird im Licht der Offenbarung Jesu Christi deutlich, dass es die eine Hauptsünde gibt, den Unglauben, die Trennung von Gott und diese hat Christus für uns beseitigt. Der Glaube ist nicht ein gläubiges Verwahrhalten und nicht ein braves Abnicken, sondern ein Beziehungsgeschehen, unsere Beziehung zum Leben zu Christus. Und dieser Glaube ist erst recht nicht

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ein Werk, das wir tun müssten, um dann mit dem Leben belohnt zu werden. Nein, es ist die Art und Weise, in der uns das Wort anspricht und das Leben geschenkt wird, ein Wunder, etwas wofür wir nur danken können. Ich als Glaubender kann Gott nur danken dafür, dass ich glauben darf, aber ich kann mich niemals dessen rühmen, dass ich mich für Gott entschieden hätte. Das Leben, das ist mehr als das biologische Leben, mehr als Essen und Trinken, mehr als Gesundheit an Leib und Psyche. Johannes unterscheidet die Begriffe hier sehr klar. Leben ist das Sein in der Beziehung zu Gott, zum Urgrund unseres Lebens und zu Christus, der uns dieses neue, ewige Leben schenkt, weil er durch sein Kreuz und seine Auferstehung die Mächte des Todes gebrochen und besiegt hat, weil er in seinem Zuspruch die Distanz zwischen Gott und uns beseitigt. Ja, mit dieser Sichtweise steht das Johannes-Evangelium

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auch in Spannung mit anderen Bibelstellen, mit vielen alttestamentlichen Traditionen, auch mit vielem, was wir in den anderen Evangelien finden, bei Paulus oder in späteren Schriften des Neuen Testamentes. Ich möchte hier nicht pauschal über all diese anderen Aussagen urteilen, aber eines ist klar, wo man sich in der Konsequenz der Christus-Offenbarung stellt, so wie sie im vierten Evangelium vor Augen geführt wird. Da wird von der Rede von Jesu Lebenseinsatz zu uns, von Gottes Liebe, von dem Glauben, der den Tod überwindet, von dem Leben, das jetzt beginnt. Dann ist das ein Impuls, der das Leben und Denken im Glauben auch heute inspiriert, befreit und belebt. Das ist Evangelium, gute Botschaft. Lesen und bedenken wir es, das Buch, das die anderen Bücher der Bibel an

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Kühnheit und Tiefe überragt. Das Evangelium des Geistes wird uns immer wieder neu überraschen.

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Das Johannes Evangelium – Teil 2 | 11.6.2

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 23. Januar 2021 von Prof. Dr. Jörg Frey

Um das Johannesevangelium zu verstehen, fängt Jörg Frey hier am Ende an: Bei jenem Ereignis, das grausamer kaum sein könnte – Jesu Tod durch die Folter am Kreuz. Der doch das größte Liebesbekenntnis seit Menschengedenken ist. Was sagt dieses Evangelium über Jesus und sein Leben vor seinem schrecklichen Sterben? Was bedeutet es für uns, für unsere Sicht auf die Welt und den Glauben? Es geht in diesem Vortrag um die Theologie des Johannes, darum, was er aussagen will, wenn er wie kein anderer über Jesus als Gott spricht. Eine kühne Botschaft, vor allem für Juden. Denn im jüdischen Verständnis ist klar: Es gibt nur einen Gott. Und dieser Gott hat keine Kinder wie die Götter der Heiden. Aber auch die damaligen Nicht-Juden dürften ihre Schwierigkeiten mit Jesus als Gott gehabt haben. Denn nach allem, was sie wussten, können Götter zwar zahlreiche Kinder haben, aber nicht sterben. Und was machen wir heute aus dieser Geschichte? Wir haben die Menschwerdung Gottes gezähmt, zur Weihnachtgeschichte mit Baby und Engeln verniedlicht. Die Kreuzigung blenden wir aus, zur Auferstehung bemalen wir Hühnereier. Was wirklich hinter den Geschichten im Johannesevangelium steckt, erklärt nun Jörg Frey. Wie sich alles auf das Ostererlebnis ausrichtet, als die Jünger verzweifelten, andere spotteten und über all dem ein zweites Bild liegt, das Verzweiflung und Häme überstrahlt: Herrlichkeit statt Grausamkeit, Erfolg statt Niederlage. Das Johannesevangelium ist „eine Sehschule des Glaubens“, sagt Frey und führt uns so nah wie möglich dahin, zu verstehen, was es bedeutet, dass Jesus Gott ist – und doch Mensch. Und wie wir den Glauben daran in uns geschehen lassen können.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.