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Heute Nachmittag beschäftigen wir uns mit der dunklen Seite des Reformators, Luther und die Juden. Wir haben ja schon viel über Luther gehört und wenn wir ehrlich sind, meistens war es so im Stil von Hosianna. Was kann man von Martin alles Schönes lernen? Was war das für ein mutiger Typ? Was hat der Durchblick gehabt? Was hat der durchgekämpft? Was ist das für ein Lehrer im Glauben? Ich habe ja heute Morgen auch so diesen Hosianna-Stil versucht. Was ist bei Luther gut und wertvoll? Jetzt kommt heute Nachmittag nicht kreuziget ihn, das wäre unangemessen. Das steht uns nicht zu. Eine Passionsgeschichte wird schon. Es war für mich in der Vorbereitung eine und da spare ich jetzt nichts ab.

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Das wird jetzt nicht weichgespült. So, es muss man schon jetzt mit dem ganzen Ernst angehen. Jetzt nicht in dem Sinne, wenn wir das gehört haben, brechen wir die Tagung ab im schlimmsten Fall oder so. Das ist alles geplant. Aber es haben ja viele hier so den kleinen Luther bekommen. Ich glaube, man muss sich da schon überlegen, kann man sich so einen noch hinstellen? So, bei sich auf dem Schreibtisch oder auf der Fensterbank, wenn da einfach manche Abgründe sich auftun. Ich denke, man muss das mit allem Ernst heute anschauen. Was hat Luther gesagt? Was hat er gedacht? Jetzt kann man immer sagen, das ist lange her, was sollen wir das jetzt beurteilen? Aber wir treffen ja immer Urteile, immer Einschätzungen und wenn wir hier die Gesamteinschätzung haben, der ist bis heute lesenswert und lohnend und hörendswert und jemand, von dem man viel mitnehmen kann, muss man die Gegenprobe machen. So bewährt sich das auch an den Grenzen oder wie geht man damit um, wenn wir wirklich mit einer düsteren Seite konfrontiert werden?

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Jetzt gibt es einen christlichen Anti-Judaismus, der sich im Grunde durchzieht vom Neuen Testament bis ins 20. Jahrhundert. Ich würde an der Stelle auch das Neue Testament erwähnt haben, wir kommen an diese schwierige Stelle später auch noch mal. Aber das gibt es von Anfang an im Christentum, dass die Juden sehr kritisch bewertet werden als Gottesmörder, als diejenigen, die den Sohn Gottes verraten haben, die ihn ans Kreuz gebracht haben, als das verstoßene Gottesvolk, als das ehemalige Gottesvolk. Und da muss man sagen, vom ersten bis zum zwanzigsten Jahrhundert ist das ein sehr, sehr breiter Konsens.

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Wenn man seit wenigen Jahrzehnten manchmal spricht von einem jüdisch-christlichen Erbe, was manche retten wollen in unserer Gesellschaft, ist das schon ein bisschen zynisch. So, weil dieses jüdisch-christliche Erbe ist ein Ausdruck, der im Grunde verkleistert und verstellt die harte Realität, dass im Christentum in seiner gesamten Geschichte das Judentum weitgehend sehr scharf abgewertet wurde, häufig drangsaliert, Tod und Vertreibung ausgesetzt bis hin zu den Massenmorden des zwanzigsten Jahrhunderts. Dass man also bei Luther so etwas findet, eine kritische Bewertung der Juden, die selbstverständlich als Ungläubige bezeichnet werden, das wäre kein Vortrag wert, weil wir würden gar keine Ausnahme finden in der großen, breiten Kirchengeschichte. Manche, die nicht so schlimm sind, manche könnte man da nennen, aber im Großen und Ganzen ist diese Abwertung und die Überzeugung,

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dass die Kindschaft und die Bundeschaft von den Juden auf uns Christen übergegangen ist, so sah man das. Luther wird in dieser Geschichte des christlichen Anti-Judaismus groß und man könnte jetzt viel von seinen frühesten Werken her nennen, wo er das in einem normalen Ausmaß bedient und so beschreibt, wie man das gemacht hat. Bevor wir uns an die schwierigen Dinge ranwagen, muss man zunächst mal die erste Schrift nennen, die Luther dem Thema Judentum gewidmet hat. Das ist 1523 und 1523 sind so seine besten und glücklichsten Jahre, wo er sehr offen und sehr frei und sehr erfolgreich und insgesamt auch sehr gewinnend das Evangelium entfaltet. Und in dieser Zeit verfasste er eine Schrift mit dem Titel, dass Jesus Christus ein geborener Jude sei.

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Das ist eine sehr bemerkenswerte Schrift, die wir zunächst mal würdigen müssen. Es ist eine kleine Schrift, 15 Seiten etwa, es ist eine ausführliche Predigt, ein Worthausvortrag so ungefähr vom Umfang her. Und Luther hat es hier zu tun mit den Fragen alttestamentlicher Prophetie, ob die in Christus erfüllt wird. Davon ist er überzeugt. Das ist der Hauptteil dieser Schrift. Und bei dieser Gelegenheit geht er auch darauf ein, wie man mit den Juden umgehen solle. Und Luther ist in dieser Zeit davon überzeugt, dass die Christenheit an den Juden schwer gesündigt hat. Und er beschreibt so ein bisschen, wie man mit den Juden umgegangen ist. Jetzt Zitat aus dieser Schrift. Luther sagt hier, der Eifer einiger Christen ist verdammungswürdig. Die meinen Gott, damit einen Dienst zu tun, wenn sie die Juden auf die hässlichste Weise verfolgen und alle schlechte über sie denken.

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Diese Gottlosen, die dem Namen nach Christen sind, verursachen durch ihr tyrannisches Gebaren keinen geringen Schaden. Sowohl dem christlichen Namen als auch dem Christenvolk. Und sind schuldig und haben Teil an der jüdischen Gottlosigkeit, die sie wegen des Beispiels der Grausamkeit gleichsam vom Christentum zurückstoßen. Obwohl sie durch alle Sanftmut, Geduld, Gebet, Sorge angezogen werden sollten. Das ist für diese Zeit eine ungeheuer bemerkenswerte Aussage. So klar, das Normale ist hier die jüdische Gottlosigkeit. So sieht man das. Und klar ist auch der missionarische Auftrag. Wir sollten sie doch für den Glauben gewinnen wollen. Niemand wird das anders sehen und sagen in dieser ganzen Geschichte. Aber dann eine starke Selbstanklage. Wir Christen haben versagt gegenüber den Juden.

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Wir haben Lügengeschichten erfunden. Wir haben sie verfolgt. Wir haben sie vertrieben. Wir haben uns an ihnen grausam versündigt. Und Luther kann das so weit ziehen, dass er sagt, wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätte gesehen, wie die Christen ihren Glauben führen und leben, so wäre ich eher eine Sau geworden, denn ein Christ. Denn die Christen haben mit den Juden gehandelt, als wären es Hunde und nicht Menschen. Das ist eine fast einzigartige Beobachtung in dieser Zeit. Diese Schrift Luthers, dass Jesus Christus ein geborener Jude sei, ist eine der judenfreundlichsten Schriften zwischen dem ersten und zwanzigsten Jahrhundert. Und das muss man zuerst mal ausdrücklich würdigen. Man muss sich ein bisschen vor Augen führen, was jüdische Realität war.

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Ich mache es nur an einem Beispiel fest. Ich war im Frühjahr in Bacherach zu Besuch am Mittelrhein. Vielleicht kennt mancher diese Stadt. Da gibt es eine Kapelle, so eine Ruine inzwischen, die Werner Kapelle, so auf halber Höhe zwischen Altstadt und Schloss. Die Hintergrundgeschichte ist dies. Es gab einen Bacheracher Junge, Werner, der war bei Juden geschäftlich angestellt, den Rhein aufwärts. Und dann weiß man alles nicht genau. Irgendwann wurde seine Leiche angespült am Rhein, grausam zugerichtet. Und die Leute haben kalkuliert, Moment mal, wenn das hier gegen die Flussrichtung des Rheins zu uns gespült wurde, hat Gott hier im Grunde diesen Jungen aufbewahrt, herangespült. Und die Schlussfolgerung war, die Juden haben hier an diesem Jungen einen grausamen Ritualmord vollzogen. Das war so eine ständige Befürchtung. Die Juden klauen Kinder und foltern sie grausam zu Tode und trinken das Blut von Christenkindern und träufeln es über Hostien und schänden es und so.

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Das waren Geschichten, die man sehr leicht und schnell geglaubt hat. Die Folge war, man hat in Bacherach ein Pogrom angezettelt. Viele Juden erschlagen, getötet, vertrieben. Eine große Kapelle gebaut als Erinnerung an diese Gräueltaten der Juden. Und für diese Gräueltaten der Juden hat man weite Propaganda betrieben. Nur durch Gottes Gnade wurde sie aufgedeckt. Dieser Junge sollte selig, sollte heilig gesprochen werden. Man hat da viel Geld reingesteckt. Und das war so ein Instrument christlicher Identitätspflege, auch des Judenhasses, der Judenvertreibung. Und vielerorts im Alten Reich findet man solche Kapellen, solche Geschichten. Es gab eine große Bereitschaft, sich das so vorzustellen. Niemand kam auf die Idee, der Junge könnte vielleicht nicht durch ein göttliches Wunder gegen die Flussrichtung des Rheins,

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sondern er könnte von der anderen Seite her angespült worden sein, wo er gar nicht bei Juden angestellt war. Nein, man war sehr schnell überzeugt, das können nur die Juden gewesen sein. Wer sonst sollte Kinder töten und zu Tode quälen? Das war eine normale Sache. In Wittenberg, die Kirche, so mancher wird das vielleicht nutzen, das Reformationsjubiläum, ganz hinten an der Kirche sieht man eine sogenannte Judensau. Da sieht man ein Schwein, ein unreines Tier und dann sieht man Juden, die dieser Sau an den Zitzen lutschen oder eher in den Hintern gucken. Und das ist in der Wittenberger Marktkirche in Stein gemeißelt, bis heute zu sehen. Eine Judensau zur Verspottung der Juden. Das ist Mittelalter, christliches Abendland, nicht jüdisch-christliche Kultur, sondern christliches Abendland. So in seiner ganzen Normalität und das kann jeder sich dort bis heute anschauen.

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Aus dieser Welt kommt Luther und in dieser Kultur zu sagen, wir haben gegenüber den Juden versagt, ist eine ungeheure Einsicht. Luther führt das weiter aus. Wir müssen die Juden menschlich behandeln und in unsere Gemeinschaften aufnehmen. Die Juden lebten sozial isoliert in eigenen Dörfern, Siedlungen oder Ghettos. Man durfte mit ihnen keine Gemeinschaft haben. Sie durften nicht in den Zünften Mitglied sein. Jede Handwerkzunft war für sich so ein eigener Organismus, wo völlig klar ist, man wird nicht Bäcker oder Schuster oder was auch immer, ohne in eine solche Zunft aufgenommen zu werden. Für die Juden war das alles tabu. Es gab wenige Berufe, die sie tun konnten, häufig dann eben auch Geldgeschäfte, wofür man sie verachtet hat. Es war so ein Klischee, die Juden betreiben Wucher.

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Sie bereichern sich auf unsere Kosten, sie saugen uns aus. Landwirtschaft, so war alles eher verschlossen hier an Land und so zu kommen. Alles nicht für Juden, sie wurden sozial an den Rand gedrückt. Und Luther sagt, wir müssen die Juden doch aus dieser künstlichen Isolation rausholen. Sie sollen mit uns leben, sie sollen Brüder unter uns sein, mit uns arbeiten. So können wir sie kennenlernen, so können wir ihnen gegenüber auch Christus bezeugen. Das ist eben schon das Hauptanliegen. Wir müssen ihnen jetzt gegenüber Christus bezeugen. Luther kannte jemand, der als Jude geboren war und der in vorreformatorischer Zeit Christ wurde, auf gewissen Druck hin. Und der ist durch Luther nun zum evangelischen Glauben gekommen. Und dieser Jude hatte Luther bezeugt, dieser ehemalige Jude, dass er, als er zur Bekehrung gedrängt wurde, nichts wusste von Christus, vom Evangelium, von der Freundlichkeit Gottes, dass er wie zum ersten Mal eigentlich jetzt glaubt.

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Und diese Begegnung war für Luther typisch. Er sagte, wir haben den Juden noch nie das Evangelium gebracht. Und jetzt ist die Zeit, wo durch Gottes Hilfe das Evangelium offenbart ist. Und jetzt können wir es ihnen bringen. Wer weiß, wie viele wir zum Glauben reizen können. Aber wir müssen auch unser Verhalten so verändern, dass sie dadurch nicht abgeschreckt werden. Luther plädiert auch für Geduld. Er sagt, sie sind so lange schon nicht dabei, etwa in seinen Auslegungen sagt er, er möchte jetzt noch nicht dafür argumentieren, dass Christus auch im Alten Testament als wahrer Gott und wahrer Mensch bekannt wird. Er sagt, das sei zum Anfang zu hart. Lass sie zuvor Milch saugen und auf erste diesen Menschen Jesus für den rechten Messias erkennen. Nicht ganz zurückhaltend. Wir wollen sie schrittweise heranführen.

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Es ist ja ihr Messias. Jesus ist ja geborener Jude. So und auch im Blick auf die Erfolgsaussichten ist er zurückhaltend, realistisch. Er sagt, ob etliche auch hallstarrig sind oder bleiben. Was liegt daran? Sind wir doch auch nicht alle gute Christen. Also lasst uns an das Leben, lasst uns ihnen das Evangelium bringen. Wer weiß, ob wir nicht etliche dadurch gewinnen können. Diese vielfach aufgelegte Schrift Luthers ist ein sehr seltenes Zeugnis christlicher Selbstkritik, christlicher Selbsthinterfragung im Blick auf die eigene traditionelle Judenfeindschaft. Sie wurde allgemein so empfunden in evangelischen Kreisen, auch in humanistischen Kreisen, auch von Juden. Juden selbst haben auf Luther große Hoffnungen gesetzt. Sie hofften, dass tatsächlich nun eine neue Epoche des Zusammenlebens beginnen könnte.

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Es gab immer wieder auch jüdische Gesellschaften zu Luther, die bei dieser Schrift anknüpften und sich von Luther Verbesserungen erhofften für ein gemeinsames Leben. Man muss im Blick auf die evangelische Kirche auch sagen, dass diese Kirche, diese Schrift in bestimmten Epochen die größte Wirkung hatte. Vor allem übers 18. Jahrhundert, kann man sagen. Im Blick auf das Verhältnis von Juden und Christen ist das 18. Jahrhundert in der deutschen Geschichte vielleicht das Beste. So und man kann sagen, die Pietisten etwa haben sich auf diesen frühen Luther berufen. Pietisten waren sowieso Anhänger des jungen Luthers. Beim Späten hatten sie Vorbehalte, die man nachvollziehen kann. Und etwa die Uni Halle, durch und durch Pietistisch gab es immer wieder Prozesse um Juden und ihre Rechte. Und die Pietistischen Theologen haben fast immer judenfreundlich entschieden. Immer gesagt, der junge Luther hat doch hier eigentlich einen Weg gewesen, so müsste es laufen.

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Bei der Aufklärung natürlich ganz genauso. Pietismus und Aufklärung haben in dieser Frage gemeinsam versucht den Weg des jungen Luthers fortzuführen bis düstere Epochen deutscher Geschichte, das leider alles wieder hinweggeschwemmt haben. So, das war das halbwegs erträgliche Präludium. Am liebsten würde ich aufhören, aber wir müssen jetzt anfangen. Denn dabei blieb es nicht. Leider ist das jetzt die Ausnahme, die dann abgelöst wird von einer Umoorientierung Luthers, von einem sehr harten und weitreichenden Wandel in seiner Einschätzung der Juden. Die Entwicklung Luthers nachzuzeichnen ist nicht so einfach. Er hatte manche punktuelle Kontakte mit Juden, manche waren einigermaßen positiv. Für Luther war es eine Enttäuschung, dass es sich keine massenhaften Bekehrungen bei Juden einstellten.

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Das frustrierte ihn. Er traf sich mit Juden, er redete mit ihnen über das Alte Testament, über Hebräisch. Dann holten sie ihre Schriften raus, den Talmud und sagten nein, das verstehen wir ganz anders. Das stimmt so gar nicht, das ist überhaupt nicht überzeugend. Das war für Luther irritierend, verstörend. Luther wurden Berichte beigegeben, die sagten, die Juden würden im Grunde durch seine positiven Worte bestärkt in ihrer Verstockung. Die Juden würden sich verhärten, sie würden unsere Freundlichkeit für schwächer halten. Luther hörte von Berichten, dass Juden anfingen, Christen vom Glauben wegzuführen, dass sie Propaganda machen würden. Es gab so eine kleine, schwer einzuschätzende Sondergruppierung, die anfing wieder den Sabbat zu halten. Nach dem, was man weiß, war es wahrscheinlich eine christliche Sonderentwicklung, eine biblizistisch schwärmerische, besondere Richtung.

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Luther sei die Jude dahinter. Er fürchtete nun in der Tat, dass es erfolgreiche Judenmissionen an Christen gäbe. Und aus seiner Sicht war das so, dass hier Juden Christen mitnehmen auf den Weg der Verdammnis. So meinte er das sehen zu müssen. Am schlimmsten, Luther ließ sich auch wieder auf Gerüchte ein, dass die Juden tatsächlich Gräueltaten begehen. Er hörte solche Geschichten, er nahm sie wieder ernst. Es gab in der damaligen Zeit einige Konvertiten, die von Judentum zum Christentum übergetreten waren und die leider eine sehr unglückliche Rolle dabei spielten, Luthers Bild vom Judentum im Profil zu geben. Einer Schrift wird ausführlich beschrieben, dass die Juden täglich Christus verfluchen, dass sie ihn als einen Gehengten bezeichnen, als einen Verbrecher, dass sie ihn lästern als Hurenkind,

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dass sie die Jungfrauengeburt nicht glauben, dass sie glauben, dass Maria eine Hure war, dass sie irgendwelchen wilden Verkehr mit wem auch immer hatte und dann diese ganze Geschichte der Jungfrauengeburt nur der Vertuschung dienen sollte und dass man Jesus als Hurensohn und seine Mutter Maria als Hure beschimpft, da war Luther sehr empfindlich. Dass man ihm alles Böse und Harte nachsagt, da hat er viel Übung, aber Beleidigung Jesu, das machten ja nicht mal die Katholiken, nicht mal die Schweizer, nicht mal die Schwärmer, das war für ihn richtig extrem. Er glaubte auch, dass die Juden sich auf Schadenszauber verstehen, er sagte, ihre Ärzte sind Betrüger, die schwarzmagische Praktiken betreiben, manchmal helfen sie einem durch finstere Macht, aber jüdische Ärzte verstehen die Kunst, uns eine Medizin zu geben, die erst gesund macht

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und dann stirbt man einen Monat später, ein Jahr später, zehn oder zwanzig Jahre später, solche Kunst verstehen die Juden und verdienen damit Geld und spotten uns. Und dann sitzen sie da zusammen und lästern unseren Herrn. All diese Geschichten glaubt Luther wieder und in den dreißiger Jahren reift in ihm die Entscheidung, er muss sich zu dieser Frage noch einmal äußern. Luther wird vom schlechten Gewissen heimgesucht, dass er freundlich über die Juden redete und er glaubte, dass er es Gott und den Menschen schuldig ist, alles zu widerrufen, was er freundlich ist, gesagt hat, es war für ihn eine schwere Gewissenslast. Jetzt wo er weiß, wie die Juden sind, ist er es der Welt schuldig, hier wirklich auch reinen Tisch zu machen.

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Sonst würde er fremder Sünde teilhaftig werden. Das ist ein Hauptgedanke des alten Luthers. Ein bisschen kann man da bereits die Tragik sehen. Ich habe das vorhin bei der frühen Schrift gesagt, da sagte er, durch unser Verhalten sind wir schuld an jüdischer Gottlosigkeit. Da kann man darüber nachdenken. Nun glaubt er, dass wir schuldig werden, wenn wir die Juden unter uns gottlos sein lassen. Wenn wir ihnen nicht entgegentreten, wenn wir ihnen nicht widersprechen, werden wir ihrer Sünde teilhaftig. Das ist ein häufig genannter Gedanke bei Luther. Da muss man sehr stark fragen, wo kommt der Herr? Ist das biblisch? Oder ist das vielleicht ein eher vorchristlich-biblischer Gedanke?

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Es wird für Luther ein Schlüsselpunkt. Wir müssen um unseres Gewissenswillen einen Schnitt machen. Wir dürfen ihre Gottlosigkeit nicht dulden unter uns. Und das blieb für Luther nicht nur eine Nebenfrage in kleinen Äußerungen. Der alte Luther hat zu diesem Thema drei Bücher verfasst. Also nicht Predigten und Schriften und Aussagen. Das sind vielmehr drei Bücher. Das größte Buch heißt von den Jüden und ihren Lügen. Das ist in einem sehr eng gedruckten Satz über 150 Seiten. Das ist nach jedem normalen Buch heute ein Buch von drei bis 400 Seiten. Da liest man doch ein paar Stunden so. Und das ist nicht so, dass man sagen kann, hat er mal einen schlechten Tag gehabt. Drei Bücher und richtig dicke Dinger. Er hat sich da reingekniet und es war jahrelang eines seiner Hauptthemen,

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der wichtigsten Anliegen seiner Verkündigung, seiner Tischreden und eben auch der veröffentlichten Bücher. Dass er alles Positive, was er über die Juden gesagt hatte, zurücknehmen will und endlich ihnen ganz klar die Wahrheit gegenüber bezeugt, wie er sie sieht. Diese Schrift von den Jüden und ihren Lügen, da habe ich mich auch noch mal komplett durchgequält in den letzten Wochen. Auch hier das große Hauptthema ist wieder die Auslegung des Alten Testaments. Er ringt um Stellen wie 1. Mose 49, den Jakobssegen, der Held aus Juder, der kommen soll. 2. Samuel 7, die Weissagung des Messias für das Haus David, dass dies Haus für immer bestehen soll. Daniel 9 sehr ausführlich, die 70-Jahr-Wochen, dass ein Gesalbter kommen soll und Frieden und Versöhnung bringt.

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Und er legt das ausführlich und sehr langatmig aus, um zu zeigen, diese Schriftstellen im Alten Testament können doch gar nicht anders verstanden werden als auf Christus hin, als auf diesen Jesus von Nazareth hin. Insofern ist das Thema der frühen Schrift bei ihm durchaus da. Was diese Schrift aber so abgründig macht, ist, dass Luther keine Gelegenheit auslässt, die Juden vollkommen zu diskreditieren. Er diskreditiert sie moralisch. Thema des Buches ist die Juden und ihre Lügen. Und das ist so ein Hauptthema, dass er sagt, wir dürfen ihnen nichts glauben. Sie lügen, sobald sie den Mund aufmachen. Ich höre die Geschichten, wie sie wirklich leben, dass sie uns verfluchen, dass sie uns mit schwarzer Magie schaden wollen, dass sie uns vergiften.

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Wenn man sie fragt, leugnen sie alles. Sie lügen. Er klagt sie an wegen ihrer Hoffnung, ihres Hochmuts. Jeder sieht doch, dass sie von Gott verlassen sind, dass der Fluch Gottes auf ihnen ruht, dass sie kein Tempel, kein Land, dass sie nichts haben. Und sie tun so, als wären sie Kinder Gottes. Was für ein Stolz, was für ein Hochmut, was für eine Arroganz, dass sie nicht auf uns hören, wo wir ihnen doch gegenüber freundlich waren und sie eingeladen haben. Stattdessen wollen sie die Herren der Welt sein, nehmen unser Geld, saugen uns aus. Er unterstellt ihnen Hass auf Christen, unterstellt ihnen Tötungsabsichten. Er sagt, es gab noch nie ein blutdüstigeres und rachgieriges Volk als sie. Sie wollen uns töten, so wie einst unter Esther sie alle ihre Feinde getötet haben. Das ist ihr Traum.

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Daran denken sie Tag und Nacht. Und auch die Klischees, die Juden als ein verdorbenes, mörderisches Volk beschreiben, greift er aus. Er sagt, darum gibt man ihnen in vielen Geschichten Schuld, dass sie die Brunnen vergiften, Kinder stehlen und foltern. Sie sagen wohl Nein dazu. Aber es sei so oder nicht, ich weiß wohl, dass am Wollen es bei ihnen nicht fehlt. Und wahrscheinlich auch nicht am Tun. Er legt sich nicht in Einzelfällen fest, aber er hält es für glaubwürdig, dass die Juden so etwas tun. Die Juden werden erstens moralisch diskreditiert, sie werden zweitens verteufelt. Auch nur eine kleine Auswahl, er bezeichnet sie durchweg als des Teufelsvolk. Sie sind vom Teufel besessen, sie sind von Dämonen regiert. Zitat, wo du einen rechten Juden siehst, magst du mit gutem Gewissen ein Kreuz vor dir schlagen und frei sicher sprechen, da geht ein leibhaftiger Teufel. Sie werden entmenschlicht, drittens, sie werden entmenschlicht und immer wieder mit Tiernamen belegt.

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Er bezeichnet sie als Bluthunde, als räudige Hunde, als grobe Esel, als ungelehrte Esel. Er beschimpft sie als tolle Hunde und immer wieder als Schlangen, als giftige Schlangen, teuflische Schlangen, listige Schlangen. Und viertens werden sie sozial isoliert, jeder Kontakt ist zu meiden, jedes Gespräch ist sinnlos. Alles was er sage ist für die blinden, verstockten Juden viel zu hoch. Mit ihnen zu reden ist wie wenn man einer Sau das Evangelium predigt. Es ist vergeblich, redet nicht mit ihnen, trefft sie nicht, grüßt sie nicht, meidet sie. Er schreibt das in seiner Schrift so und auch in seinen Briefen, auch in seinem Leben sieht er es so. Die letzte Reise, die er unternimmt, wenige Tage vor seinem Tod fährt er nach Mansfeld. Er kommt dort an, krank, er kältet, schreibt dann seiner Käthe nach Wittenberg.

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Ich liege krank da nieder. Das ist wohl, weil ich an einer Judensiedlung vorbeikam und sie ihren bösen Blick auf mich gelegt haben. Er glaubt, dass sie das können, dass sie durch böse Blicke Menschen krank machen. Und er bittet um Fürbitte und gebet, dass der Anschlag der Juden ihnen nicht da niederraffe. Damit rechnet er, dass sie das tun, dass sie das können, dass sie das wollen. Und darum widerruft Luther alles, was er je zu einem menschlichen Umgang mit den Juden gesagt hat. Vielmehr müsse man sie nun ganz anders behandeln. Zitat, Unsere Oberherren, so Juden unter sich haben, wünsche ich und bitte ich, dass sie eine scharfe Barmherzigkeit wollen, gegen diese elenden Leute üben. Wie droben gesagt, ob es doch etwas wie wohl es misslich ist, helfen wollte, wie die treuen Ärzte tun,

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wenn das heilige Feuer in die Beine kommen ist, fahren sie mit Unbarmherzigkeit und schneiden, sägen, brennen, Fleisch, Adern, Bein und Mark ab. Medizinisches Gleichnis, nicht so wie die Ärzte amputieren müssen, Dinge wegbrennen, wegschneiden. So sind die Juden bei uns wie ein Geschwür, wie eine Pestbeule, wie ein krankes Glied, das weg muss. Also tue man hier auch, verbrenne ihre Synagogen, verbiete alles, was ich droben erzählt habe, zwinge sie zur Arbeit und gehe mit ihm um nach aller Unbarmherzigkeit. Wie Mose tat in der Wüste und schlug 3000 tot, das nicht der ganze Haufen verderben müsste. Ist die Geschichte nach dem Goldenen Kalb ja keine leichte Geschichte? Wo Mose diesen Auftrag gibt, ein jeder sei wieder sein Nachbarn, 2000, 3000 werden getötet, das wird hier von Luther so übertragen, die Juden müssen weg, die müssen raus.

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Als Hintergrund muss man dazu sehen, dass ist natürlich jetzt in einem gesamteuropäischen Kontext, viele westeuropäische Länder sind längst judenfrei. England, Frankreich, Spanien haben alle Juden vertrieben. Warum gab es immer wieder einen Zuzug aus Westen nach Mittel- und Osteuropa? Und Luther ist hier der Überzeugung, auch wir müssten das machen. Man könnte es jetzt relativieren und sagen, Luther macht doch hier nur das, was leider westeuropäischer Standard war, aber wir wollen hier nicht bagatellisieren und eingemeinen. Wir werden sehen, dass Luther hier noch einmal schärfer und härter ist als Ausweisungen, wie sie sonst auch in Europa vorkamen. Aber klar, Luther ist auch Teil eines gesamteuropäischen, auch gesamtchristlichen Problems.

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Luther gibt Ratschläge, eine Reihe von Empfehlungen, was man tun muss. Es sind insgesamt sieben, die er zweimal aufzählt, zweimal nacheinander, 30 Seiten voneinander entfernt, dass es wirklich sitzen bleibt. Erster Rat ist, zerstört Ihre Synagogen und Ihre Schulen, verbrennt sie. Das, was nicht brennen will, da werft Erde, Schutt und Asche drüber. Er sagt, und wenn jemand höllisches Feuer würde werfen können, das wäre gerade recht. Weg mit Ihren Synagogen, denn hier lästern Sie Christus unseren Herrn, verfluchen Jesus und Maria. Zweite Empfehlung, damit nicht genug, die Wohnhäuser müssen ebenfalls brennen, sie müssen zerstört werden. Denn das, was Sie in Ihrer Synagoge tun, das tun Sie auch zu Hause. Da wird das Gift gestreut, was uns Hass und Feindschaft von den Juden einträgt.

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Dritte Empfehlung, alle Ihre Bücher, Schriften sammeln und verbrennen. Alle diese Schriften sind voller Hass und voller Verfluchung auf uns Christen, voller Gotteslästerung. Und das darf unter uns nicht akzeptiert werden. Vierter Rat, all Ihren Rabbinen ist bei Todesstrafe zu verbieten, jemals etwas von ihrem Glauben zu verbreiten. Absolutes Redeverbot, absolutes Predigtverbot, keinerlei Glaubensverbreitung mehr. Fünfter Rat, Ihnen ist jedes Freie Geleit zu nehmen, kein Durchzugsrecht mehr, keine Bewegungsfreiheit. Am besten ja ganz raus mit Ihnen, aber auf keinen Fall, dass Sie durch unsere Länder ziehen, wo Sie uns schaden und fluchen, vergiften oder verführen. Der sechste Rat, Sie sind unsere Blutsauger durch Ihre Wuchergeschäfte.

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Das muss alles komplett verboten werden. Wir müssen Ihren Besitz konfessieren, Ihr ganzes Geld, alles was Sie uns gestohlen haben, das müssen wir uns wiederholen. Und man muss Sie zur Zwangsarbeit nötigen. Man muss Ihnen für die einfachsten Arbeiten Werkzeug in die Hand geben, dass Sie wie wir im Schweiße Ihres Angesichts an Arbeit kommen und nicht mehr wie die faulen Hunde zu Hause liegen und auf unsere Kosten leben. Das sind die Ratschlägel Luthers. Er sagt, die Juden sind für uns das, was für mich mein Nierenstein, mein Gallstein sind. So, es sind wie Pestbeulen, wie Krankheitserscheinungen, Sie schaden uns, Sie quälen uns Tag und Nacht, Sie müssen weg hier. Luther weiß, dass die Juden Fürsprecher haben, dass es bis in die Räte der Städte hinein oder bis in die Fürstenränge hinein welche gibt,

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die die Juden schützen, die zur Mäßigung mahnen, zu Milde, die zur christlichen Barmherzigkeit aufrufen. Luther weist dies als theologisch schweren Fehler zurück. Ja, er verspottet alle, die sich für Barmherzigkeit einsetzen. Lange Zitat. Wer nun Lust hat, solche giftigen Schlangen und junge Teufel, das ist die ärgsten Feinde Christi unseres Herrn und unser Aller bei uns zu beherbergen, zu füttern, zu ehren, sich für sie zu schinden, sich rauben, plündern und schänden zu lassen. Der lasse sich diese Juden treulich befohlen sein. Und ist das nicht genug, so krieche er ihn in den Hintern und bete da selbst das Heiligtum an und rühme sich danach, er sei barmherzig gewesen und habe den Teufel und seine jungen Teufel gestärkt zu lästern unseren lieben Herrn und sein teures Blut, womit wir Christen erkauft sind.

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So ist er denn ein vollkommener Christ voller Werke der Barmherzigkeit, die ihm Christus belohnen wird am jüngsten Tag mit den Juden und den ewigen höllischen Feuer. Luther konnte oft ironisch, sarkastisch kämpfen, er tut es auch hier, so aber, dass sowas zu lesen heftig ist, und das hunderte von Seiten lang, ahnt ihr, glaube ich, langsam. Und es geht so weiter, jede Barmherzigkeit in dieser Frage ist Sünde. Wir wissen, dass sie Gott und Christus lästern. Und wenn wir dagegen nichts unternehmen, werden wir mitschuldig. Wir dürfen sie nicht direkt töten, sagt Luther. Nicht wir als einzelne Christen, das verbietet die Bibel. Aber christliche Obrigkeit darf in einem christlichen Land keine Gottlosigkeit dulden.

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Und Gottes Lästerung ist ein Verbrechen und Verführung zum Unglauben ist niemals zu akzeptieren. Hier muss die Obrigkeit mit scharfem Schwert vorwachen. Es gibt noch ein, zwei Stellen, wo Luther so Gedanken hat, ob sie sich nicht doch bekehren mögen, aber er hat sie weitgehend aufgegeben. Und es gibt auch wenige Stellen, aber die gibt es auch, wo man nicht nur sagen kann, dass er hier anti-judaistisch argumentiert, sondern wo er auch rassistisch redet. Wo Luther sagt, ihr ganzes Blut ist verseucht, das ganze Volk ist verderbt, es ist für sie keine Hoffnung. Auch wenn sie so tun, als wollten sie sich bekehren, wir können ihnen nicht trauen. Und auch dazu noch mal ein sehr hartes Zitat.

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Wenn ich aber einen frommen Juden überkäme zu täufen, zu taufen, so wollte ich ihn alsbald auf eine Elbbrücke führen, ihn ein Stein an den Hals hängen und in die Elbe werfen. Denn diese Schelke verspotten uns und unsere Religion. Und das ist rassistisch begründet, das kann man auch nicht irgendwie entschuldigen. Religiöser Streit, verletztes Gewissen, das zielt auf die Menschen, auf sie als Volk mit ihrem Geblüt und von Geburt an. Es ist keine Hoffnung für sie. Was machen wir mit diesem Luther? Was sollen wir ihm sagen? Was sollen wir sagen dazu, zu solchen Gedanken?

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Wir können die Möglichkeiten durchspielen. Ein Historiker, der darüber geschrieben hat, Thomas Kaufmann, Luthers Juden, sehr empfehlenswert. Wer das am Blog mal lesen möchte, wer das der beste Kauf, Luthers Juden von Thomas Kaufmann. Er sagt es so, wir müssen das konsequent historisieren. Mit Luther insgesamt müssen wir das machen. Er ist ein Mensch des 16. Jahrhunderts. Das ist die angemessenste Form der Kritik. Das ist alternativlos. Er steht in seiner Zeit. Der kann nicht mehr als gegenwärtige Stimme des Protestantismus in Anspruch genommen werden. Denn was Luther über die Juden schreibt, ist eine theologische Bankrotterklärung. Es ist so unentschuldbar wie unerträglich. Und das müssen wir ehrlich und gründlich offenlegen. Und wir können nicht so tun, als sei unser Martin bis heute ein Lehrer, eine aktuelle lebendige Stimme des Christentums.

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Er ist historisch. Historisch heißt dann, wir lassen das im 16. Jahrhundert. Vielleicht kann mancher seine anderen Einsichten irgendwie gewinnen. Aber insgesamt müssen wir einfach diesen Schnitt ziehen. Und würde ich sagen, ja, für wissenschaftliche Theologie gilt das ja eigentlich immer. Wir müssen auch die Bibel historisieren. Auch sie redet ja nicht direkt zu uns als Adressaten. Sie redet zu ihren Lesern und Hörern. Und uns die biblische Botschaft zu erschließen, ist ja auch immer ein Umweg durch das historische Verstehen und Denken hindurch. Und insofern wäre das jetzt erst mal nichts Neues. Natürlich müssen wir Luther historisieren. Und da habe ich mich ja auch darum bemüht, es ungefähr einzuordnen in einen gesamteuropäischen Kontext. Aber so was geht auch nie hundertprozentig. Denn es ist ja auch klar, natürlich müssen wir die Bibel historisch lesen.

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Aber wir lesen sie ja auch jetzt als Gottes Wort, als ein Buch, mit dem wir leben, in dem wir Gottes reden erwarten. Auch die Bibel ist ja für uns Teil christlicher Frömmigkeit. Und Luther, na ja, auf dieser ganzen Tagung bisher haben wir schon so getan, als könnten wir bei dem was lernen. Wir können uns ja jetzt nicht davonstehlen und sagen, ja, wer macht das schon, den ernst zu nehmen oder so. Das haben wir bis jetzt schon versucht. Und viele seiner Gedanken und Sprüche und das, was man im Kino sieht, ist ja bis heute lebendige Erinnerung. Es gibt kaum einen Christen der Kirchengeschichte, der in so lebendiger Erinnerung ist bis heute wie Luther. Insofern, reines Historisieren funktioniert nie. Christentum hat einfach historische Wurzeln.

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Und man muss immer nach der gegenwärtigen Bedeutung und Relevanz fragen. Insofern ist die Beobachtung, dass Luther ein Mensch seiner Zeit ist, nicht genug. Denn er ist für den Protestantismus nicht irgendein Mensch. Und es gibt zu viele Lutherkirchen und Lutherhäuser und Luther Gedenkfeiern in diesem Land, als es einem egal sein kann, was der so alles gesagt und gedacht hat. Wie gehen wir damit um? Man könnte es jetzt bagatellisieren und kleinreden. Und das hat man lange versucht. Man hat lange gesagt, na ja, jeder ist auch ein bisschen Kind seiner Zeit. So und da war Luther halt einfach noch befangen in schlimmen Irrtümern und es ist ja auch alles traurig und vielleicht ist es auch ein bisschen viel. Aber er hat ja auch so viele gute Sachen geschrieben. So kann man nicht doch sagen, am Ende ist es ein Nebenkrater.

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Etwas, was ihm leider unterlaufen ist, findet man ja auch nicht gut. Hat man ja schon im Pietismus und in der Aufklärung zu Distanz genommen, müssen wir das immer so hoch wühlen, müssen wir das jetzt immer so aufbauschen und lassen wir es doch mal gut sein. War immer schon schwer in der Geschichte. So hat man es lange versucht. Ich auch, würde ich schon sagen, ich habe das immer irgendwie gewusst und immer gesagt, ja, da hat er richtig Mist geredet, aber war auch froh, damit nichts zu tun zu haben. Aber das finde ich unbefriedigend. Es ist ein bisschen zu schlimm. Also nehmen wir andere Beispiele als Copernicus die Sache erzählt mit Sonne und Mond. Da sagt Luther, was für ein Dummschwätzer. Jeder weiß doch, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Sag doch, Joshua, schließlich Sonne steh still. Darum ist das ein alberner Klügling, der so tut, als würde sich die Erde um die Sonne drehen.

43:01
Lustig, nett. So kann man sagen, der Luther, und da kam noch ganz anderes hinterher, aber ja, Mittelalter, Teil des Mittelalters. Bei so Fragen funktioniert es. Das sind so Sachen, hat er sich getäuscht, war er in alten Irrtümern befangen. Nur, das ist ja jetzt nicht wie eine Frage, dreht sich die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde. Das ist schon eine Frage, wo ich meinen, Luther, frage, was war los mit dir? Also Irrtümer würde ich sagen, wir alle irren. Und wir alle werden auch mal schuldig und wir bleiben hinter der Liebe zurück, die Christus vorlebt. Und wir alle haben unsere Ecken und Kanten. So, aber das, was wir gerade gehört haben, das ist Menschenverachtung auf hohem Niveau. Das ist Verteufelung von Menschen und das ist von einer Kälte, von einer Härte, von einer Skrupellosigkeit,

44:01
dass man manchmal nicht mehr weiter lesen kann. So, wie gehen wir damit um? Wie konnte er das tun? Jahrelang nicht nur in solcher Blindheit befangen zu sein, sondern immer wieder sich zu motivieren, Bücher zu schreiben und immer wieder zu sagen, ich muss noch ein Buch schreiben, die Leute glauben mir nicht, wie schlimm es um die Juden steht. Das ist schon von einer extremen Qualität, die das bei Luther hatte. Wie gehen wir damit um? Nächste Möglichkeit ist, wir nehmen das Männchen mit nach Haus und machen eine Zeremonie, wo wir es in irgendeinem Mülleimer oder in irgendeinem Kamin und sagen, das war's. Ich war bei Worthaus 6, ich habe dir eine Chance gegeben. Zwischendurch dachte ich, das könnte was werden, aber dann kam der Hammer. Ne, das war's. Das mache ich nicht mit. Das ist so unglaublich diskreditierend, so unglaublich vergiftend und zerstörerisch.

45:09
Du kannst nicht bei uns auf dem Kamin stehen bleiben und da ein lustiges Männchen Gesicht machen und so Sachen rausgehauen haben. Und das sind Sachen, wir werden das dieses und nächstes Jahr noch oft hören und lesen. Das gehört zu solchen Jubiläen, das viel kommt und es wird, glaube ich, eins der großen Themen sein. Ja, und ich muss sagen, ich kann das verstehen. Es haben jüdische Denker, Autoren in unserem Land gesagt, jetzt schon, wenn ihr Protestanten Reformationsfeiern veranstaltet, spart euch die Einladung, ich komme nicht. Ich rede gern mit euch, aber ich komme zu keiner Luther Gedenkstunde. Das bin ich mir schuldig, dass ich so einen Mann nicht ehre. Das ist unmöglich, unmöglich für mich angesichts meiner Geschichte, der Geschichte meines Volkes.

46:04
Keine Lutherfeier anlässlich eines solchen Menschen. Und so Stimmen sind ja nicht neu, die hat es immer wieder gegeben. Früher haben Christen dann versucht zu sagen Ja, aber es war die Zeit und es war das Mittelalter. Der war auch krank, der hatte Dauerschmerzen, der war auch schlecht informiert und es ist lange her. Ich gehöre leider auch zu denen, die sagen Nee, lasst uns das nicht so machen. Was wäre denn Lutherisch in dieser Frage? Wie haben wir Luther kennengelernt bis jetzt? Ich glaube, wir haben Luther kennengelernt als einen, der drastisch gesprochen hat. Hätte Luther Scheiße für Gold erklärt? Ich glaube nicht. Und ich glaube, wenn wir Luther ernst nehmen, wenn wir ihn an seinen Ansprüchen messen, dann muss die Zeit der Entschuldigung, der Verharmlosung, der Verkleinerung dieser Dinge wirklich zu Ende sein.

47:03
Luther ist mit dieser Frage ganz tief in die Scheiße geraten und hat andere mitgerissen. Und er hat sich und sein Werk damit einen ungeheuren Schandfleck aufgepropft. Und dafür sollte die evangelische Kirche und sollten evangelische Christen klare Worte finden, ohne jede Verharmlosung. Und das wird geschehen. Das denke ich, dass das in der evangelischen Kirche und vielerorts auch so sein wird. Ich finde, die Frage muss eher eine andere sein. Was ist es uns leisten, trotzdem irgendwas zu feiern, trotzdem ihn ernst zu nehmen als einen Theologen, bei dem sich was lernen lässt? Das ist die Frage, die gestellt werden muss. Darauf müssen wir eine Antwort finden. Zu retten, zu entschuldigen, da ist an diesem Thema für ihn gar nichts.

48:06
Und dafür würde ich jetzt im letzten Teil ein wenig werben. Ein wenig dafür, dass wir uns dieser Frage stellen und Bilanz ziehen. Wie konnte Luther so tief sinken? Und wie können wir es rechtfertigen, wenn wir es können, dass wir uns trotzdem mit ihm auch eben nicht nur negativ beschäftigen, sondern irgendwie auch nochmal die Kurve bekommen? Ich glaube, dass es für uns Christen eine wichtige Herausforderung ist, zunächst mal zu tun. Wir könnten ja jetzt schon hier das Männchen wegwerfen und sagen, komm, Schluss aus, ab in die Kneipe, Heidelberg hat eine schöne Altstadt, es reicht. Aber das wäre zu billig. Ich glaube, wir müssen diese Frage nun schon auch überführen in eine christliche Selbstkritik, wie das bei uns möglich werden konnte.

49:03
Denn es ist ja auch nicht nur Luther, sondern es ist eine Christentumsgeschichte, die dieses Problem hat. Es gibt in modernen Kreisen christlicher Menschen manchmal so eine Start-up-Kultur, so eine Sehnsucht nochmal neu anfangen, weil Tradition so ein Ballast ist. So die Kreuzüge, die Hexen, die Ketzer und so. Es wäre ja schön zu sagen, zufällig gehöre ich einer schicken, dynamischen, innovativen christlichen Bewegung an, die gerade gegründet wurde. Und die katholische Kirche mag zusehen, nicht unser Laden. Das kann ich verstehen, das ist schon alles attraktiv. Aber ich würde davor warnen, das ist unsere Geschichte. Und hier würde ich schon auch sagen, wenn ich die Bibel lese, ist es etwas, was Gott ja in aufdringlicher Weise deutlich macht, gerade bei Top-Vertretern unserer Glaubensgeschichte.

50:04
Dass wir ja fast so, als hätte Gott den Größten seiner Geschichte so eine Art silberne Schale in die Hand gedrückt, auf der sie ihre Abgründe, ihre Verbrechen und Sünden vor sich hertragen. Und da können wir anfangen, bei wem wir wollen. Da finden wir David, den Mörder und Ehebrecher. Da finden wir Paulus, den Verfolger, Totschläger. Da finden wir Petrus, den Verleugner. Da finden wir Jakob, den Lügner und Betrüger. Und wir könnten jetzt durch die Kirchengeschichte durchgehen. Und ich will uns hier nicht den ganzen Tag versauen, aber man würde überall was finden. Und es ist fast keiner ausgenommen in der Bibel. Und das, finde ich, hat Gott so überdeutlich gemacht. Ich glaube, da müssen wir uns dem stellen. Und es ist im Grunde eine Schande, dass wir dies lange aggressiven Kirchenkritikern überlassen haben.

51:03
Warum musste die Kriminalgeschichte des Christentums außerhalb des Christentums geschrieben werden? Warum ist es nicht so, dass wenn ein Kirchenkritiker uns sagt, weiß du schon, was einige von euch angestellt haben, nämlich so, so und so, wir sagen sollten, ja, ich weiß und das und das und das auch. So müsste es doch eigentlich sein. Wenn wir an einen Gott der Barmherzigkeit und der Gnade glauben. Warum machen wir uns so davon abhängig, dass wir alles verteidigen, entschuldigen, verklären oder verschweigen, beschönigen und verdrängen können? Wenn das gilt, dass wir ohne Vergebung und Gnade am Ende sind. Warum können wir nicht zu dem Teil unserer Geschichte stehen, der ohne Gnade unerträglich ist? Und darum glaube ich, müssen wir uns auch dieser Abgründigkeit bei Luther stellen.

52:01
Ich möchte zunächst mal die Frage stellen, wie konnte er da hinkommen? Denn wenn wir jetzt sagen müssten, einfach war er so ein böser Kerl, dann ist wirklich Schluss mit Party so. Dann fahre ich nächstes Jahr auch im Urlaub und gehe da nicht mehr hin. Man muss irgendwie verstehen und erklären können, wie er in so etwas geraten konnte. Diese Erklärung wird uns jetzt auch nicht vergnügen machen, das was mir jetzt dazu einleuchtet. Aber ich möchte sie trotzdem vorstellen. Es soll ja jetzt hier nicht so ein Luther-Bashing werden. Nach Möglichkeit ziehen wir uns damit rein in diese Geschichte. Wie kommt Luther in seine unsägliche Beurteilung der Juden? Meine entscheidende Erkenntnis, die jetzt nochmal durch die Lektüre vertieft wurde, es hat sehr viel zu tun mit seinem Bibelverständnis. All die Schriften über die Juden sind vor allem Bibelauslegungen.

53:01
Es geht ihm darum, die Verheißungen des Alten Testament sind in Christus erfüllt. Das ist immer das Hauptthema. Und seine Erfahrung ist, die Juden glauben ihm das nicht. Und darum sind sie solche Lügner. Und er beschreibt das so. Daraus folgt für ihn, dass die Juden nicht irren noch verführt sind, sondern böse und mutwillig wieder ihr Gewissen, die erkannte Wahrheit leugnen und lästern. Ein solchen Menschen soll niemand wertachten, dass er ein einziges Mal mit ihm reden wollte. Es geht Luther um den exegetischen Beweis, dass Jesus der verheißene Messias ist. Und er hält das für glasklar, völlig eindeutig. Und wenn die Juden das nicht glauben, dann ist das Bosheit, dann ist es Verstockung, teuflische Verblendung.

54:01
Und was sie über die Bibel sagen, damit matern sie alle Worte der Bibel. Sie missbrauchen, quälen und foltern Gottes Wort durch ihre eigenen Auslegungen. Zitat sage du, welche Abgötterei ist gleich diesem Gräuel, der Gottes Wort in Lügen verkehret? Das ist Luthers Hauptvorwurf. Das ist das Zentrum seiner Schrift. Die Juden sind Lügner, weil sie der klaren Schrift nicht glauben. Die messianischen Aussagen machen völlig eindeutig, dass Jesus der Messias ist. Luther beweist das ganz umständlich. Das wäre jetzt langweilig und auch funktioniert doch alles nicht. Aber er war hundertprozentig überzeugt, dass auch die Berechnungen von David, von Daniel, genau in diese Zeit passen, dass Jesus der Messias gewesen sein muss und niemand anders in Frage kam. Und wer das bestreitet, der kann das nur in bösartiger, teuflischer Verblendung tun.

55:02
Und es sind diese Lügen der Juden, die dazu führen, Zitat, dass sie für das schöne Angesicht göttlichen Worts dem Teufel in schwarze, finstere, hintere Lügenloch gucken mussten und seinen Gestank anbeten. Diese Fäkalfixierung ist auch ganz schwierig beim späten Luther. Und das ist für Luther eine Frage der Klarheit der Schrift. Immer wieder betont er es, da ist kein Zweifel möglich. Das ist unwidersprechlich. Das ist, glaube ich, noch nicht mal klar genug geworden in der Aufarbeitung dieser Frage. Es ist das Bibelverständnis Luthers, die Klarheit der Schrift. Es ist eindeutig. Und darum müssen sie böse und verkommen und teuflisch sein. So wie kommt Luther zu diesem Schriftverständnis? Mit dem Sola Scriptura ist es bei Luther ja interessant. Das Sola Scriptura wird von Luther ja nicht immer zusammengestellt mit Solus Christus, Sola Grazia, Sola Fide.

56:08
Die Zusammenstellung dieser Solas gibt es bei Luther gar nicht übrigens. Viel später erst in der Kirchengeschichte. Es ist aber schon viele Zusammenhänge, wo so allein Christus, allein die Gnade, allein der Glaube. Das mit der Bibel, Sola Scriptura, war eigentlich für die Reformation erst mal kein Thema. Es kommt als spätester Gedanke dazu ab 1519. Man kann hier sehr schlicht sagen, die Bibel ist Luthers Gegenpapst. Das ist eigentlich der Sinn des Sola Scriptura. Seine altgläubigen Gegner haben gesagt, du kannst hier nicht einfach als Bibelprofessor kommen und Thesen aufstellen. Die Bibel wird ausgelegt durch die Tradition und sie wird ausgelegt durch das kirchliche Lehramt des Papstes. Und da ist Luthers Gegenthese nicht die Tradition, legt die Bibel aus, die kann irren, nicht der Papst, auch nicht Konzilien.

57:02
Die können alle irren. Niemand legt die Bibel aus. Die Bibel legt sich selbst aus. Wir können nur die Bibel, die Bibel auslegen lassen. Niemand kann sich darüber stellen. Sie ist für uns die letzte Grundlage. Und wenn er das betont, allein die Schrift, dann ist die Bibel Luthers Gegenpapst. Und die Bibel ist für ihn darum wichtig, weil die Wahrheit seiner Lehre und ihrer Gewissheit daran hängt, dass er aus der Bibel das ableiten und begründen kann. Warum kann Luther so weit gehen, etwa, dass er den Jakobusbrief aus seiner Bibel aussortiert? Denn da kriegt er echte Schwierigkeiten mit Jakobus weih. Da sagt er, das ist keins der Hauptschriften des Neuen Testaments, da wird nicht Christus getrieben. Die Bibel ist für ihn absolute Grundlage. Da geht lieber ein Brief über die Klippe, als dass die Bibel als solche nicht mehr funktioniert.

58:01
Und jetzt eine schwierige Sache bei Luther. Es ist in seiner Frühzeit so, aber auch immer wieder, dass Luther eine wichtige Unterscheidung trifft. Und die funktioniert so, dass er sagt, natürlich ist die Bibel Gottes Wort. Das haben ja auch alle Katholiken und so gesehen. Dies Wort ist klar, aber das Wort ist klar im Blick auf seine Sache. Die Bibel ist klar im Blick auf ihre Sache. Die Gnade Gottes in Jesus Christus, das Heil allein aus dem Glauben, das ist hell wie das Sonnenlicht, klar und eindeutig. Es gibt auch eine Unklarheit der Schrift, unklare Worte, unverständliche Zusammenhänge. Als Bibelübersetzer wusste er das genug. Aber ihre Sache, die Mitte ist eindeutig. Und so könnte man das heute auch sagen. Sagt man das heute? Luther hat manchmal dazu geneigt, diese Klarheit der biblischen Mitte auszuweiten auf die ganze Schrift.

59:03
Und er hat das ausgeweitet auf diese ganzen messianischen Weissagungen. Er glaubte, die als klar und eindeutig auf Christus hinführend auslegen zu können. Jetzt ist es ja so, dass heutzutage so gut wie kein Althessler Mändler mehr sagen würde. Natürlich reden Genesis 9, 40 und zweiter Samuel 7 und Daniel 9 von Jesus von Nazareth. Ist doch logisch. Im Grunde muss man sagen, die ganzen Beweisführungen Luthers sind doch arg gekünstelt, arg verzweifelt. Seine Versuche, die zwei Naturlehre und den Kreuzestod und all das im Alten Testament wiederzufinden. Also da hat jeder heutige Exeget mehr Verständnis für die Juden, die das nicht glauben wollten, als für Luther, der es um jeden Preis probiert. Aber Luther hat um jeden Preis versucht, diese Bibel Dinge eindeutig zu machen, weil für ihn war das Zentrum berührt.

60:05
Es sind die Christus Worte des Alten Testaments. Und wenn die nicht eindeutig sind, wenn die nicht klar sind, dann gerät die ganze christliche Heilsgewissheit ins Wanken. Darum, so würde ich zuspitzen, sind die Juden Opfer von Luthers Gewissheitsbedürfnis geworden. Heilsgewissheit gehört zum christlichen Glauben. Aber das, was er in der Frühzeit bindet an das Evangelium, an das mündliche Wort, an die Rechtfertigung durch den Glauben, das Wort, was Gewiss macht, das erweitert er auf seine Auslegung missianischer Weissagung des Alten Testaments. Und den Juden zuzugestehen, dass das nicht so klar und eindeutig ist, wie er denkt, hieße für Luther, die eigene Heilsgewissheit in Frage zu stellen.

61:02
Das ist meines Erachtens der Grund, warum er hier so aggressiv, so scharf, aus unserer Sicht so verhärtet und verblendet gegen die Juden schießt. Sie werden zum Opfer seines Gewissheitsbedürfnisses. Und das fand ich auch gruselig, so wie Luther das macht. Es ist jetzt nicht so, dass man sagen kann, wahrscheinlich hat er gesoffen und hat dann irgendwie im Rausch da sich dem inneren Hass ergeben. Nein, er verflucht die Juden bei aufgeschlagener Bibel. Und jede Judenbeschimpfung versucht er für sich biblisch zu legitimieren. Er gewinnt aus der Bibel die einzige Grenze, die er akzeptiert und sagt, wir dürfen sie nicht direkt gewalttätig töten oder sonst wie. Das dürfen wir nicht. Da ist die Bibel vor. Aber die Maßnahmen, die ich vorhin vorgelesen habe, Synagogen zerstören, Häuser weg, all das, das schreibt Luther eins zu eins ab aus dem Buch Deuteronomium.

62:13
Das sind alles Maßnahmen der Landnahme-Phase. So wie die Juden im Land Kanan umgegangen sind mit den Götzentempeln im Land, mit den Menschen, mit den Häusern, so müssen wir mit den Juden umgehen. Das macht Luther ganz biblizistisch und sagt ihre Synagogen, das ist kein Tempel mehr. Die sind nicht mehr Gottes Volk. Hier, wir sind das Herrn Tempel. Wir sind der Leib Christi. Und in unserem Land gilt das Wort Gottes für die Juden eins zu eins, so wie sie selbst Mose gehorcht haben gegen die Bewohner Kanan. So müssen wir dem Wort Gottes nun gehorchen gegen die Juden. Luther leitet seine schlimmsten Beschimpfungen aus der Bibel ab.

63:02
Ich habe gesagt, dass er sie am liebsten als Schlangen beschimpft. Er macht das immer wieder mit Berufung auf Jesus, der Matthäus 23 die Schriftgelehrten als Schlangen und Ottern gezücht beschimpft. Und wenn Leute sagen, wir können doch nicht so hart über die Juden reden, sagt er, Zitat, Christus lügt und trügt nicht, der sich Schlangen und Teufelskinder urteilt. Das ist seine und alle der seinen Mörder und Feinde. Und so beruft er sich vor allem auf Matthäus 23 und Johannes 8, das achte Kapitel im Johannes Evangelium, wo der johanesische Christus zu den Juden sagt, ihr habt den Teufel zum Vater, ihr sucht mich zu töten, euer Vater ist ein Mörder von Anfang an. Er ist der Vater der Lüge. Ich bin kein Lügner, wie ihr es seid. Für Luther alles Jesus Worte. Und wenn er über die Juden und ihre Lügen schreibt, tut er dies im besten Gewissen und Bewusstsein, damit Jesus nachzufolgen.

64:09
Er sagt nichts anderes als das, was Jesus über die Juden gesagt hat, dass sie Lügner sind, dass sie Teufelskinder sind, dass sie Schlangen und Ottern gezücht sind. Und spätestens da ist das unser Thema. Dass man Leuten erzählt über Luther und so und nach paar Zitaten bleibt vielen die Luft weg. Und einer meinte Ja, da ist der Luther nicht mehr in der ersten Reihe im Himmel. Gehört er nicht mehr zu den Besten. Klar kann man sagen, müssen wir nicht beurteilen. Aber auch als schlichte Bibel Leser. So wir haben da Aussagen im Neuen Testament und wir müssen uns dazu verhalten. Was ist mit unserem Glauben, wenn er solche Verfluchung möglich macht? Wir haben vorhin gehört, was für Luther Gesetz bedeutet.

65:04
Gesetz bei Luther ist das tiefe Erschrecken über die eigene Sünde. Das Erschrecken über den Riss in dieser Welt. Wie blind und wie hart, wie kalt und wie grausam Menschen sein können. Und dass es ihnen gelingt, sich selbst zu betrügen und den eigenen Hass in Gehorsam umzudichten. Dieses Erschrecken darf uns denke ich immer wieder bekommen, wenn wir in die Christentumsgeschichte schauen. Ich würde auch sagen, wenn wir uns anschauen, denn wer sind wir? Sind wir auf Nummer sicher, weil wir nicht Luther heißen? Ich denke, wir müssten einen Weg finden mit Luther in aller Wahrheit und Klarheit diese Abgründe anzuschauen.

66:01
Aber vielleicht auch offen zu sein, dafür unsere eigenen Gefährdungen zu entdecken. Und das wäre jetzt ein bisschen wenig, Luther in die Pfanne zu hauen und zu sagen, war auch ein Versager und so. Das muss klar gesagt werden, was gesagt werden muss. Aber ich glaube, wir müssen auch lernen, wie wir mit der Bibel umgehen können. Wie wir mit der Gefährdung unseres eigenen Glaubens umgehen können. Dass wir mindestens wissen um die Gefahr solcher Wege und ihr Wege. Können wir uns mit Luther überhaupt noch beschäftigen? Können wir von ihm überhaupt noch etwas lernen? Ich würde sagen, unter einer Bedingung, wenn es uns klar gelingt, uns davon zu distanzieren in jeder Form. Aber auch indem wir verstehen, wie er dort hineingeraten konnte.

67:06
Und verstehen oder bei ihm lernen, dass es anders gegangen wäre. Ich glaube, so muss man die Frage zuspitzen. Wenn dieser späte Luther konsequent hier nur zu Ende denkt, was seine Theologie enthält, dann würde ich sagen, ist er erledigt. Wenn das die Konsequenz ist, dann ist die Sache im Grunde durch. Oder kann man Luther auch so lesen, dass er hier im Grunde in einer schrecklichen Inkonsequenz befangen war? Und das würde ich sagen, ja. Und ich möchte das an zwei Punkten abschließend deutlich machen. Der erste Punkt und zur Hälfte habe ich den angesprochen. Der Bibel, Glaube ist Luthers großes Problem. Und der Grundfehler seines späten Denkens ist, dass er die Klarheit der Bibel nicht mehr nur auf ihre Sache bezieht, das Evangelium von Jesus Christus,

68:04
sondern für jede einzelne wichtige Aussage meint, in Anspruch nehmen zu können. Und das glaube ich schon, so eine Aufgabe auch der Selbstreinigung des Christentums. Glaube, hier müssen wir lernen, einen selbstkritischen Bibel Umgang zu pflegen. Ein Bibel Umgang, wo wir die Bibel nicht dafür zu verwenden, nicht verwenden dafür, alles Mögliche zu legitimieren, was man mit ihr legitimieren kann. Es gibt ja heute fast keine Christen, die sagen würden, aufgrund der Bibel halte ich die Juden für Teufelskinder. Ich kenne keine, die das so sagen. Auch sehr, sehr konservative Christen laufen ja nicht über die Straße und sagen, die Juden sind Teufelskinder, sie sind Schlangen. Das gibt es ja kaum. Glaube, wir müssen noch ein bisschen weiter gehen.

69:01
Wäre es dann heute legitim, die Juden als Teufelskinder zu bezeichnen? Ich glaube, hier müssen wir sehr, sehr klar Nein sagen. Ich glaube, es wäre absolut illegitim, unmenschlich, grauenhaft unmöglich, die Juden als Schlangen oder Teufelskinder oder Lügner zu bezeichnen. Das steht aber so im Neuen Testament. Das steht da drin. So und da, denke ich, brauchen wir nicht nur eine Historisierung Luthers, sondern auch eine Historisierung der Bibel. Das heißt jetzt nicht, dass mir darum geht, auch die Bibel ist doof oder so. Johannes Evangelium wird auch nicht mehr gepredigt. Aber ich denke, hier muss man sehr, sehr klar sagen, was wir vorhin hatten. Eine Aussage ist nicht wahr und nicht gültig ohne die Existenz, in der sie gewonnen wird.

70:05
Wir haben neutestamentliche Schriften, die in einer sehr extremen Kampfsituation Aussagen über die Juden haben, wo Christen drangsaliert in die Enge gedrückt unter Verfolgung solche Aussagen in ihrer Heiligen Schrift haben. So und das würde ich nicht aus der Bibel raus streichen und raus reißen. Es steht da drin in einer besonderen, schwierigen, schuldvollen Geschichte zwischen Juden und Christen. Und dann müssen wir fragen, wie können wir solche Texte lesen? Können wir sie so lesen, dass wir sagen, diese Texte machen es zumindest legitim. Man darf die Juden als Lügner, Teufelskinder und Schlangen bezeichnen. Ich denke, viele Menschen gehen mit der Bibel so um, die sagen, hier steht doch das und das und so. Also darf ich das doch sagen. Ich muss doch noch sagen dürfen, steht doch so in der Bibel.

71:03
Ich denke, man muss das messen an der biblischen Botschaft von der Gnade Gottes in Christus, der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit. Und dann komme ich nur zu einem Ergebnis. Man darf niemals Menschengruppen verteufeln, mit Tiernamen überziehen, sie radikal entwerten und ausgrenzen. Das geht so nicht. Und das konnte Luther wissen. Er konnte es wissen mit seiner Unterscheidung von Bibel und Sache der Bibel. Und er hat es gewusst in seiner frühen Schrift. Ich glaube, ohne diese frühe Schrift käme man gar nicht mehr klar heute mit ihm. Aber so würde ich es an der Stelle für möglich halten zu sagen, wir distanzieren uns radikal von seinem Judenhass und sagen zugleich, man kann mit Luther gegen diesen Luther argumentieren. Der zweite Punkt ist die Ethik. Man kann über Ethik sehr viel sagen. Ich möchte nur sehr kurz Folgendes bemerken.

72:04
Luther wusste, dass biblische Ethik niemals eins zu eins auf heute übertragen werden kann. Luther sagt, die falschen Propheten sprechen. Liebes Volk, das ist Wort des Gott, es ist wahr, wir können es ja nicht leugnen. Das ist Wort Gottes. Man sagt ja, es ist wahr, wir können es ja nicht leugnen. Aber wir sind nicht das Volk, zu dem er redet. Für Luther war völlig klar, es funktioniert keine biblizistische Ethik, sondern Ethik ist immer etwas, wo die Situation und die Kultur hinzugehört. Und darum ist auch biblische Ethik immer von der Mitte des Evangeliums her zu begreifen. Weitere Zitat von ihm. Man sieht wohl, dass die Könige, Priester und Obersten haben oft frisch ins Gesetz gegriffen, wo es der Glaube und die Liebe gefordert haben, sodass also der Glaube und die Liebe soll aller Gesetze Meister sein und sie alle in ihrer Macht haben.

73:06
Denn da alle Gesetze auf den Glauben und die Liebe treiben, soll keins mehr gelten, noch ein Gesetz sein, wo es dem Glauben oder der Liebe zuwider geraten. Das ist lutherische Ethik. Und daran ist Luther in seinen Spätschriften mehr als einmal brutal gescheitert. Aber wenn das lutherische Ethik ist, dann ist in der Tat von ihm auch noch was zu retten. Darum glaube ich, dass wir dies Reformationsjubiläum benutzen sollten, sehr klar Bilanz zu ziehen. Und wenn wir trotzdem noch anderes über Luther sagen, trotzdem noch manches lernen, dann in der Tat immer nur so trotzdem, trotz allem.

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Die dunkle Seite des Reformators: Luther und die Juden | 6.3.3

Worthaus 6 – Heidelberg: 15. Mai 2016 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Es ist die dunkelste Seite Martin Luthers – unangenehm, beschämend, geradezu schmerzhaft ist es, seine späteren Schriften über die Juden zu lesen. Sie strotzen nur so von Vorurteilen und Gerüchten, die man vierhundert Jahre später so ähnlich wieder in Deutschland hören würde. Der junge Luther allerdings dachte noch ganz anders. Er hatte noch betont, dass „Jesus Christus ein geborener Jude sei“, hatte gefordert, Juden in die Zünfte zu lassen und mit ihnen über den Glauben zu diskutieren. Wie kam es zu diesem Wandel? Wie wurde der junge Mönch, der gefordert hatte, Juden besser in die Gesellschaft zu integrieren, zu dem einflussreichen Reformator, der die Juden aus der Gesellschaft auslöschen wollte? Ganz ungeschönt erzählt der Marburger Theologe Thorsten Dietz von den judenverachtenden Schriften Luthers, erklärt die überraschende Wandlung Luthers vom Paulus zum Saulus und erläutert, ob Luther dennoch ein Vorbild für Christen bleiben kann.