Die drei ersten Vorlesungen galten ja der Hiob-Novelle, also dem erzählenden Teil,  der ganz am Anfang vom Buch Hiob platziert wird, Hiob 1.1 bis Hiob 2.10. Mit der jetzigen  Vorlesung beginne ich mit dem viel größeren Redeteil des Hiob-Buches. Dieser Redeteil beginnt  in Kapitel 2, die Verse 11 bis 13. Die sind noch erzählend, das ist eine kleine erzählende Einführung,  die die drei neuen Hauptpersonen kurz vorstellt. Dann beginnt der Redeteil in Hiob 3 mit der
sogenannten Eröffnungsklage des Hiob, Kapitel 3. Diese Klage ist die Grundlage für den gesamten  Redeteil, der geht dann bis Hiob, Kapitel 31. Also heute Hiob 3, die Eröffnungsklage. Und wir beginnen  mit der kurzen erzählenden Einführung, Hiob 2, 11 bis 13. Martin wird diese Verse jetzt vortragen.  Die drei Freunde Hiobs hörten von all dem Bösen, das über ihnen gekommen war. Und sie kamen, jeder  aus seiner Heimat, Eliphas aus Theman, Bildat aus Schuach und Zofa aus Nama. Sie vereinbarten,  hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten. Als sie von fern auf blickten,
erkannten sie nicht, sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand, sie streuten Asche über  ihr Haupt gegen den Himmel. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner  sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. Ja, also das ist die  erzählende Einführung. Es gibt im Alten Orient immer wieder Dialoge. Es gibt auch Dialoge eines  schuldlos Leidenden, der Leidende Gerechte, der unterhält sich mit einem Freund, der ihn zu  trösten versucht oder andere Dialoge. Und die werden immer mit einer kurzen erzählenden Einführung  vorgestellt, diese Hauptperson. Und am Ende gibt es auch ein erzählerisches Fazit. Das werden wir in  späteren Vorlesungen auch behandeln. Also wichtig ist jetzt, es findet eine Veränderung in dem
Inventar der Personen statt. Bisher gab es drei Hauptpersonen, Hiob, Jahwe und Satan. Satan tritt  jetzt ab. Er kommt im Redeteil überhaupt nicht mehr vor. Dafür erscheinen jetzt drei Freunde  von Hiob, die es in der Hiob-Novelle gar nicht gibt, nämlich Eliphas, der wird zuerst genannt,  ist also sicher der Älteste. Eliphas, Bildat und Zofa. Die kommen von weiters her. Sie unterbrechen  ihren Alltag, ihre Alltagspflichten und machen sich auf den Weg zu Hiob. Und die Orte Schuach und die  anderen Orte, die hier genannt werden von diesen drei Freunden, das sind ganz berühmte Orte. Heute  würde man in England sagen, sie kommen aus Cambridge und Oxford. Oder in der USA würde man
sagen, sie kommen von Harvard, Yale und Princeton. Also die drei Städtenamen waren berühmte  Bildungszentren der damaligen Welt. Mit diesen drei neuen Hauptpersonen verändert sich noch etwas  anderes, nämlich ab Hiob 3 ist der ganze Redeteil Poesie. Er ist poetisch formuliert. Im Hebräischen  oder überhaupt im Orient kennt man den Reim nicht, das ist unbekannt. Also poetische Texte reimen  sich nicht, sondern man erkennt die Poesie daran, dass die Sprache rhythmisiert wird. Meistens immer  zwei Zeilen gehören zusammen, Parallelismus Membrorum und dann spricht man vom Doppelfierer,
Doppeltreier oder Doppelzweier. Das heißt, beide Sätze haben genau gleich viel Hebungen und Senkungen.  Doppeltreier heißt, beide Sätze haben drei betonte Silben und das merkt man sofort, das ist  poetisch. In der Hiob-Novelle waren nur die wörtliche Rede von Hiob, die waren poetisch  rhythmisiert. Alle anderen Verse waren normale Prosa und hier ist also diese erzählende Einführung  ist auch normale Prosa, aber ab Hiob 3 bis Hiob 31, alle diese 28, 29 Kapitel sind durchgehend  poetisch, sind also durchgehend rhythmisiert. Hiob 3 ist also die Eröffnungsklage, der Ausgangspunkt
für alles weitere. Dass diese Klage sehr wichtig ist für den Redeteil, zeigt sich auch darin,  dass der Redeteil auch durch eine Schlussklage von Hiob, die kommt in Kapitel 29 bis 30,  eingerahmt ist. Also der Redeteil ist durch eine Anfangsklage und eine Schlussklage gerahmt und  die Schlussklage, die führt dann in die Herausforderungsrede von Hiob, das werden wir  noch behandeln, in Kapitel 31. Dass diese Eröffnungsklage von grundlegender Bedeutung  ist, merkt man auch daran, dass in der Gottesantwort, die ganz am Ende des Hierbuches  kommt, Hiob 39 bis 42, dass diese Gottesantwort Bezug nimmt auf diese Eröffnungsklage. Das heißt,
Gottesantwort überspringt den gesamten Redeteil, ist ihr gar nicht so wichtig,  diese Antwort, sondern sie antwortet auf die Eröffnungsklage des Hierb. Dann ist bei dieser  Eröffnungsklage noch ein paar andere Dinge sehr auffallend, sehr aufschlussreich. Die Eröffnungsklage  setzt die Hierb-Novelle überhaupt nicht voraus, obwohl sie ja direkt darauf anknüpft,  darauf folgt. Aber man muss die Hierb-Novelle überhaupt nicht kennen, wenn man jetzt diese  Eröffnungsklage verstehen will. Sie nimmt nirgendwo Bezug auf die Hierb-Novelle. In dieser  Eröffnungsklage wird auch gar nicht gesagt, dass Hiob erst vor kurzem in schweres Leid gefallen ist.
Es wird auch gar nicht klar gesagt, was er eigentlich für ein Leid hat. Das muss keine  Hautkrankheit sein, es muss überhaupt nicht eine Krankheit sein. Es wird auch nicht gesagt,  klar ist nur, er ist in schwerstes Leid gefallen. Also deswegen interpretiert man den Redeteil des  Hierb-Buches unabhängig von der Hierb-Novelle. Ich werde dann später in der Vorlesung die  Entstehungsgeschichte des Hierb-Buchs, werde ich begründen, dass die Hierb-Novelle älter ist und  von einem anderen Autor stammt als die Hierb-Dichtung. So nennt man den Redeteil. Warum  nennt man ihn Hierb-Dichtung? Ja, weil der gesamte Redeteil poetisch rhythmisiert ist. Und das sind  also schon zwei tiefe Unterschiede. Also der erste Unterschied, Satan spielt überhaupt keine Rolle
mehr, sondern es kommen drei neue Hauptpersonen, die es vorher nicht gibt, die drei Freunde,  dann die Art der Sprache ändert sich grundlegend, es wird jetzt alles poetisch rhythmisiert. Und  drittens, Hierb 3 setzt Hierb 1 bis 2 überhaupt nicht voraus, nimmt überhaupt keinen Bezug darauf  und ist selber ganz offen, was ist das für ein tiefes Leid. Und deswegen, es gibt noch wesentlich  mehr Gründe, aber ich will die mal so nennen, geht man davon aus in der heutigen Bibelwissenschaft,  die Hierb-Dichtung ist wohl auch jünger, das Hebräisch ist schon ein bisschen anders jünger  und es ist ein anderer Autor. Also wir interpretieren jetzt Hierb 3 völlig unabhängig  von Hierb 1 bis 2. Es wird am Ende dann eine wichtige Frage sein, warum hat der Autor der
Hierb-Dichtung die Hierb-Novelle so wertgeschätzt, dass er sie als Vorwort und als Schlusswort  als Rahmen benutzt, in den hinein er die viel umfangreichere Hierb-Dichtung gesetzt hat.  Also diesen Fragen wenden wir uns noch zu. Der Autor von Hierb 3 wusste selbstverständlich,  was Klagen bedeutet, denn es gab schon das Buch der Psalmen, nennt man ja auch Psalter,  das war in der Zeit, als die Hierb-Dichtung geschrieben wurde, gab es schon den Psalter,  allerdings nicht in dieser endgültigen Form, wie wir es kennen, sondern in einer Vorform.  Aber den Großteil der Psalmen kannte er mit Sicherheit und auch viele Klage-Psalmen
kannte er. Und deswegen möchte ich jetzt zuerst einmal klären, was bedeutet überhaupt  Klagen und was bedeutet ein Klage-Psalm in der jüdischen Bibel. Es ist sehr gut, wenn  man das voraussetzt, weil man versteht dann diese sehr spezielle Hierb-Klage viel besser.  Also zunächst einmal einige allgemeine Bemerkungen zum Klagen. Der altorientalische Mensch und  auch die jüdische Bibel kennt die Klage als erste und wichtigste Reaktion des Menschen  auf schweres Leid. Und diese Reaktion ermöglicht erst andere Reaktionen. Der orientalische
Mensch klagt laut und leidenschaftlich und öffentlich. Er klagt auf den Dächern der  Häuser, das waren ja flache Dächer. Er klagt vor den Häusern, auf den Straßen und Plätzen.  Er klagt vor Verwandten, Freunden und Nachbarn. Und er klagt im Gottesdienst. Die Klage ist  das Vorrecht der Leidenden. Sie gehört keinem anderen. Das Klagen gehört zum menschlichen  Dasein, weil Leid und Schmerz zum menschlichen Dasein gehört. Alle leidenden Klagen, das  macht sie zu einer großen Familie. Und diese Klage verbindet auch dadurch, dass in den  Klagen nur ganz allgemeine offene Wendungen gebraucht werden, unter der sich viele Klagenden
einfinden können. Also die Klage ist die Stimme der Leidenden und sie ist ausgesprochenes  Leid. In der Klage hat sich das Leid seine eigene Sprachform geschaffen. Klagen bedeutet,  alles laut auszusprechen, was mich bedroht, was mich bedrückt und was mich ängstigt.  Und klagen bedeutet auch, alle Personen und alle Kräfte anzuklagen, die mir mein Leben  rauben, die mich klein machen wollen und mich zerstören wollen. Allein schon das Ausschreien  in der Öffentlichkeit ist eine elementare Hilfe. Dass ich mir Luft machen kann, schreien
kann, vor den anderen, kann eine größere Hilfe sein als alle Trostversuche und alle  Antwortversuche. In der Klage macht sich der Mensch Luft, macht andere auf sich aufmerksam  und will so der Isolation im Leid entgehen. Jetzt die Klage Psalmen im Buch Psalter in  der jüdischen Bibel. Ich sage ja sehr oft jüdische Bibel bewusst, dass wir das auch  in unser Blickfeld bekommen. Wir nennen die jüdische Bibel altes Testament. Das hören  Juden nicht so besonders gern. Es ist ja erst mal ihre Bibel und wir können die Bibel  nicht dem Judentum enteignen. Und deswegen sage ich oft die jüdische Bibel. Also in
der jüdischen Bibel im Buch der Psalmen sind 150 Psalmen gesammelt. Der Aufbau dieses  Psalters ist hoch interessant, nämlich in der ersten Hälfte oder sogar mehr dominieren  ganz stark die Klagen. Aber im Verlauf des Psalters, wenn es so ins letzte Drittel kommt,  dann dominieren immer mehr die Lob-Psalmen. Also der Psalter zielt auf das Lob, aber er  nimmt einen breiten Ausgangspunkt bei der Klage. Der Psalter betont das Lob Gottes,  ohne die Klage zu unterschätzen, ohne die Klage zu missachten. Und das ist eine enorm  wichtige Weisheit im Psalter. Ich will das mal ein bisschen zugespitzt so formulieren.
Nur das Lob Gottes ist wirklich gesund und nicht eine vordergründige Lobhudelei. Nur  das Lob Gottes ist wirklich gesund, das nicht auf Kosten der Klage geht. In den Klage-Psalmen  reden die Leidenden selber. Sie werden also nicht angeprädigt. Die Leidenden sind nicht  das Objekt in den Klage-Psalmen, sondern das Subjekt. Alles, was gesprochen wird in den  Klage-Psalmen, äußern die Klagenden selber. Alles wird aus ihrer Perspektive formuliert.  Diese Klage-Psalmen sind nicht spontan entstanden aus einer, sagen wir mal, persönlichen Not  heraus, hat irgendein Leidender jetzt spontan ein Klage-Psalm formuliert. Nein, die Klage-Psalmen
sind geprägte Sprache. Und an dieser Sprache wurde viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte  gefeilt und gearbeitet, bis sie die Qualität hatten. Und mit diesen Klage-Psalmen, die  die Erfahrungen vieler Generationen speichern, will man die späteren Generationen eine Hilfe  bereitstellen, eine sprachliche Hilfe, dass sie nicht verstummen im Leid. Man sagt ja,  Not macht stumm. Und wenn wir erst mal stumm sind, dann sind wir weitgehend verloren. Nein,  sie wollen den späteren Generationen eine Sprache geben, in der sie ihre Not hinausschreien  können. Übrigens sind auch alle Psalmen poetisch formuliert, also rhythmisiert. Und auch daran
kann man erkennen, diese Klage-Psalmen oder Lob-Psalmen, die sind nicht spontan entstanden.  Niemand kann spontan in Rhythmen beten. Das kann niemand. Das ist ja eine echte Formulierungsarbeit.  Also alle Psalmen sind, so wie auch der Redeteil des Buches hier, poetisch. In diesen Klage-Psalmen  erfährt man nie genau, was der Klage-Psalm eigentlich meint. Er nennt die Not nie genau.  Man merkt, wenn man alle Klage-Psalmen mal sorgfältig daraufhin absucht, das ist ein  Netz von Not. Es ist in der Regel gar nicht eine einzige Not. Es ist Armut, es ist soziale  Isolation, es ist Anfeindung, es ist erlittenes Unrecht, aber auch Krankheit und Todesnot.
Das ist ein Netz. Ursache und Wirkung verschränken sich und bedingen sich da oft gegenseitig.  Wichtig ist auch, es gibt im Psalter wesentlich mehr Klage-Psalmen als Lob-Psalmen. Und das  ist sehr gesund und dahinter steckt eine große Weisheit. Es gibt im Psalter 57 Klage-Psalmen,  nicht weniger Lob-Psalmen, aber es gibt noch andere, Geschichts-Psalmen, Weisheits-Psalmen,  Königs-Psalmen, also es gibt eine größere Zahl an Gattungen. Die Sprache der Klage-Psalmen  ist ganz offen und ganz allgemein, sodass möglichst alle Leidenden dieser Erde sich  hier einfinden können und mit diesen Worten klagen können. Also zum Beispiel, das Wasser
steht mir bis zum Hals. Oder ich versinke in tiefem Schlamm und finde keinen Grund.  Ich schleppe mich von einem Tag zum anderen. Meine Kraft ist zu Ende. Ich sehe keinen Ausweg  mehr. Solche und viele andere Wendungen verwenden die Klage-Psalmen. Es sind Bilder der Bodenlosigkeit,  des Versinkens, des Stürzens, des Umzingeltsein, des Bedrohtsein und der Ohnmacht und Wehrlosigkeit.  Ein Klage-Psalm hat im Buch der Psalmen einen klaren Aufbau. Ein Klage-Psalm hat fünf  Bauelemente. Ich will die mal zunächst kurz vorstellen und dann wird Martin einen Klage-Psalm
vorlesen Schritt für Schritt und ich werde dann immer sagen, das ist das Element 1, 2,  3, 4, 5. Also es hat, Klage-Psalm hat fünf Bauelemente, kann manchmal ein bisschen mehr  haben, aber die fünf sind die wichtigsten und sie haben meistens die gleiche Reihenfolge,  nicht immer, aber in der Mehrzahl der Fälle haben die auch eine bestimmte Reihenfolge.  Der erste Baustein eines Klage-Psalms ist die Gottklage. Da wird Gott angeredet und  die Klage geht also nicht ins Niemandsland und so vor sich hin, sie hat einen klaren  Adressaten, das ist Gott. Gott wird als der angeredet, der meine Klage hören soll und  der wohl auch meine Klage hören wird. Es steckt da auch ein gewisses Lob Gottes drin,  indirekt, aber ein sehr tiefes, du bist der einzige, zu dem ich mit meiner Klage kommen
kann. Das ist also die Gottklage. In der Gottklage geht es fast immer um zwei Fragen. Einmal  die Frage, warum, warum gerade ich und warum machst du sowas? Und die andere Frage, die  auch sehr oft kommt, ist, wie lange, wie lange noch sollte es so weitergehen? Also zur Gottklage  gehört die Fragestellung, das warum und das wie lange. Dann der zweite Baustein ist die  Ich-Klage. Da wird also vom Ich gesprochen, meine Kraft geht zu Ende, ich schleppe mich  von einem Tag zum anderen, das Wasser steht mir bis zum Hals, ich versinke in einem Schlamm  und finde keinen Grund, ich fühle mich wie ein zerbrochenes Gefäß und so weiter. Das
ist die Ich-Klage. Da kommt auch oft Folgendes vor, ich stehe so und so auf, nämlich schon  mit Angst und Kummer und Weinen und der Tag geht nicht rum und geht nicht rum und dann  sinke ich voller Schmerzen und Müdigkeit in den Schlaf. Es wird also Gott hier berichtet,  wie ich so Tag für Tag lebe, das soll er hören. Und drittens ein merkwürdiger Baustein, die  Feindklage. Da wird also gesagt, dass der Feind sich nicht länger über mich erhebe  und da werden auch Verwünschungen ausgestoßen, Verfluchungen, spalte ihm die Zunge, er soll  lebendig in die Grube fahren. Also eine ganz harte Feindklage. Das ist merkwürdig. Es wird  auch niemals gesagt, wer der Feind ist, nie. Aber wenn man alle Feindklagen untersucht,
dann stellt man fest, die Feinde sind irgendwie im Umfeld dieser Leute, also nicht arg weit  weg, sie gehören irgendwie zum Einflussbereich oder Bezugsfeld und die haben gesellschaftliche  Macht, sie haben einen irgendwie gehobenen Status und denen gegenüber fühlt man sich  wehrlos und man giftet sie an. Aber man handelt nicht selber gegen die Feinde, sondern im Gebet  bittet man Gott, dass er mich rächt. Dann muss ich mich nicht selber rächen. Aber Gott  wird aufgefordert, dass er sich für mich einsetzt und gegen meine Feinde. Das ist also  das Phänomen der Klage. Sie hat einen dreifachen Bezug, sie richtet sich auf Gott, sie nimmt  Bezug auf mich selber und sie äußert sich praktisch immer, es gibt kaum, ich wüsste
nicht, ich wüsste kein Klagebseil, wo keine Feindklage drin ist. Also das Phänomen der  Anfeindungen, dass ich mich bedroht fühle, ausgenutzt, dass mich einer klein machen  will, dass der Schaden Freude hat, wenn mir es schlecht geht, das nimmt einen erstaunlichen  Raum ein. Der vierte Baustein ist die Bitte an Gott. Es wird ein oder mehrere Bitten an  Gott gerichtet, dass er mich erhöre und dass er mir helfe. Und der fünfte Baustein ist  auch wieder sehr verwunderlich, das ist ein Bekenntnis der Zuversicht. Du wirst meine  Klage erhöhen und dann, wenn du meine Klage erhöht hast, dann werde ich das der ganzen  Gemeinde erzählen und ich werde dir viele Lieder singen. Dahinter steckt eine enorme
Weisheit. Die Priester im Jerusalemer Tempel haben ja an diesen Klagebseilen jahrzehntelang  gearbeitet, sie haben sehr viele menschliche Erfahrungen authentisch hier verarbeitet.  Sie wollen mit diesem Bekenntnis der Zuversicht auch den Bann brechen, die Hypnotisierung  durch Leid, dass man dauernd immer nur in verzweifelten Gedanken kreist, sondern man  spielt hier demjenigen ein Ball zu. Du, es gibt auch in Israel die Tradition der Hoffnung,  der Zuversicht, Gott ist eine Hilfe und setz mal darauf, äussere mal schon jetzt dein  Vertrauen und du wirst sehen, das ist nicht ohne Wirkung. Also dieser fünfte Baustein  will die Fixierung auf das Negative durchbrechen. Martin wird jetzt den Psalm 13 vorlesen,
das ist ein typischer Klagepsalm, er ist sehr kurz und er hat so besonders deutlich  diese fünf Bausteine. Lies mal ganz langsam, Psalm 13, ja bitte.  Wie lange noch Jahwe vergisst du mich ganz? Wie lange noch verbirgst du dein Angesicht  vor mir? Gut, das ist die Gottklage. Zwei Zeilen, typischerweise mit der Frage, wie  lange noch Jahwe. Also in der Gottklage wird Gott angeredet. Jetzt weiter.  Wie lange noch muss ich Sorgen tragen in meiner Seele? Kummer in meinem Herzen, Tag  für Tag. Ja, das ist die Ich-Klage. Hier auch mit der  gleichen Frage, wie lange noch muss ich Kummer tragen in meinem Herzen? Das ist die Ich-Klage.  Und jetzt weiter. Wie lange noch darf mein Feind sich über
mich erheben? Blick doch her.  Gut, die Feindklage hat hier nur eine Zeile. Wie lange noch, also das ist hier, das wie  lange noch kommt ja hier viermal glaube ich vor, wie lange noch wird der Feind sich über  mich erheben können? Das ist ganz typisch, der Feind ist aus irgendwelchen Gründen immer  stärker als ich. Ich kann mich kaum gegen ihn wehren. Das sind also diese drei Klagerichtungen.  Und jetzt kommt das vierte Element, bitte. Blick doch her. Gib mir Antwort, Jahwe mein  Gott. Erleuchte meine Augen, damit ich nicht im Tod entschlafe.  Ja, das ist eine relativ lange Bitte für so einen kurzen Psalm. Manchmal ist es wirklich  nur eine Bitte. Aber hier, Blick hierher, dass ich nicht im Tod entschlafe. Und jetzt  kommt das fünfte Element, eine Vertrauensäußerung. Damit mein Feind nichts sagen kann, ich habe
ihn überwältigt. Oh, das ist interessant. Warte mal schön, da kommt der Feind hier  nochmal vor. Das ist relativ selten. Aber jetzt kommt die Vertrauensäußerung. Damit  meine Gegner nicht jubeln, weil ich wanke. Ich aber habe auf deine Güte vertraut. Mein  Herz soll über deine Hilfe jubeln. Singen will ich Jahwe, weil er mir Gutes getan hat.  Oft wird diese Vertrauensäußerung sogar so formuliert, als ob Jahwe schon gehandelt  hat. Das ist umstritten. Wie kann man das erklären? Ist das schon so eine Art Vorausgewissheit?  Ich neige mehr zu einer anderen Antwort, nämlich, wenn Jahwe dann wirklich geholfen hat, findet  eine Todarfeier statt, eine Dankopferfeier im Tempel oder sonst wo, bei Freundeskreis.  Und da erzählt man das Ganze nochmal. Und bei dieser Todarfeier, da kann man ja tatsächlich
sagen, er hat mir geholfen und deshalb singe ich ihm ein neues Lied. Also entweder ist  es eine Vorausgewissheit, kann auch sein, es gibt Alttestamentler, die dazu neigen,  oder es ist die Version, die an der Todarfeier nach Jahreshilfe von ihm als Zeichen der Dankbarkeit  abgehalten wird. Wie immer. Ich möchte noch ein paar Worte sagen zur Klage und Christentum.  Das Christentum hat die Klage weitgehend ausgeschieden. Sie hat jahrhundertelang bis  in unsere Zeit die Klage als eine nicht-geistliche Form des Betens, als eine vorchristliche Art  des Betens Anfänger klagen, Fortgeschrittene loben. Das halte ich für einen großen Blödsinn.
Und darin merkt man auch, dass die spirituelle Bedeutung der Klage gar nicht gesehen wird.  Warum hat sich die Christenheit bis heute sehr schwergetan mit der Klage? Es bessert  sich seit einigen Jahrzehnten, vor allem in den jungen, selbstständigen Kirchen Afrikas,  Asiens, Südamerikas, da wird die Klage wieder entdeckt. Aber warum hat so die offizielle  Kirche in Europa jahrhundertelang die Klage geistlich verdächtigt, um nicht zu sagen  kriminalisiert als Fehlform? Warum? Ja, das hat eigentlich sehr respektable Gründe, die  man auch verstehen kann. Man hat nämlich in der Christenheit gesagt, die Erlösungstat  durch Jesus ist so dominant, überragt alles andere und die Erlösungstat Jesu gibt uns
keinen Grund zu klagen, man kann da eigentlich nur loben. Alles andere wird der Erlösungstat  Jesu Christi nicht gerecht. Ja, da ist viel dran. Es sind respektable Gründe. Man kann  sich dann auch auf das Neue Testament berufen. Es gibt im Neuen Testament keine Klagepsalmen,  aber es gibt Loblieder, zum Beispiel in Lukas 1, das berühmte Loblied der Maria Magnificat  nennt man es oder das Loblied des Zacharias, Benediktus und andere Loblieder. Paulus sagt  auch, singt dem Herrn in geistlichen Liedern, da meint er natürlich Loblieder. Ja, also  insoweit ist es voll verständlich, die Auferstehung, die Auferweckung Jesu Christi durch Gott ist
durch und durch ein positives Ereignis. Die Auferweckung Jesu ist in keiner Hinsicht ein  negatives Ereignis. Es ist durch und durch positiv. Also insofern kann man das verstehen.  Es sind respektable Gründe, die ich sehr respektiere. Dennoch ist es nicht gut, dass man durch die  Jahrhunderte hindurch aus der Erlösungstat Jesu so ein Prinzip des Betens gemacht hat,  die die Klage eigentlich nicht mehr zulässt. Vater Bodelschwing, ein großer Vater der  Christenheit im 19. Jahrhundert, hat zum Beispiel gesagt, jeden Tag ein Loblied mehr und jeden  Tag eine Klage weniger. Das ist also ein berühmter Spruch, in der Art gibt es viele Sprüche  in der Christenheit. Vater Bodelschwing wollte damit auch dem Jammergeist mal Grenzen setzen.
Es gibt ja wirklich diesen Jammergeist, Menschen, die jammern, die voller Selbstmitleid sind,  die wehleidig sind, wo man dann wirklich mal sagen muss, dieser Jammergeist hält sich  am Kopf nicht aus. Mir sagte mal ein Bekannter, er hätte einen Ehebruch begangen, den hat  er mir geschildert, und dass jetzt dieser Ehebruch herausgekommen ist, seine Frau ist  irgendwie dahinter gekommen. Und jetzt hängt tatsächlich der Ehesegen ganz schief und  er heult mir am Telefon das Ohr voll. Und da habe ich zu ihm gesagt, hör auf mit diesem  saublöden Selbstmitleid. Das hilft dir nicht, das hilft deiner Frau nicht und dem lieben  Gott hilft es auch nicht. Hör auf mit diesem blöden Selbstmitleid. Aber ihr Lieben, eine
Klage ist was ganz anderes als Wehleidigkeit oder Jammergeist oder Selbstmitleid. Verwechselt  das bitte ab heute in eurem Leben nie wieder. Die Klage gehört nur den Schwerleidenden,  die in so tiefes Leid unschuldig gefallen sind, dass sie überfordert sind. Also verwechselt  bitte nie wieder Klage mit Wehleidigkeit. Ja, die Christenheit muss die Klage wieder  entdecken. Nur so kann das christlich-jüdische Gespräch gelingen. Und wenn wir die Klage  wiederentdecken, wird unser Glaube menschlicher. Denn die Leidenden dieser Welt, bei denen
ist ein Vorrecht, dass sie klagen dürfen. Und Gott versteht die Klagenden. Also wir  müssen die Klage wieder rehabilitieren. Sie hat ein tiefes geistliches Recht. Wir brauchen  dazu die Hilfe des alten Testaments für das neue Testament. Wenn die Christenheit sich  nur allein auf das neue Testament beruft und spezialisiert, wird sie in einseitige Formen  des Glaubens verfallen. Denn das alte Testament ist nicht die Vorstufe zum Neuen. Das alte  Testament ist nicht vorchristlich, sondern das alte Testament ist die Basis des neuen  Testaments. Natürlich können wir als Christen das alte Testament auch anders lesen als Juden.
Ich lese das alte Testament als Christ und nicht als Jude. Und das dürfen wir natürlich.  Und diese Sicht aus dem neuen Testament ins alte ermöglicht schon in der Tat neue Aspekte  im alten Testament, ohne Frage. Aber viel wichtiger ist es, das neue Testament vom alten  herzulesen. Dieser Lesevorgang vom alten Testament ins neue ist hundertmal so wichtig wie der  umgekehrte. Denn wir verstehen nicht mal eine halbe Seite im neuen Testament ohne das alte.  Ohne das alte Testament können wir das neue überhaupt nicht verstehen. Also deswegen habe  ich jetzt einen verstärkten Blick ins alte Testament geworfen. Was heißt klagen und
was heißt klage psalm? Und jetzt von diesem Wissen her betreten wir jetzt die Eröffnungsklage  des Hiob. Und zwar erstmal der Überschrift. Die Überschrift steht in Hiob 3, 1 bis 2.  Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Hiob ergriff das Wort und sprach.  Gut, so weit. Das ist die Überschrift. Am Schluss dieser Überschrift steht die sogenannte  Einleitungsformel. Hiob hob an und sprach. Mit dieser Einleitungsformulierung beginnt  jetzt jede Rede des Hiob und auch aller seiner drei Freunde die Einleitungsformel Eliphas  hob an und sprach. Bildat hob an und sprach. Zofa hob an und sprach. Hiob hob an und sprach.
Aber was steht in dieser Überschrift? Hiob verfluchte den Tag seiner Geburt. Es heißt  wirklich Hiob verfluchte seinen Tag. Und das ist immer gemeint der Geburtstag. Also Hiob  verflucht seinen Geburtstag. Damit verflucht Hiob sein ganzes Dasein und damit verflucht  Hiob sich selbst. Also das ist auch schon ein Donnerschlag. Also der Autor der Hiob-Dichtung  führt seine Leser nicht Schritt für Schritt wohltemporiert an die Thematik heran. Nein,  gar nicht. Er setzt brutal an mit einem Donnerschlag. Hiob verflucht sich selbst. Arrur heißt verfluchen.
Dieses Verb arrur kommt in der Klage dann gar nicht mehr vor, nur in der Überschrift.  Aber die Klage, die wir dann gleich behandeln, meint genau das gleiche, auch wenn sie das  Wort nicht mehr benutzt. Selbstverfluchungen kommen in der Literatur des Alten Orients  öfters vor. Sie sind Ausdruck stärkster Verzweiflung. Aber in der jüdischen Bibel  kommt eine Selbstverfluchung nur noch ein einziges Mal vor, nämlich in Jeremia 20,  14 bis 18. Dort verflucht Jeremia ebenfalls den Tag seiner Geburt, genauso wie Hiob. Es  fällt auch sonst auf, dass zwischen der Hiob-Dichtung und dem Buch Jeremia eine ganze Reihe von  Querverbindungen bestehen. Das heißt, der Autor der Hiob-Dichtung hat das Buch Jeremia
ganz sicher gekannt. Ja, aber was bedeutet es, wenn er sich selber verflucht? Das bedeutet,  er will seinem Dasein ein Ende setzen. Er rechnet gar nicht mehr damit, dass Gott sein  früheres Glück wiederherstellt. Nein, die Hoffnung hat der Hiob-Dichtung gar nicht.  Das hat er hinter sich. Er will seinen Tod. Er will nicht mehr. Und Suizid, das kommt  für einen Juden überhaupt nicht in Frage. Also Hiob, obwohl er durch die Selbstverfluchung  sein eigenes Ende erstrebt, ganz klar, er will sterben, greift er da ja weh nicht vor.  Suizid ist im Judentum absolutes Tabu. Es sei denn, es gibt einen einzigen Fall in militärischen,
katastrophalen Niederlagen, kann der militärische Verantwortliche in der Situation der Aussichtslosigkeit  sich in sein eigenes Schwert stürzen. Kommt auch zwei-, dreimal vor. Aber abgesehen davon  im Krankheitsfall auf keinen Fall. Also mit diesem Donnerschlag, der natürlich eine dramatische  Veränderung in der Atmosphäre gegenüber dem Treuen Hiob, der im Leid seinem Gott treu  bleibt, ist es jetzt eine riesige Veränderung auf einen Schlag. Jetzt ist es so, dass diese  Klage einen sehr durchdachten Aufbau hat. Auch daran merkt man jetzt, es ist keine Klage,
die jemand empirisch real geklagt hat. Erstens mal ist sie ja rhythmisiert und dann hat sie  so einen überlegten Aufbau wie ein Mensch, wenn er wirklich klagt, laut und wild und  leidenschaftlich, kriegt er das nicht hin. Und wer schreibt sich auch nachträglich seine  eigenen Gebete auf? Also nein, solche Erklärungen, die greifen überhaupt nicht. Also es ist  eine tief durchdachte authentische Klage. Die erste Strophe dieser Klage sind die Verse  drei bis zehn. Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin. Die Nacht, die sprach,  ein Knabe ist empfangen. Jener Tag werde finsternis. Nie, frage Gott von oben nach ihm. Nicht leuchte  über ihm des Tages Licht. Einfordern sollen ihn finsternis und Todesschatten, Gewölk über
ihn sich lagern. Verfinsterung am Tag mache ihn schrecklich. Jene Nacht, das Dunkel raffe  sie hinweg. Sie reihe sich nicht in die Tage des Jahres. Sie gehen nicht ein in die Zahl  der Monde. Ja, diese Nacht sei unfruchtbar. Kein Jubel komme auf in ihr. Verwünschen  sollen sie die Verfluche der Tage, die es verstehen, den Liviatan zu wecken. Verfinstert  seien ihrer Dämmerung Sterne. Sie harre auf Licht, jedoch umsonst. Die Lieder der Morgenröte  schauen sie nicht. Denn sie hat die Pforten an meiner Mutterleib nicht verschlossen, nicht  das Leid verborgen vor meinen Augen.  Das ist also die Strophe 1. Die Strophe 1 ist ganz geprägt von dem Wunsch nach dem
Ende. Und auch die Sprachform in der Strophe 1 sind alles Wünsche, möge, soll und auch  Verwünschungen. Eine Geburt ist ja ein Schöpfungsvorgang. Und deswegen kommt hier jetzt über das Thema  seiner Geburt grundsätzlich auf das Thema Schöpfung. Es ist ja sehr oft so, dass am  konkreten speziellen Leid ganz grundsätzliche Fragen aufbrechen. Das ist bis heute so. Also  das Thema, das hier, ob hier aufwirft, ist das Verhältnis von Tag und Nacht, von Licht  und Finsternis. Und das heißt von Schöpfung und Chaos. Das Wortfeld, das hier benutzt  wird, ist das Wort Tag, Nacht, Licht, Finsternis, Mond, Sterne, Dämmerung, dunkles Gewölk,
alte Verdüsterung. Also es ist ein ganz prägnantes Wortfeld. Hier möchte den Tag seiner Geburt  rückgängig machen. Seine Geburt soll annuliert werden. Das war eine Fehlleistung des Schöpfers.  Denn seine Geburt gehört nicht zur guten Schöpfung, von der man sagen kann, siehe,  es war alles sehr gut. Nein, seine Geburt ist eine Fehlleistung. Und in dieser ersten  Strophe spüren wir auch etwas von der jüdischen Schöpfungsspiritualität. Denn nach biblischer  Auffassung ist die Schöpfung nichts Historisches. Also das Alte Testament fragt nicht rückwärts
nach tausenden von Jahren nach der Schöpfung, damals war die Schöpfung. Nein, bei der Schöpfung  geht es nicht um Vergangenheit, sondern bei der Schöpfung geht es um das, was jeden Tag  mein Leben begründet. Das ist Schöpfung. Und in jedem Tag scheidet Gott das Licht  von der Finsternis. Seine grundlegende Schöpfungstat, die alle anderen erst möglich gemacht hat,  war, dass Gott das Licht von der Finsternis schied. Das ist das Grundlegende. Aber das  macht er jeden Tag aufs Neue. Und deswegen, wer in seinem Herzen offen ist für die Schöpfungsspiritualität  der jüdischen Bibel, erlebt an jedem Morgen die Schöpfung neu. Denn Gott gibt jedem Tag
sein eigenes Licht und ruft ihn dadurch ins Dasein. Schöpfung ist also nicht einfach  Vergangenheit. Wir moderne Menschen können diese Strophe gar nicht verstehen, weil Hiob  will ja, dass der Tag seiner Geburt und die Nacht der Empfängnis, also so radikal will  er alles auslöschen, dass das rückgängig gemacht wird, dass das annulliert wird. Und  er will dabei sogar die Hilfe der Zauberer in Anspruch nehmen, die wissen, wie man den  Leviathan aufweckt. Leviathan ist das Chaos-Ungeheuer, das bei der Schöpfung erschlagen wurde oder
eben ausgeschalten wurde. Und seitdem liegt der Leviathan in Ohnmacht. Aber er sagt, es  gibt Zauberer, die wissen, wie man Leviathan, also der Innenbegriff des Chaos, wie man den  Leviathan wieder zum Leben erweckt. Und dann soll eben dieser Tag und diese Nacht in Finsternis  sein und annulliert werden. Aus der Nacht vor der Geburt folge sofort die Nacht nach  der Geburt und der Tag dazwischen verschwinde aus dem Kalender. Ja, wie kann das sein? Das  kann schon sein, weil Schöpfung nicht das ist, was wir unter Vergangenheit verstehen.  Der moderne Mensch versteht unter Vergangenheit etwas, was sich nicht mehr ändern lässt.  Aber Schöpfung ist nicht Vergangenheit, sondern ist das, was jeden Tag das Leben gibt und
das Leben begründet. Und in dieser Vorstellung ist es möglich zu sagen, wenn ich den Tag  meiner Geburt verschwinden lassen kann, annullieren lassen kann, dann verschwinde ich selber auch.  Das ist in dieser alten Vorstellung durchaus, also ist nicht so unmöglich, wie es auf uns  wirkt. Und dann im letzten Vers begründet er es nochmal mit seiner Geburt. In dieser  Strophe spricht er am Anfang in Vers 3 von seiner Geburt und am Ende. Und er behandelt  seine Geburt wie eine Feindklage. Also wenn ihr an die Bausteine von der Klage denkt,  Gottklage, Ichklage, Feindklage, Bitte und Vertrauensäußerung. Kann ich jetzt schon  mal am Anfang sagen, ihr könnt es ja durch genaues Lesen von hier ob 3 überprüfen.
In Seminaren lesen wir ja den Text. Und dann frage ich die Studierenden, also ihr kennt  die fünf Bausteine eines Klagebsalms, Gottklage, Ichklage, Feindklage, Bitte und Vertrauensäußerung.  Jetzt lest mal diese Klage, kommt es hier vor. Dann können wir also sagen, Bitte und  Vertrauensäußerung kommt hier überhaupt nicht vor, gar nicht. Die Feindklage kommt  vor, aber in völlig veränderter Gestalt. Der Feind ist seine eigene Geburt. Mit der  Geburt fing alles an. Das ist die Wurzel von allem Übel. Also er verflucht seine eigene  Geburt. Die Feindklage wendet er auf den Beginn seines Daseins an. Mit dem fing alles an.  Jetzt gehen wir zur zweiten Strophe, Vers 11 bis 19.
Warum sterb ich nicht vom Mutterschoß weg? Kam ich aus dem Mutterleib und verschieb nicht  gleich? Weshalb nur kamen Knie mir entgegen, wozu Brüste, dass ich daran trank?  Still lege ich jetzt und könnte rasten, entschlafen wäre ich und hätte Ruhe. Bei Königen, bei  Ratsherren im Land, die Grabkammern für sich erbauten oder bei Fürsten reich an Gold,  die ihre Häuser mit Silber gefüllt. Wie die verscharte Fehlgeburt wäre ich nicht  mehr, Kindern gleich, die das Licht nie geschaut. Dort hören Frevler auf zu toben, dort ruhen  aus deren Kraft erschöpftes. Auch Gefangene sind frei von Sorgen, hören nicht mehr die  Stimme des Treibers. Klein und groß ist dort beisammen. Der Sklave ist frei von seinem  Herrn.  Lies mal Vers 12. Das sind die Eingangssätze der Strophe 2.
Weshalb nur kamen Knie mir entgegen, wozu Brüste, dass ich daran trank?  Still lege ich jetzt und könnte rasten, entschlafen wäre ich und hätte Ruhe. Bei Königen, bei  Ratsherren…  Das ist jetzt schon das Preis für das Tod. Diese Bilder mit der Mutter sind die abschließende  Begründung von der Strophe 1. Und jetzt setzt eine ganz andere Sprache ein, nämlich dreimal  die Frage, warum. Warum? Und das ist ganz deutlich die Gottklage. Also Vers 11 bis 12,  die Gottklage hat er, aber ohne dass Gott angeredet wird. Lies mal da 4 nochmal.  Jener Tag werde Finsternis, nie frage Gott von oben nach ihm.  Nie frage Gott. Hier kommt das Wort Gott zum ersten Mal vor, aber Gott wird nicht angeredet.
Im ganzen Klagepsalm, Hiops, wird Gott nie angeredet. Das heißt, die Klage Hiops ist  gar kein Klagepsalm. Sie ist gar kein Gebet, weil sie redet ja Gott gar nicht an. Gott  kommt dreimal vor in Vers 4, haben wir gerade gehört. Dann gehe mal schon zu Vers 20, da  heißt es er ist Gott gemeint.  Warum schenkt er den Elenden Licht und Leben?  Warum schenkt er? Und hier ist er wirklich deutlich gut übersetzt mit warum. Warum schenkt  er, da ist Gott gemeint, aber er wird nicht angeredet. Und Vers 23 kommt Gott nochmal  vor.  Wozu Licht für den Mann auf verborgenem Weg, den Gott von allen Seiten einschläft?  Den Gott von allen Seiten verzäumt. Warum lässt Gott Menschen leben und verbaut ihnen
alle Lebensmöglichkeiten? Da kommt Gott auch vor. Also in dieser Hiops-Klage kommt Gott  dreimal vor, aber nur in der dritten Person. Er wird nie angeredet. Aber die Gott-Klage  mit den Fragen kommt schon zum ersten Mal in 11 bis 12. Und aber die Gott-Klage kommt  auch noch in Vers 20 bis 23 vor, in der dritten Strophe. Lies mal Vers 20 bis 23.  Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind?  Sie warten auf den Tod, doch er kommt nicht. Sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze.  Sie würden sich freuen und jubeln, Sie würden froh locken, fänden Sie ein Grab.  Wozu Licht für den Mann auf verborgenem Weg, den Gott von allen Seiten einschließt?  Da übersetzen viele warum. Warum und wozu ist sehr eng verwandt im Hebräischen. Also
hier kommt nochmal am Anfang die Frage warum, die zur Gott-Klage kommt und am Ende wozu  oder warum auch nochmal. Also die Gott-Klage ist am Beginn der Strophe 2, da kommt dreimal  die Frage warum und dann kommt in dem Preislied des Todes, bleibt diese Frage vorn. Während  also in der Strophe 1 die Sprachform des Wunsches alles prägt und auch der Verwünschung ist  in Strophe 2 prägt die Warum-Frage und die Frage-Form alles. In diesem Preislied des Todes  wird bewusst gefragt, die Menschen sind doch alle gleichwertig, auch wenn es König, Ratsherr,  also ist ein ganz anderes Wortfeld jetzt, nicht mehr das Wortfeld der Schöpfung, sondern
ein gesellschaftliches Wortfeld. König, Ratsherr, Beamter, Sklave, Täter, Opfer, Fronfugt,  Sklave, Herr. Und da geht es um die Gleichwertigkeit der Menschen, also die Frage der Gerechtigkeit.  Und das ist sehr wichtig in der Strophe 2 taucht die Warum-Frage auf, dreimal, das ist  die Frage nach dem Sinn. Und diese Warum-Frage, die ist auch in den Klagepsalmen auch typisch  bei der Gottklage, nur hier redet Gott nicht an, aber die Warum-Frage richtet sich natürlich  an ihn. Und auch sonst im Alten Orient, die Leidenden fragen nach dem Warum, sie fragen  nach dem Sinn. Das Unverstehbare ist das Schlimme an diesem Leid, ich verstehe nicht warum.
Wir dürfen also in unserer Frömmigkeit, in unserer christlichen Lebenspraxis nicht  dazu neigen, die Warum-Frage den Menschen auszureden. Man fragt nicht so viel nach dem  Warum, ein geistlicher Mensch macht das nicht. Nein, das ist altives Unrecht. Die Leidenden  können nicht anders als nach dem Warum zu fragen und das ist ihr Recht bis heute und  sie fragen nach dem Sinn. Und diese Frage nach dem Sinn wird jetzt durch das Preislied  des Todes verbunden mit der Frage nach der Gerechtigkeit. Die Sinnfrage und die Gerechtigkeitsfrage  hängen auf das Engste zusammen. Nur der Sinn ist ein Sinn, der auch gerecht ist. Ein ungerechter  Sinn ist überhaupt kein Sinn. Das ist typisch jüdische Bibel, die Sinnfrage und die Gerechtigkeitsfrage
werden ganz eng miteinander verbunden. In diesem Preislied des Todes zählt hier auf,  was ihm der Tod bringen wird. Also er lobt den Tod, das gibt es nirgendwo sonst in der  jüdischen Bibel. Er zieht den Tod dem Leben vor, ist natürlich für Gott eine glatte  Absage. Was bringt mir der Tod? Ja, der bringt mir Ruhe und ich habe doch keine Ruhe, keinen  Tag habe ich Ruhe. Der Tod wird mich nicht so verletzen, wie das Leben mich verletzt  hat. Der Tod erscheint als der letzte verbliebene Freund. Er wird mir Ruhe bringen. Auch die  Könige und die Ratsherren in ihren vornehmen Grabdenkmälern finden im Grab auch nicht mehr
als Ruhe. Und die Sklaven und die Gefangenen, ja, die finden kostbare Ruhe im Grab. Sie  können nicht mehr erreicht werden von den Befehlen ihrer Herren. Im Grab haben die Sklaven  und die Gefangenen endlich Ruhe. Und was schöneres als die Ruhe, wir warten doch alle auf den  Tod, dass er endlich uns Ruhe bringt. Also dieses Preislied des Todes ist für jüdische  Verhältnisse fast lästerlich. Damals gab es noch keine Auferstehungshoffnung. Die Hoffnung  auf Auferstehung der Toten kommt in der Bibel erst später auf, im zweiten Jahrhundert vor  Christus. Da gibt es einige ganz junge späte Stellen im Alten Testament, die sprechen von  der Auferstehung der Toten. Aber hier merkt man ja ganz klar, die gibt es hier noch nicht.
Sonst könnte man ja sofort auf die Hoffnung der Auferstehung der Toten kommen. Also sowohl  in der Hiob-Novelle, Hiob argumentiert ja auch nirgendwo, ich werde dann rehabilitiert  in der Welt der Auferstehung. Und genauso hier bei dem Preislied des Todes. Es gibt  also noch nicht die Hoffnung auf Auferstehung der Toten. Dieses Preislied ist wie die ganze  Klage Hiob 3. Wir erwünschen uns den Tod, wir erwünschen uns das Ende. Das bleibt auch  in dem Redegang bis zu Hiob 14, das ist dann der erste Redegang, bleibt ständig der Wunsch  nach dem Tod. Wann kann ich endlich sterben? Dann finde ich Ruhe. Und jetzt noch mal zu  den Versen 20 bis 23, wieder Gottklage, wieder die Warum-Frage, aber Gott wird in der Gottklage
nicht angeredet. Les mal ganz langsam Vers 20 an.  Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind?  Gut, sag mal den Satz nochmal. Warum schenkt er dem Elenden Licht und Leben denen, die  verbittert sind? Ja, das ist eine Logik. Mir schaut es vor dieser  Logik. Warum schenkt Gott Licht und Leben denen, die in ihrem Leben verbittert sind?  Was soll denn das für einen Sinn haben? Das Wichtige ist hier, an dieser Stelle fragt  Hiob nach den anderen Leidenden auf der Welt. Bis jetzt kreist Hiob um sich selber. Aber  jetzt am Beginn der dritten Strophe fragt er mit allen Leidenden dieser Erde. Er solidarisiert
sich mit ihnen. Lies mal diesen Vers nochmal und dann den nächsten dazu.  Warum schenkt er den Elenden Licht und Leben denen, die verbittert sind?  Sie warten auf den Tod, doch er kommt nicht. Sie suchen ihm mehr als verborgene Schätze.  Ja, also stellt euch das vor, diese Solidarisierung. Er solidarisiert sich jetzt mit allen Leidenden  dieser Welt. Hiob weiß und spürt, mein Fall ist kein seltener Ausnahmefall. Es gibt auf  dieser Welt so viele leidenden Elenden, die so tief im Elend stecken, dass sie den Tod  wünschen. Warum kommt er nicht? Wenn man so fragt, dann muss man tief im Leid stecken.  Der Tod wird mich nicht so verletzen können, wie das Leben mich verletzt hat. Hoch interessant
ist in diesen Versen auch, er solidarisiert sich mit allen Elenden und Leidenden, die  auf den Tod warten wie er, mit allen, ohne nach deren Lebenswandel zu fragen. Er moralisiert  überhaupt nicht. Das interessiert ihn nicht. Alle, die auf den Tod warten, weil sie das  Leiden nicht mehr ertragen können, die sind Hiob und mit denen solidarisiert er sich.  Und jetzt liest man den Schluss noch bis zum Ende.  Sie würden sich freuen und jubeln, sie würden froh locken, fänden sie ein Grab. Wozu Licht  für den Mann auf verborgenem Weg, den Gott von allen Seiten einschließt? Bevor ich noch  esse, kommt mir das Seufzen, wie Wasserströmen meine Klagen hin.  In diesem Satz beginnt die Ich-Klage. Also von den fünf Bauelementen ist Bitte und Vertrauensäußerung
überhaupt nicht da. Die Feindklage, der Feind ist seine eigene Geburt. Die Gottklage kommt  relativ normal mit Fragen, warum in Vers 11 bis 12 und 20 bis 23 ist die Gottklage, aber  ohne Anrede Gottes. Das einzige, was in der Hiob-Klage relativ normal ist, ist die Ich-Klage.  Die kommt aber hier erst ganz am Ende. Geh mal noch mal zu dem Satz, wo du vorher mit  dem Ich begonnen hast.  Bevor ich noch esse, kommt mir das Seufzen, wie Wasserströmen meine Klagen hin.  Was mich erschreckte, das hat mich getroffen. Wovor mir bangte, das kam über mich.  Noch hatte ich nicht Frieden, nicht Rast, nicht Ruhe. Da kam neues Ungemach heran.  Ja, das ist also eine typische Ich-Klage. Die könnte auch in einem Plagepsalm im Psalter
stehen. Also schauen wir mal auf diese Ausgangsklage zurück. Es ist eine sehr eigenwillige Klage.  Sie beginnt mit einem Donnerschlag der Selbstverfluchung. Und sie fährt fort mit Meine Geburt und die  Nacht der Empfängnis sind das Wurzel von allem Übel. Damit hat das Ganze angefangen.  Sie möge annulliert werden. Es ist eine Fehlleistung des Schöpfers. Er verschwinde, der Geburtstag,  aus dem Kalender. Dann die Warum-Frage, Sinn-Frage kombiniert mit der Gerechtigkeitsfrage. Alle  Menschen sind gleichwertig und alle finden im Tod Ruhe. Selbst die großen Könige und  Ratsherren finden auch nicht mehr als Ruhe. Aber die Sklaven und die Gefangenen, die freuen
sich auf die Ruhe, denn sie können von keinen Befehlen mehr erreicht werden. Also ein Loblied  auf den Tod, wie es in der Bibel nie wieder vorkommt. Dann solidarisiert sich hier mit  allen Elenden dieser Erde, die sich auf den Tod freuen, die den Tod herbeiwünschen, weil  das Leiden zu schwer ist. Mit denen solidarisiert er sich und im Namen all dieser redet er zu  Gott, ohne nach dem Lebenswandel oder Gläubigkeit zu fragen. Alle Menschen, die den Tod herbeisehnen,  weil das Leiden zu schwer sind, sind seine Schwestern und Brüder. Und dann am ganz am  Ende eine relativ typische Ich-Klage. Ich will mal ein Schlusswort zusammenfassen zu
diesem Kapitel sagen. Es wäre ganz gut, wenn Sie diese Interpretation gehört haben, mal  selber sich überlegen, wenn ein Freund oder eine Freundin von mir diese Klage geäußert  hätte, hier drei, und er wollte, dass ich ihm antworte, weil jetzt antworten nämlich  die drei Freunde. Jetzt beginnt die Streitgespräche zwischen hier und den Freunden. Und bevor  wir diese Streitgespräche im Einzelnen interpretieren, wäre es sehr interessant, es mal ernsthaft  zu sagen, ich schreibe mal meine Antwort auf, wenn hier mein Freund wäre und würde mir  diesen Brief mit dieser Klage schicken und erwartet eine Antwort von mir, wie würde  ich antworten? Das Zweite, was ich sehr wichtig finde, wenn man diese Klage vergleicht mit
den Streitgesprächen, die jetzt folgen, das nehme ich jetzt mal ganz grob voraus, dann  merkt man, was in dieser Klage nicht steht, was in den Gesprächen mit den Freunden dauernd  Thema ist. Also Sie werden merken, in diesen 20 und mehr, 25 Kapiteln Streitgespräche  mit den drei Freunden, drei Redegänge geht es immer wieder um bestimmte Themen, die stehen  dort im Mittelpunkt, die kommen aber in dieser Klage überhaupt nicht vor. Und das will  ich mal sagen, Hiob kommt in dieser ganzen Klage gar nicht auf den Gedanken, selbstkritisch
in seinem Innenleben herumzustochern, was habe ich falsch gemacht, bin ich vielleicht  selber schuld an dem allen, das interessiert Hiob überhaupt nicht. Er betreibt keinerlei  Innenerforschung, das wird dann anders. Hiob fragt nach dem Sinn des wahnsinnigen Leids,  die Freunde fragen nach der Ursache des Leids, das fragt Hiob überhaupt nicht. Und die Freunde  merken das und sagen, das ist aber nicht gut, du solltest mal selbstkritisch nach den Ursachen  fragen. Nein, das tut Hiob nicht. Und Gott antwortet ja am Ende überhaupt nicht auf  die Streitgespräche, die werden mit keinem Wort erwähnt, sondern Gott nimmt nur dieses  Kapitel 3 ernst. In diesem Kapitel 3 kommt Hiob nicht auf den Gedanken, das könnte eine
Strafe Gottes sein oder es könnte ein Läuterungsmittel, ein Erziehungsmittel Gottes sein. Die Worte  alle unschuld kommen überhaupt nicht vor. Und das ist eine der entscheidenden Botschaften  dieses Kapitels. Die Freunde kapieren das nicht, aber Gott wird ihn verstehen.
Hiobs Ausgangsklage (Hiob 3) – Hiob Vorlesung Teil 4 | 10.10.1
Hiob hat alles verloren, Kinder, Reichtum, Gesundheit. Und hält trotzdem an Gott fest. Das ist die Kurzfassung der Hiob-Geschichte, die die meisten kennen. Ein unerreichbares Vorbild, dieser Hiob. Wer schafft es schon, in völliger Gottverlassenheit weiter völlig hingegeben auf Gott zu vertrauen?
Eben.
Da tröstet jener Teil der Hiob-Geschichte, der allzu oft übersehen wird: Da kommen drei Freunde, die Hiob beistehen wollen und suchen die Ursache seines Leids bei ihm. Und Hiob rastet aus. Er klagt Gott an, stellt die Frage, die alle Menschen in ihrer Not irgendwann stellen: Warum gerade ich? Und die Frage, die Gläubige stellen, wenn sie sich trauen: Warum tust Du mir das an? Er lässt sich nicht beirren von seinen Freunden. Er weiß, dass er unschuldig in Not geraten ist. Und diese sinnlose Not schmettert Hiob Gott zu Füßen, fordert Antwort – und schafft dennoch dieses Glaubensbekenntnis: »Du wirst mich erhören.«
Allen, die sich nicht trauen, in tiefer Verzweiflung ihre Wut und Not zu Gott zu brüllen, gibt dieses Buch die Erlaubnis. Oder, wie Siegfried Zimmer in diesem vierten Vortrag der Hiob-Reihe sagt: »Wir müssen die Klage wieder rehabilitieren.«
Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.