Themenbereich: Interpretationen biblischer Texte
Für viele Deutsche mag es eine provozierende Botschaft sein: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – nö, nicht bei Gott. Das Leben seiner Geschöpfe soll pure Lust sein. Das Beste ist für das Kunstwerk Mensch gerade gut genug. Nicht als naive Phantasiewelt interpretiert Siegfried Zimmer den Garten Eden, sondern zieht aus ihr eine zeitlos gültige Charakterisierung Gottes. Wie bei einer Zwiebel schält sich Zimmer Schicht für Schicht zum Kern einer heilenden Botschaft vor: Der Schöpfer meint es gut mit den Menschen, wo Gott ist, da hat auch der Mensch Platz, wo sein Garten blüht, da blüht der Mensch auf.
Nicht bei Adam und Eva anfangen. Das sagt man, wenn jemand höchstens über Umwege zum Thema kommt. Siegfried Zimmer fängt bei Adam und Eva an. Aber nicht, weil er nicht zum Wesentlichen käme, sondern weil er die Erschaffung der ersten Menschen zum Thema macht. Wer ist der Mensch? Es ist eine der Fragen aller Fragen. Die Bibel beantwortet sie mit nur drei Versen, kommt ohne Analysen oder Theorien aus. Alle Aspekte des Menschlichen packt sie in ein paar schlichte Worte. Siegfried Zimmer presst die Verse aus wie eine Zitrone, er holt in seiner Anatomie der Schöpfungsgeschichte des Menschen auch den letzten Tropfen aus ihr heraus. Er dreht jedes Wort um, arbeitet sich Stück für Stück zum Wesentlichen vor. Eine Reise ins Wesen des Menschlichen – eine Expedition ins Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf.
Die Auseinandersetzung mit den Gleichnissen des Mannes aus Nazareth gehören zweifellos zu den absoluten Lieblingsbeschäftigungen von Siegfried Zimmer. Für das drei Verse kurze Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und vom Perlenkaufmann nimmt er sich über 60 Minuten Zeit. In diesen verdeutlicht er behutsam den historischen Kontext und zeigt durch eine genaue Analyse auf, welche unerwartete Pointen sich in diesen wenigen Worten aus dem Lukasevangelium verbergen. So wird deutlich, dass die Veröffentlichung dieser Vorlesung am 24.12.2012 kein Zufall ist. Es handelt sich hierbei um ein echtes Geschenk, das der Menschheit ohne die Geburt des Gleichnis-Erzählers nicht zu Teil geworden wäre. Welcher Veröffentlichungstermin wäre da passender gewesen als der “heilige Abend”?
Man könntes es als überraschend bezeichnen: Wenngleich sich im Christentum eine große Jenseitsfixierung entwickelt hat, äußert sich der Mann aus Nazareth zur Frage der Auferweckung nur ein einziges Mal. Ein guter Grund für Siegfried Zimmer an dieser Stelle etwas genauer hinzuschauen. Dabei bringt er allen, die die Vorstellung an ein jenseitiges Leben befremdlich finden, große Sympathie entgegen. Und trotzdem versteigt er sich zu der These, dass es niemals ein Argument gegen die “Auferweckung der Toten” geben wird – auch wenn diese sicherlich nicht so aussieht, wie man sich diese landläufig in den letzten Jahrhunderten ausgemalt hat. Denn der Nazarener hatte offensichtlich etwas anders im Blick, wenn er auf das Zentrum vom Zentrum des Zentrums des jüdischen Glaubens verweist.
Für viele Menschen ist Deutschland ein richtiges Weihnachtswunderland. Hier gibt es nicht nur alles zu kaufen, sondern auch viele bewährte Weihnachtstraditionen. Doch weißer Schnee, grüne Tannen, heißer Glühwein und ein alter Mann mit weißem Bart, der sich in den Unternehmensfarben eines amerikanischen Limonaden-Herstellers kleidet, haben den Blick auf den Kontext in dem die Geburt des Nazareners stattfand, inzwischen gehörig verstellt. So schildert Siegfried Zimmer erst einmal in Ruhe die damalige Situation und man erahnt, dass Bethlehem nicht im Erzgebirge liegen kann und die Sternforscher weder Heilige noch Adelige, noch zwingend zu dritt und erst recht auch keine volksliedersingenden Kinder mit Sammelbüchsen waren. Und dann öffnet sich die Perspektive für die große Reise des Lebens und ein Gefühl von Aufbruch und Abenteuer breitet sich aus.
Welche Rolle wird Kindern in einer Gesellschaft zugewiesen? Jesus war ein Mensch, der sich intensiv mit den Rissen einer Gesellschaft und den sich oftmals dadurch gegenüberstehenden Gruppen beschäftigt hat. So definiert er vor dem kulturellen Kontext seiner Zeit das Verhältnis zwischen Armen und Reichen, Männern und Frauen, Einheimischen und Fremden, aber auch von Erwachsenen und Kindern neu und durchaus recht revolutionär.
Siegfried Zimmer vermittelt anschaulich wie Kinder in jeder Epoche ein Spielball der Erwachsenen sind und die Parole “Kinder sind unsere Zukunft!” letztlich auch nichts anderes meint. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann erahnen, dass die Botschaft des Nazareners bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren hat und durchaus das Potenzial hat das gesamte Spektrum des Etablierten fundamental zu hinterfragen.
Ist das fair? Zehn Stunden in der Hitze des Tages schuften und genau so viel bekommen wie die Kollegen, die kurz vor Feierabend mal etwas mit angepackt haben! Das ist für keine Gewerkschaft in Deutschland in Ordnung, aber auch die schwarz-gelben Freundinnen und Freunde mit ihrem Leistung-muss-sich-lohnen-Credo laufen bei einem solchen Verhältnis Amok. Doch Jesus scheint damit überhaupt kein Problem zu haben. Oder geht es ihm gar nicht um diesen Vergleich, sondern um etwas ganz anderes? Siegfried Zimmer nimmt sich 73 Minuten Zeit, um die Situation des Textes lebendig werden zu lassen und bricht einmal mehr mit üblichen, gerade auch christlichen Vorstellungen und Klischees. So wird das Gleichnis der Arbeiter vom Weinberg so hörbar, wie es die Menschen vor 2000 Jahren in Juda aus dem Mund des Nazareners gehört haben, und landet ganz nebenbei bei den tieferen Geheimnissen des Lebens.
Was soll man so einer bekannten Geschichte wie der vom barmherzige Samariter noch Neues abgewinnen können? Und kann man wirklich ernsthaft über diese paar Zeilen des Gleichnisses eine 69-minütige Vorlesung halten, ohne dass Langeweile aufkommt? Die zweite Vorlesung der Gleichnis-Trilogie gibt hier eine verblüffend einfache Antwort: Man kann es und es gibt vieles zu entdecken. Mit fundiertem Hintergrundwissen und großer Leidenschaft nähert sich Siegfried Zimmer diesem Text. Fernab von jeglicher Spekulation oder Verklärung, eröffnet er die Lebenswelt des Textes und nimmt einen mit auf den staubigen und gefährlichen Pfad von Jerusalem nach Jericho bis man selbst die Spitze des Textes spürt.
Ohne Umschweife kommt Siegfried Zimmer direkt zum Punkt, um dann voll durchzustarten. In der ersten Minute stellt er gleich klar, dass das Lesen mit Lineal unerlässlich für das Verstehen biblischer Texte ist. Denn nur wer ernsthaft Wort für Wort Millimeterarbeit leistet, hat die Chance einen unverstellten Blick zu bekommen. So demonstriert Siegfried Zimmer in den verbleibenden 76 Minuten an dem ersten Gleichnis-Text eindrucksvoll, was das bedeutet: Er sensibilisiert für Ausblendungen, erläutert Hintergründe, erschliesst neue Zugänge, feiert Jesus als Meister der Sprache, spricht von Nähe, Freiheit, Faszination und Energie, um in einer geheimnisvollen Verbindung zu enden. Was für eine Eröffnung der Gleichnis-Trilogie!