Themenbereich: Aspekte des christlichen Glaubens
Wir sind doch alle ganz vernünftige Menschen, nicht wahr? Auch die unter uns, die an Übersinnliches glauben, an Gott und die Auferstehung nach dem Tod. Wir betreiben Theologie als Wissenschaft, studieren die Bibel, beten unser Gebet vor dem Essen und dem Schlafengehen. Religion als Ritual. Glaube mit Verstand. Wer kennt schon die sinnliche Erfahrung des Übersinnlichen? Wer hat jemals das Mystische in der völligen Hingabe an Gott erlebt? Seine Nähe erfahren? Und wer sehnt sich nicht manchmal danach, ganz insgeheim wenigstens? Thorsten Dietz hat seine Leidenschaft für die Mystik vor Jahrzehnten entdeckt, sie wurde Teil seiner Frömmigkeit. In diesem Vortrag erzählt er, ganz vernünftig und doch voller Hingabe, von der Mystik im Glauben, von drei Mystikern der Kirchengeschichte, davon, was Mystik und Intellekt miteinander zu tun haben. Und was wir heute, in unserer vernunftgeplagten Gesellschaft, von Mystik und Sinnlichkeit lernen können.
»Es ist die größte Krise unserer Zeit, dass Christen ihre Bibel nicht mehr kennen, Gottes Stimme darin nicht mehr verstehen und nicht wissen, wie man darauf antwortet.« So drastisch formuliert es der Theologe und Schriftsteller Klaus Douglass. Diese Krise ist der Grund, wenn Gottesdienste aus dem unmotivierten Abspulen von Ritualen bestehen und das Abendmahl in Form von faden Hostien eingenommen wird. Dabei steht doch in der Bibel ziemlich genau, wie die Gemeinschaft von Christen aussehen kann und ausgesehen hat. Die Apostelgeschichte ist die Blaupause für christliche Gemeinschaft schlechthin. Sie erzählt von Gemeinden in verschiedenen Kulturen, von Konflikten, Ungerechtigkeiten und Lösungsversuchen. Mit Begeisterung und einigen Lachern nimmt uns Douglass mit auf einen Tiefflug durch die Apostelgeschichte, erklärt, warum Gemeinschaft und der Heilige Geist für ein erfülltes Leben als Christ unverzichtbar sind und macht nebenbei noch all denen Mut, die – wie vermutlich auch Paulus – ihr Gott gegebenes Ziel letztendlich nicht erreichen.
Auch wenn sich erstmals weniger als die Hälfte aller Deutschen zur Kirche bekennt – die tiefe Verbindung zu einer höheren Ebene, zu irgendetwas Größerem suchen viele, die mit der Kirche nichts anzufangen wissen. Spiritualität liegt im Trend, seit Jahrzehnten. Die wenigsten zieht es in ein buddhistisches Kloster nach Tibet, immer mehr zieht es zu den Freikirchen. Wahrscheinlich, weil Menschen dort eine Kraft spüren, die den klassischen Gottesdiensten in Kirchengebäuden ausgegangen ist. Von dieser Kraft erzählt Volker Rabens, Professor für biblische Theologie in Jena. Er spricht über die Zeitzeugen Lukas, Paulus und Johannes, die ihrerseits besonders viel von jener weiblichen Komponente der Dreieinigkeit zu berichten wissen: vom Heiligen Geist. Rabens fragt vor allem danach, wie dieser Heilige Geist wirkt, wie ihn die frühen Christen erlebten, wann Gläubige diesen Geist empfangen und was das alles mit uns im Hier und Heute zu tun hat. Denn auch wenn Zungenrede selten geworden ist und Pastoren kaum noch in fremden Sprachen predigen, die Sache mit dem Heiligen Geist trifft auch heute noch mitten ins Herz einer Gemeinde und des gesamten Christentums.
Christen werden getauft in seinem Namen, sie bekennen sich in fast jedem kirchlichen Gottesdienst zu ihm, und doch weiß kaum jemand mit ihm etwas anzufangen: dem Heiligen Geist. In Liturgie und christlichen Formeln wirkt er oft wie ein Anhängsel. Und das Fest, das allein der Ausgießung des Heiligen Geistes gewidmet ist, ist für die meisten doch nur ein Grund, an einem Montag ausschlafen zu können. Wer also ist der Heilige Geist? Ist er Gott? Eine Person? Und was hat es nochmal mit der Dreieinigkeit auf sich? Thorsten Dietz gibt in diesem Vortrag einen Überblick über das Thema und blickt dabei weit zurück in die Anfänge des Christentums, als im 4. Jahrhundert die Christen nicht mehr in Todesangst ihren Glauben lebten, sondern endlich vom römischen Kaiser anerkannt wurden. Der verlangte aber im Gegenzug, dass sie sich mal einig werden über das, was sie da glauben. Darum erzählt Dietz hier vor allem von Basilius von Caesarea und geht dabei den Weg ab, den die ersten Christen im Ringen um ein gemeinsames Bekenntnis zum Glauben zurückgelegt haben.
Kirche – für die meisten ist es nur ein Gebäude, das sonntagmorgens mäßig besucht wird und zum Heiligabend-Gottesdienst überquillt. Dessen Türen meist verschlossen sind, außer das Gebäude steht in Bayern. Gern sagen auch Christen: »Also, mit der Kirche habe ich nichts zu tun.« Und meinen damit die Kirche als Institution. Fast nie aber meinen sie die Kirche, wie sie ursprünglich gedacht war. Über diese ursprüngliche Bedeutung spricht die evangelische Theologin Sandra Bils, die eigentlich selber mit Kirche nichts zu tun hatte, die weder Kindergottesdienste noch Gute-Nacht-Gebete kannte und sich nur konfirmieren ließ, um sich von den Geldgeschenken eine Gitarre kaufen zu können. Die nun trotzdem voller Überzeugung sonntagmorgens in Kirchen predigt. Und gleichzeitig unzufrieden ist mit dem, wie Kirche heute meistens aussieht. »Wie genial ist die Botschaft, wie seltsam die Umsetzung«, sagt sie über das moderne kirchliche Leben. In diesem Vortrag erklärt sie, wie Kirche in der Bibel gedacht war, woran man Kirche erkennt und wie Kirche – oder besser: Gemeinde – ganz praktisch aussehen kann.
Es ist ein Name, den nicht viele kennen. Aber ein Name, an dem sich die Geister derer scheiden, die schon einmal von ihm gehört haben: Rudolf Bultmann. Der »dunkle Lord der Theologie«, wie Thorsten Dietz ihn nennt. Die einen nehmen seinen Namen kaum in den Mund, für die anderen ist es eine Gewissenssache, sich zu ihm zu bekennen. Dietz war selber Atheist, als er sein Theologiestudium begann. Er hatte also keine Angst vor Rudolf Bultmann. Dann bekehrte er sich und stieß auf Bultmanns Lehren, die »Abrissbirne des Glaubens«. Nicht ohne Grund schickt Dietz seinem Vortrag über Bultmann eine seelsorgerliche Einleitung voraus. »Wir müssen alle stark sein«, sagt er, und legt los: Von den Schockwellen, die Deutschland zu Bultmanns Lebzeiten erschütterten, von zerschmettertem Glauben, theologischen Erneuerungen und einem Theologen, dem die FDP zu links gewesen wären, der nicht an die Wunder der Bibel glaubte, aber dennoch zurück wollte zum Wort der Bibel, um die existenziellen Fragen des Lebens zu beantworten.
Es war einiges los in den deutschen Städten des 19. Jahrhunderts. Darwin rüttelte an den Grundfesten des Glaubens, Hieroglyphen wurden entziffert, Sintflutgeschichten außerhalb der Bibel gefunden, frühjüdische Texte tauchten auf, Bücherberge über die Religionsgeschichte wuchsen. Genies sprossen geradezu aus dem Boden, Goethe, Schiller, Schubert, Beethoven, Kant. Und mittendrin ein junger Theologe. David Friedrich Strauß pilgerte 1830 nach Berlin, hörte Hegel – und war begeistert. Alles schien ihm plötzlich durchschaubar. Er kehrte nach Tübingen zurück und schrieb ein Werk über das Leben Jesu. Darin lässt er zwei Pole, zwei verfeindete Lager der damaligen Theologie, aufeinanderprallen. Nur um dann zu sagen: Ihr habt doch alle recht. Was Strauß dann ausführt, ist so skandalös, dass auch ohne Internet und Social Media bald die ganze Gelehrtenwelt Europas Bescheid wusste. Mit dem Holzhammer ist er durch das Neue Testament gefegt und hat den einst gläubigen Nietzsche vom Glauben abgebracht. Strauß musste Deutschland verlassen, wurde nach Zürich berufen – und direkt, mit gerade einmal 30 Jahren, pensioniert. Zu gewagt wäre es gewesen, ihn lehren zu lassen.
Thorsten Dietz erzählt das Leben dieses »berühmtesten, strittigsten und spektakulärsten Theologietreibenden« seiner Zeit, berichtet auch von anderen wichtigen Persönlichkeiten und tragischen Geschichten. Er verspricht „ein bisschen Kopfschmerzen“ und nimmt die Zuhörenden mit auf eine Reise in das vorletzte Jahrhundert und zu der Frage: Wie sollen aufgeklärte, gebildete Menschen noch glauben können?
Sem und Japhet kennt man vielleicht, aber eigentlich nur in einer Reihe mit Ham, allesamt Söhne Noahs, damit irgendwie Vorfahren aller Menschen. War da sonst noch was?
Ja, sagt Religionswissenschaftler Michael Blume, und das wissen wahrscheinlich die wenigsten. Er erklärt, welche Bedeutung Japhet und Sem im Judentum zukommt, warum es Antisemitismus heißt und was ausgerechnet diese beiden damit zu tun haben, dass der junge Jesus Jahrtausende später in einer Synagoge mit Schriftgelehrten diskutieren kann. Denn Sem erfand etwas, was die Menschheit verändern sollte, was im Judentum Arme und Reiche einander gleicher stellte und was Menschen in Trance versetzen kann. Sein Bruder Japhet soll diese Erfindung noch weiter ausgefeilt haben, so dass die Trance ausblieb, aber Theologie und Bürokratie möglich wurden. Und Blume erklärt, was diese Erfindungen damit zu tun haben, dass Islam und Judentum keine Bilder brauchen, dass das Christentum dagegen ohne Bilder, Musik und Lichter im Gottesdienst nicht auskommt und dass gerade Juden so oft angefeindet und verfolgt werden. Dabei trifft der Antisemitismus auch ins Herz des Christentums und des Islams. Und bedroht schließlich uns alle.
Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem du nicht frei sagen kannst, was du denkst. Im schlimmsten Fall kommst du für unerwünschte Aussagen ins Gefängnis, oder du verlierst nur deine Arbeitserlaubnis, wirst gemieden und ausgelacht. Nicht schön. Gotthold Ephraim Lessing lebte im falschen Land zur falschen Zeit, um geradeheraus zu schreiben, was er dachte. Also schrieb er verschlüsselt, schrieb Nathan der Weise und Emilia Galotti. Er war clever, versteckte, was er wirklich dachte, in Theaterstücken. „So raffiniert, dass er manchmal wahrscheinlich selber nicht wusste, was er dachte“, sagt Thorsten Dietz. In seinem Schlüsselvortrag über die Bibelkritik in der Aufklärung, erklärt er zentrale Weichenstellungen im 18. Jahrhundert, die uns bis heute betreffen. Anschaulich, aber anspruchsvoll beschreibt er das Leben Lessings, seine Lehren und den großen Streit unter Gelehrten, in dem Lessing die Hauptrolle spielte. Denn er war nicht nur Theaterautor. Er war auch Bibliothekar. Und eines Tages, irgendwann um das Jahr 1777 herum, fand Lessing Texte von Hermann Samuel Reimarus. Echtes Dynamit, das merkte Lessing schnell. Texte, die den gesamten christlichen Glauben infrage stellten. Echtes Plutonium in einer Zeit, in der ohnehin noch Glaubenskriege tobten. Lessing veröffentlichte die Texte. Und entfesselte damit einen Streit, der unser Verständnis von Glaube und Geschichte bis heute prägt.
Seit Jahrhunderten wird die Bibel ausgelegt, interpretiert und erklärt. Aber kritisiert? Das wird sie noch nicht lange. Und die Bibelkritik wird ihrerseits kritisiert.
Ihr stellt Menschenwort über Gotteswort! rufen die Kritiker der Bibelkritik.
Ihr seid antimoderne Fundamentalisten! kritisieren die Bibelkritiker.
Thorsten Dietz lässt beide Positionen aufeinanderprallen. In diesem siebten Vortrag der Worthaus-Serie »Geschichte der Bibelauslegung« legt er die Grundlage für das Verständnis der historisch-kritischen Methode. Er erklärt, wie im Humanismus erste kritische Arbeiten entstanden, wie die Reformation die historisch-kritische Methode vorantrieb und nun auch die Katholiken der Heiligen Schrift auf den Grund gehen wollten. Und er erzählt, wie ausgerechnet ein jüdischer Brillenglasschleifer quasi als Hobby die Grundlage für die historisch-kritische Methode legte und die Botschaft der Bibel auf drei Punkte zusammenfasste.
Wovon hängt es ab, ob jemand Christ wird? Ist der Glaube an Gott, Jesus und das Evangelium eine freie Entscheidung?
Unter Freiheit versteht jeder etwas anderes. Ob es nun die Freiheit ist, im Supermarkt keine Maske zu tragen, oder die Freiheit, auf dem Roten Platz gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren – die meisten Menschen sind sich darin einig, dass sie zumindest frei darin sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Mit allen Konsequenzen. Die meisten Menschen sind also überzeugt davon, einen freien Willen zu haben. Von diesem Willen hängt für sie auch ab, ob sie an Gott glauben oder nicht. Und gerade gläubige Christen schmücken sich gern damit, sich völlig frei und bewusst für ihren Glauben entschieden zu haben.
Siegfried Zimmer bezweifelt nicht, dass der Mensch einen freien Willen hat. Wenn es aber darum geht, ob in einem Menschen Glauben entsteht oder nicht, dann hält er – mit Martin Luther – die schnelle Rede vom freien Willen für sehr oberflächlich und auch für irreführend. Er belegt das an zahlreichen biblischen Aussagen. Es geht ihm in diesem Vortrag darum, dass die Rede von »meinem Glauben« bescheidener wird und biblisch tiefer gegründet ist.
Kaum geschrieben, schon übersetzt: Bereits für das zweite Jahrhundert nach Christus sind Übersetzungen des griechischen Textes des Neuen Testaments belegt. Damals wie heute stellen sich beim Übersetzen grundlegende Fragen, die weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der biblischen Erzählungen haben können. Was ist zu bevorzugen: eine wörtliche oder eine sinngemäße Übersetzung? Und was, wenn eine Übersetzung ganz einfach unmöglich ist? Dazu gesellen sich rasch grundsätzliche theologische Fragen: Welchen Stellenwert haben Übersetzungen im Verhältnis zum griechischen Text? Und wie sind die frühen Christen und Christinnen mit der Vielfalt an Texten umgegangen, die sich aus unterschiedlichen Übersetzungen ergeben?
Christina Kreinecker widmet sich in ihrem Vortrag den frühesten Übersetzungen des Neuen Testaments und den Schwierigkeiten, die mit jeder Übersetzung damals wie heute verbunden sind.