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Christentum und Islam sind heute die beiden größten Weltreligionen. Sie haben beide weit über zwei Milliarden Anhänger. Und es wird für die Zukunft der Menschheit von großer Bedeutung sein, wie diese beiden Weltreligionen miteinander umgehen werden. Werden sie sich weiterhin in erster Linie misstrauisch gegenüberstehen und abgrenzend oder sogar feindlich und hasserfüllt? Oder wird es ihnen gelingen, einen freundlichen Umgang zu erlernen, einen lernbereiten Umgang, wo beide Seiten lernen, vielleicht sogar einen freundschaftlichen Umgang?

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Von der Beantwortung dieser Fragen wird sehr viel abhängen. Ich konzentriere mich zu einem erheblichen Teil auf den Dialog zwischen christlichem Glauben und Islam, aber die anderen Weltreligionen bleiben mit im Blickfeld. Ich möchte einleitend einige biografische Dinge kurz erzählen, wie ich selber zu diesem Thema gekommen bin im Laufe meiner Biografie. Bis ich ungefähr 55 Jahre alt geworden war, interessierte mich der Islam kaum. Ich habe also nichts ernsthaft darüber gelesen. Ich bemühte mich, die schlimmsten Vorurteile zu vermeiden, aber es war für mich kein Gebiet meiner Neugier und meines Interesses.

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Das hat sich dann schlagartig geändert, weil das Land Baden-Württemberg im Jahr 2006 beschlossen hat, an vier pädagogischen Hochschulen des Landes Baden-Württemberg, nämlich in Ludwigsburg, in Karlsruhe, in Freiburg und in Weingarten, ein neues Fach einzurichten, IRP, Islamische Religionspädagogik. Zuerst mal nur Religionspädagogik, inzwischen heißt es Fach wie auch evangelische Theologie und Religionspädagogik oder katholische Theologie und Religionspädagogik. Heißt es jetzt auch seit zwei Jahren Islamische Theologie und Religionspädagogik. Man kann also in Baden-Württemberg, wenn man in der Lehrerausbildung ist, drei theologische Fächer studieren. Man kann evangelische Theologie, katholische Theologie und

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Islamische Theologie studieren. In aller Regel studieren natürlich evangelische Studenten evangelische Theologie, katholische Studenten katholische und muslimische Studenten muslimische Theologie, aber alle Fächer nehmen auch Gaststudenten auf, also es sind keine streng abgeschotteten Fächer. Also im Jahr 2006 kam ich an die PH und stellte fest, es gibt neue Kollegen. Ich habe jetzt auf einmal eine türkische Kollegin Gökçen Tamerusun und ich habe einen marokkanischen Kollegen Abdelmalik Hibavi. Das waren die beiden ersten Fachvertreter in der Islamischen Religionspädagogik. Baden-Württemberg bereitet dadurch über einige Jahre hinweg vor, dass man an den öffentlichen Schulen in Baden-Württemberg überall

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auch Islamischen Religionsunterricht erteilen wird. Es wird in einigen Jahren soweit sein. Die Lehrer werden also jetzt schon herangebildet. Es gibt ja Bundesländer, in denen es bereits Islamischen Religionsunterricht gibt. In Baden-Württemberg wird es demnächst soweit sein. Ich stand dann vor der Frage, ob ich diese beiden neuen Kollegen einigermassen ignoriere oder gehe ich entschlossen auf sie zu. Ich bin dann zu letzterem entschlossen auf beide zugegangen und habe mich selber vorgestellt. Seit diesen ersten Begegnungen bis heute verbindet uns eine sehr wertvolle Freundschaft. Zumindest an der PH Ludwigsburg arbeiten die Fächer Evangelische Theologie, Katholische Theologie und Islamische Theologie sehr freundlich

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zusammen, achten sich gegenseitig als Kollegen. Das ist mein Hintergrund. Ich habe dann mit meinem Kollegen und Freund Abdelmalek Ibavi bei der Baden-Württemberg-Stiftung ein wissenschaftliches Projekt beantragt für drei Jahre, wie der christlich-islamische Dialog gelingen kann. Dieses Projekt ist genehmigt worden. Es war von den Jahren 2011 bis 2013. Beteiligt war die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg, wir waren sogar federführend, die Universität Tübingen mit dem Islamischen Zentrum, die Marmara-Universität in Istanbul und die Mohammed V. Universität in Rabat. Diese vier Universitäten, wir sind ja international auch

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eine Universität, University of Education in Ludwigsburg, also diese vier Universitäten haben drei Jahre lang eng zusammengearbeitet. Es fanden viele gegenseitige Besuche statt von Studierenden, von Lehrenden. Es gab auch Stipendien für Einzelstudenten, die dann in einem der beteiligten Universitäten studiert haben. Ich habe auch einen Doktoranden mit Vornamen Matthias, der promoviert zu dem Thema die Bedeutung der Kunstpädagogik für den christlich-islamischen Dialog. Der Kollege Professor Sova vom Fach Kunst und ich, wir betreuen diese Arbeit. Dieser Matthias musste erst einmal vier Semester Arabisch studieren, auch die entsprechenden Prüfungen absolvieren und dann studierte er ein Semester in Rabat

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Islamwissenschaften an der dortigen islamwissenschaftlichen Fakultät und am Ende dieses Semesters hat er in dem dortigen Seminar sein erstes Referat auf Arabisch vorgetragen. Er bekam dann Standing Ovation. Also ich will damit andeuten, wenn man heute auf dem Gebiet des christlich-islamischen Dialogs promovieren will, muss man Arabisch studieren, man muss den Koran selbstständig auf Arabisch studieren können. Wir brauchen in den Kirchen katholisch, evangelisch, freikirchlich in Zukunft vermehrt christliche Fachleute, die den Koran auf Arabisch selbstständig studieren können. Das ist unbedingt erforderlich. Die älteren Koranübersetzungen sind durch

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die Bank sehr schlecht, sie sind von Christen erstellt worden, von arabischen Christen, stecken sehr viele Vorurteile in der Übersetzung. Erst in den letzten 10, 15 Jahren sind bessere Koranübersetzungen auf den Markt gekommen, die von Muslime übersetzt wurden. Also lesen Sie bitte nur Koranübersetzungen, die von Muslime übersetzt wurden, nicht von Christen. Das führt zu unnötigen Klischees durch schlechte Übersetzungen. Jetzt möchte ich in fünf Kapiteln die Dinge vortragen, die mir in den letzten 10 Jahren besonders wichtig geworden sind. Also einmal die Erfahrung von zehn Jahren, P.H. Ludwigsburg, die Götzchen Thamer Udzun und ich, wir haben jedes Semester zusammen ein Seminar angeboten, interreligiöses Lernen

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für Christen und Muslime, wie der islamische Dialog gelingen kann. Das wissenschaftliche dreijährige Projekt hieß auch, wie der islamisch-christliche oder der christlich-islamische Dialog gelingen kann. Dass er misslingen kann, das wissen wir alle, aber interessant ist die Frage, kann er auch gelingen? Das Ergebnis unseres dreijährigen Austausches ist eindeutig, er kann gelingen. Er kann zu sehr kostbaren, wertvollen Freundschaften führen. Also der christlich-islamische Dialog kann gelingen, wir haben es selber erlebt. Jetzt, das waren alles so Vorbemerkungen. Jetzt das erste Kapitel, die heutige Weltsituation. Wir stellen ja die Frage nach dem Dialog der

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Religionen heute, im heutigen Kontext. Die drei wichtigsten Fragen sind, wie wichtig ist der Dialog der Religionen? Zweitens, hat er eine Chance? Und drittens, wie kann er gelingen? Das sind die drei wichtigsten Fragen. Wie wichtig ist heute der Dialog zwischen Religionen? Hat er überhaupt eine Chance? Und wenn ja, wie? Wenn wir diese drei Fragen beantworten wollen, müssen wir uns erst im heutigen Kontext stellen, der heutigen Weltsituation. Die heutige Weltsituation ist sehr anders, wie zum Beispiel die Weltsituation vor 100

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Jahren. Ich werde Sie nachher vergleichen mit der Situation vor 100 Jahren. Das ist eine völlig andere Situation. Das heißt, wir fragen nach dem Dialog heute anders wie vor 100 Jahren. Es stellen sich heute andere Aufgaben, andere Herausforderungen. Zunächst einmal die politische Weltlage. Seit der Erfindung der Atombombe, so ungefähr 1945, ist eine neue Situation in der Menschheit eingetreten, die es in den Jahrtausenden vorher niemals gab. Nämlich durch die Entwicklung der Atombombe, der Neutronenbombe, der ABC-Waffen ist man heute militärisch in der Lage, die Menschheit innerhalb weniger Tage auszulöschen. Also die heutigen Vernichtungsmittel reichen trotz den Abrüstungen, die ja allgemein in

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Stocken geraten sind, bei Weitem aus, um die Menschheit innerhalb einer Woche zu vernichten. Das ist eine völlig neue Situation, die es bisher in der Menschheit nicht gab. Das heißt, das Überleben der Menschheit ist nicht mehr selbstverständlich. Es gibt ja diesen bekannten ökologischen Witz. Es treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine Planet zum anderen, du siehst heute aber schlecht aus. Sagt dieser Planet, ja mir geht es auch nicht gut, ich habe Homo Sapiens. Sagt der andere Planet, oh Backe, das ist nicht gut. Aber das geht vorbei und danach wird es wieder besser. Diesen Witz hätte kein Mensch im 19. Jahrhundert verstehen

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können, weil der Witz setzt voraus, man traut es der Menschheit zu, dass sie sich selber abschafft. Und dann geht es wahrscheinlich dem Planeten besser, denn der Planet braucht nicht die Menschen, aber der Mensch braucht den Planeten. Also in dieser Situation ist jede Religion gefragt, ob sie mehr zur Gefährdung der Menschheit beiträgt oder mehr zum Überleben der Menschheit. Wir leben in einer bedrohten Welt und in dieser bedrohten Welt ist die Frage nach dem Dialog viel dringender. Es gehört auch zu unserer politischen Weltsituation, dass wir jetzt schon in fortgeschrittenem Maße globalisiert sind. Das heißt, wir sind uns alle näher gerückt, die verschiedenen Kulturen der Welt. Es wird ja keine Welteinheitskultur

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jemals geben, schon aufgrund unterschiedlicher klimatischer und geografischer Bedingungen wird es keine Welteinheitskultur geben. Wir haben also auf der Welt mehrere Kulturen und wenn eine dieser Kulturen nach Dominanz strebt, ist es eine schwere Gefährdung des Weltfriedens. Der Weltfrieden ist nur denkbar auf der Basis der Gleichwertigkeit der verschiedenen Kulturen. Und diese Kulturen sind sich viel näher gekommen durch Fernsehen, durch Handy, durch Internet, durch die Börsen, die ja alle miteinander zusammenhängen, durch den Welttourismus, durch die modernen Transportmittel. Wenn jetzt in Neuseeland auf einer abgelegenen Insel ein Vulkan ausbricht, kommen da auch ein paar Deutsche um. Also der Tourismus bringt uns viel näher. Die frühere Parole der Kulturen, du lebst friedlich dort und ich lebe friedlich

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hier, ist heute nicht mehr möglich. Dieses einfache, schiedlich-friedlich, du lebst dort und ich lebe hier und wir tun uns nicht groß weh. Nein, heute leben wir nicht mehr nebeneinander, wir leben miteinander. In Deutschland gibt es heute fünf bis sechs Millionen Muslime, in Frankreich noch mehr. In der EU gibt es schätze ich 15 bis 20 Millionen Muslime. In England gibt es Millionen Inder. In Amerika gibt es die Chinatowns und so weiter. In allen Metropolen der westlichen Welt sind viele hunderttausend Menschen unsere Nachbarn, die aus einer anderen Kultur und Religion kommen. Also heute geht es darum, wie können wir friedlich miteinander leben und das setzt Kenntnis voraus und Kooperation. Und Kenntnis

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voneinander und Kooperation gibt es nicht ohne Dialog. Insofern ist der Dialog heute in einer bedrohten, globalisierten Welt ohne Alternative. Er ist absolut notwendig. Ob uns das jetzt gefällt oder nicht, ist weniger wichtig. Vielen gefällt es vielleicht gar nicht, weil der Dialog ist nicht einfach. Er ist schwer. Ich will ihn auch nicht einfacher machen, als er ist. Der Dialog zwischen den Religionen ist sehr schwer. Er ist eine Kunst, die Jahre dauert, bis man sie erlernt. Und man muss mutig sein und man muss einen eigenen Standpunkt haben. Wer keinen eigenen Standpunkt hat, der kann auch gar keinen Dialog führen.

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Also ich will an dieser Stelle deutlich sagen, der christliche Glaube, die Christenheit, wir sind eine missionarische Religion. Es gibt den Missionsauftrag Jesu, geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker und taufe sie im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Weltende. Also wir sind eine missionarische Religion. Die Kirche Jesu Christi ist eine missionarische Kirche oder sie ist überhaupt keine Kirche. Die Mission ist ein Wesensmerkmal der Kirche. Also ganz klar, wir haben ja auch viel zu tun und damit wir unseren eigenen Kindern vielleicht zum Glauben verhelfen können und in Deutschland ist ja selber schon ein riesiges Missionsgebiet. Also ganz klar, wir haben einen Missionsauftrag. Man darf diese beiden

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Dinge nicht gegeneinander ausspielen, aber es gibt heute in einer bedrohten Welt, wo Millionen Menschen aus anderen Religionen unter uns in der Nachbarschaft, in der gleichen Schule, in der gleichen Schulklasse, die werden ja auch Muslime, werden heute Polizisten, sie werden Lehrer, sie werden Journalisten, sie integrieren sich ja in der Mehrzahl der Bälle durchaus immer stärker, obwohl das nach wie vor schwierig ist. Also auf jeden Fall, ohne Dialog geht es nicht. Auch wenn wir sehr viel von Mission und Evangelisation halten und ich halte davon sehr viel, ich fühle mich als ein evangelistischer Christ. Evangelisation ist mir eine Herzenssache, aber ich kann nicht zu anderen Menschen sagen,

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ich interessiere mich für dich nur aus missionarischen Gründen und sonst nicht. Das ist eine Armseligkeit. Wir sind ja nicht nur Christen, wir sind ja auch Staatsbürger und Weltbürger. Und als Staatsbürger und Weltbürger müssen wir ganz neutral sagen, es gibt verschiedene Religionen in unserer Gesellschaft und wir müssen es im Interesse von uns allen lernen, friedliche Nachbarschaft, freundlichen, lernbereiten Umgang zu erlernen. Das erfordert Mut und es erfordert, dass man in den betreffenden christlichen Gruppen die Menschen dazu ermutigt, anleitet, trainiert. Das fällt nicht vom Himmel. Wenn man also jahrelang nur auf Mission setzt und den Dialog sozusagen mehr oder weniger gar nicht gern an ihn denkt, dann führt es

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zu sehr einseitigen Formen des Zusammenlebens. Also der Dialog bei aller Achtung vor dem missionarischen Charakter des christlichen Glaubens, der Dialog ist notwendig. Er ist ohne Alternative. Wir müssen uns besser kennenlernen und verstehen lernen. Je weniger wir uns kennen, desto stärker sind die Vorurteile. Das ist mehrfach wissenschaftlich wasserdicht belegt. Wer kaum privaten tieferen Kontakt zu Muslimen hat, kann sich in der Regel vor Vorurteilen kaum schützen. In den Seminaren, in denen ich jetzt zehn Jahre lang war, da waren immer ungefähr zwei Drittel Christen, ein Drittel Muslime und wir haben alle am Ende des Semesters anonym befragt, wie hat sich euer Denken geändert im Laufe der letzten

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vier Monate. Und alle gleicherweise, die Muslime und die Christen, haben beide gesagt, am Anfang hatten sie viel Angst und Unsicherheit, die Muslime genauso wie die Christen, deswegen müssen wenigstens die Dozenten einigermaßen sattelfeste Freundschaft haben und sie haben dann aber gesagt, im Laufe der vier Monate hat sich ihr Denken kolossal verändert. Also die heutige Weltlage besteht darin, das Überleben der Menschheit ist bedroht, übrigens ja nicht nur militärisch, sondern vor allem auch ökologisch, Klimawandel, wir sind bedroht und wir sind viel näher aneinander gerückt. Es geht heute um eine friedliche Koexistenz und Kooperation.

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Gut und dazu ist der Dialog notwendig. Der Dialog ist ja nicht nur notwendig, der Dialog kann auch schön sein, er kann spannend sein, er kann einen in ganz neue Bereiche führen, also er kann spannend sein wie ein Krimi, er ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung, aber ob der Dialog jetzt spannend ist oder schön oder ängstlich oder anstrengend, das ist er auch, denn nicht nur ich frage den anderen, der andere fragt auch mich und dann, der Dialog ist auf jeden Fall anstrengend, aber ist auch schön. Aber das ist zweitrangig, entscheidend ist, der Dialog ist notwendig, ob es uns gefällt oder nicht, er ist notwendig. Und die Berufung auf den missionarischen Charakter ändert an diesem Tatbestand nichts. Also bitte

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nicht diese beiden Dinge ständig gegeneinander ausspielen. Jetzt kommen wir zur religiösen Weltsituation und die vergleiche ich mit einer Momentaufnahme vor 100 Jahren ungefähr ein bisschen mehr. Im Jahr 1913 gab es in Edinburgh eine Weltmissionskonferenz, alle großen protestantischen Missionsgesellschaften waren vorhanden und zum ersten Mal sogar katholische Missionsgesellschaften mit Gaststatus, also allererste zarte Ansätze der Ökumene, also alle großen wichtigen Missionsgesellschaften waren im Jahr 1913 beieinander, die Protokolle sind alle erhalten, kann man alle nachlesen, habe ich teilweise gemacht und das war interessant,

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alle Fachleute auf dieser Tagung, evangelisch, freikirchlich und katholisch, waren einer Meinung, wir brauchen noch ungefähr eine Generation, dann haben wir die Welt christianisiert. Also alle Fachleute waren sich einig, noch eine Generation und dann haben wir die anderen Religionen wegmissioniert. Das war einhelliger Konsens 1913. Wie kann das sein? Wir wundern uns. Jetzt überlegen wir uns 1913, ein Jahr vor dem Ersten Weltkrieg, China war wirtschaftlich völlig am Boden, da gab es westliche Wirtschaftsunternehmen, die in China ihren Markt erschlossen haben, aber China war kulturell völlig am Boden, Taoismus und Konfuzianismus schienen überhaupt

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nicht mehr überlebensfähig, die sterben voll ab. Indien war eine britische Kronkolonie und die britischen Fachleute waren der Meinung, der Hinduismus und Buddhismus ist nicht überlebensfähig, er verkraftet die moderne Welt gar nicht, der wird auch so im Laufe einer Generation, stirbt es irgendwie voll ab. Dann der Islam, es gab eigentlich gar keinen normalen islamisch geprägten Staat, es gab nur das riesige Osmanische Reich, das war muslimisch geprägt, der Sultan in Istanbul, ein riesiges Reich, viel Völkerstaat, alle arabischen Völker gehörten vor dem Ersten Weltkrieg zum Osmanischen Reich. Das Osmanische Reich war eigentlich der einzig

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muslimisch geprägte Staat, es gab dann sonst noch ein paar arabische Gebiete, das waren alles Kolonien westlicher Kulturen, zählen nicht und das Osmanische Reich galt 1913 als der kranke Mann am Bosporus, der stirbt jetzt auch demnächst und das ist auch eingetroffen, im Ersten Weltkrieg ist das Osmanische Reich dann auseinandergebrochen. Also China spielt irgendwie keine Rolle, Indien ist britische Kronkolonie, das Osmanische Reich stirbt vor sich hin, Israel gab es nicht, sondern es gab auch noch keine Balfour Declaration, 1917 kam die ja erst, 1913 sah alles so aus, die Juden in Europa und Amerika sind dabei sich zu assimilieren. Also es wird noch eine Generation dauern, dann Dialog brauchen wir nicht.

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1913 hat niemand gesagt, wir brauchen einen Dialog, in einer Generation haben wir die wegmissioniert und warum soll man jetzt mit denen dann noch lang dialogisieren? Das war die gemeinsame Überzeugung in der Christenheit vor 100 Jahren. Dann kam 1917 die bolschewistische Revolution und es entstand der Weltkommunismus mit einem großen Sieg des Atheismus und diesen großen Ost-West-Spannungen, die dann im Untergang der Sowjetunion 80er Jahre wieder gestorben sind, allerdings in Form von China in einer sehr veränderten Form doch sich zu einer Weltmacht heran entwickeln. Aber auf jeden Fall dieser

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Weltkommunismus sowjetischer Art, der dann auch gleich die Überzeugung noch eine Generation und wir haben die Erde christianisiert, also mit dem Aufstieg des Weltkommunismus brach diese Überzeugung auch schnell zusammen. Dann China ist heute ganz anders entwickelt, sie ist zwar kommunistisch geführt, aber der Taoismus und der Konfuzianismus sind große Kräfte innerhalb des heutigen China. Also der Taoismus und der Konfuzianismus haben viele Erneuerungs- und Vitalisierungsvorgänge erlebt. Indien ist heute ein selbstständiger Staat und es hat dem Hinduismus und dem Buddhismus enorm neue Kräfte zugeführt. Heute, nach dem Untergang des Osmanischen Reiches, gibt es 56 muslimisch geprägte Staaten auf der Welt.

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56 Staaten, die muslimisch geprägt sind. Nach dem Untergang der Sowjetunion sind in Zentralasien, Usbekistan, Tadjikistan, Turkmenistan, Kasachstan und Aserbaidschan ganz neue Staaten entstanden, die sich alle der muslimischen Weltgemeinschaft angeschlossen haben und damit das Gewicht der muslimischen Staaten noch einmal enorm verstärkt haben. Der Islam ist heute sehr vital, er hat grosse Erweckungsbewegungen erlebt in den 30er Jahren in Pakistan und in vielen anderen Gebieten. Er breitet sich heute vor allem in Afrika stark aus, aber auch in Zentralasien. Also der Islam ist heute eine starke, vitale Weltreligion. Israel, heute haben wir seit 1948 den Staat Israel und das hat

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das Judentum vitalisiert. Das Judentum ist heute eine sehr lebendige, weltweit bedeutsame Weltreligion. Also vergleichen wir mal die Situation vor 100 Jahren und heute können wir sagen, heute selbst einer, der sehr stark auf missionarische Erfolge setzt. Es gibt ja Bestrebungen in der katholischen Kirche, Neuevangelisierung Europas, ja warum nicht, kann man ja mal probieren. Aber selbst die Leute, die hier stark engagiert sind, da wird niemand heute sagen, noch eine Generation, dann haben wir die anderen Weltreligionen wegmissioniert. Das heißt auch so gesehen, es gibt zum Dialog keine Alternative.

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Missionarische Bestrebungen in allen Ehren, die haben ihr gutes Recht, aber sie ändern nichts an der Notwendigkeit des Dialogs. Wir können nicht sagen, ich interessiere mich für dich nur missionarisch gesehen, sonst eigentlich gar nicht. Das ist eine armselige Haltung, die man niemandem empfehlen kann. Soweit also zur heutigen Situation. Jetzt möchte ich in einem zweiten Kapitel mich der Frage zuwenden, was ist ein Dialog? Gemeint ist ein religiöser Dialog. Was verstehen wir unter einem Dialog? Da gibt es viele Missverständnisse, die muss man jetzt einfach alle mal ausschließen, damit wir wissen,

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über was wir reden. In den Dialogbemühungen innerhalb der Weltreligionen geht es nicht darum, eine Welteinheitsreligion schaffen zu wollen. Das will niemand, ich kenne niemanden. Das wäre auch völlig illusorisch und es würde auch keine Religion da mitmachen. Es gibt immer wieder mal diese Verschwörungstheorien, die wollen eine Welteinheitsreligion. Keiner der Fachleute will das. Es gibt seit 1991 oder 1992 das Weltparlament der Religionen. Das trifft sich alle fünf Jahre. War zum ersten Mal in Chicago, später in Kapstadt. Alle fünf Jahre treffen sich Hunderte Vertreter der Weltreligionen regelmäßig eine Woche lang

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und sie arbeiten an so gemeinsamen ethischen Überzeugungen. Zum Beispiel, wir setzen auf Wahrhaftigkeit, gegen Lüge und Täuschung. Wir setzen auf wirtschaftliche Gerechtigkeit. Wir lehnen Gewalt als mittelreligiöser Auseinandersetzung ab und etwas umstritten, aber stark auf Vormarsch. Wir sind für eine Gleichberechtigung von Mann und Frau. Also an solchen Punkten arbeitet das Weltparlament der Religionen, aber jede Religion behält natürlich ihr eigenes Profil. Also Dialog heißt auch nicht, wir verwässern die Profile der bestehenden Religionen zu einem allgemeinen Wischiwaschi und zu einem Schmusikus. Das sind alles wirklich plumpe Meldungen, die hinten und vorne

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einfach nicht stimmen. Es ist ein ernsthaftes Ringen. Also Dialog heißt nicht, dass das Profil der Religionen verwässert werden soll, sondern zu einem Dialog gehört Standfestigkeit, Mut, Treue zu seinem eigenen Bekenntnis, aber auch Aufgeschlossenheit, Lernbereitschaft, dass wir voneinander lernen können. Aber zum Dialog gehört Mut und Selbstbehauptung, sich nicht einfach über den Tisch ziehen lassen. Und in einem ernsthaften Dialog will das auch niemand. Ich habe ja jetzt drei Jahre lang mit vielen muslimischen Kollegen, Professoren der Islamwissenschaft, drei Jahre lang mich sehr viel unterhalten. Ich habe nirgendwo erlebt, dass mich jemand über den Tisch ziehen will. Ich habe nie

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erlebt, dass jemand erwartet, dass ich meinen Glauben verleugne. Den habe ich auch nicht. In einem Dialog möchte man, dass der andere zu seinem Glauben steht, dass er ihn bekennt. Also ich habe oft öffentlich gesagt, für mich ist Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und wir Christen glauben, dass niemand zum Vater kommt, denn durch Jesus. Das habe ich also hundertmal laut und deutlich gesagt und das erwarten meine muslimischen Dialogpartner auch. Das ist der christliche Glaube. Also die Treue zum Bekenntnis wird erwartet. Gut, dann gehört zu einem Dialog durchaus, zumindest bei den Offenbarungsreligionen. Also Judentum, Christentum und Islam sind sogenannte Offenbarungsreligionen.

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Sie haben ein persönlich gefärbtes Gottesverständnis und Gott offenbart sich und diese Offenbarung beansprucht den Menschen. Wenn ich also im christlichen Sinn eine Gotteserfahrung mache, dann spüre ich in dieser Gotteserfahrung, dass ich jetzt mit Gott nicht länger spielerisch, unverbindlich umgehen kann. Dass ich Gott gegenüber nicht mehr neutral sein kann, sondern dass Gott mich beansprucht. Und zwar mein ganzes Herz. Das ist sozusagen ein Exklusivanspruch, den nicht ich habe, sondern ein anderer, größerer als ich, hat diesen Anspruch an mich. Und diesen Anspruch, diese Exklusivbindung

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gehört unbedingt zum christlichen Glauben. Wenn ich die aufgeben müsste, dass für mich Jesus Christus einzigartig ist, der Retter der Welt, wenn ich diese einzigartige Bindung an Jesus aufgeben müsste, dann müsste ich meinen christlichen Glauben verraten und ich müsste auch die Gotteserfahrung verraten und verleugnen, die mich dazu gebracht hat. Das erwartet in einem Dialog niemand und darf auch niemand erwarten. Also ich habe meine und meine anderen christlichen Kollegen, die mit mir in diesen dreijährigen Austauschtagungen waren, wir waren treue Bekenner des christlichen Glaubens. Nur, ich muss das Gleiche den anderen auch zubilligen. Auch der muslimische Partner oder der jüdische Partner hat

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in seinen Gotteserfahrungen, spürt er den Anspruch Gottes an ihn und hat eine exklusive Bindung also in einer muslimischen Gotteserfahrung steckt auch diese exklusive Bindung. Allah ist ein einziger, keine anderen Götzen und Mohammed ist sein Prophet. Also die exklusive Bindung, die ich habe, darf auch der muslimische Partner haben und der jüdische Partner auch. Der jüdische Partner darf sagen und soll sagen, das erwarten wir, die Thora ist für mich der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und der muslimische Partner darf sagen und das erwarten wir auch von ihm, der Koran ist für mich der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und der christliche Partner darf sagen und das erwarten die anderen von ihm, Jesus Christus ist für mich

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der Weg, die Wahrheit und das Leben. Das heißt im Christentum ist nicht ein Buch die exklusive Bindung, sondern die Person Jesu Christi. Ja also in einem Dialog gibt es also mehrere exklusive Bindungen. Das stört den Dialog nicht. Diese exklusiven Bindungen sind vor allem bei den monotheistischen Religionen, bei den asiatischen Religionen nicht ganz so stark, aber auch dort, wenn jemand tiefe Heiligkeitserfahrungen im Rahmen des Hinduismus und Buddhismus, ich kenne mich in diesen Religionen kaum aus, aber ich habe schon mit vielen hinduistisch geprägten und buddhistisch geprägten Menschen geredet, habe sie auch in meinem Bekanntenkreis. Auch da steckt ein Heiligkeitsanspruch, das man auch nicht mehr spielerisch unverbindlich.

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Also diese exklusiv Ansprüche stören den Dialog nicht, sondern sie gehören zum Dialog. Ich will mal nochmal feststellen, bei einem Dialog, ein Dialog hat nur Sinn, wenn man einen eigenen Glaubensstandpunkt hat, den man auch bekennt und zu dem man treu und mutig mit dem Willen zur Selbstbehauptung steht. Das Recht habe ich, aber alle anderen Gesprächspartner genauso wie ich. Also jeder darf davon überzeugt sein, dass seine Religion die beste ist und davon ist auch jeder überzeugt und er darf es auch sein. Jeder Dialogpartner darf auch der tiefen Überzeugung sein, dass seine Heilige

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Schrift die beste Heilige Schrift ist, die es auf der Welt gibt. Das ist so und es soll so sein, das gehört zum Dialog. Also der Dialog ist nicht Wischiwaschi, der Dialog ist nicht Verwässerung und er ist nicht, er betreibt nicht Religionsvermischung, Synkretismus. Das ist ein völlig falsches Verständnis von Dialog. Aber wir wollen den anderen in seiner Überzeugung besser verstehen lernen. Wir wollen gegenseitig lernen, wir wollen den anderen besser kennenlernen, besser verstehen lernen. Dieser Wunsch ist entscheidend. Ich möchte den anderen besser verstehen und kennenlernen. Also am Anfang des Dialogs steht die Überzeugung, wir kennen uns zu wenig.

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Jetzt kommt das dritte Kapitel. Es gibt drei Sackgassen im Dialog der Weltreligionen, die haben sich jetzt schon hundertfach ergeben und diese Sackgassen müssen wir vermeiden. Eine Sackgasse ist der bevorzugte Fehler der monotheistischen Weltreligionen und eine Sackgasse ist ein bevorzugter Fehler der asiatischen Weltreligionen. Fangen wir mal selbstkritisch bei uns selber an. Es kann in einem Dialog und soll mehrere exklusive Bindungen geben. Jeder der Dialogpartner lebt in einer exklusiven Bindung, die der andere achtet und nicht in Zweifel zieht. Aber es kann in einem Dialog keine absolute Religion geben.

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Das ist ausgeschlossen. Keine Religion in dem Dialog kann von sich selber sagen, ich habe die richtige Religion und ihr seid alle falsch. Also ich habe einen Absolutheitsanspruch. Ein Absolutheitsanspruch macht den Dialog völlig kaputt. Er verhindert ihn von Anfang an. Man darf jetzt ja nicht verwechseln, ein Exklusivanspruch, dass Jesus für mich einzigartig ist und der Koran für meinen muslimischen Partner. Also es gibt mehrere Exklusivansprüche in einem Dialog, die stören den Dialog überhaupt nicht, sondern sie gehören dazu und die Achtung voreinander. Aber ein Absolutheitsanspruch ist unmöglich. Jetzt im Christentum, ich will mal bei uns vor der eigenen Tür kehren, aber es gilt für alle Religionen.

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Es gilt vor allem für die Offenbarungsreligionen Judentum, Christentum, Islam. Im Christentum gab es sehr lange die Lehre seit Augustinus, außerhalb der Kirche kein Heil. Wir sind die religio vera und die anderen sind Vertreter der religio falsa. Also wir sind die wahre Religion und die anderen sind falsche Religionen. Also mit dieser Haltung ist kein Dialog möglich. Aber es gibt in der Christenheit keinen Absolutheitsanspruch dieser Art. Es gibt allenfalls, wenn man das so formulieren will, einen Absolutheitsanspruch Jesu Christi. Also wenn Jesus im Johannes-Evangelium sagt, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich, dann ist das,

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wenn man das Wort verwenden will, ich finde es heikel, dann ist das ein Absolutheitsanspruch Jesu. Jesu sagt einmal in Matthäus 11, niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will. Das ist also die gleiche Aussage. Oder in der Apostelgeschichte 4 sagt Petrus mal, es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Völkern gesetzt, darin sie sollen selig werden als allein der Name Jesus. Also das ist ein Absolutheitsanspruch Jesu. Aber der Absolutheitsanspruch Jesu ist nicht ein Absolutheitsanspruch des Christentums. Das ist ein riesen Unterschied. Jesus sagt ja nicht, ich gebe euch die Wahrheit und ihr verwaltet jetzt die Wahrheit und ihr seid jetzt die Besitzer der Wahrheit.

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Nein, so etwas gibt es nicht, sondern Jesus sagt, ich bin die Wahrheit. Also diesen sogenannten Absolutheitsanspruch Jesu, der geht nicht ans Christentum und er geht nicht an die Kirche und nicht an die Christen. Innerhalb der Christen gibt es so viel Lug und Trug. Die Christenheit ist in sich so zerstritten, was die Christenheit in 2000 Jahren nicht alles schon gemacht hat. Es gibt ja fast kein Verbrechen, das die Kirche ausgelassen hat. Also Lüge und Wahrheit gehen mitten durchs Christentum hindurch. Wenn Jesus der entscheidende Maßstab ist, wenn Jesus die Wahrheit ist, dann ist es ein Maßstab, der auch dem Christentum gegenüber ein kritischer Maßstab ist. Also wir können nicht sagen,

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der Absolutheitsanspruch Jesu, den verwalten jetzt wir. Wir sind die absolute Wahrheit. Nein, Wahrheit und Lüge gehen vermutlich durch alle Religionen mitten durch, auch durch das Christentum. Also eine Sackgasse ist es zu sagen, wir sind die wahre Religion, wir Christen, wir Kirche haben einen Absolutheitsanspruch und ihr gehört nicht zu den wahren Religionen. Eine solche Haltung macht den Dialog vollkommen unmöglich. Er ist auch nicht berechtigt. Er steht den Christen nicht zu. Wir sind nicht die Verwalter der Wahrheit. Wir haben nicht die Wahrheit, sondern die Wahrheit hat uns. Es ist ein Unterschied. Wir glauben, dass die Wahrheit uns trägt, dass sie uns leitet.

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Aber wir haben nicht die Wahrheit und wir verwalten nicht die Wahrheit. Die Vorzugssackgasse in der indischen Religiosität ist eine Umarmungsstrategie. Ich habe sie oft erlebt bei hinduistisch oder buddhistisch geprägten Menschen, dass sie gesagt haben, Jesus, ja unbedingt, es war auch eine Manifestation der Wahrheit. Moses, ja unbedingt, es war auch eine Manifestation der Wahrheit. Und Mohammed, ja unbedingt, es war auch eine Manifestation der Wahrheit. Ist in unserer hinduistischen, vielgestaltigen, mystischen Erfahrung alles schon mit vorhanden. Also die haben gar keinen Exklusivanspruch oder Absolutheitsanspruch, aber sie haben auch einen dialogfeindlichen Anspruch. Dieser Anspruch ist gar nicht tolerant. Er ist nämlich sehr intolerant.

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Es ist eine Umarmungsstrategie im Sinne von, alles was du als Wahrheit erkannt hast, anerkenne ich sowieso, selbstverständlich auch, ist aber in unserer mystischen Einheitserfahrung, im Prinzip hat es hier auch seinen Platz. Also alle Religionen sind eigentlich in unserer mystischen Erfahrung, finden ihr ihr Recht und sind ihr eine Manifestation dieser universalen, mystischen Erfahrung. Da muss ich sagen, da fühle ich mich gar nicht ernst genommen. Ich verstehe mein Christsein und die Muslime, die ich kenne und die Juden, die ich kenne, verstehen ihr Muslime sein oder Jude sein nicht als eine Spielart innerhalb des Hinduismus, die dort immer schon auch gesehen und gewürdigt wurde.

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Da wird der Anspruch, auch dieser Exklusivitätsanspruch, der in den monotheistischen Religionen steckt, der wird hier unterlaufen und geleugnet. Also diese Umarmungsstrategie ist sehr intolerant. Sie achtet nicht das Selbstverständnis des anderen, sondern vereinnahmt ihn. Ich möchte bitteschön hinduistisch und buddhistisch nicht vereinnahmt werden. Bitteschön. Also diese Umarmungsstrategien führen zu nichts, sondern diese Religionsvertreter, wenn sie in diesem Fehler verfallen sind, darf man ja auch nicht pauschal sagen, sie müssen es lernen, das Selbstverständnis der monotheistischen Religionen zu achten

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und jetzt im Dialog nicht in Zweifel zu ziehen, sondern jeder darf von seiner Identität ausgehen. Dann gibt es noch einen dritten Fehler, eher in der westlichen Welt, in der religionswissenschaftlich pluralistischen Theorie, das sind relativistische Theorien, die werden der Sachlage auch nicht gerecht, die gehen ungefähr so. Was Wahrheit ist, wissen wir sowieso nicht, das werden wir auch nie rauskriegen. Wir werden zwischen den Religionen nie im Konsens objektiv feststellen können, was Wahrheit ist und was nicht. Also es lohnt sich nicht, die Wahrheitsfrage zu stellen, die kriegen wir sowieso nicht hin, also wir stellen gar nicht mehr die Wahrheitsfrage, sondern wir gehen davon aus,

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dass alle Religionen auf irgendeine Weise teilhaben an der mystischen, geheimnisvollen Ur-Erfahrung, die hinter allen Religionen steckt. Das ist eine in der religionswissenschaft relativ weit verbreitete relativistische Theorie, das ist auch eine Sackgasse, sondern die Wahrheitsfrage können wir nicht aufgeben. Ich bin zwar auch mit so gut wie allen Fachleuten, die ich kennengelernt habe, der Meinung, dass wir die Wahrheitsfrage vor dem Tod im Konsens auf objektive Kriterien wissenschaftlich nicht werden finden können, also inwieweit die Religion da 32 Prozent Wahrheit hat und die Religion so und so viel, das werden wir nicht finden,

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völlig klar, aber das heisst trotzdem nicht, dass man die Wahrheitsfrage einfach sagen kann, die stellen wir gar nicht mehr. Nein, wir müssen die Wahrheitsfrage stellen, denn zumindest in den monotheistischen Religionen gehört sie zur Identität, dass man die Wahrheitsfrage stellt. Die Wahrheit ist existenziell, essenziell wichtig und sie ist aber sehr schwer. Das heisst, ich komme dann im nächsten Kapitel dazu, wie kann der Dialog gelingen, der Dialog ist schwer, ich will ihn nicht leichter hinstellen als er ist und die Wahrheitsfrage ist der schwerste Teil im Dialog und man kann die Wahrheitsfrage nur so angehen, dass man nicht mit ihr beginnt, dann ist der Dialog sofort weg. Weil mit der Wahrheitsfrage anfangen, das heisst auch sofort mit den Unterschieden anfangen, dann kommt kein Dialog zustande.

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Also wenn du einen Dialog willst, überleg dir mal, ob du ihn überhaupt willst, aber wenn du den Dialog ernsthaft willst, musst erst ein näheres Kennenlernen, eine Atmosphäre des Vertrauens, musst du dir in kleinen Brötchen erwerben, das dauert seine Zeit, dass wir Vertrauen zueinander haben, kann aber, wir haben das erlebt, tiefes Vertrauen und dann vielleicht, wenn man sich zwei, drei, vier Jahre immer wieder getroffen hat, viel miteinander erlebt hat, gemeinsame Erfahrungen hat, dann nähern wir uns langsam der Wahrheitsfrage und je näher wir der Wahrheitsfrage kommen, desto tiefer muss die Freundschaft sein, denn unter Freunden kannst du dich über alles unterhalten,

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unter Feinden kannst du dich eigentlich über gar nichts unterhalten. Also je näher wir der schweren Wahrheitsfrage kommen, desto tiefer muss das Vertrauen und die Freundschaft sein. Das Vertrauen und die Freundschaft muss so tief sein, dass wir ruhig, sachlich miteinander darüber reden können, was halte ich für Wahrheit, vielleicht auch in deiner Religion, aber was halte ich auch nicht für Wahrheit und wo liegen die Unterschiede und wo liegen die Gegensätze zwischen uns. Wenn man so weit ist, dass man über die Gegensätze zwischen uns freundschaftlich und ruhig reden kann, dann hat der Dialog seine höchste Qualität erreicht.

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In diesen drei Jahren, wo ich also mit der Marmau-Universität und der 5. Universität in Rabat mit vielen Kollegen drei Jahre lang intensiv geredet habe, auch gemeinsame Wanderungen und gemeinsame Abendereignisse und immer wieder gesprochen habe, wir haben uns der Wahrheitsfrage ein Stück weit angenähert, aber wir haben sie nicht wirklich betreten. Wir haben beide gespürt, so weit sind wir noch nicht, weil für jeden geht es da um alles. Aber wir haben uns der Wahrheitsfrage, wenn unser wissenschaftliche Projekt auf sechs Jahre genehmigt worden wäre, aber wir haben nur drei Jahre 150.000 Euro bekommen, die wir in drei Jahren ausgeben konnten und mussten,

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war eben nur so ein Stück Weg möglich, aber es haben sich tiefe bleibende Freundschaften entwickelt, wo man sich gegenseitig raten kann, sich gegenseitig die Sorgen sagen kann, also man kann sehr weit kommen. Jetzt kommt das vierte Kapitel, wie der Dialog gelingen kann. Also ich habe angefangen, wir müssen den heutigen Kontext, die heutige Weltlage ernst nehmen und in der heutigen Weltlage sind alle Weltreligionen vital stark, keine der Weltreligionen ist abgeschwächelt und gestorben. Wir haben also keine Aussicht, sie in absehbarer Zeit aufzuheben durch Mission und deswegen, weil wir auch Nachbarn sind, wir müssen den Dialog lernen. Wenn der Dialog gelingen kann und er kann gelingen, ich habe es in dem wissenschaftlichen Projekt jahrelang erfahren

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und ich habe es auch zehn Jahre lang erfahren mit meiner türkischen Kollegin und auch mit dem Islamischen Zentrum in Tübingen, mit dem wir zehn Jahre lang, wir haben uns gegenseitig besucht, ich habe bei Mahmut auf dem Sofa im Wohnzimmer übernachtet, als er gesagt hat, komm Siggi, ist schon so spät, komm, leg dich auf mein Sofa, morgens kriegst du ein schönes Frühstück von mir, ein muslimischer Professor. Also so nahe sind wir uns gekommen, ich war dann beim Ramadan, ich war in so vielen Moschee-Gottesdiensten. Ich habe manchmal, wenn ich den Muezzin höre, weil ich habe ihn so oft gehört, darf ich euch einfach mal sagen, ich habe manchmal heimatliche Gefühle, wenn ich dann wieder mal den Muezzin beten und singen höre.

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So kann das Gefühlsleben sich verändern durch kostbare Freundschaften. Ich habe ein Zehn-Punkte-Programm, ist mir klar geworden durch diese jahrelangen Erfahrungen und diese Zehn-Punkte will ich jetzt mal der Reihe nach nennen. Ich glaube, dass wenn wir uns an diese Zehn-Punkte halten, so gut wir können, aufrichtig, dass die Chancen nicht schlecht sind. Aber es hängt von tausend Umständen ab. Wir hatten natürlich günstige Umstände, es waren Kollegen, es waren gebildete Menschen, sehr friedlich, sehr tolerant. Es gibt in jeder Religion, auch im Islam, auch im Christentum, sehr fanatisierte Gruppen, die überhaupt nicht tolerant sind. Und die ganze Terrorseite am Islam ist brandgefährlich.

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Ich halte eigentlich die ganze Reaktion der EU gegenüber dem IS viel zu zaghaft. Das sind schwerste Gefahren für den Weltfrieden, das sind ja Verbrecher. Ich habe mal meinen marokkanischen Delegationsleiter, mit dem ich auch ein sehr gutes Verhältnis habe, habe ich mal gefragt, was hältst denn du von diesen Selbstmordattentaten? Dann hat er mir gesagt, weißt du, ich habe mit diesen Selbstmordattentätern, ich habe mit diesen Verbrechern so wenig zu tun wie du mit Hexenverbrennungen. So wenig habe ich mit denen zu tun. Die machen ja auf Jahrzehnte den Islam kaputt, die können nicht mehr richtig schlafen, wegen diesen Verbrechern, die den Islam dermassen in den Dreck ziehen.

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Gut, also zehn Punkte. Der erste Punkt, die Reihenfolge ist jetzt nicht so wichtig, aber ich habe mir auch die Reihenfolge so ein bisschen überlegt. Erster Punkt, die ehrliche, bescheidene, realistische Erkenntnis, wir kennen uns zu wenig. Das ist das Hauptproblem, wir kennen uns zu wenig. Ich habe jetzt seit zehn Jahren zig muslimische Freundinnen und Freunde, viele muslimische Studentinnen haben sich bei mir ihre Sorgen ausgeredet und haben mir eine Studentin, schenkt mir ein Gebetsteppich, den sie selber gewebt hat. Also was ich an rührenden Dingen erlebt habe, je mehr wir uns erleben, dann schmelzen die Vorurteile wie Butter in der Sonne. In jedem Semester haben wir das erlebt, dass am Ende die Leute völlig anders gedacht haben,

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wie am Anfang, sowohl die Muslime als auch die Christen. Die haben beide ungefähr gleich starke Vorurteile vom anderen. Wenn man Muslime am Anfang fragt, was willst du denn so über das Christentum wissen oder was denkst du über das Christentum, für die ist also Christentum erstens mal Tannenbaum, das ist das Allerwichtigste. Also Christentum ist Tannenbaum. Zweitens, Christentum ist Osterhase und drittens, Christentum ist Kirchturm. Und wenn ich dann in einer ersten Sitzung sage, Leute, weder Tannenbaum noch Osterhase noch Kirchturm kommt in der Bibel vor, sind die völlig von der Rolle. Das halten die auch nicht für möglich. Und wenn sie so fragen, wir haben also immer die ersten Sitzungen, die Christen durften also ihre Fragen an den islamischen Glauben,

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an die muslimischen Studierenden richten und umgekehrt. Eine der ersten Fragen immer, die hat mich ja erst einmal umgehauen, stimmt das, dass die Christen sich nach dem Geschlechtsverkehr nicht waschen? Das ist eine der wichtigsten Fragen für Muslime an den christlichen Glauben. Und da merken sie, dass Hygienefragen, Waschungen im islamischen Glauben, die hundertfache Bedeutung haben wie bei uns. Herr Zimmer stimmt das. Ich habe zu einem Doktoranden gesagt, wäschst du dich nach dem Geschlechtsverkehr oder nicht? Und dann sagt er, ich muss mal nachdenken, das weiß ich gar nicht so genau. Also was da für Fragen kommen, unglaublich. Oder bei den Christen immer gleich Zwangsehe und solche Sachen.

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Wir hatten mal ein Jahr lang zwei marokkanische Studenten, die haben ein Stipendium gehabt für ein Jahr Studium in Ludwigsburg. Und die waren in diesen Seminaren, die haben alle das Fach Deutsch studiert in Rabat. Die konnten also ziemlich gut Deutsch, Marokkaner sind sehr sprachbegabt. Und der eine Student hat dann also wirklich mit einem gewissen Verzweiflung gesagt, also das Wort Zwangsehe habe ich in Marokko, ich bin 22 Jahre alt oder 24, ich habe das Wort nicht, habe ich noch nie gehört, was ist das? Und dann sind wieder unsere, die meinen Islam ist Zwangsehe. Zwangsehe ist ein Problem von bildungsfernen Patriarchen, die aus der Hintertürkei zu uns kommen und dann in ihrer bildungsfernen

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patriarchalischen Angst haben, dass die türkisch-muslimische Identität kaputt geht und dann zu so autoritären Mitteln greifen. In der Türkei selber ist das eigentlich kein Thema. Es ist auch hier, übrigens ich habe auch bei syrischen Christen, die genauso patriarchalisch sind, gibt es auch Vorfälle der Zwangsehe und gibt auch einen Ehrenmord, bei Ludwigsburg übrigens, von arameischen orientalischen Christen, wo der Bruder dann um der Ehre willen seine Schwester umgebracht hat. Das ist Orient, das ist Kultur der Ehre, ob das orientalische Christen sind oder Muslime, ich glaube, dass es bei den Christen viel weniger ausgeprägt ist. Sie haben auch mehr Westkontakte oder so.

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Also ich will nur sagen, wir kennen uns viel zu wenig, das sollte am Anfang stehen. Ich habe die Lausanne-Erklärung gelesen, eine evangelikale Erklärung über den Islam. Das geht gleich los, biblische Beurteilung des Islam. Also gleich die Wahrheitsfrage, biblische Beurteilung des Islam. Kein Satz, wir kennen uns zu wenig. Ich möchte mal den entschiedenen Christen, sind ja meine lieben Schwestern und Brüder, möchte ich mal sagen, auch bekehrte Christen haben Vorurteile. Ob du es glaubst oder nicht. Auch bekehrte, wiedergeborene Christen haben zahlreiche Vorurteile. Auch bekehrte, wiedergeborene, geistgetaufte Christen

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können tausend Vorurteile haben. Rechnest du damit? Oder neigst du eher zur Auffassung, ich bin bekehrt, also habe ich recht? Ich bin wiedergeboren, also vertrete ich die Wahrheit. Also auch wiedergeborene Christen können primitivste und schlimmste Vorurteile haben, aber sie rechnen bei sich selber leider nicht damit. Also wir kennen uns viel zu wenig. Je weniger wir uns kennen, desto schlimmer und härter sind die Vorurteile. Je mehr wir uns kennen, desto mehr schwinden die Vorurteile. Eine marokkanische Professorin, Malika, die zum ersten Mal mit Christen in Europa zu tun hatte. In Marokko gibt es keine Christen, höchstens französische Diplomaten.

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Aber von Geburt an in Marokko geboren, gibt es eigentlich keine Christen. Und die Malika, eine herrliche Frau, wenn man erst mal mit ihr Stocherkant fährt und einen Trommelkuss macht, dann tauchen die auf. Malika schreibt mir eine Mail, nachdem sie nach einer Woche Ludwigsburg wieder zurück ist, schreibt sie mir, lieber Sigi, die Hälfte meiner Vorurteile gegenüber dem Christentum ist mir irgendwie abhanden gekommen. Mal sehen, was aus der zweiten Hälfte wird. Solche Vorgänge greifen, wenn man sich tiefer kennenlernt. Wir haben in diesem wissenschaftlichen Projekt, Abdelmanek Ibarwi und ich, ich glaube, wir sind gemeinsam auf die kühne Idee gekommen, wir reden uns alle per Du und mit Vornamen an.

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Wir haben also alle türkischen Professoren, Professorinnen, gibt es auch. In Marokko gibt es sehr viele Theologie-Professorinnen. In Marokko gibt es Richterinnen, Düsenjäger, Pilotinnen. Gibt es Chefärztinnen, gibt es Ministerinnen und gibt es Theologie-Professorinnen. Der Islam in Marokko ist ziemlich anders als der in Saudi-Arabien. Ein marokkanischer Muslime hat gesagt, Sigi, in Saudi-Arabien würde ich es keine zwei Wochen aushalten. Das Hälscher im Kopf nicht aus. Das führt mich zum zweiten Punkt, wenn der Dialog gelingen soll, es gibt nicht das Christentum, es gibt nicht das Judentum und es gibt nicht den Islam.

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Was haben wir nicht allein im Christentum zwischen ganz rechts außen und ganz links außen, zwischen politisch engagierten fundamentalistischen Gruppen, liberalen Gruppen, alternativen Gruppen. Das Christentum ist nicht nur konfessionell ein großer Blumenstrauß. Innerhalb der konfessionellen Vielfalt, die theologischen Schulrichtungen. Also es gibt nicht das Christentum. Im Judentum, alle gegründet auf die Thora, gibt es einmal das ultra-orthodoxe Judentum. Diese Juden sind ja in der Regel an ihrer Kleidung schon erkennbar. Dann gibt es, typisch ist auch eben eine fundamentalistische Sicht der Thora und der Bibel und ein wörtliches Verständnis. Dann gibt es das orthodoxe Judentum, das zwar in Israel eine gewisse Dominanz hat, aber nicht im Weltjudentum.

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Dann gibt es das konservative Judentum und es gibt das Reformjudentum. Diese beiden Spielarten dominieren im Weltjudentum. Und fünftens, nicht zu vergessen, gibt es die säkularen Juden, die überhaupt nicht religiös sind, die Atheisten sind oder Sozialisten sind und eben kulturell Juden sind. Und das alles mit einer heiligen Schrift Thora. Oder wir Christen, wir haben die Bibel, aber die Bibel führt uns Christen nicht zur Einheit, sondern sie ist sozusagen der Mutterboden eines großen Blumenstraußes. Genauso im Koran. Es gibt die sunnitischen Muslime, die schiitischen Muslime, die alewittischen Muslime. Es gibt noch viel mehr Gruppen, es gibt die Thrusen, die Muslime gar nicht mehr so richtig anerkennen. Also alles gegründet auf der heiligen Schrift.

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Also wenn wir sagen, es gibt nicht das Christentum, es gibt nicht das Judentum und nicht den Islam, müssen wir gleichzeitig auch sagen, es gibt auch nicht die Interpretation der jeweiligen heiligen Schrift. Weil Sunniten, Schiiten und Alewiten legen den Koran sehr unterschiedlich aus. Und in der Bibel ist ja das Gleiche. Also es gibt nicht das den Islam. Es gibt diese brandgefährlichen Fanatiker, es gibt sozusagen den primitiven Islam. Und ich habe in diesem Jahr einen jungen Mann kennengelernt, der sich so bewegt vom Islam weg zum Christentum. Er hat es mir so erzählt, er hat die Evangelien gelesen und ist tief bewegt von Jesus. Ich denke, er wird sich so weiterentwickeln, ich weiß es nicht.

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Und er wurde jetzt auf offener Straße zusammengeschlagen von salafistischen Muslimen, weil die ihn als Verräter einstufen. Er kriegt Morddrohungen. Also die schlimmste Seite am Islam ist, dass sie Menschen, die den Islam verlassen und zu einer anderen Religion übertreten, mit härtesten Strafen wirklich bis hin zur Ermordung geht. Das ist natürlich eine furchtbare Seite. Die gab es in der Christenheit früher auch. Wir sind halt einfach auch schon wesentlich älter. Der Islam ist 700 Jahre jünger als wir. Er hat keinen 30-jährigen Krieg durchgemacht, wo sich Evangelische und Katholiken die Köpfe eingeschlagen haben, dass über die Hälfte der Bevölkerung von Europa tot war. Da hat man dann gemerkt, dass es so nicht geht. Und sie haben auch die Aufklärung nicht so erlebt wie wir.

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Dem Islam fehlen da bestimmte epochale Erfahrungen. Aber wichtig ist, kommen Sie nicht einfach mit dem Beispiel aus Saudi-Arabien. Ich war in Jordanien, da werden in Amman die christlichen Kirchen auf Staatskosten nachts angestrahlt. Das hört man in solchen Kreisen nicht. In Marokko war lange Zeit der Erziehungsminister ein Jude, war gar kein Muslime. Was ich in Marokko und Jordanien erlebt habe, ist ein sehr aufgeschlossener Islam. Wie gesagt, viele Theologie-Professorinnen, ich glaube eher mehr als bei uns. Wir können nicht gleich mit der Wahrheitsfrage beginnen. Auch Muslime, die keine Übung haben, sagen, das ist doch eine Dreieinigkeit, das ist doch Blödsinn.

75:08
Jesus ist bei ihnen Gott. Die haben, wenn sie keine Erfahrung haben, Muslime sofort in sekundenschnelle Dreieinigkeit und Jesus ist bei euch Gott. Und dann, wie soll man da einen Dialog führen? Man kann nicht mit der Wahrheitsfrage beginnen, man kann nicht mit den Unterschieden beginnen. Wir müssen uns da kultivieren. Es gibt nämlich erstaunlich tiefe Gemeinsamkeiten in meinem Vortrag Nummer zwei werde ich einen Text vorlesen, den ich selber geschrieben habe. So ungefähr zweieinhalb Seiten Text und jeder Satz in diesem Text wird von Juden bejaht, von Christen bejaht und von Muslime bejaht. Also ich habe in diesen zwei bis drei Seiten den gemeinsamen Vorrat an tiefen Überzeugungen.

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Das sind nicht Nebensächlichkeiten, das sind tiefe Basis Überzeugungen, die Juden, Christen und Muslime gemeinsam ist. Also wir haben starke Gemeinsamkeiten, nicht nur in der Ethik. Und lassen Sie die schlechten Beispiele erstmal weg. In Europa, die Muslime, die bei uns leben, sind weit überwiegend genauso friedlich wie wir. Es gibt in Europa den sogenannten Euro Islam, der sich freut, dass er in Europa lebt, der die parlamentarische Demokratie schätzt und der auf kreative Weise in Europa einen Islam aufbauen will, wie es ihn bisher noch nicht gegeben hat. Nämlich einen europäischen Islam im Rahmen der Mehrparteiendemokratie und des Parlamentarismus.

77:04
Solche muslimischen Vertreter gibt es zu Tausenden und diese Vertreter verdienen unsere Unterstützung. Wir sollen also auf die verständnisbereiten, toleranten, friedlichen Muslime, die weit über 90 Prozent in der Mehrheit sind, aktiv auf sie zugehen, damit die Hardliner nicht das Feld beherrschen. Wenn wir hier passiv und faul sind und den friedlichen, gebildeten, toleranten Muslimen nicht die Hand reichen, nicht entgegenkommen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn der Schuss nach hinten losgeht. Dann wundert euch nicht. Noch ist es an der Zeit, dass wir auf die Euro Islam Leute, die die Mehrheit bilden, klar auf sie zugehen und mit ihnen kooperieren.

78:05
Gut, also nicht mit der Wahrheitsfrage beginnen, sondern mit den Gemeinsamkeiten beginnen, die wir haben, dass Vertrauen und Freundschaft wachsen kann. Dann wir müssen unterscheiden zwischen einer plumpen Kritik und einer qualifizierten Kritik. Plumpe Kritik besteht darin, die Schwachpunkte einer gegnerischen Position, es gilt also für alle möglichen Fälle, aber auch für die Religionen, dass man sich die Schwachpunkte herauspickt. Zwanzehe und dann hau ihn drauf und diese Schwachpunkte so zusammenstellt, dass dann der andere, also das ist ja eine Karikatur, qualifizierte Kritik stellt sich den starken Punkten des anderen. Stell dich doch mal den starken Punkten, der Islam hat durchaus sehr starke Punkte, oder vergleiche nicht die Schwachpunkte des anderen mit deinen Stärken.

79:13
Wenn man also die Schwachpunkte des Islam mit den starken Punkten des christlichen Glaubens vergleicht, dann kann man sich ungefähr denken, was rauskommt. Du kannst auch nicht die Praxis einer anderen Religion mit der Theorie deiner eigenen vergleichen, sondern du musst schon deine Praxis mit der Praxis und die Theorie mit der Theorie vergleichen. Also mit einer heiligen Schrift, sagen wir mal, des Koran, so umgehen, dass man fünf Sätze kennt, manche kennen nur drei Sätze, schlag die Ungläubigen tot, das ist dann der Koran und das ist der Islam. Also wenn man mit einer heiligen Schrift so umgeht, dass man drei oder fünf Zitate hat, was meinen Sie, welche fünf Sätze man in der Bibel finden könnte?

80:09
Und wenn man die fünf Sätze zusammenstellt und dann sagt, das ist die Bibel, so kann man mit einer heiligen Schrift nicht umgehen. Wir brauchen in Zukunft viele Fachleute auch, die den Koran sehr umfassend studieren und sich ein faires, sachliches Urteil bilden. Nach den drei Jahren islamisch-christlicher Dialog mit vielen Fachleuten, arabischen Fachleuten, die ja den Koran natürlich auf Arabisch lesen, ist es völlig klar, es gibt im Koran keinen einzigen Satz, der Angriff und Gewalt gegen unschuldige Menschen rechtfertigt. Es gibt im Koran keinen Satz.

81:10
Das ist unter Fachleuten bekannt. Was es im Koran gibt, ist Selbstverteidigung in schwerster Gefahr. Zum Beispiel dieser Satz, schlag die Ungläubigen tot, völlig schlecht übersetzt. Er hat folgende Situation. Mohammed hat Mecca schon verlassen, war in Medina, aber viele Leute, die mit ihm nach Medina sind, hatten noch Liegenschaften, hatten noch Eigentum in Mecca. Sie mussten ja zum Teil unter Lebensgefahr Mecca verlassen und dann wurde Mohammed ja praktisch der Bürgermeister von Medina. Jesus war nie der Bürgermeister von Jerusalem, aber Mohammed war der Bürgermeister von Medina. Wenn Jesus der Bürgermeister von Manhattan oder von Jerusalem gewesen wäre, war er ja nicht, hat ja auch Gründe, aber da kommt man auf ganz andere Probleme.

82:08
Mohammed hat also sehr bewusst gesagt, ich möchte die Glaubensdimension und die politische Dimension beieinanderhalten. Ich will nicht, dass das so auseinanderbricht. Er war sozusagen der Oberbürgermeister von Medina. Und in der Funktion hat er mit Mecca nochmal verhandelt, dass eine größere Gruppe von Anhängern des Mohammed, also die Urmuslime, die waren ja auch eine winzige Minderheit, nochmal nach Mecca dürfen und da ihr Eigentum sicherstellen oder rüberholen. Und es wurde ihm von der Seite Mecca zugesichert. Jetzt sind da also 200, 300 Anhänger von Mohammed nach Mecca gegangen und wurden überfallen und es gab Tote. Also klarer Wortbruch. Und das heißt es nicht, schlag die Ungläubigen tot. Ungläubige sind da nicht die Christen oder Europäer,

83:07
sondern das sind die Araber in Mecca, die aber nicht Anhänger des Mohammed waren. Und dieser Satz heißt richtig übersetzt, ihr braucht euch nicht erschlagen zu lassen, ihr dürft euch verteidigen. So heißt dieser Satz. Und er übersetzt das und Christ schlag die Ungläubigen tot und es liest heute einer, der meint die Schwaben und die Deutschen, die sollen totgeschlagen werden. Nein, also man muss diese Sätze ganz aus ihrem Kontext verstehen. Es gibt im Koran keinen Satz, der Gewalt und Totschlag gegenüber unschuldigen Menschen rechtfertigt. Es gibt im Koran keinen einzigen Satz dieser Art. Das ist unter Fachleuten wohlbekannt. Also lassen Sie diese Verunglimpfungen und lesen Sie nicht in alten schlechten Übersetzungen.

84:08
Gut, also diese billige Kritik. Ich habe fünf Koranzitate und dann noch ein paar andere und das ist dann der Koran. So können Sie mit keiner Heiligenschrift umgehen. So kann man auch mit der Bibel nicht umgehen. Dann zu einem gelingenden Dialog gehört die Bereitschaft zur Selbstkritik. Ohne Selbstkritik ist kein Dialog möglich. Also selbst wenn du meinst, du Christ oder du Jude oder du Muslime, dass deine Heilige Schrift die beste ist. Das darfst du gerne glauben. Ich glaube auch, dass die Bibel die beste Heilige Schrift ist. Das glaube ich ehrlich. Aber das sagt noch lange nicht, dass du ein besserer Vertreter des Glaubens bist wie ich.

85:01
Nämlich selbst wenn deine Heilige Schrift die beste ist, kannst du selber eine trübe Tasse sein. Du nicht die Qualität der Heiligen Schrift auf dich übertritt. Deswegen kannst du ein ganz biederer, kleinkarierter Pinsel sein. Also Fähigkeit zur Selbstkritik, auch die eigene Geschichte. Jede Religion hat Fehler gemacht. Lassen wir mal die Heiligen Schriften. Aber die Zeit nach der Heiligen Schrift. In jeder Religion gibt es eine Schattenseite, sind Dinge misslungen. Bei uns die Kreuzzüge, die Hexenverbrennung 400 Jahre lang über 100.000 Frauen. Dann die Kinderarbeiter, Faschismus, die Sklavenarbeit, die Indianermission. Was hat eine Hass haben wir nicht alles auf dem Deckel. Also keine Schönfärberei der eigenen Geschichte und Schwarzmalerei der anderen Geschichte.

86:06
Ich habe zum Beispiel gelernt auf unseren Zusammenkünften, dass die arabischen Kollegen von Rabat noch gar keine Übung hatten im Dialog. Während die türkischen und arabischen Kollegen des Islamischen Zentrums in Tübingen die haben schon jahrelange Dialog-Erfahrung. Und jetzt gab es mal eine Situation, eine Kontroverse. Da waren vielleicht fünf Professoren aus Rabat zu meiner Rechten und vier oder fünf Professoren von Tübingen, auch Muslime, zu meiner Linken. Und dann habe ich die marokkanischen Kollegen zum ersten Mal, da waren die aber schon tagelang da, also so am vorletzten Tag, da habe ich gesagt, ich hätte jetzt aber auch mal eine kritische Frage an euch. Die haben schon ganz verschüchtert geguckt. Ich war der erste Mensch, der denen jetzt mal von aussen eine knallhart kritische Frage gestellt.

87:04
Ich habe gesagt, wenn der Koran so friedlich ist, wie ihr es jetzt auch gezeigt habt, es gibt so und so viele Stellen, wo Salam, der Friede, Islam, da steckt das Wort Salam, Schalom drin. Also sie haben sehr überzeugend nachgewiesen, wie friedensbereit der Koran ist. Und Mohammed war in den verstrittenen Parteien von Medina ein genialer Vermittler. Mohammed hat tatsächlich Frieden hingekriegt in einer völlig zerstrittenen Stadt. Der hat schon Mediatur-Talent gehabt. Also habe ich gesagt, wenn der Koran wirklich so friedlich ist, wie ihr es sagt, ich will das gerne glauben. Aber dann erklärt mir mal, warum schon zwei, drei Jahre nach Mohameds Tod die Omayaden über ganz Afrika mit Reiterei ganz Nordafrika überholt haben,

88:03
nach Spanien eingedrungen und im Jahr 732 kurz vor Paris durch Karl Martel in der Schlacht von Montiel gestoppt worden sind. Das ist ja ein Kriegerisch, ein Angriffskrieg auf unschuldige Menschen. Da saßen die da und hat einer gesagt, ja also im Koran steht, und hat wieder so ein Friedensvers vorgelesen. Und habe gemerkt, das hat jetzt keinen Wert, die sind das nicht gewohnt. Und jetzt meldet sich ein Professor von Tübingen und sagt, Herr Zimmer, darf ich Ihnen antworten. Meine Freunde und Kollegen aus Rabat kennen diese harte Dialogatmosphäre nicht. Sie fühlen sich dann feindlich angegriffen. Also aber ich möchte Ihnen das jetzt als einen Fachmann sagen, das ist tatsächlich ein Problem, hat er gesagt.

89:07
Das können wir muslimische Gelehrte nicht erklären. Das bedrückt mich selber auch. Es ist wirklich eine Diskrepanz. Zwei, drei Jahre nach Mohamets Tod fängt der aggressive Eroberungskrieg der Omayaden an. Aber Herr Zimmer, ich möchte Ihnen sagen, diese Reiterei wurde immer kasserniert. Sie durften sich nicht am Vermögen der Zivilbevölkerung behaupten. Die Leitenden der Militärmaschinerie haben darauf geachtet, dass kaum Kollatoralschäden entstehen. Diese Reiter waren streng kasserniert und jede private Ausbeute und Gewaltanwendung war verboten. Also immerhin, das ist jetzt der Versuch eines Arguments.

90:03
Auf so ein Argument wäre jetzt in Marokko, man hat wirklich gemerkt, die müssen das jetzt erst mal lernen. Gut, also Bereitschaft zur Selbstkritik. Verzichten wir auf Schönfärberei von uns und auf Schwarzfärberei der anderen. Dann möchte ich sagen, lesen wir erst positive Bücher über eine andere Religion, nicht gleich kritische. Also wer bei uns, sagen wir mal, eine Arbeit über den Islam oder islamisch-christlichen Theolog zu schreiben hatte, dem haben wir die Bücher verbindlich vorgegeben. Es gibt ein Lexikon des Dialogs im Köselverlag. Da haben 2030 christliche Theologen und 2030 muslimische Theologen gemeinsam daran gearbeitet. Jeder Artikel in diesem Lexikon ist von einem Christen geschrieben und von einem Muslimen geschrieben.

91:01
Solche Bücher können Sie verwenden. Oder lesen Sie das Buch, was jeder vom Islam wissen muss. Es ist ein gütersloher Taschenbuch, kostet vielleicht 10 Euro, was jeder vom Islam wissen muss. Haben christliche Theologen und muslimische Theologen gemeinsam erarbeitet, haben gegenseitig Korrektur gelesen und haben gemeinsam unterschrieben. Bei solchen Büchern können Sie sicher sein, dass Sie fair unterrichten. Oder lesen Sie von Anne-Marie Schimmel die bedeutendste Islam-Kennerin deutscher Sprache. Sie ist vor etlichen Jahren gestorben, im Alter von Anfang 80. Sie hat so arabisch können, dass ein Araber keinen Unterschied gemerkt hat. Sie liebte die islamische Religion, war aber selber Christin und ist es auch geblieben.

92:04
Aber lesen Sie von Anne-Marie Schimmel die Einführung in den Islam. Das ist eine liebenswerte, freundschaftlich gehaltene Erklärung des Islam. Fangen Sie bitte mit diesen Büchern an und nicht gleich mit Widerlegungen. Wenn zu mir, kann ich auch dieses Buch lesen? Nein, das können Sie mal zusätzlich lesen. Sie lesen bitte, wenn Sie hier an einer wissenschaftlichen Hochschule eine Seminararbeit schreiben wollen, lesen Sie bitte erstmal freundliche Bücher oder Bücher von Muslimen. Fangen Sie nicht gleich mit einer Widerlegung an. Und reden Sie nicht vorzugsweise mit Konvertiten, die den Islam verlassen haben. Eine schwäbische Studentin, die ich mir von Anfang an kaum vorstellen konnte, meldete sich und sagte mir,

93:03
Herr Zimmer, ich habe mich auch schon mal mit dem Islam beschäftigt. Ich war ein bisschen innerlich skeptisch und habe gesagt, Sie haben sich wirklich schon mit dem Islam beschäftigt, erzählen Sie mal, wie haben Sie das gemacht? Ja, ich war auf einem Wochenendseminar und da war ein ehemaliger Muslime, der Christ geworden ist und der hat dann den Islam erklärt. Dann habe ich zu diesem schwäbischen Nachwuchstalent gesagt, Sie haben sich also noch überhaupt nicht mit dem Islam beschäftigt. Sie wollten gleich mal eine Widerlegung. Unterhalten Sie sich jetzt zunächst mal nicht mit Konvertiten. Konvertiten sind auch geliebte Menschen, sind auch interessante Figuren, aber Sie können nicht vorzugsweise ein Konvertit, der den Islam verlässt, muss ja den Islam schlecht machen.

94:02
Er hat ihn ja verlassen und es gibt doch Millionen Menschen, die im Islam glücklich sind, zufrieden sind. Wenn Sie eine andere Religion kennenlernen wollen, reden Sie mit zufriedenen Mitgliedern dieses Glaubens oder mit glücklichen. Gibt doch genug, wir haben doch Millionen unter uns und nicht gleich mit Konvertiten. Was würden Sie sagen, wenn ein Muslime sagt, ich habe mich auch schon mit dem Christentum beschäftigt. Da war eine Tagung, da war mal einer, der war Christ, aber er ist Muslime geworden. Es werden übrigens in Deutschland mehr Deutsche, die Kirchenmitglieder waren, Muslime, als dass Muslime Christen werden. Der Übertritt zu Muslimen ist zahlreicher. An unserer PH war eine ungefähr 50-jährige Frau, eine aus Bayern, katholisch, die war Dozentin für muslimische Theologie.

95:01
Sie hat auch jetzt eine Doktorarbeit geschrieben. Sie ist heute, glaube ich, Professorin an einer bestimmten Universität. Und sie war also sich zum Islam übergetreten. Wir waren alle gute Freunde. Ich habe dann auf einer Wanderung durch den Schwarzwald gesagt, Erica, erzähl mir doch mal, du warst erst katholisch, ich nehme mal an, aber tiefere Erfahrungen hast du ja wohl nicht gemacht. Nein, habe ich nicht gemacht. Ich war halt so ein Mitläufer. Und dann habe ich einen muslimischen Mann geheiratet. Und dann bin ich selber, also bin nicht einfach übergetreten, und dann habe ich gesagt, also Erica, mich interessiert das wirklich ehrlich. Ich glaube dir, ich glaube, dass es so etwas gibt, dass man katholisch oder evangelisch aufgewachsen ist im Abendland und dann im Islam die ersten Gotteserfahrungen macht. Ich glaube, dass so etwas möglich ist.

96:02
Also erzähl mir mal. Und die hat mir, halbe Stunde, Stunde, sehr intim, sehr authentisch ihre Gotteserfahrungen, die sie zum ersten Mal im Islam gemacht hat, hat sie mir erzählt. Und ich muss sagen, und ich sage es gern, es hat mich total überzeugt. Das waren echte Gotteserfahrungen, die hat sie durch irgendwelche Umstände zum ersten Mal im Islam gemacht. Also so etwas gibt es auch, aber es gibt es auch andersrum. Also wenn Sie sich mit einer anderen Religion unterhalten, unterhalten Sie sich bitte mit glücklichen Vertretern und zufriedenen Vertretern. Und machen Sie nicht fast ausschließlich mit Konvertiten. Es gibt diese christlichen Strömungen, wo immer nur Konvertiten auftreten.

97:01
Das ist eine armselige, primitive Methode, die macht den Dialog kaputt. Das heisst nicht, dass Konvertiten auch unsere Achtung verdienen. Welche Konvertiten auch immer, die machen das ja auch nicht aus Jux und Tollerei. Also bei aller Wertschätzung. Aber es geht erst mal um die glücklichen Vertreter einer anderen Religion. Gut, und zum Schluss möchte ich sagen, der Dialog mit einer anderen Religion ist eine Kunst. Er ist eine Kunst, so wie die Malerei oder so wie wenn man Beethovens Viertes Klavierkonzert einstudiert. Oder wenn man ein guter Gitarrenlehrer oder Gitarist werden will. Einen Dialog zu führen mit einer anderen Religion ist eine Kunst.

98:05
Das heisst, es ist anspruchsvoll. Es dauert seine Zeit. Da gehen zwei, drei, vier Jahre auf jeden Fall ins Land. Und Sie werden wunderschöne Erfahrungen machen. Aber es ist auch anstrengend. Und deswegen will ich zum Schluss noch den zehnten Punkt sagen. Wenn Sie über eine andere Religion reden, erzählen Sie erst zwei positive Beispiele und dann ein negatives. Das haben wir uns zur Regel gemacht in unseren Begegnungen mit Marokkanern und Türken. Wir erzählen von der anderen Religion erst zwei positive Beispiele und dann darf man ein kritisches sagen. Aber nicht acht kritische hintereinander und das ist dann der Islam. Ich möchte deswegen drei positive Erfahrungen berichten, die ich gemacht habe.

99:06
Die eine ist die Hälfte meiner Vorurteile über das Christentum ist mir irgendwie abhanden gekommen. Mal sehen, was aus der zweiten Hälfte wird. Abdullah, Professor für Islamisches Recht an der Marmara Universität. Marmara ist so wie Oxford und Cambridge. In der theologischen Welt ist die Marmara Universität das, was bei uns Oxford und Cambridge ist. Und er war da Lehrstuhlinhaber für Islamisches Recht. Also der Mann war ein bedeutender Gelehrter der muslimischen Welt. Und er schreibt mir also ein E-Mail. Lieber Sigi, er war eine Woche in Ludwigsburg und wir waren auch eine Woche in Istanbul.

100:02
Lieber Sigi, immer wenn ich aufwache, dauert es ein oder zwei Minuten und dann fällt mir ein, ich habe jetzt einen christlichen Kollegen als Freund. Und das verändert mein gesamtes Lebensgefühl. Abdullah, Lehrstuhlinhaber für Koranisches Recht, 60 Jahre alt, ein weltberühmter Gelehrter, sagt Lieber Sigi, immer wenn ich aufwache, brauche ich ein oder zwei Minuten und dann fällt mir ein, dass ich jetzt einen christlichen Kollegen als Freund habe. Und das verändert mein gesamtes Lebensgefühl. Ich habe den ersten christlichen Vortrag gehalten an der Mohammed der fünften Universität in Rabat, in einem großen Audimax.

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Hunderte von Studenten, Diplomanten, Doktoranden und Professoren vor mir und ein arabischer Dolmetscher neben mir. Und ich habe in diesem Vortrag gesagt, wenn ihr euch mit einer anderen Religion beschäftigt, lest erst positive Bücher von Autoren dieser Religion, lest wertvolle Bücher, faire Bücher, alles andere könnt ihr dann mal zusätzlich lesen. Und dann habe ich eine Inspiration gekriegt und habe auf einmal innegehalten und habe ihn noch sehen können. Ich habe die muslimischen Studierenden vor mir gesehen und dann habe ich auf einmal gesagt, aber wisst ihr, wenn ich euch so vor mir sehe, ihr seid doch viel schöner als alle Bücher. Und der Dolmetscher hat gesagt, was soll ich sagen, weil das stand gar nicht im Manuskript.

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Und dann habe ich gesagt, das sollst du jetzt bitte sagen. Und dann habe ich noch einmal gesagt, wenn ich euch so vor mir sehe, ihr seid doch viel schöner als alle Bücher. Dann hat er es gesagt und ich werde in meinem Leben niemals das Leuchten vergessen, das über diese Gesichter ging. Ich werde es niemals vergessen. Dann ging ich raus zum Parkplatz, wo der Omnibus stand und ein junger Mann, vielleicht 30, 35 Jahre alt, es muss ein Berber gewesen sein, weil der hatte keine Hosen, sondern so Umhänge, in Marokko leben viele Berber. Ich habe später dann gehört, das war irgendein Doktorand oder so, ist mir nachgerannt und hat mich kurz vorm Omnibus eingeholt. Er hat mich, küsst mir auf den Kopf, ich habe dann später gehört, das Zeichen tiefster Ehrerbietung.

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Er hat mir meinen Kopf so runtergedrückt und auf den Kopf geküsst und er hat mir ins Ohr geflüstert. Nunu vero dans l'eternité. Wir werden uns in der Ewigkeit wiedersehen. Und darauf warte ich, dass ich ihn in der Ewigkeit wiedersehe. Also bringen Sie erst zwei gute Beispiele und dann ein schlechtes. Der Dialog ist eine Kunst. Er erfordert Geduld, Bescheidenheit, Ausdauer. Er geht in die Jahre. Es ist nicht leichter, als ein guter Gitarrist zu werden. Der religiöse Dialog ist nicht leichter.

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Der Dialog der Religionen in einer bedrohten Welt (1) | 9.11.1

Worthaus Pop-Up 2019 – Heidelberg: 30. Dezember 2019 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Die Menschheit ist bedroht. Nicht nur durch den Klimawandel oder die Machtspiele zwischen Atommächten. Auch jene, die sich eigentlich Höherem verschrieben haben, die ihren Blick auf das Göttliche und die Ewigkeit richten, drohen die Menschheit zu ersticken. Aus Sicht der westlichen Welt stehen sich vor allem Islam und Christentum feindselig gegenüber, in anderen Teilen der Welt sind es etwa Buddhisten und Muslime oder Judentum und Islam. Dabei sind wir doch alle miteinander verbunden, beeinflussen einander mehr denn je in der Geschichte der Menschheit. Wie wichtig es daher ist, dass Menschen aller Religionen miteinander in Dialog treten, das betont Siegfried Zimmer immer wieder. Er selber hat sich kaum für den Islam interessiert bis er schon über 50 war. Seitdem hat sich einiges geändert. Und nun weiß Zimmer, worauf es zu achten gilt, wenn Menschen verschiedenen Glaubens aufeinander treffen, wie man Vorurteile ausräumt und wie sehr ein Mensch strahlt, wenn er einen Menschen Freund nennen darf, obwohl der einer anderen Religion angehört.