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Was soll ich tun? Fragte sich der junge Theologe Dietrich Bonhoeffer im Sommer 1939 in den USA. Was soll ich tun jetzt in diesem Jahr, jetzt in dieser Situation, jetzt in dieser Lage? Dietrich Bonhoeffer, einer der bekanntesten Theologen des 20. Jahrhunderts, wurde 1906 geboren, als sechstes bzw. siebtes Kind seiner Zwillingsschwester zusammen, Sohn von Karl Bonhoeffer, dem Direktor der Psychiatrie an der Berliner Charité. Bonhoeffer war ein Mann, dem von Anfang an alle Türen offen standen. Er hatte die bestmögliche Erziehung, die bestmöglichen Voraussetzungen von zu Hause her. Er wurde musikalisch, intellektuell, charakterlich geprägt und auf das Leben vorbereitet wie kaum jemand sonst. Was soll ich tun? fragte er sich im Sommer 1939 in den USA, als er wusste,

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dass ein Krieg, ein erneuter Weltkrieg wohl unvermeidbar sein würde. Was soll ich tun? Das fragte er sich auch als Theologe. Bonhoeffer war das Theologe werden nicht in die Wiege gelegt. Sein Vater hatte ein distanziertes Verhältnis zum Christentum, seine Mutter hat ihn im Glauben erzogen, aber zum Gemeinde-Gottesdienst ging die Familie nicht. Dass er Theologie studierte, wurde von der Familie überwiegend als merkwürdig, fast etwas enttäuschend aufgenommen. Vater hatte das Gefühl, dass es für Bonhoeffer im Grunde zu wenig ist. Eigentlich er unterfordert werden könnte, so als landgeistlicher oder als Theologe, wo es doch so viel ehrbarere und wichtigere Tätigkeiten geben würde. Dietrich Bonhoeffer hatte in Tübingen und in Berlin studiert, er ist viel rumgekommen und er hat in

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seiner Zeit bei den Besten gelernt. Er hat bei Adolf von Hanack in Berlin gelernt, den großen Meister der liberalen Theologie. Liberale Theologie heißt, das Christentum so zu durchdenken, dass man die eigene Zeit, die eigene Kultur, das Wissen der Gegenwart ganz ernst nimmt und nicht das Christentum einer vergangenen Epoche versucht, am Leben zu erhalten, sondern wirklich sich konsequent einlässt auf das, was Menschen heute denken, wissen, was sie verstehen können. Und das war und blieb für Dietrich Bonhoeffer ein bleibender Impuls seines Denkens. Er hatte aber auch zunehmend gelernt vom Schweizer Theologen Karl Barth, einem großen Kritiker der liberalen Theologie, der sehr stark betont hat, eine Theologie, die Maß nimmt an ihrer Zeit, die sich vor allem darauf konzentriert, mit der eigenen Zeit zu gehen, verfällt leicht den großen Dämonien, den großen

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Irrtümern, den großen Schieflagen einer Epoche. So hatte es der Schweizer Theologe Karl Barth im Ersten Weltkrieg erlebt, als die ganzen großen hervorragenden Theologen seiner Zeit alle auf einmal vom Rausch des Nationalismus und der Kriegsbegeisterung ergriffen wurden. In dieser Zeit hat Karl Barth gesagt, entscheidend ist nicht unsere Kultur, entscheidend ist das Wort Gottes, entscheidend ist die Bibel, entscheidend ist Jesus Christus, an ihm müssen wir Maß nehmen. Und je länger, je mehr Dietrich Bonhoeffer Theologie studierte, desto mehr leuchtete ihm dieser Ansatz ein. Was soll ich tun, fragte sich Dietrich Bonhoeffer 1939 in einer Phase seines Lebens, als aus all seinen glänzenden Möglichkeiten, all seinen großartigen Chancen, nichts mehr werden konnte. Und der Grund ist natürlich völlig klar, der Nationalsozialismus wurde sein Schicksal. Dietrich Bonhoeffers Karriere schien auf dem besten Weg zu sein,

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er promovierte mit 21 Jahren, er schloss seine Habilitation mit 24 Jahren ab, er war Privatdozent in Berlin an der Universität, er hatte Auslandsaufenthalte in Barcelona, in New York, in London, er war Jugendsekretär der jungen ökumenischen Bewegung, er war international verletzt, auf Deutsch, auf Englisch konnte er sich auf jedem Parkett bewegen, alles hätte er offenbar werden können, wenn nicht 1933 diese Diktatur alles auf einmal radikal verändert hatte. Dietrich Bonhoeffer hatte im Kreis seiner Familie von Anfang an denkbar großen Abstand zum Dritten Reich, er hat von Anfang an Adolf Hitler durchschaut, bekämpft, er hat versucht in der Kirche, in der bekennenden Kirche mitzuwirken, zu verhindern, dass diese Ideologie zur totalen Lebenswirklichkeit Deutschlands wird und von Jahr zu Jahr merkte er mehr und mehr,

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dass er keine Chance hat, dass der Durchmarsch des Nationalsozialismus nicht zu stoppen war, er war in der Politik nicht zu stoppen, er war in der Kirche nicht zu stoppen, er war in der Geistigkeit, in der Kultur nicht zu stoppen. Dietrich Bonhoeffer konnte in seiner Kirche kein Pfarramt mehr bekommen, je mehr diese Kirche auch von deutschen Christen oder von Christen, die mit dem Nationalsozialismus sympathisierten, durchsetzt war. Er hatte keine Chance natürlich mehr an einer Universität einen Lehrstuhl zu bekommen, selbst seine Tätigkeit als Privatozent wurde ihm untersagt. Er hat sich dann eingesetzt für die bekennende Kirche, ein Zusammenschluss von Christen und Gemeinden, die versuchten ohne Kompromisse mit dem nationalsozialistischen Staat zu glauben und Kirche zu sein. Bonhoeffer war Leiter eines illegalen Predigerseminars, wo junge Theologen nach dem Studium eine praktische Ausbildung machten, ohne sich von der

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Reichskirche offiziell anerkennen zu lassen, aber auch dies wurde ihm genommen. Dieses illegale Predigerseminar wurde verboten, es wurde geschlossen, es wurde in alle Winde zerstreut. Und so stand Dietrich Bonhoeffer im Sommer 1939 da, in einer Zeit, wo alle Türen, die ihm einst offen standen, verschlossen waren. Und in dieser Zeit ist er noch einmal nach Amerika gefahren, wie viele vor ihm. Viele bekannte Theologen, intellektuelle Schriftsteller sind emigriert. Und für Bonhoeffer war es 1939 die Situation, dass er in Deutschland nichts mehr tun konnte. Und er wusste, wenn ein Krieg kommt, würde er eingezogen in die Wehrmacht und er müsste ein Eid auf Hitler leisten. Und für Bonhoeffer war klar, dass er niemals auf Hitler einen Eid leisten könnte, dass er niemals sich in die Wehrmacht in irgendeiner Form eingliedern lassen

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würde. Und so ging er in die USA, ursprünglich mit der Idee, dort eine Anstellung zu finden, dort seine Karriere fortzusetzen, dort wie viele andere Emigranten auch mitzuwirken an einem anderen Deutschland, an einem Deutschland in Übersee, was überwintert, bis dieser Spuk irgendwann hoffentlich vorbei sein würde. Was soll ich tun, fragte er sich trotzdem. Weil ihn diese Frage nicht losließ, darf ich das, darf ich das, meine Privilegien nutzen, meine Kontakte nutzen, meine Möglichkeiten nutzen, dass ich in Sicherheit bin, im sicheren Wissen, dass in Deutschland über kurz oder lang alles zugrunde gehen wird. Darf ich das? Darf ich das in den USA in Sicherheit und in Ruhe denken, weise Worte und Mahnungen in die alte Heimat zu senden und abzuwarten, bis alles kaputt ist, um dann wiederzukommen? Aber wie werde ich dann mitwirken können an einem Wiederaufbau nach dem Krieg? Dietrich Bonhoeffer war wenige Wochen in

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den USA und sehr bald war ihm klar, ich möchte das nicht. Alle haben ihm so geraten, alle haben ihm gesagt, geh, du hast keine Chance, auf dich wartet hier der Tod oder Schlimmeres, geh, rette dein Leben, du hast die Chance, nutze deine Gaben, lehre, denke, schreibe, du kannst so viel geben, aber du musst natürlich überleben dafür, darum geh. Aber Bonhoeffer kam in diesen amerikanischen Wochen zur Einsicht, nein, ich kann und will mich nicht einfach aus der Affäre ziehen, ich will als deutscher Theologe der Kirche dienen, den Menschen dienen. Und das kann ich nicht, wenn ich vor allem darauf achte, mich aus der Affäre zu ziehen, meine Haut zu retten, mich in Sicherheit zu bringen. Ich kann nicht irgendwann zurückkommen und in Deutschland irgendetwas wieder aufbauen als einer, der als es für ihn brenzlig wurde, einfach seine eigene Haut rettete und wartete, dass alles vorbei

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war. Und so schiffte Dietrich Bonhoeffer im Juli 1939 ein und kehrte zurück, kehrte zurück nach Deutschland mit einem der letzten Schiffe, die überhaupt über den Atlantik fuhren. Im sicheren Wissen, der Krieg wird bald bevorsteigen. Dietrich Bonhoeffers weiter Weg ist für einen Theologen etwas ungewöhnlich. Er wurde erstens Geheimagent, das ist natürlich speziell, er ließ sich anstellen in der Wehrmacht, im Amt Abwehr, weil er hier schlicht Freunde, Verwandte, Bekannte hatte, von denen er wusste, dass sie mit dem Dritten Reich in keiner Weise übereinstimmen. Er ließ sich hier als Geheimagent anstellen, offizieller Dienstauftrag, seine ökumenischen internationalen Kontakte nutzen, um ausländische Quellen abzuhorchen im Sinne des Dritten Reichs, um schlicht Feindbeobachtung zu treiben. Das war sein offizieller Job. Nun wurde er aber nicht nur Geheimagent,

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er wurde von vornherein angestellt als Doppelagent, weil diejenigen, die ihn anstellten, Kanaris und Oster, ein Admiral, ein Oberst, entschlossen waren, Widerstand zu leisten, wo es möglich ist. Diese Männer waren bereits entschlossen, Hitler und seinen Durchmarsch und seine totalitäre Herrschaft zu behindern, wenn möglich zu stürzen. Und so wurde Dietrich Bonhoeffer eingestellt mit Wissen seiner Leitung, dass er von vornherein auch Informationen nach draußen spielt, dass er seine internationalen Kontakte nutzt, um dem Widerstand zu helfen, um die Alliierten darüber zu informieren, es gibt einen Widerstand in Hitler-Deutschland gegen diese Diktatur und um zu prüfen, welche Unterstützung von außen möglich sein könnte. So viele Theologen gibt es nicht, die als Doppelagent schließlich so ihre Tätigkeit ausüben. Schon dies macht ihn besonders interessant und besonders

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eine herausfordernde Gestalt der Weltgeschichte. Dietrich Bonhoeffer hatte eine Reihe von Reisen, eine Reihe von Aufträgen, über die wir oft auch nur annäherungsweise Bescheid wissen, oft auch nichts wissen, weil er natürlich fortan das Tagesgeschäft hatte zu lügen, zu lügen, zu täuschen, zu tricksen, zu betrügen und das fällt einem Theologen auch erstmal nicht leicht. Wie konnte es so weit kommen? Das war die Frage, die sich Dietrich Bonhoeffer stellte als Theologe, als Christ, als Mensch, wie konnte es so weit kommen in Deutschland, im Land der Dichter und Denker, dass er als Theologe im Grunde als Berufstätigkeit Lügen und Betrügen praktizieren muss, um überhaupt noch irgendwie etwas Gutes tun zu können. Für Bonhoeffer war das Dritte Reich eine erschütternde Demonstration von der Macht menschlicher Verblendungsfähigkeit, menschlicher

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Täuschungsanfälligkeit. Dietrich Bonhoeffer nennt das selbst Dummheit. Mit Dummheit meint er nicht, irgendetwas wie intellektuell minderbemittelt, durchaus sehr intelligente Menschen konnten sich sehr dumm verhalten. Mit Dummheit meint Dietrich Bonhoeffer im Grunde das, was wir aus Forrest Gump kennen. Dumm ist der, der Dummes tut. So ein dummes Verhalten. Das ist die Dummheit und Dietrich Bonhoeffer sagt, diese Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als die Bosheit. Warum? Nun gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, man kann es vielleicht verhindern und vor allem das Böse trägt immer ein Keim der Selbstzersetzung in sich. Das Böse kann nie auf Dauer triumphieren, dafür ist es in sich zu uneinig, in sich zu zerstörerisch, zu innerlich zersetzend. Das Böse wird immer über kurz oder lang scheitern. Das eigentlich Schlimme und

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Gefährliche dieser Welt ist die Dummheit, also die Anfälligkeit für Verblendung, für Täuschung und Verführung. Bonhoeffer schreibt, gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten. Gründe verfangen nicht. Man kann mit dem Verblendeten nicht mehr argumentieren. Logik greift ins Leere, Argumentationen aller Art funktionieren nicht mehr. Warum? Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden. In solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseite geschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich zufrieden. Dem Dummen ist daher gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu

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überzeugen. Es ist sinnlos und gefährlich. Das ist Dietrich Bonhoeffers ernüchterte Analyse über die innere Dynamik des Dritten Reichs, wo Menschen schlicht verdummt wurden durch Propaganda, durch allgegenwärtigen Druck, der Täuschungen und Lügen zur neuen offiziellen Wahrheit machte. Und alles, was wir in den letzten Jahren diskutieren als Fake News oder postfaktisches Zeitalter oder Post-Trueism ist bei Dietrich Bonhoeffer in dieser Analyse im Grunde enthalten. Die Macht der Propaganda und menschliche Anfälligkeit für Verblendung und Täuschung. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass eine ganze Kulturnation und viele benachbarte Länder und viele Menschen getäuscht und verführt werden können. In dieser Situation war guter Rat teuer. Was kann man tun? Bonhoeffer

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fragt sich, haben jemals in der Geschichte Menschen gelebt, die in der Gegenwart so wenig Boden unter den Füßen hatten wie wir, denen alle im Bereich des möglich liegenden Alternativen der Gegenwart gleich unerträglich lebenswidrig ja sinnlos erschienen? Das war seine Lebenssituation, seine große Herausforderung. Was kann ich tun angesichts dieser Zeit? In dieser Zeit wird ein Gedanke wichtig, den er 1933 bereits formuliert. Es kann die Zeit kommen, dass Christen sich nicht mehr nur damit zufriedengeben können, denen zu helfen, die unter die Räder gekommen sind. Es kann die Zeit kommen, wo man auch dem Rat in die Speichen fallen muss, wo man schauen muss, was kann man denn verhindern an Bösen, was geschieht? Wo kann man irgendwo noch Sand ins Getriebe steuern? Denn Bonhoeffer wusste sehr gut über die Massenvernichtung der Juden Bescheid. Er wusste über die Kriegsgräuel an der

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Front. Er wusste genau, was geschieht. Und er bekam mit, dass die Propaganda darüber hinwegtäuschte und ein Phantasialand in den Medien erzeugte, wo die Menschen eingelullt wurden, dass sie das bloß nicht zu Ende denken oder das bloß nicht mitbekommen. Wie konnte es so weit kommen? Dietrich Bonhoeffer schrieb in diesen Jahren eine Ethik. Eine Ethik, ein Buch, was er nicht vollenden konnte, aber ein paar hundert Seiten sind enthalten, wo er der Frage nachgeht, wie finden Christen Maßstäbe für das, was gut ist, was getan werden soll? Wie finden Christen Orientierung? Wie soll ein Christ reagieren in ethischen Konflikten, in Entscheidungssituationen, wo er sich irgendwie einlassen muss auf diese Wirklichkeit? Zu Ethik gehört immer auch die kritische Reflexion und wie nicht. Dazu gehört immer auch Fehleranalyse, welche Denkwege sind gescheitert, welche Ansätze

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von Ethik haben nicht funktioniert. Und das ist in der Theologie und in der Ethik und in der Philosophie immer eines der wichtigsten Herausforderungen. Theologisch denken bedeutet schlicht Gedanken reflektieren, zu fragen, stimmt das denn? Stimmt das, was ich denke? Stimmt das, was andere denken? Kann ich begründet sagen, warum bestimmte Dinge nicht funktionieren, woran sie scheitern? Und Bonhoeffer geht in dieser Ethik in einem wichtigen Abschnitt daran, zu prüfen, welche ethischen Überzeugungen gibt es denn in Deutschland? Wie machen das denn Menschen? Wie orientieren sie sich und wie weit kommen sie damit? Und es ist sehr interessant, diese Liste einmal durchzugehen, weil Bonhoeffer hier Ethikkritik beschreibt und eine Reihe von Fehlwegen ethischen Denkens offenlegt. Er leitet das so ein, er sagt, die große Maskerade des Bösen in unserer Zeit hat

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alle ethischen Begriffe durcheinandergewirbelt. Dass das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlichen Notwendigen, des Sozialgerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt kommenden schlechthin verwirrend. Das war die Situation, dass es gut war, den Volksgenossen zu ehren und den Juden zu hassen. Dass es gut war, die Erbfeinde zu verdammen und sie militärisch vernichten zu wollen, dass es aber schlecht war, den Armen, Elenden, Kranken beizustehen. Das war die offizielle Wertehierarchie der Neuen Zeit. Bonhoeffer sagt, dieser neuen totalitären Ideologie gegenüber haben viele bisherige Ethikansätze schlicht und einfach versagt. Als erstes versagt haben, er nennt sie die Vernünftigen. Die Vernünftigen, die in

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bester Absicht, die in großer Aufgeklärtheit, die im großen Vernunftoptimismus glaubten, diese Welt ist auf einem guten Weg. Wenn wir das Gute wollen, wenn wir das Vernünftige tun, wenn wir auf Bildung setzen, wenn wir darauf vertrauen, dass die Menschen doch alle das Beste wollen, dann muss es doch mittelfristig immer besser werden. Bonhoeffer sagt, ein solcher naiver Kulturoptimismus hat die Probe der Zeit nicht bestanden, ist spätestens im Ersten Weltkrieg gescheitert. Denn diese Vernünftigen sind nun frustriert über die Unvernünftigkeit der Welt. Es geschehen Dinge, die sie sich niemals vorstellen konnten. Sie hatten keinen Begriff, keine Denkmöglichkeit für die Realität des Wiedervernünftigen, des Asozialen, des Bösen, des Grausamen. Und diese Menschen ziehen sich enttäuscht

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zurück, resigniert, frustriert und verstehen diese Welt nicht mehr, weil sie das nicht einordnen könnten, dass blinde, irregeleitete Leidenschaften viel mächtiger sind als Argumente oder Gründe oder der Appell an den guten Willen. Das ist das eine große Scheitern, was Bonhoeffer konstatiert. Man könnte es nennen das liberale aufgeklärte Scheitern. Er stellt dem gegenüber das Scheitern alles ethischen Fanatismus. Es gab natürlich Menschen, die den Nationalsozialismus von Anfang an als abgründig, als böse, als verkehrt eingestuft haben. Es gab verschiedene Strömungen, die das getan haben. Radikale, pazifisten, internationalisten, kosmopolitisch eingestellte Menschen, die gesagt haben, Frieden allein, Gewaltlosigkeit, Rassismus ist doch überholt, es ist böse, es geht gar nicht.

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Und ja gut, das ist richtig. Und Bonhoeffer beschreibt es aber so mit der Reinheit eines Prinzipes, meint der Fanatiker, der Macht des Bösen entgegentreten zu können. Aber wie der Stier stößt er auf das rote Tuch, statt auf dessen Träger er müdet und er liegt, unterliegt. Er verfängt sich im Unwesenlichen und geht dem Klügeren in die Falle. Es gab viele wohlmeinende Menschen, die gesagt haben, dieser Hitler, der wird doch nie was. Er kann ja nicht sein. Der spricht ja nicht der Welt. Das ist ja Wahnsinn. Das ist ja auch unmenschlich. Das ist unethisch. Also so einer darf nichts werden, kann nichts werden. Man muss sich da radikal entgegenstellen. Und das hat nicht funktioniert, weil dieser radikale Widerstand, dieser Protest eine gesinnungsethisch eindeutige Haltung war. Also man war radikal dagegen. Man war aber nicht in der Lage, taktisch, strategisch

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mal zu überlegen, kriegt man da auch Mehrheiten für? Kann man das irgendwo durchsetzen im Parlament, rechtlich, mit Parteien? Am Ende funktioniert es so, dass die Würfel nicht fallen auf der Ebene der Gesinnung, sondern der tatsächlichen Machtmöglichkeiten. Und da braucht man ein bisschen Kompromissfähigkeit und ein bisschen Strategie und muss auch mal Kröten schlucken und muss auch mal kämpfen, so dass man nicht immer grundheraus ehrlich und radikal ausspricht, wogegen man ist. Auch dieser radikale Anti-Haltung ist gescheitert. Das ist für Bonhoeffer natürlich ein wichtiger Punkt. Er macht ja nun in dieser Zeit ab 1939 das Gegenteil. Er lügt und betrügt von morgens bis abends. Er unterschreibt und schwört dem Dritten Reich seine Treue. Er gibt offiziell vor, für Adolf Hitler sich einzusetzen in seinem Beruf und tut faktisch das Gegenteil, weil er geglaubt, verstanden zu haben, dass diese rückratslose radikale Ehrlichkeit ab

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einem bestimmten Punkt keine Chance mehr hat, irgendwo erfolgreich etwas bewegen zu können. Dietrich Bonhoeffer denkt weitere Ethiktypen durch. Ein anderer ethischer Ansatz, den viele vor allem auch Christen verfolgt haben, lautete schlicht so, wir Christen sind Menschen des Gewissens. Wir wissen in der Welt, die Welt liegt im Argen, vieles läuft schlecht. Und das können wir armen Christen gar nicht ändern. Oder wir armen guten, ethisch hochstehenden Menschen. Das ist nun mal so. Das Entscheidende ist ganz schlicht, dass wir unserem Gewissen treu sind. Wir können nicht verhindern, was irgendwo an Bösen getan wird. Wir machen nicht mit. Wir versuchen, eine reine Weste zu behalten. Und da sind wir gefordert. So, Bonhoeffer sagt,

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diese Menschen sind in Konflikte hineingekommen, die sie zerrissen haben. Die unzähligen verführerischen Verkleidungen, in denen das Böse sich ihnen genährt hat, hat ihre Gewissen immer ängstlicher und unsicherer gemacht. Bis sie sich schließlich damit begnügt haben, statt eines guten Gewissens ein salviertes Gewissen zu haben. Also im Grunde Dinge mitzumachen, wo sie sagten, ja, es wäre vielleicht nicht ganz optimal, was ich tue, aber ich muss das tun, weil ansonsten würde ich ja meiner Familie schaden. So, oder ich muss vielleicht auch mal ein paar Leuten die Karriere zerstören oder ein paar Leute anzeigen. Und dadurch bleibe ich aber in einer Stellung, in einer Position, wo ich über andere meine Hand halten kann. Man lernt Kompromisse. Man fängt an, sein eigenes Gewissen zu belügen und zu betrügen. Man sagt sich, ich bin Richter, ich muss manche Urteile

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fällen, hätte ich mir vor zehn Jahren nie vorstellen können. Es ist falsch irgendwo, aber ich will Richter bleiben. Ich kann vielleicht dadurch dann so hier und da etwas bewegen oder in welchem Amt auch immer. Ich will Polizist bleiben. Manchmal muss ich Menschen verprügeln, die mir furchtbar leid tun. Aber wenn das ein anderer macht, wird es vielleicht noch schlimmer. Also mache ich es lieber selbst und so weiter. Und Bonhoeffer sagte, diese Menschen achten immer auf ihr Gewissen und fangen an, sich selbst zu betrügen. Sie machen sich etwas vor. Und manchmal ist es ein gesundes Zeichen, ein schlechtes Gewissen zu haben. Das muss man lernen. Ein schlechtes Gewissen kann sehr gesund sein, weil es einen Moment der Wahrhaftigkeit verkörpert. Und man muss lernen, auch schlechtes Gewissen auszuhalten und darf nicht diese radikale Idee haben, immer mit gutem Gewissen, sonst nicht. Für diese Menschen ist auch, wenn sie Christen sind, es ein Problem,

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dass sie oft einer falschen Vorstellung der Zuordnung von Glaube und Politik unterliegen. Es gab damals in Deutschland eine Tradition, die sehr stark gesagt hat, Luther hat uns die zwei reiche Lehre gelehrt. Das heißt, der Staat ist Staat und die Kirche ist Kirche. Und was der Staat tut, das ist an sich in Ordnung, denn die Obrigkeit ist von Gott. Das ist so eingerichtet und das muss ich akzeptieren. Und das ist alles richtig und notwendig. Und insofern ist das für mich gar kein Thema, da irgendwie mich querzustellen oder so. Ich muss halt persönlich in meinem Lebensbereich schauen, dass ich mich in meinem Gewissen an christliche Grundsätze halte. Und diese Logik der zwei Reiche entspricht weder der Bibel noch Luther, weil hier die Welt im Grunde getrennt wird. Hier entstehen zwei Welten. Eine Welt, wo ich versuche, Christ zu sein, eine private, kleine, individualistische, überschaubare Welt. Und die wirkliche Welt wird von vornherein so angesehen,

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als würden hier christliche Werte keine Rolle spielen dürfen. Das ist für Bonhoeffer ein schwerwiegender Fehler. Das ist auch nicht Luthers Theologie. Bonhoeffer sagt, wir müssen diese Unterscheidung im Grunde aufgeben in dieser bisherigen Form. Wir müssen sie überarbeiten. Bonhoeffer redet an dieser Stelle von Letzten und Vorletzten. Die Idee ist dasselbe. Gottes Reich ist nochmal etwas anderes als diese Welt, klar. Aber es ist keine Hinterwelt, keine jenseitige Welt, keine Überwelt, die mit dieser nichts zu tun hat. Sondern diese Welt ist das Vorletzte und wir müssen diese Welt ernst nehmen auf das Letzte hin. Wir müssen in dieser Welt nach Gottes Maßstäben fragen. Und es ist klar, dass es nicht 100 Prozent und nicht eins zu eins umsetzbar sein wird. Das

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ist schon klar, dass man die Gegebenheiten der Wirklichkeit irgendwo immer einpreisen muss, aber doch mit dieser klaren Tendenz, dass diese Welt Gottes Welt ist und nicht eine schon aufgegebene, preisgegebene Teufelswelt, wo es sowieso egal ist, wie ich als Christ handle. Darum ist diese Kritik einer falschen, zwei reiche Lehre und einer falschen Trennung von Glaube und Politik eine der wichtigen Einsichten, die Dietrich Bonhoeffer erarbeitet und vermittelt hat. Das war der dritte ethische Irrweg. Die Männer des Gewissens nehmen wir einen vierten ethischen Irrweg, der sichere Weg der Pflicht. Wir sehen, dass es jetzt ein bisschen ähnlich ist. Es gab Christen, die gesagt haben, für mich ist wichtig, ich bleibe meinem Gewissen treu. Das, was ich im Gewissen glaube verstanden zu haben von der Bibel, das ist absolut. Und in meinem Bereich so. Und andere haben gesagt, ja genau. Und ich würde es ein bisschen anders formulieren. Es ist ja mein Gewissen, das ist so subjektiv. Es sind ja die objektiven Pflichten. Es ist ja meine Berufs

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Treue, die ich irgendwo eingegangen bin in einem Bereich. Es ist meine Verpflichtung gegenüber den objektiven Gesetzmäßigkeiten dieser Welt. So und an dieser Stelle gibt es eine andere ethische Denktradition, die Bonhoeffer kritisiert, nämlich die Lehre von der sogenannten Schöpfungsordnung. Schöpfungsordnung, dieser Begriff wurde vor allem im 19. Jahrhundert populär und unter Schöpfungsordnung sagte man die Zugehörigkeit zum Volk, zum Staat, zur Kirche, zur Ehe. Das sind ewige Ordnung. Und in diese ewige Ordnung muss sich der Christ einfügen und er muss hier die objektiven Pflichten befolgen, die mit diesen ewigen Ordnungen gegeben sind. Und dazu gehört zum Beispiel seit Untertan der Obrigkeit. Alle Verfechter der Schöpfungsordnung im 19. Jahrhundert

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waren zum Beispiel Antidemokraten, weil sie gesagt haben, Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ist eine ewige Ordnung. Jetzt zu sagen, alle Macht geht vom Volke aus, das ist ja teuflisch. Das ist ja Aufruhr gegen Gottes ewige Ordnung, dass es Herrscher und Untertan gibt und die Herrscher sind Gott verantwortlich und die Untertan sind der Herrschaft gehorsam schuldig. Das war tief drin im Protestantismus. Das war eine ewige Schöpfungsordnung, die konnte man gar nicht in Frage stellen. Das war absolut überzeugend für viele. Bonhoeffer lehnt diese Verherrlichung der Pflicht radikal ab. Denn was geschieht mit denjenigen, der sich radikal versucht, an seinen Pflichten zu orientieren? Bonhoeffer sagt es radikal, der Mann der Pflicht wird schließlich auch dem Teufel gegenüber noch seine Pflicht erfüllen müssen. Die Menschen waren nicht darauf eingestellt, dass der Gehorsam

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irgendwann auch dem absolut Bösen gelten kann. Man hielt es für den sicheren Weg, den sicheren Weg, dass ich meine Pflicht erfülle. In der Lutherzeit hat Luther das durchgerechnet für den Kriegsknecht oder für den Henker und hat gesagt, der Henker hat die Berufspflicht Leute zu töten. Sollte er sich mal fragen, ob da einer unschuldig ist oder nicht, das ist nicht sein Amt. Dafür gibt es Richter. Der Henker muss die Leute hinrichten, die man ihm bringt und er muss sich daran trösten, dass das sein Beruf ist und seine Pflicht und sein Gehorsam. Und er ist nicht verantwortlich dafür, wenn er einen Unschuldigen tötet. Dafür ist die Obrigkeit und das Gericht und der Richter schuld. So und das hat Luther so beschrieben und das ist nicht ganz unproblematisch. Und es wird natürlich immer problematischer, je mehr man das zur Generalformel macht. Als Krieger musst du Krieg führen. So als Polizeikommandant musst du zu Not auch foltern und quälen und misshandeln,

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wenn es irgendwie der Sicherheit dient. Es ist deine Pflicht. Frage dich nicht nach gut und böse, tu einfach deine Pflicht. Das ist dein Gutes. In dieser ethischen Logik wird im Grunde die Frage nach dem Guten quasi abgeschafft. Das Gute ist Pflichterfüllung. Und Bonhoeffer analysiert das so, das ist für diese Menschen ein ganz tiefes Sicherheitsverlangen. Sie wollen das Richtige tun und es ist sehr schlüssig, immer zu sagen, ich tue meine Pflicht. Man ist immer auf der sicheren Seite. Aber man kann in die Lage kommen, dadurch das Gute zu verraten und aus den Augen zu verlieren, wie es in seiner Zeit eben der Fall war. Gehen wir weiter. Bonhoeffer untersucht eine dritte Grundhaltung. Die beschreibt er so. Es gibt Menschen, die in eigenster Freiheit begreifen,

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dass die Unbeflecktheit des eigenen Gewissens oder die bedingungslose Bevölkerung der Pflicht zum Bösen führen kann. Und solche Menschen versuchen, das Richtige zu tun, das Gute zu tun. Sie versuchen sich nicht einzulassen auf falsche Alternativen der eigenen Gewissenhaftigkeit. Und sie werden zum Beispiel auch Dinge tun, die schlimm aussehen, um noch Schlimmeres zu verhüten. Sie werden manchmal lügen. Sie werden manchmal Gewalt anwenden, weil sie erkennen, es muss sein, um in einer bestimmten Situation noch Schlimmeres zu verhindern. Es ist interessant, dass Bonhoeffer das hier kritisiert. Denn jetzt könnte man sagen, Moment mal, ist das nicht dein Weg? Machst du das nicht? Bist du nicht einer derjenigen geworden, die mit anderen Soldaten, obersten Generälen zusammen, naja, Hitlers Krieg irgendwie mitführt, ein Teil der Maschine ist, nur eben mit dem

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hintergründigen Gedanken, wenn wir die Chance haben, Hitler zu stürzen, machen wir das. Aber ist es nicht euer Weg? Bonhoeffer erkennt hier eine ethische Haltung, die in der Ethik nennt man das Utilitarismus. Utilitarismus heißt, das Gute ist das, was zu guten Zielen führt, was am Ende nützlich ist. Und manchmal muss man eben grausame Dinge tun. Manchmal muss man unehrlich sein, um dem Guten irgendwo zu dienen. Modernes Beispiel, die Serie 24 werden die einen oder anderen vielleicht gesehen haben. Die erste Echtzeit-Serie der frühen Nullerjahre. Und jede einzelne Folge spielt das ja im Grunde durch. Ein Terroranschlag, wahlweise Atombombe oder Biowaffe oder Chemiewaffe bedroht das Leben von Millionen Menschen. Und du hast jetzt da irgendeinen

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Bösewicht auf einmal, der weiß, wo es ist, und du musst es aus ihm rauskriegen. Leider hast du keine Zeit. Und in jeder zweiten Folge werden da Menschen geschlagen, gequält. Es geschehen bestialische Dinge. Und immer ist es der Konflikt, wir müssen das tun, weil ansonsten sterben ja Millionen Menschen. Und die Hemmschwelle sinkt immer weiter. Es werden Unschuldige geopfert. Es werden Grausamkeiten begangen. Es wird gequält, gefoltert, gemordet um des Guten. Jetzt ist Bonhoeffer mit seinem eigenen Lebenswerk da gefährlich nah dran. Er sagt an dieser Stelle nur, man kann sich so täuschen. Woher weiß man denn, dass man wirklich das Schlimmere verhütet? Woher weiß man das? Was könnte denn passieren? Was würde denn passieren, wenn man es nicht tut? Ist es denn immer sicher, dass man durch die eigenen Grausamkeiten wirklich den Terror beseitigt oder den Krieg beendet? Ist

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es so? Können wir Menschen das wissen, dass wir ein geringeres Übel begehen, um ein größeres zu verhindern? Kann es sein, dass die Summe der vielen geringen Übel, die wir tun, im Grunde das große Übel dieser Welt ist? Dietrich Bonhoeffer sagt, hier liegt der Urstoff von Tragödien. Denn es kann natürlich passieren, dass das Schlimmere, das man vermeiden will, in Wirklichkeit das Bessere sein könnte. Bonhoeffer entscheidet sich persönlich für einen Weg, der in diese Richtung geht. Er entscheidet sich aber für einen solchen Weg so, dass er sagt, ich darf mich nicht auf einem solchen Weg gehen und mich selbst für gut, gerecht und unschuldig erklären. Ich muss im Grunde, wenn ich einen solchen Weg gehe, das tun in der Bereitschaft, wirklich schuldig zu werden. Ich darf die

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Maßstäbe nicht verlieren. So, es ist nicht auszuschließen, dass ich über Grenzen gehen muss, aber ich muss es wissen. Dietrich Bonhoeffer wurde von Mitverschwörern gefragt, in der Bibel steht, wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen. Ja, gilt das denn auch für uns? Und vielleicht haben Sie gewünscht, dass der Pastor Bonhoeffer sagt, das steht da in der Bibel, aber für uns gilt das nicht, weil was wir tun, ist richtig. Wir kämpfen ja gegen Hitler und darum gilt das nicht für uns. Das ist, was wir machen, ist wirklich absolut richtig. Bonhoeffer sagt Ihnen doch, das gilt für uns. Wir können nicht so tun, als würden wir hier gut und edel und hilfreich und nobel und vorbildlich handeln. Wir tun teilweise schreckliche Dinge. Wir lassen schreckliche Dinge geschehen und das ist schrecklich. Und wenn wir glauben, dass wir es müssen, müssen wir es in Verantwortung vor Gott tun, ohne uns selbst zu betrügen. Bonhoeffer kommt

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noch auf einen letzten Ausweg zu sprechen, die Flucht vor der öffentlichen Verantwortung, die Rettung der privaten Tugendhaftigkeit. Im Grunde war das seine Amerika-Krise. Kann ich für mich eine Exit-Strategie haben, die mich rausnimmt aus der Verantwortung, wo ich sage, die Welt geht unter, Gott sei Dank bin ich nicht schuld. Vielleicht ist noch was übrig, nachher komme ich wieder. Und Bonhoeffer erkennt in dieser Situation aber, eine solche Flucht vor der öffentlichen Verantwortung kann für Christen nicht der Weg sein. Vielleicht für Einzelne, aber für ihn, für sich selbst, sagte er, das kann es nicht sein. Er fragt am Ende diese Überlegung, wer hält Stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der, dies alles zu Opfern bereit ist. Wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist. Der Verantwortliche, dessen Leben

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nichts sein will, als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf. Wo sind diese Verantwortlichen? So sah Bonhoeffer sich gefragt, von Gott herausgefordert und geht diese ganzen Ethiktypen hindurch. Und wenn wir jetzt mal auf den Unterschied achten. Die Ethiktypen, die Bonhoeffer bespricht, haben alle eins gemeinsam. Sie alle versuchen im Grunde eine Theorie zu entwickeln, in der ich Recht habe. Die irgendwo einen sicheren Weg darstellen, dass ich das Richtige tue, mit guten überzeugenden Gründen, ich habe Recht. Ethik ist hier in all diesen sechs Wegen so eine Art intellektuelle Selbstverteidigung. Ethik ist im Grunde, ich habe Recht, du nicht. Bonhoeffers Ansatz funktioniert ansatz. Er sagt, entscheidend ist doch Verantwortung für den Nächsten. Und es kann dabei nicht das

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höchste Ziel sein, dass ich mir die Hände nicht schmutzig mache, dass ich keine Fehler riskiere. Wer keine Fehler riskieren will, wird immer irren, weil er großen Fragen immer versuchen wird, irgendwie auszuweichen oder sie nicht wahrhaben zu wollen. In seiner Frage, wie konnte es in Deutschland so weit kommen, kommt Bonhoeffer zu ganz grundlegenden Überlegungen, dass das Dritte Reich auch ein Kernproblem offenlegt der deutschen Philosophie, der deutschen Ethik, man muss auch sagen des Christentums in Deutschland. Man kann sicher auch sagen des reformatorischen Christentums in Deutschland. Denn das Dritte Reich ist nun mal in einem Land zur Macht gekommen, wo Luther und Statuen und Kant Gedenk büsten an jeder Ecke und an allen Enden standen. Wie ist das denn möglich,

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dass so im Land der Dichter und Denker von Lessing, Schiller und Goethe, von Kant und Hegel, von Luther und Melanchthon, dass da eine solche wahnsinnige Ideologie sich durchgesetzt hat, wo die Deutschen doch so stolz waren auf ihre christliche Tradition und auf ihre ethische Tradition. Und Bonhoeffer fragt sehr grundsätzlich, gibt es vielleicht in unserer deutschen, christlichen, ethischen Tradition Dinge, die wir übersehen haben, die wir nicht gelernt haben. Und Bonhoeffer gibt darauf eine klare Antwort. Es gibt ein Schlüsseldefizit in der deutschen, christlichen, ethischen Tradition. Die Deutschen haben schlicht nie gelernt, das zu entwickeln, was man Zivilcourage nennt. Was ist Zivilcourage? Der große Fehler der Deutschen war im Umgang mit

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dem Thema Freiheit entstanden. Jetzt ist Freiheit für die deutsche Tradition natürlich eine ganz entscheidende Frage. Die Freiheit eines Christmenschen ist bei Luther zentral, die Autonomie, der Ethik ist bei Kant zentral. Jetzt könnte man sagen, wo wurde denn je größer und erhabener von Freiheit gesprochen als in Deutschland? Die Deutschen haben doch, wer weiß was für Probleme, aber keine Freiheitsprobleme. Doch, sagt Bonhoeffer, was ist das Problem der Deutschen? Der Deutsche hat versucht, seine Freiheit so zu entfalten, dass er sagt, wenn ich frei sein möchte, muss ich frei werden vom Eigenwillen. Ich muss frei werden von einer willkürlichen Leitung durch mich selbst. Ich lerne Freiheit nur durch Zucht. Nur derjenige wird frei, der lernt, sich unterzuordnen.

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Freiheit lernt man im Gehorsam. Man lernt es im Gehorsam gegenüber Gott, gegenüber den Eltern, gegenüber der Obrigkeit, gegenüber dem Gewissen, gegenüber der Nation, gegenüber dem Staat. Das ist die deutsche Tradition. Freiheit ist niemals denkbar außer im Gehorsam, in der konkreten Unterordnung, in das Gegebene, in das Ordentliche, in das Gute hinein. Und so, sagt Bonhoeffer, hat der Deutsche, jetzt sehr grob gesprochen, also die deutschen Ethiktraditionen, haben etwas unterschätzt, nämlich die Möglichkeit, dass die deutsche Bereitschaft zum Gehorsam, zur Hingabe, zur Nibelungentreue missbraucht werden könnte für das Böseste. Das ist im Dritten Reich geschehen,

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dass man lauter Bürger damit im Grunde funktionieren lassen konnte, dass man ihnen sagt, gehorcht, seid Untertan der Obrigkeit, tut eure Pflicht. Und was die Deutschen nicht gelernt haben, ist, dass Freiheit manchmal auch bedeutet, sich gegen Ordnung, gegen Beruf, gegen Aufträge von oben aufzulehnen. Die Deutschen haben nicht Zivilcourage gelernt, sie haben keine revolutionäre Geschichte, keine Geschichte, dass der Aufruhr manchmal berechtigt ist, dass der Revolutionär, der Skeptiker manchmal der einzig Klardenkende ist. Und das ist die Lehre, die jetzt im Dritten Reich ansteht, die jetzt nötig ist. Was soll man also tun? Was ist jetzt der Auftrag, den Christen haben? Bonhoeffer beschreibt das in diesen Überlegungen so, er sagt, was habe ich denn gelernt in den

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letzten Jahren? Was habe ich erfahren? Er weiß, er kommt von ziemlich hoch oben. Er hatte beste Bedingungen und Voraussetzungen überhaupt. Er sagt, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist der Blick von unten. Es bleibt ein Erlebnis von unvergleichlichem Wert, dass wir die großen Ereignisse der Weltgeschichte einmal von unten aus der Perspektive der Ausgeschalteten, der Beagwöhnten, der Schlechtbehandelten, der Machtlosen, der Unterdrückten und Verhöhnten, kurz der Leidenden, sehen gelernt haben. Das ist ihm passiert als Professorensohn, als Pfarrer, als Privatozent, dass er ein Outlaw wurde und auf einmal sah, da gibt es viele Outlaws um mich herum. Da gibt es Juden und Kommunisten und Freigeister und Sektierer und Sinti und Roma,

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da gibt es viele. Und der Bürger, der diese Perspektive von unten nicht kennt, hat offensichtlich die Kunst perfektioniert, die nicht mehr zu sehen. So Bonhoeffer sagt aber, ich habe gelernt, die zu sehen, weil ich diesen Weg geteilt habe. Was heißt das denn für mich als Christ? Bonhoeffers christliche Einsicht war, es ist Gottes Fokus, die Welt mit den Augen derer von unten zu betrachten. Das ist Gottes Weg vom Exodus angefangen in der Verkündigung Jesu, die Ausgegrenzten, die Sünder, die Zöllner, die Huren, auf die geht Jesus ein. Er begibt sich ständig in die Nähe derer, wo er diesen Blick von unten einübt. Und christliche Verantwortung muss in jeder Zeit und erst recht in dieser heißen, diese Menschen nicht zu übersehen. Sie sind der Maßstab, sie sind das Kriterium für das, was gut zu heißen verdient. Nicht die, denen es irgendwie glänzend geht im Licht und die besoffen

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sind von ihrem eigenen Glück, sondern die, die unter einem System leiden, sind das Kriterium für dessen Güte. Und ja, diese Menschen dieser Welt zählen, so Bonhoeffer. Es gibt Menschen, sagt er, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie fortzubereiten. Es gibt Christen, die ganz erfüllt sind von Reich Gottes Hoffnung im Sinne eines Jenseits, einer Hinterwelt, einer Überwelt und die im Grunde für sich Frieden damit haben, dass diese Welt den Bach runtergeht. Und mehr noch, ihnen ist die Welt nicht nur egal, Bonhoeffer schreibt, sie glauben an das Chaos, die Unordnung, die Katastrophe als den Sinn des gegenwärtigen Geschehens und entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das

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Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Es gibt Christen, denen es im Grunde gut geht, wenn sie durch Nachrichten gefüttert werden, dass es irgendwie schief läuft, dass es nicht läuft, dass die das System korrupt ist, dass die Medien daneben sind, dass alles irgendwie ohne Gott ja sowieso nicht funktionieren kann. Alle Krisen und Katastrophen sind für solche Christen eine Bestätigung, dass eine gottlose Welt zugrunde gehen wird. Das halten sie für etwas, was zu ihrer Frömmigkeit gehört. Bonhoeffer hält das für eine tragische Täuschung, weil diese Menschen diese Welt und Gott radikal auseinanderreißen. Sie machen Gott zu einem Gott der Hinterwelt und sind zufrieden, wenn diese reale Welt den Bach runtergeht. Aber so ist es nicht. Gott ist Gott dieser Welt und diese Menschen liegen ihm am Herzen. Darum sagt Bonhoeffer, als Christen müssen wir doch so sagen, es mag sein, dass der jüngste Tag morgen anbricht,

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dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht. Es ist für einen Christen völlig unverzichtbar, im Sinne des Jeremia-Worts zu leben, suchet der Stadt Bestes. In jeder Lage, in jeder Herausforderung, in jeder Krise müssen Christen diejenigen sein, die dieser Welt und diesen Menschen dienen. Und davon haben sich leider in seiner Zeit viele Christen entfernt und vielleicht nicht nur in seiner Zeit. Wie kann man nun ethisch die Aufgaben, die vor einem liegen, so ein bisschen einordnen, ein bisschen sortieren? Und Bonhoeffer bringt das, was der Christ im Grunde lernen muss, auf einen Begriff, nämlich schlicht den Begriff der Verantwortung. Verantwortung ist der Schlüsselbegriff in Bonhoeffers Ethik dieser Jahre. Es ist ein

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Begriff mit einer gewissen Vorgeschichte. Eine berühmte Prägung dieses Wortes stammt etwa von dem Soziologen Max Weber. Max Weber hat in seinem Vortrag Politik als Beruf 1919 eine Unterscheidung eingeführt, die bis heute berühmt ist und klassisch und viel diskutiert wird, die Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Wir hatten Gesinnungsethik vorhin schon in diesem Teil. Gesinnungsethiker sind Menschen, die sagen, ich habe meine Maßstäbe, meine Prinzipien, meine Werte in meinem Gewissen und denen bin ich treu. Und wenn die Welt darüber zugrunde geht, ist das schlecht für die Welt, aber das tangiert mich nicht. Es ist mir egal. Ich lasse mich nicht verbiegen. Ich mache keine Kompromisse. Ich bin auch nicht bereit, irgendetwas vorzuspielen, was ich nicht wahrhalte. Und ich werde mit niemandem kooperieren, der meine Werte nicht teilt. Ich will aufrecht sein und gerade und gut und entschieden und treu. Und so, so allein kann

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ich gut sein. Alles andere ist Kompromisslertum. Alles andere ist Heuchelei. Dazu bin ich nicht bereit. Und Max Weber sagt, das sind respektable Menschen, die gründen manchmal ganze Religionen und sind edel, hilfreich und gut. Wenn alle Menschen so wären, wäre schon schön. Jetzt sind nicht alles so. Und in einer Welt, wo nicht alle so sind, sind diese Menschen leider kein Teil der Lösung, sondern auch ein Teil des Problems, weil diese Menschen politikunfähig sind. Der Politiker darf nicht so sein. Der Politiker darf nicht sich fragen, wie kann ich es schaffen, mir immer treu zu sein. Er wird nicht dafür gewählt, sich immer treu zu sein. Er wird gewählt, Verantwortung zu übernehmen für das, was wirklich geschieht. Politiker werden völlig zurechtgemessen an den Folgen ihrer

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Entscheidungen und nicht an den Absichten, an den Intentionen ihrer Entscheidung. Und Politiker, die sich das wünschen, haben nicht verstanden, wozu Politik da ist. Die besten Intentionen, die besten Absichten können in grausamstes Unglück stürzen. Und dann kann man sich nicht nachher hinstellen und sagen, schade, aber auch, ich habe es aber wirklich gut gemeint. Dann muss man sich befragen lassen, hast du nachgedacht, hast du überlegt, hast du geprüft, was passieren könnte? Politiker müssen Verantwortung übernehmen für ihre Entscheidungen. Das heißt, bei ihren Entscheidungen müssen sie von Anfang an die tatsächlichen Folgen mitdenken. Und das macht politische Entscheidungen so schwierig. Man muss mitdenken, wie eigene Entscheidungen auf andere wirken werden, welchen Aufruhr ich damit verursache, wen ich überhaupt auf einem Weg mitnehme, wen ich

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integriere und wen nicht. Politik, so sagt Max Weber, ist das lange, beharrliche Bohren dicker Bretter. Es ist geduldiges Ringen um das Mögliche. Und dazu braucht man nüchternen Wirklichkeitssinn. Man muss die Welt verstehen, man muss sie kennen, man muss sie sehr genau kennen, um Folgen abschätzen zu können. Und man muss sich darauf einlassen, dass man Kompromisse suchen muss mit anderen, dass man in irgendeiner Form wirklich etwas bewegt und nicht nur sagt, ich bewege zwar nichts, aber ich habe recht gehabt. So, das wäre unverantwortlich. Das war Max Weber und Bonifers Denken ist davon geprägt, wenn er Verantwortung sagt, meint er auch dies Verantwortung, in diesem Sinne das wirkliche Geschehen verantworten und nicht nur sich auf die reine Gesinnung konzentrieren. Was ist Verantwortung? Ich nenne mal vier Merkmale dieser inneren Haltung. Das erste ist ganz schlicht Verantwortung heißt, dass jeder Mensch sich seine Handlungen zuschreiben

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lassen muss. Das, was ich tue, muss ich verantworten und ich kann nicht sagen, ich habe es eigentlich super gemacht. Ich wurde dann von blöden dummen Menschen völlig missverstanden. Das alles gegen die Wand gefahren ist, ist nicht meine Schuld. Ich hätte alles gleich so gedacht, wie ich wäre es super. Nein, ich bin verantwortlich für die Folgen meines Tuns. Ich muss dafür in irgendeiner Weise einstehen. Verantwortung ist darum ein dialogischer Begriff. Ich bin verantwortlich vor Gott, verantwortlich vor anderen Menschen, verantwortlich vor denen, die mich gewählt haben oder denen, die mir einen Auftrag gegeben haben und ich muss dazu stehen, was ich tue. Daher bedeutet Verantwortung zweitens auch schlicht Rechenschaft. Ich muss Rechenschaft geben können. Ich muss mich beurteilen lassen, ob ich richtig gehandelt habe oder falsch, ob ich schuldig geworden bin oder

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nicht. Und dieser Dimension kann ich nicht von vornherein mich entledigen. Auch nicht so, dass ich permanent nicht handle, um bloß nicht schuldig zu werden. Das ist ein klassischer Fehler im Umgang mit Verantwortung. Bloß nicht schuldig werden heißt dann schnell bloß nicht handeln. Wenn ich nichts mache, kann ich ja nicht schuldig werden. Das ist eine schwere Täuschung. Man kann durch nichts tun unendlich viel verschulden. Ich muss mich dem stellen, mich zur Rechenschaft ziehen zu lassen. Aber Verantwortung hat noch eine andere Dimension und für Bonhoeffer besonders wichtig. Drittens ist Verantwortung ist im Grunde so etwas wie Fürsorge. Ich bin verantwortlich für meine Mitmenschen. Ich bin verantwortlich für das, was mit anderen geschieht. Soll ich meines Bruders Hüter sein? Ja, was denn sonst? Das ist ein menschlicher Urauftrag. Du bist verantwortlich

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dafür, wie es den Menschen um dich herum geht. Darum kann Bonhoeffer sagen, die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll. Der vierte Punkt ist Verantwortung heißt dann auch ganz schlicht Wirklichkeitsgemäßheit. Der verantwortlich denkende Mensch muss schlicht die Bedingung seines Handelns kennen. Er muss die Menschen kennen, die davon tangiert sind. Er muss die politischen, die rechtlichen, die natürlichen, die wissenschaftlich erforschten Bedingungen des eigenen Handelns kennen und verstehen, um wirklich für die Folgen des eigenen Handelns einzustehen. Er darf sich nicht die Augen zuhalten und sagen, ich habe Prinzipien, die setze ich jetzt um. Ethisch handeln bedeutet immer, ja Prinzipien haben.

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Max Weber macht keinen Gegensatz von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Bonhoeffer macht auch keinen Gegensatz daraus. Prinzipien sind wichtig. Eine Gesinnung, die sich an das Gute hält, die sich an Wert hält, ist völlig unverzichtbar. Aber das ist die eine Hälfte der ethischen Welt. Und die andere Hälfte der ethischen Welt heißt, die Wirklichkeit kennen und die realen Fragenfälle, Entscheidungssituationen verstehen und nicht Prinzipien mit aller Macht durchzudrücken, auch wenn sie gar nicht passen zu einer bestimmten Gegebenheit, zu irgendeiner historischen Situation. Ethisches Handeln bedeutet immer, normgemäß und wirklichkeitsgemäß zu handeln. Und wer die Wirklichkeit nicht kennt und versteht, die er behandelt, handelt sicher falsch. Und keine Berufung auf noch so biblische Werte und Prinzipien kann an dieser Verkehrtheit

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irgendetwas ändern. Für Bonhoeffer ist das ein Grundgedanke auch seiner christlichen Ethik. Er sagt, ja klar, als Christ orientiere ich mich an Christus. Das ist meine Gesinnung, das sind meine Werte. So wie Christus eingestanden ist für die Leidenden, für die Ausgegrenzten, für das Gute, für das Gerechte. So möchte ich mich auch orientieren. Aber wie hat er das gemacht? Und da ist für Bonhoeffer Menschwerdung das universelle Prinzip, wie Gott handelt. Gott lässt sich ganz ein auf eine Zeit. Er wird Mensch in einer bestimmten Sprache, in einer bestimmten Kultur, in einer bestimmten Tradition, in einer bestimmten Bildungsgeschichte. Er lässt sich ein auf ganz bestimmte Menschen, Zöllner, Sünder, Huren, Frauen, Männer, Kindern. Und er wird jedem in seiner Situation gerecht. Und so muss christliche Ethik funktionieren. Anders geht es nicht. Es geht nur

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so, dass ich mich auf die Wirklichkeit, wie sie ist, einlasse. Verantwortung bedeutet daher ganz schlicht der Norm, wie sie in Christus deutlich wird, treu sein. Aber auch genau hinsehen, dass ich diese Norm wirklich hineinbringe in die Situation, in die Zeit, in das, was mich wirklich herausfordert. Die große Krise der deutschen Ethik, der protestantischen Tradition, der reformatorischen Theologie ist, dass sie für eine solche verantwortete Freiheit oft keinen Raum hatte. Sie war oft sehr traditionsgebunden. Sie versuchte, das ethische Handeln immer zu objektivieren. Ewige Werte, eine ewige Schöpfungsordnung, ewig richtige Grundsätze. Tu immer deine Pflicht, dann kannst du nie daneben liegen. Halte dich immer an die Stimme deines

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Gewissens. Dann liegst du immer richtig, dein Gewissen mag irren. Aber das ist dann Pech oder das ist tragisch. Trotzdem musst du immer deinem Gewissen treu sein. All diese ganzen Dinge haben nicht mehr funktioniert. All das hat irgendwann in die Irre geführt. Darum legt Bonhoeffer Wert darauf. Wir müssen lernen, eine neue verantwortliche Generation großzuziehen, die wirklich fragt, wie können wir beides zusammenhalten? Und in Konfliktsituationen ist es nicht immer vorher klar, dass das, was ich tue, das Richtige ist. Grund ist, dass der entscheidende Fehler vieler Ethiken, sie versuchen immer, maximale Sicherheit zu erzeugen. Es ist im Grunde eine selbstbezogene Ethik, ein selbstisches Denken, was immer sagt, ich möchte mir doch meiner Sache sicher sein. Und wenn ich mir meine Sache sicher sein möchte, versuche ich mir die Normen und Werte und die

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Wirklichkeit so zurechtzulegen, dass es eindeutig wird. Bonhoeffers Entdeckung ist, es gibt Situationen, zeitgeschichtliche Herausforderungen, da wird es nicht eindeutig. Da kann nicht die letzte und höchste Frage für mich sein, wie bleibe ich auf der sicheren Seite? Da muss ich manchmal auch riskieren, Fehler zu machen, mich zu täuschen, mich zu irren. Ich muss dieses Risiko eingehen, weil eine andere Frage für mich wichtiger sein muss. Nicht die Frage, wie behalte ich Recht, sondern die Frage, wie diene ich wirklich denen, die das am nötigsten brauchen? Das muss die Frage sein. Das muss die christliche Frage sein, orientiert an Jesus Christus, orientiert an den biblischen Geschichten, orientiert an biblischen Werten und Normen und gleichzeitig genauso radikal

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orientiert an der Welt, an der Zeit, an der Situationen mit der Frage, was ist in dieser Situation, in dieser Zeit das wirklich Gute, das wirklich Tragfähige, das Christus Gemäße? Diese Verantwortungsetik ist Dietrich Bonhoeffers großes Erbe, was er in seiner Zeit im Dritten Reich erarbeitet hat. Und ich finde, bis heute ist dies ein großes Erbe, was noch längst nicht für christliche Ethik bis heute ausgeschöpft ist.

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Dietrich Bonhoeffer: Ethische Verantwortung | 7.12.1

Worthaus Pop-Up – Waldkappel: 31. Dezember 2017 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Stellen Sie sich vor, Sie lebten in einem Land, in dem Ungerechtigkeit zum Alltag gehört. In dem Menschen willkürlich verhaftet und ermordet werden, in dem Recht gesprochen wird, das eigentlich Unrecht ist. Es könnte auch Sie treffen, aber Sie könnten in ein anderes Land fliehen. Was würden Sie tun? Dietrich Bonhoeffer stellte sich diese Frage kurz vor Kriegsbeginn, da war er gerade in den USA. In Deutschland wurden Menschen willkürlich verhaftet und ermordet, vor Gericht wurde Recht gesprochen, das Unrecht war, und Bonhoeffer hätte im Exil den Krieg und die Diktatur aussitzen können. Wie er sich entschied, ist bekannt. Damit könnten wir das Geschichtsbuch zuschlagen. Doch worüber sich Bonhoeffer im Gefängnis Gedanken machte, betrifft auch uns: Wie sollten sich Christen und andere ethisch und moralische denkende Menschen in solchen Zeiten verhalten? Sollten sie bedingungslos ihrem Gewissen folgen? Wie soll das gehen in einem Land, in dem Falsches plötzlich richtig ist, das Böse gut, ein schlechtes Gewissen plötzlich ein gutes Zeichen ist? Und wie verhalten wir uns eigentlich heute christlich und ethisch verantwortungsvoll? In einer Zeit, in der für jeden Menschen in Deutschland dutzende Sklaven arbeiten – wenn sie auch weit weg leben. Geht das überhaupt, verantwortungsvoll zu leben?

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.