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Ich will Ihnen gleich sagen, was ich nicht oder fast nicht mit Ihnen heute Nachmittag vorhabe. Ich will Ihnen kein methodisches Instrumentarium an die Hand geben. Gibt es zuhauf? Wie mache ich das? Wann lese ich was vor? Wann erzähle ich was? Wann spiele ich was? Nein, ehrlich gesagt, das können Sie wahrscheinlich viel besser als ich. Die Frage der Didaktik, die Frage eines Religionspädagogen ist die erste Frage des Warum. Warum mit Kindern die Bibel entdecken? Also kein methodisches Handbuch, sondern ein Nachdenken. Was soll das Ganze? Aber bevor ich auf dieses Thema eingehe, möchte ich eine etwas längere Vorüberlegung vorschalten aus zwei Gründen. Wobei mir jetzt gerade nur einer einfällt. Also aus einem Grund. In Gesprächen nach dem Vortrag heute Vormittag, aber auch in meinem eigenen Nachdenken in der Mittagspause ist mir klar geworden,

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ich will und ich darf sie eigentlich nicht abspeisen mit Anmerkungen darüber, wie man mit Kindern Gott entdecken kann, die Bibel gestalten kann, sondern das Schöne an Kindern, das Schwierige an Kindern ist, sie werden eben zu pubertierenden Jugendlichen. Und meine Überzeugung, auch meine Erfahrung ist, wenn Sie ein pädagogisches Händchen haben, dann ist religiöses Arbeiten, religiöses Leben, religiöses Lernen mit Kindern nicht sehr schwer. Aber mit Kindern so zu lernen, dass das, was sie mit Ihnen über Jahre der Kindheit teilen, dann im Jugendalter durchträgt, das ist schwer. Das, was im Jugendalter passiert in der Schule, in der Familie, in den Gemeinschaften, in den Gemeinden, das ist sehr kompliziert. Deswegen, bevor ich auf das enge Thema eingehen werde, mit Kindern, die Bibel entdecken, ein Blick voraus, was aus diesen Kindern wird, nämlich eben Jugendliche.

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Jugendliches Lernen von Religion, auch natürlich mit Bibel. Ja, in der Tat, viele von Ihnen, viele überhaupt Menschen, die sich Christen nennen, gehen selbstverständlich davon aus, dass Sie Ihre Kinder auch religiös erziehen, zu Hause in der Familie. Sie hoffen, dass das im schulischen Religionsunterricht passiert. Man versucht es in Gemeinschaften, in Gemeinden ebenfalls zu teilen. Und irgendwann machen sehr viele Menschen die Erfahrung, jetzt wird mein Kind plötzlich, naja, bei manchen neun Jahren, bei anderen dreizehn, bei manchen fünfzehn. Und all das, was ich zugrunde gelegt habe, zerbricht plötzlich. Das, wo ich mit meinen Kindern noch ganz und gar harmonisch gearbeitet habe in Sachen Religion, gelebt habe in Sachen Religion, das funktioniert plötzlich nicht. Alles wird in Frage gestellt. Meine Kinder teilen meinen Weg und meine Überzeugung plötzlich nicht mehr, rebellieren, brechen aus.

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Oder Sie können es auch noch auf einer ganz anderen Ebene festmachen. Wenn ich Fortbildungen im Lehrerbereich mache, mit Lehrerinnen und Lehrern, wo sowohl Grundschullehrerinnen da sind als auch Sekundarschullehrerinnen, dann gibt es oft folgende Zuschreibung, Schuldzuschreibung. Die Grundschullehrerinnen sagen, komisch, bei uns in der Grundschule funktioniert das wunderbar. Die hören diesen Religionsunterricht gerne und diese Geschichten. Und kaum sind sie bei euch, Klasse fünf, sechs, ein, zwei Jahre, schon glauben sie an nichts mehr. Also der Schuldzuweis auf die Sekundärschulen. Und dann sagen die Sekundärschulen, Moment, Moment. Ihr erzählt diesen Kindern diese tollen Geschichten. Und wir müssen ausbaden, dass diese Geschichten ja nicht stimmen. Ihr bereitet sie so vor, dass sie gar nicht anders können, als bei uns, sobald sie Jugendliche werden, zu rebellieren, aufzubegehren. Also ein doppelter Schuldzuweis. Die einen sagen, bei uns klappt das noch wunderbar. Und kaum sind sie bei euch, geht alles den Bach runter.

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Und die anderen sagen, ja, ja, das klappt bei euch gut, weil ihr sie vorbereitet. Und ihr wisst schon, es wird ja gar nicht standhalten. Ja, ja, diese Schuldzuweisungen sind naheliegend, aber sie merken schon nicht weiterführend. Folgende Beobachtung. Früher hat man gesagt und mit früher meine ich noch bis in die 1990er Jahre, die meisten Biografien von Kindern, die religiös aufwachsen, geraten in Krisen. Und man kann klare Bruchstellen einer Gottesbeziehung ausmachen. Ich nenne ihn einfach mal drei, also Bruchstellen. Das erste, Kinder erfahren irgendwann, dass die schöne Geschichte des sieben Tagewerks der Schöpfung irgendwie mit dem Urknall nicht ganz zusammenpasst. Und das passiert heute schon ganz häufig im Grundschulalter. Also ein anderes Verständnis von Schöpfung. Und plötzlich waren die Kinder, die ganz zu Hause waren, in einem Glaubensbild eines sieben Tagewerkes, plötzlich merken sie, Moment, Moment.

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Alle anderen denken das anders und das ist auch durchaus plausibel. Zweite Bruchstelle, die Theodicee-Erfahrung. Warum lässt Gott leiden zu? Das war wahrscheinlich die virulenteste aller Brucherfahrungen. Und eine dritte solche Brucherfahrung, die Unwirksamkeit des Gebets. Ich habe gebetet, noch und noch sei es nur um eine gelingende Mathematikarbeit und ich habe die fünf geschrieben. Aber das ist jetzt nur ein profanes Beispiel. Es geht natürlich in aller tiefste existenzielle Bereiche. Also so hat man versucht zu erklären, wie in einer Normalbiografie vom Kind zum Jugendlichen Bruchstellen dafür sorgen, dass der Kindheitsglaube, so stark und gesund er gewesen sein mag, ins Jugendalter nicht hält. Bis heute gibt es solche Lebensgeschichten. Das Schwierigere der heutigen Lebensgeschichten sieht aber anders aus. Bruchstelle heißt, da bleiben wenigstens Trümmer und Fragmente. Ja, mit Trümmern und Fragmenten kann man noch arbeiten.

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Die kann man neu zusammenfügen. Aus denen kann man noch etwas anderes bauen. Die heutige Erfahrung mit vielen Jugendlichen sieht so aus, dass der Kinderglaube einfach verdunstet. Er löst sich auf. Die ganzen alten religionspädagogischen Konzepte gehen also von Bruchstücken aus. Ein zertrümmerter Glaube, aber viel Material ist noch da. Und die heutige, viele hilflos machende Erfahrung ist die, das ist plötzlich weg. Und mit dem Nicht-Vorhandenen zu arbeiten, ist unsäglich schwierig. Ich möchte Ihnen zumindest drei Perspektiven an die Hand geben. Wie kann man denn mit Jugendlichen arbeiten, im Blick auf Bibelarbeit, im Blick auf Gottesglaube, wenn Jugendliche in solche Phasen hineinkommen? Wenn sie also noch eine starke oder schwache religiöse Grundprägung hatten und jetzt kommen die ganzen Anfragen der Umwelt. Oder eben fast alle in der Peer-Group sind ungläubig, für die ist das sowieso alles unwichtig.

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Drei Perspektiven. Erste Perspektive. Wir beobachten Folgendes. Die meisten Jugendlichen haben eine ganz bestimmte Bewegung, oft ganz unreflektiert. Sie denken, wenn der Glaube nicht so stimmt, wie man ihn mir als Kind erzählt hat, Beispiel, Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen, wenn nicht so wortwörtlich, dann ist das ganze Paket falsch. Also mit einzelnen Infragestellungen des Kindheitsglaubens denken viele, wenn das nicht so stimmt, dann stimmt gar nichts. Und nochmal, das wird oft gar nicht reflektiert. Es ist ein automatischer Zugang zur Religion. Ich durchschaue dann als ach so kluger Jugendlicher, die mir als Kind erzählte Geschichte stimmt nicht, also ist die ganze Geschichte falsch. Eine Verabschiedung vom Gottesglauben, auch vom biblischen Glauben, weil man an einzelnen Punkten Fragen stellt. Wie kann man damit umgehen?

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Es ist eigentlich nicht so schwer, indem man Jugendlichen aufzeigt, dass genau diese Art von Krise nicht zwangsläufig aus Religion herausführen muss, sondern Teil von Religion ist. Das ist gerade im Christentum eindeutig. Diese Art von Infragestellung muss nicht aus Religion herausführen, Religion selbst. Die Bibel selbst kennt genau solche Infragestellungen und versucht sie in Religion zu beantworten. Es muss kein Abschied von Religion sein. So, also erste Aufgabe in der Arbeit mit Jugendlichen, an bestimmten Einzelpunkten klar zu machen. Diese Infragestellung heißt nicht Abschied, sondern sie heißt ein Ringen innerhalb von Religion, das im jüdisch-christlichen Kontext von Anfang an mitgedacht war. Und manchmal ist es für Jugendliche oder auch Erwachsene verblüffend, überhaupt diese Möglichkeit zu erkennen, weil sie daran nie gedacht haben. Zweiter Hinweis. Sie erinnern sich? Natürlich, Kinder brauchen Geschichten.

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Kinder bilden ihr Weltbild mit erzählten Geschichten, gerade auch biblischen Geschichten. Und in der Tat, die meisten Jugendlichen merken, dass die biblischen Geschichten nicht eins zu eins stimmen in ihrem jetzigen jugendlichen Verständnis. Den meisten Kindern reichen diese Geschichten vollkommen. Was für eine wunderschönere Welterklärungsgeschichte ist das Sieben-Tage-Werk? Perfekt, wenn ich es richtig verstehe. Den meisten Kindern reicht die Geschichte voll und ganz. Den wenigsten Jugendlichen, den wenigsten Erwachsenen reicht sie, wenn ich sie nur wörtlich verstehe. Also, was ist die zweite Perspektive? Andere Geschichten, anders erzählt. Sie erinnern sich? Kinder brauchen runde Geschichten. Geschichten, die als Erzählung narrativ auf derselben Ebene bleiben. Nun, Jugendliche brauchen eben andere Geschichten. Sie brauchen Geschichten, die kippen. Geschichten mit einem Bruch. Geschichten mit einer Veränderung. Geschichten, die offen bleiben. Geschichten, die einladen, mit ihnen selbst zu kämpfen,

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weil die Geschichte nicht einfach sich rund schließt. Also, Geschichten der Frage, der Krise, der Suche. Und sowohl die Bibel als auch die ganze Glaubensgeschichte ist voll von solchen Figuren. Ich nenne Ihnen einfach mal zwei. Ich fange an mit einer Figur aus der Kirchengeschichte, die sich perfekt daraufhin befragen lässt, wie man sie für Kinder, wie man sie für Jugendliche präsentiert. Der heilige Franziskus. Ein so wunderbarer Heiliger, dass er auch für die meisten evangelischen Menschen problemlos als großes Vorbild fungiert. Den heiligen Franziskus können Sie wunderbar mit Kindern erschließen. Was fasziniert Kinder am meisten an ihm? Er spricht die Sprache der Tiere. Das Wunderbare, der Freund der Schöpfung, der ganz und gar in der Schöpfung beheimatet ist, dass er mit Tier und Pflanzen kommuniziert. Eine tolle Geschichte für Kinder. Sie dürfen sie pädagogisch nicht verschenken. So, jetzt bleiben wir beim selben heiligen Franziskus

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und schauen mal, was wir mit Jugendlichen mit ihm machen. Versuchen Sie nicht, die Geschichte von Franziskus, der mit den Tieren spricht, mit Jugendlichen zu behandeln. Aber bleiben Sie bei dieser Figur. Was für eine Geschichte von Franziskus ist äußerst reizvoll für Jugendliche? Da bricht jemand ganz mit der Geschichte seines Vaters. Er soll das väterliche Geschäft übernehmen. Dieser Franziskus gerät in einen inneren Kampf um seine Gottesberufung gegen den Weg, den sein Vater für ihn vorgespurt hat. Das ist eine Geschichte für Jugendliche. Eine Bruchgeschichte, eine offene Geschichte, eine Konfliktgeschichte. Was ist wichtiger? Das steht von vornherein nicht fest. Wir sind bei derselben Figur, aber wir erzählen eine andere Geschichte und wir erzählen sie anders. Im biblischen Bereich, im Neuen Testament, schauen Sie mal auf den Judas. Das einzige, was wir ganz sicher wissen über den Judas, ist, dass die Geschichten im Neuen Testament nicht stimmen können. Das ist eine Fragezeichenfigur.

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Lesen Sie sie mal nach. Sie werden diese Fragezeichen sofort merken. Oder im Alten Testament der Hiob. Ja, das ist eine Figur, die für Jugendliche und Erwachsene herausfordernd bleibt. Der Lästere, der Klagemensch, der Zweifler. Solche Figuren haben jetzt eine ganz andere Bedeutung für Jugendliche. Wir können mit diesen Figuren und einer anderen Präsentation zeigen, dass eben auch solche Erfahrungen, die des Bruchs, der Suche, des Zweifels, ein Teil von biblischer und christlicher Tradition sind. Also, andere Geschichten anders erzählt. Der zweite Tipp. Das dritte. Jetzt rufe ich eine Erinnerung auf und habe nur ein Wort dafür, das Ihnen nicht allen bekannt sein wird. Wenn Sie mal in ein Klassenzimmer denken, wie nennt man bei Ihnen zu Hause dieses kleine Täschchen, wo die Kinder Stift, Radiergummi und ich weiß nicht was mitnehmen. Ich wohne im fränkischen Bereich, bei uns jetzt nennt man das Schlampermäppchen.

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Und da gibt es regional sehr spannende unterschiedliche Worte dafür. So, schauen Sie sich mal die Schlampermäppchen in einer siebten oder achten oder neunten Klasse an. Wie gestalten Jugendliche die? Erstens, sie gestalten sie. Jedes Schlampermäppchen eines Jugendlichen ist bemalt. Zweitens, einiges davon verstehen sie sofort. Da steht bei manchem armen Geist FCB, FC Bayern München. Ja, schlecht, aber egal. Kann eben auftauchen. Also, irgendein Fußballverein oder der Name einer Popgruppe. Einiges ist sofort erkennbar. Es sind Kürzel, eine Symbolsprache, die erkennbar sein soll, aber anderes, da denken Sie als Erwachsener, keine Ahnung. Ich verstehe die Grafik nicht, ich verstehe die Buchstabenfolge nicht. Genau. Warum machen Jugendliche das? Weil sie intuitiv für sich eine eigene Sprache entwickeln. Eine eigene Sprache entwickeln, das ist eine symbolische Sprache. Wie funktioniert symbolische Sprache? Sie nimmt bestimmte Menschen mit hinein in die Welt, in dem sie mit Symbolen arbeitet.

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FCB, ja, wissen eben doch viele, aber vielleicht nicht alle. FC Bayern München. Also, Hineinnahme von Erkenntnis, aber auch Ausschluss. Manche Symbole sind bewusst auf diese Schlampermäppchen aufgetragen, damit ich sie als alter Mensch nicht erkennen soll. Also, Jugendliche lernen eine Art von eigener Kommunikation. Und diese Kommunikation ist eine hochsymbolische Kommunikation. Denn Jugendliche spüren die Sprache des Herzens. Die Sprache dessen, was mich im tiefsten bewegt, ist eine symbolische Sprache. Also nicht eine sofort verständliche Kommunikationssprache, eine, die tiefen Schichten hat, viele Bedeutungen zulässt. Und diese Beobachtung im Blick auf Jugendliche ist für uns ein Absprungbrett, gerade auch für religiöse Lernprozesse. Wenn man in die Bibel schaut, in die Kirchengeschichten, dann ist völlig klar, die zentrale Sprachform, die die Kirche hat, die die Bibel kennt, ist eine symbolische.

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Das Symbolische ist keine defizitäre Sprachform. Ja, manche Jugendliche sagen das. Ist das echt wahr oder nur symbolisch? Ja, ganz falsch. Die tiefste Wahrheitssprache, die wir als Menschen haben, ist die symbolische. Wir versuchen etwas zu benennen und wissen gleichzeitig unendlich viel mehr schwingt mit. Überlegen Sie mal, wie die Sprache der Liebe funktioniert. Koseworte, Privatsprache, eine symbolische Sprache. Da, wo es uns im Tiefsten bewegt, haben wir eine symbolische Sprache. Ja, wie wollen Sie dem geliebten Menschen erklären, dass Sie ihn lieben, wenn Sie das in einer analytischen Sprachreihe versuchen? Das geht nicht. Was heißt das für religiöses Lernen mit Jugendlichen? Dritte Perspektive. Ein langsames Hineinführen in das Wissen, dass die tiefste Sprache, die wir Menschen haben, symbolisch funktioniert. Wenn es um die Wahrheit geht, die uns im Herzen und mit dem Verstand gewiss macht,

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dann brauchen wir Symbole, sprachliche Symbole und aussersprachliche Symbole. Und Symbole haben diese Offenheit der Bedeutung. Und sie sind immer emotional aufgeladen. Eine Religion, die Bibel, ohne symbolische Sprache, völlig unmöglich. Also, das wären meine drei. Es gibt mehr Hinweise, wie man dann mit Jugendlichen langsam, mühsam und frustrationsbereit arbeiten kann in Sachen Religion. Dass eine überhaupt den Weg aufzeigen, eine Krise eines bestimmten religiösen Verständnisses ist Teil von Religion, muss nicht aus ihr heraus führen. Das zweite andere Geschichten anders erzählt und das dritte eine langsame Hineinführung. Die Symbolsprache ist die tiefste, die wir Menschen haben. Und die Religionen bedienen sich nicht zufällig massiv symbolischer Sprache und symbolischen Ausdrucksformen auch außerhalb des sprachlichen.

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All das ist mühsam. All das braucht Zeit. Aber es ist durchaus möglich, mit Jugendlichen, Erwachsenen so dann anders religiös zu arbeiten. Ein letzter Gedanke dazu. Wann beginnt die jugendliche Welt? Ich habe es heute Vormittag schon kurz erwähnt. Das ist eben das Problem. Manche Menschen sind bis 13, 14 noch ganz kindlich. Aber das stimmt ja auch nicht nur. Manche Menschen halten ein Leben lang an einem kindlichen Glauben, an einem kindlichen Denken fest und sind dort ganz zu Hause. Also wir können nicht sagen, dass ein kindlicher Glaube in der Art, wie ich ihn versucht habe, zu präsentieren, dass der einfach in einer bestimmten Altersgruppe nur da zu Hause ist. Was wir sagen können, ist, dass die Art von jugendlichem Glauben, wie ich ihn skizziert habe, eben etwas ist, was tatsächlich erst mit der Pubertät aufbricht. Und dann viele Erwachsene weiterhin prägen wird.

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Das heißt aber, wenn Sie zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer in einer vierten, in einer sechsten Klasse sind, Sie haben mit Sicherheit Kinder, die ganz und gar kindlich glauben. Und Sie haben mit Sicherheit andere Kinder in derselben Klasse Seite an Seite, die eigentlich schon im jugendlichen Glauben zu Hause sind. Und da Lernprozesse anzubieten, die beiden Typen gerecht sind, das ist sehr schwer. Und dazu gibt es kein Patentrezept. Es gibt nur die eine Hilfslinie. Denken Sie daran, dass es beide Möglichkeiten gibt und schaffen Sie Lernangebote für diese beiden unterschiedlichen Typen. So viel wollte ich zumindest am Anfang auf den Weg mitgeben, was passiert, wenn Kinder zu Jugendlichen werden. Denn dann hören natürlich unsere Lernwege, unsere Begleitwege nicht auf. Ich gehe mit Ihnen jetzt zurück an den Anfang aller Anfänge eines Menschen. Mit Freude habe ich gesehen, naja in meiner Wahrnehmung, dass einige von Ihnen ja in Bälde Eltern werden.

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Andere haben jetzt schon einige Kinder, Gott sei Dank sind viele hier mit dabei, bringen ein bisschen weiteres Leben hier in die Bude. Andere blicken zurück auf Kinderphase, die schon beendet ist und manche sind vielleicht auch schon Großeltern. Wie geht das, wenn ein Kind in die Welt hinein tritt? Was machen Eltern, was macht die Gesellschaft automatisch oft unreflektiert, um diese Kinder so gut wie möglich zu fördern? Ich habe ein wunderbares Begriffspark gefunden, das ich mir ausleihe und das ich für meine Zwecke mit eigenen Worten nutzen werde. Ich habe es gefunden in einem der größten Romane der Literatur des 20. Jahrhunderts, Sagen die Literaturwissenschaftler. Ein Roman von 2000 Seiten, stammt vom Österreicher Robert Musil, geschrieben in den 30er, 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, Der Mann ohne Eigenschaften. Ich erspare uns jetzt die Frage, wer es gelesen hat.

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Aber ich bekenne, ich habe es gelesen bis Seite 35. Das Sprachangebot, die Art wie Musil schreibt, fand ich faszinierend, aber ich habe keine Geduld gehabt, mir die 2000 Seiten anzutun. Ja, also ich will gar nicht so tun, als hätte ich das. Aber auf diesen ersten Seiten habe ich eben mein Begriffspark gefunden, das mich seitdem begleitet. Musil klärt nämlich, warum um Gottes Willen soll man so ein Buch, nein, überhaupt Literatur lesen. Und das lässt sich ganz gut auf religiöses Lernen übertragen. Sie finden es auf diesem Arbeitsblatt, ich finde die jetzt zweite Sitzung unten auf der ersten Seite. Musil sagt, es gibt im Menschen zwei verschiedene Sinne, zwei Grundsinnen, mit denen schon Kleinstkinder ausgestattet sind und die wir dann im Leben entfalten. Das erste nennt er den Wirklichkeitssinn. Was haben Menschen von Anfang an den Wirklichkeitssinn? Was tun wir Eltern in Schule, in Kindergärten, an den Universitäten?

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Wir helfen Menschen, den Wirklichkeitssinn zu entdecken, zu entfalten und immer feiner weiterzuentwickeln. Überlegen Sie mal den Wirklichkeitssinn in der Erfassung von Natur, in der Erfassung von Mathematik, in der Erfassung von Sprache. Das ist eigentlich Bildung und Erziehung, den Wirklichkeitssinn von Kindern früh aufzufördern und immer weiter differenziert zu gestalten. Ganz wichtig. Aber Sie merken vielleicht schon an meiner Rhetorik und an der Lehrstelle im Arbeitsblatt, das ist nicht das, was Musil letztlich interessiert und mich auch nur zum Teil. Warum? Musil sagt, neben diesem Wirklichkeitssinn, der wichtig bleibt, gibt es einen zweiten und den übersehen wir zu oft. Und hier hat er einen, wie ich finde, wunderschönen Begriff. Er sagt, der Mensch hat auch einen Möglichkeiten-Sinn. Wirklichkeitssinn, Möglichkeiten-Sinn. Nicht entweder oder, sondern komplementär aufeinander bezogen.

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Ich zitiere ihn mal, wie Musil selbst den beschreibt. Er ist Schriftsteller, deswegen wird es wieder etwas kompliziert, werde es danach in meinen Worten versuchen. Was ist nach Musil dieser Möglichkeiten-Sinn? Es ist die zentrale Fähigkeit, alles, was ebenso gut sein könnte, wie das Bestehende zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. Das so benannte Mögliche, das könne man, wie der Musil, die noch nicht erwarteten Absichten Gottes nennen. Denn es habe etwas sehr göttliches in sich, ein Feuer, einen Flug, einen Bauwillen und bewussten Utopismus, der die Wirklichkeit nicht scheut, wohl aber als Aufgabe und Erfindung behandelt. Jetzt in meiner etwas einfacheren Sprache. Also, was ist der Möglichkeit-Sinn? Da ist etwas im Menschen, das immer denken kann, dass etwas sein könnte. Das, was wir noch gar nicht erfahren, das, was wir noch gar nicht sehen, das, was sich noch nicht beweisen lässt.

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Das ist eigentlich das Faszinierende in uns Menschen. Wir können über uns hinausdenken. Wir können Visionen andenken, Utopien entwerfen, neue Erfindungen ausdenken. Wir sind nicht angewiesen auf das, was real jetzt schon da ist. Das macht uns als Gattungswesen Menschen eigentlich stark. Und Musil sagt, ja, das sind die noch nicht erwarteten Absichten Gottes, eine charmante Formulierung. Entscheidend, überlegen Sie mal, wenn es nur den Wirklichkeitssinn gäbe, gäbe es keine Entwicklung. Der Mensch kann nur versuchen, sein Leben, seine Beziehungen zu verbessern, indem er immer auch das Mögliche denkt. Das, was denkbar wäre, wie man sein sollte, wie man sein könnte, was sich im Leben verbessern ließe, wie eine Gesellschaft besser zu gestalten wäre, wie man technisch Fortschritte und neue Methoden entwickeln kann. Ein Mensch, der keinen Möglichkeiten entfaltet hat, der wird immer nur in der Realität bleiben.

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Und vielleicht merken Sie das sofort, ein Mensch, der ausschließlich einen Wirklichkeitssinn hat, der kann mit Sicherheit nicht ein gottgläubiger Mensch sein. Denn wenn man schon nicht an die Möglichkeiten in unserer Lebenswelt glaubt oder da nichts entfaltet hat, um es zu entwerfen, wie soll man dann der Möglichkeit trauen, dass es einen Gott gibt, den ich nicht beweisen kann? So, was heißt das für Erziehung, was heißt das für Bildung? Es gibt einige Wissenschaftsbereiche, Schulfächer, die ganz und gar dem Möglichkeiten gewidmet sind. Gut so. Aber es gibt andere Bereiche, die eher versuchen, den Möglichkeiten zu entwickeln. Also einerseits Wirklichkeitssinn, andererseits Möglichkeiten. Und hier sind wir in religiösen Prozessen Seite an Seite mit vielen Kolleginnen und Kollegen. Ich denke jetzt mal an ein Schulkollegium. Wo wird der Möglichkeitssinn angeregt? Natürlich im Deutschunterricht.

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Wenn man liest, in der Poesie, in der Erzählung. Natürlich in einem guten Philosophieunterricht, der nicht nur analysiert, sondern auch das Staunen betreibt. Das Ausdenken über das, was sein könnte. Natürlich, ganz wichtig, im Bereich von Musik. Sowieso eine ganz eigene Sprachmöglichkeit des Glaubens jenseits der Verbalsprache. Im Bereich der Künste. Also mehrere Bereiche menschlichen Lebens aktivieren den Möglichkeitssinn. Und wir tun gut daran, mit all solchen Bereichen zusammenzuarbeiten. Denn nochmal, ein Mensch, der keinen Möglichkeitssinn schon ganz profan entwickelt hat, der wird niemals religiös sein können. Denn Religion ist das Setzen darauf, dass gerade die Möglichkeit, die im Glauben erkannte Wirklichkeit, dass es Gott gibt, die realistisch erfahrene Wirklichkeit verändern kann. Wenn ich von der Möglichkeit, die für mich zur Wirklichkeit wird, dass es Gott gibt.

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Wenn ich von dem aus die Welt, wie sie ist, betrachte und gestalte, dann wird vieles anders. Also entscheidend wichtig, Seite an Seite stehen wir mit Künstlern der unterschiedlichen Profession, mit Menschen, die das lesen, das staunen, das Öffnen der Sinne für Wahrnehmungen, die über uns selbst hinausgehen, öffnen. Seite an Seite mit ihnen. Aber, entscheidend, wir bleiben natürlich nicht in dieser Art von Wirklichkeitssinn. Das Religiöse ist ein besonderer Bereich von Möglichkeitssinn. Ich habe es schon angedeutet. Eine Möglichkeit, die von Gott eröffnet ist und sich nach Gott ausstreckt. Und das müssen natürlich nicht alle Künstler, das müssen nicht alle Musiker, das müssen nicht alle Philosophen, das müssen nicht alle Lesemenschen in gleicher Weise empfinden. Seite an Seite haben wir das Gefühl, dass wir uns ausstrecken auf etwas, was uns selbst und unsere Realität übersteigt.

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Aber dass das von Gott ermöglicht ist, auf Gott zugeht, das ist natürlich eine sehr spezifisch religiöse Deutung, die für Mosil so sicher nicht zutreffen würde. Also eine zentrale pädagogische Aufgabe, die Förderung des Möglichkeitssinns. Und jetzt bin ich bei meinem eigentlichen Thema, nämlich, ich glaube die Bibel ist ein einzigartiges Buch zur Entfaltung des Möglichkeitssinns. Ein Lernbuch, um den Möglichkeitssinn im religiösen Sinne des Christentums zu entfalten. Wenn ich mit der Bibel aufwachse, wenn ich mit der Bibel lebe, dann bin ich immer ein Mensch, der den speziellen Möglichkeitssinn des Gottesglaubens in mein Leben hinein nehme und in mein Leben hinein wirken lasse. Zwei inhaltliche Präzisionen möchte ich vornehmen, aber die erste ist nur eine Erinnerung.

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Also sagen wir mal, die Bibel ist das Lernbuch des religiösen Möglichkeitssinns. Was können wir dort lernen? Was ist das zentrale Gedanke, der die Bibel eigentlich wie ein roter Faden oder wie ein Wärmestrom durchzieht? Ich habe Ihnen heute Vormittag diesen ersten, in meiner Wahrnehmung wichtigsten Faden schon geschildert, schon geknüpft. Es ist die Dynamik des Gesehenwerdens von Gott im Blick auf ein liebevolles Sehen und Menschen können nur in diesem Blick, im Wissen, dass Gott uns im tiefsten sieht und annimmt, im religiösen Sinne leben. Das ist der erste zentrale Wärmestrom, den die Bibel entfaltet. Aber es gibt einen zweiten. Ich habe mir in der Mittagspause überlegt, den möchte ich auch durchaus nicht unter den Tisch fallen lassen. Er ist mir sehr wichtig, seit ich diesen Gedanken kennengelernt habe. Die Einführung in diesen zweiten Gedanken. Was ist das, was in der Bibel eigentlich der Wärmestrom, der rote Faden, das ist, was unser Leben prägen kann?

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Dieser Gedanke knüpft zunächst an eine Frage an. Und so wie wir hier in dem Raum 253 Menschen sein werden, so werden es auch 253 Antworten auf diese Frage geben. Denn sie haben was mit unserer innersten Lebensüberzeugung und Lebensgeschichte zu tun. Was ist die tiefste Sehnsucht des Menschen? Was ist die tiefste Sehnsucht, die Sie im Tiefsten berührt? Wenn Sie heute Abend noch ein bisschen Zeit für Gespräch haben bei Bier, Wein oder Apfelschorle, das wäre spannend zum persönlichen Austausch. Ich biete Ihnen eine Perspektive an, die mich sehr überzeugt und seit ich Sie kennengelernt habe eben nicht mehr loslässt. Ich habe sie gefunden bei Martin Buber, einem zentral wichtigen jüdischen Religionsphilosophen, der einer der wichtigsten Brückenbauer zwischen Judentum und Christentum geworden ist.

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Martin Bubers Antwort auf diese Frage, was ist die tiefste Sehnsucht, die den Menschen umtreibt, ist wie folgt. Sie finden sie unter Umständen auf dem Arbeitsblatt von heute Vormittag, aber schauen Sie jetzt nicht nach. Seine Antwort also. Jeder Mensch hält Ausschau nach einem anderen Menschen, der ihm das Ja des Sein Dürfen zuspricht. Nochmal. Was ist die tiefste Sehnsucht, die uns umtreibt? Jeder Mensch hält Ausschau nach einem Menschen, der ihm das Ja des Sein Dürfen zuspricht. Also was ist die zentrale Kategorie? Ein Zuspruch, der muss nicht in einem Satz bestehen, der hat was mit gemeinsamen Leben zu tun, mit Beziehung und Begegnung. Zuspruch also bitte nicht auf reine Sprache dazuspitzen. Welcher Zuspruch ist der, den wir im tiefsten erhoffen und ersehnen, dass jemand zu uns bedingungslos und grundsätzlich Ja sagt?

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Es ist gut, dass du da bist. Es ist gut, dass du so bist mit deinen Fehlern. Was ist Ihre persönliche Zwischenbilanz? Überlegen Sie mal. Können wir Menschen das? Können wir anderen Menschen ein bedingungsloses Ja des Sein Dürfen zusprechen? Können das Liebende, können das Freunde, können das Eltern Kinder in beiden Richtungen? Ein bedingungsloses Ja des Sein Dürfen. Ich verrate Ihnen ein kleines biografisches Detail. Übermorgen feiere ich mit meiner Frau Silber Hochzeit. Ich bin ein begeistert verheirateter Mensch. Ja, kann ich schon sagen. Ich habe also durchaus die Erfahrung, dass ich sagen würde Ja. In meinen optimistischen Lebensphasen sage ich doch. Doch, es ist möglich.

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Menschen können einander das Ja des Sein Dürfen zusprechen, sogar Verheiratete. Ich glaube, es geht aber auch tatsächlich in Eltern-Kind-Beziehungen. Aber bei allem Optimismus nicht bedingungslos und nicht grundsätzlich und nicht immer. Im Gegenteil würde ich sagen, es sind ganz außergewöhnliche Erfahrungen, vielleicht die tiefsten Erfahrungen, die wir Menschen machen können, wenn wir folgende Erfahrungen machen. Es sind zwei gespiegelt. Wenn wir einerseits erfahren dürfen, jemand anders sagt zu uns bedingungslos Ja. Das sind Höhepunkte unseres Lebens. Aber auch umgekehrt, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Möglichkeit, einem anderen Menschen ein Ja zuzusprechen, bei einem anderen auf fruchtbaren Boden fällt. Das sind die wichtigsten, die schönsten Momente des Menschseins. Das Gelingen des Zuspruchs eines bedingungslosen Ja. Aber nochmal, ich glaube, das geht nur fragmentarisch.

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Das geht nur in Mosaik-Erfahrung. Und es ist wunderbar, wenn es wenigstens so gelingt. Martin Buber denkt das ganz ähnlich. Also ja, es ist eine der wichtigsten Aufgaben und Möglichkeiten, der Zuspruch eines Ja. Aber Martin Buber sagt, das, was uns bestenfalls im Fragment möglich ist, das ist gerade der zentrale Gedanke des Gottesglaubens der Bibel. Er denkt vor allem vom Alten Testament her. Aber als Jude, der das Neue Testament gut kennt und schätzt, verlängert er es natürlich auch ins Neue. Also folgender Gedanke, das, was uns wie gesagt nur fragmentarisch gelingen kann, das ist dieser zweite zentrale Wärmestrom der biblischen Botschaft. Die Bibel erzählt von der ersten bis zur letzten Seite von einem Gott, der genau das eigentlich im Kern uns gegenüber signalisiert. Das bedingungslose Ja des Sein-Dürfens. Das Sieben-Tage-Werk, was ist das Ziel, das Leben gelingen kann.

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Und wenn Sie unter der Perspektive Ihre gut bekannte Bibel nochmal lesen, dann werden Sie erneut einen ganz neuen Nein, einen ganz alten, aber leider oft vergessenen Wärmestrom der biblischen Botschaft erkennen. Gott sagt sich uns bedingungslos zu. Aber, aber, aber, es ist noch nicht die ganze Geschichte der Bibel, natürlich nicht, sondern es ist wie zwei Seiten einer Hand. Das Entscheidende der biblischen Botschaft. Und hier unterscheidet sie sich, glaube ich, von allen Religionen, von allen Weltanschauungen und allen Philosophien. Das Entscheidende ist eine Doppelung. Am Anfang ist immer der Zuspruch, immer. Aber die Rückseite der Hand, das kann man nicht trennen. Die Rückseite der Hand ist ein Anspruch. Wenn du ein Mensch bist, der den Zuspruch Gottes gespürt hat, vom Zuspruch Gottes erfasst ist, dann wird sich automatisch dein Anspruch ans Leben verändern. Das ist ganz automatisch so. Und nicht weil du musst, da kommt kein moralisch großer göttlicher Zeigefinger,

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sondern erfasst von diesem Zuspruch wirst du anders leben. Im Blick auf deine Mitwelt, im Blick auf die Menschen, mit denen du zu tun hast, im Blick auf dich selbst. Das betont die Bibel ständig. Also nicht nur der Anspruch, nicht sozusagen nur ein leichtes alles ist gut, sondern selbstverständlich eine Forderung, dann ist Leben anders. Und hier hat die Bibel auch harte Sprachbilder. Zuspruch und Anspruch. Aber entscheidend, nochmal, keine andere Weltreligion, keine andere Philosophie hat diese Doppelung. Auf den Zuspruch folgt der Anspruch, immer wieder neu. Und das Besondere der Bibel ist, dass sie sagt, Gott ist jemand, eine Macht, eine Kraft, eine Person, die immer wieder neu diesen Zuspruch äußert. Und übrigens, das ist Spiritualität. Immer wieder neu auf den Spuren dieses göttlichen Zuspruchs zu sein, im Wissen, dass darauf natürlich ein Anspruch ans Leben erfolgt. Ich möchte an einem Punkt biblisch sehr deutlich machen.

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Ich durfte in meiner Berufsbiografie verschiedenste Arten von Schülern unterrichten, angefangen von Grundschule über Hauptschule bis Gymnasium. Überall habe ich selbst viel gelernt. Ich glaube, die Schüler auch ein bisschen was. Und ich habe ganz häufig die zehn Gebote unterrichtet. Klar, klassischer Lernstoff, die zehn Gebote, der Dekalog, ein Herzstück biblischer Ethik. Und ich habe es immer falsch gemacht. Immer falsch gemacht. Ist mir erst vor kurzem klar geworden. Warum? Naja, ich habe dann versucht, mit den klassischen Bildern zu arbeiten. Zwei Steintafeln. Die erste klärt die Beziehung zwischen Gott und Mensch und dann die zweite zwischen Mensch und Mensch. Und das kann man dann noch aktualisieren, in heutige Sprache verfremden und, und. Ja, kann man alles machen. Ist alles nicht falsch, aber geht alles am Kern vorbei. Warum? Was ist der Kern? Ich habe nie verstanden, dass die zehn Gebote nur unter einer einzigen Bedingung funktionieren, wenn mir klar ist, dass sie formuliert sind als Logik von Anspruch und Zuspruch.

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Ich habe immer nur, und das ist klassisch und viele von Ihnen werden es nur so kennen, ich habe immer gedacht, zehn Gebote als Anspruch, so muss ich leben. Ja, oft mit dem heftigen Zeigefinger sozusagen eines Einnordens in eine bestimmte Verhaltensform. Aber darum geht es überhaupt nicht. Bevor nämlich all diese Ansprüche formuliert werden, steht der zentrale erste Satz, den ich immer vergessen habe, nie unterrichtet habe, der aber alles in ein anderes Licht taucht. Und dieser Satz ist so wichtig, dass im Judentum das das erste Gebot ist. Es ist, sagt das Judentum, der Sockel, auf dem dann erst die anderen Gebote, die man ja unterschiedlich zählen kann, steht. Also ich, viele von Ihnen kennen das, wie habe ich zehn Gebote kennengelernt? Das ist der Logik, der Logik des Anspruchs. Das musst du, das sollst du. Wie formuliert die Bibel? Bevor irgendein Anspruch formuliert ist, folgendes Satz. Ich heißt es dort, ich bin Yahweh, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat.

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Ja, das Sättchen habe ich immer überlesen. Ich dachte, das ist so eine Hinleitung. Aber es ist zentral. Warum, was heißt das? Bevor irgendein Anspruch formuliert wird, kommt dieser zentrale Zuspruch. Ich, einzelner Glaubender, ich bin der Gott, den du kennst, der Gott, der dein ganzes Leben begründet. Ich bin der befreiende Gott, der dein Leben sozusagen erst ermöglicht hat. Das ist die Tonlage, unter der man die ganzen zehn Gebote eigentlich sehen muss. Eine Befähigung zum Leben, ein Zuspruch. Und deswegen ist ja die eigentlich richtige Übersetzung nicht, du sollst oder du darfst nicht, sondern du wirst. Das ist die eigentlich beste Übersetzung für die zehn Gebote. Und das ist ganz logisch. Am Anfang steht der Zuspruch. Gott befähigt uns Menschen zu dieser Art von Ethik. Gott verpflichtet uns nicht zu dieser Art. Was ist die ganze biblische Ethik, die christliche Ethik?

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Eine Befähigungsetik, eine Beziehungsethik. Nicht einfach ein Katalog sozusagen, wo der böse Zeigefinger alles Fehlverhalten untersuchen wird. Nein, das Christentum und das Judentum leben aus dem Glauben, Gott befähigt uns zu einer anderen Art der Lebensführung. Er befähigt uns. Aber, sehen Sie wieder die zwei Seiten einer Handfläche? Zuspruch heißt dann natürlich Anspruch. Und das ist nicht beliebig. Beides, beides zusammen ist das Einzigartige, was Judentum und Christentum in der Gottesbeziehung formulieren. Also, was ist das Zentrale? Was sind die Wärmeströme, die die Bibel durchziehen? Was sind theologische Unterströmungen, die wir vielleicht neu entdecken sollten? Das eine diese Zusage der Gott, der uns sieht mit barmherzigem Blick und nur in diesem Blick entfaltet sich Leben und Identität. Und das zweite ein anderes Bild, nicht der Blick, sondern der Zuspruch. Gott spricht sein Ja und aus diesem Ja, nur aus diesem Ja wächst Leben.

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Und ich glaube, jede Art von Angstbetonte unter Religionspädagogik, ich weiß, manche unter Ihnen haben unter solchen Pädagogiken leiden müssen, jede Art von Angstbetonte unter Religionspädagogik verfehlt völlig diesen zentralen Gedanken, das am Anfang immer wieder neu der Zuspruch steht. Die Bibel ist kein Buch der Einschränkung des Lebens, sondern der Entfaltung des Lebens. Ja und genau das, weil das so ist, deswegen glaube ich, dass wir Kindern und Jugendlichen es schuldig sind, sie hineinzunehmen in die Lebenswelt, die sich aus der Bibel erschließt. Ein Lebensbuch des Zuspruchs, ein Lebensbuch des Zuspruchs, das Gott uns sieht und trägt. Kinder in diese Dynamik hineinzunehmen, lässt ihnen einen anderen Ton als Grundmelodie ihres Lebens erfahren.

41:03
Das zumindest ist die Hoffnung, die eigentlich eine christliche Pädagogik auszeichnet. Jetzt einige weitere Begründungsgedanken, ich springe in einen anderen Gedankengang. Was heißt das also, wenn wir die Bibel als Lernbuch der Gottesbeziehung sehen, wenn wir die Bibel als Lernbuch des Möglichkeitssindes sehen, was diese Gottesbeziehung ermöglichen soll? Nun, man kann klassisch zweimal vier Argumente anführen, es gibt aber auch viel mehr, aber ich mache das so. Zweimal vier Argumente anführen, warum eigentlich Kinder, Erwachsene, Jugendliche, die Bibel brauchen, warum die Bibel für sie wichtig ist. Das erste ist eine Binnenverständigung unter dem Stichwort Theologie, also gläubige Menschen versuchen aus ihrer gläubigen Sicht zu überlegen, warum die Bibel wichtig ist, aber wir haben natürlich viele Menschen,

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die nicht in diesem Gottesglauben beheimatet sind, deswegen ein zweiter, vierer Blick auf Bildungstheorie. Bildungstheorie heißt, ich spreche mit Menschen, die im öffentlichen Leben Bildung inszenieren, in Ministerien, in Schulen, mit Kolleginnen und Kollegen. Zwei verschiedene vierer Argumentationslinien. Erste also, warum brauchen Kinder die Bibel, das zentrale Lernbuch des Möglichkeitensins. Nun, sie präsentiert ein ungeschminktes Doppelbild, nämlich des Menschen und Gott. Das ungeschminkte Bild des Menschen. Überlegen Sie mal, welche verschiedenen Erzählungen über das Wesen des Menschen es gibt. Die Bibel ist sehr realistisch. Der Mensch ist fähig zu unvorstellbarer Grausamkeit und zu unvorstellbarer Liebe. Beides. Das ist das realistische Bild, das die Bibel vom Menschen zeichnet. Beides ist in uns. Die Möglichkeit, die Anlage zu Liebe, die Anlage zu Zerstörung. Also keine Naivität.

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Nein, nein. Sie erinnern sich, die erste Tat, die der freigesetzte Mensch der biblischen Erzähllogik zufolge begeht, ist ein Brudermord. Also keine Naivität, dass der Mensch ein ideales Wesen ist. Aber gleichzeitig, wie viele Erzählungen von gelingendem Leben, von Zuwendung zum Nächsten. Die Bibel schildert uns Menschsein in allen möglichen Facetten. Und in den Facetten spiegelt sich Gott. Aber auch hier, nein, es gibt nicht das Gottesbild der Bibel. Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen, wie Menschen verschiedenster Zeiten Gott erfahren haben. Das ist doch so reizvoll. Du kannst nicht sagen, der Gott der Bibel ist. Und jetzt hast du drei Worte und dann ist alles klar. Sondern die Bibel traut uns zu, verschiedene Erzählungen kennen zu lernen, in der wir Gott erschließen für uns, für unsere Herzenswahrheit. Ein ungeschminktes Bild des Menschen, ein ungeschminktes, vielfältiges Bild von Gott.

44:03
Das zweite theologisch. Warum die Bibel? Nun, sie ermöglicht uns ein Suchen, ein Fragen und das Finden von Antworten in einem Horizont der Hoffnung. Die Bibel hat ein Grundzeichen. Und das ist nicht Moll, das ist Dur. Das ist ja eine Hoffnungsperspektive. Gerade weil die Bibel all die Abgründe des Menschen kennt, gerade deswegen kann sie umso überzeugender immer wieder den Dur-Ton ans Ende setzen. Und sie erlaubt uns zu suchen, zu fragen, aber natürlich auch das Finden. Dritter Gedanke. Warum theologisch die Bibel als das Lernbuch? Nun, in den beiden Großkirchen hat sich folgende Überzeugung durchgesetzt. Ich weiß, in anderen kirchlichen Gemeinschaften ist das durchaus umstritten. Die Großkirchen sagen das so. Die Bibel präsentiert sich als, jetzt kommt der Begriff, Gottes Wort in Menschenwort.

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Es gibt manche Christen, die sagen, ne, ne, Moment, die Bibel ist doch nicht Menschenwort, sondern fundamentalistisch gedeutet, das heißt, eins zu eins göttliches Wort. Der Mensch, der die Bibel geschrieben hat, die Menschen, die waren nur wie Werkzeuge, die ohne eigenes Zutun, ohne eigene Biografie, ohne eigenen Kontext den Griffel Gottes sozusagen führten. Gott selbst offenbart sich Punkt für Punkt ohne menschliches Zutun. Nun, habe ich schon gesagt, aus Sicht der Großkirchen ist das eine fundamentalistische Bibeldeutung und sie hat eine ganz große Schwäche. Wenn ich mit solchen Menschen im Gespräch bin, dann sagen sie immer, das Schlimmste, was sie mit der Bibel tun können, ist, sie deuten. Sobald ich die Bibel deute, wird es doch willkürlich, subjektiv, relativ. Nein, weil ich die Bibel so ernst nehme, glaube ich, dass Wort für Wort Gott sich einschreibt. Aha, sage ich dann, interessante Deutung. Das stärkste Argument gegen einen fundamentalistischen Umgang mit der Bibel ist,

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das steht nirgendwo in der Bibel selbst, da steht nirgendwo, liebe Leserin, lieber Leser, ich bin eins zu eins die Stimme Gottes. Sondern diese Deutung haben fundamentalistische Lesende eben an den Text herangetragen und bei allem, was wir wissen über die Lebensumstände Israels und Jesu, damals haben wir ein völlig anderes Textverständnis gehabt. Also Vorsicht, jemand, der glaubt, er deute nicht, der befindet sich in seinem so objektiven Irrtum, es steht nirgendwo geschrieben, dass eine fundamentalistische Lesart die richtige wäre. Liebe zu, wäre das Teil der Bibel, dann wäre es schwierig. Dann hätten wir eine klare Vorgabe, gegen die ich dann als heutiger Mensch verstoßen müsste. Das muss ich aber gar nicht. Die Bibel verlangt nirgendwo eine fundamentalistische Lesart. Sondern, die Bibel ist ein tolles Buch. Warum? Sie ist ein Buch der Pluralität, das uns Lesende ernst nimmt. Menschen verschiedenster Zeiten, wahrscheinlich von 1500 Jahren,

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haben ihre tiefen Erfahrungen mit Gott in ihre Sprache getaucht. In subjektiver Form. Sie laden uns ein, ihre Art von Gottes Erfahrungen nachzuvollziehen, aber im Wissen, dass es Menschen bestimmter Kulturen sind, bestimmter Zeiten sind, bestimmter Überzeugungen sind. Wenn Sie mir jetzt nur mit innerem Bauchgrimmen folgen, naja, kleine Überprüfung, machen Sie mal heute Abend. Wer stand eigentlich unter dem Kreuz Jesu? Vier Evangelien, vier verschiedene Antworten. Das ist nur eines von vielen Beispielen. Was heißt das? Das heißt, dass die Bibel selbst eine ganz andere Art von Erzählen kennt, was übrigens für orientalische Menschen damals wie heute stimmt. Wir denken häufig so, ich will die Wahrheit wissen, gib mir einen beweisbaren Satz. Das ist westliches, modernes Denken. Frag einen orientalischen Menschen damals oder heute, was ist Wahrheit? Und er sagt, gut, ich erzähle dir eine Geschichte. Also die Bibel stammt aus einem Kontext,

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wo man ganz anders von Wahrheit gedacht hat. Was nützt mir denn eine Auskunft, die vorgeblich in Sätze zu packen ist? Ich muss eine Geschichte erzählen. Und sie traut uns zu, dass wir im Einschwingen in diese Geschichten die tiefen Wahrheit für uns erspüren. Zweites Beispiel, ja, das erste also wer war unterm Kreuz, das zweite. Ja, wenn Sie eben hineinlesen in den Anfänger der Anfänge, dann haben Sie das Sieben-Tage-Werk und am Ende ist alles gut und alles fertig. Und mitten im Satz, Genesis 1, 2, 4, 1 Mose 2, 4, mitten in diesem Satz, mitten im Vers bricht diese Geschichte ab und dann geht es weiter und noch nichts ist da. Hallo? Wie? Wie kommt das? Weil das hebräische Menschen nie gestört hat. Ein hebräischer Mensch hat nie gedacht, das Sieben-Tage-Werk ist ein historisches Protokoll. Wir heute denken so oder Menschen des 19., des 20. Jahrhunderts. Ja, wir, aber Vorsicht, ein orientalischer Mensch, den hat es nie gestört. Eine erste Geschichte, ganz anders strukturiert,

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Sieben Tage und dann ist alles gut. Eine zweite Geschichte, Adam und Eva, und die fängt an, als wäre noch gar nichts da. Macht nichts, denn es geht nicht um eine Kameraführung, die sozusagen am Anfang aller Anfänge mitgespielt ist, sondern es geht darum, dass in Geschichten tiefen Wahrheit erzählt wird. Ich will es noch an einem dritten Beispiel klarmachen, was mich gerade in den letzten Wochen wieder sehr bewegt hat. Ostern. Ja, das ist schon das Herzstück des Christentums. Ja, ja. Auferweckung. Paulus, ich habe schon ein bisschen über ihn gelästert, Paulus übernimmt am Anfang eine Überzeugung, die er zitiert, das ist fast mal poetisch, aber eben nicht aus seiner Feder, sondern er übernimmt es von anderen, ein klares Bekenntnis. Jesus ist auferweckt worden am dritten Tage. So, das ist Paulus. Was machen die Evangelisten mit diesem kargen, aber verdichteten Satz? Sie wissen genau von Ostern, da nützt uns nichts ein Glaubenssatz. Von Ostern musst du erzählen.

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Doch, sie waren alle Ostern mehrfach in Gottesdiensten bestimmt. Was für wunderbare Erzählungen um Ostern gibt es? Meine drei Lieblingsgeschichten, sie kennen sie natürlich alle, Maria Magdalena am Grab, Thomas der Zweifler und die Emmausjünger. Drei Geschichten, ganz unabhängig voneinander erzählt. Sie leben aus zwei Grundüberzeugungen. Wenn du das zentrale Geheimnis des Glaubens, nämlich Auferweckung, anderen Menschen nahe bringen willst, dann reicht es nicht, einen Glaubenssatz zu sagen, du musst deine Geschichte erzählen. Drei ganz verschiedene Geschichten. Aber eines haben alle drei Geschichten, die sind im zweiten Aspekt gemeinsam, nämlich, wenn du glaubst, du kriegst eine Geschichte, wo es um das einfache Erkennen geht, um ein Sehen, dann wirst du enttäuscht. Nehmen wir mal die Geschichte von Maria Magdalena. Ich weiß nicht, ob Sie sie mal irgendwann mit der nötigen Distanz gelesen haben. Die ist ja so unmöglich, aber gleichzeitig perfekt erzählt.

51:02
Sie, die diesen Jesus besser kennt als viele, viele andere, eine Lebensbegleiterin. Eine Auferweckte. Und jetzt überlegen Sie mal, Sie schreiben diesen Text. Was wäre die blödeste Idee, die Sie haben können? Sie hält ihn für den Gärtner. Wenn Sie klassisch christlich sozialisiert sind, dann kennen Sie die Geschichte so. Ehrlich gesagt, überlegen Sie mal. Da erscheint der Auferstandene und Sie sagen, ach, du bist der Gärtner. Also, wenn man eine Geschichte so erzählt, was kann das nur bedeuten? Das kann doch heißen, mit dem bloßen Auge kannst du nicht erkennen, was jetzt passiert. So absurd, als wäre es der Gärtner. Diese Logik ist in allen drei Geschichten da. Du glaubst etwas mit normalen Sinnen erklären und erkennen zu können und dann bricht jede Geschichte ab. Und es geht am Ende um ein Erkennen des Herzens. Du kannst den Auferweckten nicht einfach säen, wie du vorher den Jesus des Lebens begleitet hast.

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Sondern was passiert, das erzählen alle drei Geschichten. Es geht um eine tiefe Erkenntnis. Eine gebrochene Art, mit absoluter Sicherheit und Glaubensüberzeugung zu wissen, erlebt. Er ist vom Tod erweckt worden. Aber die Erzählung braucht einen Knick. Sie braucht den Knick, dass auf diese Weise, wie ich eigentlich denke, dass Wirklichkeit funktioniert, auf diese Weise funktioniert es nicht. Erinnern Sie sich an die M-Maus, Jünger? Da gehen Sie mit dem, den Sie nicht erkennen, wieder, die Augen funktionieren nicht, ein Stück Weg gemeinsam. Und sobald Sie merken, es ist der Auferweckte, verschwindet er. Es geht um eine Wirklichkeit, die nicht einfach in der normalen Realität des Sehens zu schildern ist. So ist die Bibel. Großartig. Sie hilft uns eigentlich ganz genau zu sagen, ja, das ist eine Wahrheit, auf die du dich verlassen kannst, wenn du bereit bist zu akzeptieren, dass diese Wahrheit nicht einfach in einer normalen Sprache, in einem normalen Denken beheimatet ist.

53:02
Worüber man nicht reden kann, davon muss man erzählen. Das muss man verdichten. Die Bibel macht das im Blick auf Ostern absolut perfekt. Also, Gottes Wort in Menschen Wort. Menschen erzählen uns wunderbare Geschichten, in denen sie uns einladen, die Gottesbeziehung in den Geschichten zu entdecken. Das heißt theologisch der vierte Punkt, warum die Bibel als Lernbuch der Gottesbeziehung... Natürlich, für einen gläubigen Menschen ist das klar. Die Bibel lädt eins zu einer indirekten Gottesbegegnung. Indirekt. Da hüpft nicht einfach eine göttliche Erkenntnis aus der Seite. Aber im Lesen, im Versuch, hinter die Buchstaben zu schauen, sagen natürlich viele gläubige Menschen, hier habe ich eine Möglichkeit, so nah an Gott heranzukommen, hier spricht Gott in mein Herz, in mein Hirn, wie nirgendwo sonst. Also, deswegen völlig klar, einem Kind, einem Jugendlichen

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diese Möglichkeiten vorzuhalten, würde heißen, der Gottesbeziehung keine Chance zu geben. Ganz kurz nur vier Gedanken dazu, warum bildungstheoretisch ein Umgehen mit Bibel zentral wichtig ist. Also, noch mal kurz, was ist mein Ort, mein Sitz im Leben? Wenn Sie gefragt werden, zum Beispiel, warum gibt es konfessionellen Religionsunterricht an einer öffentlichen Schule? Das ist heute überall in Deutschland umstritten. Brauchen wir das? Oder warum gibt es konfessionelle Kindergärten? Warum sollen schon kleine Kinder sozusagen mit Bibel, mit Gottesglaube aufwachsen? Doch es gibt gute Argumente, auch außerhalb einer gläubigen Weltsicht. Und vier solche möchte ich Ihnen zumindest an die Hand geben. Das erste ist doch wenig umstritten. Die Bibel leistet einen unverzichtbaren Beitrag zum Aufbau von Allgemeinbildung und Weltbild. Dass wir unser Datum, unsere Jahreszahlen nach der Geburt Jesu terminieren, das ist eben ein religiöser Teil von Wirklichkeit.

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Dass wir unsere Hauptfeste, unsere vor allem für Schüler wichtig, Schulferien an den christlichen Feiertagen orientieren. Kinder sollen natürlich wissen, wie ihre Gesellschaft aufgebaut ist, warum solche Regelungen da sind. Dass Jesus bis heute die meist verfilmte Figur der Menschheitskultur ist, wissen nur wenige. Es werden fünf oder sechs Jesusfilme weltweit gedreht. Es gibt keine Figur der ganzen Menschheitsgeschichte, wo so oft allein das Filmische arbeitet. Oder denken Sie an die Musikgeschichte. Denken Sie an die Kunstgeschichte. Wenn du nicht weißt, wie die Bibel Wirklichkeit und Geschichten erzählt und deutet, dann wirst du einen beträchtlichen Teil von Kultur und Gesellschaft nicht verstehen. Also das ist das erste. Um ein gebildeter Mensch zu sein, um dich auszukennen in deiner Gesellschaft, wie wir leben, brauchst du biblische Grundkenntnisse. Das zweite aus bildungstheoretischer Sicht, sich mit der Bibel zu beschäftigen,

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hilft zum Erwerb von religiöser und nicht-religiöser Sprachfähigkeit. Wenn Sie mit Kindern heute zu tun haben, dann wissen Sie wahrscheinlich, es gibt so Grundsprachgesten, die viele Kinder heute gar nicht mehr können. Dank, Bitte, gehen Sie mal in die Grundschulklasse, versuchen Sie mal Sprachfähigkeiten im Blick auf Dank und Bitte auf die Formulierung dieser Sprachgesten zu entwickeln. Schauen Sie mal, ob das geht. Nein, das können viele Kinder überhaupt nicht mehr. Bitte und Dank sind die zwei Grundformen des christlichen Gebets. Bitte und Dank sind Reflexionsformen über das Gelingen von Leben. Der Blick voraus, dass Gott bitte das Leben gestalte. Oder der Dank als Blick zurück. Zwei Grundformen von Rede, von Reflexion, von Leben. Aber das gilt auch für die drei übrigen Grundformen der religiösen Sprache.

57:02
Für Lob. Wie viele Kinder können noch loben? Für Preis, das ist eine ganz eigene Sprachform, die ich jetzt nicht thematisiere. Aber vor allem auch die fünfte Grundform religiöser Rede, von Klage. Kinder, die nicht klagen können, die nicht gelernt haben, mit der Bibel Klage zu formulieren, mit den Psalmen, mit den Klage-Psalmen, mit Texten von Jesus. Kinder, die nicht klagen können, haben keine Möglichkeit, gegen Unrecht und Leiterfahrung im eigenen Leben und im bezeugten Leben sprachlich vorzugehen. Das ist eine der wichtigsten Entwicklungen der Spiritualitätsgeschichte, glaube ich, der letzten 30 Jahre. Wir mussten mühsam von den Juden wieder lernen, dass die Klage eine der fünf großen Grundgesten der Bibel ist. Eine der Sprachgesten, ohne die die Psalmen undenkbar wären. Und Jesus selbst stirbt mit einer Klage auf den Lippen, zumindest in einem der Berichte. Wer nicht klagen kann, hat keine Möglichkeit, Unrecht zu benennen.

58:04
Klagen ist ein entscheidender Grundgestus, der überhaupt kein Tabu verletzt. Denken Sie mal an den Hiob. Da brauchen Sie keine Religionskritik des 19. Jahrhunderts. Der Hiob ist ein Klager und Zweifler, der jede Blasphemie vorweggenommen hat. Teil des biblischen Kanons. Im Bibel selbst sind diese Sprachgesten zu Hause. Also, mit der Bibel arbeiten mit Kindern und Jugendlichen hilft Ihnen zum Aufbau von Sprache zur Bewältigung Ihres Lebens. Ob Sie das nun religiös tun oder nicht. Drittletzte meiner Überlegung, warum Bibel überhaupt wichtig ist. Nun, die Bibel bietet die Möglichkeit des Handelns und Hilfen zur Identitätsbildung der Identifikation auf Zeit. Denken Sie an den barmherzigen Samariter, sicher ein bisschen zu oft eingesetzt, aber deswegen, weil es eine wunderbare Geschichte ist. Wie soll ich handeln? Sie erinnern sich, Zuspruch, Anspruch.

59:02
Es gibt wunderbare Beispielgeschichten, in denen die Bibel zeigt, ein gutes Handeln im Blick auf andere Menschen könnte so aussehen. Du musst für dich überlegen, wie das in deinem Leben umsetzbar ist. Und natürlich die Hilfe zur Identitätsbildung mit biblischen Vorbildern, Figuren, selbst lernen. Ich nenne nochmal den Hiog. Wie kann ich mit Leitsituationen umgehen? Welche Sprache darf ich, kann ich, muss ich im Leid anwenden? Identitätsbildung durch biblische Vorbilder. Und das kann so weit gehen, muss nicht, dass man sich auf Zeit mit einzelnen biblischen Figuren identifiziert. Immer nur in Grenzen. Und das letzte erleben wir im Moment gesellschaftlich sehr stark, bildungstheoretisch. Der Umgang mit der Bibel ermöglicht eine Einübung in Kritik und Hoffnung. Warum mischen sich Christen im Moment politisch in einer Weise ein, wie wir das vorher nicht erlebt haben? Weil sie im prophetischen Erbe wissen, dass von Gott her eine gerechte Gesellschaft ein allererstes Anliegen ist.

60:05
Zuspruch, Anspruch. Wenn du erfüllt bist vom Zuspruch Gottes, darfst du nicht und wirst du nicht mit menschenverachtenden Zuständen in deiner Gesellschaft einverstanden sein. Einübung in Kritik und Hoffnung, das kann man mit Bibel lernen. Also zweimal vier Möglichkeiten, wie man die Fragen beantworten kann. Warum denn eigentlich soll die Bibel das Lernbuch der Gottesbeziehung sein? Viermal aus theologischer Perspektive, viermal aus eher bildungstheoretischer Perspektive. Ich komme zu meinem letzten Schritt. Ich habe vorhin versucht, mit Martin Buber einen gemeinsamen Grundzug von Judentum und Christentum ins Zentrum zu stellen. Sie erinnern sich, Zuspruch, Anspruch.

61:00
Jesus ist ein Meister dieser Dialektik von Zuspruch und Anspruch. Auch hier möchte ich ein Beispiel einspeisen. Wenn Sie an die Seligpreisungen Jesu denken, das Herzstück eigentlich vor allem der ethischen Botschaft Jesu. Wie beginnen die Seligpreisungen im Matthäus-Evangelium? Wie beginnt die Bergpredigt im Matthäus-Evangelium? Eben mit Seligpreisungen. Was sind Seligpreisungen? Zuspruch an die Menschen, die den Zuspruch besonders brauchen. So beginnt die Bergpredigt, nicht mit dem ethischen Zeigefinger des Du musst, du sollst. Zuspruch an die Menschen, selig sind, die in besonderer Weise Gottes bedürfen. Am Ende meiner Überlegung möchte ich einen etwas länger entfalteten Blick auf Jesus werfen. Wenn wir denn schon Christen sind, dann glaube ich, ist es gut und richtig, darüber nachzudenken. Nicht nur, wo wir auch gemeinsam, das ist entscheidend viel, mit dem Judentum teilen, sondern nein, es gibt auch eine spezifische Möglichkeit zu sagen,

62:01
der christliche Glaube hat bei all den Gemeinsamkeiten nochmal einen besonderen, ja was, Strom, Tupfer, Farbton, wie immer Sie das wollen. Ich will es wie folgt formulieren. Jesus ist tatsächlich für gläubige Christen in einzigartiger Weise eine Möglichkeit, Gott nahe zu kommen, die in unserer Sicht in keiner anderen Religion möglich ist. Warum? Hinnere Sie an Ausführungen heute Vormittag. Unsere Beziehung zu Gott, ob wir wollen oder nicht. Sie ist immer unter der Vorgabe des analogen Denkens und Redens. Und analog heißt, was immer ich über Gott sage, er, der sich entzieht, er, den ich immer nur ahnen und spüren kann, er lässt sich nie definieren, er lässt sich nie ganz scharf stellen im Sucher unserer Lebensperspektive. Nur die Analogie, die Unähnlichkeit unseres Denkens und Redens ist immer größer als die Ähnlichkeit. Ja, das bleibt bindend auch fürs Christentum mit einer Ausnahme.

63:04
Und diese Ausnahme ist der Mensch Jesus. Das ist das Besondere unseres Glaubens, dass das Göttliche herausgetreten ist aus der Entzogenheit des Ewigen, sondern in einem ganz bestimmten Menschen ein einzigartiges Profil bekommen hat. Übrigens, sobald wir diesen Jesus christologisch, also dogmatisch, theologisch deuten, sind wir wieder im analogen Sprachspiel. Und das passiert schon in der Bibel selbst. Also sobald wir den Menschen versuchen zu deuten auf seine Gottesbeziehung, auf seine Göttlichkeit, auf seine Gottessohnschaft hin, sind wir wieder in diesem Sprachspiel, in dem wir überhaupt über Gott sprechen können. Und das ist richtig und gut und wir müssen das tun. Aber sobald wir sagen, Jesus ist der Sohn Gottes, Jesus ist auferweckt und der Ewige, dann sind wir in einer theologischen Deutung. Und nichts daran ist schlecht, ja, verstehen Sie mich nicht falsch. Nur, es ist das klassische Sprachspiel, wie wir immer uns mit Gott auseinandersetzen.

64:05
Was ist die Ausnahme? Die Ausnahme ist der Mensch Jesus Christus. Jesus, dieser Mensch, der 30, 33, 37 Jahre, wir wissen es nicht genau, gelebt hat. Denn diesen Menschen in seiner Menschlichkeit, den können wir natürlich ganz konkret sehen. Den können wir so konkret fassen wie jeden anderen Menschen auch. Und wir wissen erstaunlich viel, auch historisch über ihn. Das Neue Testament selbst weiß schon, dass das eine ganz einzigartige Möglichkeit ist, das ewige Geheimnis Gottes, das sich eben immer auch entzieht, in besonderer Weise eben doch nahe bringen zu können. Zwei Zitate in dieser Hinsicht habe ich Ihnen mitgebracht. Im Kolossabrief, da heißt es über Jesus 1,15, dieser Jesus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. So, da haben Sie eine perfekte Sprachanleitung, wie wir biblisch gesehen mit Gott und mit Jesus umgehen.

65:02
Natürlich, Gott bleibt unsichtbar. Das ist im Alten Testament, das ist im Neuen Testament, das ist in der Kirchengeschichte. Du kannst ihn nicht empirisch fassen, definieren. Aber das Christentum sagt eben, ja, diese Ungreifbarkeit Gottes ist an einem Punkt durchbrochen. In Jesus, der das Ebenbild des Unsichtbaren ist. Wenn wir auf Jesus schauen, ahnen wir, sehen wir deutlicher, haben wir ein Profil vor Augen, wie der Unsichtbare ist. Das ist die christliche Grundüberzeugung. Übrigens, deshalb feiern wir Weihnachten. Das ist die theologische Grundbotschaft von Weihnachten. Der Unsichtbare bekommt ein Profil, eine Geschichte, eine Gestalt. Im Johannes-Evangelium wird eine ähnliche Aussage in den Mund Jesu selbst hineingesetzt. Dort sagt Jesus über sich, wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat. Wer mich sieht, Jesus, der hat die Möglichkeit scharfzustellen, genauer zu erkennen, wie denn Gott selbst, der Ewige,

66:06
der in vielem Unbekannt bleibende, der, dem ich mich immer nur annähern kann und darf, in mir, sagt das Johannes-Evangelium über Jesus, in mir bekommt dieser Unsichtbare ein Gesicht. Dieses Gesicht, dieses Profil. Was heißt das für religiöses Lernen im Christentum? Jedes christliche Lernen muss zentral ein jesuanisches Lernen sein. Und es muss ansetzen beim Menschen Jesus. Da wird es nicht stehen bleiben. Aber ansetzen, seine Lebensgeschichte, sein Tun, seine Worte. Das ist der Ansatz, weil es das Einzigartige ist, wo wir ein besonderes Profil in unserer Religion des ewigen göttlichen Geheimnisses vorfinden. Heute Vormittag habe ich versucht, Ihnen eine Grundart des theologischen Sprechens vor Augen zu stellen, worüber man nicht sprechen kann.

67:01
Darüber muss man dichten. Also stelle ich jetzt auch ein etwas ausgedeutetes Gedicht ans Ende meiner Ausführungen. Es ist ein Gedicht über Jesus Christus. Das wird Sie wenig überraschen. Bevor ich Ihnen das Gedicht vorlese und dann präsentiere, ausdeute ein kleiner Blick auf seinen Autor, denn den sollten Sie kennen. Andreas Knapp ist in meiner Wahrnehmung der wichtigste spirituelle Lehrer unserer Zeit. Vor allem im katholischen Bereich bekannt, aber ich glaube, seine Texte sind konfessionsübergreifend. Ganz kurz zu seiner Lebensgeschichte. Andreas Knapp wurde 1958 geboren in Baden-Württemberg und sein Leben war das eines klassischen binnenkirchlichen Karrieremenschen. Das sage ich ganz ohne Aburteilung. Die Kirche braucht auch Menschen, die in der Kirche Karriere machen. Also ein Studium in Freiburg, dann in Rom. Warum schickt die katholische Kirche hoffnungsvolle Nachwuchspriester nach Rom?

68:00
Na ja, klar, damit sie natürlich die künftige Elite in der katholischen Kirche bilden. So sollte das bei ihm auch funktionieren. Frühe Priester war er, dann ging er zurück ins Erzbistum Freiburg. Er war Regenz des dortigen Priesterseminars. Er war Hochschulpfarrer. Und es war völlig klar, wenn sein Weg weitergegangen wäre, wäre er heute mit Sicherheit mindestens Bischof. Erzbischof heilte ich für wahrscheinlicher. Und er wäre ein guter Bischof, aber ich bin froh für ihn, dass er es nicht geworden ist. Also ein Mensch aufgewachsen im klassischen kirchlichen katholischen Hierarchiesystem. Und der bricht dann irgendwann mit dieser Art von Lebenslauf. Er schließt sich einer spannenden Glaubensgemeinschaft an, den sogenannten kleinen Brüdern vom Evangelium, die ganz und gar anders leben wollen. Kleine Brüder vom Evangelium, man hätte es schon in dem unbekannten Namen ihres Ordens. Er geht einige Zeit nach Afrika, einige Zeit nach Lateinamerika. Er lebt unter den Ärmsten der Armen und kehrt dann, ich weiß gar nicht genau vor wie vielen Jahren, vor über zehn Jahren nach Deutschland zurück, aber völlig anders. Er überlegt, wo kann ich, wo will ich leben, wenn ich ein jesuanisches Leben heute als katholischer Priester leben möchte?

69:04
Und er geht nach Leipzig. Er lebt dort seitdem in einem dieser gesichtslosen Wohnblöcke. Sie kennen die zum Teil ganz gut. Und er beschreibt das so. 150 Menschen wohnen in diesem Wohnblock. Drei davon sind Christen, ich und meine zwei Mitbrüder. Also er geht in einen Kontext, wo das Christentum nicht zu Hause ist, ganz bewusst. Und er sagt, ich will eigentlich nicht von einem Priestergehalt leben, das ist so schön wie ein Professorengehalt. Da wirst du satt, da wirst du behaglich, da sprichst du über etwas, was du selbst nicht lebst. Zumindest ist es die Gefahr. Sondern er sagt nein, ich lasse mich von der Kirche nicht bezahlen. Ich lebe von meiner eigenen Arbeit, von dem Geld, das ich durch eigene Arbeit erwerbe. Er ist zunächst einige Jahre als Packer in einem Verlag halbtags tätig, jetzt seit einiger Zeit als Gefängnisseelsorge mit den härtesten Jungs. Und die andere Hälfte seiner Zeit schreibt er Texte. Und ist als spiritueller Lehrer deutschlandweit unterwegs. Wenn Sie die Chance haben ihn je zu hören, das lohnt sich.

70:05
In dieser Art von Leben in Deutschland entdeckt er die Poesie als seine Ausspracheform. Er entdeckt, dass er Menschen ansprechen kann, nicht so sehr durch Predigten, auch nicht so sehr durch geistliche Meditation, sondern in der verknappten Form von Lyrik. Und da schreibt er eine ganz eigene Lyrik. Man merkt, da schreibt einer, der einerseits gefunden hat, sein Christentum, seinen Glauben. Und der weiß, als jemand, der gefunden hat, bleibst du immer auf der Suche. Im Glauben und in der Form deiner Sprache. Es sind inzwischen, ich glaube, zwölf Lyrikbände erschienen jedes Jahr. Oder jedes zweite Jahr kommt ein schmaler Band, ganz unprätentiös. Es sind wunderbare spirituelle Texte, die ich Ihnen wirklich nur ans Herz legen kann. Von Andreas Knapp also abschließend ein Text, Sprache von Gott für Kinder und Erwachsene, im Blick auf Jesus, das Herzstück dessen, was in der Bibel für Christen steht.

71:04
So geht das bei ihm. Nicht 99 Namen, die den Unaussprechlichen doch nicht benennen, in diesem Namen aber du selbst bist es. Nicht tausend Götterbilder, die den Unsichtbaren doch nicht zeigen, in diesem Menschen aber dein Gesicht. Nicht den alltagsfernen Tempeln, die der Unfassbare doch nicht bewohnt, in diesem Leib und Leben aber ist dein Geheimnis wieder heim. Nicht Formeln und Begriffe, die dem Unbegreiflichen sich doch nicht nähern. Mit diesen Händen aber berührst du deine Welt. Nicht viele fromme Reden, die den Unsagbaren doch nicht verkünden, in dem Mann aus Galiläa aber bist du mit einem Wort gesagt.

72:07
Ein paar Deutestriche. Das Schöne an Gedichten ist, es gibt keine perfekte Interpretation. Wenn es eine abschließende Interpretation und Deutung eines Gedichttextes, eines Bibeltextes gäbe, wäre der Text tot. Bibeltexte und Gedichttexte dürfen vielfältig sein, weiterleben, unterschiedliche Assoziationen zulassen. Also was mir auffällt, es sind fünf Annäherungen an das, was Jesus so besonders macht. Warum Jesus im Herzstück des Christentums steht und warum Jesus im Zentrum eines jeden Lernprozesses über das Christentum stehen sollte. Fünfmal wird gesagt, was nicht funktioniert. Und gegen jede Schablone, die sagt, so kann es nicht funktionieren, wird als Kontrast ein kleiner Blick auf Jesus geworfen. Gehen wir es mal durch. Erste Schablone, die zurückgewiesen wird, die 99 Namen Gottes.

73:01
Ich weiß nicht genau, wer von Ihnen mit diesem Begriff etwas anfangen kann. Es ist eine alte Tradition, die, das wissen viele nicht, aus dem Judentum stammt, die aber im Islam bis heute eine zentrale spirituelle Hauptform ist. Muslime beten ja, wie manche Katholiken, mit einer Gebetskette. Das ist nicht dieselbe, der Rosenkranz und die muslimische Gebetskette sind aber ganz ähnlich. Was ist die Idee? Im Islam hast du 33 Perlen. Jede Perle wird gebetet und man bedenkt einen der schönen Namen Gottes. Du umkreist das göttliche Geheimnis in einer Konzentration, einer inneren Konzentration auf Gott und versuchst mit immer wieder neuen Namen, der friedfertige, der barmherzige, der friedensstiftende, dich an diesen Gott heranzudenken, zu fühlen, einzustimmen. Eine wunderschöne Tradition, wie gesagt, ursprünglich jüdisch. Wenn Sie jemals diese 99 Namen vor sich haben, merken Sie, es ist ein perfektes Gebet, das ich zumindest mit Juden und Muslimen ohne Schwierigkeiten zusammen beten kann.

74:04
Nichts von den Namen, nichts von der Spiritualitätsform ist eine, die für einen Christen in irgendeiner Weise anstößig sein müsste. Was ist die Grundidee dieser 99 schönen Namen Gottes? Den Hundertsten. Den wirst du nie wissen als Mensch. Wenn du den Hundertsten, den letzten wüsstest, dann wärst du wie Gott. Die 99 Namen sind eine Umkreisung, deswegen ja auch in den Perlenschnuren ein sich herumtasten im Wissen, das Zentrum entzieht sich einer Greifbarkeit. Ich finde eine wunderschöne Spiritualität. Also Andreas Knapp aber sagt ja, aber nicht die 99 Namen, weil sie den unaussprechlich in dem nicht benennen. Benennen würde der Hundertste und den wissen wir nicht. Das Christentum, sagt Andreas Knapp in seiner ersten Versgruppe. Ja, ja, nichts ist falsch an diesen 99 Namen, solange ich sie nicht für einen letzten Zielweg halte.

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In diesem Namen aber, das ist die christliche Überzeugung, bist du es selbst. Im Namen Jesus Christus ist das ewige Geheimnis Gottes, das sich sonst nur umkreisen kann, direkt erspürbar, erfahrbar, sichtbar im Blick auf die Biografie. Also der erste Zugang, Namen, die ich Gott gebe, die ihn immer nur umkreisen. Das Christentum sagt, der Name Jesus Christus, er lässt uns das Ebenbild des Unsichtbaren erspüren. Zweite Versgruppe, Bilder. Nun ja, Sie wissen alle, es gibt unterschiedliche Zählungen der zehn Gebote. Sie wissen vielleicht auch, zwischen den Konfessionen, selbst zwischen den evangelischen Gruppierungen, gibt es heftige Streitigkeiten, welche nun die zehn Gebote sind. Man kann insgesamt 23 zählen und welche man jetzt als zehn daraus herausnimmt, ist nicht beliebig, aber unterschiedlich möglich. Die Frage nach der Abbildbarkeit des Göttlichen unterscheidet die christlichen Konfession.

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Ich gehe jetzt nicht in die Streitigkeiten hinein. Die Lutheranische und die römisch-katholische Kirche sind hier Seite an Seite, gegen manche andere evangelische Kirchen, auch gegen die reformatorische Kirche. Sie sagen, an Bildern ist nichts falsch, wenn wir wissen, dass sie Bilder sind. Das Bilderverbot meint eigentlich nicht, dass man keine Bilder machen darf, sondern wir dürfen nicht verwechseln, dass das Bild das Göttliche darstellt und ist. Gerade pädagogisch, glaube ich, würden viele sagen, doch, Bilder, Kinderbibeln, die bebildert sind, daran ist nichts falsch, weil die Kinder spüren und wir Erwachsene wissen, diese Bildrealität ist doch nicht die Göttliche. So ähnlich sagt es hier Andreas Knapp, glaube ich, auch. Nicht tausend Götterbilder, die den Unsichtbaren ja nicht zeigen, eben, Gott sei Dank nicht. Aber sie versuchen sich in Bildsprache an ihn heranzutasten. Nein, sagt Andreas Knapp, wenn es um Bilder geht, dann ist für Christen das zentrale Bild das Gesicht Jesu.

77:05
Jesus ist das Bild, das Abbild des unsichtbaren Gottes. Das ist das spezifisch Christliche. Dritte Versgruppe. Alle Religionen versuchen, ihren Glauben in bestimmten Gebäuden auszudrücken. Heißen die nun Kirchen, heißen sie Gemeindesäle, heißen sie Tempel, Synagoge oder wie immer. Und das ist auch richtig so. Und schön, dass es so unterschiedliche Traditionen heiliger oder besonders ehrfurchtsvoller Räume gibt. Aber manche Religionen glauben, dass Gott dort in besonderer Weise zu Hause ist und außerhalb nicht. Da sagt zumindest Andreas Knapp Vorsicht. Nicht in solchen alltagsfernen, eben sonntäglichen, samstäglichen Tempeln, die der Unfassbare doch nicht bewohnt ausschließlich. Nein, nein. Wenn wir nach Räumen suchen, in diesem Leib und Leben, im Leib und Leben Jesu, da ist das Geheimnis Gottes wieder heim.

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Also nichts spricht dagegen, dass wir Gott Häuser bauen, dass wir uns in besonderen Häusern treffen, in besonderer kunstvoller Weise in solchen Räumen anbeten. Aber wir müssen wissen, der eigentliche Raum, in dem Gott sich zeigt, ist Leib und Leben Jesu. Vierte Strophe, das ist nun meine Lieblingsstrophe in der Auseinandersetzung mit meinen dogmatischen Kollegen. Nichtformeln und Begriffe, die dem Unbegreiflichen sich doch nicht nähern. Auch hier gilt, doch, wir brauchen Formeln, doch, wir brauchen Begriffe, doch wir brauchen auch wahrscheinlich Katechismus Sprüche, wenn wir wissen, wie sie funktionieren und wie sie nicht funktionieren. Sie werden den Unbegreiflichen nicht in Begriffe fassen, sondern Blickwechsel, mit den Händen Jesu aber berührst du Gott deine Welt. Und das letzte, auch selbstkritisch an mich selbst, durchaus rückgespiegelt, ein Mann vieler Reden, naja, das ist man als Professor, ob man will oder nicht.

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Ich will. Nicht viele fromme Reden, egal wie klug sie sind, egal wie rhetorisch geschliffen oder nicht geschliffen, egal ob von der Kanzel, vom Katheder oder im Klassenzimmer oder zu Hause. Nicht viele fromme Reden, die den Unsichtbaren eben nicht verkünden in einer Weise der Zugriffigkeit. In dem Mann aus Galiläa aber bist du, Gott, mit einem Wort ausgesagt. Also Jesus als zentraler Zugang zu unserem Glaubensgeheimnis, Jesus als die Figur, in die der Zuspruch Gottes in einzigartiger Weise fassbar wird. Nicht den Namen, nicht den Bildnissen, nicht den Tempeln oder anderen Häusern, nicht den Formeln und Begriffen, nicht den Predigten oder Reden, sondern das Besondere, der zentrale Zugang bis Jesus selbst. Das ist ganz kurz gesagt das Geheimnis des Christentums. Vielen Dank.

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Mit Kindern die Bibel entdecken | 7.3.3

Worthaus 7 – Weimar: 30. April 2017 von Prof. Dr. Georg Langenhorst

Am Anfang ist es ja noch schön einfach: Man erzählt Kindern diese spannenden Geschichten von einem Mann, der hungrige Löwen besänftigte, einem Mann, der von einem Wal verschluckt wurde, oder einem Mann, der Besuch von Engeln bekam. Die Kinder hören neugierig zu und sprechen danach ihr Abendgebet zum lieben Gott. Dann kommt die Pubertät. Und damit die Fragen: Warum lässt Gott Leid zu? Warum erhört er meine Gebete nicht? Warum soll ich an die Schöpfungsgeschichte glauben, glaubt ja sonst auch keiner? »Der Kinderglaube verdunstet«, warnt Religionspädagoge Georg Langenhorst. Die Pubertät zertrümmert den Glauben. Aber das Grundmaterial ist meist noch da. Langenhorst erklärt, wie Eltern und Lehrer mit diesem Material arbeiten können, was Kinder und Jugendliche aus der Bibel lernen und warum auch Kinder und Jugendliche die Bibel kennen sollten, deren Eltern nichts mit Gott anfangen können.