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Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Vortrag Sexualität im Alten Testament. Es gibt ja kaum ein Thema, das mit mehr Vorurteilen belastet ist als das und wohl auch mit mehr Tabuisierungen. Es werden immer nur Teile herausgerissen, die dann zum großen Thema gemacht werden. Und wenn man einmal genau schaut, das sind also für uns Fachtheologinnen, sind das die hermeneutischen Voraussetzungen, wenn man genau schaut, dann steht das doch gar nicht in der Bibel, sondern das ist viel mehr Rezeption, sprich wie man die Bibel durch die Jahrhunderte gelesen hat und auch welche Übersetzung man durch die Jahrhunderte gelesen hat, ist von entscheidender Bedeutung. Es gibt zum Beispiel einige Dinge in der hebräischen Bibel, also in dem Text, den wir im Alten Testament als

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den Grundtext nehmen, die nicht da sind, die aber sehr wohl in der Vulgata erst kommen. Und von daher natürlich würde ich sagen für eine Alttestamentlerin, das steht doch in der Bibel mit solchen Texten dann zu argumentieren, das steht eben nicht in der Bibel, das steht nur in der lateinischen Bibel und ab dort in allen Übersetzungen, die von der lateinischen Bibel abhängig sind. Dieses das steht nicht in der Bibel ist also ein Teil, den wir zu berücksichtigen haben und der zweite Teil, wir haben keinen direkten Zugang zur Welt der Bibel. Auch das ist etwas, was man betonen muss, wir haben nur einen Zugang über Texte. Das heißt wir wissen nicht, wie die Menschen wirklich gelebt haben, was zum Beispiel so selbstverständlich war, dass man es gar nicht aufgeschrieben hat. Also was einfach Usus war und man nicht extra sagen musste. Das heißt aufschreiben tut man die strittigen

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Fälle in den Rechtstexten zum Beispiel. Also dort wo es tatsächlich um Rechtsansprüche geht oder eben auch um Schädigungen, dort muss man aufschreiben. Das was ohne dies jeder weiß und sonst wie, da braucht man nicht extra ein Gesetz aufzuschreiben. Das heißt wir haben immer nur vermittelt durch die Texte Zugang und da muss man eben wissen, was das für Texte sind. Und diese Texte geben natürlich auch eine Sichtweise wieder. Nicht alle Menschen haben gleichen Zugang zu, erstens zu Schrift und natürlich auch dann um Texte zu produzieren. Und wenn sie diese Texte geschrieben haben, müssen wir klar sein, dass nicht von allen Leuten Texte in die offizielle Bibel dann ihren Eingang gefunden haben. Das heißt wessen Sichtweise wird uns nicht überliefert. Auch das ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir Texte lesen, gerade Rechtstexte, wenn wir

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wissen, dass hauptsächlich zum Beispiel die Rechtsprechung in den Händen von Männern lag. Wenn wir gleich auch eine Frau als Richterin haben, Deborah, und damit natürlich uns auch gesagt wird, dass das durchaus nicht so hermetisch ist, wie man sich das so landläufig vorstellt. Aber es muss klar sein, es vermittelt eine gewisse Sichtweise. Und deswegen ist es umso wichtiger dann in den Texten zu fragen, was sind gegenläufige Sichtweisen. Also wo stimmt etwas zum Beispiel, wo stimmt eine Erzählung nicht mit dem Rechtstext überein? Oder in welcher Weise stimmt diese Erzählung nicht mit dem Rechtstext überein, ohne dass dadurch jetzt ein Kriemann erzählt wird? Also auch solche Unterschiede müssen wir wahrnehmen lernen. Und zudem ist die Bibel ein kanonischer Text. Ein kanonischer Text heißt, dass irgendwann mal die gläubige Gemeinschaft, sei es das Judentum,

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sei es das Christentum, festgestellt hat, was zur Bibel gehört und was nicht, und mit der typischen Formel nichts wegnehmen und nichts dazuschreiben. Das heißt, dieser Text ist in sich geschlossen und unveränderbar. Bis zu diesem Kanonisierungszeitpunkt, könnte man sagen, ist der Text noch immer wieder fluid. Das heißt, Sie können im Text Kommentare machen, Sie können selbst Texte rausschmeißen. Wir wissen nicht, was alles verloren gegangen ist. Sie können Texte zuschreiben, Sie können umstellen, Sie können zum Beispiel eine Komposition ändern, indem Sie gezielt Dinge zusammengruppieren, Texte zusammengruppieren. Dann, in dem Moment, wo der Text kanonisiert ist, haben Sie diese Möglichkeit nicht mehr. Und damit ist der Abschluss des Kanons die Geburt des Kommentars, das heißt der Schriftgelehrsamkeit, weil ein kanonischer Text ist nicht nur ein historischer Text, wie zum Beispiel das ägyptische Totenbuch, auch schön zu lesen und sonst wie,

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aber die Bibel hat ja das Phänomen, dass sie durchgängig immer die heilige Schrift einer Gemeinschaft war, die es durchgängig seit ihrer Entstehung gegeben hat und immer noch gibt. Das heißt, diese Bibel ist relevant für das Leben aller Generationen, die die Bibel lesen. Das bedeutet natürlich auch, dass man die Kommentare möglichst an die Lebensumstände der Menschen angleichen muss, weil man ja diesen Text, der bindend ist, immer für die neue Zeit auslegen muss. Das heißt, wenn Sie heute dieses Thema Sexualität besprechen, dann muss Ihnen klar sein, Sie besprechen dieses Thema hier und heute in einer westlich orientierten Geschlechterdemokratie. Wir können nicht so tun, als ob wir im 19. Jahrhundert leben würden und das 19. Jahrhundert hat auch manche Dinge so konstruiert, wie sie auch gar nicht waren. Also das muss uns bewusst sein, dass das mit zu

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berücksichtigen ist. Das bedeutet, wenn wir die Bibel also nicht nur als historisch interessanten Text lesen, sondern als Text lesen, der uns hier und heute noch etwas sagen will, dann müssen wir sogar die Fragestellungen von heute an Sie herantragen und können auf keinen Fall die Fragestellung unserer Urgroßeltern herantragen, denn wir sind nicht unsere Urgroßeltern, sondern wir müssen Sie hier und heute lesen und uns fragen, was Sie hier und heute bedeutet. Und natürlich, das ist die Aufgabe eines Kommentars, der ja möglichst fluid ist, also der sich ändern muss, sonst könnte man ja heute hier Augustinus lesen und das wäre es dann nicht, sondern es muss sich eben für die Gemeinschaft, die wieder den Text auslegt, muss dieser Kommentar gegeben sein. Und von daher, der Kommentar muss sich anpassen, weil er eben etwas sagen will, den Menschen die Bibel

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ins Heute holen will und damit natürlich den Text auslotet von Teilen, die zum Beispiel im Mittelalter überhaupt nicht gesehen wurden, weil sie nicht von Bedeutung waren, die aber für uns heute durchaus möglich sind, so zu lesen, weil wir eben mit den heutigen Fragestellungen an den Text herangehen. Soweit also die einführenden Voraussetzungen, wenn wir uns überhaupt mit dem Thema beschäftigen. Das erste, was sich gleich mal mit den Texten beschäftigt, sind natürlich die Grundlagen, was ist der Mensch, welche Stellenwertheit Sexualität im Menschsein und da sind diese anthropologischen Grundlagen natürlich als erstes in den Schöpfungserzählungen anzuschauen. In den Schöpfungserzählungen sind ja zwei Schöpfungserzählungen, zwei auch deswegen, damit wir ja nicht glauben, genauso sei die Welt erschaffen worden, nämlich in sechs Tagen und am 7. hätte die Gottheit geruht.

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Es kommt dann unmittelbar darauf ein völlig anderer Zugang dazu und diese Texte, diese zwei Texte müssen wir also getrennt anschauen, dass sie in sich eine geschlossene Einheit bilden und nicht, wie dann ja die Antike es häufig getan hat, das beginnt ja schon im Neuen Testament, dass man den einen Text mit dem anderen auslegt. Das ist natürlich von der Auslegung eines kanonischen Textes möglich, aber als Alttestamentlerin bin ich natürlich verpflichtet, jedem Text sein eigenes Gewicht zu geben und von daher schauen wir uns einmal Genesis 1 an. In Genesis 1 heißt es ja dann nicht, lasst uns Menschen machen nach Bild und Gleichnis Gottes und dann heißt es eben männlich und weiblich schuf er See. Und da ist eben dieses männlich und weiblich, es steht nicht, wie in vielen Bibelübersetzungen, als Mann und Frau schuf er See, sondern es steht männlich und

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weiblich drin. Was ist das für ein Unterschied? Männlich und weiblich ist die reine biologische Geschlechterdifferenz, die sie auch bei den Tieren haben. Also da ist, das ist bei überall wo es Zweigeschlechtlichkeit gibt, bezeichnet das männlich und weiblich. Mann und Frau ist im Alten Testament fast immer durchgängig der freie Mann und die freie Frau bezeichnet. Das heißt, ein Sklave ist in dem Sinn kein Mann, sondern ein Sklave ist ein Ebet und nicht ein Ish oder eine Amma oder eine Shivja und nicht eine Isha. Das heißt, wir haben hier, wenn das männlich und weiblich hier drinnen steht, haben wir als ausschließlich geschaffene Differenz zwischen Menschen die biologische Geschlechterdifferenz und nicht die soziale. Gender, also wo es reich und

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arm und wichtig und unwichtig und sonst wie gibt. Warum die rein biologische Geschlechterdifferenz? Weil es dann ja auch heißt, seid fruchtbar und mehrt euch. Und zwar das ist dieses Mehren, das sollen letzten Endes alle jene Schöpfungswerke, die also lebendig sind, da gehören auch die Tiere dazu und diese Lebendigkeit hat natürlich per se, das Leben hat einen Anfang und ein Ende. Würde sich das Mehren eben nicht ereignen, würden diese Schöpfungswerke aus dem Schöpfungswerk verschwinden. Während man natürlich die Vorstellung hat, dass Berge nicht verschwinden oder dass das Meer nicht verschwindet. Heute wissen wir auch, dass die Dinge ein bisschen anders sind, aber in dem damaligen Weltbild sind das keine Dinge, die sich ununterbrochen reproduzieren müssen, um in Dasein zu sein. Wenn Sie jetzt Genesis 1 durchlesen und einmal anschauen, dass dort Himmel und Erde, Licht und Finsternis, das Meer und das Trockene, dass das

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immer Schöpfungswerke sind, die einander gegenübergestellt sind und das selbstverständlich, wenn Gott die Nacht und den Tag macht, er hat natürlich auch die Dämmerung gemacht, das ist ja wohl klar und das Morgenrot und das Abendrot und wenn er denn das Meer und das Trockene schafft, dann hat er ganz sicher auch das Watt und die Lagune gemacht, weil eben, wo es eben das nicht so klar ist, was es ist. Das heißt, mit diesen beiden Polen werden die äußersten Pole angegeben und alles dazwischen selbstverständlich auch. Und nicht nur die Pole und sonst nichts. Wenn wir also diesen Text mit unseren Augen heute lesen in Geschlechterdemokratien, dann müssen wir sagen, Gott hat Weibliches und Männliches geschaffen und alles dazwischen auch. Und zwar rein aus dem Text heraus, weil wir eben eine polare Anlage des gesamten Textes haben und

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zwar von Anfang an. Licht und Finsternis und Tag und Nacht, alle diese Strukturen geben die Pole an und alles dazwischen ist damit natürlich auch mit gemeint. Also können wir nicht sagen, dass also ausschließlich der männliche und der weibliche heterosexuelle Mensch erschaffen wurde. Das lässt sich von der Struktur des Textes eigentlich nicht sagen. So mal das erste, das heißt der erste Schöpfungstext, Sie sehen, ich sage bewusst nicht Bericht, weil es ist kein Bericht, sondern es ist ein Text, der uns die Welt erklären will, die Welt deuten will und die Welt natürlich auch erzeugen will. Nämlich als die Welt als Schöpfung Gottes. Der sieht Sexualität als Mittel zum Zweck, dass also die Werke erhalten bleiben und damit ist das Ziel der Sexualität die Fruchtbarkeit. Wenn wir allerdings zu Genesis 2 kommen, dann

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wissen Sie, dass Adam aus der Adamar geschaffen wird. Adam heißt Mensch, der wird aus der Ackererde geschaffen. Geschlechtlich nicht differenziert, wird nichts gesagt. Adam heißt Mensch, da ist also alles drinnen von Mann und Frau und alle Dinge dazwischen, ist einfach Mensch, die Spezies Mensch wird geschaffen. Und dann wird ja das sehr gut, das im ersten Text am Schluss gesprochen wurde und siehe es war sehr gut, wird plötzlich unterbrochen durch ein nicht gut, nämlich es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Und dann wird eben die Frau aus der Seite des Menschen geschaffen. Wenn dann die Rippe vorkommt, dann ist das im lateinischen Text der Fall, aber das hebräische sagt selah, das ist die Seite. Also Sie könnten auch sagen, das ist die Hälfte des

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Menschseins. Wenn das die Seite ist, die eine Seite des Menschseins. Das heißt, der Mensch wird zweigeteilt, so können Sie den Text ohne weiteres auch deuten. Und nicht, dass hier ein kleines Loch gemacht wird, wo eine kleine Rippe dann zu ausgebaut wird, sondern die Hälfte des Menschen wird also zur Frau und der Restmensch, das ist ein Terminus technicus, der von Frank Grüsemann stammt, nicht von mir, also das verbliebene Menschenwesen ist dann der Mann. Das heißt, es wird hier aus ganz anderen Gründen, wird hier Sexualität geschaffen, wenn Sie so wollen, und zwar als Mittel gegen die Einsamkeit. Das heißt, dieser Text zeigt uns, dass Sexualität vor allem im Glück des anderen liegt, nämlich Hilfe, die entspricht, wie es heißt. Und wenn wir diese Hilfe anschauen, das haben übrigens schon Menschen vor uns gesehen und ist dann

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eigentlich durch einen Artikel, der als Polemik gegen die Unfähigkeit der Frau zur Priesterweihe aus dem Jahre 78 von einem weißen Vater, also von einem Ordensmann geschrieben wurde, It is not good that the man should be alone, von Walter Vogels aus Kanada. Und der Mann hat dargestellt, dass zum Beispiel Ezer, diese Hilfe, ist ausschließlich in diesem Text positiv verwendet, wo Menschen den Menschen eine Hilfe sind. Sonst sind Menschen immer keine Hilfe, geht nicht nach Ägypten hinab. Ihre Rosse sind Fleisch und nicht Geist und sie sind keine Hilfe. Aber unsere Hilfe ist im Namen Adonais, der Himmel und Erde geschaffen hat. Das heißt, die Hilfe im Positiven ist im Normalfall nur Gott. Und damit kann man also nicht sagen,

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dass also die Frau der Hilfsmensch ist. Wenn die Frau der Hilfsmensch ist, muss man auch Gott als Hilfsgott anschauen. Also dann ist der genauso, soll der genauso das tun, was der Mann nicht tun will, soll dann Gott tun. Also ist eine Abwertung dessen, sondern vom Hebräischen her ist diese Vokabel zeigt eigentlich an, dass nicht der stark ist, der Hilfe braucht, sondern der, der Hilfe ist. Das heißt, sie können also hier keine Unterordnung der Frau herauslesen wie in Genesis 2 auch nicht. Und dann heißt es eben, dass die beiden ein Fleisch werden und von Nachkommenschaft wird im Genesis 2 überhaupt nichts gesagt. Das kommt ja dann erst außerhalb des Paradies, also wo Adam seine Frau erkennt und dann außerhalb des Paradieses zuerst einmal die beiden Söhne Cain und Abel geboren werden. Aber nicht in der idealen Schöpfung ist Sexualität ein Mittel

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der Kommunikation, der Hilfe einander, für einander und natürlich ein Mittel gegen die Einsamkeit. Also das gemeinsame Leben. Man könnte sagen im katholischen der zweite Ehezweck, also wäre hier durchaus da, aber allein dass zwei Texte, die so alt sind, beide Aspekte betonen, dass Sexualität selbstverständlich auf Reproduktion hingerichtet ist, aber das nicht der einzige Zweck ist. Das sollte uns doch verwundern. Das trifft eigentlich unsere heutige Sichtweise sehr wohl. Also Sexualität gehört, wenn wir diese zwei Texte anschauen, zur Konditio humana und beide Schöpfungstexte haben ein egalitäres Geschlechterkonzept. Das dritte Kapitel habe ich überschrieben mit lustvolle Sexualität, Verwirklichung von Gottes Schöpfungsordnung.

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Und ich möchte das an einem nicht sehr bekannten Text nachvollziehen und zwar indem ich Ihnen mal einen Text vorlese, der eine Elternunterweisung ist. Es ist ja ein Sprüchebuch, es ist ja der erste Teil des Sprüchebuches von 1 bis 9, sind ja Lehrreden und dort haben wir Lehrreden einerseits von Frau Weisheit und andererseits von Vater und Mutter, wobei der Mutter jeweils die Thora zugestanden wird, die Thora der Mutter, auf die soll man hören und von daher ist dieser Text eine Elternunterweisung in Sprüche 5 und da muss man sagen, man sollte wahrscheinlich hier nicht Kind übersetzen, sondern tatsächlich Sohn, also sie belehren den Sohn. Mein Sohn, gib acht auf meine Weisheit. Zu meiner Einsicht neige dein Ohr, damit du die Umsicht behältst und deine Lippen das Wissen bewahren, denn Honig sei im Teufel von den Lippen der fremden Frau und glatter als Öl ist ihr Gaumann.

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Zuletzt aber ist sie bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße gehen hinab zum Tod, ins Totenreich führen ihre Schritte. Sie achtet nicht auf den Pfad des Lebens, ihre Bahnern gehen in die Irre und sie merkt es nicht. Hört nun auf mich ihr Söhne und weicht nicht ab von den Worten meines Mundes. Halte dich fern von ihr auf deinem Weg und nähere dich nicht der Tür ihres Hauses, damit du nicht anderen dein Gut überlassen musst und deine Jahre einem Grausamen, damit nicht andere sich sättigen durch deine Kraft und du dich abmühst im Haus eines Fremdens und du am Ende stönst, wenn dir Leib und Fleisch dahinschwinden und du sagst, warum habe ich Unterweisung abgelehnt und er hat mein Herz die Mahnung verschmäht, dass ich auf die Stimme meiner Erzieher nicht gehört habe und mein Ohr nicht geneigt habe zu ihren Lehren. Fast wäre ich tief

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ins Unglück geraten in der Versammlung der Gemeinde. Das ist der erste Teil dieses Textes. Sie sehen, der bedient eigentlich alle Stereotypen, auf österreichisch gesagt, man muss dem Burm auf alle Fälle sagen, was gefährlich ist. Noch dazu bei der Ehewahl, aber auch natürlich dann auch, es ist wohl der Sohn, der belehrt wird, wo die Eltern noch eine Möglichkeit haben, den Sohn zu belehren. Das typische Klischee der Verführerin, das man dem Sohn vorstellt, das heißt, die Frauen sind gefährlich, die Frauen verführen, nicht die Männer natürlich, dieses klassische Klischee. Aber damit beginnt das. Das ist nicht das Ende. Das ist also nicht die Sichtweise, die man auf Frauen hat, sondern es geht dann weiter. Trink Wasser aus deiner eigenen Zisterne und frisches

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Wasser aus deinen Brunnen. Sollen sich deine Quellen auf die Straße ergießen, die Wasserbäche auf freien Plätzen? Dir allein soll sie gehören und nicht den Fremden neben dir. Deine Quelle sei gesegnet und freu dich an der Frau deiner Jugendzeit. Am lieblichen Reh und an der anmütigen Gämse, ihre Brüste sollen dich alle Zeit trunken machen und an ihrer Liebe sollst du dich berauschen. Also sie sehen, da ist ein ganz anderes Ende als die typische Frau als Verführerin, die eh war schlechthin. Denken Sie an diese typologische Auslegung, durch die Frau kann die Sünde in die Welt. Das steht übrigens in der katholischen Bibel, aber nicht in der hebräischen Bibel. Das ist ein Buch Sirach das erste Mal da. Und hier haben wir also eine Sichtweise, die absolut keinerlei Sexualfeindlichkeit darlegt, sondern es ist die Aufforderung zum Genuss.

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Aber mit wem? Das geht, um das geht es. Also die Ehebrecherin, die fremde Frau, die fremde Frau ist keine unverheiratete Frau. Die fremde Frau ist die Ehefrau eines anderen. Und von daher ist das der Ehebruch, vor dem sie ihn bewahren wollen, von Frauen, die er nicht begehren soll, aber das heißt nicht, dass er nicht ein erfülltes Sexualleben führen soll. Das heißt, das legt man ihm sehr wohl dar und wir können bestimmt annehmen, dass das Eltern lehren, die natürlich selber auch noch sexuell aktiv sind. Also hier ist eine absolut positive Einstellung zur Sexualität und es ist das Gegenteil von dem, was wir häufig als miesepeterische Sexualmoral darlegen. Also, dass alles verboten ist und im Sextum gibt es überhaupt nur schwere Sünden oder ähnliches.

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Nein, der Genuss wird betont und der steht am Schluss und nicht die Warnung, sondern der Genuss und zwar mit der eigenen Frau, sogar mit der Frau der Jugend, die steht am Schluss. Ganz ähnlich von der Metaphorik her, also das liebliche Reh und die anmütige Gämse und ihre Brüste machen dich alle Zeit trunken und an der Liebe sollst du dich berauschen, das könnte genauso gut im Hohen Lied stehen. Wir haben im Alten Testament ein biblisches Buch, das ausschließlich Liebeslieder hat und zwar Liebeslieder hat, die eben nicht keusche platonische Erotik wiedergeben, sondern die, das hat übrigens in einem Artikel vor kurzem in dem Sexualitätsband des Jahrbuches für biblische Theologie, Anett Schellenberg aus Wien, dargelegt, wo wir wirklich Texte drinnen haben, die nicht anders zu lesen sind als sexuell, also wo man nicht sagen kann, das kann man jetzt auch metaphorisch verstehen und

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ist damit also nichts zu tun, ist nur Erotik, pure Erotik, also die wahren Abenteuer sind im Kopf, sondern es gibt wirklich Texte in dem Hohen Lied, wo wir sagen, es geht hier eindeutig um Sexualität und auch um erfüllte, um gelebte Sexualität und damit haben wir Beschreibungslieder, die alle Sinne ansprechen, es wird vom Duft geredet, es wird vom Angreifen geredet, allerdings Angreifen ist nicht der Hauptsinn, sondern es wird vom Ohr gesprochen und vor allem vom Sehen und natürlich auch vom Schmecken, also der Gaumen ist süß, zum Beispiel wie Honigseim und sonst wie, also wo man nicht anders als einen Zungenkuss denken kann, das ist klar, es gibt also viele, alle Sinne, die wir haben, werden im Hohen Lied angesprochen, lesen Sie sich das einmal durch, die Metaphorik stammt natürlich aus dem alten Orient, hat die Früchte dieser Gegend, also des mediterranen Raumes der damaligen

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Zeit als metaphorische Basis und auch die Tiere, wobei bei den Tieren manchmal auch, da muss man ein bisschen bewanderter sein, manchmal kommt man da in die Irre, wenn es zum Beispiel heißt, bei uns sind heute die Tauben gar nicht so gefragt, also die übermitteln die Taubenzäcken und sind daher eher gefährlich, die sollte man im Zaum halten, die Taube ist der Bodenvogel der Liebesgöttin und wenn daher die Blicke wie Tauben sind, dann bedeutet das natürlich ganz was anderes, als wenn die Taube Zäcken jetzt überträgt, also die gefährlich sind, also da müssen wir schon in der Metaphorik des alten Orients ein bisschen eintauchen, damit wir die auch verstehen, aber das sind wunderbare Bilder, vor allem aus der Natur genommen, aber auch aus der Kultur, also es sind auch Stadtgebäude hier als metaphorische Bildgeber da und da wird beschrieben, vor allem der nackte Körper und zwar vor allem in

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der begehrenswerten Schönheit, auch das ist etwas ganz besonderes im Hohen Lied, also alles ist schön an den beiden, wobei wir mehr Texte haben, wo die Frau den Mann beschreibt als umgekehrt, was natürlich heißt, dass der Frau mehr Texte in den Mund gelegt werden als dem Mann, also zugeschrieben werden, dass sie die spricht, wenn wir so etwas überhaupt haben, dass Frauen also in Texten als Sprecherinnen, als Dichterinnen dargestellt werden, dann müssen wir annehmen, dass in einer so patriarchalen Kultur, wie der alte Orient des Var, natürlich ein viel größeres Phänomen dahinter haben als nur ein einzelner Text, das heißt Frauen konnten sehr wohl Poesie schreiben und Frauen konnten wohl auch dichten und Frauen konnten sicher auch schreiben, also wir haben ja auch hier Hinweise

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von Siegeln und ähnliches. Wenn man hier also die nackten Körper in der begehrenswerten Schönheit beschreibt, dann zeigt das auch etwas, was uns heute eine Lehre sein könnte, nämlich wir sind heute, wenn Sie die ganzen Influencer und was weiß ich alles anschauen, dabei die Körper ununterbrochen zu optimieren und kaum jemand ist mit seinem Körper zufrieden, es ist das zu dick, es ist das zu dünn, es ist das zu lang, es ist das zu kurz, es ist das zu was weiß ich was, es ist immer irgendetwas, was defizitär ist. Im Hohenglied, wo Menschen sich lieben und begehren, ist alles begehrenswert. Also und das wird auch öffentlich mitgeteilt, ist eine völlig andere Körpereinstellung, als wir sie heute zu einem zu optimierenden Körper haben. Also der Mensch, so wie er ist, ist er schön. Wenn Sie Texte lesen, wir wissen ja nicht, was die Leute sich tatsächlich hinter den einzelnen Metaphorik dann auch gedacht

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haben. Natürlich ist nicht gemeint, wenn der Hals der Geliebten, wie der Turm David ist, dass der einen unendlich langen Hals hat, sondern das ist natürlich die Bewehrtheit, also der Turm ist etwas, was die Mauer stützt und was erobert werden will natürlich auch, der Turm schützt die Mauer und von daher sind das also ein gerader Hals, die geht also nicht so daher, sondern ist eine stolze Frau. Und diese Stolze wird dann auch tatsächlich ins Bild gesetzt, eben durch solche Metaphorik. Ein anderes ist, dass dieser sexuelle Genuss, offensichtlich zwei junge Leute, hat keinen ehelichen Kontext. Es ist gerade jetzt bei mir eine Dissertation in unserem Graduiertenkolleg abgeschlossen worden, Rafaela Svados, die über das Hohelied als Radikalisierung der Beziehungsidee geschrieben hat und die hat eine schöne Sache herausgefunden, nämlich es werden ja alle Körperteile

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ununterbrochen beschrieben im Hohelied. Also so viele Körperteile, die wir sonst selten beschrieben haben in einem Text, es kommt nirgends das Wort Rechem vor. Rechem ist der Mutterschoß, also es ist der Bauch der Weizenhaufen, der fruchtbare Weizenhaufen, klar, das ist ein Fruchtbarkeitssymbol, aber Rechem als Mutterschoß kommt nirgends vor. Also würde man eigentlich überhaupt nicht glauben im Hohelied, aber es ist so. Das heißt, es geht hier nicht um Reproduktion, es geht hier auch nicht um Ehe, sondern es geht um die Liebe zweier junger Menschen, die wohl auch fern ab der Ehe, und zwar wahrscheinlich die sich treffen und hoffen auch zusammenzukommen, das ist klar, im alten Orient natürlich auch klar, aber die ganz offensichtlich noch nicht verheiratet sind. Wenn es heißt, also wäre ich doch dein Bruder, dann könnte ich gehen ins Haus deiner Mutter. Man trifft sich in den Weinbergen, man trifft sich draußen in freier Natur. Why? Sehr klar, also man

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hat kein eigenes Haus, wo man eine Sexualität leben könnte. Von daher ist das wie in den 50er Jahren noch nicht. Ins Haus der Eltern konnte man nicht konbern, wenn man jung ist. Heute ist es eine ganz andere Gesellschaft geworden, aber vor der sexuellen Revolution war das undenkbar auch noch in unseren Breiten. Also das sind lauter Dinge, die hier klar hier sind. Man kann die Texte natürlich alle nur metaphorisch lesen, dann ist das alles weg. Wir lesen sie aber in Geschlechterdemokratien hier und heute und zwar so wie Menschen leben und dann können wir das auch herauslesen und zwar nicht hineinlesen in die Texte, sondern herauslesen aus den Texten, indem wir die Texte so wie sie sind ernst nehmen. Ein letztes noch, das Hohelied kehrt die menschliche Geschlechterordnung um. Die

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menschengemachte, die gefallene Geschlechterordnung wird ja in Genesis 3 durch die sogenannten Strafsprüche festgelegt, wo es heißt, nach deinem Mann ist dein Begehren und er aber wird über dich herrschen. Hieronymus lässt das weibliche Begehren aus, das war in seiner Zeit nicht mehr gegeben, also Frauen haben nichts zu begehren, der Mann begehrt, aber nicht die Frau und deswegen lässt er das aus und führt die Potestas ein und zwar die Potestas ist die Rechtsgewalt des Mannes über die Frau. Das heißt, das herrschen des Mannes über die Frau kommt erst mit der Vulgata ins Dasein, als gefallene Schöpfungsordnung, sondern da ist es letzten Endes das Begehren der Frau wird durch Dominanzgelüste des Mannes beantwortet und damit ist natürlich die Hilfe, die entspricht, überhaupt nicht mehr gegeben. Wenn das Begehren des einen letzten Endes durch Dominanz des anderen beantwortet

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wird, dann ist das keine Hilfe mehr, sondern es ist eine Abhängigkeit und das Hohe Lied schreibt in Hohe Lied 711, dass gerade das Begehren des Mannes nach der Frau sei, wo diese Dominanz durch gegenseitiges Begehren letzten Endes beantwortet wird und nicht durch eine Dominanz des Mannes. Also wo Menschen sich so lieben wie die Geliebten des Hohe Liedes, dort fällt diese menschengemachte Schöpfungs- oder Geschlechterordnung, die nicht Gott gewollt ist. Von daher auch ein kurzer Exkurs, wenn man als in katholischerseits ja noch immer die Geschlechterordnung mit der Dominanz des Mannes ansetzt. Gleiche Würde heißt nicht gleichberechtigt, sondern das ist das Reizwort für nicht gleichberechtigt, wenn gleiche Würde wo steht, liebe Frauen, seid vorsichtig, da ist sicher kein gleiches Recht

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drinnen und von daher ist hier also diese Geschlechterordnung, die immer noch katholischerseits vertreten wird, ist die Geschlechterordnung der gefallenen Schöpfung nicht die der Gott gewollten Schöpfung. Dessen muss man sich bewusst sein. Ich bin kein kirchlicher Würdenträger, ich bin dafür nicht verantwortlich, aber ich bin verantwortlich dafür, dass man das sagt. Soweit zum Hohe Lied. Was auch nicht verschwiegen werden darf, es sind nicht nur die schönen Seiten von Sexualität in der Bibel thematisiert, sondern auch Sexualität und Gewalt. Und zwar, ich würde das durchaus überschreiben mit zwischen Realismus, das heißt man schaut hin und verduscht nicht, und Affirmation, das heißt es ist nicht die nötige Distanz zu dieser sexuellen Gewalt da. Wenn wir uns ein paar dieser Texte anschauen, dann haben wir vor allem Vergewaltigungserzählungen, also wo Frauen

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vergewaltigt werden mit einem drastischen Realismus. Und wenn Sie zum Beispiel 2 Samuel 13 anschauen, die sogenannte Vergewaltigung Tamars, das ist eine Königstochter, die von ihrem Halbbruder im Hause Davids vergewaltigt wird. Typisch sexuelle Gewalt, passiert am häufigsten in der Familie, das wusste man offensichtlich dort auch schon, und sogar in der Königsfamilie. Und dort dieser Text, wenn Sie sich den einmal genau durchlesen, dann sehen Sie, dass Männer sich zuerst einmal zusammentun und ein Komplott schmieden. Nämlich, wie kommt diese Tama, die Amon begehrt, in sein Haus, so dass er sie tatsächlich dann auch vergewaltigen kann. Und da wird der Onkel eingeschaltet, da wird sogar der Vater eingeschaltet, der stellt sich krank, das ist eine Finte, die vom Onkel kommt und sagt, stell dich krank. Und dann soll sie kommen und du sollst aus ihrer Hand eben diese Lebibakuchen,

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die wahrscheinlich schon auf ein Gebäck, das wahrscheinlich erotische Konnotation hat, schließen lässt. Und auf diese Weise wird Tama von ihrem eigenen Vater in das Haus des Vergewaltigers geschickt, der der Thronfolger ist noch dazu. Das ist eine ungeheure Sozialkritik am obersten Haus natürlich, an der obersten Familie auch. Und dieser Text führt ja dann ganz langsam ein, sie versucht den Bruder noch abzuhalten von dieser Tat, so etwas tut man nicht in Israel, das ist eine Nebala, also eine Torheit in Israel, also ein absolutes Tabu könnte man sagen, dass man das tut. Und sie versucht dann noch Zeit zu gewinnen, indem sie sagt, sprich mit dem Vater, er wird dich mir geben, in die Ehe geben, gibt ja Polygynie, das ist ja keine Frage, also man kann ja mehrere Frauen heiraten und er hört nicht auf sie, sie behält den klaren Kopf bis

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zum Schluss und argumentiert, aber es nützt ihr nichts. Er schickt alle Bediensteten hinaus und vergewaltigt sie. Und als er sie vergewaltigt hat, wirft er sie aus dem Haus hinaus. Das heißt, die Liebe, das Begehren, das er vorher hatte, war dann geringer als der Ekel, den er nachher verspürt hat. Es ist natürlich klar, damit hat er sich als Thronfolger unmöglich gemacht, das beschädigt auch seine Position, was sie sogar ihm vorher auch mitgeteilt hat. Und dann verweigert Tama die Vertuschung. Sie zerreißt das Gewand und geht schreiend aus dem Haus und macht damit das Verbrechen öffentlich. Ihr Bruder, tatsächlicher Bruder, nicht nur Halbbruder Abschalom sagt dann, sei still, richtiges Vertuschen natürlich, also alle Männer gegen diese eine Frau und sie lässt sich aber nicht beruhigen. Sie bleibt dabei. Was lernen wir aus dem Text? Es ist ein fürchterlicher

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Text, der in der Bibel steht, wo wir aber heute sagen, er wird häufig gelesen von Menschen, die solche Traumatisierungen erlebt haben und die sind dankbar, dass solche Texte in der Bibel stehen, denn es wird das Verbrechen nicht verduscht. Das Verbrechen vertuschen heißt, den Tätern in die Hände zu arbeiten, weil wenn das Verbrechen verduscht wird, wird das Verbrechen nicht benannt und die Opfer werden unsichtbar. Und das ist nicht der Fall. Also gerade dieser Text, das hat bereits Phyllis Trübel Ende der 70er Jahre aufgezeigt, ist eine Memoria passionis, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, heißt die deutsche Übersetzung. Texts of terrors ist der Originaltitel des Buches, die diese Texte als Memoria passionis liest, also als Leidensgetechtnis, wie die Befreiungstheologie eben gerade für die Unterdrückten, die Geschichte der

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Unterdrückten muss als Memoria passionis erzählt werden. Und von daher ist, dass dieser Text in der Bibel steht, ist ein grauslicher Text, aber wir können heute froh sein, dass es solche Texte in der Bibel gibt, die eben nicht das Verbrechen vertuschen, sondern das Verbrechen thematisieren und das in der obersten Familie des ganzen Reiches. Wir haben Erzählungen andererseits, die Gangrape Erzählungen sind, also von Massenvergewaltigung erzählen. Das sind zum Beispiel Genesis 19 und Richter 19, wo in Genesis 19 die Männer eben das Anliegen haben, den Gast, der gekommen ist, zu vergewaltigen und Lot soll diesen Gast hinausgeben, das sind natürlich die Männer Gottes, also die Engel, also die göttlichen Boten und er gibt sie nicht hinaus und bietet den Böbel draußen

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die Frauen an, seine eigenen jungfräulichen Töchter, die noch bei ihm im Haus wohnen zur Vergewaltigung. Ist ein Text, der unmöglich ist, dass die Frauen bewahrt werden, hängt nur daran, dass die Besucher göttlich sind und die Männer draußen den Böbel vor Ort mit Blindheit schlagen und sie daher den Eingang nicht mehr finden. Also die Töchter Lot sind davon gekommen, aber in Richter 19 sind nur Männer unterwegs und von daher wird die Nebenfrau des Leviten, die er zuerst so massiv bedrängt hat, dass sie wieder zu ihm zurückkommt, die wird fast zu Tode gewaltigt, die ganze Nacht, er ist drinnen im Haus und sicher und die Frau wird hinausgegeben, daran sehen wir schon, diese beiden Texte werden nämlich von manchen Gruppierungen immer als der Gräuel der

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Homosexualität benannt, das hat mit Homosexualität null zu tun. Solche Männer, die Männer aus Macht, Demonstration und als Terror, Mittel des Terrors vergewaltigen, würden sich selber nie als homosexuell darstellen. Der Männerknast lässt grüßen. Vergewaltigen tut der, der sich als absoluter Hetero darstellt und die Dominanz in dem Knast haben will und nicht diejenigen, die also tatsächlich homosexuell sind. Also der Text hat mit Homosexualität überhaupt nichts zu tun, andernfalls würde es überhaupt keinen Sinn machen, dass Frauen als Ersatz hierher halten müssen und diese Frau ja auch fast zu Tode vergewaltigt wird, wobei das fast nicht klar ist, stirbt die, ist die Frau schon tot, als sie sich zum Haus schleppt oder ist sie nicht tot und bringt sie dann erst der Ehemann und das ist offengelassen. Das ist einer der Texte, die wohl am grauslichsten im alten Testament stehen, man kann es nicht anders sagen. Ein grauenhafter Text, der Frau kommt

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niemand zu Hilfe, die wird die ganze Nacht zu Tode vergewaltigt und als sie dann am Morgen grauen, mit den Händen auf der Türschwelle, wo ihr Mann sicher drinnen geschlafen hat, zurückkommt, dann herrscht er sie an, sie soll aufstehen, weil sie weiterziehen und da sie das nicht mehr in der Lage ist, legt er sie über den Esel und als er zu Hause angekommen ist, teilt er den Körper in Stücke und schickt ihn als Kriegserklärung durch die ganzen Stämme. Ein Text, der, ja, da bleibt einem der Atem weg. Gang rape, es ist nichts, was es nicht gibt, auch in der heutigen Welt. Wir sehen, es wird aber mitgeteilt, es wird nicht vertuscht, dass es so etwas gibt. Und der Text natürlich insbesondere, er fällt dann natürlich auch dadurch auf, dass der vergewaltigte Frauenkörper,

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der geschundene Körper einer Ehefrau für die Reproduktion ungeeignet ist und daher noch zerstückelt wird. Also er muss noch desintegriert werden, könnte man sagen, nicht? Also er muss noch einmal zerstört werden, wo er schon zerstört ist. Wenn Sie sich ein bisschen mal kundig gemacht haben, was in den Kriegsvergewaltigungen im Bosnienkrieg und im Jugoslawienkrieg passiert ist, dann sind wir nicht weit weg von diesen Texten. Oder jetzt auch mit Jesidinnen, auch da haben wir ähnliche Phänomene, wo dann diese Frauen, die vergewaltigt wurden, von der eigenen Gruppe noch ausgestoßen werden. Oder auch in der, als die sogenannten Russen kamen nicht, wo man denn den vergewaltigten Frauen noch den Strick gegeben hat, weil sie die Familienere geschändet haben 1945. Es ist also nichts, was es nicht gibt. Aber die Bibel erzählt auch solche

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Dinge und setzt damit letzten Endes den Opfern ein Denkmal. Sie vergisst sie nicht. Also das ist klassische Moria Passiones. Das ist Realismus, aber ich habe auch gesagt, es gibt auch die Affirmation. Und auch das können wir nicht ganz wegschieben, nämlich in der Metapher des Gottesverhältnisses als Ehebund gibt es zwei Seiten. Es ist der liebende Ehemann, der sich, der das Volk begehrt, das Volk als Frau oder die Stadt als Frau, Zierer natürlich auch. Aber wenn diese Frau untreu wird, dann wird dieser Ehemann ungehalten und das Volk als untreue Ehefrau wird eben vom Ehemann, der göttlich ist, bestraft. Und diese Bestrafung, die vollführt er zwar so nicht selber, sondern lässt durch die Feinde das machen und zwar durch sexuelle Gewalt. Also durch

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Vergewaltigung, sexuelle Gewalt in der übelsten Form, Beschämung, nackt ausziehen und alles was also mit Entwürdigung dieser Frau zu tun hat. Ezechiel 16 und 23, das sind die schrecklichsten Texte in dieser Richtung, das sind die Spitze des Eisbergs und Atalja Brenner hat diese Texte daher einmal als prophetische Pornografie beschrieben. Also die man nicht mehr anders bezeichnen kann als pornografische Texte und die deswegen natürlich äußerst problematisch sind, weil Gott, wenn nicht nur zulässt, zumindest erfreut, dass auch zuschaut als das passiert. Natürlich ist es klar, dass das eine Metapher ist und dass das beschrieben wird, was im Normalfall bei einem Krieg im Alten Orient

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passiert, nämlich wenn die Männer die Stadt nicht verteidigen konnten, die Krieger, dann ist die fremde Soldateska in die Stadt eingedrungen und hat die Frauen vergewaltigt, um die Männer noch einmal zu demütigen. Sprich ihr konntet eure Frauen und Kinder nicht schützen und das wird durch Vergewaltigung gezeigt. Ist Ad Hayom Haseh bis auf den heutigen Tag immer noch ein Kriegsverbrechen, das so funktioniert. Man vergewaltigt Frauen nicht, weil man sexuelle Lust hat, sondern man vergewaltigt Frauen, um den Männern noch einmal zu zeigen, wir haben euch bis ins letzte besiegt und können euren Nachwuchs kaputt machen letzten Endes. Also die reine genealogische Linie ist mit dieser Vergewaltigung quasi nicht mehr möglich. Da stellt sich natürlich das Patriarchat das eigene Bein natürlich. Also solche Texte gibt es auch und wir müssen solche Texte natürlich auch heute umso

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kritischer lesen, wo wir so viel von Missbrauch erfahren und wo wir gerade von Missbrauch von Menschen, die kompetent in biblischen Texten gewesen sein sollten, erfahren, dass sie übergriffig sind gegen Frauen, Kinder und natürlich auch männliche Kinder. Wenn wir solche Texte lesen, müssen wir sagen, wir haben äußerst problematische Texte in der Bibel, die so etwas nicht mit der nötigen Deutlichkeit brandmarken, sondern wo unter Umständen Menschen sich dazu hingerissen fühlen, dass sie das, was Gott nicht mit der nötigen Deutlichkeit verneint und bestraft, dass sie das auch tun. Also damit müssen wir uns auseinandersetzen. Es sind aldorientalische Texte, das ist klar, aber wir müssen solche Texte auslegen, wir können die nicht einfach stehen

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lassen. Ein letzter Abschnitt über Homosexualität in der Bibel. Auch das ist etwas, wozu die Bibel ja sehr häufig herhalten muss und wo es heißt, die Bibel verurteilt ganz eindeutig und in allen Teilen sozusagen Homosexualität und deswegen sind wir nicht in der Lage zum Beispiel homosexuelle Paare zu segnen. Homosexualität als geschlechtliche Orientierung, wie wir das heute sehen, ist im Alten Orient unbekannt. Also wo Erzählungen da sind, da geht es um homosexuelle Beziehungen, aber eine Orientierung, wo wir heute wissen, dass das durchaus eine psychologische Sache ist und die auch biologische Grundlagen natürlich hat, das gibt es im Alten Orient nicht. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass wir natürlich die Norm der Heterosexualität insofern gesellschaftlich

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äußerst wünschenswert ist, wenn wir wissen, dass in manchen Epochen der Geschichte Israels man fünf Kinder gebären musste, damit eines das reproduktive Alter erreicht, weil die Kriegsbedingungen, die Ernährungsbedingungen, die sanitären Bedingungen so waren, dass die Kindersterblichkeit derartig hoch war, dann muss man sich natürlich vorstellen, was es heißt, seid fruchtbar und mehrt euch. Das ist nicht so wie heute, wo im Normalfall jede Geburt durchkommt. Im Normalfall gibt es auch Todgeborene, das ist klar, oder Kindersterblichkeit, aber das ist in keiner Relation mit dem, was wir aus dem Alten Orient kennen. Also wir haben hier vollkommen andere Voraussetzungen. Wenn wir diese Texte also lesen, muss uns klar sein, dass wir nicht von dem sprechen, was wir heute unter Homosexualität verstehen, sondern dass ein anderer Blick auf dieses

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Phänomen da ist. Wir haben auf der einen Seite Erzählungen über gleichgeschlechtliche Paare und auf der anderen Seite haben wir Rechtstexte, die auch in manchen Rechtssammlungen solche homosexuellen Akte verbieten, aber zum Beispiel wird nirgends die weibliche Verbindung angesprochen. Also das ist ja auch etwas, was in der längsten Zeit in unserer christlich-europäischen Kultur war ja die längste Zeit bei Homosexualität, weibliche Homosexualität nicht im Blick, sondern ausschließlich männliche. Das hatte natürlich auch die Gründe, dass man die weibliche Eizelle noch nicht kannte und meinte eben, das Kind sei also vom männlichen Samen und die Frau sei ausschließlich der Acker sozusagen, der diesen Samen hier gedeihen lässt. Wenn wir diese Rechtstexte aber mal anschauen, dann sehen wir, dass die alten Rechtssammlungen, sei das das

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Bundesbuch oder die Deuteronomische Rechtssammlung, dass die überhaupt keinen solches Verbot kennen. Während zum Beispiel andere Dinge wie der Verkehr mit Tieren, also Zoophilie sehr wohl in diesen Rechtssammlungen drinsteht, aber dass man nicht mit einem Mann schlafen soll, steht nirgends drin. Dieses Verbot, du sollst dich nicht zu einem Mann legen, im Beilager der Frauen, wie man es übersetzt oder wie man sich zu einer Frau legt, gibt es ausschließlich in einer einzigen Rechtssammlung. Und das ist das nachexilische Heiligkeitsgesetz in Leviticus 18 und dann in 20 wird das Ganze dann nochmal wiederholt und noch verschärft. Also in einem einzigen Kontext wird dieses Sexualtabu aufgestellt und zwar im Kontext von anderen Sexualtabus. Im

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Kontext von Index, also mit welchen Frauen du allen nicht schlafen darfst, was war sie mit der Schwiegertochter und sonst wie nicht, also Frauen, also Sexualkontakte, die tabu sind, unter anderem zum Beispiel auch der Verkehr mit einer Menstruierenden, steht ja auf derselben Kategorie. Man hat daher gemeint, dass das einerseits Inzestvorschriften sind und in diesem Kapitel dann zusätzlich Texte gesammelt sind, wo es um Sexualverkehr ohne die Möglichkeit von Nachkommenschaft geht. Ist eine der möglichen Erklärungen, ich finde es nicht ganz einleuchtend, aber es gibt zumindest Hinweise, wir haben einige solche Texte. Also wenn Sie während der Menstruation miteinander schlafen, entsteht kein Kind, ist klar. Das wäre also hier so ein Fall, aber wir müssen das sehen, dass das also als Tabu dort aufgebaut wird in der nachexilischen Sammlung und zwar im sogenannten Heiligkeitsgesetz, in dem wir zum Beispiel so schöne Texte finden,

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liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du oder wie dich selbst, Sie können so oder so übersetzen, nicht? Also dieses Gebot steht in Leviticus 19, also dazwischen drinnen, da finden wir auch diese Texte, aber nur in dieser Rechtssammlung. Also von einem eindeutigen Votum der Bibel, dass also homosexuelle Akte, sage ich das jetzt mal, verboten sein, kann überhaupt nicht die Rede sein. Die viel bedeutenderen Rechtssammlungen schweigen darüber schlicht und einfach. Wir haben sie dort nicht, ausschließlich in dieser einen Rechtssammlung. Wenn wir uns jetzt von den Rechtstexten noch auf die erzählenden Texte mal hinwenden, dann haben wir zwei Texte, die von zwei Paaren, deren primäre Lebenspartnerschaft ein gleichgeschlechtlicher gegenüber ist, und zwar die Erzählung von Ruth und Nomi. Das ist das weibliche Paar des alten Testaments. Das heißt,

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da sehen Sie schon, auch beim zweiten, wo es um zwei Männer geht, sehen wir auch, es sind letzten Endes Erzählungen um Bisexualität. Und zwar nicht um homosexuelle Orientierung, wie wir das heute haben. Das war die längste Zeit ja auch in unserem Breiten so, als Homosexualität noch unter Strafe stand. Dass also viele dieser Menschen, weil eben das die absolute Norm war und das andere unter Rechtsstrafe stand, war es gar keine Wahlmöglichkeit, bin ich jetzt so oder so, sondern das war überhaupt kein Gedanke. Das ist den Menschen erst nach und nach bewusst geworden. Da waren die längst verheiratet. Wir haben ein frühes Heiratsalter anzunehmen, vor allem für Frauen, aber auch teilweise für Männer. Und insofern, als die sexuelle Orientierung wirklich bewusst wird, sind die längst verheiratet gewesen. Und auch ich kenne noch Leute aus der Generation vorher, die Familienväter waren und die irgendwann dann mal eben gesagt haben, hier stehe ich,

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Gott helfe mir, amanns. Also wo ganz klar war, so geht, das ist nicht meine Sache. Aber die waren verheiratet. Und von daher ist bei Homosexualität natürlich immer zu berücksichtigen im alten Orient, dass Menschen, wenn sie also tatsächlich ihre Neigung zum anderen Geschlecht entdecken, im Normalfall Familien bereits hinter sich haben, die natürlich auch genealogische Interessen haben. Also dass dieser Familienkontext, dass das also nicht nur zwei Menschen angeht, sondern dass das die ganze Familie angeht, das muss mit berücksichtigt werden. Wenn wir bei Ruth und Noomi das anschauen, dann ist Ruth natürlich verheiratet. Noomi ist Mutter von zwei Kindern, deren ein Sohn hat Ruth geheiratet. Aber nachdem die Kinder Machlon und Kilion heißen,

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nämlich schwächlich und gebrechlich, wie es Erich Zenger so schön lautmalend übersetzt, dann ist klar, schwächlich und gebrechlich können keine Kinder zeugen. Also da muss einer kommen, der Boas heißt, nämlich der Potente, in ihm ist Kraft. Und schwächlich und gebrechlich sterben daher kinderlos. Und die eine Frau lässt sich zurückschicken von Noomi, nämlich dass sie zu Hause vielleicht einen Mann findet, soll sie zurückgehen ins Haus der Mutter. Und diese Frau, Orpa, ist auch gehorsam. Aber Ruth lässt sich nicht zurückschicken, sondern hängt an ihr. Diese Wurzel Tabak, die dort steht, ist genau der Terminus, der steht, deswegen wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen. Das ist ein sehr starker Terminus des Zusammenhalts und sagt natürlich in Genesis 2 am Schluss, dass wenn Menschen heiraten, dass die primäre Beziehung nicht mehr die Elternbeziehung

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ist, sondern die Geschlechterbeziehung ist. Und genau so mit diesem Terminus hängt sich Ruth an Noomi. Und dann nimmt es auch kein Wunder, dass sie in den nächsten Versen schwört, wo du hingehst, da werde ich hingehen und dein Gott ist mein Gott und dein Volk ist mein Volk und wo immer du begraben wirst, da möchte auch ich begraben sein. Also dieser Wund, dieser Spruch, den Ruth als treue Spruch an Noomi kündet, der ja sehr häufig auch als Trauspruch dann verwendet wird, dann müssen sie sich mal klar sein, dass das ein Trauspruch zwischen zwei Frauen ist und nicht ein heterosexueller Trauspruch. Also wenn sie ihn nehmen dann in der Liturgie, muss klar sein, dass sich hier da zwei Frauen einander binden und nicht eine Frau an einem Mann. Natürlich mit den klassischen, man möchte sogar noch über den Tod hinaus vereint sein. Also da sehen Sie, das ist also und das zwischen zwei

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Frauen, es ist also eine Bindung, die auf Lebenszeit geht. Wenn wir noch einige andere Dinge noch anschauen, dann sehen wir, dass sowohl Boas in 2.11 als auch die Frauen von Bethlehem am Schluss diese Primärbeziehung der Frauen akzeptieren. Und Boas ist letzten Endes nur das Mittel zum Zweck, damit die beiden Frauen wieder in die Gesellschaft und damit natürlich auch in der Geschlechterfolge bis David, das ist ja die Urgroßmutter Davids und letzten Endes vom Neuen Testament her bis auf Jesus, Ruth steht ja im Stammbaum Jesu drinnen, weiterverfolgt werden kann. Das heißt Ruth gebiert ihren Sohn nicht für ihren Mann, wie das normalerweise ist. Also wenn er erkannte seine Frau und sie wurde schwanger, das ist diese ganz typische Anzeige eines legitimen Sexualverkehrs

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und dann gebiert sie, aber sie gebiert nicht für ihn, sondern die Frauen von Bethlehem sagen, für Noomi ist dein Sohn geboren. Also sie gebiert für die Schwiegermutter, sie gebiert für die Frau, die ihre Lebensbeziehung ist. Und dann heißt es von diesen Frauen von Bethlehem, diese Frau ist mehr wert als sieben Söhne, also nicht nur die zwei Söhne, die sie verloren hat, mehr wert, sondern sie ist mehr wert als sieben Söhne und bekanntlich ist ihr Urenkel David dann ja auch derjenige, der besser ist als die sieben Söhne Isaias, nämlich er ist der Jüngste und wird als solcher dann König. Also sie sehen, wie dicht dieses Buch gewebt ist und da ist es also klar, dass dann auch wenn es dann heißt, die Schwiegertochter, die dich liebt in 415, dann ist es klar, es wird das Wort vom Lieben, wird

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nie zwischen Boaz und Ruth gesprochen, sondern das Wort vom Lieben fällt zwischen den zwei Frauen. Und zwar im Munde der weiblichen Öffentlichkeit von Bethlehem. Das ist der Schluss vom Rundbuch. Und eine weitere Erzählung, die von einem männlichen Paar spricht, ist David und Jonathan. Das mag jetzt etwas überraschen, weil wir ja schließlich David als Frauenhelden in Erinnerung haben, der einen ganzen Harem aufgebaut hat. Wenn wir uns das aber anschauen, dann ist, wenn wir den Text genau lesen, von all den vielen Frauen, die David hat, liebt er keine einzige. Keine einzige. Die Batschieba begehrt er, aber die liebt er auch nicht. Es ist nirgends vom Lieben die Rede. Er liebt Jonathan. Und zwar Jonathan liebt ihn, 1 Samuel 18,3, und natürlich liebt David auch Jonathan, wenn es dann im Leichenlied heißt. Eng ist mir wegen dir mein Bruder Jonathan. Bruder und

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Schwester ist häufig die Bezeichnung von Geliebter und Geliebter. Lieblich, na da, das ist genau dieselbe Wurzel wie die Nomi. Lieblich warst du mir überaus. Und wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen. Das heißt, über alle Frauenliebe, die da war, steht diese Liebe zu Jonathan. Und dass das ganz offensichtlich wie eine Liebe auf den ersten Blick ist, betrifft ja nicht nur den Sohn des ersten Königs, nämlich Saul, also Saul, der Jonathan heißt, sondern auch Michael, seine erste Frau, die verliebt sich in David, aber er nicht in sie. Also beide Kindersauls sozusagen lieben David. Die Michael heiratet er. Mit Michael hat er kein Kind, das wissen wir. Also das steht

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im Text ja auch drinnen, und zwar weil er dann später auch nicht mehr zu ihr kommt. Und die Liebe auf den ersten Blick, die verbindet ihn mit Jonathan. Nämlich die Vitalität, die Nefesh, also manchmal wird das mit Seele übersetzt, aber die Seele gibt es ja im Bibliischen nicht, sondern das ist die Bedürftigkeit, Nefesh ist auch die Kehle. Also die Vitalität würde ich jetzt sagen, die Vitalität Jonathans verbindet sich oder bindet sich an die Vitalität Davids. So heißt es in 181 bis 4. Und Jonathan schloss einen Bund mit David aufgrund seiner Liebe zu ihm und gemäß seiner Vitalität. Dass Jonathan dann Mandelgürtel und Schwert ablegt, sich damit eigentlich entkleidet natürlich auch, und David dann eingleidet damit, heißt natürlich auch, dass er nicht nur die Position teilt, vielleicht nur nicht nur die Position teilt, sondern dass das eben auch durchaus ein Ritus ist, der diese Beziehung hier festigt. Die Frage ist, ob Saul von dieser Beziehung weiß. Es gibt nämlich

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einen Text, der hier sehr aufschlussreich ist. In 1.20 heißt es, du aufsässiger Hurensohn, als ob ich nicht wüsste, dass deine Wahl auf den Sohn Isais gefallen ist, dir selbst und der Scham deiner Mutter zur Schande. Das können sie durchaus auch so lesen. Nicht nur, dass er typisch ist, heute ja auch nicht, also wenn die Kinder was tun, was einem nicht passt, dann ist es immer dein Sohn, nicht? Und wenn man was tut, was einem passt, dann ist es mein Sohn, nicht? Ist klar. Also hier zur Schande, der Scham deiner Mutter, das ist natürlich die Schamgegend der Mutter, also die Vulva der Frau, und er nennt ihn ein Hurensohn sozusagen, womit er natürlich auch wieder die eigene Frau abwertet, aber die er Mutter nennt natürlich, also die er über den Sohn definiert, und dass die Wahl auf den Sohn Isais gefallen ist. Hier können wir durchaus auch,

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es ist die Möglichkeit, dass der Text auch so gelesen wird, dass er weiß, warum die Wahl auf David gefallen ist. Dass das also durchaus auch mit Wissen Sauls da ist, dass das die Primärbeziehung in Davids Leben ist. Sie sehen also, die Bibel ist eindeutig queerer als die christliche Tradition, und die Bibel hat eindeutig mehr zu sagen über Sexualität als das, was uns vermittelt würde als Tradition.

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Sexualität und Geschlechterverhältnisse im Alten Testament | 11.18.1

Worthaus Pop-Up – Graz: 8. November 2021 von Prof Dr. Dr. Irmtraud Fischer

In der Hebräischen Bibel, die das Christentum als Altes Testament in seine Heilige Schrift aufgenommen hat, finden sich an zahlreichen Stellen vielfältige Aussagen über Sexualität. Erotik und Sexualität haben eine große Bedeutung: Von den Schöpfungserzählungen, über rechtliche Regelungen der Geschlechtlichkeit, Liebeslieder – die ein ganzes Buch füllen –, Beschreibungen des Glücks und der Mühen sexueller Beziehungen bis hin zu den unerträglichen Texten über sexuelle Gewalt, welche selbst Gott als Komplizen vorstellen.
Häufig wurde die Bibel und insbesondere das Alte Testament – etwa durch fragwürdige Rezeptionen – jedoch dafür verwendet, um ungleiche Geschlechterverhältnisse, eine restriktive Sexualmoral oder das Verbot von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu rechtfertigen.
Irmtraud Fischer wirft in ihrem Vortrag ein neues Licht auf den Zusammenhang von Geschlechtlichkeit und Religion. Sie erklärt, warum es so wichtig ist, Menschen in dem zentralen Lebensbereich der Geschlechtlichkeit sprachfähig zu machen. Und sie zeigt auf, wie sich in biblischen Texten Impulse für gesellschaftliche Fragen der Geschlechterdemokratie entdecken lassen.