Themenbereich: Vorworte zu biblischen Büchern
»Alles ist nichtig, flüchtig« – diese Aussage kennen wohl die meisten Menschen in unserem Kulturkreis, die wenigsten wissen, wo dieser Satz steht. Er klingt leicht depressiv, resigniert. Und er steht im Buch Kohelet. Diejenigen, die wissen, wo dieser berühmte Satz steht, nennen Kohelet einen Skeptiker, einen Hedonisten oder Pessimisten. Er selbst beschreibt sich als König und Prediger. So gespalten die Meinungen zu ihm sind, so widersprüchlich scheinen die Verse in seinem Buch. Sie wirken mal hoffnungslos, mal rufen sie zu Lebensfreude und Gelassenheit auf, bleiben fern von allem vereinfachenden Schwarz-Weiß-Denken. Und passen damit perfekt in unsere Zeit. Wie die Lesenden selbst das Buch verstehen, »hängt wohl sehr von der eigenen Einstellung und Weltsicht ab«, fasst die Alttestamentlerin Annette Schellenberg dann auch zusammen. Sie erklärt in ihrem Vortrag, wer Kohelet vermutlich war, wann das Buch entstanden ist, an wen es sich richtete und was er uns mit seinen Worten über die großen Themen des Lebens, über Altern und Sterben, Reichtum und Genuss, heute noch sagen kann.
Dass der Bruder Jesu einen der Briefe im Neuen Testament verfasst hat, haben viele Menschen erst durch eine aufsehenerregende Fälschung mitbekommen: 2001 war ein Knochenkasten aufgetaucht, der die Knochen von Jakobus enthalten haben soll. Jakobus, der Bruder Jesu. Die Inschrift stellte sich als Fälschung heraus, aber in vielen Köpfen blieb hängen: Jesus hatte einen Bruder. Und von diesem Bruder gibt es sogar einen Brief in der Bibel, gerichtet an alle Juden in aller Welt. Aber wurde dieser Brief wirklich von Jesu Bruder verfasst? Was wissen wir über den Verfasser, über die Adressaten und die Zeit und Umstände, in der sie lebten? Der evangelische Theologe Theo Heckel beantwortet diese Fragen nach dem neuesten Stand der Forschung und erklärt, wie der Inhalt dieses unscheinbaren Briefes in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Debatten über Glaubensfragen befeuerte – und wie er den Königsweg darstellen könnte für die Lösung des immer wieder aufflammenden Konflikts zwischen Juden- und Christentum.
Meistens trennen wir in unserer Gesellschaft Staat und Religion. Außer wenn es um Kruzifixe in bayrischen Behörden geht. Die Bibel hält sich nicht daran, sie ist hochpolitisch, allen voran das Jesajabuch. Es zeigt, dass das Verhältnis der Menschen zu Gott abhängig ist von den sozialen Verhältnissen der Menschen untereinander. Dass Menschen, die auf Gott schauen, auch Ungerechtigkeiten ansprechen müssen. Wie waren die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit der Entstehung dieses Buches? Was hat Gott damit zu tun? Welche Stellung hat das Buch in der Bibel, für wen wurde es geschrieben und was sagt es uns heute? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Konrad Schmid, Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte, in diesem Vortrag.
Es gibt so schöne Bücher in der Bibel: die Evangelien, das Hohelied, die Psalmen. Bücher, die sich leicht lesen lassen, die ohne viel Blutvergießen auskommen (mal abgesehen von der Kreuzigung). Und dann gibt es das Richterbuch: Grausamkeit, Krieg, Streit, Vergewaltigung. Wer mit dem Alten Testament hadert und lieber nur die kleine Version der Bibel mit Neuem Testament und Psalmen auf dem Nachttisch liegen hat, stört sich wahrscheinlich vor allem am Richterbuch. Wie konnte Gott so etwas zulassen? Warum war Gott so? Oder ist? Theologe Heinz-Dieter Neef erklärt, warum es im Richterbuch so grausam zugeht, was Gott da mit seinem Volk tat und warum gerade im Richterbuch so viele Frauen eine wichtige Rolle spielen.
Zwischen dem Buch der Prediger mit all seinen Sprüchen über Alter und Tod und dem gewichtigen Jesajabuch steht eine Schrift, die für die Bibel ungewöhnlich erotisch anmutet, voller Lebenslust und (sexuellem) Verlangen. Es ist das „Lied der Lieder“, wie Luther es übersetzt, das Hohelied. Angelika Berlejung, Professorin für Alttestamentliche Geschichte, erklärt, warum solch ein Buch überhaupt in der Bibel steht, wer es geschrieben haben könnte, was es mit Salomo und uns in der Moderne zu tun haben mag. Und sie öffnet einen Blick auf dieses Buch, der den meisten neu sein dürfte: Als Gegenstück, als Wiedergutmachung geradezu für einige der ersten Texte der Bibel. Denn das Hohelied weist den Weg zurück in die Zeit vor dem Sündenfall. Als Frau und Mann ohne Heiratsdruck und Fortpflanzungsverpflichtung einfach nur voller Freude zusammenlebten.
Es geht um die großen Themen der Menschheit: Liebe und Familie, Herrschaft und Gewalt, Depression und Heilung, Erfolg und Scheitern. Gebündelt in der Geschichte eines Menschen, wie er in der Bibel kein zweites Mal auftaucht: König David. Über keine biblische Figur erfahren wir so viele Details aus seinem Leben. Das meiste davon steht in den Samuelbüchern.
Das zentrale Thema dieser Bücher ist die Etablierung einer neuen Gesellschaftsform für Israel. Die Israeliten wünschten sich ein Königtum. Und damit fing das Chaos an. Vor der Kulisse der historischen Umwälzungen zu Zeiten Davids erzählen die Samuelbücher von jenem David, der als größter König der Israeliten, als Vorfahr Jesu, als herausragender Gottsucher in die Geschichte einging und doch immer wieder in seinem Leben vor Gott und den Menschen grandios versagte.
Die römisch-katholische Theologin Ilse Müllner führt in diesem Vortrag durch das Leben Davids und Samuels, hebt die schonungslose Machtkritik in den Samuelbüchern hervor und erklärt auch, wie zuverlässig die Bücher als Geschichtsbücher eigentlich sind.
Wer Kinder hat, kennt es: Da befreit man sie aus dem tristen Alltag, macht einen Ausflug in den Zoo, kauft Eis und Plüschtiere – und dann nörgeln sie doch wieder nur. Undankbares Volk. Und trotzdem liebt man die Bande ja. So oder ähnlich ging es Gott wahrscheinlich, als er sein geliebtes und erwähltes Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreite, in der Wüste mit Wasser und Manna versorgte und sie dahin führte, wo sie sorgenfrei und gut leben sollten. Und was taten die Israeliten? Rannten davon, suchten sich andere Götter, beschwerten sich dann doch bei ihrem Gott und verlangten immer wieder, nach Ägypten zurückzukehren, da war es doch eigentlich ganz schön. Diese Geschichten zwischen dem Berg Sinai und der Grenze zum gelobten Land stehen im Buch Numeri. Es ist das unbekannteste Buch der fünf Bücher Mose. Völlig zu unrecht, beschreibt es doch wie kaum ein anderes, wie Gott mit seinem Volk umgeht. In keinem Buch spricht er so viel wie in Numeri. Es ist die Grundlage der Beziehung zwischen Gott und seinen Kindern. Der Theologe Christian Frevel bringt uns dieses Buch näher, das er selbst so faszinierend findet. Er blickt hinter die Zahlen und Listen im Numeri-Buch, die so viele Menschen abschrecken. Er zeigt, was das Buch mit der Suche nach Identität und Einheit trotz Vielfalt zu tun hat. Und er bringt diese uralte Schrift ins Heute. Denn dieses Buch kann auch allen von uns Orientierung bieten, die sich durch ihre ganz eigene Wüste schleppen. Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«
Es ist ein Buch voller Regeln und Zurechtweisungen, keine leichte Kost in unserer Welt, in der Freiheit über allem steht und die meisten Menschen auch ihren Glauben an Gott eher locker nehmen. Thomas Hieke erklärt, warum es sich lohnt, sich dieses Buch genauer anzuschauen. Warum es nicht abgetan werden kann als eine Unmenge an Regeln, die ja den Israeliten, den Juden gegeben wurden, die mit uns nichts zu tun haben. Denn es geht um mehr als Regeln und wann welcher Priester welches Opfertier darbringen darf. Es geht um Versöhnung, um Gewissensbisse und Schuld. Darum, wie wir Menschen miteinander umgehen. Warum etwa die Verarmung großer Bevölkerungsanteile Freiheit und Wohlstand aller gefährden oder wie Geschlechtergerechtigkeit vor 2500 Jahren aussah. Und es die Grundlage dafür, den Tod Jesu überhaupt erst zu verstehen. Wer Hieke zuhört, verliert die Gleichgültigkeit vor diesem Buch. Denn seine Deutung von Levitikus kann zu mehr Glück und Erfüllung führen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Es war doch alles schon erzählt: Der zeugte den, dann kamen ein paar Könige, einer baute einen Tempel und irgendwann wurden Tempel und Stadt zerstört und die Oberschicht der Israeliten nach Babylon verschleppt. Wozu also nochmal zwei Bücher, die seitenweise Namen auflisten und das ganze Grauen der Niederlage vor den Babyloniern erzählen? Und die ganze Geschichte dann auch noch an bedeutsamen Stellen verändern? Diese Fragen haben sich durch die Geschichte hinweg sicher unzählige Menschen gestellt und die Chronikbücher schnell überblättert. Wusste man ja alles schon. Der Theologe Thomas Hieke möchte die Chronikbücher von der unverdienten Geringschätzung befreien. Er erklärt, warum die Bücher wichtig sind, warum manches verändert, anderes neu erzählt wird. Und er führt in seinem Vortrag zum Herz der Chroniken, zur zentralen Aussage dieser zwei Bücher, die eben mehr sind, als ein Nachtrag zu den anderen Geschichtsbüchern. Und die auch heute noch zu uns sprechen sollen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Die Geschichte gehört in jede Kinderbibel: der widerspenstige, irgendwie etwas trottelige Prophet, der Gott nicht gehorchen will; der Sturm und der Wal, die nie so richtig bedrohlich wirken; und das Happy End, als Jona dann doch tut, was Gott von ihm will, und die bösen Menschen von Ninive schließlich gute Menschen werden.
Und die Moral von der Geschicht’? Das war’s noch nicht.
Die österreichische Theologin Irmtraud Fischer entreißt die Geschichte der Niedlichkeit der Kinderbibeln und macht deutlich, worum es im Buch Jona eigentlich geht: um ein Trauma. Gott schickt Jona nach Ninive, ins Herz des Assyrerreiches. Ausgerechnet die Feinde Israels soll Jona vor Gottes Zorn warnen – und damit retten. Die Assyrer haben das Nordreich der Israeliten zerstört und das Südreich fast dem Erdboden gleich gemacht. Sie haben die Bevölkerung verschleppt und verschreckt. Sie haben wahrscheinlich auch Jona leiden lassen. Kein Wunder, dass er vor Gottes Auftrag flieht.
Jona verhält sich wie ein traumatisierter Mensch im Angesicht seines Peinigers, diagnostiziert Irmtraud Fischer. Sie beschreibt, wie diese Zwangskonfrontation mit dem Erlebten dem traumatisierten Jona hilft, mit dem Schrecken klarzukommen. Sie zieht damit auch die Parallele zum Heute, zu unseren Ängsten und Traumatisierungen. Und sie erklärt, was es mit dem Epilog der Jona-Geschichte auf sich hat, der aus den Kindergeschichten meist herausfällt.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Um das Johannesevangelium zu verstehen, fängt Jörg Frey hier am Ende an: Bei jenem Ereignis, das grausamer kaum sein könnte – Jesu Tod durch die Folter am Kreuz. Der doch das größte Liebesbekenntnis seit Menschengedenken ist. Was sagt dieses Evangelium über Jesus und sein Leben vor seinem schrecklichen Sterben? Was bedeutet es für uns, für unsere Sicht auf die Welt und den Glauben? Es geht in diesem Vortrag um die Theologie des Johannes, darum, was er aussagen will, wenn er wie kein anderer über Jesus als Gott spricht. Eine kühne Botschaft, vor allem für Juden. Denn im jüdischen Verständnis ist klar: Es gibt nur einen Gott. Und dieser Gott hat keine Kinder wie die Götter der Heiden. Aber auch die damaligen Nicht-Juden dürften ihre Schwierigkeiten mit Jesus als Gott gehabt haben. Denn nach allem, was sie wussten, können Götter zwar zahlreiche Kinder haben, aber nicht sterben. Und was machen wir heute aus dieser Geschichte? Wir haben die Menschwerdung Gottes gezähmt, zur Weihnachtgeschichte mit Baby und Engeln verniedlicht. Die Kreuzigung blenden wir aus, zur Auferstehung bemalen wir Hühnereier. Was wirklich hinter den Geschichten im Johannesevangelium steckt, erklärt nun Jörg Frey. Wie sich alles auf das Ostererlebnis ausrichtet, als die Jünger verzweifelten, andere spotteten und über all dem ein zweites Bild liegt, das Verzweiflung und Häme überstrahlt: Herrlichkeit statt Grausamkeit, Erfolg statt Niederlage. Das Johannesevangelium ist „eine Sehschule des Glaubens“, sagt Frey und führt uns so nah wie möglich dahin, zu verstehen, was es bedeutet, dass Jesus Gott ist – und doch Mensch. Und wie wir den Glauben daran in uns geschehen lassen können.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.
Philosophen und Dichter waren von ihm fasziniert, Germanistikstudierende sollten es kennen, und Christen finden in ihm vor allem Vertrautheit und Trost. Kaum ein Buch in der Bibel konfrontiert uns derart mit Jesus Christus wie das Evangelium des Johannes. Jörg Frey beschäftigt sich seit 30 Jahren als Wissenschaftler mit diesem, seinem Lieblingsbuch in der Bibel. Dieses Evangelium ist zugänglich für jeden und doch unendlich tief. Diese Tiefe lotet Frey in gleich zwei Vorträgen aus. Wer war dieser Johannes, der das Evangelium geschrieben haben soll? Woher weiß er von so persönlichen Gesprächen zwischen Jesus und der Frau am Brunnen oder Jesus und Pilatus? Und warum lässt er Geschichten aus, die in den anderen Evangelien überliefert sind? Die ernüchternde Antwort vornweg: Das Johannesevangelium ist kein historisches Zeugnis, sagt Frey, sondern Literatur. Was bedeutet das für uns, für Christen und Nicht-Christen? Welche Autorität hat dieser Text dann noch? Frey versöhnt uns damit, dass Johannes hier keine historischen Tatsachen schildert. Er erklärt, warum der Text dennoch wahr ist und ein Weg, um Christus neu und anders kennenzulernen. Und wir lernen, was Bibeltreue wirklich bedeutet: Nämlich nicht schönreden und bedingungslos nicken, sondern auch kritische Fragen stellen. Denn erst die führen zur Erkenntnis.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.