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Das Thema heißt Luthers Verständnis der Rechtfertigung. Ich möchte ein paar Vorbemerkungen machen. Luther spricht immer wieder vom Artikel von der Rechtfertigung. Dieser Begriff Artikel ist nicht grammatisch gemeint. Der, die, das. Im Deutschen gibt es drei Artikel, im Englischen Gott sei Dank nur einen, im Französischen zwei. Das ist hier überhaupt nicht gemeint, sondern Artikel ist im juristischen Sinn gemeint. Nehmen wir mal das Grundgesetz. Artikel 1 bis 19 sind die Grundrechte. Also Artikel 7 Absatz 3 regelt den öffentlichen Religionsunterricht.

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Artikel 20 geht dann über die Parteien und ab Artikel 21 bis weit über 100 sind dann die Artikel unserer Verfassung. Also grundlegende juristische Texte haben meistens Artikel, Vertragstexte und so weiter. Warum? Das ist prägnant, das ist eine gute Gliederung. Dann kann man sagen, schau doch mal in Artikel 72 nach, finden wir es auch schnell. Und so, müsst ihr euch vorstellen, hat man in der mittelalterlichen Theologie auch geredet. Von einem Artikel der Theologie, also zum Beispiel der Artikel Schöpfung, der Artikel Sünde, der Artikel die Kirche, die Sakramente, der Artikel von Tod und Auferstehung und so weiter. Man könnte auch sagen, es sind Kapitel oder man könnte auch sagen, es sind Lehrstücke. Gut, also das vorneweg, wenn ich dann nachher sage, der Artikel von der Rechtfertigung.

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Dann muss ich noch, will ich eine zweite Vorbemerkung machen. Luther spricht sehr stark in juristischen Kategorien. Er verwendet juristische Begriffe. Wenn ich also nachher euch den Artikel von der Rechtfertigung vorstelle, werdet ihr irgendwie völlig verblüfft sein oder auch befremdet und ihr werdet euch fragen, sind wir hier eigentlich in einer juristischen Veranstaltung? Also das vorneweg, dass ihr euch nicht wundert. Warum redet Luther in juristischen Kategorien? Auch das Wort Artikel ist ja im juristischen Sinn gemeint und auch das Wort Rechtfertigung ist ja schon juristisch, steckt ja das Wort Recht drin. Also warum bevorzugt Luther die juristischen Kategorien? Ich glaube, dass wir das heute in der Erfahrungswelt der Moderne, in der Erfahrungswelt der Teenager, der jungen Leute, der Landschaftsgärtner, der Banker, der Taxifahrer und so weiter,

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dass wir das so nicht mehr eins zu eins machen können. Aber ich halte mich dran, weil ich jetzt euch erst mal Luther vorstellen will und ich kann Luther nur vorstellen in seiner eigenen Sprache und die muss man ein klein Stück weit lernen, verstehen lernen. Und die ist eben sehr juristisch geprägt. Und deswegen kann ich das bei meinem ersten Vortag über die Rechtfertigung, kann ich nicht die ganze Sprache von Luther ändern. Also ich muss mich jetzt mal ein Stück weit dran halten. Warum bevorzugt Luther die juristischen Begriffe und Kategorien? Das hat zwei Gründe. Einmal hat Luther eine sehr tiefe Erkenntnis darüber gewonnen, was Meinungen sind. Meinungen. Wir haben alle unsere Meinungen.

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Was meinst du dazu? Bild dir deine Meinung und so. Ich muss mir meine eigene Meinung bilden. Was werden wohl die Nachbarn dazu meinen? Und was andere Leute über mich meinen und über dich, wenn wir das hören, das trifft uns sehr tief. Oder wenn jemand sagt, du, der findet dich ganz toll. Das läuft rein wie Butter. Ich habe mal ein furchtbares Erlebnis gemacht. Ich schäme mich ein bisschen, dass ich da nicht rechtzeitig eingegriffen habe. Aber mir war das als junger Vicar damals selber auch noch nicht so klar. Da kam so die Psychowelle in der Vicas-Ausbildung. Da waren wir vielleicht, ich glaube, 28 Vikare. Und dann haben irgendwie zwei, drei sozusagen besonders progressive Vikare oder Vikarinnen, ich weiß es nicht mehr, die haben an einem Abend, da waren wir alle beieinander, gesagt, so, wir machen jetzt mal eine Rückmeldeprunde.

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Jeder sagt über jeden, was er von ihm hält, welche Meinung er von ihm hat. Also da kam der erste dran und er hörte 27 Meinungen. Da kam der zweite dran, das wurde ein langer Abend bis nach Mitternacht. Und ich kann mich an einen, ich darf einfach mal so sagen, ich bin ziemlich gut weggekommen. Es war für mich rein privatistisch gesehen eigentlich ein guter Abend. Aber neben mir saß ein Vicar, ich will gar nichts sagen, der lebt schon lange nicht mehr in Baden-Württemberg, ich weiß gar nicht, wo er lebt. Also neben mir war ein Vicar und von den 27 Meinungen waren außer meiner alle negativ. Der kam dann zu mir aufs Zimmer hoch, hat geheult, hat die Nacht nicht geschlafen. Er war kaputt. Ich meine, das ist ja mörderisch. Ich schäme mich, dass ich gesagt habe, Leute, das geht nicht.

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Aber ich war damals auch so ein bisschen angekränkelt von dieser Transparenz und so ein Mist. Also ich will damit nur sagen, unsere Meinungen, und da hat Luther folgende tiefe Erkenntnis gewonnen. In der Meinung der Menschen, das sind Einschätzungen, wie schätzt du die Sache ein? Und deswegen sind Meinungen ein Urteil. Eine Meinung ist eigentlich ein Urteil. Auch Meinungen über den anderen Menschen macht euch nichts vor, das ist ein Urteil, das ist eine Beurteilung. Wir zappeln alle im Netz der Beurteilung. Also, weil Luther tief gespürt hat und erkannt hat, die Welt ist voller Meinungen, Wittenberg ist voller Meinungen, Heidelberg ist voller Meinungen und dein kleines Kaff und deine Hausgesellschaft, alle voller Meinungen, das sind alles Urteile.

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Das Phänomen des Urteils ist von größter Bedeutung in der menschlichen Lebenswelt. Das ist der eine Grund, seine tiefe Berücksichtigung der Gewalt der Meinungen. Der zweite Grund ist der, Luther geht es um das, was gilt. Palafen zu zwei, drei Leuten fliegt es gar nicht mehr durch, dann sagt man am Ende, also was gilt jetzt? Das kann ich jetzt sagen, das kann ich jetzt sagen. Was gilt, da will man sagen, auf das läuft es jetzt raus. Und das kann man oft sehr gut in juristischen Kategorien ausdrücken. Denn in den Gesetzen, in den Vertragswerken, in den Artikeln, da wird das festgelegt, was gilt.

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In diesen juristischen Kategorien, das sind die harten Fakten. Wenn man irgendwo ein Projekt hat oder an der PH irgendwas ins Leben rufen will, dann muss man oft sagen, das müssen wir erst mal juristisch prüfen. Müssen wir erst mal die Juristen fragen, weil die Juristen sagen, es ist gar nicht möglich, es ist rechtlich gar nicht möglich oder es ist rechtlich in diesen Grenzen möglich. Also die Juristen regeln, was gilt. Und Luther geht es auch deswegen darum, weil die juristische Sprache sehr präzise ist, sehr prägnant. Da kann man am genauesten sagen, was gilt. Und Luther geht es darum, was gilt eigentlich bei Gott. Gott hat auch eine Meinung, Gott hat eine Meinung über dich, über mich auch und übrigens über dich auch. Also Gott hat da, es wäre mal interessant, wenn wir mal die Meinung wüssten, die Gott von dir hat oder von mir. Und wenn man da noch präziser nachfragt, dann muss man sagen, was gilt dann bei Gott.

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Und bei Luther hängt es auch noch mit Folgendem zusammen. Luther will die Liebe Gottes zur Geltung bringen. Weil mit dem, was gilt, bringt man eine Sache zur Geltung. Und das kann man besonders gut in juristischen Kategorien. Also soweit die Vorbemerkung, weil ohne das würdet ihr jetzt einfach schlaff da hängen und ihr würdet nicht gefühlsmäßig mit einsteigen können in diese juristische Welt. In der es Luther aber in jeder Hinsicht darum geht, die Liebe Gottes zur Geltung zu bringen. Jetzt hat mein Vortrag zwei Teile. Der erste Teil, der kürzere Teil heißt die Funktion des Rechtfertigungsartikels bei Luther.

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Die Funktion des Artikels von der Rechtfertigung. Und der zweite Teil dann der Artikel der Rechtfertigung selber. Aber erstmal, wenn man es verstehen will, welche Funktion hat dieser Artikel in der Theologie, im christlichen Glauben. Gut, jetzt muss ich sehr präzise reden, weil Luther hier sehr präzise und prägnant denkt und redet. Sehr präzise und sehr prägnant. Für Luther ist der Artikel von der Rechtfertigung nicht ein Artikel neben anderen Artikeln der Theologie. Er ist auch nicht der wichtigste aller Artikel. Das wäre noch viel zu wenig. Er ist auch nicht der grundlegende aller anderen Artikel. Das wäre noch viel zu wenig.

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Weil das wäre immer noch irgendwie isoliert. Weil der wichtigste Artikel neben 25 anderen, die nicht ganz so wichtig sind. Oder der grundlegende und die anderen bauen drauf auf. Das ist alles noch zu wenig. Das ist immer noch ein bisschen isoliert. Nein, der Artikel von der Rechtfertigung ist für Martin Luther die alles erschließende Mitte des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie. Die alles erschließende Mitte, die alles bestimmende Mitte und die alles zusammenhaltende Mitte. Also im Artikel von der Rechtfertigung geht es um das Ganze.

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Es geht um das Ganze des christlichen Glaubens, um das Ganze der christlichen Theologie. Und dieser Artikel kann der christlichen Theologie ihre Einheit geben. Darin gründet die Einheit. Und darin gründen alle Konsequenzen. Also ich sage nochmal, weil das ist so ungeheuer wichtig. Für Martin Luther ist der Artikel von der Rechtfertigung nicht ein Lehrstück neben anderen Lehrstücken. Auch nicht deren Wichtigstes und Grundlegendes. Sondern für Martin Luther ist der Artikel von der Rechtfertigung die alles erschließende, alles bestimmende und alles zusammenhaltende Mitte des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie. Er bringt das Ganze zum Ausdruck und damit die Einheit und die Konsequenzen. Nur der Artikel von der Rechtfertigung ist dazu in der Lage.

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Warum? Warum? Weil nur der Artikel von der Rechtfertigung Gottes Gottheit gebührend würdigt. Gottes Größe, die unermessliche Tiefe seiner Liebe. Nur der Artikel von der Rechtfertigung kann Gottes Gottheit gebührend würdigen. Deshalb ist er der Maßstab für Glauben und Theologie. An dem alles andere zu prüfen ist. Was dem Artikel von der Rechtfertigung widerspricht, ist bereits damit als Irrtum erwiesen. Höhere Maßstäbe als der Artikel von der Rechtfertigung gibt es nicht. Der Artikel von der Rechtfertigung ist der höchste Maßstab.

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Luther sagt in seiner großen Galaterbriefvorlesung auf Lateinisch, aber ich sag's auf Deutsch, der Artikel von der Rechtfertigung ist Herr und Richter aller Lehre. Jetzt ist es so, dass das nicht eine willkürliche Bevorzugung ist. Also Luther greift da irgendein Lehrstück auf von der Rechtfertigung. Wo kommt das überhaupt in der Bibel vor? Ach so, ja, Römerbrief und dann noch Galaterbrief. Aber sonst eigentlich kommt mengenmäßig ja gar nicht so groß vor in der Bibel. Und jetzt sagt der gute Mann aus Wittenberg, das ist der Maßstab Herr und Richter aller Lehre, die alles erschließende, alles bestimmende und alles zusammenhaltende Mitte der Theologie. Das könnte ja jeder sagen. Also Hans Küng in seiner sehr beachtlichen Doktorarbeit, die er als junger Mann geschrieben hat,

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Luthers Rechtfertigungslehre, das war noch kurz vor Beginn des zweiten Vatikanischen Konzils. Da war Hans Küng, also ein junger Mann, vielleicht 30 Jahre alt, ich weiß nicht genau, und er stellt Luthers Rechtfertigungslehre für damalige Verhältnisse. Es war noch eigentlich vor dem Beginn der ökumenischen Prozesse. Es ging mit so einem Buch wie Hans Küng und Pfürtner und andere ging es los. Also er hat die Rechtfertigungslehre von Luther relativ gut dargestellt für einen Katholiken der damaligen Zeit. Aber dann kommt seine Kritik. Wieso kann Luther sagen, also die Rechtfertigungslehre selber hat er ziemlich gut dargestellt. Aber als es um die Funktion dieses Artikels geht, die alles bestimmende, zusammenhaltende, erschließende Mitte, da hat Hans Küng gesagt, das ist das Guten zu viel. Die alles erschließende, bestimmende, zusammenhaltende Mitte der Theologie ist Jesus Christus.

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Christus ist das Zentrum und die Mitte, aber doch nicht die Rechtfertigung. Also hat Hans Küng schon in der Richtung gesagt, das ist schon ein bisschen eine willkürliche Bevorzugung eines partiellen Lehrstücks. Nein, bei Luther ist es gar kein partielles Lehrstück. Aber für Hans Küng ist es, so schnell kommt man da nicht raus, die willkürliche Bevorzugung eines partiellen Lehrstücks zum Schaden des wirklich zentralen Lehrstücks und das ist Jesus Christus. Hans Küng weiß längst, dass dieses Urteil falsch war. Aber damals als 30-Jähriger war mir das noch nicht klar, aber bald, zehn, 15 Jahre später bestimmt. Nein, das ist völlig falsch. Nämlich, damit Jesus Christus das Zentrum der Theologie sein kann, brauchen wir den Artikel von der Rechtfertigung.

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Denn nur der Artikel von der Rechtfertigung bringt Gottes Gottheit, auch Jesu Christi Gottheit und Würde gebührend zur Geltung. Also der Artikel von der Rechtfertigung ist deshalb der zentrale, allesbestimmende, alles beherrschende Maßstab, damit Jesus Christus in seiner Größe und in seinem zentralen Gewicht zur Geltung kommen kann. Der Rechtfertigungsartikel bringt die Würde Jesu Christi und die Größe Gottes zur Geltung. Nur er. Jetzt gibt es noch einige weitere Dinge, die man wissen muss vorher, bevor wir anfangen. Der Artikel von der Rechtfertigung widerspricht dem Fleisch, sagt Luther, so sehr, dass niemand dem Artikel der Rechtfertigung ganz glauben kann.

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Niemand, ich nicht und ihr alle nicht, kein Mensch auf der Welt kann diesen Artikel ganz glauben. Denn er widerspricht dem Fleisch so sehr. Mit Fleisch meint Luther deinen Meinungen, deinen Eigeninteressen. Auch der Artikel der Vernunft widerspricht der Vernunft so sehr, dass wir Menschen, die ja die Vernunft brauchen, den Artikel nie ganz glauben können. Keiner. Ich habe ja hier gerade 60 Minuten, das ist fast gar nichts. Also rechnet mal bitte damit, euch mit diesem Artikel zu beschäftigen. Das sind fünf oder zehn Jahre wenig. Ich beschäftige mich mit ihm jetzt seit 30 Jahren, aber ich sage euch ohne Flachs, das meine ich jetzt nicht flapsig. Ich glaube, dass ich vom Meer einen Löffel habe. Der Löffel reicht mir schon fast, aber ich weiß, es ist nur ein Löffel vom Pazifik.

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Also der Artikel von der Rechtfertigung ist unergründlich, geheimnisvoll, nie ganz zu lernen. Trotzdem, der Artikel von der Rechtfertigung ist das entscheidende Kriterium der theologischen Urteilskraft. Und deswegen macht dieser Artikel den Theologen zum Theologen. Er ist das einzige Mittel gegen die Sekten. Denn was diesen Artikel widerspricht, ist sektiererisch. Gut, dieser Artikel ist aber keine Theorie. Er ist kein Axiom. Er ist kein Prinzip, über das wir verfügen können. Es geht bei dem Artikel von der Rechtfertigung nicht um eine Theorie,

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nicht um eine Lehre, sondern um ein Geschehen, um eine Realität. Es geht nicht um die Lehre von der Rechtfertigung, die brauchen wir natürlich, um die Sachen zu klären, aber das ist nur ein Hilfsmittel. Es geht um die Rechtfertigung selber. Also nicht, dass einer meint, die Lehre von der Rechtfertigung sei das Wichtigste. Nein, das ist ja nur ein Hilfsmittel. Es geht um das Rechtfertigungsgeschehen, das dich packt und wo du fröhlich wirst. Darum geht es. Also es geht um eine Wirklichkeit, um ein Geschehen, nicht um eine Theorie, ein Prinzip oder ein Axiom, das wir händeln können. Die Kirche verfügt nicht über den Artikel von der Rechtfertigung. Es ist kein Besitz. Er ist kein Besitz einer Kirche. Er ist der aller Verfügung entzogene Grund der Kirche.

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Und der Artikel von der Rechtfertigung ist die Zusammenfassung aller reformatorischen Soli. Allein Gott, Solus Deus, Sola Grazia, Solo Verbo, Solus Christus, Sola Fide, Sola Scriptura. Das alles zusammengefasst im Artikel von der Rechtfertigung. Soweit zur Funktion dieses Artikels. Diese Funktion, darf ich mit großer Überzeugung sagen, habe ich nirgendwo außerhalb der reformatorischen Theologie gefunden. In keiner Freikirche. Auch nicht in den Freikirchen, die da ein bisschen schnell sagen, Luther hat nur die halbe Reformation gemacht, wir machen jetzt die ganze. Wir müssen über Luther weit hinaus. Nein, soweit ich das in 30 Jahren kennengelernt habe, sind die alle hinter Luther zurück, weil sie haben Luther gar nicht verstanden.

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Meinen aber, dass sie ihn verbessern müssen. Das ist aber eine Tragik. Gut, also jetzt möchte ich euch den Artikel von der Rechtfertigung vorstellen. Niemand kann ihn ganz glauben. Niemand wird in seinem Leben fertig mit diesem Artikel. Er ist unserer Verfügung entzogen. Aber er ist die alles erschließende, alles bestimmende und alles zusammenhaltende Mitte des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie. Den Artikel von der Rechtfertigung kann man in einem Satz zusammenfassen und den versuche ich dann zu interpretieren, soweit es mir heute Morgen möglich ist und es mir gelingt.

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In einem Satz zusammenfassen. Auch da merkt man schon, dass Luther die Sachen unglaublich einfach ausdrücken kann. Nicht vereinfachend, nicht simpel, aber elementar einfach. Also ich sage euch jetzt den Artikel von der Rechtfertigung. Er heißt in der Sprache und im Denken Martin Luthers. Gott rechtfertigt den Sünder um Christi Willen, indem er im Sünder Glauben schafft. Das sage ich jetzt noch zweimal, damit ihr ihn, kann man sicher sehr schnell auswendig merken, aber auswendig lernen kann man ihn ein Leben lang nicht. Gott rechtfertigt den Sünder um Christi Willen, indem er im Sünder Glauben schafft.

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Jetzt ein drittes Mal. Gott rechtfertigt den Sünder um Christi Willen, indem er im Sünder Glauben schafft. Das ist der Artikel von der Rechtfertigung. Er ist Herr und Richter aller Lehre. Der Grund der Kirche, der der Kirche entzogen ist. Also Gott, ist ein Baustein jetzt, rechtfertigt als Verb hier, handlungsorientiert. Gott rechtfertigt, zweiter Baustein, den Sünder, dritter Baustein, um Christi Willen, vierter Baustein, indem er im Sünder Glauben schafft, fünfter Baustein. Ich tue diese fünf Bausteine jetzt einfach im Sinne des Artikels der Rechtfertigung erklären, nur dass ich den zweiten rechtfertigt am Ende erkläre.

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Weil das ist ja das Wort, um das es dann geht. Also ich erkläre jetzt mal diese Bausteine in diesem Satz, aber das Wort rechtfertigt, um das es geht, ist dann der Höhepunkt am Ende. Also der Satz beginnt mit Gott. Solus Deus, allein Gott. Niemand anders kann rechtfertigen als Gott. Alles Gute kommt von ihm. Ihm allein gebührt die Ehre. Gott ist der Grund, die Ursache, er hat alles, er hat die Lawine losgetreten, niemand anders. Er ist der allein Wirksame im Rechtfertigungsgeschehen. Paulus sagt mal in 2 Korinther 5, wo es um die Versöhnung, Gott versöhnte die Welt mit sich, nicht sich mit der Welt, wie es manche dann missverstehen. Gott versöhnte nicht sich mit der Welt, durch das unschuldige Opfer Jesu ist sein Zorn weg und jetzt kommt seine Gnade, das ist ja vollkommen falsch.

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Sondern Gott versöhnte die Welt, er versöhnte dich und mich mit sich. Also Gott versöhnte die Welt mit sich und dann sagt Paulus, da kommen noch ein paar weitere Sätze, und das alles von Gott. Und das nimmt Luther hier ganz ernst. Also Gott ist das Subjekt und es gibt kein anderes Subjekt. Da kann man gleich mal sagen, ja aber um Christi willen, also wie verhalten sich da Gott und Christus? Christus ist nicht das Subjekt, aber um seinet willen, also das ist alles ganz genau überlegt. Weil Luther ist sehr christocentrisch, der christliche Glaube ist überhaupt sehr christocentrisch. Wir glauben an Jesus Christus. Ein Muslim glaubt nicht an Mohammed und ein Jude glaubt nicht an Mose.

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Aber wir Christen, wir glauben an Jesus Christus. Ein Muslime glaubt an den Koran, aber nicht an Mohammed. Der Koran steht weit über Mohammed. Man kann doch nicht an einen Menschen glauben. Wir glauben an den Koran als das unmittelbare Wort Allahs. Und ein Jude würde sagen, ich glaube an die Thora. Natürlich glaube ich an Gott, aber die Thora ist für mich der entscheidende Offenbarung Gottes. Letztlich natürlich glauben wir nur an Allah oder an Gott, aber eben die Thora und der Koran ist das heilige unmittelbare Offenbarungswort Gottes. Wir glauben nicht an die Bibel. Glauben wir nicht. Das heißt ja, im apostolischen Glaubensbekenntnis ich glaube an Gott, den Vater, an Gott, den Sohn und an Gott, den Heiligen Geist.

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Das heißt ja nicht, viertens, ich glaube an die Bibel. Es gibt Christen, die glauben an eine Viereinigkeit. Die haben eigentlich eine Viereinigkeit. Die glauben an Gott, den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist und dann glauben sie noch an die Bibel. Das ist aber ein grundlegender, sektiererischer Irrtum. Aber wir glauben an Jesus Christus, der als ein Mensch in Galiläa und Jerusalem gewirkt hat. Also sehr christocentrisch. Die Sakramente Taufe und Abendmahl haben alle mit Jesus Christus zu tun. Weihnachtsfest, Karfreitag und Ostern, die drei großen Feste haben alle mit Jesus Christus zu tun. Der christliche Glaube steht und fällt mit Jesus Christus. Der christliche Glaube ist so spannend, wie Jesus Christus spannend ist. Er ist so glaubwürdig, wie Jesus Christus glaubwürdig ist. Jesus Christus ist das Attraktivste, was der christliche Glaube zu bieten hat.

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Nicht die Kirche. Da kann man sehr geteilter Meinung sein. Es gibt eigentlich kaum ein Verbrechen, das die Kirche nicht schon begangen hat. Also das Attraktivste an christlichem Glauben ist Jesus Christus. Und trotzdem beginnt Luther mit Gott. Die ganze Christocentrik der reformatorischen Theologie dient der theocentrik. Der christliche Glaube konzentriert sich nur deshalb auf Jesus Christus, weil es um Gott geht. Wenn es Gott nicht gäbe, wäre auch Jesus aus Nazareth sicher eine sehr beeindruckende Figur, aber für den christlichen Glauben irgendwie uninteressant. Jesus Christus ist nur wichtig um Gottes Willen. Er ist ja kein zweiter Gott. Er ist ja keine Konkurrenz für Gott. Sondern alle christocentrik, dass wir an Jesus Christus glauben,

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heißt, dass wir in ihm die Tür zu Gott gefunden haben. Dass wir in Jesus Christus Gott gefunden haben. Also es geht um Gott. Es geht um Gott. Also Gott rechtfertigt den Sünder. Den Rechtfertigen überspringe ich jetzt mal. Gerechtfertigt wird nur der Sünder, niemand anders. Also sollte es Gerechte auf der Erde geben, die werden nicht gerechtfertigt. Die müssen ja auch gar nicht gerechtfertigt werden. Weil gerechtfertigt ist ja irgendwie ein gebrochenes Wort. Da ist ja irgendjemand merkt, da ist irgendwie eine Störung drin. Da ist irgendwas kaputt oder da fehlt was. Und da muss man es rechtfertigen. Also in dem Wort Rechtfertigen steckt schon drin, da wird eine irrsinnige Störung behoben. Und diese Störung ist die Sünde.

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Also die Eigenart des Rechtfertigungsartikels erhält dieser Artikel durch die Realität der Sünde. Also man merkt hier, wie ungeheuer wichtig die Realität der Sünde ist bei der Rechtfertigung. Gott rechtfertigt nur den Sünder, sonst niemand. Jetzt müssen wir uns überlegen, was ist denn die Sünde? Da müssen wir sehr aufpassen, dass wir Sünde nicht moralisch verstehen. Es gibt immer wieder Leute, Studierende, andere auf Tagungen, Herr Zimmer, dieses blöde Gerede von der Sünde, das ist so eine negative Anthropologie, da wird der Mensch schlecht gemacht, dauernd immer nur das Schlechte und heruntersetzen. Nein, gar nicht, gar nicht. Das ist alles moralistisches Missverständnis. Sünde ist nicht ein Ausdruck für negative Anthropologie,

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denn wir sind die Geschöpfe Gottes, die Gott liebt, wir sind Ebenbilder Gottes, usw. Die Sünde ändert überhaupt nichts daran, dass wir Ebenbilder Gottes sind. Also das sind alles moralische Missverständnisse. Wenn theologisch gesagt wird, jeder Mensch, du und ich, sind von Anfang bis Ende des Lebens Sünder, dann ist das eigentlich nichts Negatives im moralischen Sinn. Es wird damit nicht gesagt, du bist ein schlechter Kerl oder du bist eine schlechte Frau. Es ist keine Miesmachsicht, gar nicht. Sondern es geht nicht um Moral, es geht um die Feststellung einer tiefen Realität, der Mensch hat eine Störung in seiner Beziehung zu Gott. Er lebt mit Gott nicht im Frieden, so wie er sein sollte und könnte. Der Kontakt zu Gott ist schwerwiegend gestört.

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Und das ist nicht moralisch gemeint. Daraus ergeben sich vielleicht auch viele moralische Konsequenzen, das kann gut sein. Aber auch ein Sünder kann sehr großherzige Taten tun. Er kann den Eiffelturm bauen und er kann Fieberstäbe auf dem Atlantik zwischen Europa und den USA und so weiter. Und er kann die Neunte Symphonie und Mona Lisa und das alles. Also unheimliche künstlerische, wissenschaftliche, technische, das ist damit gar nicht ausgeschlossen. Aber sein Kontakt zu Gott ist gestört. Also das ist damit gemeint. Und deswegen, diese Störung wird im Rechtfertigungsgeschehen überwunden. Also Gott rechtfertigt den Sünder. Ohne, dass wir über die Realität der Sünde reden, glasklar, ohne Abstriche, kann man den Artikel von der Rechtfertigung nicht verstehen.

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Wenn irgendwelche Hampelmänner sagen, wir sollen nicht mehr so viel von der Sünde reden, meistens haben sie dann auch falsche Verständnisse von Sünde, also das sind Hampelmänner. Nein, die Eigenart des Artikels von der Rechtfertigung kommt durch die Realität der Sünde. Also Gott rechtfertigt den Sünder, um Christi villen, propter Christum heißt es im Lateinischen. Das ist auch eine sehr prägnante, genau gewählte Redewendung, propter Christum. Um Christi villen, also Christus ist der Realgrund der Rechtfertigung. Er ist der Grund, um sein Willen. Gott ist das Subjekt, aber das Subjekt Gott hat einen Grund, warum er den Menschen rechtfertigen, das ist Christus. Luther sagt nicht um Jesus willen. Auf keinen Fall, auf gar keinen Fall.

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Denn Jesus ist in der christlichen Theologie, im christlichen Glauben der Mensch vor Ostern. Das ist der irdische Mensch, Jesus aus Nazareth, zwei bis drei Jahre öffentlich aktiv, dann unter Pontius Pilatus, dem Präfekten der römischen Provinz, Judea, gekreuzigt worden am 7. oder 8. April des Jahre 30 nach Christus. Das ist Jesus. Jesus wird zum Christus dadurch, dass Gott ihn als Gekreuzigten von den Toten auferweckt. Dadurch wird Jesus zum Christus. Christus heißt jüdisch gesehen Messias, christlich gesehen heißt es auch Messias. Nur es hat sofort ein ganz anderes Messiasverständnis wie im Judentum. Für uns ist der Messias Israels, wir glauben, dass Jesus Christus der Messias Israels ist, aber für uns ist Messias nur der Auferstandene.

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Also nur durch die Auferweckung wird Jesus zum Christus. Also Gott rechtfertigt den Sündern nicht um Jesus willen, das ist theologisch völlig unpräzise, leichtsinnig, sondern um Christi willen. Und da ist dann sein öffentliches Wirken, sein Tod und seine Auferweckung voll drin. Um Christi willen. Jetzt muss man, da stören sich jetzt viele dran in interreligiösen Gesprächen. Ich habe ja mit muslimischen Freunden, ich habe eine ganze Anzahl kostbarer muslimischer Freunde und Freundinnen seit Jahren. Und ich war mit einem Muslime, der Leiter eines internationalen Projekts, drei Jahre lang von der Baden-Württemberg Stiftung mit 150.000 Euro finanziert. Und von allen Projekten der Wissenschaft in Baden-Württemberg war dieses Projekt an erster Stelle.

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Weil die Leiter der Baden-Württemberg Stiftung gesagt haben, wir kennen kein wichtigeres Projekt als dieses. Und das Projekt hieß, wie der christlich-islamische Dialog gelingen kann. Das haben wir drei Jahre lang mit Professoren der Marmara Universität in Istanbul, wo wir oft waren und die bei uns, und mit Professoren, Professorinnen der Mohammed der fünften Universität in Rabat, haben wir drei Jahre lang untersucht. Und wie bringt man da jetzt Jesus Christus ein? Wenn man so allgemein sagt, ja, wir basieren auf der Rechtfertigung, das ist alles Gnade, Gott liebt uns, wir sind wichtig als seine Geschöpfe. Ja, das hätte keine großen Probleme gegeben. Aber natürlich, die unsere muslimischen Freunde der Universität Marmara und Mohammed der fünfte, die wussten schon, dass für uns Jesus Christus die zentrale Gestalt ist.

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Wir glauben ja an ihn. Und deswegen muss man ihn da schon an zentraler Stelle bekennen, haben wir ja auch gemacht. Also, ich glaube ja an Gott, aber muss der Jesus und Christus, das ist ja so rechthaberisch, das ist ja ein Monopolanspruch. Nein, alle diese Sachen müssen wir jetzt mal fernhalten. Ob wir das jetzt kleinlich dann später diskutieren oder abgrenzend oder arrogant oder mit Absolutheitsansprüchen, alles mal fernhalten. Es geht jetzt mal nur darum, den Artikel von der Rechtfertigung zu verstehen. Und ich kann doch den Artikel von der Rechtfertigung nicht abändern, weil ich sage, ich kriege dann in Rabatt Probleme. Deswegen kann ich den Artikel nicht abändern. Das muss man mal, das ist ein anderes Spiel, muss man dann durchdenken. Aber jetzt, der Artikel von der Rechtfertigung ist der Artikel von der Rechtfertigung.

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Und der geschieht um Jesus Christus Willen, um Christi Willen. Also, man sieht, wie intensiv die Rechtfertigung mit der Person Jesu Christi, so können wir schon sagen, verbunden ist, an zentraler Stelle. Er ist der einzige Grund. Solus Christus steckt hier schon drin. Solus Deus und Solus Christus beißt sich gegenseitig nicht. Die sind an ihrer Stelle hier drin. Jetzt muss ich aber trotzdem versöhnend sagen, im Blick auf interreligiöse Gespräche, die ja heute immer wichtiger werden. Ich rede ja, auch wenn ich jetzt hier in der Singer-Musikschule Heidelberg bin, ich rede nicht einfach nur zu Christen. Ich rede nicht nur, es ist keine Gemeindeveranstaltung, sondern ich rede in der Öffentlichkeit. Und jeder Mensch kann mir zuhören. Ich habe jetzt also nicht irgendwie altbewehrte Christen, die irgendwo in der Bibelstunde sitzen, das habe ich jetzt gerade nicht vor Augen.

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Also, wir müssen das um Christi Willen jetzt mal öffentlich, weltweit erklären, was ist damit gemeint. Christus, Jesus Christus ist ja kein zweiter Gott. Er ist keine Konkurrenz für Gott. Es geht auch um Christi Willen allein um Gott. Luther hat immer den dreieinigen Gott vor Augen. Also, ihr dürft in dem Rechtfertigungsartikel nicht sagen, oh, das sind ja zwei ganz verschiedene Personen. Da sind sie nicht. Und deswegen muss man das heute in unserer globalen Welt, muss man das sinngemäß ein bisschen anders formulieren. Gott rechtfertigt, also ich bin aber ganz bei Luther, ich weiche da keinen Millimeter ab, fühle mich schon seit Jahrzehnten als ein Schüler von Martin. Ich bin ein Schüler von Martin. Ich bin ein reformatorischer Theologe.

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Also, im Sinne Luthers aber heute gesprochen, müsste man sagen, Gott rechtfertigt den Sünder um dessen Willen, wie er sich Gott in Jesus Christus gezeigt hat. Dann merkt man nämlich, dass es immer noch um Gott geht. Also, Gott rechtfertigt den Sünder um dessen Willen, wie Gott sich in Jesus Christus gezeigt und gehandelt hat. Ungefähr so, wie es im Titusbrief heißt, erschienen ist, gemeint ist, in Jesus Christus, erschienen ist die Menschenfreundlichkeit Gottes. So ist es gemeint. Also, Gott rechtfertigt den Sünder um der Menschenfreundlichkeit willen, die er in Jesus Christus gezeigt hat.

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Um dessen Willen rechtfertigt er den Sünder. Und jetzt kommt der vierte Baustein, indem er im Sünder Glauben schafft. Jetzt kommt der Glaube, sola fide. Nur indem er im Sünder Glauben schafft. Nur so, in keine andere Weise. Sola fide. Also, wir haben jetzt mal direkt Solus Christus, Solus Deus, Solus Christus und Sola fide haben wir hier jetzt schon mal ganz klar drin. Der Artikel von der Rechtfertigung ist ganz falsch verstanden, wenn man so formulieren würde, Gott rechtfertigt den Sünder um Christi willen, sofern er im Sünder Glauben schafft. Oder unter der Bedingung, dass im Sünder Glauben entsteht. Er wäre auch völlig falsch verstanden, wenn man sagt, indem er im Sünder Glauben ermöglicht. Vollkommen falsch.

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Also, jedes Wort ist hier juristisch wasserdicht zur Geltung gebracht. Also, indem er im Sünder Glauben schafft. Also, der Glaube wird nicht ermöglicht. Ich kann übrigens an der Stelle, jetzt kommt der gestrige Morgen, die Promissio, wie schafft er denn im Sünder Glauben? Ja, durch die Promissio. Das ist hier voll mit drin. In diesem Versprechen, in dem reizvollsten, bezauberndsten, schönsten, beglückendsten, was die menschliche Sprache bieten kann, nämlich ein unverhofftes Versprechen, ist das Schönste, was es gibt. Und so schafft er den Glauben. Also, der Glaube ist ein Geschenk. Wir können uns auf den Glauben nichts einbilden.

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Der Glaube ist nicht die Bedingung der Rechtfertigung, die Eintrittskarte in den Club der Bekehrten. Nein, ich bin nicht Mitglied im Club der Bekehrten. Denn ich habe mich nicht bekehrt, damit ich dann zur Belohnung gerechtfertigt werde. Nein, das ist ein ganz tiefes Missverständnis. Gott rechtfertigt den Sünder um Christi willen. Und jetzt kommt der Weg, der Modus, sagt man, der Weg, wie er den rechtfertigt, nämlich im Glauben. Der Glaube ist der Weg, wie die Rechtfertigung zu uns kommt. Der einzige Weg, es gibt keinen anderen. Also mal kurz biblisch, was denkt da Luther im Glauben schafft? Er ist ja das schöpferische Wort, das schöpferische Wort der Promissio schafft. So wie Gott sagt, es werde Licht. Oder wie Paulus mal im Korintherbrief gesagt hat, es ist ein Licht in uns aufgeleuchtet.

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Ein Licht ist in uns aufgeleuchtet. So schafft die Promissio. Dann wird es im Inneren von uns Licht. Also der Glaube wird nicht ermöglicht. Die Promissio ist nicht ein Angebot, das ich dann annehme. Du musst es auch annehmen. Also ob das Annehmen jetzt das Entscheidende ist, habe ich ja am Freitagabend oder irgendwann gesagt. Also Luther denkt da an folgende Sätze. Nicht ihr habt mich erwählt, sagt Jesus, sondern ich habe euch erwählt. Niemand hier von euch hat Jesus erwählt, keiner. Sondern Jesus hat euch erwählt. Und das ist ein Unterschied. Niemand kann zu mir kommen, es ziehe ihn denn der Vater. Solche Sätze. Und in solchen Menschen muss die Promissio Glauben schaffen. Nicht nur ermöglichen und du realisierst es dann.

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Der Glaube ist also nicht der menschliche Beitrag zum Rechtfertigungsgeschehen. Wie ich in amerikanischen Evangelisationen sehr oft gehört habe, 95% macht Gott. Aber 5% muss ihr machen. Hand hoch. Wer bekehrt sich? Das ist euer Beitrag, sind die 5%. Da ist der Artikel von der Rechtfertigung kaputt. Also indem er im Menschen Glauben schafft. Und ich sage euch, liebe Schwestern und Brüder, das hält uns wurzeltief bescheiden. Weil verdient haben wir das nicht und wir haben dazu auch keinen Beitrag geliefert. Gut. Jetzt kommt das entscheidende Wort. Gott rechtfertigt. Was ist damit gemeint?

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Es ist eine juristische Kategorie. Das Wort Recht, aber hier verbal, handlungsorientiert. Das Rechtfertigungsgeschehen, um das es hier geht, hat zwei Seiten bei Luther. Die Rechtfertigung besteht in zwei Aspekten, die aber ganz miteinander zusammen gehören. Wie zwei Seiten einer Münze. Ich sage sie mal jetzt, man kann das alles ganz einfach ausdrücken. Man kann es wirklich in einem Vortrag alles erklären. Aber es wird euch euer Leben lang begleiten und ihr werdet immer wieder angefochten. Und dann wird es euch wieder noch klarer. Aber ihr werdet merken, es ist ein Löffel vom Pazifik. Also die zwei Seiten heißen erstens, ich muss das Wort noch erklären, das jetzt kommt. Luther spricht ganz oft von Anrechnen.

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Auch ist juristisch gemeint. Die Untersuchungshaft wurde bei der Gefängnisstrafe von vier Jahren bereits angerechnet. Das saß ja acht Monate in Untersuchungshaft, wurde angerechnet. Oder wir sagen oft, das muss man dem hoch anrechnen. Also was meinen wir mit dieser, also es gibt es juristisch, aber auch im allgemeinen Sprachgebrauch, wir meinen, das müssen wir ihm zugute halten oder zuguterechnen. Also im Anrechnen, wenn es um gute Dinge geht, dann heißt es immer, das ist dir zu gut. Da hast du einen Vorteil davon. Wir rechnen dir das an. Also die Rechtfertigung hat zwei Seiten. Die erste Seite, Gott rechnet dir deine Sünde nicht an. Zweitens, anstelle dessen rechnet er dir aber die Gerechtigkeit Christi an, die dir fehlt.

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Das ist die Rechtfertigung. Gott rechnet dir deine Sünden nicht an. Anstelle dessen rechnet er dir die Gerechtigkeit Christi an, die dir fehlt. Jetzt gehen wir mal zur ersten Seite. Die erste Seite ist ein Nicht-Anrechnen. Also Rechtfertigung heißt, Gott rechnet dir die Sünde nicht an. Gott schaut dich so an, wie wenn es die Sünde nicht gibt. Gott lässt sich in seiner Beziehung zu dir durch die Sünde weder aufhalten noch stören. Sie kann seine Liebe, es geht ja immer, Luther, um die Liebe. Er drückt es aber in juristischen Kategorien aus, weil es hier präzise wird. Er kann dieses religiöse Gelaber nicht leiden, dieses Rumgeeier, diese Nebelkerzen.

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Klar, präzise, orientierend, juristisch. Was gilt? Die Sünde gilt nicht. Sie gilt nicht bei Gott. Und dann sagt Luther, was für eine Tiefe der Liebe. Man kann die Liebe Gottes niemals tiefer spüren, sich an der Liebe Gottes freuen, als wenn dir klar wird, Gott rechnet mir die Sünde nicht an. Das heißt nicht, dass die Sünde weg ist. Die Sünde bleibt eine Realität, aber er rechnet sie ihm nicht an. Er lässt sich nicht aufhalten. Die Sünde darf deine Beziehung zu Gott nicht mehr unterbrechen. Das hat Gott in seinem Urteil der Nicht-Anrechnung entschieden. Da kannst du nichts dafür, da hast du auch keinen Beitrag geliefert.

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Das ist ein Urteil Gottes. Also es geht für Luther, schreibt er an vielen Stellen, es geht mir hier um Gottes Zuwendung zu dir. Er drückt es in seiner mittelalterlichen Sprache so aus, es geht um Gottes Hult und Gunst, indem nie aber wir sagen, die Liebe, die Liebe ist heute das beste Wort. Luther verwendet es auch, es geht ihm immer um die Liebe. Deswegen sage ich ja, zu allen reformatorischen Soli müssen wir ein Soli heute vorne anstellen. Sola caritas, allein die Liebe. Im 21. Jahrhundert braucht die reformatorische Theologie ein neues Solus, das Luther sowieso immer drin hat, aber leider hat er das nie gesagt. Seine Liebe zu den juristischen Kategorien, die ich verstehen kann,

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aber ich verstehe auch die heutigen Teenager, die heutigen Schülerinnen und Schüler, die haben diese juristischen Kategorien gar nicht drauf. Und die sind mir wichtiger als Martin Luther. Und deswegen brauchen wir heute dieses Solus, neues Solus, Sola caritas, allein die Liebe. Gut, also dieses nicht anrechnen. Jetzt, aber dafür rechnet Gott dir das an, was er selber in Christus getan hat. Seine Menschenfreundlichkeit, die in ihm erschienen ist, die rechnet er dir an. Das ist die Rechtfertigung. Jetzt wollen wir das ein bisschen noch ausloten. Also ich versuche jetzt mal die allerelementarsten Basics in einem Vortrag zu nennen. Richtig ausloten, was heißt das? Im Blick, das sind Wochen, Monate, Jahre.

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Dieses nicht anrechnende Sünde und anstelle dessen dir alles anrechnen, was Christus getan hat. Das schreibt er auf dein Konto. Das gilt. Was Christus getan hat, gilt für dich. Paulus sagt nicht mehr, ach so, das kommt später. Also diese beiden, das nicht anrechnen und das anrechnen, nennt Luther die Gerechterklärung. Das ist ein Urteil. Gott erklärt dich für gerecht. Er rechnet dir die Sünden nicht an und er rechnet dir dafür die Gerechtigkeit. Mit Gerechtigkeit meint er all das, was in Ordnung ist, all das Gesunde, all das Schöne, all das Gelungene, all das Wertvolle. Das ist alles mit Gerechtigkeit Christi gemeint. Das ist hier bei Luther ganz umfassend.

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Alles, was Jesus Christus ausmacht und er getan hat, das rechnet, schreibt er auf dein Konto. Das nennt Luther die Gerechterklärung. Das ist also ein Urteil, das ist seine Meinung, seine Einschätzung und die gilt. Jetzt ist es aber nicht so, dass das eine reine Urteilerklärung ist. Also Gott erklärt dich von der Sünde frei und er erklärt, dass er alles, was Christus getan hat, dir anrechnet. Das darf man jetzt nicht so verstehen, dass Gott so tut, als ob keine Sünde mehr da wäre. Gott sieht schon die Realität der Sünde. Also Gott tut nicht nur so, als ob nichts wäre. Nein, das wäre viel zu wenig.

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Und deswegen sagt Luther, die Grundlage ist die Gerechterklärung. Das ist eine Erklärung und die gilt. Aber das ist nur die Hälfte der Rechtfertigung. Die zweite Hälfte ist die Gerechtmachung. Er macht dich auch gerecht. Zuerst erklärt er dich für gerecht. Du kannst schon mal aufatmen, die Scheiße ist weg, du hast eine irrsinnige Grundlage. Du kannst sagen, als mir das klar wurde, wurde ich fröhlich. Weil das gilt mit sofortiger Wirkung. Also wenn du dich jetzt darauf einlässt, in dieser Sekunde gilt es. Und das gilt bis zum jüngsten Tag. Das ist die Gerechterklärung. Die gilt. Kannst dich darauf verlassen. Aber Gott erklärt dich für gerecht, weil er dich ändern will. Dich neu machen will.

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Die Rechtfertigung ist auch eine Neuschöpfung, eine Wiedergeburt. Aber Luther ist sehr vorsichtig, später, ich bin ein wiedergeborener Christ. Ich bin ein wiedergeborener Christ. Ich bin ein wiedergeborener. Nein, da ist Luther ganz vorsichtig. Weil da geht es schon wieder, ich bin, als ob das ein Persönlichkeitsmerkmal von mir ist. Die Rechtfertigung wird nie ein Strukturmerkmal deiner Persönlichkeit. Sie wird nie dein Besitz, sie wird nie ein Qualitätsmerkmal deiner Persönlichkeit. Sie bleibt eine fremde Würde. Es wird niemals deine Würde. Und wenn man sagt, ich bin ein Wiedergeborener, da wird es Luther schlecht werden. Luther sagt nein, ich wurde von Gott gerechtfertigt. Und darauf kannst du dir nichts einbilden. Also, aber in der Tat, wir sind wie neue Kreaturen.

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Sind wir in Christus, dann sind wir eine neue Kreatur. Wir sind nicht nur gerechterklärt, wir werden tatsächlich neu. Und das nennt Luther Gerechtmachung. Später haben die Heiligungsbewegungen gesagt Heiligung. Sagt Luther manchmal auch, aber er bevorzugt die juristischen Kategorien. Und jetzt hat ein sehr guter Lutherkenner mal folgende Begriffe verwendet. Es war Wilfried Jöst, einer der besten Lutherkenner. Der hat gesagt, die Gerechterklärung ist der Totalaspekt der Rechtfertigung. Die Gerechtmachung, die damit beginnt, ist der Partialaspekt der Rechtfertigung. Und damit hat er das sagenhaft gut getroffen. Im Rechtfertigungsgeschehen geschieht etwas Totales. Die Sünde gilt überhaupt nicht mehr. Was die Geltung der Sünde betrifft, die ist hundertprozentig weg. Sie gilt nicht mehr.

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Sie gilt in den Augen Gottes nichts. Wer das glauben kann, da muss dir aber Gott helfen. Das kannst du nicht so einfach glauben. Also das ist der Totalaspekt. Du brauchst dir keine Sorgen machen, dass die Sünde deine Beziehung zu Gott irgendwie ernsthaft stören könnte. Nein, sie gilt nicht mehr. Aber jetzt fängt in dir etwas an. Da sagt Luther, aus der regierenden Sünde im alten Menschen wird die regierte Sünde im neuen Menschen. Weil du wirst jetzt tatsächlich ein neuer Mensch in einem Wachstumsprozess. Kannst du jetzt die Sünde Jahr für Jahr bis zum Tod ausfegen. Aber ganz raus kriegst du sie nie. Du bleibst immer simul justus et peccator.

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Du bleibst immer zugleich ein gerechterklärter und ein Sünder. Aber es ist ein Wachstumsprozess. Und wie gelingt er? Luther sagt durch die Einwohnung Christi. Denn mit der Gerechterklärung passiert auch wirklich etwas Reales, Empirisches. Christus nimmt Wohnung in dir. Und er kämpft in dir gegen die Sünde. Da sagt Paulus dann nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in dir. Und deswegen kannst du dir auch in der Heiligung nichts einbilden. Denn die Gerechtmachung ist das Werk Christi, der mit seiner wirkungsvollen Gegenwart in deinem Herzen wohnt. Also das ist der Artikel von der Rechtfertigung.

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Gott rechnet dir deine Sünden nicht an, von heute bis zum jüngsten Gericht. Er rechnet dir dafür die Gerechtigkeit, die Schönheit, die Herrlichkeit Christi an. Das ist die Gerechterklärung. Und damit bist du vollkommen ledig und frei. Luther sagt da wurde ich fröhlich. Er unterschrieb 18 Briefe im Jahr 1518. Martin der Befreite. Aber Gott macht dich auch gerecht, indem die wirkungsvolle Gegenwart Christi in deinem Herzen wohnt. Da kommt jetzt der Heilige Geist mit rein, in der Kraft des Heiligen Geistes. Also ihr lieben Schwestern und Brüder, denkt weiter drüber nach. Das ist der Artikel von der Rechtfertigung.

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Herr und Meister aller Lehre. Ich will jetzt aus dem 20. Jahrhundert heraus, 21. Jahrhundert, zu diesem Rechtfertigungsartikel einiges sagen. Weil ich blieb jetzt rein innerhalb der Dogmatik. Ich habe versucht, die Dogmatik mit nicht nur Knochen, sondern auch Fleisch, das ist auch gefühlsmäßig. Aber auch präzises Denken, kein Gefühlssalat. Gut, für Luther gehört zum Rechtfertigungsartikel auch die Unterscheidung von Evangelium und Gesetz. Gesetz und Evangelium habe ich gestern ja schon ein bisschen erklärt. Wenn wir sagen, solo verbo, allein das Versprechen, die Zusage. Solo verbo bedeutet, in der Bibel ist nicht alles solo verbo, sondern nur ein ganz kleiner Prozentsatz, 0,1 Promille. Das sind die Zusagen. Von allen Bäumen im Garten darfst du essen.

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Ich bin Jahwe, dein Gott, ja schon eine Zusage, dein Gott, der dich aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hat. Diese Zusage steht vor den zehn Geboten. Nimm diese Zusage weg und die zehn Gebote werden moralistisch. Euch ist heute der Retter geboren. Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt. Das ist die Promissio, die Zusage Gottes, sein Versprechen, mit dem er dich gewinnen will. Dieses Versprechen muss man jetzt unterscheiden von anderen Texten in der Bibel, Geschichtsdarstellungen, Geboten, Warnungen, Drohungen, was es alles in der Bibel gibt. Also mehr wie 99 Prozent vom Textmaterial in der Bibel sind keine Zusagen. Aber die Zusagen machen die Bibel zur Bibel. Gottes Wort ist die ganze Bibel für Luther, für mich auch.

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Auch das Gesetz ist Gottes Wort. Wir brauchen das Gesetz. Niemand hat das Evangelium ohne Gesetz. Aber das Evangelium ist das Entscheidende. Ein Beispiel in der Exodus-Geschichte gibt Gott in 20 Kapiteln zwei Zusagen, sind zwei Sätze. Nämlich, ich führe euch in ein neues, weites, schönes Land, in dem Milch und Honig fließt. Und eine zweite Zusage, ich werde mit euch sein. Nimm diese zwei Sätze weg. Und der ganze Exodus kracht zusammen. Also für Luther gilt solo verbo und nur allein die Zusage, allein die Promissio. Und nur weil solo verbo gilt, gilt bei Luther sola scriptura. Das habe ich in Freikirchen so nirgends gehört. Das sola scriptura wird möglich durch das solo verbo.

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Und alles andere, was nicht Zusage ist, nennt Luther in der Bibel Gesetz. Das sind mehr wie 99 Prozent der Bibel, ist Gesetz. Ist auch wichtig, aber es kann keinen Glauben schaffen. Also insofern die Promissio, die ja den Glauben schafft, es gehört alles zum Rechtfertigungsartikel rein. Das Besondere der Promissio, das ist die reformatorische Entdeckung von Luther. Und jetzt will ich mal diese Unterscheidung von Gesetz und Evangelium mal ganz ins 20. und 21. Jahrhundert mit meinen Worten ausdrücken. Wir leben heute, solange wir Kinder sind, kleine Kinder, Kindergartenkinder, leben wir in der Geborgenheit der Familie, gibt dort auch Probleme. Aber wir müssen noch nicht die Existenzberechtigung von uns in der Gesellschaft durch Qualifizierungen erwerben.

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Wenn wir aber älter werden, Schule und dann Erwerbsleben, dann werden wir spüren, die Gesellschaft taxiert uns. Jede Gesellschaft, ob das eine antike Gesellschaft ist, eine feudale Gesellschaft, eine kapitalistische Gesellschaft, eine kommunistische Gesellschaft und was immer es geben wird, jede Gesellschaft legt eine Messlatte an uns an. Die Messlatten sind vielleicht verschieden zwischen Kapitalismus und Sozialismus, aber die Tatsache, dass eine Gesellschaft eine Messlatte an uns anlegt und uns abtaxiert, wie eine Ware auf den Markt, gilt überall. Und dann geraten wir sozusagen unter einen prüfenden Scheinwerfer.

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Können wir dich gebrauchen? Können wir dich in der Führungsetage gebrauchen? Können wir dich als Straßenfeger gebrauchen, als Toilettenfrau? Können wir dich vielleicht überhaupt nicht gebrauchen? Dann stehst du mehr als Hindernisse herum, dann bist du ein Sozialfall. Also wir leben alle in einer Erwerbsgesellschaft. Wir werden gemustert. Ich habe mir mal die Musterungspläne vom Porsche-Werk, wie sie ihre Führungskräfte auswählen, mal zuschicken lassen. Das sind zwei, drei Blätter mit ungefähr 60, 80 Gesichtspunkten. Und dann wird man beobachtet, taxiert, die Qualitäten, entscheidungsfreudig, zuverlässig, freundlich und so weiter. Viele solche und dann kristallisieren sich langsam die Führungskräfte heraus. Also wir sind alle Stellenbewerber, die Platz nehmen sollen und die im Scheinwerferlicht beurteilt werden.

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Können wir dich gebrauchen oder können wir dich nicht gebrauchen? Das ist das Gesetz der Beurteilung. Das fängt mit den Noten an oder du kommst dann in die Hauptschule, gibt es ja jetzt bald nicht mehr, Realschule, Gymnasium oder Sonderschule. Ich habe mal als VK Konformantenunterricht gemacht und da habe ich Esel gesagt, sag mal jeder, in welcher Schule er ist. Einer sagt, ich bin da in der Albert-Schweizer-Schule. Ich sage, kenn ich gar nicht. Alle haben lachen müssen, es war die Sonderschule. Ein Konformant war in der Sonderschule, der war erledigt. Die Konfirmation war für ihn eigentlich kaputt. Ich habe probiert, was zu retten war, aber ich habe gespürt, das ist ein Fehler, den kannst du psychologisch gesehen nicht mehr gut machen. Das ist das Gesetz der Beurteilung. Du bist ein Sonderschüler. Was, du hast kein Abitur. Ich kenne so viele Leute, die sagen, es ist ein bleibendes Trauma, ich habe kein Abitur.

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Ich glaube, ich bin bloß ein halber Mensch, weil ich habe kein Abitur. Weil die Abiturienten, die bilden sich, aber trotzdem, wenn einer ein Abitur hat, der andere nicht, das ist irgendwie, das ist ein Problem. Das ist das Gesetz der Beurteilung. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die zweckrational geprägt ist. Wenn ich mit dem Flugzeug fliege, werde ich von der Stewardess sehr freundlich behandelt. Aber das gilt nicht mir, Sigi, als unwiederholbare Einzelperson, sondern das gilt dem Fluggast. Wenn ich in einen Laden gehe und so weiter, eine Firma sucht einen Bilanzbuchhalter. Ob der einmalige Hugo Müller oder der ebenfalls völlig einmalige Fritz Mayr ist, das tut nichts zur Sache. Hauptsache, er beherrscht sein Geschäft, seine Arbeit. Er ist ein guter Bilanzbuchhalter.

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Wenn drei gute Bilanzbuchhalter sich bewerben, ist das wahrscheinlich egal, wenn man nimmt. Wir sind austauschbar. Wir haben die Unersetzbarkeit eines Werkzeugs. Und in zweckrationalen Gesellschaften wird diese Entwicklung immer weitergehen. Der Mensch wird zum Ding. Er wird von seinem Nutzen her beurteilt. In der BH werde ich beurteilt. Er hat meine Lehrkapazität, hat er viele Hörer oder wenige Hörer. Wir zappeln im Gesetz der Beurteilung. Und Glück für die, die qualifiziert sind, die gut aussehen, die beliebt sind. Ja, das ist kein kunstfreundlich zu sein. Wenn man erfolgreich ist, die entsprechenden Kompetenzen hat, da kriegst du Achtung. Herr Professor, Dr. Siegfried. Herr Professor, kommen Sie doch rein. Ich meine, ich kann da auch nichts dafür. Luther sagt, alle Titel sind Ausdruck der Sünde.

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Alle Titel. Im Reich Gottes wird es keine Titel geben. Arme und Kinder haben keine Titel. Und Jesus sagt, lasst euch nicht als Rabbi anreden. Ich bin euer Rabbi und von euch keiner. Also wir leben in einer sündigen Welt. Nur weil ich in einer sündigen Welt lebe, habe ich zwei Titel. Ist Ausdruck der Sünde. Bei Jesus und bei Gott sind wir alle Kinder und alle auf gleicher Höhe. Gut, also dieses Gesetz der Beurteilung, wir müssen uns qualifizieren. Hast du entsprechende Qualifizierungen, Kompetenzen, Sozialleigenschaften, kriegst du Anerkennung und Achtung. Fehlen sie dir, dann bleiben dir die Komplexe. Es bleiben dir die Komplexe.

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Andere sind besser wie du, die sind nicht so langweilig wie du. Manche können sich gar nicht so gern im Spiegel anschauen. Wenn ihr eine gesunde Selbsteinschätzung habt, freut euch, es gibt Menschen, die es nicht haben. Also Martin Buber hat einmal gesagt, wo das Gesetz der Beurteilung herrscht, herrscht immer Gottes Finsternis. Weil es stellt sich die Frage, welchen Nutzen hat eigentlich Gott? Kann man Gott eigentlich auch taxieren wie eine Ware auf dem Markt? Kann ich Gott zum Mitarbeiter meiner Firma machen? Dann wäre er interessant. Kann ich Gott vor meinen Karren spannen? Welchen Nutzen hat eigentlich Gott? In welche Schublade gehört eigentlich Gott? Gehört er in die Schublade qualifiziert oder gehört er in die Schublade nicht qualifiziert? Und das sagt Martin Buber, wenn man auf die Tour nach Gott fragt, da wirst du ihn nie finden.

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Denn auf die Tour ist er nicht zu finden. In der Rechtfertigungsgeschehen wird das Gesetz der Beurteilung durchbrochen. Weil in der Antike haben die Götter die Menschen beurteilt. Da musstest du die Gebote halten. Und wenn du die Gebote gehalten hast, dann warst du bei Gott lieb Kind. Also du hast dich himmelreif schuften müssen. Die Messlatte haben die Götter angelegt. Das waren die, die die Menschen taxiert haben. Das ist ein guter, frommer Mensch, der hält die religiösen Dinge so ein. Und das war schon das für einen Ketzer oder das für einen Schlamper und so weiter. Also die Götter hatten die Messlatten. Und auch in der Bibel hat sozusagen Gott auch eine Messlatte. Denn Gott schenkt dir nicht nur alles Wichtige.

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Er will auch was von dir. Stell dir mal vor. Ich war mal in einem Seminar und da war eine junge Dame. Es war ein kleines Seminar. Da ging es wirklich um unsere eigene Glaubensentwicklung. Jeder sollte mal so erzählen, wie es ihm gerade so geht. Da sagte eine junge Studentin, vielleicht 21 Jahre, Gott ist schon immer in meinem Leben. Schon meine Großmutter hat mit mir immer abends gebetet. Also so ein Kind der Volkskirche, kann man so sagen. Also Gott ist so der warme Untergrund. Es wäre richtig schade, wenn es den nicht gäbe. Also ich fühle mich durch Gott irgendwie geborgen. Und das hat sie also fünf Minuten lang in schönen Worten, wir saßen da, dass es einfach einen schönen Gedanken gibt. Es gibt einen liebenden Schöpfer und der kennt mich und so. Und das bringt schon was. Und dann ist mir aber ein bisschen Inspiration in mich hineingekommen. Und da habe ich dann gesagt, sind Sie auch schon mal auf den Gedanken gekommen,

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dass Gott etwas von Ihnen will? Die hat mich angeguckt, wie wenn ich vom Mond käme. Na der Gedanke, der tatsächlich sagt, nee, der Gedanke ist mir noch nicht gekommen. Also bei der Rechtfertigung, da geht es schon um die Unterscheidung von Evangelium und Gesetz. Evangelium ist das, was Gott dir schenkt. Das ist entscheidend. Und das Gesetz ist das, was Gott von dir will. Und da können wir versagen. Sobald wir auf der Ebene des Gesetzes sind, muss ich sagen, Mensch, ich habe heute schon wieder die und die Fehler gemacht. In der Nachfolge Christi, wenn wir Christus zum Vorbild nehmen, da sind wir oft zerknirscht. Ich auch. Ich mache jeden Tag Fehler. Und ich begehe jeden Tag ein Versagen oder mehrere Versagen im Blick auf das, was Gott von mir will. Da komme ich jetzt unter das Gesetz der Beurteilung. Weil ich muss mir schon selber sagen, Mensch, Meier, ist ja wahrscheinlich jetzt schon das 40. Mal,

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dass ich an dem Punkt daneben tappel und so. Also da kommst du richtig in Gewissenskämpfe. Da sagt Luther, du musst dich immer, du darfst dich immer über Christus mehr freuen, als dass du dich über deine Fehler ärgerst. Nicht, dass das umdreht. Du bist so zerknirscht, dass du dich über Christus nicht mehr freuen kannst. Da sagt Luther im Lateinischen, Christus ist immer erst Sakramentum und erst dann Exemplum. Also er ist immer erst geschenkt. Und erst in zweiter Linie lockt er dich rein sportlich. Komm, verbessert dich da mal. Ach, schaffst die 100 Meter immer noch nicht unter 13,0 und so. Also die Gebote halten. Nimm das mal sportlich. Schön, wenn wir uns da weiterentwickeln. Aber wir sind nicht mehr im Gesetz der Beurteilung. In der Gesellschaft zappeln wir auf dem Markt wie eine Ware auf dem Markt. Bist du Führungskraft, bist du ein Sozialfall?

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Das ist die heutige Realität, in der der Rechtfertigungsartikel heilsame, erleichternde, aufatmende, beglückende Kraft hat. Er reißt uns heraus aus dem Gesetz der Beurteilung durch andere und auch der Selbstbeurteilung. Meine Freude an Gott hängt nicht mehr ab von meiner Selbstbeurteilung. Und ein letzter Nachklapp, heutige Aktualisierung. Rechtfertigung hängt ganz eng mit der Schöpfung zusammen. Das ist ja das schöpferische Wort, das in uns den Glauben schafft. Und wir sind ja auch alle Geschöpfe. Im Rechtfertigungsartikel kann mir klar werden, wenn Gott mir hilft. Ich bin wichtig, einfach, weil ich da bin.

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Ich bin wichtig, einfach, weil ich da bin. Ich muss mich vor niemanden beweisen. Ich muss mich vor Gott nicht qualifizieren. Ich muss mich nicht himmelreif schuften. Gott hat schon so auch seine Augen auf mich, ja, schon schön. Ich will wirklich mal eine Dienstbeurteilung von Gott haben. Also, aber das, keine Ahnung, es juckt mir auch gar nicht. Ich freue mich, ich bin wichtig, weil ich da bin. Ich muss mich nicht qualifizieren vor Gott. Ich bin gerechterklärt und in der Gerechtmachung freue ich mich über jeden Schritt, der gelingt, und die Schritte, die Misslingen ruhen in der Liebe Gottes.

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Luthers Verständnis der Rechtfertigung | 6.3.1

Worthaus 6 – Heidelberg: 15. Mai 2016 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Machen wir uns nichts vor: Wir alle urteilen über andere. Wir lästern über Kollegen, beschweren uns über die unfreundliche Kassiererin im Supermarkt, glauben, die eigenen Kinder seien besser erzogen als die Nachbarskinder. Gleichzeitig sind wir alle abhängig von der Meinung anderer. In unserer Leistungsgesellschaft ist die Meinung der Kollegen und Chefs nahezu überlebenswichtig. Hält der Chef uns für nützlich, behalten wir den Job. Lästern die Kollegen und halten uns für unfähig, dann beantragen wir bald Arbeitslosengeld. Wen andere Menschen für unnütz halten, schlecht bewerten und verurteilen, der hat keinen Platz in der Gesellschaft. Was andere von uns halten kann uns aufbauen oder zerstören. Martin Luther aber ging es immer darum, was Gott von einem Menschen hält. Diese Frage bestimmte sein Leben, denn die Meinung Gottes war im damaligen Verständnis noch lebensspendender oder zerstörender als die Meinung der Menschen. Wen Gott schlecht findet, der kommt in die Hölle. Glaubte man. Bis Luther durch seine Rechtfertigungslehre mit diesem Glauben aufräumte. Was so sperrig klingt, bringt Siegfried Zimmer auf einen einfachen Satz, den er dann leicht verständlich in seine Einzelteile zerlegt. Und danach ist endlich klar, was diese „Rechtfertigung“ eigentlich bedeutet. Warum Gott jeden Gläubigen für gerecht erklärt, egal welche Sünden und Verbrechen, er begangen hat. Wie wir uns frei machen von dem Urteil anderer. Und wie  Christen lernen, andere nicht zu verurteilen.