Kirche – für die meisten ist es nur ein Gebäude, das sonntagmorgens mäßig besucht wird und zum Heiligabend-Gottesdienst überquillt. Dessen Türen meist verschlossen sind, außer das Gebäude steht in Bayern. Gern sagen auch Christen: »Also, mit der Kirche habe ich nichts zu tun.« Und meinen damit die Kirche als Institution. Fast nie aber meinen sie die Kirche, wie sie ursprünglich gedacht war. Über diese ursprüngliche Bedeutung spricht die evangelische Theologin Sandra Bils, die eigentlich selber mit Kirche nichts zu tun hatte, die weder Kindergottesdienste noch Gute-Nacht-Gebete kannte und sich nur konfirmieren ließ, um sich von den Geldgeschenken eine Gitarre kaufen zu können. Die nun trotzdem voller Überzeugung sonntagmorgens in Kirchen predigt. Und gleichzeitig unzufrieden ist mit dem, wie Kirche heute meistens aussieht. »Wie genial ist die Botschaft, wie seltsam die Umsetzung«, sagt sie über das moderne kirchliche Leben. In diesem Vortrag erklärt sie, wie Kirche in der Bibel gedacht war, woran man Kirche erkennt und wie Kirche – oder besser: Gemeinde – ganz praktisch aussehen kann.

Es ist ein Name, den nicht viele kennen. Aber ein Name, an dem sich die Geister derer scheiden, die schon einmal von ihm gehört haben: Rudolf Bultmann. Der »dunkle Lord der Theologie«, wie Thorsten Dietz ihn nennt. Die einen nehmen seinen Namen kaum in den Mund, für die anderen ist es eine Gewissenssache, sich zu ihm zu bekennen. Dietz war selber Atheist, als er sein Theologiestudium begann. Er hatte also keine Angst vor Rudolf Bultmann. Dann bekehrte er sich und stieß auf Bultmanns Lehren, die »Abrissbirne des Glaubens«. Nicht ohne Grund schickt Dietz seinem Vortrag über Bultmann eine seelsorgerliche Einleitung voraus. »Wir müssen alle stark sein«, sagt er, und legt los: Von den Schockwellen, die Deutschland zu Bultmanns Lebzeiten erschütterten, von zerschmettertem Glauben, theologischen Erneuerungen und einem Theologen, dem die FDP zu links gewesen wären, der nicht an die Wunder der Bibel glaubte, aber dennoch zurück wollte zum Wort der Bibel, um die existenziellen Fragen des Lebens zu beantworten.

Es war einiges los in den deutschen Städten des 19. Jahrhunderts. Darwin rüttelte an den Grundfesten des Glaubens, Hieroglyphen wurden entziffert, Sintflutgeschichten außerhalb der Bibel gefunden, frühjüdische Texte tauchten auf, Bücherberge über die Religionsgeschichte wuchsen. Genies sprossen geradezu aus dem Boden, Goethe, Schiller, Schubert, Beethoven, Kant. Und mittendrin ein junger Theologe. David Friedrich Strauß pilgerte 1830 nach Berlin, hörte Hegel – und war begeistert. Alles schien ihm plötzlich durchschaubar. Er kehrte nach Tübingen zurück und schrieb ein Werk über das Leben Jesu. Darin lässt er zwei Pole, zwei verfeindete Lager der damaligen Theologie, aufeinanderprallen. Nur um dann zu sagen: Ihr habt doch alle recht. Was Strauß dann ausführt, ist so skandalös, dass auch ohne Internet und Social Media bald die ganze Gelehrtenwelt Europas Bescheid wusste. Mit dem Holzhammer ist er durch das Neue Testament gefegt und hat den einst gläubigen Nietzsche vom Glauben abgebracht. Strauß musste Deutschland verlassen, wurde nach Zürich berufen – und direkt, mit gerade einmal 30 Jahren, pensioniert. Zu gewagt wäre es gewesen, ihn lehren zu lassen.
Thorsten Dietz erzählt das Leben dieses »berühmtesten, strittigsten und spektakulärsten Theologietreibenden« seiner Zeit, berichtet auch von anderen wichtigen Persönlichkeiten und tragischen Geschichten. Er verspricht „ein bisschen Kopfschmerzen“ und nimmt die Zuhörenden mit auf eine Reise in das vorletzte Jahrhundert und zu der Frage: Wie sollen aufgeklärte, gebildete Menschen noch glauben können?

Sem und Japhet kennt man vielleicht, aber eigentlich nur in einer Reihe mit Ham, allesamt Söhne Noahs, damit irgendwie Vorfahren aller Menschen. War da sonst noch was?
Ja, sagt Religionswissenschaftler Michael Blume, und das wissen wahrscheinlich die wenigsten. Er erklärt, welche Bedeutung Japhet und Sem im Judentum zukommt, warum es Antisemitismus heißt und was ausgerechnet diese beiden damit zu tun haben, dass der junge Jesus Jahrtausende später in einer Synagoge mit Schriftgelehrten diskutieren kann. Denn Sem erfand etwas, was die Menschheit verändern sollte, was im Judentum Arme und Reiche einander gleicher stellte und was Menschen in Trance versetzen kann. Sein Bruder Japhet soll diese Erfindung noch weiter ausgefeilt haben, so dass die Trance ausblieb, aber Theologie und Bürokratie möglich wurden. Und Blume erklärt, was diese Erfindungen damit zu tun haben, dass Islam und Judentum keine Bilder brauchen, dass das Christentum dagegen ohne Bilder, Musik und Lichter im Gottesdienst nicht auskommt und dass gerade Juden so oft angefeindet und verfolgt werden. Dabei trifft der Antisemitismus auch ins Herz des Christentums und des Islams. Und bedroht schließlich uns alle.

Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du nicht frei sagen kannst, was du denkst. Im schlimmsten Fall kommst du für unerwünschte Aussagen ins Gefängnis, oder du verlierst nur deine Arbeitserlaubnis, wirst gemieden und ausgelacht. Nicht schön. Gotthold Ephraim Lessing lebte im falschen Land zur falschen Zeit, um geradeheraus zu schreiben, was er dachte. Also schrieb er verschlüsselt, schrieb Nathan der Weise und Emilia Galotti. Er war clever, versteckte, was er wirklich dachte, in Theaterstücken. „So raffiniert, dass er manchmal wahrscheinlich selber nicht wusste, was er dachte“, sagt Thorsten Dietz. In seinem Schlüsselvortrag über die Bibelkritik in der Aufklärung, erklärt er zentrale Weichenstellungen im 18. Jahrhundert, die uns bis heute betreffen. Anschaulich, aber anspruchsvoll beschreibt er das Leben Lessings, seine Lehren und den großen Streit unter Gelehrten, in dem Lessing die Hauptrolle spielte. Denn er war nicht nur Theaterautor. Er war auch Bibliothekar. Und eines Tages, irgendwann um das Jahr 1777 herum, fand Lessing Texte von Hermann Samuel Reimarus. Echtes Dynamit, das merkte Lessing schnell. Texte, die den gesamten christlichen Glauben infrage stellten. Echtes Plutonium in einer Zeit, in der ohnehin noch Glaubenskriege tobten. Lessing veröffentlichte die Texte. Und entfesselte damit einen Streit, der unser Verständnis von Glaube und Geschichte bis heute prägt.

Seit Jahrhunderten wird die Bibel ausgelegt, interpretiert und erklärt. Aber kritisiert? Das wird sie noch nicht lange. Und die Bibelkritik wird ihrerseits kritisiert.
Ihr stellt Menschenwort über Gotteswort! rufen die Kritiker der Bibelkritik.
Ihr seid antimoderne Fundamentalisten! kritisieren die Bibelkritiker.
Thorsten Dietz lässt beide Positionen aufeinanderprallen. In diesem siebten Vortrag der Worthaus-Serie »Geschichte der Bibelauslegung« legt er die Grundlage für das Verständnis der historisch-kritischen Methode. Er erklärt, wie im Humanismus erste kritische Arbeiten entstanden, wie die Reformation die historisch-kritische Methode vorantrieb und nun auch die Katholiken der Heiligen Schrift auf den Grund gehen wollten. Und er erzählt, wie ausgerechnet ein jüdischer Brillenglasschleifer quasi als Hobby die Grundlage für die historisch-kritische Methode legte und die Botschaft der Bibel auf drei Punkte zusammenfasste.

Wovon hängt es ab, ob jemand Christ wird? Ist der Glaube an Gott, Jesus und das Evangelium eine freie Entscheidung?
Unter Freiheit versteht jeder etwas anderes. Ob es nun die Freiheit ist, im Supermarkt keine Maske zu tragen, oder die Freiheit, auf dem Roten Platz gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren – die meisten Menschen sind sich darin einig, dass sie zumindest frei darin sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Mit allen Konsequenzen. Die meisten Menschen sind also überzeugt davon, einen freien Willen zu haben. Von diesem Willen hängt für sie auch ab, ob sie an Gott glauben oder nicht. Und gerade gläubige Christen schmücken sich gern damit, sich völlig frei und bewusst für ihren Glauben entschieden zu haben.
Siegfried Zimmer bezweifelt nicht, dass der Mensch einen freien Willen hat. Wenn es aber darum geht, ob in einem Menschen Glauben entsteht oder nicht, dann hält er – mit Martin Luther – die schnelle Rede vom freien Willen für sehr oberflächlich und auch für irreführend. Er belegt das an zahlreichen biblischen Aussagen. Es geht ihm in diesem Vortrag darum, dass die Rede von »meinem Glauben« bescheidener wird und biblisch tiefer gegründet ist.

Kaum geschrieben, schon übersetzt: Bereits für das zweite Jahrhundert nach Christus sind Übersetzungen des griechischen Textes des Neuen Testaments belegt. Damals wie heute stellen sich beim Übersetzen grundlegende Fragen, die weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der biblischen Erzählungen haben können. Was ist zu bevorzugen: eine wörtliche oder eine sinngemäße Übersetzung? Und was, wenn eine Übersetzung ganz einfach unmöglich ist? Dazu gesellen sich rasch grundsätzliche theologische Fragen: Welchen Stellenwert haben Übersetzungen im Verhältnis zum griechischen Text? Und wie sind die frühen Christen und Christinnen mit der Vielfalt an Texten umgegangen, die sich aus unterschiedlichen Übersetzungen ergeben?
Christina Kreinecker widmet sich in ihrem Vortrag den frühesten Übersetzungen des Neuen Testaments und den Schwierigkeiten, die mit jeder Übersetzung damals wie heute verbunden sind.

Am 27. Januar 1945, kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs, befreiten russische Truppen das in Polen gelegene Konzentrationslager Auschwitz. Den russischen Soldaten bot sich ein Bild unvorstellbaren Grauens. Der 27. Januar ist zum Gedenktag geworden, nicht nur für die Erinnerung an Auschwitz, sondern für die Erinnerung an die Vernichtung jüdischer Menschen insgesamt. Im Blick auf diesen Gedenktag und seine Bedeutung für eine Kultur der Erinnerung beschäftigt sich Siegfried Zimmer in diesem Vortrag mit dem Gedicht »Todesfuge« von Paul Celan. Paul Celan hat dieses Gedicht im Mai 1945 verfasst.
Das Gedicht »Todesfuge« darf in mehrfacher Hinsicht als einzigartig bezeichnet werden. Das gilt sowohl für Form und Inhalt des Gedichts als auch für dessen Verbreitung. Kein anderes Gedicht deutscher Sprache hat nach 1945 eine solche Verbreitung gefunden. Zimmer nähert sich dem Gedicht schrittweise. Er wendet sich sowohl den grundsätzlichen Aspekten des Gedichts zu – beispielsweise dem Titel »Todesfuge« – als auch dessen eigentümlichen Rhythmus und den vielen sprachlichen Details. Zimmer erläutert die zahlreichen Bilder des Gedichts, die uns zunächst fremd sind. Wenn er dann am Ende seiner Interpretation das Gedicht noch einmal vorträgt, hört man es mit ganz anderen Ohren. Wohl kaum jemand, der Zimmers Interpretation der »Todesfuge« hört, wird dieses Gedicht jemals wieder vergessen können.
Zimmer geht es aber nicht nur um das Gedicht selbst, sondern auch um dessen Autor, den Juden Paul Celan (1920 -1970), sein Leben und sein Schicksal.
Das Gedicht »Todesfuge« stellt jeden von uns vor die Frage, wie wichtig ihm die Erinnerung an die Judenvernichtung (Shoa) ist, wie er mit dieser Erinnerung umgeht und was er aus ihr macht.

Im Frühjahr 1945 sitzt ein junger Mann in einem Gefangenenlager in Belgien. Das »1000-jährige Reich« ist nach zwölf Jahren zusammengebrochen, die Deutschen haben sich vor der Schmach der Niederlage und dem Entsetzen über den Völkermord in ihrer Mitte verkrochen, Städte liegen in Trümmern, Eltern, Kinder, Freunde sind nicht mehr. Der junge Mann kennt Gott noch nicht, als er eine Bibel in die Hand gedrückt bekommt. So beginnt eine klassische Bekehrungsgeschichte. Jürgen Moltmann war verzweifelt und fand Trost im verzweifelten Schrei des Gekreuzigten: »Warum hast du mich verlassen?« Der Kriegsgefangene wird zum Studenten der Theologie. Und die Theologie, wie jede anständige Wissenschaft, sollte sich solch persönliche Geschichten doch eigentlich verkneifen, oder? Nicht unbedingt, weiß Thorsten Dietz. Es ist schließlich ein großer Unterschied auch für die eigene wissenschaftliche Arbeit, ob man mit dem Glauben aufgewachsen ist oder ihn erst später in sein Leben aufnimmt. Moltmann zieht aus seinem Glauben in tiefer Verzweiflung erste Hoffnung darauf, dass aus den Trümmern etwas erwachsen kann. Thorsten Dietz, selbst ohne den christlichen Glauben aufgewachsen, erklärt Moltmanns Verständnis von Glaube und Hoffnung, beschreibt warum der Glaube an die Erlösung uns eigentlich an die Seite all jener stellen müsste, die heute leiden. Und er hilft verstehen, warum die Kreuzigung so viel mehr ist als ein stellvertretender Tod.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.

»Ich glaube; hilf meinem Unglauben« ist die Jahreslosung für 2020. Sie könnte kaum besser passen in dieses chaotische Jahr, in dem sich Glaube und Zweifel zu einem unentwirrbaren Chaos verknotet haben. Menschen glauben an einen Gott und zweifeln an Ihm, glauben an eine Pandemie und zweifeln an ihrer Existenz, glauben an die Fähigkeit des Staates, die Bevölkerung zu schützen, und zweifeln daran. Und manchmal verzweifeln Menschen auch an der Ungewissheit, was sie denn nun glauben können. In noch deutlich turbulenteren Zeiten hat sich ein Theologe immer wieder Gedanken darum gemacht, wie sich Glaube und Zweifel in Einklang bringen lassen: Paul Tillich wuchs in einem konservativen Pfarrhaus auf, durchlitt den ersten Weltkrieg, floh vor dem zweiten, und musste sich schließlich in den USA neu erfinden, nicht nur die Sprache, sondern auch das Denken seiner neuen Heimat verstehen lernen. Thorsten Dietz erklärt Tillichs Theologie in ihrer rasanten Entwicklung, die so geprägt ist vom Rausch der Ereignisse vor rund 100 Jahren. Bis heute wirkt Tillichs Lehre fort. Und auch wir scheinen wieder am Beginn eines Zeitalters zu stehen, in das wir wehrlos hineinstürzen, in dem wir herumgewirbelt werden und zweifeln müssen. Aber im Glauben Halt finden können.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.

Rund 400 Jahre sind seit Jesu Auferstehung vergangen, die ersten Christen haben sich über drei Kontinente ausgebreitet, selbst Kaiser glauben inzwischen an den Mann am Kreuz. Das 5. Jahrhundert ist geprägt von ungeheuren Umbrüchen, großen Völkerwanderungen und dem Untergang des Römischen Reichs. Inmitten dieser Tumulte lebte Augustinus von Hippo im heutigen Algerien, Sohn einer Christin und eines Heiden, erst Lebemann, dann Mönch, eine der bedeutendsten Figuren in der 2000-jährigen Geschichte des Christentums. Dabei hat das Christentum anfangs wenig Eindruck auf ihn gemacht. Er war fasziniert von der Philosophie, fand Cicero schlauer als Petrus. Zumal das Christentum eine entscheidende Frage nicht beantworten konnte: Warum hat Gott die Welt nicht im Griff? Hätte er die Kontrolle, gäbe es doch nicht so viel Böses. Oder? Es ist die Frage, die so alt ist wie der Glaube an einen liebenden Gott. Thorsten Dietz nimmt Augustinus Leben und Lehre auseinander, erklärt, wie aus dem jungen Vater mit unehelichem Sohn ein Gläubiger ohne Zweifel werden konnte und wie er den Glauben an Gott mit dem Wissen um das Böse in Einklang bringt. Dietz bleibt aber nicht unkritisch und verschweigt nicht, welche – nicht immer positiven – Auswirkungen Augustinus‘ Lehre für das Christentum hatte.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Hermeneutik: Geschichte von Schriftverständnis und Bibelauslegung«.