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Ein Eiferer für Gott, so habe ich diesen Vortrag im Titel eingeleitet. Dabei handelt es sich sogar um eine Selbstbeschreibung des Paulus aus der Apostelgeschichte, und zwar aus dem 22. Kapitel. Paulus richtet sich hierbei in einer Verteidigungsrede an die Juden in Jerusalem. Er spricht hier nicht nur über seine Bekehrung, beziehungsweise Paulus selber würde eher von einer Berufung sprechen, aber darauf gehe ich dann später noch näher ein. Also er spricht hier nicht

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nur über seine Bekehrung, sondern auch über seine vorchristliche Vergangenheit. Hören wir einmal in den Anfang dieser Rede hinein. Da heißt es in Apostelgeschichte 22 Vers 3. Ich bin ein Jude, geboren in Tarsus in Kilikien, auferzogen aber in dieser Stadt. Und damit ist Jerusalem gemeint, weil er diese Rede in Jerusalem hält. Und dann heißt es weiter, zu Füßen Gamaliels unterrichtet, genau nach dem Gesetz der Väter. Ich bin ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid. Und mit diesem Ihr meint er die jüdischen Zuhörer. Jetzt müssen wir uns einiges vor Augen halten.

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Dies ist zwar eine Aussage aus dem Mund des Paulus, aber so, wie es der Lukas-Evangelist überliefert hat, der ja auch die Apostelgeschichte geschrieben hat. Also das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte sind als ein Doppelwerk konzipiert worden von einem einzigen Autor. Es ist also nicht Originalton des Paulus. Originalton hören wir in seinen Briefen. Wir merken also, wir haben im Neuen Testament zwei relevante Quellen, die wir heranziehen können, um etwas über das Leben, über das Wirken, über die Person des Paulus zu erfahren. Also einmal die

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Paulusbriefe und die Apostelgeschichte, die der Lukas-Evangelist geschrieben hat. Bei den Paulusbriefen sind wir natürlich ganz nah an Paulus. Da wir es natürlich hier aus, könnte man sagen, erster Hand erfahren. Daher sind diese Informationen generell auch zuverlässig, wobei man natürlich im einen oder anderen Fall auch mal unterscheiden muss. Das werden wir auch versuchen heute und auch morgen Vormittag, weil Paulus natürlich auch seine Interessen und Intentionen mit hineinbringt in der Darstellung und Wiedergabe der Ereignisse. Und Paulus war schon auch ein guter Rhetoriker. Und dann haben wir die Apostelgeschichte. Lukas beteuert zwar am Anfang des Lukas-Evangeliums

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in Lukas 1,3, dass er alles ganz zuverlässig und allem ganz sorgfältig nachgegangen ist und daher seine Darstellung zuverlässig ist. Aber er neigt doch bisweilen auch sehr zur Harmonisierung und hat neben historischen auch theologische Interessen. Also es geht ihm beispielsweise sehr stark darum, darzustellen, dass sich in Jesus Christus, also in diesem Jesus von Nazareth, all das erfüllt hat, was im Alten Testament verheißen wurde. Man spricht hier vom sogenannten Verheißungs-Erfüllungsschema. Und daher ist es ihm auch sehr wichtig, dass die Mission der ersten Christen von Jerusalem,

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dem Zentrum der Juden, ausgeht, weil eben in diesem Volk der Ursprung aller Verheißungen ist. Und dieses soll sich dann auf die ganze Welt ausbreiten. Und um jetzt auf Paulus zurückzukommen, deswegen kann man eben auch bei der Darstellung der Paulus-Figur in der Apostelgeschichte nicht alle Angaben völlig unkritisch übernehmen. Und dies werden wir nun im Laufe des heutigen Vormittags und auch des morgigen Tages versuchen anzugehen in diesen Vorträgen, in denen ich jetzt hier das Leben und Wirken des Paulus aus historischer Perspektive vorstellen

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werde. Während wir uns morgen auf Paulus fokussieren, der für die Sache Christi schon brennt, sozusagen ein Eiferer für Jesus Christus geworden ist, konzentrieren wir uns heute auf die, eben wir könnten sagen, vorchristliche Zeit des Paulus, in der er aber bereits ein Eiferer für Gott war, wie aus der autobiografischen Angabe in Apostelgeschichte 22,3 zu entnehmen ist. Paulus, ein Eiferer für Gott. Wer war dieser Paulus? Wovon wurde und war er geprägt? Wo wuchs er auf? Wo verbrachte er also seine Kindheit, seine Jugend? In Apostelgeschichte 22,3 erfahren wir

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hier ja schon einiges. Er ist als Jude geboren in Tarsus, erzogen in Jerusalem, unterrichtet von Gamaliel und eben ein Eiferer für Gott. Was auch immer dies in diesem Kontext bedeutet, dem wollen wir jetzt auf die Spur kommen. Bleiben wir zunächst einmal beim ersten Punkt. Paulus wurde in Tarsus geboren. Tarsus. Wo liegt diese, ich denke mal, für uns wohl eher unbekannte Stadt? Tarsus lag in der damaligen Provinz Kilikien. Da sind Sie jetzt wahrscheinlich auch nicht viel schlauer daraus. Das liegt nördlich von Palästina, von Israel und da befinden wir uns heute, könnte man sagen,

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so mitten in der heutigen Türkei. Das heißt, Paulus war nicht in Palästina, also nicht in Israel selbst geboren und das ist wichtig zu wissen. Also behalten wir das mal im Hinterkopf. Also er stammt aus Tarsus, wurde dort geboren, aber wann in etwa war das? Das genaue Geburtsjahr des Paulus ist zwar nicht bekannt, aber er dürfte so Mitte des ersten Jahrzehnts nach Christus geboren sein. Dies kann man aus einer Angabe aus dem Philemon-Brief ableiten. Den hat Paulus um circa 62 nach Christus geschrieben. Jetzt müssen wir, ich habe schon gehört, ein paar Mathematiker.

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In Philemon 9 bezeichnet sich Paulus als einen alten Mann. Das ist jetzt natürlich auch wieder eine relativ ungenaue Angabe. Da muss man jetzt wissen, was alt in der damaligen Zeit bedeutet. Und die Lebenserwartung war damals natürlich jetzt nicht so hoch wie heute. Und so hat man in der damaligen Zeit jemand als alt bezeichnet, der so circa 55 Jahre alt war. Also daraus kann man ableiten, dass Paulus eben circa in der Mitte des ersten Jahrzehnts nach Christus in Tarsus geboren wurde. Nun ist es aber so, Paulus selbst erwähnt gar nicht, dass er in Tarsus geboren ist.

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Er erwähnt in seinen Briefen nie diesen Herkunftsort. Deswegen stellt sich jetzt aus historischer Perspektive natürlich die Frage, wurde er tatsächlich in Tarsus geboren? Also können wir dieser Angabe in Apostelgeschichte 22,3 auch wirklich trauen? Man könnte jetzt in Philippa, im Philippa-Brief im dritten Kapitel Vers 5 und 6, einen indirekten Hinweis sehen. Da sagt Paulus auch einiges über sein Leben. Es heißt dort, ich wurde am achten Tag beschnitten. Ich bin aus Israels Geschlecht, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern. Nach dem Gesetz, ein Pharisäer, ich verfolgte volleifer die Kirche und war unteileleg gemessen an der Gerechtigkeit, die im Gesetz gefordert ist. Also hier stellt sich Paulus sozusagen als ein Vollblut Judet an.

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Und es ist in diesem Zusammenhang auch seine Intention, aufzuzeigen, dass er aus dem Volk Israel stammt. Wenn wir jetzt genau gehört haben, nennt er hier allerdings eben seinen Herkunftsort gerade nichts. Und das ist ja eigentlich für die eigene Identität schon was ganz Wichtiges. Also wenn man jemanden kennenlernen will, wenn man sich vorstellt, dann sagt man doch eigentlich, woher man kommt. Oder fragt, woher kommst du, woher kommen Sie? Wenn Paulus an dieser Stelle nichts über seinen Herkunftsort sagt, über seinen Geburtsort sagt, könnte das bedeuten, dass dieser Ort nicht so bedeutsam ist, um seine jüdische Herkunft

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hervorzuheben. Und das trifft auf Tasos zu, weil es ja nicht zum verheißenen Land gehört, also nicht in Palästina, nicht in Israel liegt, sondern in der sogenannten Diaspora. Das heißt, in einem eigentlich heidnischen Gebiet, in einem Gebiet, wo vorwiegend nicht Juden leben. Also, im Philippabrief sagt Paulus zwar nichts über seinen Herkunftsort, aber eben vermutlich deshalb, weil das in diesem Zusammenhang nicht sehr vorteilhaft ist. Und wenn wir jetzt nochmal in die Apostelgeschichte schauen, dann spricht Paulus auch an anderer Stelle von seiner Herkunft,

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und zwar unmittelbar vor der Aussage in Apostelgeschichte 22,3, die wir uns ja bereits angeschaut haben. In Apostelgeschichte 21,39 sagt er nämlich sogar, dass er mit Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt ist. Dies bezieht Paulus explizit auf Tasos. Jetzt haben wir mit Philippa 3,5 ja eine leise Bestätigung der lukanischen Angagen über den Herkunftsort des Paulus. Aber ein bisschen schwach ist es schon noch. Jetzt müssen wir uns nochmal daran erinnern, was Lukas ganz wichtig ist, dass nämlich alles von Jerusalem ausgeht, mit Jerusalem verknüpft

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ist. Und ist da Tasos als Geburtsort ein Vorteil? Eigentlich doch eher nicht. Also Jerusalem als Geburtsort wäre hier schon, das wäre der Triumph gewesen. Aber Lukas nennt eindeutig Tasos, eine heidnische Stadt, als Geburtsort des Pharisäers Paulus. Das ist also eine Angabe, die der lukanischen Tendenz entgegenläuft, alles und damit vermutlich auch Paulus möglichst eng mit Jerusalem zu verbinden. Und daher hält man diese Angabe auch für historisch sehr gesichert. Das heißt, in diesem Fall dürfen wir der Apostelgeschichte tatsächlich trauen. Paulus

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war also von Geburt ein Diaspora-Jude. Denn dieses Tasos lag ja nicht in Israel, nicht in Palästina, sondern in einer vornehmlich heidnischen Provinz aus dem Gebiet der heutigen Türkei. Und dies sagt jetzt einiges über den vorchristlichen Paulus aus. Er gehörte also zu den griechischsprachigen Juden. In Palästina sprach man Aramäisch. In diesem Gebiet allerdings sprach man schon Griechisch, denn diese Gebiete waren ja zuvor auch schon von den Griechen erobert, lange Zeit bevor die Römer an die Macht dort kamen und die griechische Kultur und Sprache hatte sich hier eben schon sehr eingebürgert. Das heißt, man sprach dort Griechisch. Und hieraus wird auch verständlich,

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warum Paulus in seinen Briefen ein so gutes Griechisch hatte. Also das Neue Testament ist ja an sich auf Griechisch verfasst. Aber das Griechisch des Paulus ragt hier unter den neutestamentlichen Schriften nochmal besonders heraus. Und zudem hatte Paulus als ein Jude, der nicht aus Palästina stammte, sondern eben aus der Diaspora, auch sehr viel engere Berührungspunkte mit der hellenistischen Kultur. Das haben wir jetzt in dem vorigen Vortrag auch schon sehr intensiv gehört. Auch Tarsus, eben gerade Tarsus, galt als eine bedeutende Stadt der Philosophie und der Paganen Bildung, auch mit einem blühenden wirtschaftlichen und kulturellen

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Leben. Nach einem antiken Geschichtsschreiber, der Strabon hieß, war Tarsus sogar eine Vorzeige Stadt für Bildungsinteresse. Paulus war also ein Großstadtkind, was ihn natürlich auch sehr geprägt hat. Beispielsweise verwendet er in seinen Briefen ganz andere Metaphern und Bildfelder als Jesus in seiner Verkündigung. Jesus nahm ja relativ viel aus der Lebenswelt des galiläischen Bauern, wenn wir an das Senfkorn denken zum Beispiel oder an den Weinberg. Paulus hingegen wählt Bilder eher aus dem Bereich des Sports, des Wettkampfes, weil er eben auch an seine Adressaten in seinen Briefen denkt und weil er eben selbst auch ein sogenanntes Großstadtkind

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war nach damaligem Verständnis. In Apostelgeschichte 21 wird nun aber nicht nur seine Herkunft aus Tarsus genannt, sondern Paulus bezeichnet sich auch als einen Mitbürger. Und hierbei stellt sich wiederum die Frage für einen Historiker, ob er hier also tatsächlich das tar-sische Bürgerrecht hatte, also ein städtisches Bürgerrecht. Und hinzu kommt auch noch die Frage, ob er das römische Bürgerrecht hatte. Das würde ja auch noch mal einiges über seinen sozialen Status aussagen. Wenn wir hier nochmal in die Apostelgeschichte reinschauen bzw. dort bleiben, also nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte, besitzt Paulus eben tatsächlich nicht nur das tar-sische Bürgerrecht,

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also ein städtisches Bürgerrecht, sondern sogar das römische Bürgerrecht und das als Jude. Und da kann man sich ja jetzt schon fragen, ist das überhaupt möglich? Also die Römer waren ja gerade diejenigen, die die Juden erobert hatten. Also im ersten Jahrhundert nach Christus war Israel ein unterdrücktes Volk. Also die Juden waren wirklich ein gepeinigtes, unterdrücktes Volk zu der Zeit. Und da soll jetzt ein Jude und dazu noch ein besonders frommer, die Paulus ja oft hervorhebt, und da soll nun ein Jude das römische Bürgerrecht besitzen und dazu noch das Bürgerrecht

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einer heidnischen Stadt. Ist das möglich? Nun, bezüglich des römischen Bürgerrechts spricht tatsächlich einiges dafür, dass dies stimmt. Also dass Paulus das römische Bürgerrecht besaß. In der Apostelgeschichte beruft sich Paulus auf sein römisches Bürgerrecht und zwar immer in Situationen, wo er gefangen genommen wurde, wo er also mit Haftstrafen und teils sogar auch mit Prügelstrafen zu rechnen hatte. Und dies hatte eben auch einen Grund, denn römische Bürger durften nicht gefoltert werden. Also nicht von ungefähr weist Paulus beispielsweise in der

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Apostelgeschichte 16 darauf hin, dass er und sein Mitarbeiter Silas ausgepeitscht wurden, obwohl sie römische Bürger waren. Und am Ende appelliert Paulus ja sogar an den Kaiser. Das heißt, dass sein Prozess vor dem Kaiser fortgeführt werden solle. Und das war dann ja auch der Grund, warum er nach Rom übergeführt wird. Darauf kommen wir dann morgen zu sprechen. Aber in diesem Zusammenhang ist es interessant, weil es tatsächlich auch historischer Realität entspricht, weil die Appellation an den Kaiser nur ein Recht römischer Bürger war. Und von diesem Recht macht Paulus nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte auch Gebrauch. Das heißt, diese lukanische Darstellung entspricht historischer Realität. Und zudem lässt sich tatsächlich auch die Überstellung von Paulus

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nach Rom ohne die Appellation an den Kaiser eigentlich nicht erklären. Weil für die Römer an sich dieser Fall eigentlich gar nicht so präsent war wie jetzt für die Juden selber. Das wird auch aus den Dialogen in der Apostelgeschichte deutlich. Der damalige Prokurator Festo, der für Judea, also für diese Region zuständig war, wusste auch tatsächlich nicht genau, was er mit diesem Paulus anzufangen hatte, den sie ihm ja als Gefangenen vorgeführt hatten. Er ruft hier mitunter dann sogar spöttelnd aus. Merkt man richtig, dass er diese Sache gar nicht richtig ernst nimmt. Du bist von Sinnen, Paulus. Das viele Schriftstudium treibt dich zum Wahnsinn. Also man hört den Spott richtig raus. Der hat den Paulus einfach für einen kleinen Spinner gehalten. Also

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die Römer hätten Paulus freigelassen bzw. hätten ihn auch freilassen können, wenn er eben in diesem Moment nicht an den Kaiser appelliert hätte. Hinzu kommt auch noch sein römischer Name. Paulus ist tatsächlich die römische Version von Saulus. Also Saulus ist der jüdische Name. Es gibt also gute Gründe, an der Historicität des römischen Bürgerrechts des Paulus festzuhalten. Also vermutlich, das sind jetzt aber Vermutungen, hatte Paulus das römische Bürgerrecht als Nachkomme eines freigelassenen jüdischen Sklaven. Wie steht es aber mit dem tharsischen Bürgerrecht? Dieses

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auch nur an dieser Stelle in Apostelgeschichte 21, 39 bezeugt und historisch tatsächlich nicht ganz so sicher zu entscheiden. Also grundsätzlich kann man sagen, dass es historisch gesehen möglich wäre, dass Paulus auch das tharsische Bürgerrecht besessen hat. Denn bereits zur Zeit des Paulus war eine Doppelbürgerschaft rechtlich möglich. Im Falle eines städtischen Bürgerrechts, also das tharsische Bürgerrecht ist ja ein städtisches Bürgerrecht und im Falle eines städtischen Bürgerrechts ist allerdings hier auch der soziale Status zu berücksichtigen, denn um das tharsische, also ein städtisches Bürgerrecht zu erwerben, brauchte man viel Geld. Also das kostete sehr viel in der damaligen Zeit. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte war Paulus

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Zeltmacher. Das erfahren wir aus Apostelgeschichte 18,3. Paulus selbst nennt diesen Beruf in seinen Briefen zwar jetzt nicht direkt, also nicht explizit, aber er macht Andeutungen auf einen Handwerksberuf, den er ausgeübt hat. Und so kann man dieser lukanischen Nachricht auch historische Zuverlässigkeit zutrauen. Was jetzt tatsächlich sehr interessant ist in diesem Zusammenhang, ist, dass es gerade in Tharsus eine sehr bedeutende Leinenproduktion gab. Also Paulus hätte dieses Handwerk des Zeltmachers sehr gut in Tharsus erwerben können, also lernen können.

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Aufgrund dieses Berufs wird häufig auf einen eher niedrigen sozialen Status des Paulus hingewiesen. Einschränkend muss hier allerdings hinzugefügt werden, dass es für einen Pharisäer, der ja auch eine gewisse Bildung genoss, da kommen wir auch noch gleich darauf zu sprechen, also dass es für einen Pharisäer gar nicht unüblich war, einen Handwerksberuf auszuüben oder zu erlernen. Und wenn man jetzt seine jüdisch-helenistische Bildung berücksichtigt, die eben nicht jeder Jude genoss beziehungsweise genießen konnte oder auch seine Denk- und Sprachkraft, die wir in seinen Briefen beim Erkennen, seine Rhetorik und Ausdrucksfähigkeit, dann ist schon eher zu vermuten, dass Paulus zur städtischen Mittelschicht gehörte. Was jetzt aber sehr viel stärker gegen das tharsische

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Bürgerrecht spricht, ist die Tatsache, dass der Leineweberberuf in Tarsus kein hohes Ansehen genoss. Das erfährt man aus antiken Quellen und deswegen wäre eine Vollbürgerschaft für Leineweber in Tarsus eher ungewöhnlich und auch unwahrscheinlich. Hinzu kommt jetzt noch die Tatsache und das ist tatsächlich der stärkste Punkt, dass Paulus Jude war. Denn die Vereinbarkeit von Judentum beziehungsweise jüdischem Glauben und einem helenistischen städtischen Bürgerrecht war mehr als problematisch. Für einen gläubigen Juden ist es aus religiösen Gründen nicht möglich,

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alle Rechte und Pflichten wahrzunehmen, die mit einem städtischen Bürgerrecht verbunden sind. Gerade politische Ämter, öffentliche Ereignisse wie Theater, Feste, Wettkämpfe, an denen ja auch die Bürger teilnehmen sollten, also gerade solche städtische Ereignisse hatten eben immer auch eine religiöse Komponente. Und das war jetzt natürlich für einen streng gläubigen Juden ein Problem, weil der hier an der heidnischen Religiosität letztlich teilnehmen hätte müssen. Und daher war der Besitz des tarsischen Bürgerrechts als eines städtischen Bürgerrechts gerade für einen

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streng gläubigen Pharisäer und eine Pharisäerfamilie äußerst problematisch. Und daher ist es historisch eher unwahrscheinlich, dass Paulus auch das tarsische Bürgerrecht hatte. Wie ist dann aber diese Angabe in Apostelgeschichte 21 zu verstehen? Hat der gute Lukas hier also doch ein bisschen Unwahrheit verbreitet? Da sind wir jetzt mal ein bisschen vorsichtig im Urteil, weil das griechische Wort, das hier verwendet wird für Mitbürger, kann im Griechischen auch einfach dazu verwendet werden, um zu sagen, woher jemand kommt. Das heißt als Herkunftsbezeichnung.

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Wenn also Paulus sagt, dass er Mitbürger von Tarsus ist, sagt er damit einfach aus, dass er aus Tarsus stammt, was ja auch stimmt. Und Tarsus war ja eine blühende Handels- und Bildungsstadt. Und wie wir vorhin schon gehört haben, war in Tarsus auch vor allem die stoische Philosophie der Heimat. Eine der Hauptströmungen in der Philosophie, von der auch Paulus sehr beeinflusst war, wie seine Briefe zeigen. Denn hier kommen auch immer wieder stoisches Gedankengut vor. Fraglich ist jetzt nur, ob Paulus diese Paganen Bildungspotenziale in Tarsus genutzt

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hat bzw. nutzen konnte. Denn die frühkindliche Sozialisation erfolgte ja nach dem Zeugnis des Lukas in Jerusalem. Und in Apostelgeschichte 22,3 grenzt Paulus diesen Ort der frühkindlichen Sozialisation klar vom Geburtsort Tarsus ab, wenn er hier sagt, auferzogen, aber in dieser Stadt. Und damit meint er Jerusalem, weil die ganze Szene hier ja in Jerusalem stattfindet. Und in Apostelgeschichte 26 kommt Paulus nochmals in den Versen vier und fünf auf seine Kind- und

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Jugendzeit zu sprechen. Es heißt dort nun meinen Lebenswandel, den ich seit der Jugend in meinem Volk und in Jerusalem geführt habe, kennen alle Juden, die mich von Anfang an kennen, wenn sie es bezeugen wollen, dass ich nach der strengsten Richtung unserer Religion als Pharisäer gelebt habe. Und hier in Apostelgeschichte 26 wird nicht von der Kindheit, sondern von der Jugendzeit gesprochen. Das kann jetzt natürlich einschließen, dass Paulus dennoch bereits in seiner Kindheit nach Jerusalem kam, wenn er von Jugend auf bekannt war. Aber es wäre auch möglich, hier zu fragen, ob Lukas

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aus apologetischen Zwecken in Apostelgeschichte 22,3 etwas übertreibt mit seiner Angabe, dass Paulus bereits als Kind in Jerusalem war, also gemäß seinen Intentionen eben möglichst alles eng mit Jerusalem zu verbinden. Also das würde eigentlich wieder seinem Interesse entsprechen, Paulus eben möglichst eng mit Jerusalem in Verbindung zu bringen, obwohl er aus Tarsus stammt. Also Lukas übertreibt vielleicht ein bisschen mit der Angabe in Apostelgeschichte 22,3, aber das muss den Angaben in Apostelgeschichte 26 jetzt nicht widersprechen. Denn wenn Paulus nach Apostelgeschichte

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26, also nach der Stelle, die wir gerade gehört haben, wenn er hier als Jugendlicher in Jerusalem bekannt war, kann, aber muss dies nicht mit einschließen, dass Paulus bereits als Kind in Jerusalem aufwuchs. Paulus könnte also einen Teil seiner Kindheit, und nach damaliger Zeit spricht man von der Elementarschulzeit, also sozusagen die Grundschulzeit, er könnte einen Teil seiner Kindheit in Tarsus verbracht haben und dort zumindest Lesen und Schreiben gelernt haben und dann für eine weiterführende jüdische Schulbildung nach Jerusalem gekommen sein. Häufig wird daher

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auch von einer zweistufigen Ausbildung des Paulus gesprochen und dafür sprechen eben auch die guten griechischen Kenntnisse. Bezüglich der weiterführenden Schule in Jerusalem steht nun aber die Frage im Raum, ob Paulus auch tatsächlich von diesem Gamaliel unterrichtet wurde, wie dies ja in Apostelgeschichte 22,3 dargestellt wird. Wer war dieser Gamaliel? In der Apostelgeschichte wird er als Mitglied des Hohen Rates vorgestellt und zwar als ein Gesetzeslehrer, der beim ganzen Volk bekannt und auch sehr geschätzt war. Und er ist auch der einzige Pharisäer, in der in der Apostelgeschichte

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namentlich erwähnt wird. Und das ist sicherlich kein Zufall, denn die Gamaliel-Familie, das weiß man aus anderen Zeugnissen, vor allem rabbinischen Zeugnissen, die Gamaliel-Familie war nicht nur eine sehr bekannte jüdische Familie, sondern auch sehr bedeutsam für die pharisäische Bewegung im ersten Jahrhundert nach Christus. Lukas beschreibt diesen Gamaliel als einen vorbildlichen und angesehenen Gesetzeslehrer. Und das deckt sich eben tatsächlich auch mit rabbinischer Überlieferung, also mit Texten, die jüdische Gelehrte, die sogenannten Rabbinen, verfasst haben. Paulus selbst nun wiederum erwähnt diesen Gamaliel nicht, wobei dies ja auch auf Tarsus als Geburtsort zutrifft.

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Und dieser wird historisch gesehen ja nicht geleugnet. Das heißt, aus dem Schweigen kann man jetzt nicht per se schließen, dass es keine Verbindung des Paulus zu Gamaliel gegeben hat. Es gibt eine Stelle aus einer jüdischen Schrift der rabbinischen Mishnah, in der explizit auf Gamaliel Bezug genommen wird. Und danach war Gamaliel auf dem Tempelberg in Jerusalem anwesend. Also Paulus könnte so durch bloßes Vorbeigehen am Tempel Zuhörer des Gamaliel gewesen sein. Also dieses Zuhören könnte eben von Lukas als ein Schüler-Lehrer-Verhältnis gedeutet worden

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sein. Also dieses zu Füßen Gamaliel Sitzen kann aber muss jetzt nicht bedeuten, dass der historische Paulus auch in einem engeren Schüler-Lehrer-Verhältnis zu Gamaliel stand. Es kann auch einfach durch ein Zuhören gewesen sein. Also dass es jetzt nicht explizit sein Lehrer war, der ihn unterrichtet hat. Allerdings gibt es auch rabbinische Zeugnisse, die davon sprechen, dass der Enkel, also Gamaliel der Zweite, tausend Kinder unterrichtet haben soll in einem Haus. Das heißt, die Gamaliel-Familie legte an sich sehr großen Wert auf schulische Ausbildung. Und da dies jetzt nicht einfach so entsteht, sondern sicherlich auch eine gewisse familiäre Tradition hat, daraus kann man eben schließen, dass die Gamaliel-Familie bereits zwei Generationen davor im Schulwesen tätig war.

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Also historisch gesehen könnte Paulus ein Schüler des Gamaliel gewesen sein. Es ist also historisch nicht unmöglich, aber schon etwas ungesichert, dass Paulus bei Gamaliel dem Ersten in irgendeiner Form Unterricht hatte. Also ist es jetzt tatsächlich in einem engeren Sinn oder in einem weiteren Sinn? Ob Paulus nun in einem engeren oder einem weiteren Sinn Gamaliels Schüler war oder nicht, fest steht, dass er eine gewisse höhere jüdische Bildung erfahren hat. Seine rhetorischen und literarischen Fähigkeiten weisen zwar nicht das höchste Niveau Pagan-Hellenistischer Bildung auf,

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aber seine sprachlichen Fähigkeiten und der gekonnte und souveräne Umgang mit der Heiligen Schrift, mit der Septuaginta, also der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, und auch sein Umgang mit jüdischen Argumentationsmustern, all diese Fähigkeiten, die wir in seinen Briefen erkennen, übersteigen den sogenannten normalen Synagogenunterricht, den man ebenso allgemein bekam. Paulus hat also eine höhere Bildung erfahren und in seinem Fall heißt das jüdischen und pharisäisch ausgerichteten Thora-Unterricht, denn Paulus war Pharisäer und

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dies bezeugt nicht nur die Apostelgeschichte, sondern auch Paulus selbst. Im Philippabrief, habe ich schon zitiert, Kapitel 3, 5, finden wir eben eine biografische Selbstvorstellung des Paulus. Ich wurde am achten Tag beschnitten, Stamme aus dem Volk Israel, und hier ergänzt er eben auch noch, aus dem Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern. Und dann kommt die Aussage zu seiner religiös-jüdischen Richtung, dem Gesetz nach ein Pharisäer. Und um als Pharisäer wirklich genau akribisch nach dem Gesetz leben zu können, braucht man eben eine gute theologische Ausbildung, und zwar nach

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pharisäischer Prägung. Und dabei könnte Paulus eben auch mit diesem pharisäischen Gesetzeslehrer Damaliel in Berührung gekommen sein. Sicher ist also, Paulus war Pharisäer und hat demnach eine pharisäische Ausbildung erhalten. Sowohl Paulus als auch Lukas sprechen aber nicht nur von der Zugehörigkeit des Paulus zur Gruppe der Pharisäer und seinem Leben als Pharisäer. Es finden sich auch bestimmte Merkmale der Pharisäer in der Beschreibung des Paulus, sowie Äußerungen, die auf die Ausbildung der Pharisäer hindeuten, was die genannten Thesen auch bestätigt. Im ersten Kapitel des Galaterbriefes führt Paulus zwar nicht explizit

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sieht seine Zugehörigkeit zu den Pharisäern an, aber er kommt hier auf seinen früheren Eifer zu sprechen, der ja auch in Apostelgeschichte 22 hervorgehoben wird. Paulus geht in der besagten Stelle aus dem Galaterbrief auf seinen früheren Wandel im Judentum ein. Und Paulus nennt hierbei seinen Eifer für die väterlichen Überlieferungen als besonderes Kennzeichen seiner pharisäischen Vergangenheit und auch mitunter als Grund für seine heftige Christenverfolgung. Denn kurz davor betont er, dass er die Kirche maßlos verfolgt hat. Mit der Nennung dieses Eifers und der Verbindung

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mit den Überlieferungen der Väter nimmt Paulus Bezug auf seine pharisäische Existenz. Denn dieser Eifer galt als besonderes Merkmal der Pharisäer. Und auch die Überlieferung, also das Leben nach den Überlieferungen, war ein entscheidendes Kennzeichen der Pharisäer. Dabei war den Pharisäern vor allem wichtig, die väterlichen Überlieferungen exakt zu kennen und zu befolgen. Und an dieser Stelle betont Paulus zudem, dass er mehr Fortschritte als andere gemacht hat. Und dies ist ein weiterer Hinweis für eine Ausbildung, bei der er sich im Vergleich mit anderen eben besonders hervorgehoben hat. Der genannte Eifer kann somit sowohl auf die Verfolger-Tätigkeit als

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auch auf den Eifer im Studium, in der Ausbildung und in seinem Leben als Pharisäer gemeint sein. Und eine Entsprechung hierzu findet sich in der Pastelgeschichte 22.3 durch die Erwähnung des Unterrichts, der sich eben streng nach dem Gesetz der Väter richtete. Und auch im 26. Kapitel der Apostelgeschichte war ja die Rede davon, dass Paulus bereits als Jugendlicher nach der strengsten Richtung der Religion als Pharisäer lebte. Nun könnte man den Eindruck bekommen, dass sich die paulinische Bezeichnung als Eiferer auf seine pharisäische Vergangenheit und Verfolger-Tätigkeit bezieht. Lukas scheint diesen Eifer aber nicht nur auf die paulinische Vergangenheit anzuwenden,

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sondern hier heißt es in Apostelgeschichte 22.3, ich bin ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid. Und dieses heute erweckt den Eindruck, dass es eine bleibende Eigenschaft des Paulus ist. Denn als er dies sagt, ist er ja bereits schon ein überzeugter Christ und Apostel. Es scheint also eine bleibende Eigenschaft zu sein, die ihn mit den anwesenden Juden verbindet. Und Paulus bezieht selbst diesen seinen Eifer im Galaterbrief zwar nur auf seine pharisäische Vergangenheit, aber wenn wir andere paulinische Angaben hinzuziehen, wird deutlich, dass sich Paulus selbst weiterhin als

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Israelit und Hypräer versteht. In Römer 11.1 heißt es, ich bin Israelit. In 2 Korinther 11.22, sie sind Hypräer, ich auch. Sie sind Israeliten, ich auch. Dieser Eifer ist also etwas, was ihn als Jude und als Christ prägt und eben seinen brennenden Eifer für die Sache Gottes, für die Sache Christi zum Ausdruck bringt. Und wenn eine solche Eigenschaft besonders hervorgehoben wird, dann scheint sie auch als nacharmenswert zu gelten. Es ist aber ein Eifer, der ganz auf Gott ausgerichtet ist. Er spricht ja von seinem Eifer für Gott. Das heißt, dieser Eifer darf nicht

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falsch verstanden werden, so nach dem Motto, lasst uns jetzt alle hingehen und von den Dächern verkünden, alle sollen an Christus glauben. Vielmehr geht es darum, zu erkennen, warum ein Eifer in mir brennt, warum es mich tatsächlich manchmal am liebsten auf die Dächer treibt. Es geht also nicht primär darum, andere zu missionieren oder gar für die eigene Sache zu vereinnahmen, so gut sie vielleicht auch sein mag, sondern es geht um eine Grundhaltung als Christ. Eifern für die Sache Christi. Das heißt letztlich, eifern für die Liebe. Und der beste Weg, ein großer Apostel zu sein, wie Paulus, besteht wohl darin, dies durch das eigene Leben hindurch strahlen zu lassen in einem

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Eifer der Liebe, passt auch zu den Taschen, die wir alle bekommen haben. Doch kommen wir jetzt zurück zu Paulus und seiner jüdisch-fariseischen Ausbildung und Abstammung. Vor allem jetzt auf die Abstammung. Nicht nur Paulus selbst ist Fariseer, sondern er stammt auch aus einer fariseischen Familie. Er ist ein Hebräer von Hebräern, wie er im Philippabrief sagt. Er stammt aus dem Stamm Benjamin, so im Römerbrief. Und er ist ein Sohn von Fariseern, wie es die Apostelgeschichte bezeugt. Auch sein jüdischer Name Saulus passt zu dieser jüdischen Herkunft aus dem Stamm Benjamin und aus einem streng gläubigen jüdischen Elternhaus, wenngleich er nur von der Apostelgeschichte bezeugt ist. Denn der erste König Israels hieß Saul. Und Paulus nimmt gerade auf ihn in seiner

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ersten Missionsrede in der Apostelgeschichte im 13. Kapitel Bezug. Und dies ist auch die einzige Stelle im Neuen Testament, in der König Saul genannt wird. Es ist darum anzunehmen, dass Paulus von seinen Eltern nach diesem bedeutenden Sohn des Stammes Benjamin benannt wurde. Obwohl Paulus also aus der Diaspora stammt, das heißt nicht aus Palästina selbst, hat er seine Wurzeln dennoch in Palästina. Er ist also kein gewöhnlicher Diaspora-Jude, sondern ein Jude, der auf Ängste mit Palästina verbunden war, verwurzelt war. Paulus selbst spricht zwar nie

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von seiner Herkunft aus Tasos, aber gerade diese starke Betonung des jüdischen Ursprungs in seinen Briefen kann auch ein Hinweis darauf sein, dass Paulus eventuell auch gegen etwaige Vorurteile zu kämpfen hatte. Aufgrund eben gerade seiner Herkunft aus dem Diaspora-Judentum. Und darüber hinaus dadurch, dass seine Eltern ja Hebräer waren, also Hebräer von Hebräern, wäre sogar zu vermuten, dass sie noch Hebräisch beziehungsweise Aramäisch gesprochen haben und dies gegebenenfalls auch an Paulus weitergegeben haben. Einen Hinweis darauf finden wir tatsächlich wieder im 22. Kapitel der Apostelgeschichte, denn unmittelbar bevor Paulus diese Rede hält, betont Lukas, dass sich Paulus auf Hebräisch an das Volk wandte. Da Hebräisch selber aber eher so die

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Bildungssprache der Juden war und er zum Volk spricht, ist es eher unwahrscheinlich, dass er in diesem Fall Hebräisch gesprochen hat. Vermutlich hat er sich auf Aramäisch an das Volk gewandt, was dem Hebräischen sehr ähnlich ist, dass auch eine semitische Sprache und die Volkssprache waren. Paulus ist demnach von seiner Selbstcharakterisierung her ein Juden, das heißt Glied des auserwählten Bundesvolkes. Aber um eine Identität herauszubilden, ist man eben immer auch durch sein Umfeld geprägt, beeinflusst. Und hierbei erfährt Paulus eben eine doppelte Prägung. Einerseits ist er als Diaspora-Jude durch das hellenistische Judentum

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beeinflusst. Seine Muttersprache war griechisch und er verwendete die Septuaginta, also die griechische Übersetzung des hebräischen Alttestaments, sehr gekonnt. Und so wurzelt auch das theologische Denken des Juden und späteren Juden Christen Paulus in den Grundüberzeugungen des hellenistischen Judentums. Nennen könnte man hier eben auch seine starke Betonung des Monotheismus in einer polytheistischen Umgebung, das heißt eben, dass es nur einen Gott gibt. Andererseits ist Paulus aber auch durch das palästinische Judentum geprägt und hierbei eben durch den Pharisäismus, was er selbst sehr, sehr stark betont. Als Diaspora-Jude und ausgebildeter

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Pharisäer lebte er in und aus der Thora. Es kommt jetzt aber noch eine weitere Prägung hinzu, die auch schon angeklungen ist, und zwar der griechisch-pagan-hellenistische Hintergrund. Hierbei ist jetzt weniger an eine explizite Ausbildung zu denken, wenngleich Paulus sicherlich einige philosophische Kenntnisse aufweist. Allerdings waren diese eher allgemein bekannt bei jemandem, der einen gewissen Bildungsstatus hatte. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass das hellenistische Judentum bereits sehr stark vom Hellenismus geprägt war, das heißt eben gerade von der griechisch-römischen Philosophie mitunter der Stoa. Auch wenn der historische Paulus nur den ersten Teil seiner Kindheit in Tarsus verbrachte und als Hauptbildungsquellen

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das jüdisch-hellenistische Judentum und Jerusalem gelten können, dürfen wir Tarsus als griechisch- hellenistische Bildungsstadt jetzt nicht völlig aus dem Blick verlieren. Das heißt, Paulus hat sicherlich diese pagane Religiösität auch wahrgenommen, diese Herrscherverährung, die da geherrscht hat. Die Frage ist nur, hat er auch Bildungsangebote genutzt? Die Herkunft aus einer streng jüdischen Familie lässt dies für die Kindheit klar verneinen. Eher könnte man annehmen, dass er dies später genutzt hat, weil er ja nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte nach seinem Damaskuserlebnis einige Zeit in Tarsus verbracht hat. Darauf kommen wir hier morgen zu sprechen.

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Mit dem Stichwort Damaskuserlebnis ist jetzt ein weiterer tiefgreifender Einschnitt genannt, der das weitere Leben des Paulus auch tiefgreifend prägte, vielleicht mehr noch als die bereits genannten Prägungen. Wie kommt es zu diesem sogenannten Damaskuserlebnis und was ist es eigentlich im Kern? Bekannt ist es, denke ich mal, sehr. Man spricht geläufig von der Bekehrung des Paulus, wie er von einem Pferd stürzt, er blindet, nachdem er die Stimme Christi gehört hat. Warum verfolgst du mich? Vorsicht. Hier sind wir mitten in der lukanischen Darstellung in der

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Apostelgeschichte und wenn wir da mal reinlesen, von einem Pferd ist da nicht die Rede. Nicht einmal in der Apostelgeschichte. Also diese Tradition verdankt sich wohl eher der Kunst, von der unser Denken über dieses Ereignis sehr beeinflusst ist. Die Apostelgeschichte ist zwar eine sehr wichtige Quelle, um dieses Ereignis zu rekonstruieren und die dreimalige Schilderung dieser Pauluswende zeugt auch von der Bedeutsamkeit dessen, was hier geschildert wird. Aber zur theologischen Einordnung dieser Lebenswende müssen wir auch sehen, was Paulus selbst dazu sagt. Doch zuvor wollen wir die Frage klären, wie es eigentlich dazu kam. Die Apostelgeschichte erzählt, dass Paulus auf dem Weg nach Damaskus war und zwar aus einem ganz bestimmten Grund. Er hatte sich von den

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hohen Priestern die Erlaubnis holen lassen, um die dortigen Christen gefangen nehmen zu lassen. Paulus war ja, wie wir wissen, ein Eiferer und als solcher ist er vehement gegen die Christen vorgegangen und hat sie bis aufs Blut verfolgt. Das berichtet nicht nur die Apostelgeschichte, sondern diese Tatsache bezeugt Paulus auch selbst mehrmals in seinen Briefen in Galater 1,13, Philippa 3,5, 1 Korinther 15,9. Also Stellen, die wir teils schon uns angeschaut haben und wo Paulus selbst biografische Angaben macht. Lukas betont sehr stark, dass Paulus auch in Jerusalem die Christen verfolgt hat, beispielsweise auch bei der Steinigung des Stephanus präsent war und ihr

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zugestimmt hat. Hier muss man jetzt wieder ein bisschen vorsichtig sein, weil eben Lukas generell Jerusalem als Zentrum und Ausgangspunkt darstellt. Vermutlich hat sich die Verfolgertätigkeit des Paulus historisch gesehen tatsächlich eher auf Damaskus beschränkt und konzentriert. Doch warum waren ihm diese Christen eigentlich so ein Dorn im Auge? Denn er verfolgte sie auf brutale Weise, er wollte sie vernichten, auslöschen. Warum die Christen? Und beispielsweise nicht irgendeine andere religiöse oder philosophische Strömung, die dem jüdischen Glauben völlig widersprechen. Die Christen haben wenigstens nur an einen Gott geglaubt. In gewisser Weise sind sie ja da schon mitgegangen. Der Grund dafür ist, dass die Christen zu diesem Zeitpunkt noch als eine

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Strömung innerhalb des Judentums gesehen wurden. Paulus begründet seine Verfolgertätigkeit im Galater und auch im Philippabrief mit seinem früheren Wandel im Judentum und seinem Eifer für die Überlieferungen. Das heißt, sein Anliegen war es, die Thora als die Norm jüdischen Lebens zu verteidigen. Es ging ihm also nicht darum, eine fremde Religion zu verfolgen, sondern er sah das Judentum selbst in Gefahr. Die Verkündigung der Christen, dass ein Gekreuzigter der Messias sein sollte, war für ihn ein Skandalon. Und dann die Betitelung Jesu als des Sohnes Gottes war für seine

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jüdischen Ohren Gotteslästerung. Sicherlich nicht von ungefähr wird gerade dann das Kreuz innerhalb der paulinischen Theologie zum Zentrum seiner Verkündigung. Für einen Juden war ein Gekreuzigter ein von Gott Verfluchter, sodass Jesus von Nazareth für ihn ein absoluter Skandalon war, ein absoluter Skandal. Und deshalb verneinte er die Existenzberechtigung der Jesus-Anhänger innerhalb des Synagogenverbandes. Und die ersten Christen gingen eben auch noch in die Synagoge. Sie fühlten sich als Teil des Judentums. Und genau das war das Problem. Und hinzu kam, dass Heiden

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aufgenommen wurden, ohne dass sie sich beschneiden mussten oder das Gesetz befolgen mussten. Das heißt, ein grundlegendes Problem war auch die Gesetzesfreie Heiden Mission, weil die Jesus-Anhänger eben noch als eine Bewegung innerhalb des Judentums gesehen wurden. Und mit dieser brutalen Motivation jetzt, der brutalen Verfolgung der Christen, ist Paulus jetzt auf dem Weg nach Damaskus. Und hier ereignet sich jetzt das entscheidende Ereignis seines Lebens. In der Apostelgeschichte wird es wie gesagt dreimal geschildert. Apostelgeschichte 9, 22 und 26. Und zwar gemäß dem Stil des Lukas auf sehr dramaturgische Weise. Also Paulus sieht ein Licht vom Himmel, stürzt zu Boden, hört eine Stimme.

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Warum verfolgst du mich? Im Dialog wird klar, dass es Jesus ist, der zu ihm spricht. Paulus erblindet, trifft in Damaskus dann auf Hananias, der zu ihm gesandt worden war. Er sieht wieder und lässt sich taufen. So die Darstellung der Apostelgeschichte. Paulus selbst deutet dieses Ereignis aber lediglich an. Im ersten Korintherbrief spricht er zweimal von einer Christus-Erscheinung. Und im ersten Kapitel des Galaterbriefes von einer Offenbarung Jesu Christi. Und in diesen Stellen wird auch deutlich, wie er dieses Ereignis wertet. Lukas stellt es ganz stark im Stile einer Bekehrung dar. Doch für Paulus ist dies keine Bekehrung, weil er ja bereits an den einen Gott Israels glaubt,

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aber eben seinen Heilswillen nicht in Jesus Christus erkannt hat. In der Begegnung mit Jesus Christus und zwar als dem Auferstandenen, in dieser Begegnung mit dem Auferstandenen hat Paulus nun allerdings verstanden, dass Gott auf der Seite Jesu Christi ist, weil Jesus von den Toten auferstanden ist. Und nur Gott selbst kann von den Toten auferwecken. Und wenn er diesen gekreuzigten Jesus von Nazareth auferweckt hat, muss dies die Wahrheit sein. Es ist also eine Begegnung mit dem Auferstandenen Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist. Und für Paulus ist

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dieses Ereignis letztlich eine Osterbegegnung, was insbesondere aus seinen Aussagen im 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes deutlich wird. Dort reiht er sich nämlich in die Reihe der Osterzeugen ein, wenn er schreibt, als Letztem von allem erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der Missgeburt. Denn ich bin der Geringste von allen Aposteln. Ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Und hier fällt auch schon das Stichwort Apostel. Paulus verknüpft mit dieser Christusbegegnung letztlich seine Berufung zum Apostel. Und dies

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divergiert zum lukanischen Apostelbegriff. Lukas stellt dieses Damaskuserlebnis auch nicht im Stile einer Ostererscheinung dar. Lukas sieht einen deutlichen Einschnitt zwischen den Erscheinungen des Auferstandenen, die der Himmelfahrt vorangehen, und der Erscheinung von Paulus. Und daher erwartet er das Damaskuserlebnis auch nicht als Ostererscheinung und sieht in Paulus keinen Osterzeugen und damit eben auch keinen Apostel. Paulus jedoch fasst diese Erscheinung Jesu nicht nur als Offenbarung auf, sondern als Erwählung und Berufung zum Apostel der Heiden. Was er dann im Galaterbrief auch explizit zum Ausdruck bringt. Er schreibt dort im ersten Kapitel, wie Gott ihn

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schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, in mir, eben also Paulus, seinen Sohn zu offenbaren, damit ich ihn unter den Völkern verkünde. Das heißt, er versteht seine Berufung in Analogie zu den alttestamentlichen Propheten. Paulus verknüpft also unmittelbar mit dem Erscheinungserlebnis seinen Verkündigungsaustrag an die Heiden. Das heißt, ihm ist in und durch diese Erscheinung bzw. Offenbarung klar geworden, dass das Heil universal ist. Das heißt, dass das Heil nicht nur für die Juden bestimmt ist, sondern auch für die Heiden. Das Damaskus-Geschehen hat für ihn also eine ganz klar christologische Dimension. Das heißt,

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er kommt zum Glauben an Jesus Christus. Und zudem hat es für ihn eine soteriologische Dimension. Daraus entspringt seine Rechtfertigungslehre. Das heißt, dass man eben nicht durch die Werke des Gesetzes, sondern aufgrund des Glaubens, gerechtfertigt wird durch Gott. Diese Verbindung von Berufung und Erlösungslehre stellt Paulus im dritten Kapitel des Philippabriefes her, wo er auch auf seinen Berufungsweg zu sprechen kommt. Und dies möchte ich jetzt an das Ende dieser ersten Einheit zum Leben und Wirken des Paulus setzen. Denn morgen fahren wir dann fort mit dem Wirken des Völkerapostels Paulus. Und hier an dieser Stelle im Philippabrief hört man auch den ganzen Eifer des Paulus heraus und worauf er gerichtet ist. Auf Jesus Christus.

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Und so heißt es dort in Philippa 3,

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»Ein Eiferer für Gott« (Apg 22,3): Paulus – vom Christenverfolger zum Heidenmissionar | 14.4.2

Worthaus 12 – Tübingen: 18. Mai 2024 von Dr. Katja Hess

Er war klug und gebildet, sprach mehrere Sprachen, kannte die Schriften und hasste die Christen. Er war ein »Eiferer für Gott«. Das jedenfalls glauben wir zu wissen. Doch was wissen wir wirklich über Saulus von Tarsus. Was wissen wir über die Zeit, als er schon längst ein Eiferer, aber noch lange nicht Paulus war? Die katholische Theologin Katja Hess stellt in diesem Vortrag das Leben und Wirken des Paulus aus historischer Perspektive dar. Sie blickt auf die vorchristliche Zeit, dröselt auf, was glaubwürdig ist und was nicht. Und erklärt, wer und was Paulus geprägt hat, vor seinem wohl prägendsten Erlebnis vor den Toren von Damaskus.