Man kommt nicht umhin zu fragen, was denn das wohl jetzt für ein Zimmer-Vortrag wird: »Wohn-Zimmer« – schön gemütlich und entspannt, »Arbeits-Zimmer« weil theologisch sehr herausfordernd oder »Schlaf-Zimmer« weil man danach beruhigt sein Haupt betten kann? Weit gefehlt! Es passt wohl eher »Küche« oder »Vorratskammer«, denn es geht richtig ans Eingemachte. Es geht ums Gericht.
Seit Beginn der seit rund 2.000 Jahren erfolgreich weitererzählten Weihnachtsgeschichte dürfte jedem Hörer klar sein, dass Gott einer von uns geworden ist. Er begibt sich auf die Ebene von Menschen und sucht dabei bevorzugt die Nähe der einfachen, benachteiligten und armen Menschen. Mit viel Empathie und einer guten Botschaft in der Tasche. Aber wie passt das zum Gericht, denn dabei Mal geht es ja um keine frohe Botschaft? Und leider hat auch der vielzitierte kleine Mann keine weiße Weste – von den Mächtigen und Starken ganz zu schweigen. Hier setzen die Visionen des Amos an und man darf gespannt sein, wie sich Gottes Wesen in den Amos-Versen zeigt. In diesem Sinne: Es ist angerichtet. Bon appétit!

Andreas Schüle versteht es, mit seiner unaufgeregten Art einen hervorragenden Überblick über das Jesajabuch zu geben. Es beginnt mit einem eher düsteren Bild, um dann in einem großen Bogen in der zweiten Hälfte in eine freundlichere Stimmung in Richtung Hoffnung umzuschwenken. Als Leser kann man also innerhalb eines Buches quasi in Miniaturform die gesamte Idee von »Gottes Heilsgeschichte« betrachten.
Baupläne von Architekten geben hier eine hilfreiche Analogie. Sie bieten in reduzierter, abstrakter und stark vereinfachter Form ein Abbild eines reellen Bauwerks. Dabei lassen sie zwar eine Menge Details weg, aber die wesentlichen Aspekte werden hervorgehoben, um das gesamte Werk zu beschreiben. Und so wie auf einer Bauzeichnung erkennt man bei Jesaja die Highlights der Gott-Mensch-Beziehung und verfolgt sie im Zeitraffer mit. Am Ende wird eine neue Ära, eine neue Zeitrechnung eingeleitet. Die alten Denkmuster werden verändert. Das gesamte Glaubensgebäude wird neu definiert.
So gesehen wirkt Andreas Schüle in seinem Vortrag wie eine Art neugieriger Archäologe, der vorsichtig Schicht für Schicht einer großartigen Entdeckung freilegt. Hier wartet etwas Faszinierendes darauf gefunden zu werden, nichts Geringeres als der »Masterplan« des Schöpfers mit seiner Schöpfung.

Obwohl die Geburtsgeschichte von Jesus aus Nazareth die wahrscheinlich berühmteste Geschichte des zweiten, neueren Teils der Bibel ist. Und obwohl diese Geschichte seit Jahrhunderten jedes Jahr in allen christlichen Kirchen der Welt gelesen wird, wird sie seltsamerweise nie bis zum Ende gelesen. Der letzte Vers wird immer weggelassen!
Warum das so ist und warum das Weglassen des Endes alles andere als eine akademische Randnotiz ist, erklärt Siegfried Zimmer mit Nachdruck und Verve. Dabei zeigt er nicht nur wie literarisch formvollendet diese Geburtsgeschichte gestaltet ist, wenn man sie vollständig liest. Er entlarvt auch die »zuckersüße Weihnacht« mit dem Kindlein in der Krippe als ein heimeliges, kleinbürgerliches Produkt der Neuzeit und öffnet den Blick für eine neue, ungeahnte Dimension dieser altbekannten Geschichte: Auf einmal geht es um die Verlierer der Weltpolitik und eine Gegenkraft, eine Hoffnung, die dem Angesicht einer brutalen Wirklichkeit standhält. Nicht weil sie wegschaut, sondern weil jemand genau hinschaut.

Wenn es vor zweitausend Jahren schon so etwas wie ein Meisterschaft der Gleichnis-Erzählung gegeben hätte, dann hätte Jesus aus Nazareth ganz sicher auf dem Siegertreppchen gestanden. Er hat Gleichnisse eifrig genutzt, um seine Botschaft seinen Zuschauern »vor Augen« zu führen. Deshalb gilt: Wer wissen möchte, was Jesus wichtig war, muss seine Gleichnisse kennen und wissen, was seine Gleichnisse bedeuten. Doch da sich die heutigen Lebensumstände in Deutschland gravierend von den Lebensumständen Palästinas im 1. Jahrhundert unterscheiden, kann dies nur gelingen, wenn man den historischen Hintergrund und die konkreten Situationen der Gleichnisse genau betrachtet. Noch etwas schwieriger wird es, wenn sich in der Bibel die Interpretation eines Gleichnisses findet, die dem Meister in den Mund gelegt wird, aber eigentlich in frühen christlichen Gruppen herangewachsen ist. Das macht diese Interpretation zwar nicht weniger interessant, aber sie verstellt automatisch den Blick für die ursprüngliche Jesus-Botschaft.

Und weil das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen aus dem Matthäus-Evangelium ein Gleichnis ist, auf das dies zutrifft, blendet Siegfried Zimmer die allegorische Interpretation aus Matthäus 13, 36ff aus, und geht seiner Lieblingsbeschäftigung nach, der genauen Untersuchung von Gleichnis-Texten. Das Ergebnis ist so verblüffend wie überraschend. Statt Verdammnis entdeckt Siegfried Zimmer eine Sicht auf die Realität, die die Abgründe des Lebens nicht ausblendet. Doch trotzdem lässt sich diese Sicht nicht zur Destruktivität hinreißen. Denn sie sieht außer all dem Elend und den Ka­ta­s­t­ro­phen noch etwas anderes genauso deutlich: Hoffnung.

Es ist ein Mythos, ein Ritus, vielen ein Rätsel, manchen ein Missverständnis: das Abendmahl. Siegfried Zimmer nähert sich dem letzten Abendessen Jesu ganz unprätentiös und stellt doch seine ungeheure Dimension ins Zentrum. Jesus nutzt den letzten Abend mit seinen Leuten nicht, um den Zeigefinger zu heben oder um Angst zu machen. Es geht Jesus nicht um Glamour, sondern um Hoffnung, nicht um Appelle, sondern um Integration, nicht um Strenge, sondern um Zuwendung. Zimmer deutet das Abendmahl als Quelle des Friedens, der Gerechtigkeit und der Akzeptanz. Niemand hat Brot und Wein verdient, aber jeder bekommt es – und darf leben.

Siegfried Zimmer bricht mit seinen Zuhörern auf in die Wüste. Klar, dass dieser Vortrag eine besonders heiße Sache ist. Es geht nicht nur mit dem Volk Israel auf den langen Weg ins gelobte Land, sondern auf den langen und steinigen Weg ins gelobte Land eines jeden Menschen. Von einer Kindheit in Geborgenheit und einer Jugend in Abhängigkeit, geht es auf die Suche nach der Bestimmung des eigenen Seins, nach der eigenen Identität und schließlich ins Ziel, in ein selbstbestimmtes und aufrechtes Leben. Zimmers Interpretation des uralten Textes ist eine einzige Befreiung für die Moderne: Heute ist Exodus, heute ist Auszug, heute ist Aufbruch.

»Der Apfel, den Frau Eva brach, uns zuzog alles Ungemach«, so lautet ein deutsches Sprichwort. Die Geschichte von Eva, der Schlange und der Frucht am Baum der Erkenntnis ist eine der bekanntesten Bibel-Geschichten überhaupt – und eine der fehlinterpretiertesten obendrein. Siegfried Zimmer klärt zentrale Fragen rund um den sogenannten Südenfall auf: Ist die Schlange der Teufel? Ist die Frau besonders schuldig? Was ist überhaupt Sünde? Warum macht dem Menschen das Sündigen so eine Freude? Der Griff nach dem Baum zwängt den Menschen hinter Masken und in Rollen, weckt die Angst vor dem Verletztwerden, schürt Misstrauen, macht den Großmütigen zu einem scheinbar kleinlichen Gott. Die Schlange hat Giftzähne – die Sünde auch.

Es ist einer der großen Widersprüche des 20. und 21. Jahrhunderts: Es sind die Jahrhunderte der Tiere, aber auch die Jahrhunderte gegen die Tiere. Während Millionen Zuschauer Tierfilme anschauen und dabei den Familienhund streicheln, warten in den Schlachthöfen Millionen Hühnchen auf ihre maschinelle Enthauptung, sitzen Schweine in überdimensionierten Mastanlagen dicht gedrängt im eigenen Dreck. Der moderne Mensch überschüttet manche Tiere mit Liebe, rechnet andere in einen eiskalten Wirtschaftsplan ein. Was sagt der Schöpfungsbericht zum Verhältnis von Mensch und Tier? Weniges und doch alles, wie Siegfried Zimmer zeigt. Tiere sind dort weder Partner des Menschen, noch Geschöpfe zweiter Klasse. Sie sind aus dem gleichen Material gemacht – eine Beobachtung, die ungeahnte Interpretationsansätze eröffnet.

Siegfried Zimmer kann auch romantisch. Und wie. Wie der Schöpfer Adam und Eva zueinander führt, das interpretiert er als eine Geschichte der Liebe, der Gegenseitigkeit und des Miteinanders. Zimmer räumt auf mit angeblichen Rangfolgen und mit den Abwertungen des Weiblichen. Nein, die Frau ist im Schöpfungsbericht keine Gehilfin, keine Dienerin, keine bessere Angestellte. Sie ist eine Retterin, sie begeistert den Mann, reißt ihn heraus aus dem Leid der Isolation. In der Einsamkeit Adams zeigt sich die Sozialität des Menschen: Adam braucht Eva, Eva braucht Adam, Mensch braucht Mensch.

In Eden stehen keine Gartenzwerge. Es gibt dort keine moralinsaure Benutzungsordnung, keine einengende Satzung, kein kleinkariertes Spießertum, keine Denkverbote. Eden ist keine Kleingartenkolonie mit autoritärem Vorstand, kein geheimdienstumstellter Polizeistaat, kein Ort einengender Befehle. Und warum dann der Baum, warum keine grenzenlose Freiheit? Siegfried Zimmer klärt ein jahrhundertealtes Missverständnis auf, wandelt eine strenge Gehorsamsprobe in eine liebevolle Notwendigkeit. Seine Interpretation ist mitunter zwar eher Schwarzbrot als süße Frucht am Baum der Erkenntnis. Doch an Siegfried Zimmers Schwarzbrotbaum hängt dafür so manches Aha-Erlebnis.

Für viele Deutsche mag es eine provozierende Botschaft sein: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – nö, nicht bei Gott. Das Leben seiner Geschöpfe soll pure Lust sein. Das Beste ist für das Kunstwerk Mensch gerade gut genug. Nicht als naive Phantasiewelt interpretiert Siegfried Zimmer den Garten Eden, sondern zieht aus ihr eine zeitlos gültige Charakterisierung Gottes. Wie bei einer Zwiebel schält sich Zimmer Schicht für Schicht zum Kern einer heilenden Botschaft vor: Der Schöpfer meint es gut mit den Menschen, wo Gott ist, da hat auch der Mensch Platz, wo sein Garten blüht, da blüht der Mensch auf.

Nicht bei Adam und Eva anfangen. Das sagt man, wenn jemand höchstens über Umwege zum Thema kommt. Siegfried Zimmer fängt bei Adam und Eva an. Aber nicht, weil er nicht zum Wesentlichen käme, sondern weil er die Erschaffung der ersten Menschen zum Thema macht. Wer ist der Mensch? Es ist eine der Fragen aller Fragen. Die Bibel beantwortet sie mit nur drei Versen, kommt ohne Analysen oder Theorien aus. Alle Aspekte des Menschlichen packt sie in ein paar schlichte Worte. Siegfried Zimmer presst die Verse aus wie eine Zitrone, er holt in seiner Anatomie der Schöpfungsgeschichte des Menschen auch den letzten Tropfen aus ihr heraus. Er dreht jedes Wort um, arbeitet sich Stück für Stück zum Wesentlichen vor. Eine Reise ins Wesen des Menschlichen – eine Expedition ins Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf.