Heute geht es ans Eingemachte. Wir haben bisher über wichtige Themen gesprochen, die aber sehr stark im historischen Bereich geblieben sind. Nicht ohne theologische Relevanz, aber mit dem Fokus auf den historischen, geht es heute um eine theologische Deutung des Kreuzes Todes Jesu. Das ist keine ganz leichte Aufgabe, würde ich mal denken, und vor allen Dingen ein Thema, das sehr umstritten ist. Ich habe gedacht, wenn wir hier schon in Weimar sind, muss ich auch irgendwie ein Zitat des großen Meisters finden.
Irgendeinen Vortrag muss ich mal in Goethe-Zitat einbauen. Ohne den geht es ja nicht, sonst könnte man die Vorträge auch irgendwo anders halten. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und bin auch tatsächlich fündig geworden. Also in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre gibt es die Bekenntnisse einer schönen Seele. Und die sagt dort, es war mir auch eine Bibel Wahrheit, dass das Blut Jesu Christi uns von allen Sünden reinige. Nun aber bemerkte ich erst, dass ich diesen so oft wiederholten Spruch noch nie verstanden hatte. Die Fragen, was heißt das, wie soll das zugehen, arbeiteten Tag und Nacht in mir sich durch.
Ich denke, das ist ja wahrscheinlich eine Empfindung, die viele von uns hier so nachvollziehen können. Also diese Redeweise davon, dass Jesus für unsere Sünden gestorben ist, dürfte jedem Christen einigermaßen vertraut sein. Aber wenn man aufgefordert wird, das entsprechend dann auch zu erläutern, dann wird es schon schwieriger. Da hilft dann auch nicht der Katechismus weiter. Ich habe auch mal bei Dr. Martin L. nachgeschlagen. Luther schreibt in seinem kleinen Katechismus Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren sei, mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat,
erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben. Diese Art und Weise von Jesu Tod zu sprechen, ist im Laufe der Neuzeit, wie man ja schon bei Goethe sehen kann, nach und nach unverständlich geworden. Bei Goethe ist es so, dass die Frage aufgeworfen wird, was soll das bedeuten, wie kann ich das verstehen, das arbeitet Tag und Nacht in mir. In späteren Zeiten, nochmal Weimar, Nietzsche ist hier gestorben, habe ich heute erfahren.
Nietzsche hat einen sehr kritischen Blick darauf, bekanntermaßen, auch hier ein Zitat. Gott gab seinen Sohn zur Vergebung der Sünden als Opfer. Wie war es mit einem Male zu Ende mit dem Evangelium, das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen, welches schauderhafte Heidentum. Nochmal ein Sprung, Sie sehen, ich beginne mit ein paar Zitaten, um so die Problematik mal hier einzuspeisen. Als ich mit dem Studium der Theologie begonnen habe im Jahre 1980, war es eigentlich ein Muss in dieser Zeit, ein Büchlein zu lesen,
ein ganz schmales Büchlein von Tilman Moser, einem Psychoanalytiker. Der hat ein Buch geschrieben, Gottesvergiftung, in dem er seine eigene religiöse Sozialisation aufarbeitet. Er legt sich sozusagen literarisch selbst auf die Couch und analysiert sich, analysiert seine religiöse Erziehung, Sozialisation und rechnet mit ihr ab. Inzwischen, Tilman Moser ist ein paar Jährchen älter geworden, hat er sich Jahrzehnte später nochmal mit diesen religiösen Fragen auseinandergesetzt und ist zu einem etwas differenzierteren Bild gekommen. Trotzdem sind die Anfragen, die das Buch damals gestellt hat, durchaus nicht aus der Welt. Also ein Auszug aus Tilman Mosers Gottesvergiftung, geschrieben 1976.
Ich habe dich, wie es mir deine Diener nahelegten, angestaunt, ob deine Güte Abraham den Isaak nicht schlachten zu lassen. Du hättest es ja so leicht fordern können, er hätte es für dich getan. Und mit dem Rest von Menschenwürde in deinem auserwählten Volk hätte es nur noch ein wenig fürchterlicher ausgesehen. Oder hast du vielleicht nur ein unverschämtes Glück gehabt, dass dir in letzter Sekunde die Idee kam, einen Engel an den Ort des geplanten Gemetzels zu schicken? Vielleicht wären dem guten Abraham doch noch Zweifel an den Vorteilen seiner privilegierten Beziehung zu dir gekommen, wenn ihn erst Isaaks Blut bespritzt hat? Bei deinem eigenen Sohn warst du dann ungenierter und hast deinem Sadismus freien Lauf gelassen. Man hat mir weismachen wollen, dass du mit seiner Opferung am Kreuz den neuen Bund der Liebe hast einläuten wollen.
Und wiederum habe ich versucht, auf allgemeine Aufforderungen hin dich anzustaunen, weil du für mich armen Sünder deinen einzigen Sohn geopfert hast. Das macht natürlich Eindruck. Wie schlecht muss ich sein, dass es einer solchen Inszenierung bedarf, um mich zu erlösen? Seltsam, seltsam. Keiner von den Predigern hat je Verdacht geschöpft, dass vielleicht nicht mit uns, sondern mit dir etwas nicht stimmt, wenn du vor lauter Menschenliebe deinen Sohn schlachten lassen musstest. Und uns gibst du ihn dann zu trinken und zu essen, wie es heißt, zur Versöhnung.
Ein letztes Zitat als Anfrage. Ich habe es leider nicht ganz eruieren können, woher es ganz genau stammt, weil ich verschiedene Angaben gefunden habe. Aber das tut jetzt auch erst mal gar nichts zur Sache, sondern der Spruch selber sagt einiges aus. Also er wird meistens dem Schriftsteller Theodor Weissenborn zugeschrieben und lautet Seit er meinen Bruder kreuzigen ließ, um sich mit mir zu versöhnen, weiß ich, was ich von meinem Vater zu halten habe. Solche Wahrnehmungen kommen nicht ganz von ungefähr.
In der christlichen Tradition gibt es eine Passionsfrömmigkeit, gerade auch in Kirchenlidern, die wenigstens missverständlich ist. Auch bei den berühmtesten Neuten, wie z.B. Paul Gerhard, eines der berühmtesten Passionslieder schlechthin So hauptvoll Blut und Wunden heißt es, nun was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last. Ich habe es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich armer, der Zorn verdient hat. Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnat. Hier sind wir doch relativ nah bei der Wahrnehmung von Tilman Moser, beispielsweise. Ja, ich armer, der eben diese ganze Sache verschuldet hat. Wegen meiner Schuld musstest du so etwas erleiden.
Ein Theologe unserer Tage, zwar auch schon verstorben, aber noch nicht so lange resümiert. Wahrscheinlich begegnet heute keine Lehre des Christentums größeren Schwierigkeiten als die traditionelle Lehre, das uns Jesus Christus durch seinen stellvertretenden Sünnetod am Kreuz von unseren Sünden erlöst hat. Und nun? Vogel frisst oder stirbt? Könnte man sagen, es ist ja nun mal die Offenbarung. Entweder glaubst du es oder du glaubst es nicht. Aber ich glaube, da müssen wir ein bisschen tiefer schürfen. Denn was zu glauben ist oder nicht zu glauben ist, müsste erstmal auch überlegt werden. Und ich denke, das ist ja auch die Aufgabe von Worthaus.
Wenn man die Internetseite von Worthaus anklickt, mit Worthaus 2 steht da, ich muss ganz von vorn anfangen, ich muss alles überdenken. Genau das wollen wir tun. Wir wollen alles überdenken. Naja, alles ist vielleicht ein bisschen zu großer Anspruch. Aber wir wollen ein paar grundsätzliche Dinge überdenken. Was ich hier vorausschicken möchte, ist, es kann nicht einfach um Autoritätsbegründungen gehen. Es reicht nicht der Verweis auf irgendwelche Bibelstellen. Beispielsweise, Paulus schreibt aber im Römerbrief oder wo auch immer, oder auch ein anderer neustestamentlicher Autor. Damit ist es nicht getan. Die entsprechenden Bibelstellen müssen ja in ihrem Gesamtkontext analysiert werden, verstanden werden vor dem Hintergrund der damaligen Zeit.
Und dann muss auch gefragt werden, welche Bedeutung sie für uns heute haben können. Und ehrlich gesagt ist es ja nicht so, als würde uns in der Bibel und auch nicht im Neuen Testament nur Sinnvolles begegnen. Auch nicht bei Paulus. Paulus, welche Überraschung, wenn ich das jetzt sage, Paulus war nicht Gott. Das bedeutet, wenn wir einen Brief des Paulus lesen, kann es auch nicht in unmittelbarem Sinne Wort Gottes sein. Es ist erst mal Wort des Paulus. Und insofern müssen wir es auch als Wort des Paulus beispielsweise analysieren. Wir müssen nicht nur deswegen etwas glauben, weil Paulus es so schreibt.
Ich finde Paulus hat sehr gute Sachen geschrieben. Aber neben all dem Klugen, was er geschrieben hat, gibt es auch unklug Sachen, wie ich finde. Ich meine, ich würde nie behaupten, dass ich selber auch nur Kluges von mir gebe. Also von daher kann ich gut damit leben, dass bei Paulus auch Sachen stehen, die ich nicht so besonders sinnvoll finde. Gestern Abend sind wir schon im kleinen Kreise darauf zu sprechen gekommen, zum Beispiel die Sachen mit der Haartracht der Frauen. Also die Argumentation finde ich einigermaßen hanebüchen. Ich möchte das aber jetzt nicht ausführen, aber das wäre so ein Beispiel, wo ich sagen muss, da müsste man mal genauer hinschauen. Und deswegen sollten wir in Bezug auf alle Schriften der Bibel das Prinzip des Paulus anwenden. Prüft alles und behaltet das Gute.
Schreibt er natürlich in anderem Kontext, aber dieser Maßstab finde ich, ist ein sehr guter. Und wir sollten ihn uns zu eigen machen. Und jetzt kann man fragen, wie können wir denn prüfen? Das hört sich ja schon ein bisschen so überheblich an. Manche sagen als Christen, wir müssen uns unter das Wort stellen. Ja, natürlich. Wir empfangen eine Botschaft. Wir machen diese Botschaft nicht selber. Das ist schon richtig. Und Gottes Wort ist im letzten höher als alle Vernunft. Höher, nicht tiefer. Ja, höher. Wir aber haben keine andere Mittel als unsere Vernunft, um das, was uns hier in vermittelter Weise als Wort Gottes begegnet in der Heiligen Schrift, haben wir kein anderes Mittel als unsere Vernunft, das durchzudenken und das zu prüfen. Wie sollen wir es denn sonst tun? Aus dem berühmten Bauch heraus?
Ja, oder nur aus Traditionsgründen, weil bestimmte Leute, Autoritäten der Kirchen- und Theologiegeschichte uns das vorgesetzt haben. Waren die denn erleuchteter als wir? Das wissen wir jetzt auch nicht. Also es gibt ja kein anderes Mittel als das Mittel der Vernunft, das alles zu prüfen. Und natürlich müssen wir uns bewusst sein, dass auch die Vernunft begrenzt ist. Das ist ja ganz klar. Es wäre unvernünftig zu sagen, dass wir mit Mitteln der Vernunft alles verstehen können. Das wäre an sich schon wieder unvernünftig. Und es wäre auch unvernünftig zu sagen, dieses von Vernunft geleitete Lesen der Bibel ist alles. Nein, es gibt auch ein anderes, ein meditatives Lesen der Bibel beispielsweise. Wir bestehen nicht nur aus Vernunft. Es gibt auch andere Erkenntniswege, ganz sicherlich. Aber wenn wir uns verständigen wollen, dann müssen wir es mit Mitteln der Vernunft tun. Und damit es nicht rein subjektiv bleibt, machen wir das im Gespräch.
Also der eine stellt seine Deutung vor, seinen Versuch der Prüfung. Und die anderen kommen mit demjenigen ins Gespräch darüber, indem sie ihre Wahrnehmung eben austauschen. Also das Ganze ist ein kommunikativer Vorgang und von daher natürlich auch nie abgeschlossen. Das heißt, wir werden heute nicht zu dem Ergebnis kommen. Das ist der endgültige Sinn des Kreuzes Todes Jesu. So müssen wir das heute verstehen und nicht anders. Da werden wir nicht hinkommen. Dass wir da nicht hinkommen, liegt auch an den biblischen Schriften. Denn wenn wir das Neue Testament aufschlagen, finden wir auch da keine Deutung, die die einzige ist. Nach dem Motto, so müsst ihr über den Kreuzes Tod Jesu denken. Das Neue Testament folgt ja einem jüdischen Prinzip.
Das ist ja von Juden größtenteils doch geschrieben und das jüdische Prinzip lautet, höre auch immer auf die anderen Stimmen. Ich finde das sehr gut. Deswegen haben wir zum Beispiel auch nicht nur ein Evangelium. Obwohl es ja, ich meine, der hat ja doch nur einmal gelebt. Einmal ist er in Galiläa gewesen, hat seine Botschaft verkündet, ist er nur einmal am Kreuz gestorben. Das ist ja eine Lebensgeschichte. Aber trotzdem haben wir vier Evangelien in unserem Neuen Testament. Ich finde das sehr gut. Wir haben eine Vielfalt. Ich bin auch unglaublich froh, dass wir nicht nur Paulus haben. Ich verstehe zum Beispiel auch Markus in gewisser Weise als Korrektur an Paulus. Also, obwohl sie beide sagen, das Kreuz ist sehr wichtig, ist zentral.
Interessiert sich ja Paulus kein bisschen für die Lebensgeschichte Jesu. Und Markus sagt, so geht es nicht. Naja, er setzt sich nicht direkt mit Paulus auseinander, aber Markus schreibt ja doch nach Paulus. Und wir wissen, dass die Paulusbriefe sich relativ schnell verbreitet haben. Also es wäre ungewöhnlich zu sagen, Markus hätte noch nie was von Paulus und seinen Briefen gehört. Also das ist nicht sehr wahrscheinlich. Dann setzt sich aber hin und schreibt jetzt ein Evangelium, also im Sinne einer solchen Geschichte Jesu. Und ich empfinde das auch als Korrektur oder ich will es mal wenigstens vorsichtiger ausdrücken, als Korrektiv, als notwendiges Korrektiv zu den Paulusbriefen, die sich im Prinzip bis auf zwei, drei Aussprüche Jesu überhaupt nicht für Jesus selber interessieren. Sondern allein bei Kreuz und Auferstehung und so weiter bleiben. Markus wendet den Blick zurück und sagt ja, Kreuz und Auferstehung, aber wir wollen mal wissen, wer ist da ans Kreuz gegangen und von wem bekennen wir, dass er auferweckt wurde.
Gut, noch eine letzte Vorbemerkung. Paulus war ein großer Rhetoriker und er liebte Sprachspiele, er liebte Assoziationen. Das ist manchmal ein bisschen wild. Und ja, ich finde, das hat manchmal etwas von dem, was ein ethnologe, ein französischer ethnologe, im Jahre 1955 hat er wohl diesen Begriff geprägt, wildes Denken genannt hat.
Das unterscheidet sich von unserem modernen, sehr rationalen Denken dadurch, dass es sehr assoziativ ist. Im Vordergrund steht Kombinatorik, es steht nicht so sehr Abstraktion und logische Deduktion im Vordergrund und Kausalitäten, sondern man springt von einem zum anderen immer natürlich unter dem Blickwinkel, dass man was Bestimmtes ausdrücken will. Aber das in sich muss das nicht besonders logisch sein nach unserem Verständnis. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Ein Kallatterbrief im dritten Kapitel, Vers 13, schreibt Paulus. Christus hat uns freigekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er für uns zum Fluch geworden ist.
Es steht nämlich geschrieben, verflucht ist jeder, der am Holz hängt. Das ist rhetorisch sehr schön. Aber ist es auch logisch, dass wir freigekauft sind vom Fluch des Gesetzes, in dem Jesus selbst ein Fluch geworden ist? Das ist ja erst mal so eine Behauptung. Also besonders logisch finde ich das nicht. Jetzt könnte man aus einem solchen metaphorischen Satz so aus dem Zusammenhang gerissen so leicht eine dogmatische Aussage machen. Aber wenn man mal in den Brief selber reinschaut, sieht man, dass diese Aussage in einem bestimmten Kontext steht und einen bestimmten Zweck dient,
nämlich zu sagen im Blick auf die Nichtjuden, auf die sogenannten Heiden, dass sie nicht zum Heil kommen, indem sie die Forderung des Gesetzes erfüllen, sondern allein durchglauben. Das Ganze kuminiert nämlich dann in dem Satz, so sollte der Segen Abrahams durch Christus Jesus zu den Völkern kommen. Das ist das Thema, das er hier entfaltet. Und insofern benutzt er einfach hier nur so assoziativ bestimmte Vorstellungen, indem er Zitate aufgreift aus dem Alten Testament, um das zu untermauern, was sein Anliegen ist, nämlich die Völker, die Heiden kommen zu Gott zum Heil, ohne das jüdische Gesetz zu erfüllen. Gut, genug der Vorreden.
Es gibt, wenn wir nach dem Kreuzestod Jesu fragen, wie wir ihn heute verstehen können, eine legitime Bandbreite, weil es schon im Neuen Testament ja auch unterschiedliche Antworten gibt. Wenn es eine legitime Bandbreite gibt, heißt das aber nicht, dass alle Antworten von vornherein den gleichen Wert haben. Es gibt auch eine Art und Weise, über den Kreuzestod Jesu zu reden, die dem Glauben nicht förderlich ist und vor allen Dingen dem Menschen nicht gut tut. Und ich möchte zwei Auffassungen, die miteinander verwandt sind, hier mal benennen, die ich für nicht angemessen halte. Das erste, das ist vielleicht noch nicht so ganz existenziell, aber auch eine Aufforderung, die mir immer mal wieder begegnet, ist,
Jesus habe den Kreuzestod als Opfer sterben müssen, damit es keine anderen Opfer mehr geben muss. Es muss keine Tieropfer mehr geben, weil Jesus am Kreuz gestorben ist. Er ist das Ende aller blutigen Opfer. Diese Anschauung ist ein bisschen inspiriert vom Hebräerbrief. Auf einer sogenannten christlichen Website kann man zum Beispiel lesen, warum bringen wir heute keine Tieropfer mehr da? Die Tieropfer haben aufgehört, weil Jesus Christus das letzte und perfekte Opfer war. Das heißt, hier wird Jesus sozusagen parallelisiert mit Tieropfern. Da denke ich mir schon, ein Menschenopfer, damit es keine Tieropfer mehr geben muss.
Oder Jesus als erster Märtyrer der Tierrechtsbewegung. Wie darf ich mir das vorstellen? Meint man das allen Ernstes, es müsste ein Menschenopfer dargebracht werden, damit es keine Tieropfer mehr gibt? Welchen religiösen Sinn sollte das haben? Im Übrigen ist es so, dass das Judentum auch ohne den Glauben an Jesus Christus seit dem Jahr 70 nach Christus keine Opferreligion mehr ist. Auch im Judentum gibt es seit 70 nach Christus, seit der Tempel zerstört worden ist, keine Tieropfer mehr. Die Kritik am Opfer ist natürlich auch eine Kritik, die jüdischerseits schon von Propheten geäußert worden ist.
Bis zum Propheten Johannes, dem Täufer und dem Propheten Jesus, der auch war. Ich sage nicht, dass Jesus nur ein Prophet war, aber er war sicherlich auch ein Prophet. Bis zum Propheten Jesus von Nazareth wirkt und nicht umsonst lässt Matthäus, wir finden es nur bei Matthäus, Jesus zweimal Hosea zitieren. Ich liebe Barmherzigkeit, nicht Opfer. Also ich denke, diese Anschauung Jesus stirbt, damit es keine Tieropfer mehr gibt, die können wir beruhigt ad acta legen. Wesentlich gefährlicher ist allerdings die zweite Deutung.
Nämlich der Gedanke, dass Gott der Vater erst durch den blutigen Opfertod seines Sohnes mit der schuldbeladenen Menschheit versöhnt werden konnte. Erst das grausame Leiden und Sterben Jesu habe Gott in seinem Zorn besänftigt. Diese Meinung, dass Gott das Opfer seines Sohnes brauchte, um sich mit der Menschheit versöhnen zu können, ist nun doch, wie ich finde, relativ weit verbreitet. Der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün fragt meines Erachtens hier zurecht, was ist das für ein Gott, der den Tod seines Sohnes nötig hat, um uns vergeben zu können?
Es ist im Prinzip die gleiche Anfrage, wie wir sie auch in diesen religiösen kritischen Stimmen am Anfang des Vortrags zu hören bekommen haben. Und in der Tat, ein solcher Gedanke erscheint angesichts der Gottesverkündigung Jesu völlig absurd. Der Gott Jesu geht von sich aus ohne Vorbedingungen versöhnend auf die Menschen zu. Jede Deutung des Kreuzes muss sich daran messen lassen, ob sie dieser bedingungslosen Liebe Gottes entspricht, die im Kommen und Wirken Jesu für uns offenbar geworden ist.
Gott, so sagt es ein anderer Theologe, auch katholisch, aber von der katholischen Kirche rausgemobbt, Joseph Imbach, Gott kennt keine käufliche Liebe. Man muss die Liebe Gottes nicht dadurch erkaufen, dass man einen Opfer bringt. Gott braucht hier kein Opfer und schon gar kein Blut. Das müssen wir erst einmal festhalten, bevor wir über alles weitere reden. Gott braucht dieses Opfer nicht. Gott braucht kein Menschenopfer. Ein Gott, der Menschenopfer braucht, ist nicht der gütige Vater, den wir verkündet bekommen. Es ist auch nicht der Gott Yahweh, es ist der Gott Moloch. Der braucht Menschenopfer, aber das ist nicht der Gott, an den wir glauben.
Es ist nämlich keinem Gott, dem man vertrauen kann. Einem Gott, der einen Menschenopfer braucht, kann ich nicht vertrauen. Was folgt daraus? Können wir heute überhaupt noch davon sprechen, dass Jesu Tod ein Opfer-Tod war? Hier wäre jetzt eine gewisse Differenzierung angebracht. Denn das deutsche Wort Opfer hat einen vielfältigen Bedeutungsraum. Deswegen tut man sich hier leichter, wenn man mal aufs Englische ausweicht. Das differenziert nämlich sehr viel stärker. Der erste Sinn von Opfer ist das Opfer einer Gewalttat oder eines Unfalls.
Englisch victim. Dieses Opfer ist rein passiv. Es ist zum Opfer gefallen. Es hat nicht selber ein Opfer dargebracht, sondern jemand, der ermordet wird, der überfallen wurde, jemand, der bei einem Autounfall schwer verletzt wurde. Er ist ein Opfer. Ist Jesus ein Opfer in diesem Sinne? Selbstverständlich. Ist Jesus einen solchen Tod gestorben als Opfer? Er ist das Opfer geworden bestimmter Interessen im Jahre 30 nach Christus. Man kann, wie wir gesehen haben, die Akzente verschieden setzen.
Aber Interesse an seinem Tod hat in erster Linie Pontius Pilatus. Er ist ganz sicher, er möchte Unruhe vermeiden und lässt ihn über die Klinge springen, genauer gesagt ans Kreuz bringen. Und Interesse scheinen auch hohe priesterliche Kreise gehabt zu haben, ihn aus dem Weg zu räumen. Insofern ist Jesus ein Opfer. Ein Opfer von Gewalt und insofern auch ein Opfer der Sünde. Denn das ist ein sündiges Tun. Zweite Bedeutung. Englisch sacrifice. Ein Opfer darbringen, ein kultisches Opfer, um eine Gottheit zu besänftigen. Also den Zorn Gottes besänftigen durch ein Opfer, das dargebracht wird.
Ist Jesus ein Opfer in diesem Sinne? Ich behaupte nein. Jesus ist eben kein Opfer, um den Zorn Gottes zu besänftigen. Es stimmt nicht mit dem Gottesbild überein, das uns zentrale Linien der Bibel zeigen. Und es ist nicht ein Gottesbild, das ich heute akzeptieren kann. Dritte Bedeutung. Opfer im Sinne von Offering. Nämlich im Sinne von Hingabe, etwas geben, etwas von sich weggeben. Zeit, Kraft vielleicht, aber eben auch noch viel mehr. Vielleicht sogar das eigene Leben zu geben für andere, für ein höheres Gut. Ist Jesus ein Opfer in diesem Sinne? Kann man das sagen? Ich finde ja.
Ja, natürlich. Selbstverständlich. Opfer im Sinne von Hingabe. Wir haben auch sogenannte Hingabeformeln. Jesus gibt sich selbst in seinem Tod, aber nicht als Menschenopfer wird er dargebracht von Gott selber. Gott muss Blut fließen sehen, damit er uns vergeben kann. Sondern es ist eine Hingabe, wie Theologen oft sagen, wir brauchen immer so Fremdwörter, pro Existenz. Also sein Leben für andere, pro Existenz. Er gibt sein Leben für andere und es ist wichtig zu sehen, dass wir das nicht isoliert betrachten. Also es geht nicht allein darum, dass Jesus Tod für andere gewesen ist, sondern auch schon sein ganzes Leben. Sein Tod ist Teil seines Lebens. Es gehört zum Leben.
Sein Tod wäre überhaupt nicht verständlich ohne dieses Leben. Es hätte ihn ja wahrscheinlich überhaupt nicht ans Kreuz geführt, wenn er nicht entsprechend aufgetreten und gewürgt hätte. Also können wir nicht abstrakt nur auf diese letzte Woche oder diesen einen Tag im Leben Jesus sehen und sagen, ja hier, das ist der Tod für andere. Sondern dann wird es nämlich wirklich wieder auch ein bisschen nekrophil. Sondern es geht darum, dass dieser Tod natürlich organisch, möchte ich fast sagen, zu diesem Leben gehört. Dieses Leben zum Abschluss bringt. Und so gab er sein Leben bis zur Vollendung, heißt es so ungefähr im Johannesevangelium. Und das bringt diesen Gedanken im 13. Kapitel ist das sehr gut zum Ausdruck, wie ich finde. Und damit sind wir auch schon bei der Frage, ist es denn so, dass Jesus sterben musste? So heißt es ja auch häufig in bestimmten Texten des Neuen Testaments.
Jesus musste sterben. Was bedeutet dieses musste? Es wird oft auch so gedeutet, dass man sagt, ja, Gott möchte, dass Jesus stirbt. Das ist das muss. Also Gott möchte, dass Jesus eben diesem Kreuzestod stirbt. Da wäre ich auch ein bisschen vorsichtig aus den genannten Gründen. Und die Frage ist, kann man das musste nicht auch anders interpretieren? Und ich denke ja, in dem Sinne, wie ich es eben gerade schon angedeutet habe, dass dieses musste nicht als äußerer Zwang, der ihm auferlegt wird, sondern als innere Notwendigkeit. Gott möchte nicht, dass Blut fließt. Übrigens fließt beim Kreuzestod relativ wenig Blut im Vergleich zu anderen Todesarten. Also es geht jetzt nicht darum, wie Mel Gibson das verstanden hat in seinem Film Die Passion Jesu,
dass da literweise Blut fließt. Desto mehr Blut, desto erlöst doch, kann man fragen. Also das alte bäuerliche Motto beim Dünger, ja, viel hilft viel. Also ja, umso mehr Blut vergossen, desto mehr erlöst. Nein, also das dürfen wir nicht dinglich verstehen, dass wir tatsächlich durch dieses Blut ja erlöst sind. Blut ist ja auch eine Metapher. Sie ist im hebräischen Denken der Sitz des Lebens. Also es geht eigentlich wirklich um das Leben Jesu und nicht um diesen roten Saft, der in den Adern geflossen ist und dann aus den Adern herausgetreten ist. Also Jesu Tod als innere Notwendigkeit, wie können wir das vielleicht verstehen? Jesus ist der Gerechte. Er ist der, der so lebt, wie Gott möchte, dass Menschen leben.
Er ist insofern der wahre Mensch, ja, das wahre Ebenbild Gottes. Mensch sein, so wie Gott es gewollt hat, ist das Mensch sein Jesu. Indem er so lebt, deckt er aber indirekt allein durch sein Leben, durch sein Handeln, durch sein Reden, die Abgründe in den Herzen der Menschen auf, die ja Sünder sind, die eben nicht so leben. Die Welt, kann man sagen, erträgt oft solche Leute nicht. Wenn ich sage die Welt, ist das natürlich auch abstrahiert. Aber wenn einem so der Spiegel vorgehalten wird, gar nicht aggressiv, man erkennt sich selber,
kann man das manchmal nicht ertragen. Es ist eine Wahrheit, die überraschenderweise für mich, als ich mich jetzt mit dem Thema beschäftigt habe, schon beim griechischen Philosophen Platon auftaucht. Platon zeichnet in seinem zweiten Band seiner Polythea das Los eines wirklich Gerechten in dieser Welt. Eines Gerechten, der, ich zitiere, nicht gut scheinen, sondern gut sein will. Der ohne ein Unrecht zu tun, den Ruf der größten Ungerechtigkeit trägt. Der sich nie durch üble Nachrede und ihre Folgen erweichen lässt. Der durchs Leben geht, unwandelbar bis zum Tod, im Rufe des Ungerechten, in Wirklichkeit aber gerecht.
Und Platon schreibt zum Schluss, das ist ein paar Jahrhunderte vor Christus, aber griechisches Denken, ein Gerechter solcher Art wird gegeißelt, gefoltert, gefesselt, geblendet, schließlich nach all diesen Leiden gekreuzigt werden. Wenn Paulus in der berühmten Stelle im ersten Korintherbrief schreibt, dass das Kreuz für die Juden ein empörendes Ärgernis für Heiden eine Torheit sei, dann muss man jetzt hier nicht großartig anfangen zu differieren, warum für die Juden ein Ärgernis und für die Heiden eine Torheit, sondern er will damit, das ist wieder Rhetorik, ausdrücken, dass eigentlich die ganze Welt das für Unsinn hält.
Aber er differenziert ja dann außer den berufenen Juden wie Griechen, Juden wie Heiden. Denen leuchtet es dann ein. Ja, in der Tat, das ist ja eine Anschauung, die nicht jedermann hat. Es ist nicht so, dass man damit irgendwie bei Wahlen Mehrheiten gewinnen könnte. Insofern ist es nicht der denkerische Mainstream. Und es bleibt dabei, was Siegfried Zimmer am ersten Abend hier gesagt hat in seinem Vortrag, natürlich, der normale Römer, der rümpfte die Nase in Bezug aufs Kreuz. Aber es ist nicht so, dass es in der griechischen Kultur nicht auch diesen Gedanken gegeben hätte, dass eben ein gerechter Mensch für die anderen als ungerecht erscheint und letztendlich dafür mit dem Tode bestraft wird,
eigentlich für seine Gerechtigkeit, die man nicht erträgt und sogar ans Kreuz gebracht wird. Dieser Gedanke des Leidenden Gerechten finden wir aber natürlich nicht nur in der griechischen Tradition, sondern wir finden ihn zentral auch in der biblischen Tradition. Vor allen Dingen in den späten Schriften, die, jetzt kann man sagen, auch schon von griechischem Denken beeinflusst sind. Aber der Gedanke des Leidenden Gerechten, den wir im Neuen Testament ganz zentral finden, bei den synoptischen Evangelien, in den Passionsgeschichten, in den Leidensankündigungen, dieser Gedanke des Leidenden Gerechten finden wir natürlich klassisch ausgedrückt, beispielsweise in den Psalmen. Fast jeder kennt den Spruch, der Gerechte muss viel leiden, Psalm 34.
Und es geht dann weiter. Der Gerechte muss viel leiden, doch allem wird der Herr ihn entreißen. Er behütet alle seine Glieder, nicht eines von ihnen wird zerbrochen. Die Augen des Herrn blicken auf die Gerechten, seine Ohren hören ihr Schreien. Ja, hier ist noch die Hoffnung, Gott wird den Gerechten vor dem letzten, vor dem schlimmsten Unheil bewahren. Aber in späteren Schriften haben wir auch anderes. Hier müssen wir nicht nur Bezug nehmen auf den sogenannten leidenden Gottesknecht im Buch Jesaja, von dem hier ja auch schon die Rede war, sondern in Fortwirkungen dessen, vor allen Dingen auch wieder auf das Buch der Weisheit, dass ich für einen zentralen Schlüssel halte zur Interpretation des Markusevangeliums.
Und es ist deswegen, finde ich, fristet es zu Unrecht, ein Schattendasein, weil halt in der protestantischen Bibel dieses Buch nicht enthalten ist, weil es eben hier als Apokryph gilt. Aber es rückt, wie ich gestern schon ausgeführt habe, mit seiner Entstehung im ersten Jahrhundert vor Christus, so nah an unsere Zeit heran, dass wir hier bestimmte Gedanken wiederfinden, die im Neuen Testament aufgegriffen wurden. So, jetzt muss ich mal einen kleinen Side-Step machen, ich habe nämlich meine Brille da liegen lassen. Und das Kleingedruckte, das kann ich nur mit dieser hübschen Lesehilfe entziffern. So, im ersten Kapitel des Buches Weisheit, Ende des ersten Kapitels, treten sogenannte Frevler auf, also Gottlose oder, wie ich gestern schon sagte, Ungerechte.
Und diese Frevler machen sich jetzt sozusagen lustig, sie spotten über den Gerechten. Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus, heißt es in Kapitel 2, und sagen, und jetzt steige ich hier ein, in der Rede der sogenannten Frevler, also diejenigen, die dem gerechten Menschen an den Kragen wollen. Sie sagen, lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt, die Witwe nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen. Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist. Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist. Das heißt, es sind nicht ethische Maßstäbe, sondern wir definieren, was Gerechtigkeit ist. Wir haben es schließlich gemacht.
Denn das Schwache erweist sich als Unnütz. Das war übrigens eine Ideologie, die die Nazis hatten. Das Schwache ist unnütz, das muss ausgemerzt werden, und wir bestimmen, was richtig ist. Lasst uns dem Gerechten auflauern, er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Wege. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unsere Erziehung. Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen und nennt sich einen Knecht des Herrn. Er ist unserer Gesinnung ein lebendiger Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig. Denn er führt ein Leben, das dem der anderen nicht gleicht, und seine Wege sind grundverschieden. Als falsche Münze gelten wir ihm, von unseren Wegen hält er sich fern wie von Unrat.
Das Ende der Gerechten preist er glücklich und prahlt, Gott sei sein Vater. Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes? Dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren, um seine Sanftmut kennenzulernen, seine Geduld zu erproben. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen. Er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt. Ich vermute, dass dieser Text nicht so bekannt gewesen ist wie viele Bibeltexte. Dieser Text ist ganz vielen Christen völlig unbekannt.
Aber er bringt uns so etwas wie ein Drehbuch für die Passionsgeschichte des Markus. Markus interpretiert Jesu Schicksal mithilfe dieser Gedanken. Ich behaupte nicht, dass er diesen Text ganz genau vor sich liegen hatte und mit dessen Hilfe sein Evangelium gestaltet hat. Mir geht es um das Gedankengut, was dahintersteht. Dieses Gedankengut muss sehr präsent gewesen sein. Wir haben hier solche Anspielungen im Markus-Evangelium auf einzelne Motive dieses Textes, dass das kein Zufall gewesen sein kann. Jetzt haben Sie vielleicht gemerkt, dass es nicht nur darum geht, dass ein Mensch, der gerecht ist, den, die sagen, was interessiert mich Gerechtigkeit, solange ich die Macht habe, im Wege ist und dass er aus dem Weg geräumt werden soll,
sondern dass er auch noch den Titel bekommt, sag ich jetzt mal bewusst Titel, Sohn Gottes. Wir wollen sehen, er, der ja prahlt, Gott sei sein Vater, ob er wirklich Sohn Gottes ist. Wir sehen hier, der Begriff Sohn Gottes hat wirklich eine Bedeutungsvielfalt. Gestern haben wir schon von Siegfried Zimmer gehört, wir dürfen nicht mit unserer späteren christlichen Dogmatik, mit unserer Christologie kommen. Wenn wir im Neuen Testament hier Sohn Gottes lesen, muss man wenigstens vorösterlich was anderes denken. Ich behaupte auch noch nachösterlich ist das was anderes als das, was im dritten und vierten Jahrhundert daraus gemacht wurde. Aber es ist keineswegs so, dass es nur auf den Messias bezogen ist. Das ist die Hauptbedeutung, ganz sicher.
Also die Hauptbedeutung im Alten Testament von Sohn Gottes ist, es ist der König und der Messias ist jetzt der endzeitliche König. Insofern ist der Messias Sohn Gottes. Wir sehen aber hier eine zweite Tradition und das ist, der Gerechte ist Sohn Gottes. Und zwar der leidende Gerechte. Und das ist jetzt der Clou des Markusevangeliums, dass er sagt, ich verbinde beide Konzeptionen. Jesus ist der Messias und als solcher Sohn Gottes. Jesus ist der leidende Gerechte und als solcher Sohn Gottes. Und die Konzeption, die dabei tragend wird, ist die des leidenden Messias. Beide Bedeutungsebenen, nämlich der Sohn Gottes als Messias und der Sohn Gottes als leidender Gerechter, laufen hier zusammen.
Sie werden zusammengebunden und es gibt dadurch eine Neukonzeption. Dadurch entsteht der Gedanke des leidenden Messias. Und dieses bildet nun tatsächlich sehr gut das Geschick Jesu ab. Und ich finde das nicht nur eben sozusagen bibleteologisch einen überzeugenden Ansatz, mit dem ich sehr gut mich anfreunden kann, sondern es ist auch eine Konzeption, der ich heute für meinen eigenen Glauben etwas abgewinnen kann. Ich werde das später nochmal wieder aufgreifen. Ich frage aber jetzt trotzdem noch einmal, auch wenn ich schon versucht habe zu klären, dass Gott keinen Menschenopfer braucht,
frage ich noch einmal, musste Jesus sterben zur Vergebung der Sünden? Zunächst einmal, Jesus ist wegen der Sünden gestorben. Er ist als Opfer menschlicher Gewalttat gestorben. Er stirbt am Machtkalkül der römischen Besatzer und den Interessen der jüdischen Jerusalemer Oberschicht. Er starb insofern wegen der Sünde der Welt. Menschen haben ihn getötet, nicht Gott hat das gewollt. Wir finden in der Apostelgeschichte zum Beispiel sehr stark das sogenannte Kontrastschema, das das stark macht. Also ihr Menschen habt ihn getötet, Gott aber hat ihn auferweckt.
So dann, die Vorstellung, Gott habe ohne den Tod Jesu nicht die Sünden vergeben können, setzt ein merkwürdiges Gottesbild voraus. Jetzt sagen manche, ja, aber so ist es nun mal. Jetzt steht es nun mal so da. Und das ist dann halt Offenbarung. Das müssen wir halt so annehmen. Ja, Jesus musste sterben zur Vergebung der Sünden. Ich will noch in einem zweiten Schritt später fragen, welchen positiven Sinn ich dem abgewinnen kann. Aber zunächst einmal muss ich sagen, nein, Gott kann natürlich auch sünden ohne den Tod Jesu vergeben. Ist doch gar keine Frage. Gott ist doch für die Sündenvergebung nicht an ein bestimmtes Geschehen gebunden. Wäre doch Gott gar nicht mehr frei. Was würden wir von freier Gnade Gottes und freier Liebe Gottes reden, wenn wir sagen, er kann uns nur vergeben, wenn.
Nein. Wir müssen das ganz klar haben. Anders wäre ja auch nicht zu erklären, dass es den Gedanken der Sündenvergebung schon im Alten Testament gibt und zwar nicht nur mit dem Sühnopferritual, auf das ich noch zu sprechen kommen werde. Und natürlich im Wirken Jesu, des irdischen Jesus. Psalm 130. Aus der Tiefe rufe ich her zu dir. Herr, höre meine Stimme. Lass deine Ohren vernehmen den Ruf meines Flehens. Wenn du Sünden anrechnest, Herr, Herr, wer kann bestehen? Doch bei dir ist Vergebung, dass man dich fürchte.
Und deswegen kann der Beter hoffen auf den Herrn. Seine Sehnsucht ist so groß wie nichts anderes auf der Welt. Denn beim Herrn ist Gnade, heißt es. Bei dir ist Vergebung. Du rechnest Sünde nicht an. Das ist Vergebungsbotschaft. Das ist Gnadenbotschaft im Alten Testament. Natürlich ohne irgendwelchen sogenannten Opfer Tod. Oder schauen wir auf das wirken Jesu. Er lehrt seine Jünger ein Gebet, heißt es. Wir kennen es alle, das Vater Unser. Er lehrt uns zu beten und vergibt uns unsere Schuld. Er lehrt es seine Jünger zu beten. Da ist er aber noch nicht am Kreuz gestorben. Er sagt, bittet Gott, dass er euch auch ihre Schuld vergibt. Er sagt nicht, ja jetzt wartet mal noch ein bisschen. Wir können schon mal dies und das machen mit der Schuldvergebung, das kommt später. Warte mal bis ich am Kreuz bin.
Dann kann euch Gott vergeben. Die Botschaft lese ich da nicht. Ich komme auch noch mal zurück auf die Szene im Markusevangelium, 2. Kapitel, Jesus heilt den Gelähmten. Diese Geschichte ist ja nicht aus einem Guss, wie ich Ihnen gesagt habe. Aber zentral gibt es einen Satz, Kind deine Sünden sind dir vergeben. Wir können zwar nicht 100%ig sicher sagen, das ist ein Originalzitat von Jesus. Aber es spricht mehr dafür, dass es ein ursprünglicher Satz ist, der ja noch nicht zu der Erweiterung gehört. Weil die Erweiterung nämlich dann viel leichter zu erklären ist, als zu sagen, das hat man später eingefügt. Vor allen Dingen ist eben auffällig, das ist eine passivische Formulierung.
Ein sogenanntes passivum divinum, ein göttliches Passiv. Kind deine Sünden sind dir vergeben. Es ist ein Zuspruch der Sündenvergebung, wo aber der Redner Jesus nicht sagt, ich vergebe dir die Sünden. Sondern die göttliche Sündenvergebung zuspricht. Das war jetzt auch schon etwas, was durchaus nicht ganz unrevolutionär war, dass da irgendeiner daher kommt und die Sündenvergebung einfach zu spricht. Das ist ja außerhalb von Kult und so weiter. Aber er tut es nicht sozusagen in eigener Anmaßung, sondern er spricht die göttliche Sündenvergebung zu. Aber doch nicht wegen seines Opfertodes. Gerade diese Sündenvergebung macht dem lahmen Beine.
Nicht erst Jesu Tod am Kreuz bringt uns der Gott der Liebe. Jesu Leben und Sterben zeugen von einer besonderen, einmaligen Weise, wie sich hier der liebende Gott in Jesus Christus zeigt. Es wäre aber doch höchst seltsam anzunehmen, erst seit Jesus sei Gott der Liebe und vorher sei er ein Gott der Unbarmherzigkeit, des Zornes, der Rache gewesen. Da fragt man sich, warum Jesus diesen Gott seinen Vater nennen soll und eine zärtliche Beziehung zu ihm haben soll. Das wäre doch so nicht zu erklären. Es ist doch nicht so, dass jetzt hier auf einmal ein völlig neuer Gott erscheint. Das heißt, wenn Jesus den Gott der Liebe verkörpert und für uns diesen Gott zeigt, dann war er natürlich auch schon vorher der Gott der Liebe. Und insofern hat er auch schon vorher Sünden vergeben und kann Sünden vergeben, wie er will.
Er braucht dazu keinen Tod Jesu. Wie steht es nun aber um den sogenannten Sünnetod? Sicherlich die allerumstrittenste Formulierung. Jesu Tod ist ein Sünnopfer. Zunächst einmal entgegen dem, was viele Christen meinen. Diese Vorstellung des Sünnopfer-Todes ist im Neuen Testament keineswegs eine Zentrale. Sie kommt nur an ganz wenigen Stellen vor. Das Wort Süne kommt überhaupt nur ein paar Mal vor. Der Römerbrief, der ersten Johannesbrief, der Hebräerbrief. Aber damit hat es sich praktisch schon. Nun können aber auch Sachen, die nicht so häufig vorkommen, trotzdem zentral sein.
Es ist auch wahr. Aber die zentrale Bedeutung, muss man sagen, hat diese Sünnopfer-Theologie erst bekommen durch die Theologiegeschichte. Besonders durch den mittelalterlichen Theologen Anselm von Kemptebury. Mit seiner sogenannten Satisfaktionslehre. Die möchte ich hier jetzt gar nicht ausführen. Weil uns das zu weit abbringen würde. Wir können vielleicht später noch mal darauf zu sprechen kommen. Weil sie auch nur zu verstehen ist unter den Voraussetzungen mittelalterlichen Denkens. Aber trotzdem. In der christlichen Tradition ist dadurch doch sehr stark das Denken eingepflanzt worden. Gott habe tatsächlich eben diesen Sünnetod gebraucht, damit Genugtuung geschaffen wird.
Damit seine verletzte Ehre geheilt wird. Das ist aber nicht der Begriff von Sünnetod im Neuen Testament. Davon müssen wir uns erstmal völlig frei machen. Das hat damit nichts zu tun. Der Gebrauch des Sünnopfer-Motivs ist ungeheuer voraussetzungsreich. Und von daher sehr missverständlich, wenn man sich diese Voraussetzungen nicht bewusst macht. Und ich nehme das schon mal vorweg zu dem Ergebnis kommen, dass biblisch gesehen die Metapher vom Sünnopfer durchaus einen guten Sinn ergibt. Wir sie aber trotzdem heute nicht mehr verwenden sollten. Weil sie aufgrund der Wirkungsgeschichte so viele Missverständnisse im heutigen Menschen hervorruft, dass wir das nicht einfach unbesehentlich so verwenden könnten.
Wir müssten ja jeweils, wenn wir das sagen, ein 30-minütiges Referat dazu halten. Das geht nicht. Ursprung ist zunächst einmal gar nicht der kultische Bereich im engeren Sinne. Sondern das Recht. Wenn wir mal schauen, beispielsweise ins Buch Exodus, das zweite Buch Mosin, das 21. Kapitel. Da ist davon die Rede, dass ein so ein wild gewordenes Rind eines israelitischen Bauern jemand anders zu Tode gebracht hat. Ich meine so ein Stier oder was, das kann schon gefährlich werden. Und da heißt es, wenn der Besitzer das schon wusste, dass dieses Tier gefährlich ist, dann muss nicht nur das Tier getötet werden, dann muss auch der Besitzer getötet werden.
Weil es ja praktisch sowas ist wie fahrlässige Tötung. Er wusste, das Tier ist gefährlich und hat aber nichts gemacht. Wir müssen uns jetzt nicht unterhalten über Todesstrafe und den Sinn usw. Das ist ein eigenes Thema. Meines Wissens gibt es keine Gesellschaft in der Antike, die Todesstrafe nicht kannte. Im Judentum war das insgesamt sehr moderat. Aber eine antike Gesellschaft ohne Todesstrafe gab es nicht. Der Clou an dieser Geschichte ist jetzt auch gar nicht, dass dieser Besitzer des Rindes zu Tode gebracht werden soll, sondern dass es eine Auslösemöglichkeit für ihn gibt. Es kann auch Sühne geschaffen werden als Ersatz für den Tod. Als Ersatz für den Tod kann es eine Sühneleistung geben.
Es wird eine Zahlung vereinbart, eine Entschädigung vereinbart, damit er nicht sterben muss. Also Sühne ist insofern keine Strafe, die auferlegt wird, sondern eine Befreiung vom Tod. Sühne ist etwas Gutes, etwas, was gewährt wird. Und das wird jetzt auf die kultische Ebene gehoben. Im großen Sühnetag bringt der hohe Priester ein sogenanntes Sühnopfer dar. Ein kultisches Geschehen. Das ist so etwas wie ein kultisches Ritual, fast ein kultisches Schauspiel. Aber es ist nicht so, dass in diesem Sühneverständnis es so wäre, dass Gott dadurch versöhnt wird, dass ihm ein Opfer dargebracht wird. Es ist kein Du ud des Denken, ich gebe, damit du gibst.
Also wir Opfer mal fleißig und dann wird Gott wieder lieb mit uns sein. Sondern Gott gewährt die Versöhnung. Der hohe Priester hat nur eine Rolle. Er spielt hier eine Mittlerrolle. Er symbolisiert das ganze Geschehen nur, wenn jetzt hier das Blut eines Opfertieres appliziert wird, angebracht wird auf der Deckplatte des Allerheiligsten, der Bundeslade bzw. dessen, was später dann stand. Die Bundeslade ist ja verloren gegangen, wie wir wissen, im babylonischen Krieg. Also ursprünglich war es die Bundeslade. Dann löst er sozusagen dieses Faire der Sünde aus und er symbolisiert die Versöhnung, die Gott gewährt. Gott versöhnt mit dem Volk.
Es ist nicht so, dass durch eigene Anstrengungen, durch irgendwelche Riten oder was, das Volk eine Versöhnung oder der Priester eine Versöhnung mit Gott herbeizaubert. Sondern Gott gewährt die Versöhnung. Und insofern kann jetzt auch Paulus, um jetzt doch auf Paulus zurückzukommen, jetzt müssen wir an der Stelle, diese Metapher des Sühnopfers gebrauchen. Im Römerbrief im dritten Kapitel, im Vers 25 wird Jesus Christus bezeichnet als Sühneort, als Hilasterium, als ursprünglich die Deckplatte der Bundeslade. Er ist der Ort, wo die Versöhnung, sozusagen die Sühne stattfindet, wo die Sünde hinweg genommen wird. Also ist es auch hier nicht so, dass durch ein irgendwelches Blutopfer jetzt Gott wieder versöhnlich gestimmt wird und gerecht gemacht wird.
Sondern in diesem Geschehen vollzieht sich symbolisch. Es ist ein Sprachspiel, das Paulus anwendet, wird symbolisch fassbar, dass Gott Versöhnung gewährt. Und das kann Paulus jetzt auch noch mal traditionsgeschichtlich so leicht, leicht in Anführungszeichen, auf Jesus beziehen, weil es auch da schon eine Tradition für gibt. Nämlich in der jüdischen Märtyrerteologie. Im vierten Maccabea Buch, ich habe gestern aus dem zweiten zitiert, im vierten Maccabea Buch gibt es ein solches Denken, dass der Tod der Märtyrer Sühne schafft. Im Nachhinein wird dieser Tod der Märtyrer so gedeutet.
An sich ist eben der Tod ein sinnloses Geschehen. Aber Gott ermöglicht einen Neuanfang. Darauf kommt es an. Neue Lebensmöglichkeiten werden geschaffen. Also diese ganze Sühnopfer hat eine Sühnopfer-Metaphorik, hat ursprünglich gar nicht dieses Drückende, was wir hier damit verbinden. Und ist gar nicht das, ja Gott muss eben dieses Blut sehen und so weiter, sondern ist eigentlich ein versöhnendes Ritual. Nur ist es uns heute unverständlich. Wir haben diesen ganzen Opferkult nicht. Wir müssen erstmal sozusagen eine religionsgeschichtliche Vorlesung besuchen oder ein religionsgeschichtliches Buch lesen, um zu verstehen, was Sühne in der damaligen Zeit war. Und deswegen ist es ein Sprachspiel, was damals seine Berechtigung hatte und gute Bedeutung hatte, aber was wir heute lieber lassen sollten, weil es völlig in die Irre führt nach unserem Verständnis.
Wie hat eigentlich Kleiner Exkurs an der Stelle Jesus selber seinen Tod verstanden? Nichts deutet darauf hin, dass er ihn in diesem Sinne verstanden hätte. Wir haben ja schon mal drüber gesprochen. Wusste Jesus, dass er sterben musste? Ja, ich bin der Überzeugung, zusammen mit Siegfried Zimmer, er ging nicht nach Jerusalem, um zu sterben. Aber irgendwann in Jerusalem musste er wissen, das Ganze wird wahrscheinlich kein gutes Ende hier finden, sondern das wird möglicherweise wenigstens mit meinem Tod enden.
Und irgendwann durfte er auch die Gewissheit gehabt haben. Und meines Erachtens nach zeigt sich diese Gewissheit beim letzten Mal mit den Jüngern. Es ist zwar auch im Einzelnen umstritten. Wir werden fast keinen Spruch Jesu finden, wo alle Theologen sagen, das ist tatsächlich ein Originalwort Jesu. Kann es ja auch schon deswegen nicht sein, weil ja alles auf Griechisch überliefert ist und der wird gar nicht Griechisch gesprochen haben. Also von daher mit den Originalworten sollten wir immer vorsichtig sein. Aber es gibt doch gewisse Kriterien, die möchte ich jetzt nicht ausbreiten, die es wahrscheinlich machen oder unwahrscheinlicher, dass wir es mit einem Originalwort Jesu zu tun haben. Und eine nicht geringe Zahl von Bibel Exegeten sagt, im Zusammenhang mit dem letzten Mal Jesu ist uns ein Spruch Jesu überliefert,
der eigentlich nicht gut reinpasst in diese ganze Liturgie, die hier eigentlich auch aufgegriffen wird. Denn es ist ziemlich deutlich bei diesen Abendmalstexten, wo es übrigens auch zwei verschiedene, grob gesagt, zwei verschiedene Varianten gibt. Lukas und Paulus auf der einen Seite, Markus und Matthäus auf der anderen Seite. Wenn man das mal miteinander vergleicht, sieht man, dass das zwei unterschiedliche Traditionen sind. Dass diese Worte, die beim letzten Abendmal von Jesus gesprochen werden, sich insgesamt dem Ritus schon der Gemeinde verdanken. Aber es gibt einen Satz da drin, der nicht gut reinpasst. Und der Satz lautet Amen, ich sage euch, ich werde von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu dem Tag, da ich aufs Neue davon trinken werde im Reich Gottes. Dieser Satz ist, finde ich, gut vorstellbar im Munde Jesu.
Und zwar deswegen, weil er einerseits die Todesgewissheit ausdrückt, andererseits diesem Tod an sich keine heilsmittlerische Bedeutung zuschreibt, so wie der theologische Fachausdruck hier lautet. Also durch den Tod ist sozusagen das Mittel zum Heil, das steht hier eben gerade nicht. Aber die Gewissheit ausdrückt, die Hoffnung ausdrückt, nicht ins Nichts zu fallen. Und dass das, was er immer verkündet hat, nämlich das Reich Gottes, dass das durch seinen Tod nicht zu Ende ist, dass diese Botschaft nicht gescheitert ist. Natürlich kann man immer noch sagen, auch das wird ihm nachträglich in den Mund gelegt. Ist ja auch möglich, aber so viel Hoffnung möchte ich Jesus schon zutrauen, dass er die gehabt haben kann.
Aber wir halten fest, eine ausdrückliche Deutung seines Todes liegt hier nicht vor. Wir können nicht fragen, wie hat Jesus selber seinen Tod gedeutet im Sinne einer Heilsmittlerschaft und zu sagen, ja dann ist es so. Kann es nach all dem für uns heute einen Sinn haben zu sagen, dass Jesu Tod uns erlöst hat? Ja, aber zunächst einmal möchte ich noch mal unterstreichen, Jesu Tod an sich ist sinnlos. Der Tod kann uns nicht erlösen. Erlösend ist nicht der Tod. Erlösend ist nicht der Tod am Kreuz.
Erlösend ist allein die Liebe Gottes. Tod ist sozusagen das Gegenteil von Gott. Gott steht für Leben, nicht der Tod erlöst. Aber im Leiden und Sterben des Gerechten aus Nazareth zeigt sich uns in besonderer Weise diese Liebe Gottes. Und somit könnten wir verkürzt davon sprechen, dass in Tode Jesu Heil für uns ist, eine Erlösung ist. Aber hier ist es fast so ähnlich wie mit dem Wort vom Sünnetod. Es bedarf der Erläuterung.
Und wenn ich das einfach nur als Formel nehme, als verkürzte Formel, wird eigentlich mein Zuhörer auf die falsche Fährte gesetzt. Der Tod an sich erlöst nicht. Wir sollten also nicht Jesu Tod preisen, sondern sein Leben, seine Treue bis in den Tod und den liebenden Gott der mitten in tödlichen Strukturen Leben schafft. Damals wie heute. Jesus, der wahre Mensch, ist wie niemand sonst transparent für die Liebe Gottes. Er hat diese Liebe gelebt und noch in seinem Sterben bezeugt er sie. In seinem Sterben verrät er nicht die Liebe Gottes. Er verflucht nicht diejenigen, die ihn zu Tode bringen. Er trägt dieses Leiden. Er ruft nicht nach Rache und Vergeltung.
Auch wenn es kein historisches Wort ist, hat meines Erachtens nach Lukas diesen Gedanken in seinem Evangelium sehr schön zum Ausdruck gebracht, als er Jesus am Kreuz noch für seine Peiniger beten lässt als eines der letzten Worte am Kreuz. Jesus hat eine Botschaft verkündigt, die Botschaft von der hereinbrechenden Herrschaft Gottes. Eine Herrschaft, in der die Ersten, die Letzten und die Letzten die Ersten sein werden. Der Kreuzestod zeigt, er ist der Letzte. Er ist dieser Letzte. Es ist nämlich das Letzte am Kreuz zu enden. Er ist ganz unten. Er ist dieser Letzte und als solcher wird er der Erste sein. Der Gekreuzigte bekundet also den Gott, der in der Tiefe, im tödlichen Elend, in der Verlorenheit und Niedrigkeit da ist.
Das bringt Markus in seinem Evangelium nochmal mit einem Bild zum Ausdruck. Als Jesus stirbt, heißt es, da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei. Der Vorhang, der den direkten Anblick der Majestät Gottes bisher nicht erlaubte. Er zerreißt im Moment des Todes Jesu. Auch das ist keine besondere historische Information, die Markus jetzt gehabt hätte, sondern ein Bildwort. Und es zeigt uns, jetzt ist Gott sichtbar, nämlich im Leiden und Sterben dieses Menschen hier am Kreuz sehen wir auf Gott, wie Gott ist. Gerade in der Ohnmacht wird also Gottes Macht und Wirken sichtbar. Das Böse wird durch das Gute überwunden. Das ist keine Verklärung des Leidens, im Gegenteil, es ist Solidarität mit den Leidenden und Protest gegen das Leiden.
So wird das Kreuz zum Zeichen des Widerspruchs, zum Widerspruch gegen Macht, Missbrauch und Gewalt. Und so bleibt das Kreuz auch Realität in unserer Welt, auch wenn bei uns keine Kreuze mehr materiell stehen, keine Holzpfähle mehr, an die jemand gehaftet wird. Auch in der heutigen Welt erfährt der Mensch eine Wirklichkeit, die sich in Unordnung befindet, in Ungerechtigkeit befindet. Eine Welt, in der nicht alles heil ist. Der Tod Jesu, sein Kreuzestod wirkt auch insofern, finde ich, für uns erlösend, als er uns zeigen kann, wir sind nicht vollkommen erlöst. Wir sind erlöst und nicht erlöst zugleich. Wir leben nach wie vor in einer nicht erlösten Welt. Alles andere wäre Traum, Tänzerei.
Man kann nicht angesichts von Millionen Todesopfern in den Gaskammern der Nazis sagen, ja Hauptsache wir sind erlöst. Nein, wir leben in einer unerlösten Welt. Der Tod Christi weist uns auf diese Unerlöstheit hin, auf die Unerlöstheit der Welt und des Menschen. Gott erlöst uns nicht vom Leid, sondern im Leid. Nicht Gott brauchte das Kreuz, sondern wir brauchen es, um zu erkennen, dass auch in der tiefsten Traurigkeit, der tiefsten Tristesse, im tiefsten Leid, selbst in Momenten der absoluten Gottverlassenheit paradoxerweise die Liebe Gottes aufscheinen kann. Dass wir auch in solchen Momenten von der Liebe Gottes umfangen sind. Mit anderen Worten, der Weg Jesu ans Kreuz zeigt uns, dass wir nicht in einer heilen Welt leben müssen, um Heil zu erfahren.
Unser Leben ist stets gebrochen. Nirgendwo läuft alles rund. Diese Fragmentarität und Fragilität anzunehmen, fällt uns schwer. Wir flüchten uns gerne in Ersatzidentitäten, in Computerspielen, da sind wir die Starken. Oder als Fan eines Fußballclubs. Natürlich eines erfolgreichen, was meinen Sie, wie viele Fans in der ganzen Republik Energie Cottbus hat? Im Vergleich zu Bayern München. Ja, das muss sein. Es muss der Sieger sein. Deswegen identifiziert man sich. Und da ist es natürlich ganz dumm, wenn man in einer Saison drei Mal nur Zweiter wird. Da tritt der Präsident dieses Vereins auf und sagt, so geht es aber nicht, auf Dauer kann das nicht so bleiben. Das kann ich nicht akzeptieren, wörtlich. Das kann ich nicht akzeptieren. Drei Mal Zweiter, das geht nicht. In dieser Logik ist nämlich der Zweite der erste Verlierer.
Da wird man verspottet als Fizekusen, erntet allenfalls Mitleid. Wir denken, wir müssen das selber schaffen, wir können es aber nicht. Die Geschichte Jesu ist keine solche Triumphgeschichte. Es ist die Geschichte eines Scheiterns, rein historisch gesehen. Es ist die Geschichte, die uns nicht einen Mann zeigt, der im Sturmlauf die Macht an sich reißt. Es ist auch keine vom Tellerwäscher zum Millionärgeschichte. Es ist auch nicht die Geschichte eines Westernhelden, der kurz mal aufräumt, die ganze Ungerechtigkeit zur Seite ballert und dann wieder dem Sonnenuntergang entgegenzieht. Nein, eine solche Geschichte bietet uns Jesus nicht. Und gerade deshalb ist diese Geschichte für uns umso viel wertvoller.
Sie zeigt uns, dass wir keine Sieger sein müssen, um angenommen und anerkannt zu werden. Ist das nun ein Christentum Leid, was ich hier predige? Ein Ayapopaya-Gott. Viele Theologen sagen, nur vom lieben Gott zu reden, das ist ja zu wenig. Ich persönlich rede gar nicht vom lieben Gott, ich rede vom liebenden Gott. Das ist was anderes. Es ist nicht ein Kuschelgott. Aber an dem Gedanken, dass Gott der Gott der Liebe ist und sich zentral zeigt in diesem Leben, auch in dem Scheitern des Menschen aus Nazareth, daran möchte ich festhalten. Und nur so in diesem Scheitern zeigt uns Gott die Erlösung. Eine Erlösung, die in unserem Leben hier nie vollkommen ist, die aber erhofft werden darf, so wie der Gerechte im Buch der Weisheit schließlich in Gottes Hand fällt,
so wie Jesus auferweckt wird. So hoffen wir auf die Vollendung unserer Erlösung.
Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu aus heutiger Perspektive | 2.4.1
Musste Jesus aus Nazareth stellvertretend für die Schuld der Menschheit sterben? Brauchte Gott dieses Opfer, um vergeben zu können? Und was ist das dann bitte schön für ein Gott, der seinen eigenen Sohn grausam über die Klinge springen lässt?
Die Frage nach der Deutung und Bedeutung des Todes von Jesus aus Nazareth ist zweifellos eine der zentralsten Fragen des christlichen Glaubens. Dass es trotzdem nicht die eine Antwort auf diese Frage gibt und sich zu verschiedenen Zeiten auch sehr unterschiedliche Deutungen durchgesetzt haben, demonstriert Dr. Thomas Breuer in seiner Vorlesung sehr eindrucksvoll und auch sehr mutig. Denn Thomas Breuer weicht nicht aus, akzeptiert kein “Das muss man halt so glauben”-Dogma und gibt sich auch der Versuchung der in diesem Kontext beliebten “Das ist halt so”-Ausrede nicht hin. Aus Sicht der historisch-kritischen Bibelwissenschaft zeigt er die Thematik in ihrer Komplexität, scheut sich nicht davor Paulus zu kritisieren, verweist auf außerbiblische Quellen der Antike, erläutert die Satisfaktionslehre, ihre bis heute wirkenden Folgen und zeigt auf, dass ein zweiter und dritter Blick auf den Begriff der Sühne nicht nur eine gute Idee ist, sondern der entscheidende Schlüssel, um sich letztlich mit Paulus “zu versöhnen” und sich der Bedeutung des Todes von Jesus aus Nazareth angemessen zu nähern.
Mit dieser Vorlesung liegen 83 anspruchsvolle Minuten vor, die viele Anregungen zum Nachdenken und zum persönlichen Weiterforschen geben. Denn eins ist klar: Dieses Thema ist keine leichte Kost, sondern fordert seinen Tribut.