Video
Audio Als MP3 herunterladen
Text Als PDF herunterladen

00:00
Ich stelle Ihnen heute das Hohelied vor und eine der Fragen war ja, warum das überhaupt gelesen wird oder gelesen werden sollte. Und ich habe die Studierende mal so befragt und viele sagen, sie lesen das, weil sie denken, dass es viel mit Gott zu tun hat und zwar vor allem mit der Liebe von Gott. Und zwar nur damit. Andere lesen es genau als Gegenteil, weil es hätte nur was zu tun mit der Liebe von Menschen. Also gar nichts mit Gott, sondern nur die Liebe von Menschen. Und ich denke, es ist ein grundsätzliches Missverständnis, denn im alten Testament und im alten Orient gibt es überhaupt gar keinen gottesfreien Raum. Der ist immer da. Ob man also im Palast oder in der Höhle sitzt, Gott ist immer da und deswegen gibt es eben auch diese Alternative nicht. Wenn es um Liebe geht, ist Gott immer da. Es gibt also keinen gottesfreien Raum und weil das so ist und weil das auch jeder gewusst

01:06
hat damals, muss Gott nicht extra vermeldet werden. Denn es wird immer wieder gesagt, in dem Buch wird der Name Gottes und Gott überhaupt nicht erwähnt. Stimmt. Braucht man auch nicht, denn man erwartet hier was Falsches. Genauso gut könnte man sich auch daran stoßen, dass im Buch nicht steht, dass die Liebenden Sauerstoff atmen. Das weiß jeder, dann schreibe ich es auch nicht hin. Und genauso ist es eben auch mit der Erwähnung von Gott. Brauche ich nicht, ist eh da. Die Struktur der Vorlesung heute ist also, ich erzähle ein bisschen was über den Inhalt und den Aufbau, die bekannten W-Fragen, das sind die Einleitungsfragen, wer, wann, wo, wie und warum. Dann kommen die Schwächen und Stärken des Buches, die Bedeutung für den christlichen Glauben, der theologische Ertrag, die Relevanz, warum sollte man es eben tatsächlich heute im 21. Jahrhundert noch lesen?

02:06
Wir fangen mit dem Inhalt an. Der Anfang, da steht es eigentlich schon drin, es ist das Lied der Lieder und Luther hat es deswegen ja mit Hohelied übersetzt. Die erste Zeile spricht es Salomo als Verfasser zu und die Exegeten sagen ihm, die Zuschreibung ist sekundär, die ist später dazugekommen und zwar herausgesponnen aus 1. Könige 5 Vers 12, nachdem Salomo also 3000 Sprüche und 1005 Lieder komponiert haben soll. Das heißt, hier gäbe es also tatsächlich einen echten Bedarf, ein Lied von Salomo zu haben. In der Folge im Buch spielt er aber gar keine Rolle, sondern es geht um eine Frau und um einen Mann, die einander lieben. Es ist also ganz sicherlich nicht so was wie ein Lied des Salomo oder sein Hochzeitslied mit irgendeiner Prinzessin, wie immer wieder mal diskutiert wird, denn er wird nie direkt

03:05
angesprochen, sondern es wird nur über ihn in der dritten Person gesprochen. Inhaltlich geht es also um die Liebe. Und wenn Sie das so lesen, dann merken Sie, dass der liebende Mann und die liebende Frau sich gegeneinander ansingen, also nicht miteinander singen, sondern die singen sich gegenseitig an. Das ist wie im Musical. Wenn Sie heute nach Hamburg fahren zum Musical, dann singen Sie sich ja auch an und es gibt ab und zu mal ein Duett. Aber genau das gibt es im Hohelied dann halt nicht. Was es auch gibt, auch wie im Musical, ist ein Chor. Der Chor begleitet die beiden Solisten und unterstützt mit dem, was er singt, dann letzten Endes das, was der Solist oder die Solistin gerade gesungen hat. Der Aufbau, den kann man dann eben danach auch gliedern, wer gerade singt oder spricht. Das fängt eigentlich nach der Überschrift mit der Frau und dem Mann an, die im Wechsel singen, im Wechsel, also nicht im Duett, im Wechsel.

04:07
Dann kommen die Lieder der Frau mit dem Chor im Wechsel. Das heißt, die sind dann auch eine Einheit. Dann singt der Mann alleine und da sehen viele die Mitte des Buches in Kapitel 5, Vers 1, wo er dann eben singt Freunde es zum Trinkt werdet betrunken an Liebe. Dann singt wieder die Frau mit dem Chor, dann singt der Mann mit dem Chor, dann singt die Frau alleine und dann die Frau im Chor und dann wieder Mann und Frau im Wechsel. Wenn man diese Wechselspiele genauer anguckt, dann ist eben 5, 1 der Vers, den ich zitiert habe, das Zentrum und drumrum geht das total symmetrisch im Sprecherwechsel. Dieser Aufbau nach Sprecherwechsel des gesamten Buches ist wahrscheinlich, aber nicht unumstritten. Manche sagen auch, das ist total assoziativ. Also die reden einfach mehr oder weniger miteinander in der Assoziationskette. Der eine nimmt die Rede des anderen Stück weit auf und die Komposition hat das dann

05:08
letzten Endes als Assoziationskette umgesetzt. Was man also heute in der Xegese macht, ist manche untersuchen die einzelnen Lieder und manche die gesamte Komposition und versuchen herauszufinden, was die Komposition über die Lieder oder mit den Liedern macht. Dazu kommen wir auch nochmal, wenn es um die Entstehungsgeschichte geht. Jetzt kommen wir zu den W-Fragen, die gehe ich jetzt einfach der Reihe nach durch. Die erste Frage ist, wer? Wer sind die Liebenden? Salomo ist es schon mal nicht, habe ich schon gesagt. Er wird der Geliebte genannt oder auch König. Sie ist die Freundin, die Braut, die Schwester und sie wird auch Schlomid genannt. Das heißt, es sind fiktive Personen. Und wenn Sie bedenken, dass er Salomo genannt wird, also Schlomo und sie Schlomid, dann sind das, wenn Sie hören, dass schon das gleiche Wort, da steht Schalom drin, Friede, Wohlstand,

06:09
Wohlergehen. Und er ist so die männliche Fassung und sie die weibliche. Das ist genau das gleiche Wort, was im Namen benutzt wird. Das sind Programmnamen. Das sind keine echten Personen. Das sind Programmnamen. Also Herr und Frau Wohlstand und Herr und Frau Wohlergehen singen sich also gegeneinander an und sind also total ineinander verschossen. Und das ist natürlich etwas, was es im Alten Orient öfter gibt. Man nennt das eben dann die altorientalische Liebeslyrik, in der es auch ganz üblich ist, dass die Liebenden sich Geschwister nennen. Das wäre jetzt heutzutage komisch, wenn einer sich Bruder und Schwester nennt und die sollten eigentlich ein Liebespaar sein. Dann würde man sofort an Inzest denken und solche wüsten Sachen. Und dabei geht es hier also ganz sicherlich darum nicht. Geschwister ist einfach im Kontext des Alten Orient die, wie soll ich sagen, die intensivste

07:07
mögliche Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Und das Besondere ist eben, Sie können es ja mal versuchen, man kann sich nicht scheiden lassen. Geschwister bleibt man ewig. Geschwister bleibt man ewig. Auch wenn man den Bruder oder die Schwester von Grund auf nicht ausstehen kann und endlose Konflikte hatte. Loswerden ist nicht drin. Und genau das ist eben der Punkt bei der Anrede Geschwister. Die beiden werden einander nicht los und zwar nie und wollen das auch gar nicht. Und das heißt, wir haben hier keinen One-Night-Stand. Es geht wirklich um eine dauerhafte Beziehung und nicht darum, dass Sie sich gegenseitig in diesen Reden wahnsinnig scharf machen und am nächsten Tag ist alles vorbei. Auf gar keinen Fall. Die bleiben beieinander und zwar lebenslang. Diese Liebe ist ein Lebensentwurf. Das ist wirklich kein One-Night-Stand. Es geht hier auch nicht, wie manche Kollegen denken, um Ebenbürtigkeit, Schwester und Bruder.

08:08
Denn Bruder und Schwester waren im Alten Orient niemals nie gleich sortiert und ebenbürtig. Der Bruder hatte immer über die Schwester zu bestimmen. Also das ist ganz sicherlich keine Ebenbürtigkeit. Nein, es geht um Dauerhaftigkeit, eine unauflösliche Beziehung. Und genau die besteht zwischen Bruder und Schwester. Die Wo-Frage. Wann und wo ist das Ganze geschrieben worden? Die Sammlung ist so, wie sie ist, wahrscheinlich im dritten Jahrhundert vor Christus geschrieben worden. Dafür sprechen also viele einzelne Details, die die Exegeten ihnen erklären können in langen Vorträgen. Ich halte es hier eher kurz. Seine Sache ist zum Beispiel, dass wir hier Lehnenworte haben und Lehnenworte aus dem griechischen und aus dem persischen Bereich. Da denkt man dann tatsächlich an die Zeit, in der in Palästina eben die Perser und die Griechen auch waren. Also damit man auch eine Chance hat, das zu lernen.

09:05
Manche verorten, dass sie in Alexandria, also in Ägypten, entstanden, weil es so ein bisschen ägyptisches Lokalkolorit hat. Andere denken eher an Jerusalem, gerade eben wegen der Fiktion von Salomo oder den Töchtern Jerusalems, die als Chor fungieren. Also von daher gibt es unterschiedliche Theorien. Also ich selber denke eher, dass wir uns an Jerusalem zu orientieren haben. Die Sprache ist schwierig. Also unsere Studenten leiden schwer, wenn sie übersetzen sollen. Das Hebräisch ist wirklich schwierig. Es ist ein spätes Hebräisch. Wenn man Iverit kannte, das heutige Hebräisch, hat man echte Vorteile. Es geht dann deutlich einfacher. Es ist eine sehr beisheitliche Sprache und es kommen sehr viele Metaphern vor, auf die ich auch noch kommen werde. Und diese Metaphern haben ja auch eine ganz exotische Begriffe zum Teil. Die hat man nicht im Grundwortschatz, also ist schon sehr speziell. Durch die Königsfiktion, also das Salomo, der immer wieder angesprochen wird, kommt auch noch eine Atmosphäre rein, die extrem luxuriös ist.

10:11
Es ist von Senften die Rede, von Palästen, von Elfenbeinen, von noblen Steinen, Edelsteinen. Das ist also alles hier. Die beiden sind echte Luxusgeschöpfe. Das kann man nicht anders sagen. Es ist also ganz sicherlich nicht Bauer und Bäuerin, um die es hier geht, sondern da sind einfach so luxuriöse Themen dabei. Das wusste ja kein Mensch, als Bauer wie Elfenbein ausschaut. Das weiß ja heutzutage schon kaum noch einer. Ja, wir haben noch die Frage nach dem Wie zu beantworten. Der Konsens, habe ich schon angedeutet, ist, dass wir einzelne Lieder hatten, die irgendwann von jemandem im dritten Jahrhundert vor Christus zusammen komponiert worden sind. Wie gesagt, entweder nach Sprecherwechsel sortiert oder nach Assoziation. Das muss man sich halt dann überlegen. Dazwischen könnten noch Teilsammlungen gestanden haben.

11:06
Alles das ist also sehr, sehr stark umstritten. Und von daher will ich sie damit gar nicht länger aufhalten. Denn am Ende kann man sowohl die einzelnen Lieder betrachten als auch die gesamte Komposition. Und letzten Endes geht es immer um Liebe. Und insofern ist das jetzt gar nicht so schwierig, glaube ich, darüber nachzudenken. Ich sagte ja schon, die Zuweisung zu Salomo ist später entstanden. Das war natürlich auch deswegen notwendig. Da komme ich auch noch dazu, damit das ganze Ding kanonisiert wird. Dem gibt das eine bestimmte Autorität. Wenn Salomo hier eben der Autor des Buches sein soll, hat es natürlich eine höhere Autorität, als wenn es einfach ein Unbekannter geschrieben haben sollte. Aber wahrscheinlich ist es eben genau der Fall. Und das Wort Schier, also Lied, das ist eben etwas, was eine Klassifikation abgibt. Das Ganze will als Lied verstanden werden und zwar eben als das größtmögliche Lied überhaupt.

12:11
Und darum eben hat Luther das mit hohe Lied eigentlich schon ganz gut getroffen. Über die Noten, wenn ich Ihnen das vorspielen sollte, wissen wir gar nichts. Also da gibt es nichts. Und insofern wissen wir eben tatsächlich gar nicht, ob das jetzt wirklich mal so richtig aufgeführt worden ist, was man ja könnte. Ich habe ja schon den Vergleich mit Musical gezogen. Das wäre also absolut möglich, da draußen Musical zu machen. Überhaupt gar kein Problem. Jetzt ist eben, ich habe schon angedeutet, die Frage nach dem Kanon. Das ist immer so eine Sache. Warum kommt so ein Buch tatsächlich in den Kanon? Und es war auch nicht unumstritten. Das muss man klar sagen. Im antiken Judentum schon hat man sich also schon gefragt, ob sowas eigentlich unter die Heiligen Schriften kommen muss. Aber es gab verschiedene Rabbiner, vor allem der berühmte Rabbi Akiba, der also sehr begeistert war vom hohen Lied und der eben sagte,

13:10
das musste also hundertprozentig mit rein. Der Punkt war natürlich der, wie man es versteht. Die erste Frage, mein Anfang, Menschenliebe oder Gottesliebe? Und die Rabbiner haben es natürlich dann auf Gottesliebe bezogen. Das heißt also, hier hatte man eine allegorische Interpretation auf Gott und die Menschen, in dem Fall Israel bezogen, diese große Liebe, die hier gefeiert wird. Und es ist dann auch immer so klar gegendert, dass der Liebende ist also immer Gott und die Liebende ist also dann Israel oder im christlichen Verständnis dann eben die Kirche, also eigentlich immer die schwächere Partnerin. In der hebräischen Bibel gehört das hohe Lied zu den sogenannten Megilot. Das sind die Festrollen zusammen mit den Büchern Ruth, Klagelieder, Prediger und Ester. Und da wird es dann dem Pascha Fest zugeordnet.

14:07
Das hat wieder mit der Allegorie zu tun, dass hier faktisch Gott, der Gott des Exodus mit seinem befreiten Volk als Braut in dem Zusammenhang zu verstehen ist. Also auch da nochmal die sogenannte allegorische Interpretation. Was genau es jetzt eben ist. Also ist es jetzt tatsächlich so eine literarische Komposition oder ist das jetzt echte Hochzeitslieder? Also hat das echt mal irgendjemand bei der Hochzeit gesungen? Das ist die Frage in der Exegese nach dem Sitz im Leben. Hat dann irgendjemand das irgendwann auch mal wirklich gesungen? Die Forscher suchen nach Parallelen. Im Buch steht ja nichts. Da steht einfach nur Lieder Lieder, Salomon und dann geht's los. Die Forschung versucht es mit zwei verschiedenen Ansätzen zu verstehen, was das Buch eigentlich will. Und der erste Ansatz fängt außerbiblisch an. Man sucht also außerbiblische Parallelen, wo vielleicht auch noch so was vorkommt.

15:08
Und der zweite Ansatz sucht innerbiblische Parallelen. Ich nenne Ihnen jetzt einfach mal, was es da so gibt. Also außerbiblische Parallelen. Das hat man schon im 19. oder sogar schon im 18. Jahrhundert festgestellt. Gibt es jede Menge, indem es nämlich Liebeslieder gibt, die zum Beispiel in Mesopotamien von Göttern sprechen. Die Heilige Hochzeit ist das Stichwort dafür, dass ein Gott und eine Göttin feiern die Heilige Hochzeit, die jedes Jahr in einem kultischen Ritual ganz groß performiert wird, bei dem dann die Vorstellung ist, dass die Vereinigung dieser beiden Gottheiten die Fruchtbarkeit und den Bestand der Welt ein weiteres Jahr absichert. Das ist schon seit dem dritten Jahrtausend vor Christus belegt. Also da sind zum hohen Lied über zweieinhalbtausend Jahre Distanz.

16:04
Das ist schon schon ein Stück, würde ich denken. Aber die Heilige Hochzeit war echt ein ganz prominentes Motiv, was tatsächlich auch bis in die hellenistische Zeit performiert wurde. Also insofern, das sind so religiöse Strukturen, die also dreitausend Jahre Bestand haben, wo man das Christentum jetzt gerade noch in der Mitte irgendwo verortet. Also es muss noch tausend Jahre halten. Sonst sind die anderen auf jeden Fall stabiler gewesen. Ja, dann gibt es in Ägypten auch Parallelen. Dort ist es allerdings eher eine profane Liebeslyrik zwischen König und Königin. Wobei da ist natürlich das Trickreiche, dass bei den Ägyptern Pharao und Pharaonin sind ja Götter. Also von daher ist das mit den Profanen nicht so ganz richtig, weil die sind ja vergöttlicht. Und dann ist das, was sie natürlich dann im Schlafzimmer treiben, auch eine heilige Hochzeit. Also das muss man schon sagen, auch wenn es faktisch echte Menschen sind.

17:03
In dem Fall nämlich Pharaonin, die ja auch oft noch seine Schwester war. Das war ja in Ägypten gar nicht unüblich, die Geschwister und in dem Fall echt Inzestie. Der Sitz im Leben wäre dann der Hof. Im ersten Fall, in Mesopotamin, wäre es halt der Tempel und der Kult. Dann dürfen wir auch die Griechen nicht vergessen. Auch die Griechen kennen solche Sachen. Zum Beispiel die sogenannte Bukolik nennt sich das. Das ist ein Terminus, der muss man sich nicht merken. Es geht darum, dass ein idealisiertes Hirten und Bauernleben hier vorgespielt wird, wo Bauern und Hirten also auf dem freien Feld miteinander in Liebe begegnen. Und zwar deutlich offener und mit mehr gesellschaftlicher Toleranz als im normalen Ehebetrieb. Das heißt also, diese Hirtenspiele und Bauernspiele, die haben eine ganze Literaturgattung hervorgebracht ab dem siebten Jahrhundert v. Chr. in Griechenland. Und das könnte es natürlich auch ein Stück weit sein.

18:07
Und auch da wäre der Kontext unseres Hohe Lieds dann eher der Hof, wo man so was vorgespielt hat. Sie kennen das vielleicht auch aus Versailles. In Versailles hat man ja auch, als die Franzosen gerade unter dem Sonnenkönig haben, ja auch so Hirtenspiele da in Versailles gemacht, wo das dann auch so war, wo sich der König verkleidet hat als Hirte und dann eben auf sehr hohem Niveau seinen Hofdarm nachgestellt hat. Auch eine Möglichkeit. Und so gibt es Kollegen, die hier eben als hellenistische, an hellenistische Kontexte denken oder sogar als hellenistische Ägypten, wo wir dann eben einen Gegenentwurf hätten aus jüdischer Perspektive gegen die Alexandrhenische Dichterschule, die wir auch kennen unter dem Namen von Theokrit oder Apollonius von Rodos, die eben dann tatsächlich hier auch gedichtet haben. Und dann wären die Liebenden wirklich Menschen. Und insofern wäre es aber dann niemals nie irgendwo gesungen worden, auch gar nicht bei einer Hochzeit, sondern es wäre reine Literatur.

19:10
Und das heißt ein Schreibtischwerk. Ja, die außerbiblischen Argumente, da kann ich noch viele anfügen. Vielleicht ist noch Herder interessant, in dessen Gefolge auch noch andere gewandelt sind, die nämlich einfach die ethnologischen Studien mal beigezogen haben. Also nach dem Motto, welche Stämme auf dieser Erde haben so was wie Liebeslyrik? Und da wurde man auch in Palästina, finde ich, also im 18. 19. Jahrhundert hat man auch zu Hochzeiten Liebeslyrik rezitiert. Und dann hätte man auch wieder die Liebenden als entsprechende Menschen. Das heißt, das wäre dann eine echte Hochzeit. Und man hätte dann auch sehr romantische Argumente mit hinein, die dann sozusagen das noch stärker präzisieren, dass das also etwas ist, was die Hochzeitsnacht begleitet.

20:04
Also dann wären wir sozusagen im Kontext von Ehe oder dem kurz davor, weil die ja jetzt letzten Endes die Ehe dann in der Hochzeitsnacht vollziehen. Das heißt, die Deutungen schauen nach Mesopotamien, Ägypten oder Griechenland oder eben nach Palästina im 19. und 20. Jahrhundert. Da ist natürlich auch ziemlich große Distanz dazu, um zu verstehen, was für ein Text das hohe Lied war und ob es hier wirklich um Menschen oder Götter geht. Aber ich sagte Ihnen am Anfang, ich selber finde die Alternative völlig sinnlos. Wir kommen zu innerbiblischen Argumenten und das ist jetzt auch eher so mein Ding, denn tatsächlich ist das hohe Lied ein Buch, was man glaubt, es eigentlich kaum, aber mit dem anderen Kanon Teilen ganz, ganz eng verknüpft ist. Zum Beispiel Kollege Hagedorn ist der Ansicht, dass es ein Gegenentwurf ist gegen Kohelet, also den Prediger Salomos, der mit seiner Depression die Welt ja ordentlich langweilt. Und deswegen hätten wir auf diese Art und Weise einen sehr positiven Lebensentwurf, der einen dann wieder ins Leben zurückholt.

21:11
Eine andere Idee wäre von Kollegin Brenner, die ist feministisch unterwegs und ihrer Ansicht nach handelt es sich um Gegenentwurf gegen diese prophetischen Visionen von der Ehe Gottes mit seinem Volk, wo er dann aber das Volk immer abstraft, weil das Ehebuch betreibt. Also man denkt an Mosier 1 bis 3 oder an das Ezehlchelbuch. Also letzten Endes auch da ein Buch, hohe Lied als Buch, was sowieso Depressionen, Aggressions und antifeministische Entwürfe aushebelt, um hier einfach mal wieder alles ein bisschen gerade zu rücken. Ihr Frau Fischer, Kollegin aus Graz, hat eigentlich einen wichtigen Weg eingeschlagen meiner Ansicht nach, indem sie sagte, es handelt sich hier um eine Aufnahme, eine Wiederaufnahme von Genesis 2 und 3. Und das ist genau der Ansatz, den ich dann auch weiter verfolgen würde und verfolgt habe und deswegen auf jeden Fall sagen würde und ich will Ihnen auch noch ein paar Beispiele zeigen, wo also wirklich unser Buch mit Genesis 2 und 3

22:15
im Dialog steht und zwar in einem Dialog, der schon auch einen Gegenentwurf bringt, aber nicht notwendigerweise so richtig als Gegenentwurf, sondern und das ist so mein Weg, es ist eine Utopie. Hohe Lied als Utopie, eine Utopie, wie die Geschlechter miteinander umgehen können und man muss natürlich, wenn man eine Utopie entwirft, an dem Punkt ansetzen, wo es gerade ist. Ja, und das ist natürlich im Alten Testament und im Alten Orient eine sehr patriarchale Gesellschaft, ganz klar, aber diese Utopie, wie das hohe Lied das entwirft, will eben tatsächlich ansagen, dass die Liebe es schafft, dass ein Mann und eine Frau zu jeder Zeit in dem Moment, in dem sie sich lieben, sich wieder zurück verwandeln können in Mann und Frau vor dem Sündenfall. Vor dem Sündenfall.

23:13
Das ist ganz wichtig. Das ist sozusagen die Deadline, hinter der alles anders geworden ist zwischen Mann und Frau. Aber vor dem Sündenfall war eben diese Beziehung zwischen beiden auf Augenhöhe. Und eben ganz und gar anders qualifiziert, als es hinterher der Fall war. Das heißt, die Liebe schafft es, den Sündenfall auf Null zu setzen. Und das ist das, was ich denke, was wir hier vor uns haben. Ja, das werde ich Ihnen auch noch ein bisschen genauer ausführen. Jetzt kommen wir also nochmal zu einem kurzen Fazit. Also was und wozu haben wir vor uns? Also wir haben hier tatsächlich etwas vor uns, was am Schreibtisch entstanden ist. So würde ich das zusammenfassen. Und zwar von einem Menschen, egal ob Mann oder Frau, werden wir nicht wieder herausfinden. Aber ein Mensch, der das Alte Testament sehr, sehr gut gekannt hat.

24:09
Der wusste das, was da in Genesis steht in 2 und 3. Und er wusste auch, was über Salomo so alles erzählt wurde. Und er hat eben daher sehr viele intertextuellen Beziehungen aufgebaut. Zum Beispiel nochmal Salomo. Ich erinnere an erster Könige 11, Herr Streich, zitiere. Er hatte 700 pürstliche Frauen und 300 Nebenfrauen. Das ist natürlich eine prominente Zahl. Und es ist natürlich schon richtig, dass diese Frauengeschichten vielleicht auch ein bisschen Musik brauchen. Also von daher wäre das etwas. Und daran wird natürlich angeknüpft. Es wird aber auch an die Königin von Saber angeknüpft, die ja sehr luxuriös daherkommt im Königebuch und also mit Reichtümern kommt. Und was sie ja macht, es wird ja eigentlich nichts Erotisches erzählt in dem im Königebuch über Königin von Saber und Salomo. Aber sie bewundert ihn ja total.

25:05
Und es gibt ja keinen Mann, der das nicht liebt. Also insofern ist diese rückhaltlose Bewunderung von der Königin für Salomo eine echte Männer Phantasie. Und es ist natürlich durchaus etwas, was so eine leichte erotische Stimmung erzeugt, die wir in vielen Hollywood Filmen ja auch bewundern können, wo das verfilmt worden ist. Ich glaube auch mit Gina Lollobrigida als Königin von Saber und so. Ja, und da ist natürlich ganz wichtig, dass sie Dekolleté hat. Dann kommen wir zu Genesis 2 und 3 als intertextuelle Beziehung. Wie Genesis 2 und 3 versteht das Hohelied den Menschen als ein von Gott geschaffenes Wesen, der die Welt bebauen und genießen soll. Auch vor dem Sündenfall mussten die zwei Menschen da drin arbeiten. Es ist immer eine Illusion zu denken, dass sie da bloß rumhängen.

26:00
Die müssen da echt arbeiten, aber ohne Mühe. Das ist der Punkt. Wie in Genesis 2 Vers 20 bis 24 gehört die Liebe zwischen Mann und Frau zu den wesentlichen Lebensgenüssen. Und genau wie in Genesis 2 und 3 spielt dem Hohelied Ehe und Nachwuchsproduktion überhaupt keine Rolle. Es geht überhaupt nicht darum, dass sie heiraten, irgendeine amtliche verträgliche Vertragsregelung treffen und auch nicht darum, dass sie groß auf Kinder aus sind, sondern die sind einfach nur auf sich bezogen. Wenn die Liebenden sich dann im Hohelied im Garten begegnen, dann ist der Garten des Paradieses natürlich mit gemeint, an den man sich durch die Liebe faktisch hinbiemt, faktisch hintransportiert von einer Sekunde auf die nächste, egal wo man also gerade wirklich ist. Und wenn die Liebenden, was sie im Hohelied ja tun, ihre Körper preisen, indem sie sie wirklich in nackter Form vor sich haben, also der nackte Körper wird ja beschrieben,

27:05
dann wird hier über Nacktheit gesprochen, ohne dass irgendwie Scham im Blick ist. Das ist noch die Nacktheit vor der Scham und das ist die Nacktheit vor dem Sündenfall, ganz eindeutig. Genesis 3, da wird es ja dann problematisch, dann verlassen wir ja die Paradiesgeschichte und werden zu einer Fluchgeschichte, Sündenfluch, weil die ja dann bekanntlich den Sündenfall begehen und dann ja auch noch die Frau dabei die Initiative hat und die Strafsprüche kommen. Die Strafsprüche, von denen man ganz eindeutig sehen kann, dass sie im Hohelied aufgenommen und umgedreht werden. Zum Beispiel im Hohelied Kapitel 7 Vers 11, nimmt direkt auf Genesis 3,16 Bezug, ich zitiere Genesis 3,16, wo tatsächlich es heißt, dass die Frau eben sagt, dass oder der Frau zugesagt wird,

28:06
dass also ihr Begehren nach ihrem Mann sein wird, aber er wird über sie herrschen oder er wird über sie herrschen und im Hohelied heißt es eben, ich gehöre meinem Geliebten und auf mich richtet er sein Verlangen. Da ist von Herrschaft überhaupt keine Rede, sondern sie eignet sich ihm zu und er wiederum hat nach ihr Verlangen, also es ist eben gar nicht so wie im Genesis, wo sie nach ihm Verlangen hat, aber nichts kommt außer Herrschaft und hier wird es umgedreht. Also sie sehen tatsächlich in dem Fall, dass die beiden sich eben gerade nicht so begegnen, wie es Genesis 3,16 will, sondern wie es eigentlich vorher war, die sind aufeinander bezogen. Das Hohelied weiß, wie die Urgeschichte auch, dass menschliches Leben begrenzt ist, das ist völlig klar. Der Tod entsteht aber als Ergebnis des Sündenfalles, gehört ja damit hinein, dass das Leben verkürzt wird und im Hohelied ist es so, dass es ja tatsächlich auch heißt, dass die Liebe faktisch auch den Tod überwinden kann.

29:13
Also auch da haben wir etwas, wo die Liebe drüber wegkommt. Ja, die Liebenden werden also durch die Liebe zurückversetzt in den Paradiesgarten vor dem Sündenfall. Die Wirkungsgeschichte hat daraus eben dann vor allem eine Allegorie gemacht, also ein Stilmittel, bei dem man eben einen abstrakten Sachverhalt durch ein ganz komplexes Bild darstellen kann. Und in dieser Allegorie haben wir dann in der christlichen Auslegung, hatte ich ja auch schon gesagt, dass Gott oder Christus als der Bräutigam und die Braut ist dann eben die Kirche oder eben Maria. Und in dieser Wirkungsgeschichte steht zum Teil auch Johann Sebastian Bach, da ich aus Leipzig komme und das ja die Stadt von Johann Sebastian Bach ist, muss ich das natürlich mal auch so sagen, dass er auch zwei Kantaten über dieses Buch gedichtet hat oder komponiert hat.

30:11
Ich gehe und suche mit Verlangen oder wacht auf, ruft uns die Stimme, also die werden zum Trinitatis, für Trinitatis waren die gedacht, Sonntag nach Trinitatis, 27. Sonntag nach Trinitatis. Also Bach hat also auch schon diese Brautmystik damit intoniert und das war natürlich im 18. Jahrhundert auch so die gängige Exegese, die das so wollte. Ich habe noch ein paar Wirkungsgeschichten mitgebracht, zum Beispiel neuerdings die Amerikaner sehen das Hohe Lied als Paradigma für ehrliche Treue meines Erachtens völliger Schwachsinn. Ehe spielt null Rolle in dem ganzen Buch, ob die verheiratet sind oder nicht, kommt überhaupt nie vor. Und dann eben noch so ein Quatsch von einem Herrn Böhr 1999, noch gar nicht so lange, der hat es ein Manifest biblischer Pornografie genannt.

31:02
Und dann hat ein Harry Rowold ein Hörbuch gemacht im Jahr 2000, wo er aus dem Zitat Schweinischen Stellen aus dem Alten Testament vorließt, die Schweinischen Stellen aus dem Alten Testament und er liest dann einfach das Hohe Lied vor. Das ist natürlich alles, ich sagte es schon, ziemlicher Quatsch, es geht ja überhaupt nicht um Pornografie, um One-Night-Stands oder Schweinische Dinge, sondern es geht also wirklich um eine dauerhafte Beziehung, basierend auf Liebe und Erotik und um einen Lebensentwurf. Es ist eine Schrift, die ganz eindeutig in den Kanon gehört, weil sie einfach auch eine Weiterentwicklung von Genesis 2,3 ist, eine Utopie, über die man sich überlegen kann, dass sie den Vorteil hat. Viele Utopien rechnen ja damit, dass sich das in ferner Zukunft realisiert, irgendwann am Endgericht, wenn das Gute und das Böse miteinander kämpfen und dann irgendwann das Gute siegt oder so, sondern das ist eine Utopie, die jederzeit möglich ist.

32:10
Immer dann, wenn sich zwei lieben, zack, sind sie weg aus dem Genesis 3 Orbit und wieder zurück im Genesis 2 Orbit. Und das ist natürlich eine Utopie, die sehr, sehr viel möglich macht, bei der man nicht warten muss auf irgendwann, sondern es ist eben gleich möglich. Und das ist natürlich was ganz anderes. Zum historischen und kulturellen Kontext möchte ich Ihnen ein paar Metaphern vorstellen, denn das Hohelied ist voll mit Metaphern, weil die tatsächlich einfach notwendig sind, um die Begeisterung auszudrücken, die die beiden füreinander haben. Manchmal hat man ja fast den Eindruck, denen fehlen ja die Worte. Die sind ja so voneinander begeistert, dass sie also die ganze Natur, die ganze Schöpfung, die ganze Welt in ihre Sprache mit reinnehmen. Und deswegen ist das mit dem Hebräisch auch so kritisch, was ich vorhin sagte, weil das sind nicht so die Worte, mit denen man auf der Straße spricht, sondern das ist schon echte Literatur und Dichtung.

33:09
Das ist was ganz anderes. Ich denke also, wir sollten uns ein bisschen auf die Metaphorik einlassen, die hier gegeben ist. Diese Metaphorik geht auch von mehreren ganz wichtigen Regeln aus. Und das ist, die möchte ich nur mal ganz kurz benennen. Das erste ist, der menschliche Leib wird uneingeschränkt positiv gesehen. Wir sind alle so ein bisschen in diesem griechischen Denken aufgewachsen, dass der Leib und die Seele zu trennen sind und die Seele lebt weiter und der Leib, der vermodert. Und überhaupt, dass der Leib so will, das ist alles ganz blöd. Der will essen, trinken und muss aufs Klo. Das sind alles so Sachen, die sind sehr, sehr griechisch. Das geht hier überhaupt, das geht total an der alttestamentlichen Sicht des Körpers vorbei, der sehr, sehr ganzheitlich immer positiv gesehen wird. Das heißt, es ist für das alte Testament eine ganz klare Sache, wie mein Kollege Christian Frevel das formuliert hat, sehr treffend,

34:09
dass der Mensch nicht einen Körper hat, sondern Körper ist. Und deswegen geht es nicht, dass man die voneinander trennt. Und das heißt, so was wie Abstinenz, Askese oder Leibfeindlichkeit haben überhaupt keinen Sinn für das alte Testament. Das ist totaler Quatsch. Das ist Selbstschädigung, sonst gar nichts. Und deswegen gehört die Sexualität auf jeden Fall damit rein. Liebe ist deswegen etwas, was auch sehr körperlich ist. Also eine rein geistige Liebe gibt es da auch nicht so wirklich, sondern ist es etwas, was auch immer eine körperliche Reaktion hat. Heutzutage würde man sagen, psychosomatischer Zusammenhang. Das weiß das alte Testament schon lange, dass das nicht untereinander geht. Dafür braucht man keinen Psychos. Mann und Frau vor dem Sündenfall sind sich also polar und komplementär zugewandt.

35:05
Und beides sind Gottes Ebenbild. Genesis 1,27 gilt echt für beide und beide haben eben den Vermehrungs- und Herrschaftsauftrag. Die Scham, die gesagt und die Nacktheit als Problem kommt erst als Folge des Sündenfalls in das Verhältnis mit hinein. Vorher war das alles noch völlig okay und beide haben aufeinander verlangen und aneinander Spaß und eben nicht so, dass der eine den anderen mag oder will. Und der andere dann ihm das faktisch als deswegen dominiert oder so. Das ist alles überhaupt nicht der richtige Punkt. Ja, und so haben wir das hohe Lied hier also als etwas, was wirklich ein Programm für Mann und Frau als Verhältnis auf Augenhöhe hat, als dauerhaftes Verhältnis. Ich sagte schon als Lebensentwurf.

36:00
Es geht um Erotik und das auch auszuleben. Die leben das wirklich aus in allen Variationen. Es geht auf gar keinen Fall darum, dass sie das sich irgendwie verkneifen müssen, um damit höhere geistige Niveaus oder was zu erreichen. Das ist alles totaler Unsinn. Es geht so, wie es ist und es soll so sein, wie es ist. Das ist das Wichtige. Dazu kommt auch ein rauschhaftes Element, also dass sie sollen sich aneinander berauschen, was ich vorhin zitiert habe 5.1. Das Rauschafte gilt da jedenfalls als Teil dieser Liebesgeschichte. Und es hat ein performatives Element. Diese Liebe hat was Öffentliches, denn der Chor, der immer wieder vorkommt, bezeugt ja, was da gerade los ist. Also die sind ja eben gerade nicht irgendwo im geheimen Kämmerchen, sondern die leben diese Liebe aus und die wollen das alle sehen. Das ist eine sehr, sehr öffentliche Angelegenheit. Und ein weiterer Aspekt, den ich noch ansprechen möchte, ist das magische Element. Das kommt ja auch mit rein, dass sie sich gegeneinander oder miteinander verzaubern.

37:05
Die erreichen also ganz neue Möglichkeiten, die wir hier haben. Wichtig ist, das Ganze findet in der Natur statt. Also die beiden sind in der Natur im Garten und sie reden mit Tieren. Hirsch und alle möglichen anderen sollen ja auch bezeugen, was sich da gerade zwischen ihnen tut. Das heißt, sie sind voll und ganz integriert in die Natur und die Natur ist faktisch ihr Zuhause. Ihre Liebe wird deswegen gerne als Garten mit verschiedenen Früchten beschrieben. Der weibliche Körper wird als Lebensbaum beschrieben. Es geht um Blumen und Schminke und Salben. Also es soll alle Sinne ansprechen, nicht nur, dass man immer guckt, sondern es riecht auch. Es fühlt sich toll an. Es gibt eigentlich keinen Sinn, der nicht angesprochen wird, der durch die Liebe beschwingt und berauscht wird. Und Honig, Milch und Wein spielen natürlich eine große Rolle und dass man miteinander isst und trinkt eben alles, was Körper halt so glücklich macht.

38:08
Und dann kommt noch die Metaphorik der Tauben. Ich komme jetzt erst mal zum Garten. Ein kurzes Zitat, weil so präsent ist das ja vielleicht nicht. Hohelied 4, Vers 12. Der Mann singt also ein verschlossener Garten ist meine Schwester, meine Braut, ein verschlossener Garten, eine versiegelte Quelle. Also er vergleicht sie mit einem Garten und nennt das auch gleich Pardes, Paradies. Das ist im nächsten Vers. Sie sehen schon, wir sind schon wieder in der Gegend von Genesis 2, 3, wo wir uns in einem Garten und zwar im Gottesgarten bewegen. Und er sagt jetzt also, was für verschiedene Pflanzen in diesem Garten wachsen, Granat, Apfelbäume und Henna und Nade und Safran und Würzröhr und Zimt.

39:01
Das ja bekanntlich alles super gut riecht. Also hier ist sehr, sehr viel möglich. Und dann sagt er, wach auf Nordwind und komm Südwind. Da sehen Sie schon, er kann über den Wind den Wind gebieten. Also die Natur holt er in seine Rede mit Nein und sagt eben, wach auf Nordwind und komm Südwind. Las duften meinen Garten und strömen seine Öle. Weil der Wind, wenn er durch den Garten fegt, dann trägt er ja den Geruch auch weiter und auch die anderen haben was davon. Also nicht nur die im Garten, sondern auch die drumherum. Da sehen Sie schon, dass sie lieber auch andere Leute, die einfach nur zugucken, so beeindrucken und so tatsächlich begeistern kann, dass die vielleicht auch auf die Idee kommen. Vielleicht könnte mich ja vielleicht auch verlieben, dann habe ich das ja auch. Und insofern ist das also etwas, was durchaus eben für andere auch eine Inspiration sein soll. Und so kommt es dann zu 5.1. Ich wiederhole es eben nochmal, weil es, denke ich, wirklich der zentrale Vers ist.

40:04
Ich komme in meinen Garten und meine Schwester, meine Braut ist also sie für ihn. Ich pflücke meine Mürren samt Balsam, esse meinen Honig und trinke meinen Wein samt meiner Milch. Da sehen Sie alles, was richtig toll ist, wenn man es dann isst und trinkt und dann eben der berühmte Satz, ess, Freunde und trinkt und berauscht euch, berauscht euch an der Liebe. Es geht also auch wirklich darum, dass man ihm das nachmacht. Er will das nicht alleine. Er will das schon auch, damit seine Freunde dabei sind. Ja, einer anderer, Sie sehen, die Garten-Metaphorik ist sehr, sehr stark im Ruhelied, ist eigentlich die stärkste und ist auch der stärkste Bezug in den Paradiesgarten von Genesis 2 und 3, wo ja auch sehr viele Bäume vor dem Sündenfall einfach wachsen und Früchte bringen, ohne dass da sehr viel Mühe dahinter steckt. Das wird ja eben erst eine Folge des Strafspruches nach dem Sündenfall und dass das alles ganz fantastisch riechen kann mit all diesen schönen Sachen, die da wachsen.

41:08
Das gehört halt mit dazu in diese Fiktion, dass man sich in einen Paradiesgarten zurück transportieren kann, wenn man eben liebt. Ganz interessant ist auch die Taubensymbolik. Die Taubensymbolik kommt zum Beispiel rein, wenn er, der Bräutigam, sagt, also siehe, du bist schön, meine Freundin, du bist schön und deine Augen sind Tauben. Ja, Tauben sind ja heutzutage nicht so die beliebtesten aller Tiere. Wir hatten es ja schon davon, dass sie eher die Ratten der Lüfte genannt werden. Und wenn sie also vielleicht so als Mann zu ihrer Freundin sagen, deine Augen sind Tauben, dann riskieren sie unter Umständen einen ordentlichen Anpfiff, weil das eigentlich nicht so das Tier ist mit der allerhöchsten Sympathie. Tatsächlich ist die Tauben-Metaphorik etwas, was auf die Götterhochzeit zurückgeht, wo eben die Göttin, wenn sie bereit ist, ihren göttlichen Partner zu empfangen,

42:11
in Bett, also wirklich für die Liebesnacht, dann schickt sie ihm ein Botentier und dieses Botentier ist im alten Orient traditionell die Taube. Wenn sie also, wenn der Mann also sagt, deine Augen sind Tauben, dann sieht er bei ihr, dass sie signalisiert, ja, du kannst gerne kommen, heute Abend ist alles perfekt. Also das ist letzten Endes die Botschaft dahinter, dass sie ihn damit einlädt und wirklich sich darauf freut, dass er also jetzt zur erotischen Begegnung zu ihr kommt. Das ist eine echte Aufforderung. Es kommt dann auch nochmal die Tauben in Rolid Kapitel 5 Vers 2 vor. Da ist sie das dann aber. Eine weitere Metaphorik, die wirklich wichtig ist, die beiden schreiten über Berge.

43:05
Wer schreitet über Berge? Götter, niemand anders sonst. Götter schreiten über Berge, die beiden schreiten über Berge. In Rolid 2,8, horch mein Geliebter, er springt über die Berge und hüpft über die Hügel. Da kommt wen Gott zu ihr, wenn sie schon die Taube loslässt, sondern natürlich hier über den Berg kommt, ist ja klar. Oder eben umgedreht. Sie mit mir von Libanon, meine Braut mit mir von Libanon sollst du kommen, herabsteigen vom Gipfel des Amaner. Auch da, sie schreitet auch, sie ist auch eine Göttin. Also sie schreitet auch über Berge. Das sieht man schon, das ist sehr speziell. Sie ist eine echte Himmelserscheinung und wird eben mit Morgenröte verglichen mit der Glut der Sonne. Also sie ist also auch tatsächlich eine echte Himmelserscheinung. Auch das ist eigentlich etwas, was Göttinnen sind. Also er sieht in ihr schon längst keine normale Frau mehr, sondern also eine wirklich strahlende,

44:02
lichtstrahlende Figur, die eben über Berge hüpfen kann. Und umgedreht geht es genauso. Beschreibungslieder gibt es dann eben auch noch. Das sind diese bekannten Lieder, wo er oder sie den jeweils anderen nackt beschreiben. Und zwar tatsächlich nach Schönheitsidealen, die im alten Orient schlicht gegolten haben. Das ist ganz interessant, wenn man mal schaut, welche Schönheitsideale haben die Leute denn so gehabt? Wie sieht denn der ideale Mann aus? Wie sieht die ideale Frau aus? Wenn Sie nach den Beschreibungsliedern gehen, können Sie jemanden malen, der so ausschaut. Oder Sie gucken im Internet, ob Sie einen finden, der so ausschaut. Und das ist tatsächlich dann natürlich schon sehr häufig ein Model. Das muss man schon so sagen. Normale Menschfrauen wie Mann sehen selten so aus, denn die Körper werden als total perfekt geschildert. Und das ist ein anderes Thema, die sogenannte Theomorphie. Denn auch Götter, Theos ist ja der Gott, haben eine Gestalt im alten Orient, im alten Testament ja auch.

45:07
Und die ist ideal. Und das heißt, was wir hier haben, diese beiden total idealen Körper, sind also eigentlich Götterkörper-Beschreibungen, perfekte Menschen. Zum Beispiel Hohelie, Kapitel 4, Vers 1 bis 7, er beschreibt sie. Also das Ideal des weiblichen Körpers. Interessant ist immer die Richtung. Es fährt oben angefangen, bei den Augen, es geht runter. Allerdings nicht bis ganz runter, sondern er hört auf bei den Brüsten. Also das heißt eigentlich, wie gesagt, die Sache mit Kindern spielt da nicht so die Rolle, denn sonst wäre ja durchaus interessant, ob es untenrum weitergeht. Aber nein, mit den Brüsten hört er letzten Endes auf. Und da heißt es eben auch wieder deine Augen leuchten wie Tauben hinter dem Schleier hervor. Und das Leuchten von Augen ist eben hier ganz, ganz wichtig. Die Farbe ist es eigentlich gar nicht so, aber das Leuchten, also der Glanz, glanzvolle Augen sind ganz wichtig.

46:05
Dann kommt eben volles Haar, denn Haar ist wie eine Herde Ziegen. Alle Zähne sollten drin sein. Das war im alten Orient durchaus ein Problem, weil die Zahnmedizin hat Fortschritte gemacht. Also insofern ist schon klar, also hier steht jeder Zahn hat seinen Zwilling, keinem fehlt er, keiner fehlt. Da hat es schon so seinen Anlass, dass das so steht. Dann kommen die Lippen, die sollen natürlich gerade und rot sein. Und der Hals soll groß, auch gerade und möglichst lang sein. Und dann kommen eben die beiden Brüste, die mit Kitz verglichen werden, Zwillinge der Garzelle, die in den Lilien weiden. Und kein Makel ist an ihr, ist wirklich die perfekte Frau. Ganz klar, es gibt noch mal ein Beschreibungslied von ihm über sie. Da fängt es umgedreht an mit den Schritten und geht dann hoch bis zum Kopf.

47:05
Und auch da hat man den Eindruck über den Schoß kommt es eben nur, dass er eine runde Schale ist. Und dann geht es hüpft gleich wieder zu den Brüsten und dann wieder hoch bis zu den vollen Haaren natürlich. Umgedreht ist es übrigens genauso. Auch sie beschreibt logischerweise ihn. In dem Fall sind wir in Holid 5, Vers 10 bis 16. Und sie beschreibt ihn auch von oben nach unten, fängt mit den Haaren an. Die Locken sind Dattelrisplen und schwarz wie der Rabe. Also schwarze Locken sind hier das Ideal. Auch er hat Augen wie Tauben, ist ja klar, weil er muss sie ja genauso begehren wie sie ihn. Also er muss auch Botenvögel schicken, wenn er so weit ist. Und dann kommen eben auch die Wangen und die Arme. Hier geht es dann zu den Armen als Rollen mit Türkis besetzt. Also sehr luxuriös.

48:02
Ein Kunstwerk aus Elfenbein, so wird er also geschildert. Und sein Leib und seine Schenkel wie Säulen aus Alabaster, also lauter noble Materialien. Und auch er ist logischerweise ohne Makel. Wenn wir das zusammenbauen zu einer Art Barbie-Puppe mit Ken, dann haben wir beim Hohelid, also die leuchtenden Augen der Frau sind wichtig, ihre Locken, die makellose Zahnreihe, die gerade Nase, rote Lippen, ein rundliches Kinn, ein langer weißer Hals, tralle taubenartige Brüste und ein runder Schoß. Aber sie muss gerade gewachsen sein, gerade wie eine Palme. Und genau das Ähnliche trifft eigentlich auch für ihn zu. Er muss auch gerade gewachsen sein. Sein Leib hat eine weiße und rote Farbe. Auch er braucht unbedingt volle Haare, also schwarzes lockiges Haupthaar.

49:02
Auch seine Augen sollen spiegeln und seine Zähne müssen vollständig sein. Er soll einen Bart haben, insofern also auch noch mal eine klare Ansage und eine hohe und mächtige Gestalt. Damit sehen Sie, dass dieses Schönheitsideal relativ traditionell ist. Es ist auf jeden Fall so, dass Männer mit Glatze keine Chance haben bei ihr. Das geht schon gar nicht. Auch kein dicker Bauch und auch keine kleine Zwuckel, sondern alles Hochgewachsen sein. Auch bei ihr ist das faktisch so, dass sie eine wallende Mähne haben soll und glänzende Augen, also durchaus vom Schönheitsideal etwas, gerade was auch so diese Ebenmäßigkeit als Ideal betrifft, die wir ja auch wirklich dauernd in den Schönheitsidealen sehen, die uns in den Medien so vorgesetzt werden. So soll Mann, so soll Frau idealerweise aussehen. Das sind total traditionelle Schönheitsideale,

50:01
die wir aus dem Orient sehr gut kennen von der sogenannten Physiognomik. Das war eine Wissenschaft und auch ein Orakelwesen, bei dem man aus dem Aussehen von Männern und von Frauen etwas über ihren Charakter aussagen wollte und über ihr Schicksal. Also sozusagen hat eine Hakennase, hat einen schlechten Charakter, hat eine gerade Nase, hat einen guten Charakter. Das geht aus verschiedenen Literaturen hervor, die wir aus Mesopotamien haben und auch aus Griechenland, wo das ganz wichtig war. Und wir werden lachen, wo sogar in der Neuzeit es Untersuchungen und Publikationen gibt, die versuchen, aus der Physiognomik eines Menschen, besonders aus dem Gesichtsausdruck, etwas über seinen Charakter abzuleiten. Das ist natürlich so ganz, man ist mal so hin- und hergerissen, aber zum einen denkt man, das ist total fies. Nur weil einer eine krumme Nase hat, muss man nicht sagen,

51:01
er ist ein Verbrecher, das ist ja Quatsch. Aber es ist schon so, dass man auch sagen kann, zumindest ab 50 hat jeder das Gesicht, das er verdient. Man sieht schon, hat er Lachfalten, hat er wohl doch viel gelacht. Manche Leute haben ja den Mundwinkel so runtergezogen, denkt man, na ja, das ist so ein Sauertopf vom Charakter her. Man macht das schon immer ein bisschen mit. Die Frage ist, in welchem Umfang, das ist schon richtig. Was man dem Orient auch gemacht hat, war eine Prognose über die Zukunft des Menschen. Das ist etwas, was die moderne Physiognomik des 18., 19., 20. Jahrhunderts nicht macht. Über die Zukunft kann man in der Sache nichts sagen. Wobei auch das trickreich, weil das hat eine gewisse Schnittmenge zur Medizin. Manche körperliche Augenfarben können ja durchaus auch diagnostisch was aussagen. Wenn die Augen, das weiße, nicht weiß ist, sondern gelb, dann ist es halt gelb so. Da braucht man jetzt auch so speziell nicht ausgebildet zu sein.

52:02
Aber solche Sachen können auch schon Hinweise geben. Im alten Orient war es auf jeden Fall so, dass es Spezialisten gab, die einen Mann, eine Frau von oben nach unten taxiert haben und gesagt haben, da, da, da, da. D.h., erstens, Charakter ist so und so. Zweitens, Gesundheit ist so und so. Also wird vor allem gebären können oder auch nicht, war für Frauen eine wichtige Sache. Und wird eine gute Ehefrau werden. Und beim Mann wird ein guter Beamter werden oder macht eine Revolution, ist ein fieser Charakter, wird den König ermorden. Also solche Sachen kommen da halt mit rein. Und insofern ist der Hintergrund dieser Ideale durchaus so, dass da ganz viel dranhängt im sozialen Feld. Aber wenn man perfekt ist, wenn man einen perfekten Körper hat, hat man auch einen perfekten Charakter. Und das gilt für die beiden im Hohelied. Die haben einen perfekten Körper, an denen ist kein Makel, steht ja wörtlich sogar drin, die haben perfekten Charakter. D.h., sie wird mal die superoptimale Ehefrau, er der superoptimale Ehemann.

53:02
Und er wird auch der superoptimale König oder Königsbeamte. Ganz klar. Die Bildsprache wird also auch von diesen Körperidealen sehr stark bestimmt. Er hat aber eben auch sehr viele Elemente von Farben mit dabei. Die Farbe Rot ist sein Körper, ist rot, die Lippen der Frau auch. Die Farbe Rot hat einen sehr symbolischen Charakter im Alten Orient und ist mit Leben konnotiert. Also Leben, beide sind voll an Lebenskraft. Und das heißt natürlich auch, die sind topfit und gesund. Das Haar des Mannes ist schwarz. Und das ist eben auch ein Zeichen von Jugendlichkeit. Wenn da graue Strähnen drin wären, auch wenn man das heute schick findet, das ist überhaupt nicht das, was ideal ist. Sondern das zeigt eigentlich schon eher den Griff des Todes. Insofern ist das mit grauen Haaren nicht so optimal. Aber er hat gerade schwarze Haare, wird ja auch gesagt.

54:03
Also alles perfekt. Dann kommen die Edelsteine mit hinein, die auch eine Farbe haben. Türkis hat ja diese türkisblaugrünen Farbe. Kamesin ist eher wieder Rot. Also da kommen auch ganz verschiedene Farbsymboliken rein. Oder Blau von Lapis Lazuli, das ist die Farbe des Himmels. Das heißt, in der Figur der idealen Menschen spiegelt sich eigentlich die ganze Welt. Der Himmel ist Blau, das Rot des Lebens, des Blutes. Oder eben viele andere Farben, Grün von Bäumen und der Natur. Da ist das ganze Leben in diesen Körpern, in der Metaphorik ihrer Beschreibung, mit eingeholt. Viele Tiere werden auch mit eingeholt, wenn die Tauben mit eingespielt werden, was ich schon sagte. Aber er wird z.B. als ganze Person mit einer Garzelle auch verglichen und dem Hirsch, der dann eben da auch tatsächlich in der Natur herumspringt

55:03
und als stattliches Tier natürlich gilt. Und sie wird er mit einer Stute, mit einem Pferd verglichen. Auch da wird man denken, das fände ich jetzt auch nicht so klasse, wenn man mich als Pferdegesicht bezeichnen würde. Aber da muss man natürlich sagen, dass Pferde waren in der Antike der Porsche. Die waren richtig luxuriös, die waren super teuer. Man hat ganz selten Pferde gehabt. Und wenn man schon ein Pferd hatte, und das war dann auch nur ein Weibchen, wo man eben wusste, das kriegt dann vielleicht noch mal einen Fohlen, war das noch viel wertvoller. Und dann hat man auch noch die Erotik, die ist ein ganz besonderes Luxusvergleich, sie mit einer Stute zu vergleichen, wo man dann eben wirklich an die freiheitsliebenden, rassigen Pferde denkt, die damals dann eben noch herumgelaufen sind oder die eben gezüchtet worden sind und die einfach unglaublich teuer

56:03
und ganz viel Luxus symbolisiert waren. Und das ist auch ein bisschen magisch. Das haben vielleicht die einen oder anderen auch schon mal selber erfahren. Bei den beiden kommt es auch sprachlich zum Ausdruck, wenn sie zum Beispiel dann sagt, ein Möhrenbeutelchen ist mir mein Geliebter, das zwischen meinen Brüsten ruht. Was sie da hat, ist ein Amulett. Er ist ihr Amulett. Und das gilt umgedreht, denn sie werden immer erleben im Hohelied, dass das immer auch umgedreht ist. Sie sind immer aufeinander bezogen. Darum sagt sie dann, leg mich wie ein Siegel-Ammulett auf dein Herz und auf deinen Arm. Dann kommt dieser berühmte Satz, denn stark wie der Tod ist die Liebe unerbittlich wie die Unterwelt-Leidenschaft. Da sieht man schon die Magie. Wenn er ihr Amulett ist oder sie sein Amulett, sind sie geschützt, magisch geschützt,

57:01
vor irgendeinem Angriff und auch vor dem Tod. Das ist natürlich eine ganz wichtige Sache. Was wir auch haben, sind Aphrodisiaka. Ich weiß nicht, ob Sie das schon mal ausprobiert haben, die sogenannten Mandragorafrüchte. Die wachsen ja auch bei uns. Das sind Liebesäpfel. Das ist ein Kraut, das kann man sich kaufen, in den Garten setzen. Es sieht tatsächlich aus wie ein Korb, die Blätter so außen rum. In der Mitte entstehen die Blüten. Aus denen werden dann die Bären, die sogenannten Liebesäpfel. Was an denen als antörnend wirkt, ist der Geruch. Diese Liebesäpfel werden z.B. auch in Genesis 3 eingesetzt von der etwas in Ungnade gefallenen Ehefrau, die dann von ihrem Sohn diese Liebesäpfel bekommt, damit sie dem ihren Mann unter die Nase hält

58:02
und der dann wieder anfängt, in erotischen Kategorien zu arbeiten. Das ist natürlich genau das, was Aphrodisiaka machen. Die sollen die Leute antörnen. In dem Zusammenhang kommt in Hohelied 2 mal, nämlich in Kapitel 2 und 8, die Liebesäpfel vor. Die Mandragorafrüchte sogar explizit in 7, 14. Weil die sich gegenseitig auch wirklich weiter inspirieren für die Erotik. Ein ganz wichtiger Zauber, der auch noch stattfindet, das ist der liebessauberfangender Blick. Der liebessauberfangende Blick ist etwas, was man kennt aus dem alten Orient. Den können nur Frauen ausüben, tatsächlich in dem Fall, indem sie mit ihren Augen einen Mann einfangen. Das können nur Frauen. Deswegen natürlich das mit den strahlenden Augen. Die kann das auch. Wenn man immer auf den Boden guckt, ist natürlich nichts drin.

59:01
Das kommt dann von ihm. Er sagt in Kapitel 4, Vers 9, du hast mir Herzklopfen gemacht, meine Schwester. Du hast mir Herzklopfen gemacht mit einem einzigen Blick aus deinen Augen. Einem einzigen Amulett von deinem Halsschmuck. Die ist da magisch unterwegs. Dann sagt der Insext zu ihr, wende deine Augen ab von mir. Denn sie verwirren mich. Der kriegt Herzklopfen. Der kriegt Herzklopfen. Das ist genau, was es soll. Das ist der Fingertanzzauber. Fingertanzzauber, fangender Blick ist tatsächlich von Frauen ausgeübt auf Männer, die dann Herzklopfen, die werden dann auch auf Touren gebracht. Das ist die Idee von diesem fangenden Blick. Er bittet sie, die Augen abzuwenden, weil er nicht mehr kann. Soll es ja auch mal geben. Insofern ist das natürlich ganz interessant, dass das hier so explizit vorkommt, dass sie mit ihren Augen ihn letzten Endes so derartig gefangen nimmt, dass sein Herz anfängt zu rasen

60:03
und dass er dann irgendwann auch mal um Gnade bittet. Sie soll einfach auch mal woanders hingucken. Die Erotik schafft also eine ganz neue Welt ohne Geschlechtergefälle. Die sind aufeinander bezogen. Es ist ganz spielerisch, das hat nichts mit. Wir müssen unbedingt Kinder machen oder wir müssen unbedingt heiraten und Vater und Mutter müssen zustimmen und all diesen ganzen gesellschaftlichen Zwängen hat das überhaupt nichts zu tun. Die beiden leben in einem Garten in der freien Natur und sagen dann ja sogar, ich zitiere in 1.17, die Balken unseres Hauses sind Zedern, unsere Dachsparen sind Wacholder. Die campen, die sind in der freien Natur, die brauchen kein Haus. Die sind in einem schattigen Garten, muss ja schattig sein im Orient, wichtiger Punkt, und in diesem wunderbaren Garten leben sie also mit der Natur in völligem Einklang und beschwören allenfalls dann Hirsch, Kuh und Garzelle, dass sie die Liebenden nicht stören sollen.

61:05
Das kommt dann sogar dreimal vor. Sie sind also Teil der Natur. Wenn wir das zusammenfassen, sehen wir, wir haben hier eine Sexualität gänzlich ohne Charme, Nacktheit ohne Charme. Es ist alles völlig zweckfrei. Wir haben einfach nur aneinander Spaß und Freude, aber durchaus als Lebensentwurf und nicht einfach nur als kurzfristige Leidenschaft, sondern die bleiben wirklich beieinander. Sexualität als Grundbedürfnis des Menschen ist ganz eindeutig im Fokus und als etwas, mit dem man eben tatsächlich wieder vor den Sündenfall und seine Strafsprüche tatsächlich sich selber utopisch hinbekommen und sich hinbewegen kann. Aus eigener Initiative, nämlich durch Liebe. Das ist ganz wichtig. Damit haben wir eine Gegenwelt, die recht zwanglos ist,

62:03
spielerisch und ganz im Einklang mit Magie und Zauberei, auch gar kein Problem, und mit Natur. Damit haben wir tatsächlich hier auch noch die göttlichen Aspekte mit reingenommen, dass sich die Liebenden in Götter verwandeln, weil sie ja springen über Berge, ihre Körper ideal schön sind wie Menschenkörper im Normalfall nicht, aber Götterkörper eigentlich immer, sodass tatsächlich auch die Götterhochzeit mit eingespielt wird. Ich denke, es ist ganz normal, dass man sofort an die Zauberflöte denkt, wo Emanuel Chicaneda das so treffend formuliert hat, wie man es als Schlusssatz für das Hohelied formulieren könnte. Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an. Das passt. Ich komme jetzt zu fünf Schwächen und Stärken des Buches. Ich hoffe, Sie haben einen Eindruck bekommen, weswegen das Buch so unglaublich verändernd sein kann

63:05
und inspirierend sein kann für alle, die lieben und auch für die, die es nicht tun. Schwächen des Buches kann ich eigentlich nicht wirklich entdecken. Allenfalls könnte man daran denken, dass das Buch sehr auf heterosexuelle Beziehungen ausgerichtet ist. Das ist die ideale Beziehung, das kann man gar nicht anders sagen. Das ist heutzutage schon ein Problem, wo wir auch gelernt haben, würde ich sagen, gesellschaftlich, dass wir Liebe und Erotik auch gleichgeschlechtlichen Paaren zugestehen wollen. Das ist natürlich ein sehr moderner Ansatz und der geht an der altorientalischen und alttestamentlichen Kultur schlichtweg vorbei. Das ist einfach nicht im Orbit. Es zeigt aber durchaus die Wirkungsgeschichte mit der allegorischen Methode, dass es durchaus möglich ist, dass in die Rolle von Bräutigam und Braut eben auch andere Personen schlüpfen können

64:03
oder auch schlüpfen sollen. Insofern würde ich denken, hinhört eigentlich gar nichts dran, dass in die Liebenden des Hohelids auch Liebende desselben Geschlechts hineinschlüpfen können. Und die können sich dann auch dieser reichen Bildsprache bedienen, um die Vorzüge ihres Partners oder ihrer Partnerin zu preisen, wenn ihnen vor Begeisterung womöglich die Worte fehlen. Eine große Stärke des Buches ist es meines Erachtens, dass es eben zeigt, und das denke ich sehr modern, dass die Natur die Verbündete der Liebenden ist. Sie ist ihr Zuhause. Sie lebt da einfach im Einklang mit der Natur. Gerade heute, wo wir die Natur zerstören, ist es eine echte Botschaft. Denn die Natur ist nicht nur unser Zuhause, das war damals so und ist heute immer noch so, sondern sie ist auch unser Verbündeter. Von Liebe geleitet würden wir das erkennen.

65:01
Aber wenn man von Profitgier und von Gier und von Angst vor der Natur an die Tiere geleitet ist, erkennt man natürlich überhaupt gar nichts, sondern läuft völlig blind und verblendet durch die Welt. Die Bedeutung für den christlichen Glauben, der jetzt noch folgt, der theologische Ertrag, ich denke, der ergibt sich aus seiner utopischen Kraft. Jedoch tatsächlich die bis heute teilweise sehr unheilvolle Bezugungsgeschichte der Strafsprüche gerade gegen die Frau auch aufhebt. Die Liebe kann also die Folgen des Zündenfalls für Mann und Frau auf Null setzen. Das ist natürlich ein echter Entwurf und ein theologischer Ertrag, würde ich denken, dass sich eigentlich nichts fast drüberkommt. Scham, Asymmetrie, Schmerzen, patriarchale Herrschaft, all das kann durch die Liebe überwunden werden. Vielleicht sogar der Tod, wie es das Hohe Lied in Aussicht stellt.

66:03
Diesen Weg zurück ins Paradies ist natürlich toll, dass der jedem offen steht, absolut jedem und auch zu jeder Zeit. Es gibt also kein Ich-warte-endlos-auf-irgendwas, auf Wiederauferstehung oder Leben nach dem Tod oder sonst irgendein Lerum Larum, sondern das geht jetzt. In dem Moment, in dem man sich verliebt, bumms, kann man zurück ins Paradies. Dass man dann, wenn man wieder im Paradies mit seinem Geliebten sie sozusagen zurück transportiert hat, dass man dann auch wieder mit Gott zusammenleben darf. Denn das war ja eigentlich die Idee dieses Gottesgartens im Paradies. Das ergibt sich für das Hohe Lied total von selber, ist ja völlig klar. Insofern würde ich sagen, der theologische Ertrag ist einfach, wir haben eine Wegbeschreibung, wie wir im Hier und Jetzt in jedem Moment zu Gott zurückkommen. Und zwar eine, die extrem komfortabel ist, würde ich mal sagen,

67:01
ohne Askese, ohne irgendwelche Speisevorschriften, ohne irgendein schwieriges Lerum Larum. Nein, ganz einfach, verlieben Sie sich. Und zack, sind Sie wieder da, wo Sie eigentlich Gott haben will, nämlich bei ihm und im Garten. Ach so, genau. Warum sollte man es also heute lesen? Ja, Sie sehen schon, ich denke, klar, wenn ich es so einfach haben kann, dass ich wieder ins Paradies komme, warum ärgere ich mich darum, mit irgendwelchen Sachen zu folgen, die mir irgendwelche Leute sagen. Das ist wirklich völlig simpel. Warum sollte man es heute lesen? Ja, weil es einfach Spaß macht, würde ich sagen. Das ist sozusagen einer der wichtigsten Gründe überhaupt. Und es ist schön zu sehen, welche Worte und welche Bilder, welche Imagination Liebe tatsächlich auslösen kann und findet. Man kann sich zum Beispiel dafür inspirieren lassen, wenn man einen Liebesbrief schreibt, eine Liebesmail, gibt es auch, oder für die heute beliebten Hochzeitsversprechen.

68:02
Man kann auch aus dem Hohelied lernen, dass jegliche Abwertung menschlicher Sexualität einfach kokolores ist. Ich kenne kein besseres Wort dafür. Sie ist eine Gabe Gottes, die man annehmen sollte. Und damit kommt man eben, wie gesagt, wieder ins Paradies. Man sollte diese Gottesgabe der Sexualität vor allem deswegen annehmen, weil es ein Geschenk Gottes ist. Und wer kommt schon auf die blöde Idee, ein göttliches Geschenk abzulehnen? Das ist doch die dümmste aller Möglichkeiten, würde ich denken. Als Utopie, und zwar eine, die im Hier und Jetzt stattfindet und nicht in 1000 Jahren oder was, zeigt das Hohelied den Weg zurück ins Paradies. Und das Paradies besteht aus diesem partnerschaftlichen und liebevollen Umgang von Männern und Frauen miteinander oder sagen wir es allgemeiner, heutzutage von Liebenden miteinander. Es herrscht keiner über den anderen, sondern beide freuen sich aneinander und behandeln sich auf Augenhöhe.

69:03
Das Paradies nach dem Hohelied, das man durch die Liebe erreichen kann, besteht also letzten Endes aus dem Leben in und mit, dem Einklang mit der Natur. Und sie ist eben das Zuhause und bietet Schutz, Nahrung, ein Bett und Haus all denen, die es einfach möchten. Die Liebenden sind dann dort, wo es keine Mauern gibt, keine Riegel, keine Türme oder sonst irgendwas, ganz bei sich selber. Sie sind dann bei sich und den anderen Geschöpfen Gottes und eben, wie schon gesagt, wieder mal mit Gott. Wenn er kommt zum Spazieren, so wie in Genesis 2, um spazieren zu gehen in seinem Garten und er trifft die Liebenden, dann ist das doch genau das, was eigentlich der Plan war, muss man doch so sagen. Ja, und so denke ich, man sollte das Buch lesen, wenn man verliebt ist, weil man so vielleicht in die Lage versetzt wird, Worte zu finden,

70:02
die man von alleine nicht mehr finden kann, weil man einfach so absolut geflasht ist. Zugleich stellt das Hohelied aber auch den Verliebten die Frage, ob sie Liebende sind. Es geht eben schon auch darum, ob ihr Gefühl füreinander Bestand hat. Ob das jetzt nur so ein kurzer Flash von Leidenschaft ist oder wirklich eine geschwisterliche Verbindung, die lebenslang hält. Das wird dann schon auch mitgefragt, denn das ist eigentlich der Entwurf vom Hohelied, dass man eben beieinander bleibt wie Bruder und Schwester als Lebensentwurf und eben, wie gesagt, kein Hornbrenner. Man macht kein One-Night-Stand. Man sollte das Buch, denke ich, aber auch lesen, wenn man nicht verliebt ist oder wenn man Angst hat, sich zu verlieben. Solche Leute gibt es ja auch. Es wäre dann vielleicht eine Anregung und Hoffnung, was man vielleicht vom Leben noch erwarten kann.

71:03
Und es wäre eine Möglichkeit, es einfach mal zu lesen, ja, wie soll ich sagen, als Weganleitung, als eine Beschreibung in die Mitte des Lebens hinein, gerade wenn man eben daran zweifelt, was das Leben ausmacht und was das Leben lebenswert macht. Man hat eine Wegbeschreibung von dieser Welt, die man vielleicht total ätzend findet, in eine Welt, in die man eigentlich will. Und man hat es in der Hand, da hinzukommen. Ich wiederhole es immer wieder. Das Hohelied führt den Leser also mitten in die Liebe und in die Erotik und damit genau in das, was Gott für den Menschen vorgesehen hat. Vielen Dank.

Alles anzeigen
Ausblenden

Das Hohelied der Liebe | 13.14.1

Worthaus Pop-Up – Heidelberg: 2. Oktober 2023 von Prof. Dr. Angelika Berlejung

Zwischen dem Buch der Prediger mit all seinen Sprüchen über Alter und Tod und dem gewichtigen Jesajabuch steht eine Schrift, die für die Bibel ungewöhnlich erotisch anmutet, voller Lebenslust und (sexuellem) Verlangen. Es ist das „Lied der Lieder“, wie Luther es übersetzt, das Hohelied. Angelika Berlejung, Professorin für Alttestamentliche Geschichte, erklärt, warum solch ein Buch überhaupt in der Bibel steht, wer es geschrieben haben könnte, was es mit Salomo und uns in der Moderne zu tun haben mag. Und sie öffnet einen Blick auf dieses Buch, der den meisten neu sein dürfte: Als Gegenstück, als Wiedergutmachung geradezu für einige der ersten Texte der Bibel. Denn das Hohelied weist den Weg zurück in die Zeit vor dem Sündenfall. Als Frau und Mann ohne Heiratsdruck und Fortpflanzungsverpflichtung einfach nur voller Freude zusammenlebten.