Ich möchte heute Vormittag reden zum Thema Was ist Ethik? Und das ist keine harmlose oder unschuldige Frage. Moralische Fragen sind gefährlich. Es war ja nicht immer so. Also wenn wir uns die Christentumsgeschichte anschauen, da gab es immer wieder mal gefährliche Fragen. Fragen, an denen es auseinander ging, Fragen, an denen man sich gestritten hat bis dorthin aus. Es waren in der Alten Kirche vor 1500 Jahren Fragen, wie die Trinität Gottes genau zu verstehen ist. Und da war manchmal ein Buchstabe ausschlaggebend dafür, dass sich unterschiedliche christliche Gruppen nicht nur gestritten haben, sondern dass sie sich geprügelt haben. Und da gab es intensive
Diskussionen und Debatten um solche Fragen. Später war es dann das Verständnis des Abendmahls. Auch da konnte ein ganz kleiner Unterschied von wenigen Wörtern riesige Gegensätze ausmachen. Dass man dann gesagt hat, wenn du in 14 von 15 Fragen mit mir einer Meinung bist, aber in dieser Frage wir eine halbe Abweichung haben, dann können wir nicht zusammen Christen sein. Dann habt ihr einen anderen Geist, dann habt ihr einen anderen Glauben, dann geht es nicht. Die Geschichte des Protestantismus ist reich an solchen Auseinandersetzungen. Oder nehmen wir die Tauffrage. Fragen, wie alt man sein muss, wie viel man verstanden haben muss, konnten dazu führen, nicht nur, dass man da einen Streit hat, sondern dass man sich trennt, verschiedene Kirchen gründet, Menschen ausschließt, sehr lange Zeit auch Menschen verfolgt, Menschen einsperrt, Menschen quält oder sogar tötet. Und das waren
alles Glaubensfragen, Inhalte des Glaubens, die auch bei kleinen Abweichungen als ungeheuer schwerwiegend empfunden worden sind. Wir leben heute in einer anderen Zeit. Es gibt diese Streitigkeiten noch. Aber wenn man sich ein bisschen umschaut, dass Menschen sich über das Verständnis des Abendmahls so in die Wolle kriegen, dass sie sich trennen, dass sie nicht mehr miteinander reden, das ist selten geworden. Es gibt heute unter frömmsten Christen oft eine große Duldsamkeit im Blick auf inhaltliche Fragen. Wie es sein wird mit der Endzeit, wie es ist mit den Sakramenten, ob es so etwas überhaupt gibt. All diese Fragen sind nicht mehr so heiß, wie sie mal waren. Sie scheinen ein wenig abgekühlt zu sein. Heiße Fragen sind heute ethische Fragen,
ethische, moralische Fragen, Gegensätze in der Sexualethik, in Fragen des Lebensschutzes. Die sind so gravierend, dass Christen auseinanderlaufen. Ja, mehr noch nicht nur, dass sie verschiedene Gemeinden aufsuchen, sondern bis dahin, dass sie sich gegenseitig den Glauben absprechen. Das könnte man sagen, ist interessant, dass es so ist. Aber es ist natürlich auch schwer, es ist auch tragisch, dass diese moralischen Fragen heute solche Gegensätze produzieren. Wie kommt das eigentlich? Wie kommt es, dass diese Fragen heute so heiß sind? Ich denke, ein Grund ist ganz schlicht der, es gab Zeiten, wo in vielen ethischen Fragen es im Grunde stärker gesellschaftlich vorgegeben war, so und so denkt man. Also nehmen wir die Reformationszeit, da gab es große Gegensätze
von evangelisch und katholisch. Es gab sicher auch in einzelnen ethischen Fragen Gegensätze, aber sehr vieles war noch selbstverständlicher, war homogener. Die Welt war überschaubarer, die Quellen, aus denen man lebte, das woran man sich orientierte, das war näher beieinander. Es war so das Gefühl, naja, in ethischen Fragen ist man sich ja irgendwie einig, Glaubensfragen, die sind ganz heiß und bedeutsam, da geht es auseinander. Wir leben heute in einer globalen Welt, die vielfältiger wird, die bunter geworden ist, wo immer mehr unterschiedliche Traditionen aufeinander prallen und solche ethischen Fragen oft nicht mehr klar sind. Wo eine große Palette ist an Angeboten, du kannst so denken, du könntest auch anders denken. Naja, das macht Stress, das macht Stress, denn solchen moralischen Fragen kann man sich nicht einfach entziehen. Es gibt
auch im inhaltlichen, im dogmatischen oder im theoretischen Bereich eine Reihe von Gegensätzen, über die man sich streiten kann, wie das mit der Welt ist und wann sie entstanden ist und ob man eine unsterbliche Seele hat und ob wir einen freien Willen haben. Also gibt es viele Fragen und viele Debatten. Wer mal angefangen hat, darüber nachzudenken, merkt, irgendwann wird es immer schwieriger und schwieriger und noch schwieriger und für viele kommt irgendwann der Punkt, dass sie sagen, ja, ist auch egal, ob ich eine Seele habe oder nicht oder einen freien Willen oder nicht oder so. Also ist nicht egal, aber man merkt, es wird auf einmal so mühselig und man muss ja trotzdem dann irgendwie seine Kinder erziehen und zur Arbeit gehen und mit Schlafmangel umgehen und wer weiß wie. Und dann lenkt man sich ab und sagt, ja, schwierig, aber egal. Bei ethischen Fragen,
bei ethischen Fragen ist es anders als bei theoretischen. Da kann man nicht sagen, ja, schwierig, aber egal, denn entscheiden muss man sich. Man kann ihn nicht ausweichen, man entscheidet sich so oder so, man geht bestimmte Wege oder lässt es, warum ist es einem irgendwo näher, zu sagen, ja, wie denn nun, wie kann ich mich orientieren? Und je unübersichtlicher die Welt wird, desto größer ist das Bedürfnis, Gewissheit zu bekommen, woran kann ich mich orientieren, was ist gut, was ist gut, dass ich mich daran halten kann? Und darum werden ethische Fragen heiße Fragen, sie werden auch Identitätsfragen, denn bei vielen möglichen Fragen Endzeit, was wird da passieren, Leben nach dem Tod, wie wird es sein? Man kann immer sagen, irgendwann, naja, warten wir es halt ab. So, bei ethischen Fragen muss ich selbst handeln. Es betrifft meine Identität, denn das, was ich bin, zeigt sich in dem, was ich tue, was ich bejahe, was ich akzeptiere
oder auch nicht. Und darum, weil es Identitätsfragen sind, sind es auch soziale Fragen. Ethische Überzeugungen bestimmen heute Zugehörigkeiten. Sie bestimmen darüber, zu welcher Gruppe du gehörst, ob du, sagen wir mal, links bist oder konservativ, ob du im christlichen Bereichen dich als liberal oder auf keinen Fall als liberal verstehst. Solche Selbstzuschreibung, solche Zugehörigkeiten kannst du nicht beliebig strecken, beliebig elastisch behandeln, sondern ethische Überzeugungen werden heute so behandelt, als werden sie so kennzeichnen, wohin du gehörst. Sind Identity Marker, sagt man
oft, sie zeigen an, wer du bist und wohin du gehörst. Und darum sind solche Fragen oft so schwerwiegend. Darum wird über sie so oft gestritten. Jetzt gibt es manche, die sagen, das ist ein Unglück. Diese ganzen moralischen Streitigkeiten, es geht vermeintlich um das Gute, es geht um die Frage, was ist gut und was kommt dabei heraus bei dieser Frage? Naja, vieles, was nicht gut ist. Streit, Spannung, Spaltung, Trennung, Auseinandersetzung bis hin zu massiven Verwerfungen, Verkätzerung, Bedrohung, Ausgrenzung, manchmal auch Gewalt. Es gibt einige Denker, die gesagt haben, die Moral tut so, als wäre sie die Lösung für Lebensprobleme. Vielleicht
ist es umgekehrt. Vielleicht ist die Moral auch nur die Krankheit, für dessen Heilmittel sie sich hält. Es gibt Moralkritik, die sagt, dieser ganze moralische Weg, das ist gut, das ist böse, ist selbst schlecht. Einer, der das ganz prominent entwickelt hat, ist Friedrich Nietzsche. Nietzsche sagte das mal so, Moral ist im Grunde eine Fortsetzung des allgemeinen Kampfes um Geltung, um Macht. Nietzsche sagte das so, alle Menschen streben nach Macht, sie streben nach Geltung, nach Anerkennung, sie wollen sich durchsetzen. Das ist erst mal so und dann, was weiß ich, von Natur aus setzt der Stärkere sich durch. Irgendwann merken manche, na ich bin nicht so stark, aber ich bin klug. Und ich kann mit Klugheit manchmal auch die Starken so überwinden. Andere
merken, na stark bin ich nicht, klug hoffe ich mal, aber ich bin schön. Ich habe Sexiness und das kann auch eine Waffe sein. Ich kann Menschen anders irgendwie an mich binden. Ich kann sie gewinnen für mich. So und so gibt es Kämpfe, Kämpfe um Geltung, um Durchsetzung und Auseinandersetzung. Und Nietzsche sagt nun, irgendwann in der Frühzeit der Menschheitsgeschichte kam manche auf eine perfide Idee. Sie haben vielleicht gemerkt, ich bin nicht stark genug, ich bin nicht schlau genug, schön genug bin ich auch nicht. Was mache ich denn jetzt? Und dann haben sie ein ganz perfides, neues Kampffeld eröffnet, nämlich Moral. Und haben schlicht gesagt, die Starken, die Brutalen, die Gewalttäter, das sind die Bösen. Die, die hier die Macht haben, das sind die Bösen, sie handeln unmoralisch und das ist schlecht. Und sie gehören bestraft und sie gehören verachtet.
Und wir müssen dafür sorgen, dass die Bösen mit ihrer Bosheit nicht durchkommen. Und wir müssen Menschen Normen irgendwie einpflanzen in die Seele, dass sie lernen, die Starken, die Mächtigen zu verachten, als böse, als schlecht. Und Nietzsche sagt, so ist die Moral entstanden, dass man im Grunde, dass die Verlierer gelernt haben, den Siegern doch noch ein Schnippchen zu schlagen, indem sie gesagt haben, ihr haltet euch für die Sieger, aber ihr seid die Bösen. Und das war nach Nietzsche ungeheuer erfolgreich. Das war im Grunde ein ungeheures Racheunternehmen, dass man mit moralischen Wertungen im Grunde den Mächtigen, den Starken schlechtes Gewissen macht. Und dass
die unterlegenen Schwachen sich im Grunde selbst aufbauen und sagen, immerhin sind wir die Guten. Und die Bösen werden einmal bestraft werden. Und wenn wir genug davon überzeugen, dass das, was wir für gut halten, wirklich gut ist, dann kriegen wir vielleicht solche Mehrheiten, dass wir die Starken, die Mächtigen, die Bösen doch noch besiegen. War jetzt sehr verkürzt, klar. Aber so läuft das bei Nietzsche. Und dann kommt ein ganz entscheidender Clou bei ihm und er sagt, so funktioniert Moral eigentlich. Du verwandelst Unterlegenheit in irgendeinem Bereich in moralische Überlegenheit. Und was passiert da eigentlich? Moral ist Fortsetzung des Kampfes. Auch Moral ist ein Machtspiel. Wer Recht hat, ist Überlegen. Wer das Gute für sich hat, der steht höher als der nur vermeintlich Starke, der Grausame und der Böse. Auch Moral ist unmoralisch. Auch Moral ist
Fortsetzung dieses Kampfes um Macht. So hat Nietzsche das entwickelt. Eine Moralkritik, eine ganz spannende Moralkritik, auch mit bösen Spitzen gegen das Christentum. Ihr kennt das Wort von Jesus, wer sich erniedrigt, wird erhöht. Nietzsche sagt dazu, gemeint ist, wer sich erniedrigt, will erhöht werden. Darum geht es. Es geht um Bessersein. Ich bin besser als der andere und darum habe ich Recht. Es gibt andere Formen der Moralkritik. Eine moderne Form der Moralkritik ist vom Soziologen Niklas Luhmann entwickelt worden. Alle, die jetzt Angst kriegen, ich mach das jetzt genauso schlicht und einfach wie mit Nietzsche, alles wahnsinnig kompliziert, aber wir brechen es mal runter. Der sagt so, was passiert in der modernen Welt? Moderne Welt funktioniert so, dass alles sich immer stärker spezialisiert. Alles entwickelt eine immer stärkere Eigenlogik,
eine immer stärkere Eigendynamik, die Wirtschaft, das Recht, die Politik und so weiter. Und das ist nun mal so, dass die Fragen, die in einer komplexen Gesellschaft gelöst werden müssen, eben immer komplexer werden. Je komplizierter die Sachfragen werden und die Verhältnisse und die Organisation und die Strukturen, die Systeme, wie Luhmann sagt, je komplexer die werden, umso undurchschaubarer wird das. Und es sind dann eben Fragen, die in bestimmten Systemen vielleicht bearbeitet werden können. Und nun sagt Luhmann so, das läuft irgendwie und eigentlich sollte man jeden Morgen staunen vor Glück, dass es irgendwie läuft. Das ist ja schon ganz erstaunlich auch. Man sollte nicht immer klagen, was alles nicht funktioniert, sondern jeden Morgen sich wundern, wie viel im Leben eigentlich funktioniert. Das ist ein großes Wunder, wo man dankbar und glücklich
sein sollte. Und dann gibt es natürlich manchmal eben irgendwelche Systemprobleme und es hakt und so. Und dann muss man da etwas finden. Nehmen wir zwei Beispiele. Nehmen wir ein Beispiel wie Klimawandel. Nun, wird viel diskutiert und man muss da viel machen. Und jeder, der da ein bisschen angefangen hat, sich mit zu beschäftigen, merkt, so einfach ist es ehrlich gesagt nicht. Es ist ein bisschen Volkssport zu sagen, glaubst du an den Klimawandel oder nein, glaube ich nicht dran, doch glaube ich dran. Aber seien wir ehrlich, es sind ja wenige Mikropromille der Bevölkerung, die wirklich sagen können, ich bin als Wissenschaftler sieben Jahre in der Arktis gewesen und kann sagen und so weiter. Fast alle Menschen tratschen über diese Fragen vom Hörensagen. So ist es nun mal. So und was man dann politisch machen kann und was etwas bewirkt und was das bringt, wenn 190 Köpfe sagen, naja, zwei Grad reicht, beschließen wir mal, beschließen wir
mal, was das bringt und was man da tun muss. Das ist sehr, sehr, sehr, sehr, sehr kompliziert. Und Luhmann würde so sagen, so ist es nun mal und da muss man dran arbeiten. Und dann passiert aber etwas. Dann werden solche Fragen moralisiert. Dann werden sie moralisiert. Und das heißt, diejenigen, die für Meinung A sind, werden von den einen als die Bösen abgelehnt, als Ökospinner, als linke Kultur Marxisten, als Menschen, die die Welt nach ihrer links-grün-öko-fascho-Ideologie umgestalten wollen. Und die, die die Meinung B vertreten, werden dann ebenfalls moralisch diskreditiert als Böse, als Klimaskeptiker, wahrscheinlich Kreationisten, reaktionäre, autoritäre Protofaschisten, Wissenschaftsfeinde und so weiter. Und dann geht das Ganze nur noch so mit gegenseitigen Beschimpfungen und Verprügelungen und ähnlich. Und Luhmann würde
so sagen, lasst die Moral weg. Es bringt nichts. Irgendwann werden Leute aus Trotz sagen, jetzt mache ich nur noch so oder jetzt grüße ich keinen mehr oder so. Lasst die Moral daraus. Es sind Fragen, die so unüberschaubar sind. Am Ende brauchst du vielleicht so ein bisschen System Vertrauen. Und was da geklärt werden kann und was geklärt werden muss, da brauchst du Naturwissenschaftler und Politiker und Ökonomen und so weiter. Es ist so schon schwer genug. Moral macht es unmöglich, denn dann wird es ein Armdrücken. Dann wird es Kulturkampf. Dann versaut man sich durch die Frage, dass man Recht haben will, das Lösen technischer und praktischer Probleme endgültig. Man könnte es jetzt genauso erklären am Thema Migration. So, Globalisierung,
Zuwanderung. Ich deute es nur an, auch hier. Wenn alle ganz abgekühlt sind und ganz ruhig, könnte man abends beim Bier sich darauf einigen, leicht ist das Ganze nicht. Da gibt es sehr viele Fragen, sehr viele komplette Fragen. Die haben dann auch mit Klimawandel zu tun und mit Rechtsstaatlichkeit und mit Normen und mit Regeln und Geld und Ängsten und Medien und Berichten und so weiter. Was passiert? Luhmann würde auch sagen, es ist schwer genug. Es wird unmöglich, wenn das Ganze moralisiert wird. Wenn die die Meinung A vertreten, dann eben permanent die Keule bekommen, du Neonazi, du Rechter, du Nationalist, du Faschist, du Menschenfeind, du Ungeheuer und so weiter. Und wenn die die Meinung B vertreten, eben permanent hören, du Kulturmaxist, du links-grün-versiffter, multikultureller, Deutschland-vorfremder-überfluter und so. Wenn das läuft, naja, das ist für Medien
ist das ja immer gut, ehrlich gesagt. Weil dazu stellen, wie die Probleme sind, da schläft schon der Redakteur beim Schreiben ein und die Leser klicken dann sowieso wieder auf den Busenblitzer im Boulevard oder so. Das ist ja alles unerträglich. Also medial ist das super, wenn die Leute sich zoffen. Aber für die Lösung praktischer Probleme wird es immer schwieriger. Denn wieder geht es darum, Recht zu haben und den anderen nicht zu gönnen und nicht zugeben zu können, dass irgendwas mal richtig war bei dem, der eigentlich Unrecht hat und so und alles wird. Nehmt die Moral raus, lasst es. Es sind technische Probleme, es sind organisatorische Probleme, rechtliche Probleme, lauter Herausforderungen, das reicht. Das sind zwei sehr anspruchsvolle Formen von Moralkritik. Gut, und das wäre natürlich die Lösung. Vortrag, was ist Ethik? Antwort, Blödsinn. Schadet nur, schrecklich. Weg damit und wir sind frei. Ja, wäre schön, dann wäre der Vortrag durch,
das wäre mal ein Rekord, aber wäre zu leicht. Denn schauen wir uns diese beiden Formen der Moralkritik an, Nietzsche und Luhmann. Am Ende des Tages, wenn man zu Ende denkt, ist es ja bei beiden auch so, dass das, was sie für Moral halten, am Ende ein Unwerturteil bekommt. Die sagen dazu, das ist nicht gut. Und das ist die ganze Schwierigkeit. Wenn wir jetzt mal sehr einfach sagen, Moral ist so, dass du die Differenz von Gut und Böse einführst, dann kommst du da ganz schlecht raus. Wenn sie mal eingeführt ist und du dann sagst, ich finde die Einführung der Differenz von Gut und Böse, die finde ich böse, bist du noch im Spiel. Und so ist es wohl. Da, wo diese
Differenz eingeführt ist, kriegst du sie nie wieder los. Wir können nicht einfach sagen, naja, Moral, das bringt viele Menschen um. Weg damit, das schadet nur. Auch das ist ja moralisch. Nietzsche's Moralkritik ist sehr moralisch. Luhmann wird das nicht zugeben können und jetzt ist er so klug, dass man am Ende ihm vielleicht fast wieder glaubt. Aber unterm Strich würde ich sagen, auch das ist in diesem Spiel. Auch das ist dann eben schlecht. Es ist dysfunktional. So, es ist irgendwie systemnichtförderlich. Und in irgendeiner Weise ist es natürlich auch schlecht. Aus christlicher Sicht würde ich dies sagen. Wenn wir uns das Neue Testament anschauen, wenn wir die Geschichten von Jesus lesen oder die Streitigkeiten mit Paulus, ist ja eins, jedem schnell klar, mit wem haben die Streit. Kaum mit Mördern, Verbrechern und Menschen,
die irgendwie Äpfel, Bier und Swetschgen stehlen, Menschen, Nachbarn Tiere quälen oder so, das ist gar nicht das Ding. Sondern sie haben ja gerade Streit mit den großen Moralwächtern, mit denen, die das Gesetz glauben, ganz genau zu kennen. Darum ist es ja eine zutiefst biblische Einsicht. Moral ist gefährlich. Oder man kann mit Moral höchst unmoralisch umgehen. Man kann mit dem Gesetz töten. Man kann Menschen zutiefst beschädigen dadurch, dass man vermeintlich das Gute stark machen möchte. Das ist eine grundlegende biblische Einsicht. Moral ist alles andere als ungefährlich. Du kannst mit moralischen Werten grausam umgehen. Aber du kannst dich auch nicht einfach rausziehen und sagen, also brauchen wir keine Moral. Denn was tun solche Normen und Werte?
Also stellen wir uns einmal vor, wir könnten mit einem riesigen Staubsauger aus der Welt alles wieder absaugen. Alle Werte, alle Ideale, alle Güter, alle Regeln, alle Gebote, alles, was mit Moral zu tun hat, stellen wir uns vor, wir hätten diesen Zauberstab zu sagen, raus damit. Dann wären wir wieder in der Ursprungsgeschichte Nietzsches. Es gäbe dieses oben und unten, drinnen und draußen, es gäbe Macht, es gäbe Machtmissbrauch, es gäbe das Recht des Stärkeren. Und jede Moral, jede Einführung von Regeln, von Normen, von Werten, von Geboten ist letztlich immer der Versuch, Menschen zu schützen. Moral versucht, Menschen zu schützen, die ansonsten Opfer der Stärkeren werden. Moral ist immer Machtbegrenzung. Moral schützt Leben. Sollte Leben schützen, sollte Menschen schützen.
Und das ist ihre grundlegende Funktion. Jesus macht das in einem Satz exemplarisch deutlich am Beispiel des Sabbats, wo er sagt, der Mensch ist nicht um des Sabbats Willen da, sondern der Sabbat ist um des Menschen Willen da. Das finde ich, ist einer der grundlegendsten Aussagen in der Bibel zum Stellenwert von Gebot, Moral, Gesetz. Das Gesetz ist zum Leben gegeben, sagt Paulus. Das Gesetz dient dem Menschen. Und du kannst mit Geboten so umgehen, dass sie Menschen nicht dienen, sondern Menschen kaputt machen. Und es ist das höchste Kriterium für den Umgang mit Moral. Wird in der Moral, die du vertrittst, Menschen gedient, wird dem Leben gedient, wird Leben gefördert, werden Menschen geschützt, wird zur Entfaltung von menschlichem Leben, von menschlichen Beziehungen,
von den Beziehungen von Mensch und Gott wird dazu beigetragen oder wird das beschädigt, wird es zerstört, werden Menschen durch Gebote und Regeln kaputt gemacht. Darum ist das die große Herausforderung, mit Moral einen reflektierten Umgang zu gewinnen. Moral ist überhaupt nicht harmlos. Sie ist gefährlich. Sie kann missbraucht werden und los werden wir sie nicht, sondern müssen damit einen lebensdienlichen, heilsamen Umgang finden. Ich führt da mal eine begriffliche Unterscheidung ein und zeige zugleich, du kannst sie auf verschiedener Weise treffen. Ich habe jetzt hofft von Moral gesprochen und mit Moral schlicht erstmal dieses Spiel gemeint, du führst die Unterscheidung von Gut und Böse ein. Das heißt, du hast im Sprechen, im Denken nicht
nur Seinsurteile, das ist so, das ist so, das ist so, sondern du hast Sollensurteile. Das soll so nicht sein, Böse oder? Das soll so sein. Gut, das ist Moral, dass wir Sollensurteile treffen, Werturteile, normative Aussagen und nicht nur Seinsurteile, deskriptive Aussagen. Das ist das Spiel der Moral und das findet statt und du kommst da nicht raus und es wird immer irgendwie stattfinden. So und davon, von diesem Spiel möchte ich nun unterscheiden, das nenne ich jetzt mal Ethik. Ethik ist die Betrachtung dieses Spiels, die Reflexion dieses Spiels oder schlichte Definition. Ethik ist Reflexion der Moral. Ethik ist Reflexion der Moral. Du versuchst dieses Spiel
in Anführungsstrichen natürlich, diese Sichtweise auf die Welt, auf die Dinge, diese Wertperspektive, diese Sollensperspektive, du versuchst sie zu verstehen, zu begründen, zu beschreiben, damit umzugehen. Man kann das so machen, man kann sagen, Ethik ist Reflexion der Moral. Jetzt ist es immer so, es wird Leute geben, die sagen, nö, ich sage das anders. Es gibt Menschen, die sagen, na es gibt Ethik und das, was du meinst, nenne ich Metaethik. Dann würde ich sagen, mach's doch. So, also du kannst es auf verschiedener Weise bezeichnen, kannst auch sagen, es gibt Moral und Moraltheorie, würde ich sagen, zieh's durch. Wichtig ist, diesen Unterschied vor Augen zu haben. Agierst du das aus? Bist du in diesem Spiel? Wertest du? Oder trittst du mal einen Schritt raus? Betrachtest du das? Und ich definiere es heute so und das machen viele und das ist auch überhaupt
nicht absurd, das so zu machen. Ethik ist Reflexion der Moral. Und dazu würde ich sagen, das ist ungeheuer wichtig, um aus vielen moralischen Streitigkeiten erst mal diesen Druck rauszunehmen, diese Konflikte, diese Hitze rauszunehmen, wo man immer schon so im Konflikt ist und es geht um Identität und es geht um Zubehörigkeit und wenn du das so siehst, bist du nicht mehr mein Bruder. Und dieses, das mal rauszunehmen und zu sagen, lass uns mal einen Schritt rausgehen, lass uns mal versuchen, uns darüber zu verständigen. Und ich meine das in einem ganz umfassenden Sinne. Manche verstehen Ethik als Reflexion der Moral so, dass sie sagen, naja, es geht darum, nicht nur Moral zu vertreten, sondern zu begründen. Ich möchte begründen, warum meine moralischen Überzeugungen richtig sind. Das ist erst mal, also schon gut, klar, das ist immer ein Fortschritt und das ist
gut, wenn man in einem bestimmten Alter nicht mehr sagt, mach so und so und wenn jemand fragt, warum, du einfach sagst, ja, weil. So, das ist irgendwann unbefriedigend. Ab einem bestimmten Alter lassen einem das Kinder nicht mehr durchgehen und sich einander auch nicht und so und so. Sie fragen, warum? So, und das ist natürlich total menschlich und auch ganz wertvoll zu verstehen, warum ich bestimmte Regeln und Gebote für wichtig und für maßgeblich halte. Ich würde aber einen Schritt weiter gehen. Ethik zu verstehen als Begründung von Moral ist ja im Grunde Fortsetzung dieses Kampfes, den Nietzsche beschrieben hat. So, das ist im Grunde moralisch weiß ich, dass ich gut bin und du böse und ethisch kann ich dir sogar zeigen, dass ich sogar noch schlauer bin als du. Ich bin schlauer und besser als du und da würde ich sagen, herzlichen Glückwunsch. Aber das ist ja diese fantastische Schraube so und wenn man die immer weiterdreht, ist Moral plus Ethik Fortsetzung
dessen, was diese Welt kaputt gehen lässt. Wir leben heute in einer Zeit, wo Ethik nicht nur Begründung von Moral sein kann. Wir leben in einer Zeit, wo Ethik auch sein muss, überhaupt erst mal den anderen verstehen. Warum denkt der andere anders? Warum hat der andere Werte, andere Ideale, andere Vorstellungen, die er für gut hält? Warum ist das so? Und warum ärgere ich mich so über ihn und er sich über mich? Warum knallt das so aufeinander? Warum gibt es diese Gegensätze in der Gesellschaft von liberal und konservativ, von links und rechts, von säkular und christlich, traditionell? Warum sind das so massive Streitigkeiten? Und wer sich das ein bisschen anschaut, man sollte nicht darauf hoffen, dass man immer lauter schreien kann in der Hoffnung,
dann lösen die anderen sich von allein auf. Die schreien zurück. So, ich sehe da keine Erfolgsaussichten. Immer lauter zu schreien, ich bin nicht nur besser, ich bin sogar schlauer, zack und so, sondern erst mal zu fragen, warum denke ich so wie ich denke? Kann ich das begründen? Warum denken andere anders? Wie hängt das miteinander zusammen? Ethik daher nicht nur als Begründung von Moral, sondern überhaupt erst mal als Verstehen. Verstehen, welche Werte, welche Normen binden mich, faszinieren mich. Was passiert da eigentlich in mir, in meinem Gewissen? Ist das zwingend so oder hat der andere vielleicht, ihr seht ja irgendetwas, was ich nicht sehe. Darum geht es mir beim Thema Ethik. So, und jetzt möchte ich anfangen mit diesem Thema. Und jetzt könnte man natürlich da 27 Vorlesungen am Stück, weil das ist alles furchtbar umfassend und
kompliziert. Es gibt einen schönen Merkspruch von Arthur Schopenhauer, der sagte mal so, Moral predigen ist nicht schwer, Moral begründen dagegen sehr. Ja, wenn man das mitnimmt, hat man schon mal was in der Tasche. Moral predigen ist nicht schwer, Moral begründen dagegen sehr. Werte hochhalten und sich dabei mutig fühlen und lauter werden und so, ist so schwer auch nicht, ehrlich gesagt, sich darin selbst zu verstehen und erklären zu können und den anderen zu verstehen. Das ist ungeheuer vielschichtig und anspruchsvoll. Und ich möchte jetzt im zweiten Teil des Vortrags letztlich eine kleine Grundfigur mal vorstellen aus diesem ganzen Bereich von Ethik. Eine winzige, kleine Grundfigur und vieles links und rechts alles mal liegen lassen. Und die Grundfigur, die ich vorstellen möchte, ist so eine andere Basis-Definition von Ethik. Wie funktioniert
Moral? Da würde ich schlicht so sagen, Moral funktioniert so, dass du bestimmte Normen gewinnst und unter Normen verstehe ich jetzt Regeln, Gebote, Werte, Ziele, Tugenden, egal, ganz viel, tausend mögliche Ausführungen kann man da machen. Nennen wir es Normen, diesen ganzen Bereich, Moral funktioniert so, dass du bestimmte Normen gewinnst, an denen du dich orientierst und die beziehst auf ein Sachverhalt, eine Situation, eine ganz bestimmte Herausforderung, die irgendwie ist und Moral, die Kunst darin besteht, eine Norm und ein Sachverhalt so zusammenzubringen, dass du darin selbst zu einem Urteil kommst. Und das, diese Grundfigur, dieses kleine Basisschema von Moral
möchte ich jetzt mal erläutern und ich mache es mir jetzt ein bisschen leichtgebig zu, aber dadurch kommen wir schneller vorwärts. Ich möchte es erläutern an konkreten Beispielen und zwar möchte ich es erläutern an, wir haben noch das Reformationsjahr 2017, tut mir ja alles leid und so und ich finde aber, man kann bei Luther ganz gut lernen. Wie macht er das eigentlich? Die Idee ist jetzt nicht, Luther hat die evangelische Ethik vollendet und das ist jetzt so die Wahrheit und so ziehen wir es durch und so. 500 Jahre später, wir müssen uns viele überlegen, aber man kann bei Luther exemplarisch sich mal anschauen, wie hat es der eigentlich gemacht? Wie hat der es vor 500 Jahren gemacht? Der Vorteil ist, da ist vieles überschaubarer, geklärter, einfacher, nachvollziehbarer und ich möchte so ein bisschen jetzt mal Luther betrachten und zwar eine Reihe von Luther-Texten zum Thema Ehe. Wie hat Luther am Beispiel Ehe, das ist im Jahr 2017 irgendwie auch ein Thema, wie hat er es
geschafft Normen zu gewinnen, zu beschreiben, zu erheben und auf verschiedene Fragen zum Thema Ehe anzuwenden und zu beziehen? Ja, das ist jetzt mein Ziel und da werden wir ein bisschen für brauchen, länger als man erstmal denkt. Jetzt könnte man nämlich sagen, ja wieso länger, ist doch eigentlich klar. Luther hat die Bibel genommen und da stand drin, was gilt und dann ging er auf die Kanzel und hat gesagt, so und dann war das Ding durch. So, was willst du da jetzt noch reden? Luther lebte ja in der guten alten Zeit, als man die Bibel noch gelten ließ und das hat er einfach gemacht. Er hat die Bibel genommen und dann vorgelesen und dann haben alle gesagt, ach so, gut, dann und dann war war alles geklärt. Ja, da müssen wir jetzt noch ein bisschen näher hinschauen. Das erste, was ich
einführen möchte, ist am Beispiel Norm, am Thema Norm jetzt eine weitere Differenzierung. Es wird uns um Norm und Sachverhalt gehen. Jetzt gucken wir erstmal auf das Thema Norm. Hier muss man unterscheiden zwischen bestimmten Normen, die ich habe oder die ich für geltend erkläre und schlicht ihre Quelle, ihre Quelle, das wo ich sie hergewinne. Und das sind manchmal Menschen leichtfertig, das in eins zu setzen. Das kann man erstmal grundsätzlich fragen, wo kriege ich denn Normen her? Würden manche sagen, naja aus der Bibel. Andere würden sagen, nee aus dem Koran. Wieder andere würden sagen, ja, das haben wir alles probiert, lief nicht gut. Aus der Vernunft, aus der praktischen Vernunft. Das musst du vernünftig begründen. Wieder andere würden sagen, Vernunft, wir sind keine Kopffüßler, wir sind Menschen. Und das Tiefste im Menschen ist das Mitgefühl, die Empathie. Das
ist durch unsere ganze Naturgeschichte das Allertiefste, dass du dich mit anderen Lebewesen verbunden fühlst, solidarisch, empathisch bist. Und wieder andere würden sagen, Herr Vernunftgefühl ist alles super, aber da hat so jeder seinen Kopf und da hat jeder so sein Gefühl. Nein, Normen sind Gott sei Dank gegeben, schriftlich in den Menschenrechten. Früher sagte man zehn Gebote oder Thora oder irgendwo. Aber letztlich müssen wir ausgehen von dem, was geschrieben steht, von der Überlieferung. Das ist objektiv. So, und ihr ahnt, an der Stelle könnte man jetzt schon stundenlang weiterreden. Wo kommen Normen her? Bibel, Koran, Vernunft, Gefühl, Erfahrung, schriftliche Überlieferung, Menschenrechtserklärung. Wo kommen Normen her? Ich möchte an der Stelle aber erst mal
einschärfen. Du musst diese Quellen unterscheiden von den Normen. Viele berufen sich auf eine Norm oder machen eine Norm geltend und dann tun sie so, als könnten sie für ihre Norm die Autorität ihrer Quelle geltend machen und sagen dann, so und so musst du leben. Und wenn du das nicht tust, bist du unvernünftig. Dann bist du dumm. Dann hast du nicht nachgedacht. Dann hast du nichts kapiert. Oder sie sagen, so und so musst du hier handeln. Wenn du das nicht tust, bist du herzlos. Dann bist du empathiefreie Zone. Dann hast du kein Mitgefühl. Dann bist du unmenschlich. So oder sie sagen natürlich, so und so musst du handeln. Wenn nicht, dann demontierst du die Bibel. Dann verleugnest du Gottes Gebote. Dann verrätst du das, was die Bibel von dir fordert. Das passiert oft,
dass man Quelle und Normen in eins wirft und irgendeine Norm hat und dann das ganze Gewicht seiner Quelle dafür bringt und dann sagt er, dann bist du gegen die Menschenrechte. Dann müsstest du eigentlich vom Verfassungsschutz observiert werden. Bist ein Verfassungsfeind, wenn du das nicht verstehst. Naja, es ist eine Aufgabe aus seiner Quelle überhaupt erst mal eine spezifische Norm zu gewinnen. Und das gilt für die Vernunft und für das Gefühl und für die Menschenrechte und für die Bibel, für den Koran wahrscheinlich auch. Das ist eine riesen Aufgabe. Und du kannst nicht für deine Norm, die dir in einer bestimmten Lage einleuchtet, immer die Autorität deiner Quelle geltend machen. Dass du sagst, das ist die Norm, wenn du das anders siehst, bist du gegen Gott, ist ein klassischer Fehler, ein klassischer Fehlschluss. Denn die Norm, die du vertrittst, die hast du, die hast du erst mal aus deiner
Quelle in irgendeiner Weise gewonnen. Das ist deine Auslegung dieser Quelle. Und du kannst deine Auslegung dieser Quelle nicht mit der Autorität und der Macht dieser Quelle immer gleichsetzen. Das wären keine schönen Gespräche, sondern du musst dich überhaupt erst mal verständigen. Akzeptieren wir die gleiche Quelle? Können wir uns da irgendwie verständigen? Und können wir uns dann in einem zweiten Schritt verständigen auf das Verständnis dieser Quelle, auf die Auslegung dieser Quelle, dass ich zu dieser Norm komme? Ist das überhaupt zwingend notwendig oder kann man vielleicht auch mit derselben Quelle zu anderen Lösungen kommen? Ist nur Option A vernünftig oder vielleicht doch mal B? Das ist etwas, was für Luther zum Beispiel selbstverständlich ist. Für ihn ist selbstverständlich klar, dass er sich an der Bibel orientiert, natürlich. Es ist
für ihn aber auch klar, dass er nicht immer sagen kann, die Bibel, fertig, sondern dass man in der Bibel erst mal schauen muss, was gilt. Das Zweite, was man sich dann klarmachen muss, wir haben gerade so ein bisschen beschrieben, es werden verschiedene Quellen genannt. Und da kommt ja viel Unglück her, dass hier diese Quellen manchmal sehr stark gegeneinander ins Feld geführt wird. Und jetzt gibt es Ethikkommissionen in Krankenhäusern und in Politikberatungen und in Wirtschaft und Recht. Jetzt karikiere ich mal, was manchmal passiert. Da kann irgendein Fall sein und man fängt an, so ein bisschen zu reden und so. Man könnte es passieren, dass einer aufsteht und sagt, meine Herren, für mich ist die kantische Ethik die Ethik, das ist die einzig Wahre. Und
wenn wir das nicht angehen vom kategorischen Imperativ her und von der Menschenwürde, dann müssen wir gar nicht weiterreden. Und ich habe das Gefühl, in dieser Kommission sind Menschen, die sind Utilitaristen und sorry, da ist das Gespräch für mich vorbei. Wir können nicht reden, wir haben nicht denselben Ansatz. Oder es gibt natürlich auch das andere, dass Leute in Gesprächen merken, Hoppla, ich merke gerade, du bist bei diesem Gespräch religiös gebunden. Ja, da hört es aber auf. Nee, säkularer Staat, säkularer Gesellschaft, Aufklärung, so, da kannst du nicht mit Religion kommen. Wenn wir über Fragen reden, also ich erlaube dir, dass du persönlich Religion hast, aber ich will nichts davon hören, sage nichts davon, behalte deinen ganzen religiösen Krempel für dich, mach das irgendwie heimlich, verdirb auch keine Kinder damit und so. Wenn wir reden über moralische Fragen, dann reden wir vernünftig und bleibt mir weg mit jeder Andeutung
von irgendwie religiöser Sprache. Das akzeptiere ich nicht. Das ist für mich keine Ethik. Ja, das Gegenteil gibt es auch, dass Menschen sagen, wenn wir über diese Frage reden, ist doch die erste Voraussetzung, entscheidend ist, was Gott sagt. Und wenn wir uns darin nicht einig sind, dann können wir nicht reden. Wenn du das nicht akzeptierst, ja, dann hast du gar keine Werte. Dann hast du überhaupt keine Moral. Wenn du keine absolute Moral akzeptierst, dann ist bei dir alles relativ. Dann ist das, was du denkst, sowieso alles zufällig. Das ist alles Mode, das ist alles Zeitgeist. Du kannst gar nicht mitreden, weil du die absolute Quelle des Guten, die einzige, die es gibt, nicht akzeptierst. Kommt euch bekannt vor vielleicht? Gespräche entgleiten immer schon am Anfang. Viele Debatten scheitern früh von Anfang an. Und das ist das
Zweite, was man bei Luther lernen kann. Das Erste war die Unterscheidung überhaupt von Quelle und Norm. Und das Zweite ist, das war in gewisser Hinsicht immer schon so, dass sich Menschen bei der Suche nach der Quelle für Normen, naja, nicht immer einig waren. Und es wird keine Lösung sein, zu sagen, okay, dann stopp. Wir halten das Leben an, wir halten die Welt an. Es wird auch gar nicht mehr gewählt. Es wird nicht mehr diskutiert, keine Abstimmung mehr. Wir müssen erst mal alle einig werden, was gilt. Was ist der Maßstab? Vorher können wir gar nicht weitermachen. So ist alles vorbei. Das ist so das Kochrezept für Kulturkämpfe, dass du im Grunde lauter Gottestaaten und Vernunftsstaaten und Darwin-Kolonien oder wer weiß wie, wo jeder allein nach seiner Ideologie und Logik und Ethik und so lebt. In der wirklichen Welt war das schon immer so, dass da eine Vielfalt
von Quellen und Normen hinzukam. Und jetzt mal ein Luther-Zitat, wo man schlicht sieht, den hätte das gar nicht so geschockt. Luther-Zitat, eine Unterrichtung, wie sich Christen in Mose schicken sollen. Da geht es um die schlichte Frage, gilt die Thora noch für Christen? Gilt das alte Testament für uns noch uneingeschränkt? Luther sagt dazu sehr grundsätzlich Folgendes. Er sagt, die Heiden sind Mose keinen Gehorsam schuldig. Denn Mose ist der Juden Sachsenspiegel. Sachsenspiegel ist das gelbene Recht im Sachsen. Heute würde man sagen, die Thora ist quasi das Grundgesetz, vielleicht auch das BGB des Volks des alten Bundes. Zitat weiter. Wenn solcher Art ein gutes Vorbild fürs Regieren daraus genommen würde, könnte man dies ungezwungen beibehalten, solange man wollte. Wenn
nun die Rottengeister aber kommen und sprechen, Mose hat so geboten, so lass du Mose fahren. Und sprich, ich frage nicht nach dem, was Mose geboten hat. Ja, sprechen Sie dann, er hat geboten, man soll nur einen Gott haben. Man soll dem trauen und glauben, nicht bei seinem Namen schwören, Vater und Mutter ehren, nicht töten, nicht stehlen, nicht Ehe brechen, nicht falsches Zeugnis geben, nicht eines anderen Weib noch gut begehren. Soll man das alles nicht halten? Dann sprich so, die Natur hat diese Gesetze auch. Es ist nicht neu, was Mose gebietet. Denn was Gott den Juden durch Mose vom Himmel gegeben hat, das hat er auch in aller Menschen Herz der Juden, sowohl wie der Heiden, geschrieben. Das ist für Luther eine grundlegende Einsicht und man muss dazu sagen, diese Einsicht teilt er mit der ganzen vorreformatorischen Kirche, der alten Kirche, der Antike, des Mittelalters weit
darüber hinaus, bei vielen auch bis in die Gegenwart. Und dieser Grundkonsens geht so, Moral ist im Kern universal. Man kann sich wahnsinnig zerstreiten über viele Einzelfragen und Einzelfälle, aber man sollte manchmal das Staunen nicht verlieren, wie viel ähnlich ist. Das, was hier im Dekalog steht, Tötungsverbot, Schutz der Ehe, Wahrheit, Schutz des guten Rufes, Schutz des Eigentums, das sind universelle Werte. Und die findest du in der Bibel und die findest du im Koran und die kannst du vernünftig begründen und du kannst sagen, tief im Herzen spüre ich, dass das gut ist und du kannst es auch im Grundgesetz finden. Und das sind universelle Dinge. Und Menschen können über moralische Fragen reden. Moral ist etwas Menschliches. Und das ist in der Bibel ein grundlegender Unterschied zum Evangelium. Das Evangelium,
die Selbstoffenbarung Gottes, wer Gott ist, wer Jesus Christus ist, was Jesus Christus getan hat, da sagt das Neue Testament, das ist in keines Menschenherz zuvor je gekommen. Das ist offenbar. Und das ist etwas über aller Vernunft. Das ist besonders, das ist spezifisch, das ist nicht allgemein, nicht universal, das ist sehr, sehr besonders. Mit der Moral ist es anders. Paulus zitiert immer wieder, Luther zitiert immer wieder Paulus im Römerbrief, wo Paulus selbst, Römer 2, sagt, das Gesetz ist in des Menschenherz geschrieben. Und auch im Alten Testament ist das eine ganz klare Voraussetzung, dass im Grunde die anderen Völker ähnliche Gebote und Regeln haben. Das meiste der alttestamentlichen Gesetze und Gebote findet sich auch in der altorientalischen
Umwelt. Es gibt eine Reihe von ganz spannenden Abweichungen, eine Reihe von ganz besonderen Akzenten. Im Alten Testament vom Exodus her, im Neuen Testament von Jesus Christus her, die machen spezifische christliche Akzente der Ethik aus. Aber ein Großteil von moralischem Bewusstsein war damals nah beieinander. Das ist heute oft auch nicht anders. Und dazu eine kleine Nebenbemerkung. Es gibt unter manchen Christen heute, es bedürfen es sehr stark immer zu unterscheiden zwischen göttlicher Wahrheit und menschlicher Meinung. Und dann sagen sie, na ja, wir müssen immer gucken, was Gott sagt und was Menschen sagen. Und das ist das Allerwichtigste, denn wichtig ist nur, was Gott sagt. Was Menschen sagen, ist ja egal, weil das ist ja relativ. Das kannst du so nicht auf die Bibel begründen. Denn die Heiden haben nach Paulus eine tiefe
Kenntnis des göttlichen Willens. Und es kommt Paulus an dieser Stelle ja gerade auch darauf an, dass manchmal Heiden besser verstehen, was gut ist, als diejenigen, die die Offenbarung Gottes in der Bibel oder in der Thora haben. Und wenn man das vergisst, dann kann ein bisschen Beschäftigung mit Theologie, mit wissenschaftlicher Erforschung der Bibel ein Problem werden. Wenn du so mit der Meinung kommst, die Bibel ist, was Gott sagt, und das ist allein wichtig und was Menschen sagen, das ist alles relativ, dann kann es für dich ein Problem sein, wenn du auf einmal damit konfrontiert wirst. So steht es in der Thora. Naja, in der Umwelt ist es genauso. Da ist das ganz genauso. Im Ägypten und im Alten Orient. Und das ist viel älter und überliefert. Und das
findest du hier und das findest du da. Und für junge Theologie-Studierende kann das eine Krise sein. Wenn Sie merken, Hoppla, das sind ja 90 Prozent gleich oder ähnlich. Was ist mir denn da erzählt worden vorher? Was ist mir da erzählt worden? Ich dachte immer, die Bibel ist die Wahrheit und alles andere ist bla bla. Und jetzt sehe ich, die Bibel ist auch etwas tief eingebettet in die Geschichte, in die Überzeugung von Menschen. Das ist ein Missverständnis der Bibel. Sie rausnehmen zu wollen, aus der Geschichte sie in ihren moralischen Inhalten abzusondern als das Absolute und das allen Menschlichem gegenüberzustellen. So macht es Luther nicht. So macht es die Bibel selbst auch nicht. Das waren zwei Vorbemerkungen. Wir müssen unterscheiden die Quelle und die Normen. Und wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass Normbewusstsein irgendwo was Universales ist. Die
Frage, welche Quelle und wie lang, kompliziert, schwierig trotzdem ins Gespräch kommen. Jeder Mensch ist ansprechbar auf Werte, auf Gebote, auf Normen. Jetzt werden wir weiterschauen. Wie geht man dann mit Normen um? Wie geht man in der Bibel mit Normen um? Und da gibt es eine weitere grundsätzliche Frage, nämlich was mache ich denn, wenn ich irgendeinen Sachverhalt habe? Naja, und verschiedene Normen in Frage kommen, nach denen ich das beurteilen kann. Das fällt einem erst mal auf dem zweiten Blick auf. Ich erfinde mal ein völlig abstruses Beispiel. Stellen wir uns einen Staatsführer vor. Ein Staatsführer, der immer autoritärer und autokratischer und diktatorischer und sonst wie wir gesagt, ich erfinde etwas völlig Abstruses. Aber stellen wir uns sowas mal vor. Und jetzt stellen wir uns weiter vor, in irgendeinem weit entfernten Land, weiß ich gar nicht wo, gibt es einen Witzeerzähler, der irgendwie Bock hat, diesen autoritären
Diktator mal ans Bein zu pinkeln. Und dann macht er das und beleidigt den in einer Art und Weise, die selbst bei Worthaus nicht zitierfähig ist. Erfinde ich jetzt mal so, einfach so. Naja, was geht in dem Diktator vor? Wenn er alles im Wunderland gelesen hat, wird er erstmal das die für Bedürfnis haben zu rufen, Kopf ab. Dann wird man ihm sagen, ja gute Idee, aber anderes Land und so. Aber dann wird er irgendwie denken, naja, das was der gesagt hat, ist so unmöglich, unerträglich. Das ist illegal. Das ist verboten. Den klage ich an. Der sitzt zur Not halt in seinem doofen Land, aber der kommt in die Kiste. So und jetzt stellen wir uns das weiter vor, dass der Diktator irgendwie denkt, das kann gar nicht schiefgehen, weil der hat ja selbst zugegeben, jetzt sage ich was Illegales. Naja, Überraschung, Überraschung, jetzt erfinde ich mal ein völlig
absurdes Ende, nämlich der Witzeerzähler kommt gar nicht ins Gefängnis. Die Richter sagen, war nicht richtig. Sag es nicht nochmal. Aber, das könnte man jetzt denken, verstößt gegen die Norm, dass man Menschen nicht beleidigen darf, dass man nicht herabwürdigend über andere Menschen herziehen darf, dachte der Diktator auch. Und dann aber sagt das Gericht, naja, da gibt es noch eine andere Norm. Da gibt es die Norm, dass Satire fast alles darf. Da gibt es die Norm künstlerische Freiheit. Naja, wir sehen vor unserem geistigen Auge den Witzeerzähler sich kaputtlachen und der Diktator macht Rumpelstiezi und reißt sich mitten in zwei. Es ist schwer, das Leben ist hart und so. Und was ist aber in dieser Geschichte für uns das Lehrreiche? Das Lehrreiche ist, welche Norm gilt denn jetzt? Ist es eine Beleidigung? Naja, schon, hat niemand bestritten.
Oder ist es Satire? So, auch satirische Sendung. Wenn man Witzeerzähler ist, erzählt man Witze. So, da hat man ganz gute Karten, das so zu machen. So, und dann, ja was jetzt? Es ist Beleidigung und es ist Satire. Was macht man denn jetzt? Jetzt könnte man sagen, auf Beleidigung steht vier Jahre Haft. Satire heißt, es ist erlaubt Kompromiss, zwei Jahre kommt da eine Kiste. Na, so läuft es nicht. So läuft es natürlich nicht. Gericht steht jetzt schlicht vor der Frage, was zählt mehr? Welche Norm gilt? Nach welcher Norm muss der Witzeerzähler jetzt zur Verantwortung gezogen werden? Muss man sagen, Beleidigung, wir verknacken dich. Oder muss man sagen, Satire, das musst du ertragen, dass der in unserem Land solche Späße macht. Na, ihr kennt das bei uns.
Hier in diesem Land, in meiner völlig absurden, erfundenen, ersponnenen Geschichte lief es darauf hinaus, Satire, das Recht, Späße zu machen, ist höher als Persönlichkeitsschutz. Das kann, du kannst es so weit treiben, dass es irgendwann nicht mehr gilt, aber das ist eine Normhierarchisierung. Und in jedem Normsystem musst du das machen. Das kommt immer wieder vor, dass du auf einmal verschiedene Normen hast und du kannst die nicht alle gleichzeitig. Und dann musst du fragen, welche Norm ist die entscheidende, die letztlich gilt. Das ist ein Thema, was bei Luther auch eine große Rolle spielt. Das ist in allen Ethiken, in allen Moralen und so musst du das immer gucken. Das ist das eigentlich spannende schwere Geschäft. Wenn die Dinge eindeutig sind, wirst du meistens dahin kommen, dass 99 Prozent aller Menschen sich einig werden. Die großen Streitfragen,
geht sie alle durch. Du kannst letztlich sie immer zurückführen auf einen Normkonflikt, dass Menschen unterschiedlich Normen gewichten, unterschiedliche Normen heranziehen, so von Regel und Selbstbestimmung und was auch immer. Wir werden gleich Beispiele finden. Wie macht Luther das mit der Bibel? Er macht es schlicht so, dass er die Bibel befragt. Liebe Bibel, gibt's denn in dir auch mal Verse, die sagen, im Zweifelsfall ist A höher als B? Gibt's da so Fälle? Ich habe vorhin dieses Wort gebracht. Der Mensch ist nicht um des Sabbats Willen geschaffen, sondern der Sabbat um des Menschen Willen. Bei Jesus ist das eine ganz grundlegende Sache. Der Sabbat ist erst mal Gebot. Regel ist auch gut. Jesus hat überhaupt nichts gegen den Sabbat. Und dann gibt's aber Situationen, wo es um Menschen geht, wo es um Leid geht, wo es um Notlagen geht. Und da ist die
Hilfeleistung in einer Notlage wichtiger als die Sabbatregel. Und es gibt eine Reihe von Stellen im Neuen Testament, wo schlicht gesagt wird, das höchste Gebot ist das Gebot der Nächstenliebe und Gottesliebe. Das ist das höchste Gebot. Und in bestimmten Konfliktlagen ist das das gültige. Und dazu eine Reihe von Zitaten, ein Lutherzitat, Vorrede auf das Alte Testament. Also an ganz prominenter Stelle führt Luther das ein. Und da sagt er so, man sieht, dass die Könige, Priester und Obersten haben oft frisch ins Gesetz gegriffen, wo es der Glaube und die Liebe haben gefordert. Sodass also der Glaube und die Liebe soll aller Gesetze Meister sein und sie alle in ihrer Macht haben. Denn da alle Gesetze auf den Glauben und die Liebe treiben, soll keines mehr gelten noch
ein Gesetz sein, wo es dem Glauben oder der Liebe will zuwiderraten. Das ist für Luther die grundlegende Einsicht im Neuen Testament und die trägt er nicht von irgendwo an die Bibel ran. Da steht er. Und das wird umgesetzt und das wird durchgeführt. Und wir werden das noch an einer Reihe von Beispielen sehen. Anderes Zitat, wenn das Gesetz wieder die Liebe dringet, so hört es auf und soll kein Gesetz mehr sein. Das ist summa summarum. Wir sind niemand nicht schuldig den Lieben und durch die Liebe dem Nächsten dienen. Normen Hierarchie trifft Luther eine ganz eindeutige Entscheidung. Es gibt viele Normen und Regeln in der Bibel, in der Thora, im Neuen Testament. Die werden alle erst mal gehört. Seine These ist nicht, es gibt nur noch eine Regel, die Liebe, sondern seine These ist viele Normen im wirtschaftlichen Bereich, im rechtlichen Bereich,
familiären Bereich, Besitz nehmen wir erst mal wahr. Vertrauen erst mal, das sind gute Regeln, die Menschen schützen, die Menschen helfen. Aber im Konfliktfall, wenn sie es nicht tun, ist die Liebe das Metakriterium. Anhand der Liebe musst du entscheiden, dass wirklich der Sabbat um des Menschenwillen da ist und nicht umgekehrt. Wir haben jetzt mehrfach zum Thema Norm uns Gedanken gemacht. Wir haben Norm und Quelle unterschieden. Wir haben gesehen, dass unabhängig von der Quelle Normen auch etwas Universales haben. Normen können einleuchten. Sie müssen auch einleuchten. Sie müssen verstanden werden. Darum ist das Gesetz uns ins Herz geschrieben, dass wir auch verstehen, was wir tun, dass wir es begreifen und nicht einfach im Kadavergehorsam irgendetwas tun, auch wenn wir überhaupt nicht verstehen, ob das gut ist oder wofür es gut ist. Und schließlich gesehen, verschiedene Normen können in Konflikt geraten
und du musst einen Weg finden. Was ist die höchste? Was ist die entscheidende Norm dafür? Ich möchte jetzt eine Reihe von Beispielen bringen, wie Luther Normen zusammenbringt mit bestimmten Sachverhalten. Und das werden wir jetzt am Beispiel von Ehe Schriften uns anschauen. Und das erste, was ich hier mal vorstellen möchte. Luther hatte ein großes Lebensthema. Großes Thema für ihn war, wie ihn geschlossen werden, wie sie zustande kommen. Und das war für ihn eine ganz entscheidende Frage. Das hat er so ernst und wichtig genommen, dass er selbst kurz vor seinem Tod der Wittenberger Gemeinde noch gedroht hat. Wenn ihr hier nicht umschwenkt auf meine Meinung und das akzeptiert, bin ich weg, bin ich raus, bin ich nicht mal euer Pastor. Was war das Thema, was Luther da hatte und was ihn sehr beschäftigt? Nämlich Folgendes. Er sagte so nach biblischem
Vorbild suchen sich nicht Kinder ihren Partner. Das ist Aufgabe der Väter. Zitat von Luther Darum lesen wir kein Exempel in der ganzen Schrift, dass sich zwei Kinder selbst miteinander verlobt haben, sondern allemal geschrieben steht von den Eltern Gebt euren Töchtern Männer und euren Söhnen Weiber. Jeremiah 29. Und das ist für Luther eine grundlegende Einsicht, wo er sagt, das ist ausnahmslos in der Bibel der Fall. Das gibt es überhaupt nicht, dass man sich einen Partner sucht oder gar das Frauen überlegen. Wer denn mal so was für mich? Klammer auf, seine Käthe hat das in gewisser Hinsicht gemacht. Klammer zu. So, aber die waren alt und adlig und so. Also Ausnahmen gab es immer. Luther war aber trotzdem grundlegend der Auffassung, die Väter, die Väter klären das. Und man kann jetzt Luthers Norm hier ganz einfach beschreiben. Väter suchen
ihren Kindern Ehepartner und zwar so, dass dabei ein doppeltes Veto Recht gilt. Kinder dürfen nicht zu Ehe gezwungen werden und Kinder dürfen nicht ohne Zustimmung der Väter heiraten. Und das waren die beiden Dinge, die Luther böse fand. Das eine waren heimliche Verliebnisse, dass zwei sich einfach zusammentaten und manchmal auch schon Fakten schufen. Das kam damals vor und sagten, Entschuldigung, ist doch was passiert und so und jetzt das Verheiraten. Das fand Luther schlimm, richtig schlimm. Und dagegen kämpfte er vor allem Dingen. Solche heimliche Verliebnisse, solches eigenmächtig sich einen Partner suchen, lehnte er radikal ab. Das andere aber auch so. Niemand darf zur Ehe gezwungen werden, biblisch. Die Geschichte von Rebecca, 1. Mose 24, so ganz bibeltreu geht der
Knechter auf den Weg und sagt ja, mein Herr schickt mich, er hat einen Sohn, Isaac, da hätten wir gerne eine Frau, Familie, wir kennen uns und so. Du hast da eine, Rebecca, gibt auch Zeichen von oben, die wär was und so. Und dann sagen die auch da nicht, ja okay, nimm sie mit, sondern es heißt, wollen wir sie mal fragen. Rebecca, willst du mit diesem Mann gehen und den Isaac heiraten, den es da irgendwie geben soll, tausend Meilen irgendwo im Westen? Und Rebecca sagt, ja klar, ein gutes Angebot und macht das. Das ist alles ein bisschen ungewöhnlich aus heutiger Sicht und so, aber für Luther ganz vorbildlich, man muss ja sagen. So und Luther sagt, das ist die Regel, doppeltes Vetorecht, die Väter sind initiativ, sie zwingen nicht zur Ehe, sie sind aber verpflichtet, auch ein Ehepartner
zu finden für die Betreffenden und die Kinder müssen zwar ja sagen, aber auf keinen Fall ohne Zustimmung der Eltern heiraten. Das kann an verschiedenen Punkten jetzt zu Konflikten führen. Nehmen wir den einen Konflikt, stellen wir uns einen tyrannischen Vater vor, vielleicht ist er gar nicht so tyrannisch, vielleicht einfach nur geschäftstüchtig. Er hat eine Tochter und so und er sieht, der Nachbarbauer hat noch größere Felder, der hat einen Sohn, der hat vielleicht irgendwelche Nachteile, darum ist er noch nicht untergebracht geworden, aber für die Fusionierung der Höfe wäre der super. So und er würde jetzt sagen, hier Tochter, komm her, der Nachbar, der ist es quasi, den ich für dich klar gemacht habe. Jetzt stellen wir uns vor, dass das ein unerträglicher Stissel ist, dumm, arrogant, gewalttätig, seufzt und so. Was soll eine gläubige Tochter machen, wenn ein Vater sagt so, den nimmst du. Luther sagt, na klar, auf jeden Fall, für richtig gläubige
Christen, die nach der Bergpredigt leben, ist das doch keine Frage. Sie sagen natürlich ja. Warum? Das Gebot, die Regel ist, du sollst Vater und Mutter ehren. So, du gehorchst deinem Vater. Und wenn dein Vater ein Ehemann für dich ausgesucht hat, aus Gehorsam und Ehrerbietung gegenüber deinem Vater nimmst du den dann. Wenn es ein lebenlanges Kreuz ist, wird Gott dir schon die Kraft geben, daran zu reifen, es zu ertragen. Nur und dann sagt Luther, also das wäre das Beste. Und dann sagt er gleichzeitig aber auch, aber wo sind solche Christen, die so nach der Bergpredigt leben können. Warum sagt er, das wäre das Bestmögliche? Aber viele schwache Christen würden sagen, ein Leben lang ein Kreuz tragen, ich vermag es nicht. Und Luther sagt dann, dann bekenne auch deine Schwachheit. Das ist dann so, du bekennst deine Schwachheit, du kannst es
nicht, du darfst dir Hilfe suchen. Was soll man da tun? Erstmal natürlich auf den Vater einreden, auf die Knie weinen und so. Hilft nicht. Dann geht zum Pfarrer, geht zum Pfarrer oder zum Bürgermeister und bitte um Konfliktschlichtung und bitte da, dass dir geholfen wird, dass du aus der Nummer nochmal irgendwie rauskommst. Wenn dir keiner helfen will, sagt Luther, als Ultima Ratio dürfte ein solches Kind auch in ein anderes Land fliehen, um sich einer solchen Ehe zu entziehen. Was wir hier machen, was Luther hier macht, ist interessant. Er nimmt zunächst mal die Normen wahr, so wie er sie versteht. Das ist noch kommentierungsbedürftig aus heutiger Sicht, aber für ihn ist erst mal klarer Fall. So ist die Norm, so wird geheiratet. Und dann guckt er sich die Situation an. Dann guckt er sich den Sachverhalt an und naja, jetzt macht
er Abstufungen. Hier entwickelt er eine dreifache Abstufung und sagt, das ist die Norm, das ist die Situation, so im Idealfall so. Im wirklichen Leben geht der Idealfall nicht immer. Manchmal sind Menschen zu schwach. Sie schaffen es nicht. Sie scheitern an dem, was eigentlich gut wäre. Und dann muss es andere Wege geben. Dann muss es Notordnung geben, einen Plan B, eine Notlösung, irgendwie etwas. Da kannst du nicht sagen, es ist aber die Norm und wenn du daran zerbricht, zerbricht du daran. Hauptsache die Norm bleibt intakt. Dann müssen eben manchmal auch zweitbeste oder drittbeste Wege gefunden werden. So macht das Luther und er wird darin ungeheuer kreativ, auch kreativer als die meisten Christen, das heute akzeptabel fänden. Ich bringe ein weiteres
Beispiel. Das Beispiel Ehebruch. Da hat Luther keine Zweifel, dass Ehebruch ein schulthaftes Verhalten ist. Und das ist irgendwie auch eine grundsätzliche Norm und da wird überhaupt nicht daran gerüttelt. Und dann sagt er so, das ist so, jetzt gucken wir uns mal Fälle an. Gucken wir uns einen Fall an, wo ein Mann eine Frau heiratet, ihr aber vor der Ehe die eigene Impotenz verschwiegen hat. Er wusste aus irgendwelchen Gründen, dass das nichts würde mit dem ehelichen Vollzug mit ihr. Trotzdem aber war er da vielleicht zu stolz, es seinem Vater zu sagen oder sonst wie und jetzt die Hochzeitsnacht steht an und er sagt, Else, ich muss dir da doch was sagen. Das wird jetzt eine kurze Nacht oder so. Und Mutter wirst du auch nicht. So, dass er nicht kann oder so, das ist
für die Lutherzeit, dass man sagen würde, ja schade, aber das war in einer anderen Stufe von Drama als heute. Dass aber Else niemals Mutter wird, das war ungeheuer gravierend. Und da sagt Luther in einem solchen Fall, wenn ein Mann das schulthaft verschwiegen hat, was soll man machen? So, man könnte natürlich sagen, auflösen die Ehe. Naja, aber das wäre Scheidung, das wäre es auch nicht und so und würde ihn auch beschädigen, seine Ehre vernichten. Luther schlägt Folgendes vor. Die Frau soll dann so sprechen zu ihrem Mann. Vergönne du mir, dass ich mit deinem Bruder oder deinem nächsten Freund eine heimliche Ehe habe und du den Namen habest, auf das dein Gut nicht an fremde Erben komme und lass dich williglich betrügen durch mich, wie du mich ohne meinen Willen betrogen hast. Ich sehe Leute staunen und stöhnen und Geräusche machen und so und so, boah,
der Luther, das verzeih ich ihm nicht. Ich hab ihm schon manches verziehen, aber jetzt ist es aus. Jetzt muss man zunächst mal sagen, also erst mal wird man ja sagen, wo sind wir denn hier gelandet. Für Luther ist das jetzt nicht so der Klopper, weil das im Alten Testament, die sogenannte Levi-Ratz-Ehe funktioniert so. Nicht so genau, also Luther ist da noch kreativer, ehrlich gesagt, aber das ist im Alten Testament so ein Modell. So, wenn ein Mann stirbt, ist der Bruder dran. Der soll der Frau Kinder schaffen. Der ist dazu verpflichtet. Er soll seiner Schwägerin zu Kinder verhelfen, weil es kann ja nicht sein, dass die keine kriegt. So, das geht irgendwo nicht. Sie hat ein natürliches Recht darauf, Mutter zu werden, in gewisser Hinsicht auch auf Sex, aber ein natürliches Recht, Mutter zu werden. Darum für uns ist das etwas verblüffend, dass Luther so Ideen hat,
aber er hat sich das biblisch schon überlegt und er findet, es ist eine Notlösung. Umgekehrter Fall, was ist, wenn ein Mann eine Frau hat und die irgendwie sagt, ich mag nicht, Kopfschmerzen oder wie auch immer oder so. Sie sagt es nicht einmal, sie sagt zehnmal, sie sagt zu hundertmal. Was soll er dann machen? Jetzt ist Luther in gewisser Hinsicht progressiv für die damalige Zeit, so der viele Männer der alten Welt hätten ihr das ausgetrieben. Die hätten sich schlicht ihr eheliches Recht erzwungen. Jetzt war Luther sehr progressiv in diesen Dingen. Er kann dazu sagen, ein Mann sollte seine Frau mit Worten regieren. Ungeschlagen ist am besten. Also er konnte sich natürlich den Fall vorstellen, dass eine Frau so lange Umschläge bettelt, bis sie die auch kriegt.
Das war für ihn völlig normal. Frauen wurden geschlagen von Männern, aber Luther war da erstaunlich progressiv und sagte, wenn es möglich ist, ungeschlagen ist am besten. Seine Frau nie zu schlagen ist für Christen eine löbliche Zielvorstellung. Jetzt ist die Sache mit dem Bett ja noch nicht geklärt. Da sagte Luther jetzt folgendem Vorschlag. Hier ist Zeit, dass der Mann sage, willst du nicht, so will eine andere, will die Frau nicht, so Comedy magt. Auch nicht, was man so denkt von Reformatoren des 16. Jahrhunderts steht da. Das ist so sein Ding. Wenn man fragen würde, aber Luther, das ist doch Sünde, würde er sagen, ja schon, natürlich ist das nicht richtig, ist nicht gut. Aber was ist die Alternative? So, was ist die Alternative? Soll der sein Leben lang jetzt sagen, ja gut, guck ich Fernsehen oder so? Irgendwie ist es eine Notsituation, es ist schwierig
und in dieser Notsituation hält Luther das für die, für eine Möglichkeit, dass dann eben Lösungen gefunden werden, die nicht gut sind, die man als Notordnung oder wie auch immer bezeichnen kann, aber so ist es nun mal. Not bricht Eisen und hat kein Ärgernis, schreibt Luther gegenüber dem Einwand. Das könnte man doch nicht machen. Zitat wieder Nun liegt hier die Seele in Gefahr. Darum soll niemand von uns begehren, dass wir ihn nicht ärgern, sondern wir sollen begehren, dass sie unser Ding billigen und sich nicht ärgern. Das fordert die Liebe. Und das sind Beispiele dafür, wo Luther erst mal sagt, es gibt diese und jene Regel. Und dann gibt es Sachverhalte, Sachverhalte, wo man merkt, eine bestimmte Norm ist irgendwann keine Hilfe mehr, sondern macht kaputt. Und dann muss in diesem
Sachverhalt etwas gefunden werden, muss ein neuer Weg, ein Plan B oder was auch immer. Und dabei ist die Liebe das Metakriterium dafür, wie in solchen Situationen umzugehen ist. Machen wir uns das grundsätzlich nochmal am Thema der Ehescheidung klar. Das ist ja eine der großen Revolutionen der Reformationszeit. Bis zur Reformationszeit 1500 Jahre, nein nicht ganz, den größten Teil des Mittelalters, den größten Teil der Antike, war im Grunde die Regel im Christentum, die Ehe ist unauflöslich. Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Darum die Ehe ist unauflöslich und so soll man sich daran halten. Die Reformatoren ändern dies alle. Die Reformierten, die Lutheraner, die Anglikaner, verändern das christliche Eheverständnis an dieser Stelle erheblich, indem sie sagen, die Ehe kann geschieden werden. Es gibt in der alten Kirche Fälle dafür,
da gibt es Nachweise, das hatte man schon mal gesehen, aber es hatte sich durchgesetzt, ein völliges Scheidungsverbot. Wie kommt Luther darauf? Er beruft sich auf die Bibel und sagt, Jesus sagt doch in Matthäus 15, nicht scheiden, nicht die Ehe brechen, es sei denn wegen Porneia, wegen Ehebruch. Da kann man lange Diskussionen darüber führen, Luther versteht das aber so, wenn ein Partner die Ehe bricht, ist der andere frei, ihn zu verlassen. Dann kann er sagen, okay, das war's, das ist die Klausel, das ist der Paragraf, jetzt bin ich frei, jetzt verlasse ich den und darf natürlich auch nochmal heiraten. Der Schuldige nicht. Luther war der Überzeugung, wer die Ehe bricht, Kopf ab, Todesstrafe. Der sollte hingerichtet werden, davon war er überzeugt,
dass das das Beste wäre. Oder er sagte, naja, er soll fliehen in ein anderes Land und wenn man ihn nicht kriegt, kann man nichts machen, aber es ist nicht denkbar, dass man einfach so auseinandergeht und dann irgendwie noch gemeinsames Sorgerecht oder so, alles das kommt für Luther nicht in Frage. Jetzt könnte man an der Stelle natürlich sagen, okay, biblisch, das ist die neue Norm, dann halten wir uns jetzt daran. In Wittenberg gab es einen Fall, da gab es eine Frau, die hatte einen Mann, der schwierig war. Der hat gesoffen, der hat geflucht, der hat geschlagen, der hat das Geld durchgebracht. Der hat im Grunde alles Mögliche gemacht, was man nicht tun sollte. Es gab ein Problem, das einzige, was er nicht gemacht hat, war die Ehe zu brechen. Er hat die Frau geschlagen, geprügelt, er hat da Gegenstände für genommen, die Ehe gebrochen hat er nicht.
Jetzt haben sich Juristen das angeguckt und gesagt, ja, die Frau ist eine ganz arme Maus, denn das ist natürlich bitter, aber jetzt auch nach den neuen Regeln haben wir für die keine Option. So, also wenn er sie umbringt, verknacken wir ihn natürlich. So, aber bis dahin, was will man machen? So, dafür gibt es keinen Paragrafen. Das war etwas, wo Luther sich wahnsinnig geärgert hat über die Juristen und er hat Briefe geschrieben an den Kurfürst und so weiter. Er hat eine Reihe von Auslegungen beschrieben, wo er im Grunde ethische Einzelgebote nimmt und nach ihrem Sinn fragt. Was ist ihre eigentliche Absicht, was steht dahinter? Er kommt dabei auf den ersten Korinther Brief Kapitel 7, wo Paulus den Fall hat, zwei Heiden, einer kommt zum Glauben, der andere nicht, der Heide will sich trennen und da sagt Paulus, naja, lass mal. Also wenn du bei ihm bleiben kannst,
ist gut. Wenn der sich trennen will, lass ihn gehen und du bist dann ungebunden, kann man so verstehen, du darfst wieder heiraten, das ist hier der Fall. Das kam nicht mehr vor im Mittelalter. Luther deutet das aber so. Er sagt, hier spricht der Apostel das christlich Gemahl los und frei, wo sein unchristlich Gemahl sich von ihm scheidet oder nicht vergönnen will, dass er christlich lebe und gibt ihm Macht und Recht, wiederum zu freien ein anderer Gemahl. Was von einem heidnischen Gemahl hier St. Paulus redet, ist auch zu verstehen von einem falschen Christen. Und so legt Luther das aus. Es kann doch nicht sein, dass man so einen Buchstabenfetischismus betreibt und sagt, solange er nur seuft und die schlägt und beleidigt und erniedrigt und die Kinder verdirbt und wer weiß was, aber nicht die Ehe bricht, ist es Gottes Wille, dass du bei ihm bleibst. So ein solcher
Buchstabenglaube wäre für Luther pervers. Er fragt nach dem Zweck dieses Gebot und er deutet es so, alles Verhalten, was eine Ehe schädigt, zerstört, ist Grund, eine solche Ehe zu verlassen. Das ist kein leichtfertiges Thema, dass man das so aufs geradewohl, aber kein Regelfetischismus so allein, sondern was ist der weitere Hintergrund? Und das erhebt Luther dann grundsätzlich hier zu einem Beispiel und zu einer Ausnahme. Im Umgang mit biblischen Normen merkt Luther an vielen Stellen, sie haben damals einen bestimmten Sachverhalt vor Augen, eine bestimmte Situation und wir haben einen anderen Sachverhalt, eine andere Lage, eine andere Situation vor Augen und es ist immer die Kunst,
Normen zu gewinnen und sie auf heutige Fragen, auf heutige Probleme zu beziehen und man kann nicht einfach voraussetzen, dass die Normen so wie sie formuliert sind, immer schon passen. Sie müssen in irgendeiner Weise angepasst werden. Luther kann das grundsätzlich so sagen, Zitat, man muss mit Moses Gesetzen weislich verfahren, denn es hat mit seinem Regiment in Ehesachen eine ganz andere Gestalt als bei uns. Sein Gesetz kann bei uns nicht in allen Stücken rund und völlig gelten, denn wir müssen unseres Landes Gestalt und Wesen ansehen, wenn wir Recht und Gesetz aufstellen und gebrauchen wollen, weil unser Gesetz und Recht auf unser und nicht auf Moses Land und Wesen Gestalt eingestellt sein muss, gleich wie Moses Gesetz auf seines und nicht auf unseres Volkes Wesen
eingestellt sind. Das ist etwas, was viele Luther nicht zutrauen würden, aber für ihn ist das eine ganz grundlegende Einsicht, dass du bei der Bibel genau guckst, an wen ist sie adressiert, in welche Situation spricht sie hinein, worauf beziehen sich die Normen und das musst du verstehen und das musst du in irgendeiner Weise dir vor Augen führen und dann musst du in einem zweiten Schritt fragen, was ist heute der Sachverhalt und wenn du den heutigen Sachverhalt nicht wahrnimmst, wenn du ihn nicht verstehst, wenn du ihn nicht mal ansiehst, dann wirst du mit den besten und schönsten Normen Unrecht tun. Denn die Kunst ist es, nicht Normen zu feiern, sondern Normen anzuwenden. Menschen, die sich nur zu Normen bekennen, die glauben, das Geschäft der Moral, der Ethik besteht darin,
Normen hochzuhalten, haben im Grunde nicht verstanden, was Ethik ist. Es geht nicht darum, die Geltung von Normen zu behaupten, sondern Normen zu übertragen, Normen anzufinden für einen bestimmten neuen Sachverhalt, einen Weg zu finden, wie es heute dem gerecht wird. Jetzt gibt es Menschen, die an der Stelle sagen, oha, wenn wir damit anfangen, löst sich dann nicht alles auf. Wenn wir anfangen zu sagen, wie war es damals und so, ist das nicht der Anfang, dass man sagt, na ja, dann fängst du irgendwann an zu sagen, das Gebot ist heute anders zu verstehen, dann sagst du morgen, das mit der Auferstehung ist auch ganz anders und übermorgen ist der Himmel auch weg und alles löst sich auf. Alles löst sich auf. Dir vielleicht mal gehört, solche Überlegung, das soll vorkommen. Ethik ist kein Dominospiel. Das ist an sich eine völlig falsche Voraussetzung,
zu sagen, wenn du Frage A so löst, ist völlig klar, dass du bei B bis Z auch alles zusammenbrechen lässt. Das ist im Grunde ein Zeichen dafür, dass das Wesen von Ethik noch nicht verstanden ist. Ethik ist nicht so Normen akzeptieren, sondern immer in jeder Einzelfrage immer dieses hinzukriegen, wie ist die Situation, wie ist der Sachverhalt, wie ist die Frage, welche Norm gilt, wie ist diese Norm zu verständen, wie ist sie anzuwenden. Zwischen Norm und Sachverhalt steht das eigene Urteil. Das eigene Urteil, dass Menschen treffen müssen, dass ihnen niemand abnehmen kann, wo sie einander beraten können, wo sie aber letztlich lernen müssen, frei und verantwortlich nach
Normen zu fragen und eine Situation zu verstehen. Und dazu ein letztes Lutherzitat. Er schreibt zu einer großen Schrift von Ehe-Sachen in der Einleitung, er wolle denen, die ihn um Auskunft bitten, seine Meinung nicht vorenthalten. Doch mit der Bedingung, welche ich hier mit euch und jedermann gar deutlich will, gesagt haben, dass ich solch nicht will tun als ein Rechtssprecher oder Regent, sondern ratsweise, so wie ich es im Gewissen wollte guten Freunden in Sonderheit zu Dienst tun. Und das finde ich eine wunderschöne Beschreibung von Ethik. Ethik ist Beratung, Beratung, wie wir Normen verstehen, Beratung, wie wir Sachverhalte wahrnehmen. Beratung, kein
Durchdrücken, kein Erzwingen, kein Nötigen. Es gibt Fälle, wo der Staat das tut und tun muss, völlig klar, in Fragen der Gewalt, des Raubs und so weiter. Das ist eine andere Sphäre. Da geht es um das bürgerliche Strafrecht. Aber in vielen anderen Fragen, die nicht gesetzlich vom Staat her völlig eindeutig geregelt sind, ist Ethik eine Beratung, etwas, wo ich im eigenen Gewissen in mich gehe und immer wieder zwischen Normen und Situation hin und her gehe. Das ist Ethik. Und ethische Beratung als Freundschaftsdienst in solche Gespräche einzusteigen, das wäre eine Befreiung aus den Konflikten, in denen viele sich verstricken, aufeinander hören und vielleicht
zu überlegen, wie sieht der andere denn überhaupt erstmal den Sachverhalt. Nicht nur zu fragen, an welche Norm ist er gebuden, akzeptiert er meine Norm, sondern wie sieht er den Sachverhalt, wie sieht er die Situation, wie sieht er die Tragfähigkeit von Menschen, übersehe ich vielleicht etwas, habe ich das schon zu Ende verstanden oder nicht. Soweit ein paar Gedanken über Ethik als Reflexion der Moral und als das Geschäft, Normen und Sachverhalte so aufeinander zu beziehen, dass ich selbst darin urteilsfähig werde. Vielen herzlichen Dank.
Was ist Ethik? – Anleitung zu selbstverantworteter Urteilsfähigkeit | 7.8.2
Die frühen und nicht mehr ganz so frühen Christen haben sich die Schädel eingeschlagen über Fragen wie: In welchem Alter darf ein Mensch getauft werden? Oder: Wird beim Abendmahl die Hostie wirklich zum Leib Christi? Bei solchen Problemen kocht heute selten die Stimmung hoch. In unserer modernen Gesellschaft darf jeder glauben, was er will, an Himmel und Hölle, die Wiedergeburt oder gar nichts. Zur Sache geht es dagegen bei anderen Fragen: Ab wann beginnt das Leben und darf man es vor der Geburt beenden? Oder: Darf eine Frau mit einer Frau und ein Mann mit einem Mann…? Bei solchen Fragen wird die Diskussion schnell laut, Gläubige wechseln zu anderen Kirchen und sprechen anderen Christen gar den Glauben ab. Das ist völlig normal. Je unübersichtlicher die Welt wird, desto mehr sehnen wir uns nach Orientierung im Chaos, nach klaren Antworten und einem deutlichen Richtig und Falsch. Ethische Fragen sind daher auch oft Identitätsfragen, sagt Thorsten Dietz. Deine Antwort auf ethische Fragen zeigt, in welche Ecke der Gesellschaft du gehörst, mit wem du dich abgibst, wen du wählst und sogar, was du konsumierst. Und er erklärt, warum die Bibel die Antwort auf ethische Fragen nicht für sich gepachtet hat, wie man mit dem Dilemma umgeht, wenn jemand etwas Verbotenes tut, das aber erlaubt ist, und wie eine Frau, die von ihrem Ehemann kein Kind bekommen kann, doch noch schwanger wird.