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Es ist mir eine sehr große Freude im Rahmen von Worthaus hier einen Vortrag halten zu dürfen. Ich bin ja selber ein begeisterter und langjähriger Worthaus-Hörer und auch Besucher. Worthaus ist so ein bisschen wie wenn man ein richtig tolles Restaurant besucht, wo es einfach fantastisches Essen gibt. Und da schmeckt jedes Gericht, so ziemlich alles was man bestellt, ist köstlich, ist bekömmlich, schmeckt richtig gut. Und es gibt zwar einige, die dieses Restaurant echt verteufeln, die mit dieser Art zu kochen, mit diesen besonderen Zutaten und den neuen Rezepten überhaupt nichts anfangen können. Sie sehen darin eher eine Gefährdung der traditionellen Kochkultur. Aber immer wenn ich dort gegessen habe, dann fühlt sich das gesund an und ich

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fühle mich hinterher fitter und vitaler. Ich kann von sehr positiven Langzeiterfahrungen berichten, was das Essen in diesem Restaurant anbetrifft. Und jetzt selbst hier zu stehen ist, als würde der Restaurantmanager einen fragen, ob man mit kochen möchte, ob man Teil des Küchenteams werden möchte. Und ich habe diese Challenge, diese Herausforderung angenommen. Es ist wirklich eine Challenge, weil ich weiß, dass die Restaurantbesucher einen ziemlich verwöhnten Gaumen haben. Ich meine, hier kochen Sigizimmer und Thorsten Dietz. Und ich habe trotzdem zugesagt und habe mir auch sofort, der Martin hat mir diese Kochmütze in die Hand gedrückt und gesagt, hier wird nicht gekocht ohne Mütze. Nein, stimmt natürlich nicht, ich habe sie Sigizimmer geklaut. Nein,

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stimmt auch nicht. Ich ziehe es auch wieder ab, sonst ist das ganze Video verdorben. Und ich kann wirklich nicht viele Gerichte kochen. Aber ein paar wenige, die gelingen mir offensichtlich ganz gut. Da habe ich zumindest die Rückmeldung bekommen, dass sie ganz bekömmlich sind. Und eines davon, eines dieser Gerichte habe ich für euch heute Morgen ausgesucht. Und ich wünsche euch guten Appetit. Und ich bin es ja eigentlich gewohnt, so kleine Häppchen zu servieren. Mein Podcast, der geht immer so um die 20 Minuten. Mir ist wichtig, dass man den in der Morgentoilette oder auf dem Weg zur Arbeit anhören kann. Und insofern koche ich eher kleine Häppchen. Und heute 90 Minuten, das ist ein Drei-Gänge-Menü, immer mit Vorspeise, Hauptspeise und Dessert. Und insofern habe ich natürlich tatsächlich dieses Drei-Gänge-Menü vorbereitet. Und ich werde heute, also mein Menü heißt, wie es der Martin schon gesagt hat, Glaube Grund zur Hoffnung oder zur

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Frustration. Und als Vorspeise möchte ich euch schildern, inwieweit Glaube tatsächlich absolut Grund zur Hoffnung ist. Und das hat vor allem etwas mit meinem Verständnis vom Reich Gottes und vom Evangelium zu tun. Und als Hauptspeise, als Hauptgericht möchte ich darauf eingehen, warum Glaube aber eben auch oft Grund zur Frustration ist. Das hat mit einer ganz bestimmten Glaubensentwicklung zu tun, die ich mit euch mal grundlegend, aber auch biografisch verdeutlichen möchte. Und als Nachspeise, als Dessert möchte ich aufzeigen, wie man aus dieser negativen Glaubensentwicklung herauskommt und Glaube neue Kraft, neue Hoffnung und neue Leidenschaft entwickeln kann. Und ich möchte mich dem ganzen Thema weniger systematisch-theologisch nähern, sondern eher pastoral-theologisch. Und das liegt daran, dass ich neben dem, dass ich eben jetzt als Autor und Podcaster unterwegs bin, eben seit 30 Jahren Pastor bin. Ich bin in der

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Pastoral-Theologie zu Hause. Und in diesen letzten 30 Jahren bin ich eben als Pastor auf ganz, ganz viele Menschen gestoßen und konfrontiert mit ihrem Glauben, mit ihren Hoffnungen, mit ihren Herausforderungen, mit ihren Zweifeln und mit ihren Brüchen. Und mein eigener Glaube, der ist der evangelikalen Welt entsprungen. Ich bin mal katholisch aufgewachsen und habe dann im Rahmen des CVM und verschiedener Freikirchen den Glauben an Jesus Christus entdecken dürfen. Und 25 Jahre war ich Pastor der Vinyard-Gemeinde in Basel und die letzten fünf Jahre bin ich jetzt in der evangelischen Eliegemeinde in Erlangen. Ich bin also eher mit freikirchlicher Theologie vertraut als mit der landeskirchlichen Theologie. Das einfach als wichtige Vorbemerkung, dass ihr ein bisschen wisst, woher ich komme und worauf ich auch ein Stück weit reagiere mit dem, was ich sage.

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Komme ich zu meinem ersten Punkt der Vorspeise. Glaube Grund zur Hoffnung. Glaube Grund zur Hoffnung. Ich empfinde den Glauben als ungeheure Quelle der Hoffnung. Der Glaube macht so viel Mut, Zuversicht, er vermittelt Perspektive und das hat ganz viel mit der Botschaft vom Reich Gottes zu tun. Wenn ich mein Verständnis vom Reich Gottes und damit mein Verständnis vom Evangelium in einen Satz packen müsste, dann würde ich das mit folgendem Satz tun. Beim Evangelium und beim Reich Gottes geht es darum, das Leben zum Blühen zu bringen. Reich Gottes und Evangelium heißt für mich das Leben zum Blühen bringen. Oder wenn ich es aktiver formuliere, beim Reich Gottes geht es darum, in Christus in der Kraft des Geistes das Leben zum Blühen zu bringen. Und zwar das Leben

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in all seinen Facetten. Ich glaube, dass genau das ist die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft der Hoffnung, die uns in Christus verkündigt wurde und die mit Christus auch angebrochen ist. Also es geht darum, unsere Familien zum Blühen zu bringen, unsere Kinder zum Blühen zu bringen, jeden einzelnen Menschen zum Blühen zu bringen, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Solidarität miteinander zum Blühen zu bringen. Es geht darum, unsere Schöpfung zum Blühen zu bringen, aber auch unsere Kirchen zum Blühen zu bringen, den Glauben, den wir verkündigen, zum Blühen zu bringen. Es geht darum, das Schöne und das Gute zum Blühen zu bringen, die Kreativität zum Blühen zu bringen oder, wofür auch Wothaus steht, unser Denken zum Blühen zu bringen. Es geht darum, unsere Seelen zum Blühen zu bringen oder die Gerechtigkeit und den Frieden zum Blühen zu bringen. Es geht darum,

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die Werte des Himmels auf dieser Welt zum Blühen zu bringen, aber auch unsere Politik und unser Land zum Blühen zu bringen. Und Evangelisation, also die Verkündigung und die Verwirklichung dieser guten Botschaft, ereignet sich nicht nur, wenn Menschen von ihrem Glauben erzählen, wenn sie eine Zeltevangelisation organisieren oder zur Bekehrung aufrufen, sondern Evangelisation ereignet sich überall dort, wo Leben zum Blühen gebracht wird. Und wenn wir von der Missio De sprechen, also Gottes großen Auftrag, was er vorhat in dieser Welt und mit dieser Welt, dann ist es genau das, Gott ist auf einer Mission. Und ich glaube, seine Mission lautet, das Leben zum Blühen zu bringen. Vor ein paar Tagen am Montag war ich in Erlangen im Treffen der evangelischen Allianz und dort hat mir ein Pastor erzählt, wie wunderbar er integriert ist in seiner Nachbarschaft, wie sie da zusammen

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als Nachbarschaft Feste feiern, zusammen grillen, sich besuchen, einander unterstützen, füreinander da sind, ein sehr harmonisches Verhältnis haben. Und dann meinte er, jetzt wird es Zeit, dass geistlich mal was passiert. Dass da mal über den Glauben gesprochen wird und dass sich die bekehren. Da dachte ich so, als wäre die ganze Zeit nichts passiert. Komisch, wenn Nachbarn gut miteinander auskommen, wenn sie versöhnt sind, in Frieden leben, sich unterstützen, füreinander da sind, dann wird in dieser Nachbarschaft Leben zum Blühen gebracht. Und dort spielt sich für mich Reich Gottes und Evangelium ab. Wo immer Menschen auf dieser Welt das Leben zum Blühen bringen, beteiligen sie sich an der Missio Dei und damit am Reich Gottes. Und alle Menschen, die sich an dieser Mission des blühenden Lebens beteiligen, das sind meine Verbündeten, ganz unabhängig von

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ihrer kulturellen, ihrer religiösen oder konfessionellen Herkunft. Das sind meine Verbündeten. Und ganz ähnlich formulieren das Miroslav Wolff oder Matthew Crossman, die das Center for Faith and Culture leiten an der Yale University. Und sie gehen der Frage nach, was ist the good life, das gute Leben. Oder sie sprechen auch von flourishing life, also dem blühenden Leben. Und ihre Studien zum blühenden Leben, zum guten Leben haben herausgefunden, dass es vor allem drei Komponenten sind, durch die Menschen das Leben als gutes und erfüllendes Leben erfahren. Diese Studien haben ergeben, dass die erste Komponente eines blühenden oder eines guten Lebens glückliche oder gute Umstände sind. Gute Lebensumstände. Also die äußeren Umstände, alles was von außen auf mich einwirkt, mir begegnet, ist positiv, lebensfreundlich, lebensfördernd. Gute Umstände.

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Die zweite Komponente eines guten Lebens ist die gute oder sinn erfüllte Lebensgestaltung. Es geht also um die Fähigkeit, mit meinem Leben einen sinnvollen Beitrag leisten zu können, überhaupt Handlungsoptionen zu haben, überhaupt die Möglichkeit zu besitzen, Leben zu gestalten und verändern zu können. Ich kann gut handeln. Und die dritte Komponente eines guten Lebens sind, ist ein gutes Lebensgefühl. Das Leben fühlt sich gut an. Mein Leben fühlt sich gut an, und das war nicht nur äußerlich und nicht nur im Handeln, sondern eben innerlich habe ich ein gutes, zufriedenes, glückliches Lebensgefühl. Also gute Lebensumstände, ein Leben, dem Gutes begegnet, eine gute Lebensgestaltung, ein Leben, das richtig geführt wird und ein gutes Lebensgefühl,

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ein Leben, das sich richtig anfühlt. Und nun gibt es im Römerbrief einen ganz interessanten Vers, bei dem Paulus die zentralen Inhalte des Reiches Gottes schildert. Da steht in Römer 14, Vers 17, das heißt es, denn im Reich Gottes geht es nicht um Essen und Trinken, sondern um das, was der Heilige Geist bewirkt. Doppelpunkt. Was bewirkt der Heilige Geist? Was ist Reich Gottes? Gerechtigkeit, Frieden und Freude. Im Reich Gottes geht es um Gerechtigkeit und Frieden und um Freude. Für mich korrespondieren diese drei Begriffe absolut mit den drei Komponenten eines guten Lebens, von denen Miroslaw Wolf spricht. Gute Lebensumstände korrespondiert mit dem biblischen Begriff von Frieden. Und gute Lebensführung korrespondiert mit dem Begriff Gerechtigkeit.

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Und ein gutes Lebensgefühl korrespondiert mit dem Begriff Freude. Städte, wenn Frieden herrscht, dann sind eben die Lebensumstände friedvoll, bewahrt, geschützt unter Gottes Segen, im Schalom. Im Schalom herrscht kein Krieg, kein Mangel. Da bin ich bewahrt vor der Katastrophe und vor der Krise. Im Zustand des Friedens sind meine Lebensumstände glückliche Umstände. Und ein Leben, das gut geführt wird, eine gute Lebensführung, ist eben ein gerechtes Leben. Ein Leben, durch das die Gerechtigkeit sich vermehrt und vergrößert. Mein Leben ist dann geprägt von gerechtem Handeln und ich bin in der Lage, einen Beitrag zu leisten zur Vergrößerung der Gerechtigkeit in meinem eigenen Leben, aber auch im Leben anderer. Und die dritte Kommandante, ein gutes Leben, ist die Freude, eben das innere Glück. Dieses ganz bestimmte Lebensgefühl, das mich fröhlich, optimistisch und zuversichtlich macht. Die Botschaft vom Reich Gottes ist für mich eine

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absolute Hoffnungsbotschaft. Weil es die Botschaft vom guten und gelingenden Leben ist. Die Botschaft vom blühenden Leben. Und wo sich das Reich Gottes verwirklicht, da verwirklicht sich eben Friede, Gerechtigkeit und Freude und damit das blühende Leben. Und blühendes Leben ist vor allem dort relevant, höchst relevant, wo wir auf bedrohtes Leben stoßen. Auf absterbendes Leben, eingeengtes Leben, destruktives, trauriges, hilfloses, verarmtes, desis und ilusioniertes, krankes und einsames Leben. Und darauf stoßen wir auf Schritt und Tritt. Und dieses bedrohte Leben scheint uns in besonderer Weise deutlich zu begegnen zu seinen letzten Jahren in Form der Finanzkrise, der Flüchtlingskrise, der Pandemie, dem Angriffskrieg in Europa, der Energiekrise und der Klimadauerkrise. Genauso heißt es stets auch im Vorwärts von unserem Wothaus, am Heftchen. Und

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darum spüren wir mehr denn je, dass diese Welt das Evangelium braucht, die gute Botschaft vom blühenden Leben, dass Gott inmitten seiner Schöpfung für Wirkliche möchte. Und Christen fühlen sich ja nun in besonderer Weise verbunden mit diesem Gott und mit seinem Evangelium. Und darum sind wir in besonderer Weise Hoffnungsträger dieses blühenden Lebens. Wir sind Erben dieses blühenden Lebens. Wir haben jetzt schon eine Anzahlung dieses blühenden Lebens. Und wir haben jetzt schon den Geist des blühenden Lebens in uns. So viel mal zur Vorspeise. Jetzt komme ich zur Hauptspeise. Angesichts all dessen, was ich jetzt gerade aufgezählt habe, von diesem blühenden Leben, müssten doch unsere Kirchen blühende Landschaften sein. Und wir Christen das blühende Leben selbst, oder? Aber in Anbetracht meiner eigenen Biografie, in Anbetracht der vielen Gespräche,

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die ich als Gemeindepastor geführt habe, in Anbetracht der vielen, vielen Zuschriften, die ich auf meinen Podcast und mein Buch bekommen habe, sehe ich in Kirchen nicht nur blühendes Leben, sondern leider auch die gegenteilige Entwicklung. Da ist Glaube nicht Grund zur Hoffnung, sondern viel mehr Grund zur Frustration. Eine wachsende Anzahl von Christen und Christinnen erlebt den Glauben eben nicht als hoffnungsvolles, befreiendes und lebensstiftendes Element ihres Daseins, sondern als etwas, das eine Menge Frustration und Ernüchterung mit sich bringt oder gebracht hat. Das Leben scheint eher zu verwelken. Es wird enger, abgegrenzter, man steht unter Druck, man bekommt eine Menge Ängste aufgehalst und leidet an vielen Vereinfachungen und an den moralischen Vorgaben und an der Rigorosität, mit der man andere Menschen beurteilen soll.

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Weil mehr und mehr Christen und Christinnen nämlich eine ganz bestimmte Glaubensentwicklung war. Etwas vereinfacht sieht diese Glaubensentwicklung oft folgendermaßen aus. Und sie besteht aus verschiedenen Phasen und diese Phasen, die möchte ich euch gerne einmal schildern. Und ihr könnt selber schauen, in welcher Phase ihr euch gerade befindet oder die Menschen, die euch wichtig sind. Die erste Phase einer typischen Glaubensentwicklung ist das, was ich leidenschaftliche Phase oder erste Liebe nenne. Bei vielen Christen beginnt ihr Glaube mit großer Leidenschaft und Begeisterung und oftmals hängt das zusammen mit einer ganz besonderen Glaubenserfahrung oder auch einem besonderen Bekehrungserlebnis, das man vielleicht gerade in jungen Jahren macht. Und man glaubt gerade zu Anfang oftmals etwas naiv, unreflektiert. Glaube ist am Anfang vor allem pragmatisch. Man lebt vor allem die Glaubenspraxis. Man lebt so die totale Hingabe, ist zu großen Opfern bereit, handelt

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teilweise radikal, fast fanatisch. Man wird Teil einer Gemeinschaft und erlebt in besonderem Maße dort auch Zugehörigkeit. Und ich erinnere mich sehr gern oder sehr gern, naja, gemischt an die ersten Jahre meines, meiner ersten Glaubensphase. Weiß ich, also vielleicht auch die ältere Generation, so wie ich, kann sich vielleicht daran erinnern, also die Plattensammlung von mir und meiner Eltern musste daran glauben. In einem fast ceremoniellen Akt wurden die Schallplatten zerbrochen. Und natürlich haben wir versucht, das Backward Masking rauszufinden auf den Liedern der Beatles und der Rolling Stones, um satanische Botschaften zu entlarven. Und auf dem Hügel hinter unserem Jungschargelände haben natürlich auch die Spielkarten der Eltern verbrannt. Und ich weiß noch,

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wie wir, ich stamm aus Karlsruhe ursprünglich, vor der Schauburg standen und gegen bestimmte Kinofilme demonstriert haben. Das Gespenst, erinnert euch noch? Und so, da sind wir mit Plakaten und Bannen vor dem Kino gestanden. Und ich hatte einen ungeheuren missionarischen Eifer damals. Ich hab dann regelmäßig Freizeiten des Missionswerks AJH, Aktionen in jedes Haus, mitgemacht. Und das Ziel bestand darin, dass wir von Haus zu Haus gegangen sind. Mit DIN A4-Traktaten waren das damals noch. Und ich weiß noch, wir waren einmal in Baden-Baden auf einer Freizeit und da war ein Magierkongress in der Stadthalle. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für uns. Da bin ich mit zwei anderen, hab mich durch den Hinter-, den Lieferanteneingang eingeschmuggelt und sind dann von Stand zu Stand gegangen, haben dort Traktate verteilt, bis wir rausgeschmissen wurden vom Magierkongress. Also es ist so ein unreflektierter Eifer, alles für Jesus. Und gleichzeitig war es für mich auch die

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Phase ganz großer Glaubenserfahrungen. Ich hab damals so eine ganz bewusste Erfüllung mit dem Heiligen Geist erlebt. In meinem Kämmerlein vor meinem Schreibtisch habe ich gebetet, dass Gott mich erfüllen möge und dass ich die Sprachenrede, die Gabe der Sprachenrede empfangen. Und dann habe ich da angefangen zu reden und, ah, kennt ihr das? Und dann hört man sich selber reden und denkt man, boah, das ist sicher, das mach ich selber, das mach ich selber, das ist nicht von Gott. Und da hatte ich Zweifel und da hab ich zu Gott gesagt, ich weiß, das empfehle ich jetzt auch nicht, aber ich schlage jetzt die Losung von dem Tag auf und was in der Losung steht, soll mir sagen, was mit meinem Sprachenreden los ist. Und dann hieß es in dem Vers vom Neuen Testament, gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft. Ah, im Alten Testament. Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft. Dann dachte ich, yes, Gott verwirft mein Gebet nicht. Und in dem Gebet unter dem Text stand dann, alles ist Gabe von dir, nichts habe ich von mir selbst. Und das war also

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schon ein erstaunliches Erlebnis für mich. Und da war es gebohnt, da habe ich meinen Kumpel angerufen, es ist echt, es ist echt. Aber das Sprachenreden war gar nicht das Zentrale, sondern wisst ihr, was dann passiert ist? Meine Haltung zur Bibel hat sich verändert. Ich habe vorher eine Zumutung empfunden, wenn ich in dem Geradeaus vom Bibellesebund mehr wie fünf Verse lesen sollte. Da dachte ich, das ist echt eine Zumutung, wer schafft denn sowas? Und auf einen Schlag hat diese Bibel zu mir gesprochen. Und ich habe es geliebt, diese Bibel zu lesen. Ich habe dann eben in diesem Eifer über viele Jahre jedes Jahr zweimal die Bibel durchgelesen. Jedes Jahr neun Kapitel am Tag. Und habe mir als 16-Jähriger ein griechisches hebräisches Wörterbuch vom Taschengeld gekauft, Bauer und Gesenius. Und habe mir versucht, griechisch und hebräisch beizubringen, wenn ich den Urtex lesen wollte. Ich war on fire für diese Bibel. Und das bin ich heute noch. Und es waren ganz wichtige und wertvolle Jahre, die ich nicht

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missen wollte und an die ich mich größtenteils gerne zurückerinnere. Und irgendwann geht diese erste Phase der Liebe und der Leidenschaft über in die zweite Phase, was ich Glaubenssysteme nenne. Irgendwann wird aus purer Leidenschaft eine bestimmte Art von Glaubenssystem mit konkreten Glaubensinhalten und Lehren, Thorsten, du hast gestern von Dogmen gesprochen. Also da wird was zementiert, da wird was eingemauert. So ist es. Ich lese jetzt in der Bibel und lerne sie immer besser kennen. Ich höre wöchentlich eine Predigt. Ich lese Bücher, höre Podcasts und führe viele Gespräche über den Glauben. Mich prägen christliche Vorbilder, innerhalb oder außerhalb der Gemeinde. Aus Zugehörigkeit wird echte Identifikation. Ich entwickle Überzeugungen, innere Leersätze. Eine bestimmte Art zu glauben kristallisiert sich heraus. Also eben, Dogmatik, das was ich zu glauben habe tritt in den Vordergrund und löst die bisher vorherrschende

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Pragmatik ein Stück weit ab. Ich entwickle in der Phase auch ein moralisches Korsett, das mein Leben stabilisiert und ihm Halt gibt. Und plötzlich können wir Menschen oder was in der Welt passiert oder politische Organisationen einordnen in Gut und Böse, in geistlich und ungeistig, schwarz und weiß, biblisch und unbiblisch, gläubig und ungläubig, heilig und unheilig. Letztlich haben wir so eine Kategorie und es gibt nur zwei Möglichkeiten. Und gleichzeitig entwickeln wir in dieser Phase auch ganz konkrete Erwartungen an diesen Glauben und an diesen Gott. Und auch Erwartungen natürlich an die Kirche, in der wir sind. Ich gründe meinen Glauben in dieser Phase in meinem Leben auf bestimmte Verheißungen Gottes. Spätestens jetzt hat man konkrete Vorstellungen entwickelt, wer Gott ist, wer Jesus ist, wie man die Bibel zu verstehen hat, wie man beten soll, wie Kirche funktioniert, was das Reich Gottes ist und so weiter. Es entsteht

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ein Glaubenssystem, in dem ich mich auch geborgen fühle. Ich kann mich plötzlich zuordnen und ich kann mich abgrenzen. Dieses Glaubenssystem, das gibt mir Halt, es gibt Geborgenheit, es bildet einen Rahmen, in dem ich mich sicher bewegen kann. Und gleichzeitig schafft dieser definierte Glauben jetzt auch Verbundenheit mit Gleichgesonnenem. Und in dieser Phase kann man sich jetzt selbst zuordnen, dass sich die Phase, wo man sagt, nicht nur ich bin Christ, sondern ich bin evangelisch, ich bin Pfingstler, ich bin charismatisch, ich bin biblisch, ich bin missionarisch oder was auch immer. Man kann sich zuordnen. Das ist die zweite Phase. Und für viele Christen endet die Entwicklung hier. Sie sind glücklich in ihrem Glauben und im Rahmen ihres bestimmten Glaubenssystems. Ihr Glaube ist für sie stimmig, überzeugend, authentisch und tiefsterfüllend. Und ich möchte

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euch ehrlich sagen, ich freue mich aufrichtig über jeden Christen, der seinen Glauben leidenschaftlich und begeistert lebt. Ganz egal, was sein Glaubenssystem ist. Ich freue mich, wenn Menschen mit ihrem Glauben zufrieden sind und dankbar sind für ihren Glauben. Und ich habe mein Buch über den Glaubensumzug, Umzugshelfer nicht geschrieben, um alle Christen zum Umziehen zu bewegen. So als hätte ich die ultimative Wohnung gefunden, in die alle einziehen müssten. Das ist nicht so. Wenn jemand mit seinem Glauben zufrieden ist, mit seinem charismatischen, evangelischen, katholischen, orthodoxen, evangelikalkonservativen oder postevangelikalen Zufrieden ist, ist das wunderbar. Aber ich erlebe eben immer mehr Christen, die mit ihrem Glaubenssystem fremdeln, die da nicht mehr zufrieden sind, für die der Glaube nicht mehr passt. Und für die möchte ich

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ein Angebot machen. An vielen Stellen passt für diese Christen oder Christinnen eben der Glaube nicht mehr. Sie sind ein Stück weit auf dem harten Boden der Realität gelandet. Und das ist die dritte Phase dieser Glaubensentwicklung, der harte Boden der Realität. In dieser Phase gleichen wir ab, was wir uns erhofft haben, wovon wir überzeugt waren, was wir fest geglaubt und erwartet haben, mit dem, wie sich unser Leben und unsere Ansichten entwickelt haben. Was haben wir tatsächlich erlebt und erfahren mit diesem Glauben? Was hat dieser Glaube aus uns, aus unserem Charakter und aus unserem Leben gemacht? Es ist die Phase, in der wir unsere Theologie in Beziehung setzen zu unserer Biografie. Theologie und Biografie stehen plötzlich in einem ganz echten Verhältnis

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zueinander. Wenn man auf dem Boden der Realität gelandet ist, dann macht man oftmals einige besorgniserregende Feststellungen. Christen in dieser Phase stellen fest, dass sich die Dinge anders entwickelt haben, als sie es dachten. Das Gebet um diese Arbeitsstelle wurde nicht erhöht und ich bin immer noch nach Jahren arbeitslos. Oder ich habe noch immer keinen Partner fürs Leben gefunden. Oder die Eheprobleme haben sich nicht gelöst, sondern eher verschlimmert. Das Gebet um Gesundheit hat sich nicht verbessert und das Gebet um Heilung ist verpufft. Die erbetene Verwandlung der Homosexualität ist nicht geschehen und die Kinder haben nicht den erhofften Glaubensweg eingeschlagen. Und man fragt sich, wo ist Gottes Hilfe? Wo ist Gottes Gegenwort? Warum

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greift er nicht ein? Warum erlebe ich nicht mehr mit ihm? Warum immer noch die vielen Probleme? Warum zeigt der Glaube nicht mehr Wirkung oder Kraft? Warum ist mir so vieles am Glauben fremd geworden, was mir einmal sehr, sehr vertraut war? Das Buch der Sprüche weiß um dieses Dilemma, wenn es dort heißt, endloses Hoffen macht das Herz krank. Sprüche 13, Vers 12. Und in dieser Phase der Realität steht man oftmals fest, dass die Bibel nicht mehr in gleicher Weise zu einem spricht und man hat zunehmend Schwierigkeiten mit bestimmten Aussagen darin, die einen früher überhaupt nicht gestört haben. So was man auch kennt. Früher hat das überhaupt nicht gestört. Jetzt merkt man, wie man anfängt zu fremdeln mit genau diesen Texten. Man bekommt antike Aussagen der Bibel und moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr unter einen Hut. Man kann gewalttätige und grausame Textstellen mit der Bibel nicht mehr so einfach zur Seite schieben und innerlich

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rechtfertigen. Man ist im Laufe des Lebens vielen großartigen, vorbildlichen und inspirierenden Menschen begegnet, die aber nicht an Gott glauben. Und es fällt immer schwerer, diese Menschen einfach in die Hölle abzuschieben. Immer wieder höre ich Menschen dieser Phase sagen, dass sie bestimmte Dinge einfach nicht mehr glauben können oder glauben wollen. Man hat zu viele begabte, eloquente, intelligente und kompetente Frauen kennengelernt, um weiterhin glauben zu müssen, dass Frauen nicht lehren und leiten dürfen. Und man kann als Christ nicht länger dabei mitmachen, den Großteil der Menschheit verurteilen und verdammen zu müssen, angesichts eines Gottes, der diese Welt liebt und

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alles vollbracht hat, um sie zu erlösen. Man möchte als Christ nicht länger die Liebe und die Barmherzigkeit auf dem Altar der Korrektheit und Rechtläubigkeit opfern. Man hat plötzlich durchschaut, dass die sogenannte Bibeltreue in Wirklichkeit immer nur eine subjektive Bibeltreue ist und dass auch die konservativsten Christen nur einer bestimmten Auswahl an Bibelstellen gegenüber treu sind, wobei andere Stellen oder Gebote gar nicht beachtet werden, nicht mal auf dem Horizont sind. Und das Leben hat einen gelehrt, wie sehr unser erkennendes Stückwerk ist, und man durchschaut auf einmal die eigene Arroganz, die man vielleicht in den vergangenen Jahren anderen Christen, anderen Glaubensrichtungen und Denominationen gegenüber an den Tag gelegt hat. Man kann und will nicht länger an einen Gott glauben, den es scheinbar in so vielen verschiedenen Versionen gibt. Einen Gott, der sich in Jesus den Armen, den Sündern und den Ausgegrenzten zuwendet. Der Gott, der in

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Jesus die Feindesliebe verkündigt und davor warnt, zum Schwert zu greifen. Und der Gott, der anordnet, Krieg zu führen, Völker auszurotten und dabei schonungslos vorzugehen, Frauen, Kinder, Alte, Säuglinge, Mensch und Vieh abzuschlachten. Und man möchte keine rigorose Sexualmoral mehr vertreten müssen, angesichts immer mehr Skandalen und Missbrauchsfällen im Rahmen genau der Kirche, die seit Jahrhunderten den moralischen Zeigefinger erhebt. Das ist irgendwie schizophren. Und man möchte nicht länger queere Menschen verurteilen oder ausschließen wegen ein paar wenigen Bibelstellen, die ganz viel antike Vorstellungen widerspiegeln und deren Bedeutung höchst umstritten ist. Und ich könnte jetzt den Rest des Vormittags weitermachen mit lauter solchen Bruchlinien des Glaubens, die mir in den letzten Jahren im Kontakt mit ganz vielen Christen begegnet sind. Aber wer

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als gläubiger Mensch diesen Blick auf die Realität und auf diese Bruchlinien nicht verdrängt, sondern zulässt, der erlebt dann ganz schnell dieses Gefühl der Skepsis, des Zweifels diesem Glauben oder dieser Bibel oder sogar Gott gegenüber. Man erlebt plötzlich ein gewisses Maß an Ernüchterung, an Enttäuschung und an Frustration. Und oft macht uns dieser Zustand des Zweifels und der Ernüchterung zu Beginn auch mal betroffen. Wir schämen uns, wir haben ein schlechtes Gewissen, wir überlegen uns, was wir falsch gemacht haben, um an dem Punkt gelandet zu sein. Liegt der Fehler an mir? Bin ich nicht hingegeben genug? Werde ich gerade verführt? Bin ich lau geworden in meinem Glauben? Und in dieser Phase gleicht der Glaube eher einem schwer angeschlagenen Patienten als der Quelle der Hoffnung. Und ich bedaure es, dass an so vielen Orten und Gemeinden diese

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Anfragen an den Glauben, diese Bruchlinien so wenig ernst genommen und thematisiert werden. Und je nach Umfeld, in dem ich mich bewege, kommt es dann nämlich oft zu dem ganz typischen Reflex, wenn jemand sagt, du, ich habe da Zweifel und ich bin mir nicht mehr ganz sicher und mir fällt das und das schwer. Dann kommt der klassische Reflex und der lautet zurück zur ersten Liebe. Die Gemeinde, der Pastor, der Sprecher auf dieser Konferenz oder der Seelsorger appellieren an unsere erste Liebe. Diese gilt es wieder zu entdecken und wieder zurückzugewinnen. Infolgedessen versuchen wir unseren Zweifel jetzt zu ignorieren, unsere Frustration zu überwinden, guten Willen zu zeigen, uns anzustrengen, die alten Zeiten zu beschwören und die alten Orte wieder aufzusuchen, alte Gewohnheiten und alte Überzeugungen wiederzubeleben und neue Hingabe zu entwickeln. Und wie ist das? Oft funktioniert das für eine gewisse Zeit. Aber nach ein paar

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Wochen oder Monaten holt uns die Realität wieder ein, lässt sich der Zweifel nicht länger unter den Teppich kehren und kommt mit und die Frustration und die Ernüchterung kommt mit voller Wucht zurück. Und versteht ihr, Menschen, die seit vielen Jahren treu glauben, die Jesus nach bestem Wissen und Gewissen folgen, es sich nie leicht gemacht haben und jetzt an solchen Bruchstellen ihres Glaubens stehen. Denn wird auf einmal unterstellt, liberal geworden zu sein und einfach den Glauben an ihre Erfahrungen anpassen zu wollen. Vor einigen Wochen schrieb ein sehr konservativer Theolog in einer Rezension zu meinem Buch, ich zitiere, wenn Glaube und Erfahrung nicht übereinstimmen, dann hinterfragt der Evangelikale sein Leben, der Liberale seinen Glauben. Glaube muss nicht die Übereinstimmung mit dem Leben suchen, sondern mit dem Verheißungswort Gottes.

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Liebe, ich sehe in genau dieser Haltung, dass Glaube nicht die Übereinstimmung mit dem Leben suchen muss, den Grund für so viele krank machenden Glaubensstrukturen und Glaubensleere. Es geht diesen enttäuschten Christen doch überhaupt nicht darum, sich einfach wie im Selbstbedienungsladen einen Glauben zusammenzustellen, der reibungslos zum eigenen Leben passt, kaum Ecken und Kanten hat und möglichst wenig von mir fordert. Darum geht es doch überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich erlebe eben so viele tapfere Christen und Christinnen, die um ihren Glauben ringen, die ihn nicht verlieren wollen, die wieder leidenschaftlich werden wollen, die einen neuen Zugang suchen zur Bibel, zur Moral, zur Kirche und zu Gottes Charakter. Es geht eben nicht darum, den Glauben einfach an das Leben anzupassen, sondern endlich ehrlich werden zu dürfen, Fragen stellen zu dürfen, Zweifel anmelden zu dürfen, auf Ungeramtheiten hinweisen zu dürfen

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und Stolpersteine benennen zu dürfen, krankmachendes zu identifizieren und nicht alles gedankenlos abnicken zu müssen. Ich finde, Glauben und Leben, das sind wie zwei Zahnräder, die ineinandergreifen. Da findet Kraftübertragung statt, da entsteht Energie, das ist eine Wechselwirkung der Herstreibung und Bewegung. Und Glaubensbrüche sorgen dafür, dass diese beiden Zahnräder nicht mehr synchron sind, sich irgendwie verhaken und nicht mehr richtig ineinandergreifen. Etwas in Glauben und Leben ist zum Stillstand, ist zum Erliegen bekommen. Da ist etwas aus dem Takt geraten. Und der Glaube wird nicht einfach an das Leben angepasst, aber das Leben wird auch nicht blind an den Glauben angepasst, sondern beide müssen wieder synchron miteinander werden. Aber wenn am Ende dieser Prozess, den man oft auch als Dekonstruktion des Glaubens bezeichnet,

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wieder mit dem Bann belegt wird, mit der Drohung, das Heil zu verlieren und ewiglich verloren zu gehen, dann bewirkt das im besten Fall kurzfristige Symptomkosmetik, aber keine wirkliche Therapie für diese fehlende Synchronität zwischen Glauben und Leben. Und wer den Jo-Jo-Effekt zwischen Glaubensernüchterung und Rückkehr zur ersten Liebe lange genug mitmacht, der landet am Ende nicht nur auf dem frustrierenden Boden der Realität von dem, was gerade hatten, sondern der rutscht vielleicht noch eine Stufe tiefer in diesen abgeklärten Zynismus, in diese beißende Ironie dem Glauben gegenüber oder im schlimmsten Fall in der Dekonversion, dem gänzlichen Verlust des Glaubens. Dann wird aus Dekonstruktion Destruktion. Die Lösung liegt also nicht im Appell zu glauben, was man schon immer geglaubt hat, Augen zu und durch den Zweifel gebieten und wieder kindlich werden, sondern vielmehr in der verantwortungsvollen Veränderung und Weiterentwicklung unseres Glaubens,

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unseres Gottesbildes und unseres Bibelverständnisses. Seid ihr noch da? Jetzt habe ich euch das diese Glaubensentwicklung mal mehr grundlegend geschildert. Ich glaube, es ist gewünscht und auch mein Anliegen, dass man auch persönlich wird und das nicht nur theoretisch abhandelt. Und deswegen würde ich euch gerne diese Glaubensentwicklung auch ein bisschen beispielhaft in meinem eigenen Leben zeigen. Auch bei mir waren Leben und Glauben irgendwann nicht mehr synchron. Und die zunehmende Diskrepanz zwischen dem, was ich glauben sollte und wie sich mein Leben abgespielt hat, kann ich bei mir persönlich beispielhaft an zwei Bruchlinien festmachen. Die erste Bruchlinie betrifft das Thema Heilung. Es fällt mir echt schwer hier stehen zu bleiben. Ich bin normalerweise einer, der über die Bühne tigert. Das geht es leider nicht. Also das Thema Heilung ist eine

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erste Bruchlinie. Die Ausgangslage ist folgende. Als ich zum Glauben kam mit 13 Jahren, lag meine Mutter schon seit mehreren Jahren im Sterben wegen einer Krebserkrankung. Und ein Jahr, nachdem ich zum Glauben fand, ist sie dann tatsächlich zerelend an Krebs gestorben. Gleichzeitig habe ich natürlich die Bibel genau zu dem Thema untersucht und gelesen und bin auf ganz viele Bibelstellen gestoßen, in denen das Thema Heilung geht. Ich habe mir gesagt, jede Heilung in den Evangelien streiche ich mir orange an. Und ich hatte eine orange der Bibel. Und dann habe ich auf verschiedenen Konferenzen, wo ich war, immer wieder prophetische Eindrücke oder ganz konkrete Prophetien auf verschiedenen Konferenzen, die mir zugesagt haben, dass dieses Thema für mein Leben ist, dass ich einen Heilungsdienst haben werde. Und die Konsequenz daraus war, dass ich meine Bachelorarbeit im

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Theologiestudium über das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirchengeschichte geschrieben habe. Und meine Masterarbeit habe ich über das Leben der großen amerikanischen Heilungsevangelistin Catherine Kuhlman geschrieben. Meine dritte Tochter heißt, mein drittes Kind heißt mit zweitem Namen Catherine, weil ich damals so begeistert war in der Phase, wo sie geboren wurde, habe ich sie gerade Catherine genannt. Und ich habe echt eine persönliche Berufung auf diesem Gebiet empfunden. Und ich habe sagen, ich habe mit allem gebetet um Heilung, was noch Atem in sich hatte. Und in meinem gemeindlichen Umfeld, in dem ich natürlich mehrere Jahrzehnte mich bewegt habe, wurde diese Berufung auch immer wieder befeuert. Insofern war ich voll drin in diesem Heilungsthema. Und dann kam die Bruchlinie. Worin besteht die Bruchlinie? Nun, ich musste mir nach über 20 Jahren eingestehen, wenn ich mal ganz ehrlich bin. Als ich damals ganz ehrlich war, dass ich persönlich noch nie wirklich

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eine Krankenheilung erlebt hatte oder miterlebt hatte. Ich kam mir vor wie in dem Märchen von des Kaisers neue Kleider. Alle rufen, oh, die Kleider des Kaisers, wahnsinnig schön, guckt, wie schön die Kleider sind, der Hammer. Und ich stehe dabei und denke, ich sehe gar nichts. Also entweder ich bin dumm und meines Amtes unwürdig, weil ich es nicht sehe, oder der hat wirklich, der ist wirklich nackt. Und ich habe mich gefühlt, wie als wäre ich in der Bewegung, wo ich war, als wäre ich Teil dieses Märchens. Auf den Konferenzen, da wird Gott gepriesen und Zeugnisse erzählt und ich denke, kaum tauche ich auf, passiert nichts mehr. Ich habe tausendfach darüber gelesen, davon gehört, aber es wurde nie Teil meiner eigenen Realität und meines eigenen Erlebens. Und das

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war für mich wirklich schmerzhaft. Mir ging es wie einer Frau, die seit Jahren schwanger werden möchte und sich Kinder wünscht und einfach nicht schwanger wird. Und irgendwann ist das so ein Schmerz, dass man keine Schwangere mehr sehen kann und deshalb schon die Mama mit dem Kinderwagen wehtut. Nicht weil die was falsch macht, sondern weil es einen so erinnert an die Vergeblichkeit des eigenen Ringens. Und dann habe ich einige sehr verstörende Erfahrungen gemacht. Ich erinnere mich, es war ein sehr bekannter US-amerikanischer Fernsehprediger, Heiligensempfängnis in Basel in der St. Jakobshalle und wir Studenten waren Ordner und er hat gesagt, wenn ich sage, Heiliger Geist kommt, stellt ihr die Hallenlüftung an. Und dann wurden Briefe eingesammelt, macht eure Spenden rein, schreibt eure Gebetsanliegen drauf, wir beten, unser Team in USA betet für euch, hinter der Bühne wurden die aufgerissen, das Geld weggenommen und die Zettel weggeschmissen. Oder wir hatten einen auch bekannten Heilungserfanisten bei uns im Wohnzimmer und dann hat er mir eine

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unglaubliche Heilungsstory erzählt und da habe ich gefragt, wo ist denn das passiert? Er meinte, in der und der Gemeinde und das war zufällig meine alte Heimatgemeinde im Raum Karlsruhe. Da war ich damals schon in Basel. Dann rief ich dort an und hatte genau den am Telefon, war nämlich einer der Ältesten, für den da gebetet wurde. Und dann stellte sich raus, dass der mir einfach einen Beeren aufgebunden hat. Der wurde gar nicht geheilt, der musste hinterher von seiner Frau abgeholt werden, ins Krankenhaus gebracht werden, es ist gar nichts passiert. Aber mir wird eine Heilungsstory fressend tippen, ich dachte, was geht hier ab? Und das waren so verstörende Erfahrungen. Und ich war irgendwie auf dem harten Boden der Realität gelandet, ernüchtert, enttäuscht und frustriert. Und die Frage war, wie gehe ich jetzt um mit dem ganzen Thema Heilung? Das war so eine krasse Bruchlinie in meinem Glaubenssystem und auch in meinem Bibelverständnis. Wie gehe ich jetzt mit den ganzen bibelschönen Verheißungen um die von Heilung berichten? Was macht das auch mit meiner Identität, die so eng verknüpft war mit dem Thema Heilung? Handelt und wirkt Gott überhaupt in dieser

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Welt? Oder überlässt er uns alle unserem Schicksal? Diese Entwicklungen von Glauben und Leben im Sinne von Erleben haben mich verwirrt, zweifelt und frustriert zurückgelassen. Das war so eine Bruchlinie. Die viel dramatische Bruchlinie erinnert sich einige Jahre später. Das war der Zerbruch meiner ersten Ehe. Ausgangslage auch hier, ich habe sehr früh geheiratet. Ich kam aus sehr konservativen Kreisen. Ihr kennt das vielleicht, Händchen halten ab der Verlobung, küssen ab der Heirat. Und wir haben dann mit 18 und 19 geheiratet. Ich war noch Schüler, hatte noch nicht das Abitur, aber es waren alle dafür. Auch unsere Eltern, die mit dem Glauben eigentlich gar nichts am Hut hatten, fanden das sehr gut. Und ich habe diese Ehe auch als ganz großes Geschenk und Führung Gottes erlebt. Was habe ich Fliese ausgelegt vor Gott für diese Frau und um diese Frau und haben sich alle

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bewahrheitet und bestätigt. Und dann tatsächlich hat sie ja gesagt. Und wir waren sehr glücklich verheiratet. Wir galten in unserer Nachbarschaft und unserem Umfeld als Familie Sonnenschein. Wir hatten drei Teenager-Kinder, zu der Zeit waren 20 Jahre verheiratet. Und ich dachte wirklich, ich war seit 13 Jahren Pastor dieser Gemeinde und ich dachte wirklich, wir sind absolut glücklich verheiratet. Ich habe den Ratschlag meines Mentors befolgt, ein Eheabend in der Woche, ein Ehetag im Monat und ein Ehewochenende im Jahr. Im Vierteljahr, genau. Und so haben wir das gemacht. Was lacht ihr? Und dann kam leider eine dramatische Bruchlinie. Wir hatten gerade so ein Ehewochenende hinter uns und das Wochenende drauf. Meine Frau und ich sind wir abends im Bett eingeschlafen. Sie sind wie jeden Abend in meinem Arm eingeschlafen. Morgens musste ich dann zu

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einem Predigtdienst in eine andere Gemeinde gehen. Ich bin losgefahren mit dem Auto und sie meinte noch, also bis später, wenn du heimkommst, steht ein Kuchen auf dem Tisch. Und da bin ich losgefahren und als ich mittags nach Hause kam, stand kein Kuchen auf dem Tisch, sondern es lag ein Brief auf dem Tisch. Und in dem Brief teilte mir meine Frau mit, dass sie mit einem anderen Mann zusammengezogen ist und nie mehr zurückkommen wird. Und die Kinder hat sie gleich mitgenommen. Und ich habe nichts geahnt. Null. Niemand wusste etwas davon. Nicht ihre Eltern, nicht ihre besten Freundinnen, gar niemand, dass sie seit Monaten da eine Affäre mit einem anderen Mann hatte. Und ich stand vollkommen unter Schock. Ich war also wirklich wie gelähmt und ich dachte viele, viele Wochen lang, ich werde nie mehr glücklich werden. Und ich habe, meine einzige Rettung war irgendwie meine Gebetsspaziergänge den Wald zu machen und ich habe Gott gegenüber Rotz und Wasser gehört. Ich habe ein Jahr lang jeden Tag alle Tränen vergossen, die ich hatte und Gott angefleht, dass er diese Ehe retten möchte.

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Ich war nicht mehr in der Lage mit meiner Frau, sie war nicht in der Lage mit mir zu sprechen oder auch nur mir zu erklären, was überhaupt war. Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, wo sie lebt und also das war unglaublich schwierig. Und ich habe Gott gleichzeitig angefleht und beschimpft. Zum Glück ist das für Gott null Problem. Beten ist nichts anders wie Gott mein Herz zeigen. Beten heißt Gott mein Herz zeigen und da kann man ihm alles zeigen, was gerade in der Seele vor sich geht. Und besonders tragisch ist es, wenn man Pastor ist und die Ehe zerbricht. Das ist so der Super-GAU. Also ihr lieben Pastoren, spart's euch. Wenn als Pastor die Ehe zerbricht, dann verliert man einfach alle Lebenssäulen. Denn jetzt sind in Erlangen die Arbeiter, die einen Großteil bei Siemens. Wenn man sich scheiden lässt und bei Siemens arbeitet, das juckt bei Siemens einfach kein Mensch. Wenn man als Pastor eine Scheidung erlebt, dann hat man

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einerseits die Familie verloren. Gleichzeitig ist es in ganz vielen Orten so, dass man dann auch nicht mehr Pastor sein kann. Man ist an dem eigenen Hause nicht gut vorgestanden. Wieso kann man dem Haus Gottes gut vorstehen? Und dann verliert man seinen Beruf und damit auch die finanzielle Grundlage. Und das Theologie studiert haben, ist es nicht so ein Studium, wo man sagt, ach da stehen mir so 1000 Berufe offen dafür. Das ist ein Nischenstudium, da kann man nicht gerade was anderes machen. Aber man verliert ja nicht nur den Beruf, man verliert ja auch dann die Gemeinde, aus der man dann normalerweise rausgeht und in dem Moment verliert man sein ganzes soziales Umfeld. Nicht so, dass man doch 1000 Freunde nebendran hat, man hat ja seine Freunde und seine Beziehungen in der Gemeinde. Das heißt, jetzt gehen einem alle Lebenssäulen irgendwie verloren. Und ich bin unglaublich dankbar, dass das in unserer Gemeinde nicht so war, sondern die damals die Vineyard-Bewegung, die Vineyard Basel hat gesagt, wir stehen das miteinander durch und du kannst unser Pastor bleiben. Natürlich habe ich eine gewisse Pause

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eingelegt und eine Predigtpause, aber die Gemeinde hat mich weiterhin behalten und sagt, du bleibst bei uns, wir stehen das miteinander durch. Ich habe ungeheuer viel Barmherzigkeit in dieser Gemeinde erlebt. Natürlich hat man mir gesagt, und es war völlig richtig und völlig vernünftig, dass ich mindestens meine Seite dieser Geschichte aufarbeiten muss. Es ist ja auch logisch, das wird ja in euren Köpfen ja darum gehen, was sich das für ein Typ denn ercheckt, was mit seiner Frau los ist. Also logisch war da was auch an mir krumm, dass ich nicht wahrnehme, wie es meiner Frau geht. Und normalerweise streitet man monatelang vorher und dann trennt man sich. Also ohne irgendwelchen, wir haben nicht gestritten, das ist eben Familie Sonnenschein. Aber trotzdem hat es was mit mir zu tun, dass meine Frau nicht den Mut gefunden hat, mir die Wahrheit zu sagen, mit mir das Gespräch zu haben. Hat ja was mit mir zu tun, mit meinem Charakter. Und aus dem Grund war die, im Prozess meiner Wiederherstellung war wichtig, dass ich in therapeutische Hilfe gehe. Und ich habe das dann wirklich auch ernsthaft gemacht. Ich bin erst jede Woche zu einem Therapeuten gegangen, dann alle zwei Wochen, dann einmal im Monat, und dann mit meiner,

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mit meiner beiden Frau Nina. Wir sind zusammen noch hingegangen, weil ich sicherstellen wollte, dass ich meine Seite wahrnehme. Welche Charakterzüge haben zu diesem Zerbruch geführt? Welche Lebenslügen stecken da dahinter? Welche Glaubenslügen? Welche emotionale Unreife war mitverantwortlich für die Entwicklung und das Scheitern unserer Ehe? Und die Gemeinde hat dann hilfreiche Schritte für meine Wiederherstellung definiert. Und wie gesagt, ich habe sehr viel Barmherzigkeit erlebt. Und ich dachte, da gibt es ein paar Lebenslektionen, die ich aus diesem Zerbruch gelernt habe. Die würde ich euch gerne noch mal ein bisschen mitgeben. Und die haben im Entscheidens zur Veränderung meines Glaubens und meines Glaubenssystems beigetragen. Und eine Lektion, die ich aus diesem Zerbruch gelernt habe, ist, das klingt vielleicht makabel, aber ich habe das wirklich so erlebt. Gott kann aus Trümmern Paläste bauen. Gott kann aus Trümmern Paläste bauen. Mein Leben fühlte sich an wie in Trümmern. Ich werde nie mehr glücklich. Aber kein Zerbruch ist zu schwer, als dass Gott nicht wieder etwas Schönes in unserem Leben daraus aufbauen

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kann. Und ich kann heute sagen, ja, ich bin wieder glücklich. Und Gott hat wiederhergestellt. Und das ist seine große Fähigkeit. Gott kann aus Trümmern Paläste bauen. Trümmern sind nicht unsere Sackgasse. Und das Zweite, was ich wahrgenommen habe, ist, dass Gott seine Berufung nicht bereut. Die Berufung, die er mir geschenkt hat, auch als Pastor, als Mensch, der Reich Gottes baut, die kann ich nicht verlieren. Denn wisst ihr warum? Gott hat mich ja nicht wegen etwas berufen, sondern trotz etwas. Und das Dritte ist, ich habe eine ganz spannende Erfahrung gemacht, nämlich ich habe Frieden gefunden, ohne Antwort zu finden. In Philippa 4 heißt es, und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Es gibt einen Frieden, der ist höher als unser Verständnis, als das, was wir verstehen können. Und ich habe viele Fragen gehabt. Ich habe zum Beispiel mit Gott gefragt, was macht es überhaupt für einen Sinn zu beten,

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wenn man wie ich jeden Tag während meiner ersten Ehe auch für den Segen um die Ehe gebetet habe. Und es wurde nicht erhöht, sondern die Ehe ist gescheitert. Was macht es dann auch für einen Sinn, morgens zu beten, dass die Kinder bewahrt in die Schule kommen oder so? Was macht es überhaupt für einen Sinn zu beten? Und ich habe auf diese Frage keine Antwort bekommen. Und trotzdem wieder Frieden. Da gibt es einen Unterschied. Für viele Menschen stellt sich Frieden erst ein mit befriedigenden Antworten. Friede als Konsequenz von befriedigenden Antworten. Da gibt es ein Friede, der ist höher als befriedigende Antwort. Der ist höher als unser Verstand. Ein ganz großes Geschenk. Und das Geschenk habe ich erlebt. Ich habe heute wieder einen Frieden mit Gott. Und ich weiß, dass mein Leben zu tief in seinen Händen ist, obwohl ich nicht für alles Antworten habe, was mich da in dieser Frage noch beschäftigt. Und eben, weil ich in dieser Phase, in der nächsten Lektion, so viel Barmherzigkeit erlebt habe, hatte das für mich auch theologisch und praktische

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Konsequenzen. Wer mich kennt, weiß das, weil ich einen Satz wie ein Mantraherbete. Ich sage immer und immer wieder nach dieser Erfahrung, Kirche muss der barmherzigste Ort der Welt sein. Das darf niemand besser können als wir. Kirche muss Heimat für zerbrochene Menschen sein, in allen Formen der Zerbrochenheit. Und das muss unsere Theologie ändern und auch unser Verständnis der Bibel. Ich meine, wenn Jesus sagt, mit dem Maß, mit dem ihr gemessen werdet, sollt ihr auch messen. Das muss doch etwas machen mit den Maßstäben, die wir in Zukunft anlegen, an die Menschen um uns herum. Ich kann doch nicht genauso hart, wie ich es vorher gemacht habe, Menschen verurteilen, wenn ich so viel Gnade erlebt habe. Ich meine, da gibt es ja lauter Beispiele im neunzehntelben, Jesus, das Leichnis von dem Mann, der eine riesen Schuld vergeben bekam und dann geht er raus und trifft dem nächsten, der eine kleine Schuld hat und dann muss er, wir schmeißen ihn ins Gefängnis. Das ist, das geht einfach nicht. Wenn wir Barmherzigkeit

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für uns reklamieren, dann müssen wir sie auch anderen schenken. Und zu guter Letzt war eine Lektion für mich, dass ich in einer Längsschnittsmentalität denken muss, nicht in einer Querschnittsmentalität. Ich glaube, wir Christen haben ganz stark eine Querschnittsmentalität. Kennt ihr das, wenn der Herr wiederkommt und wenn wir in dem Moment gerade erwischt werden bei der Selbstbefriedigung oder Schweinefleisch essen oder bei der stillen Zeit einschlafen. Wird das so, als macht Gott so einen Querschnitt vom Leben und was jetzt da ist im Querschnitt, das entscheidet für die Ewigkeit. Darum sei wachsam, Kind, sei wachsam, Christ. Alle Zeit bereit für die Wiederkunft des Herrn. Also, das setzt ja unglaublichen Druck, als wäre Gott so naiv, dass er sagt, was vorher war, was danach kommt, ist alles wurscht egal, jetzt ist der Stichtag. Das ist so die Querschnittsmentalität,

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die uns Angst macht, wenn Gott im falschen Moment käme. Für mich gibt es keinen falschen Moment mehr, weil Gott mein ganzes Leben sieht, den Längsschnitt meines Lebens macht und nicht den Querschnitt. Und da hat es gute und schlechte Tage dabei. Und wenn Gott am schlechten Tag wiederkommt, sagt er, kein Problem, ich sehe dein ganzes Leben. Also eine Längsschnittsmentalität hat mir sehr geholfen. Und jetzt komme ich zur Nachspeise. Wie schaffe ich es, wenn ich auf dem harten Boden der Realität gelandet bin, wieder neue Kraft und Begeisterung und Hoffnung für meinen Glauben zu entwickeln? Was mache ich, wenn sich statt Hoffnung Ernüchterung eingestellt hat? Wie kann sich Glaube weiterentwickeln? Wie können Leben und Glaube wieder synchron werden? Und mir hilft dabei das Bild vom Umzug. Und ich weiß, Andrea, haben vielleicht lieber das Bild von der Renovation. Nehmt

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das Bild, das euch passt. Für mich passt am besten das Bild vom Umzug. Als wir als Familie 2019 von Lörrach nach Erlangen gezogen sind, haben wir fast 20 Jahre bis dahin im selben Haus gelebt. Und auch das wird ihr kennen, da sammelt sich so manches an nach 20 Jahren. Und wir haben uns zwei LKWs gemietet, 7,5 Tonnen. Und da musste alles rein, was in diesem Haus war. Und wir haben uns deswegen drei Fragen gestellt. Eine ganz entscheidende. Was wollen wir entsorgen? Und ihr wisst nicht, wie oft wir zum Recyclinghof gefahren sind. Das andere war, was wollen wir mitnehmen? Und natürlich fragt man sich auch, was müssen wir uns neu anschaffen oder neu kaufen für die neue Wohnung? Das sind die drei klassischen Fragen beim Umzug. Und genau diese Fragen, die gilt es jetzt auf den Glauben zu übertragen. Und sich genau dort auch zu fragen, im Laufe meines,

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also im Laufe meines geistlichen Umzugs, musste ich genauso entscheiden, welche Glaubensüberzeugungen und welche Glaubenspraktiken ich entsorgen möchte. Sie haben für mich nicht funktioniert. Sie haben sich nicht bewährt. Manche davon hatten das Potenzial, krank zu machen, es enger werden zu lassen in meinem Herzen oder eine richtende Härte in mir zu fördern. Manche Erwartungen oder Überzeugungen musste ich entsorgen, weil sie dem Leben nicht standhalten konnten. Auch hier musste etwas verändert werden, um mich nicht langfristig krank zu machen. Was muss ich entsorgen an meinem Glauben? Und gleichzeitig hat diese Reflexion über meinen Glauben dazu geführt, auch vieles ganz neu wertzuschätzen. Überzeugungen und Haltungen, die sich bewährt haben, die klug und gesund sind, die mein Leben zum Blühen bringen und die mich nachhaltig zum Guten verändern. Sie möchte ich auf meine Glaubensreise mitnehmen. Sie kommen in den Umzugswagen. Und über die Jahre habe

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ich mir zudem manches an Überzeugungen und Theologie ganz neu angeeignet. Vieles davor war mir zuvor fremd oder gänzlich unbekannt. Inspirierende Menschen, ihre Bücher, Predigten oder Gespräche mit ihnen haben meine Neugier geweckt, eine neue Offenheit ermöglicht und damit für Neuentdeckungen gesorgt. Und was sind denn so ganz typische Themen, die so bei diesem Umzug hochkochen? Was sind so die typischen Themen, wo man reflektiert, wie gehe ich damit um in Zukunft? Es sind nämlich meistens die sehr ähnlichen Themen bei ganz vielen Christen. Und eines der Themen für mich in Bezug auf den Umzug war mein Bibelverständnis. Ich glaube, dass an unserem Bibelverständnis ein Menge ganz, ganz viel hängt. Ich glaube, dass das Bibelverständnis zentral ist für alle weiteren Fragen. Alle weiteren Themen haben als Grundlage

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ganz stark das Bibelverständnis. Eine ganze Reihe Glaubensüberzeugungen, die zu dieser Frustration und Ernüchterung geführt haben, sind am Ende vor allem Resultat von einem ganz bestimmten Bibelverständnis. Und ich musste zum Beispiel lernen, dass ich die Bibel zutiefst ernst nehmen möchte. Das heißt aber nicht, dass ich alles wörtlich nehmen muss. Die Bibel ernst nehmen heißt gerade nicht, alles wörtlich zu nehmen. Manchmal nehme ich die Bibel gerade nicht ernst, wenn ich etwas wörtlich nehme. Oder für mich hat sich mein Inspirationsverständnis sehr verändert. Ich habe an einer sehr konservativen Ausbildungsstätte studiert. Da musste ich noch zu Beginn die Chicagoerklärung unterschreiben der Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Schrift. Und wir haben ja diesen Vers 2 der Timur des 3, 4, 16. Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützt zur Lehre, zur Besserung, zur Veränderung und so weiter. Mensch vollkommen sein. Und Inspirationsverständnis

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heißt für mich heute nicht mehr, dass die Entstehung der Bibel vor allem inspiriert ist, sondern die Wirkung der Bibel ist inspiriert. Für mich ist also die Inspiration der Bibel zeigt sich nicht in ihrer Entstehungsgeschichte, sondern in ihrer Wirkungsgeschichte. Es ist für mich nicht so die Frage, wie ist genau entstanden, wurde das diktiert, hat er eine Offenbarung gehabt, hat er alles richtig verstanden und ist das in den 5 Buchs von Moses? Wirklich von Moses, ist Jesaja wirklich von Jesaja? Und diese ganze Entstehungsfrage ist für mich heute wenig relevant. Nicht die Entstehung der Bibel zeigt ihre Inspiration, sondern die Wirkung der Bibel zeigt ihre Inspiration. Seit 2000 Jahren verändert dieses Buch Menschen. Guckt doch mal die Wirkung von dem Buch an. Das kann nur ein inspiriertes Buch. Aber das heißt nicht, dass die ganze Entstehung inspiriert sein muss. Also Inspirationslehre, da steht ja gar nichts in dem Vers drüber. Das Wort Theopneustos, Gott gehaucht, das kommt ja nur an der Stelle vor in der Bibel. Also man kann ja nicht in der Innerhalb der Bibel schauen, wie wird denn das verstanden? Das ist alles hineingedeutet. Und wenn wir den Vers schon nehmen, dann ist das einzige, was über Inspiration ausgesagt wird,

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alle Schrift des Theopneustos und, ja, was ist die Konsequenz? Sie ist wirksam, sie nützt zur Veränderung. Also ihre Nützlichkeit, ihre Wirksamkeit, das macht gerade die Inspiration der Bibel aus. Das nur so als am Rande zum Thema Inspiration oder Bibelverständnis. Ein weiteres Thema, das so ganz typisch ist für so einen Umzug, ist die Frage vom Gottesbild. Wie ist Gott denn jetzt gerade wenn man auf so widersprechende Bibelstellen und Geschichten stößt? Ich weiß, noch an einem Tag habe ich in meiner stillen Zeit am selben Tag im Alten Testament eine Stelle gelesen als 5. Mose, wo es um Segen und Fluch gibt und wo Gott sagt, so wie ich mich gefreut habe, euch Gutes zu tun, so werde ich mich freuen, gleiches hebräisches Wort, euch Böses zu tun und euch all diese Plagen, da werden die schlimmsten Dinge ausgesiedelt, die man sich nur vorstellen kann, euch die anzutun. Da denke ich, boah, harter Tobak. Wie nennt man Freude daran, anderen Schaden Leid und Schmerz zuzufügen? Gibt es einen Fachausdruck? Sadismus. Das beschreiben diese

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Verse. Und dann schlage ich um, etwas konsterniert, und lese die Geschichte, wie die Sünderin zu Jesus kommt, an seine Füße sich ausweint, ihre Haare trocknet. Genauso eine Frau, wie eigentlich Mose beschrieben wird, die sich um Gottes Gesetz nicht kümmert, die gottlos lebt. Und jetzt trifft sie aber nicht der Fluch, sondern die ganze Zuwendungskraft Jesu, der sie noch verteiligt und rechtfertigt vor der Bosartigkeit der Menschen, die da mit ihm sitzen. Und ich denke, ja, wie ist Gott denn jetzt? Ist er jetzt der Sadist oder der total zugewandt liebevolle Gott? Wie soll ich glauben? Die wichtigste Währung dessen, was wir machen, ist unser Glaube im Sinne von Vertrauen. Also wenn ein Vater, wenn mein Kind nach Hause kommt mit einer Fünf in Mathe und ich habe erstmal einen Topsuchtsanfall, es kriegt eine hinter die Ohren und es kriegt eine Woche Hausarrest, du musst aufs Zimmer. Und dann kommt es vier Wochen später wieder mit einer Mathearbeit, wieder eine Fünf. Und ich sage, Mädchen, ist doch nicht schlimm. Das schaffen wir miteinander. So lass dich nicht entmutigen. Ich

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lerne mit dir. Komm, da gehen wir zusammen durch. Also, eins kann das Kind nicht mehr, Vertrauen, weil es nicht weiß, auf welche Version des Vaters es stoßen wird. Also wie ist Gott jetzt? Welcher Version Gottes begegne ich denn jetzt? Und da sage ich, Gott hat das Problem ein für alle Mal erledigt für uns. Gott hat sich vereindeutigt, damit wir alle klipp und klar wissen, wie er ist, heißt im Hebräer 1, Vers 3, dass Jesus die vollkommene Offenbarung des Charakters Gottes ist. Wer mich sieht, der sieht den Vater. Gott gibt es nicht in mehreren Versionen. Es gibt nur eine Version Gottes und die heißt Jesus Christus. Und wer wissen will, wie Gott ist, der muss sich diesen Jesus Christus anschauen. Und damit hat sich für mich ganz vieles in meinem Gottesbild geklärt. Manches musste ich entsorgen und anderes habe ich neu entdeckt. Und ein weiteres Thema, das ganz häufig kommt bei diesem Umzug, ist die Frage und das Verständnis von Ethik und Moral.

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Ich musste lernen, dass es nicht reicht, moralisch zu sein und zu jedem Thema ein spezielles Gebot zu haben, sondern dass es vielmehr eine übergeordnete, zeitlose Ethik braucht, die uns in die Lage versetzt, zu jeder Zeit gute und relevante Moral abzuleiten. Moral ist zeitlich, Ethik ist zeitlos, Moral ist veränderbar, Ethik ist unveränderlich. Und ich weiß nicht, was deine, was eure Themen sind, die bei euch immer wieder auftauchen. Warum nicht ähnlich vorgehen und mit Bedacht und behutsam im bleibenden Gespräch mit Gott, im bleibenden Gespräch mit der Bibel und mit Wegbegleitern überlegen, was man mitnehmen, was man entsorgen und neu anschaffen möchte. Und einen letzten Punkt möchte ich noch machen, der ist mein aktuelles Steckenpferd. Ich habe

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jetzt ausführlich über Glaubensentwicklung und geistigen Umzug gesprochen. Und ich hoffe, ihr habt gespürt, dass es mir wichtig ist, nicht bei der Dekonstruktion stehen zu bleiben. Dekonstruktion definiert sich vor allem über das, was man nicht mehr glaubt. Aber ein kraftvoller Glaube braucht mehr als die Abgrenzung. Ich möchte wirklich Mut machen, nicht bei der Enttäuschung, der Verletzung und der Frustration stehen zu bleiben. Und mir ist klar, dass diejenigen, die in christlichen Kreisen schwer verletzt wurden, dass die auch ihre Zeit brauchen, ihre Rekonvaleszenz und die Abgrenzung manchmal auch ein wichtiger Schritt zur Heilung sein kann. Aber am Ende ist es wichtig, sich nicht nur abzugrenzen, sondern Glaube wieder bewusst zu gestalten, Überzeugungen wieder wachsen zu lassen und nicht einfach nur dagegen zu sein. Und dieser Glaube, der sich nach der Phase der Dekonstruktion wieder gefunden hat,

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der sich wieder aufgebaut, rekonstruiert hat, wieder synchron ist, den nenne ich persönlich, ist einfach mein Begriff, den müsst ihr nicht teilen, ich nenne das progressiven Glauben. Progressiv im besten Sinne ein Glaube, der voranschreitet, der sich weiterentwickelt. Man könnte auch sagen, im Sinne von Thorsten Dietz, weiter glauben oder vorwärts glauben, aber ich sage jetzt einfach progressiv Glauben. Und damit dieser progressive Glaube wieder erfüllt wird mit Kraft und Hoffnung und Leidenschaft, braucht er eine ganz wichtige Kombination, nämlich die Kombination mit geisterfülltem Leben. Progressiv Glauben und geisterfüllt Leben, das halte ich für eine unschlagbare Mischung. Das ist für mich die Verbindung, also die Verbindung von progressivem Glauben und geisterfülltem Leben ist für mich die entscheidende Zutat für eine Kirche von morgen. Immer mehr Christen, die werden sich aufmachen zu neuen Formen von Glauben. Sie sind auf der Suche nach erneuerten Inhalten und Hadern mit vielem Althergebrachten.

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Und darum braucht es Glaubensentwicklung und progressiven Glauben. Aber dieser Glaube, der darf nicht nur ein bloßes Konstrukt unseres Denkens werden, der darf nicht in der Theorie versandten. Progressiver Glaube muss wieder seinen Sitz in unserem Leben und in unserer Spiritualität finden. Er muss wieder Kraft und Hoffnung und Dynamik entwickeln, nicht einfach nur theoretisch oder philosophisch zufriedenstellen. Einer sagt Amen wenigstens. Wenn der Esel redet, kann auch der Hund reden. 1995 schrieb ein befreundeter Pastor von mir, Rich Nathan, aus der Vineyard Columbus in Ohio,

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ein Buch mit dem Titel Empowered Evangelicals, Bringing together the best of the Evangelical and Charismatic worlds, also bevollmächtigte Evangelikale, das Beste aus der evangelikalen und charismatischen Welt zusammenbringen. Und sein Anliegen war es, evangelikale Theologie mit den Entdeckungen und Errungenschaften der charismatischen Welt zusammenzubringen. Und er wollte deutlich machen, dass man als Evangelikaler nicht charismatische oder pfingstkirchliche Theologie übernehmen muss, um Erfahrungen mit dem Heiligen Geist und seiner Kraft machen zu können. Fand ich damals ein wichtiges Anliegen. Ich glaube, fast 30 Jahre später stehen wir an einem ähnlichen Punkt. Ich glaube, wir brauchen empowered post evangelicals. Empowered post evangelicals, bevollmächtigte Post Evangelikale. Auch Christen mit post Evangelikalen oder im progressiven Glauben können Erfahrungen mit dem Heiligen Geist und seiner Kraft machen. Sie müssen dazu nicht wieder

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Pfingstler oder Charismatiker werden. Und das sage ich mit allem Respekt von meinen charismatischen Geschwistern. Ich glaube, dass der Heilige Geist mit uns ist, dass er sich freut, wenn Menschen ehrlich werden, wenn sie um ihren Glauben ringen, wenn sie krank machen, das entsorgen, wenn sie Themen enttabuisieren und neue Wege suchen. Da ist der Heilige Geist mit uns. Hört ihr das? Er ist mit uns. Progressiver Glaube braucht sich nicht vor dem Heiligen Geist zu verstecken. Progressiver Glaube muss nicht unter dem Radar des Heiligen Geistes fliegen. Hoffentlich erwischt er uns nicht in unseren ketzerischen Gedanken. Ihr Lieben, progressiver Glaube ist für mich das Werk des Heiligen Geistes. Er resultiert aus der Inspiration des Heiligen Geistes und darum darf er sich ganz eng verbinden mit der Kraft des Heiligen Geistes. Und mir ist bewusst, dass bei einigen jetzt sofort die Alarmglocken angehen, weil man vielleicht so schwierige oder verletzende Erfahrungen in

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charismatischen Kreisen gemacht hat. Ich selber ja auch. Gerade mit Schlagworten wie Bevollmächtigung, Autorität, Salbung wurden manchmal ganz missbrauchliche Systeme aufgebaut, Menschen hörig gemacht oder andersartige Meinungen unterdrückt. Aber ich habe mir gesagt, ich lasse mir doch nicht den Heiligen Geist wegnehmen. Ich lasse mir doch nicht den Heiligen Geist wegnehmen. Ja, ich möchte auf der einen Seite progressiv glauben. Ich möchte bestimmte Dinge hinterfragen dürfen. Ich möchte mich in erster Linie von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes motivieren lassen. Ich möchte aussteigen aus dem Richten und Verurteilen. Ich möchte die Bibel ernst nehmen, ohne alles wörtlich zu nehmen. Ich möchte mein Gottesbild bewusst von Jesus prägen lassen und nicht von gewalttätigen Stellen. Ich möchte die Schöpfungserzählung als erfundene, poetische, wunderschöne und inspirierte Geschichte verstehen dürfen und nicht als naturwissenschaftlichen

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Bericht von der Erstehung der Welt. Und ich möchte nicht buchstäblich glauben müssen, dass Jona tatsächlich drei Tage in den Magenversäften eines Fischs überlebt hat und dass die Israeliten tatsächlich zwei Millionen Menschen waren und dass Gott wirklich alle bei der Sinndflut mit Stumpf und Stil ausgerottet hat. Ich möchte das nicht mehr wörtlich glauben müssen. Und ich möchte die Einsichten der Bibelwissenschaft nutzen, um die biblischen Texte in ihrem Kontext zu lesen und ihre Weisheit für moderne Lebenswelten zu übersetzen. Und ich möchte mich nicht nur um das Seelenheil der Menschen sorgen, sondern einen christlichen Lebensstil entwickeln, der auch soziale und ökologische Gerechtigkeit umfasst. Und ich ziehe es vor, mit gewissen Spannungen und Brüchen zu leben, anstatt eine christliche Doppelmoral zu leben. Ja, das möchte ich. Ich möchte progressiv glauben. Und gleichzeitig, hallo, gleichzeitig möchte ich in enger Verbindung mit dem Geist Jesu leben. Ich möchte aus seinen Impulsen heraus leben, aus seiner Kraft leben. Ich möchte seine Inspiration erfahren. Ich möchte wieder etwas

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von Intuition entwickeln, von seiner Weisheit profitieren. Ich möchte, dass sich meine spirituelle Intelligenz erhöht. Ich möchte entdecken, welche Gaben Gott für mich hat. Ich möchte sehen, was der Vater tut. Ich möchte von der Kühnheit des Geistes angesteckt werden, so wie die Apostel nach Pfingsten. Ich möchte in der Kreativität, in Kunst und im Schönen das Wirken des Geistes entdecken. Ja, ich möchte den Himmel auf die Erde bringen. Ich möchte Dinge erleben, die nur Gott tun kann. Und ich möchte weiterhin für Kranke beten und sie segnen. Und ich möchte Gottes Stimme in meinem Alltag wahrnehmen. Ich möchte mir ein geisterfülltes Leben zurück erobern. Ich möchte über diesen Gott nicht nur nachdenken und diskutieren, sondern mit seiner Kraft wieder Erfahrungen in meinem Alltag machen. Ich glaube, es ist möglich, geisterfüll zu leben, ohne den ganzen Rucksack an komischer, verschrobener und einseitiger Theologie über den Heiligen Geist, über Geistesgaben, über Zeichen und Wunder und das Übernatürliche wieder anziehen zu müssen.

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Ich möchte euch alle einladen, nicht bei der Dekonstruktion und auch nicht bei der Rekonstruktion unseres Glaubens stehen zu bleiben, sondern die Kombination aus Glauben mit geisterfülltem Leben zu suchen. Ich wünsche mir, dass Keimzellen dieses geistlichen Lebens aufbrechen in unserem Land, dass wir wieder anfangen zu experimentieren, ausprobieren und den Heiligen Geist in unsere Gemeinschaften, in unsere erneuerten Gemeinschaften einzuladen. Und ich sehne mich danach, dass neue Gemeinden entstehen oder bestehende Gemeinden sich weiterentwickeln und dadurch gleichzeitig progressiv glauben und geisterfülltes Leben fördern. Ich habe inzwischen wirklich eine Ahnung davon, welche Glaubensinhalte, welches Bibelverständnis, welche Art von Gottesbild, geistiges Leben verkümmern lassen. Und darum habe ich mein Buch geschrieben. Aber ich weiß auch, dass ein noch so stimmiger Glaube nicht automatisch und mühelos blühendes Leben hervorbringt.

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Ich sehe im Heiligen Geist und seiner Kraft immer noch die wichtigste Ursache für blühendes Leben und für blühende Landschaften auf unserer Welt. Und damit schließt sich der Kreis oder Bibelstelle vom Anfang, denn im Reich Gottes geht es nicht um Essen und Trinken, sondern um das, was wer tut, was der Heilige Geist tut, was der Heilige Geist bewirkt, Gerechtigkeit, Frieden und Freude. Blühendes Leben, blühende Landschaften, blühende Gemeinden sind nicht allein das Resultat von einem gesunden Glauben, von einem weiterentwickelten Glauben, sondern in besonderer Weise ein Wirken des Heiligen Geistes. Ich möchte nicht wieder, wie gesagt, den alten Rucksack mit fingslich-karismatischer Theologie aufziehen, aber trotzdem geisterfüllt leben. Ich plädiere für diese Kombination und wünsche mir Christen und Christinnen, Gemeinschaften und Kirchen, die dieses Miteinander, diese Verschmelzung hinbekommen, die progressiv leben und geisterfüllt, nee, progressiv glauben und

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geisterfüllt leben. Ich stehe am Anfang dieser Reise und ich freue mich über alle Reisegefährten, die mit mir auf diesem Weg spannende und neue Entdeckungen machen.

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Glaube – Grund zur Hoffnung oder zur Frustration? | 13.5.1

Worthaus 11 – Tübingen: 27. Mai 2023 von Martin Benz

Für viele Christen beginnt der Glaube wie die erste große Liebe: Leidenschaftlich, begeistert, etwas verrückt. Voller Hoffnung. Für Martin Benz begann der Glaube auch mit Demonstrationen gegen Kinofilme, verteilten Traktaten und zertrümmerten Schallplatten – was man eben aus Leidenschaft für die große Liebe so tut.

Doch dann geht das Leben weiter und die Euphorie des Anfangs weicht Ernüchterung. Wir gleichen die Hoffnungen von damals mit der Realität von heute ab. Mit den Eheproblemen, den Geldsorgen und Gesundheitsproblemen, mit dem Alltag und geplatzten Träumen.

Martin Benz ist auch Jahrzehnte nach dem ersten Liebestaumel im Glauben noch dabei, predigt, schreibt und betreibt den Podcast »Movecast«. Er erklärt in diesem Vortrag, wie das Glaubensleben nach der großen Hoffnung und dem großen Frust weitergehen kann. Und erzählt anhand eines eigenen schweren Schicksalsschlags, wie Leben und Glaube wieder in Einklang gebracht werden können.