Im 21. Jahrhundert schreibt man Mails und Kurznachrichten, schreibt »Hi« und »LG« oder auch gar keine Grußformeln mehr, schickt Emojis und »LOL«. Viele wissen, was gemeint ist, manche sind empört ob der Unhöflichkeiten, und wenn die Server und Festplatten irgendwann einmal kaputtgehen, ist alles Geschriebene auf immer verloren.
Anders als Briefe, die vor 2000 Jahren geschrieben wurden. Sie waren lang, sie enthalten ausführliche Grußformeln, keine Emojis, und wir können sie heute noch lesen (wenn auch meist nicht im Original). Der Apostel Paulus ist gerade wegen seiner Briefe unter Christen und darüber hinaus bekannt. Anders als viele Menschen heute Nachrichten schreiben, hat Paulus seine Briefe mit Bedacht verfasst. Die meisten seiner Adressaten kannten ihn noch gar nicht, seine Briefe waren der erste Eindruck, den andere von ihm bekamen, seine einzige Chance, in der Ferne bei den jungen »christlichen« Gemeinden ernst genommen und bei Besuchen aufgenommen zu werden.
Der Theologe und Professor für Papyrologie Peter Arzt-Grabner erklärt in seinem Vortrag, was wir heute über die kunstvollen Briefe des Paulus wissen, warum er welche Worte benutzt hat und wie uns diese Jahrtausende alten Briefe überliefert wurden.

War Paulus Jude – oder Christ? Die Antwort ist für die Theologin Kathy Ehrensperger klar: Paulus war einer der ersten Christus-Nachfolger und ist Jude geblieben. Um zu verstehen, was das bedeutet, müsst ihr alles vergessen, was ihr über das Judentum zu wissen glaubt. Das Judentum der Antike hat nichts mit dem Judentum der Neuzeit zu tun, betont Ehrensperger. Und sie erklärt, welche Stellung die Juden unter der römischen Herrschaft hatten, wie Nicht-Juden in die eigentlich jüdische Gruppe der Christus-Nachfolger integriert wurden und wie die Römer mit anderen jüdischen Gruppen umgingen, die ihren eigenen Messias verkündeten. Und sie wagt sich an heikle Fragen heran: Haben die Juden damals einen Fehler gemacht? Müssen sie bekehrt werden? Oder wie sollte die Beziehung von Christen und Juden heute aussehen?

Paulus trug zwei Welten in sich. Er war jüdischer Schriftgelehrter und römischer Bürger. Und möglicherweise auch Nachkomme von Sklaven. So erklärt sich, wie er als Jude gleichzeitig Römer sein konnte. So erklärt sich auch, warum Paulus in seinen Briefen so oft von Sklaverei schreibt und warum es ihm so wichtig ist, seinen Lebensunterhalt mit einem eigenen Handwerk verdienen zu können. Und noch ein Thema zieht sich durch Paulus’ Schriften: das Vereinswesen im römischen Reich.
Der Theologe Peter Arzt-Grabner beschreibt die Welt, in der Paulus lebte, die Kulisse, vor der sich die erste große Missionsgeschichte des Christentums abspielte. Er erklärt, wie Paulus an neuen Orten sein Netzwerk aufbaute, was es bedeutete, römischer Bürger zu sein, und wie sich Sklaverei in der Antike von dem unterschied, was wir heute als Sklaverei kennen.

Natürlich geht es in der Bibel um die Liebe. Rauf und runter: die Liebe Gottes zu den Menschen, zu seinem Volk, zu ganz bestimmten Menschen, die Liebe der Menschen untereinander, Nächstenliebe, Feindesliebe. Aber körperliche Liebe? Leidenschaft, Lust, Begehren? Das gehört sich doch nicht!
Oder?
Diese Vorstellung war in der Geschichte des Christentums zeitweises so absurd, dass Luther den Titel des sinnlichsten Texts in der Bibel so übersetzte, dass er an einen anderen Text erinnerte, in dem es tatsächlich nicht um die sinnliche, körperliche Liebe geht. So absurd, dass sich Theologen jahrzehntelang darüber stritten, ob der Text nicht doch anders gemeint sein könnte.
Siegfried Zimmer hat da keine Scheu, sondern sagt es ganz deutlich: Beim hohen Lied der Liebe im Alten Testament geht es um die körperliche Liebe, um Leidenschaft und Erotik. Nirgendwo sonst im Buch der Bücher wird dieses Thema so einzigartig, so intensiv besprochen, voller Metaphern, Andeutungen und Eindeutigkeiten. Zimmer erklärt, wer das »Lied der Lieder« verfasst haben könnte, was einige Bilder im Text bedeuten und wie Gelehrte immer wieder vergeblich versuchten, ausgerechnet diesen Text zu beherrschen.

Die Menschen der Antike lebten auf dem Land. Jedenfalls die allermeisten. Nur etwa jeder zehnte Bewohner des römischen Reichs wohnte in einer Stadt. Jesus selbst kam vom Land. Er betrat – nach Darstellung der Evangelien – in seinem Leben nur eine einzige Großstadt – und das endete für ihn tödlich. Doch nach Jesu Auferstehung waren es gerade die Großstädte, in denen sich der christliche Glaube rasch ausbreitete. Um die Schriften im Neuen Testament besser verstehen zu können, ist es deshalb eine Hilfe, wenn wir wissen, wie diejenigen gelebt haben, an die diese Schriften gerichtet waren.
Siegfried Zimmer malt in diesem Vortrag die antike Großstadt Ephesus in die Ohren seiner Zuhörer. Er erzählt vom Reichtum der Stadt und dem Elend der Mehrheit ihrer Bewohner, von düsteren Mietwohnungen, öffentlichen Küchen und der pragmatischen Kaiserverehrung der Oberschicht.
In der Offenbarung des Johannes werden die sieben Sendschreiben an sieben (Groß)städte gerichtet. Das erste Sendschreiben geht an Ephesus. Dieser Vortrag dient also auch als Grundlage, um die Interpretation der Sendschreiben in Kapitel 2 und 3 vorzubereiten.

Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.

Die Versuchung ist groß, dieses rätselhafte Buch am Ende der Bibel, direkt auf unsere Zeit und unser Leben zu beziehen. Meistens mit einem gewissen Gruseln. Denn haben uns nicht Blockbuster und B-Movies gelehrt, was es mit dem Tier aus der Tiefe, der bösen dreistelligen Zahl und überhaupt mit dem Ende der Welt auf sich hat? Der Text selbst bietet Anlass dafür, dass noch heute, rund 2.000 Jahre nach seiner Entstehung, unsere Fantasie stark angeregt wird. Denn Johannes erwähnt an keiner Stelle die Römer und das Römische Reich, die damals größte Bedrohung für die Nachfolger Jesu. Johannes nennt keinen römischen Kaiser beim Namen, keine bedeutenden Zeitgenossen. Er verschlüsselt seine Botschaft in eine Bildersprache. Er schreibt unter anderem von einem Tier, einem Drachen und einer mysteriösen Zahl.
Siegfried Zimmer erläutert in diesem Vortrag einige der rätselhaften Bilder der Johannesoffenbarung und klärt vor allem die Frage: Welche Zeit meinte Johannes, als er aufschrieb, was »bald geschehen muss«?

Dieser Vortrag gehört zu der 12-teiligen Apokalypse des Johannes-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.

Es kann stolpern, schmerzen, reißen, brechen, es hält unheimlich viel aus und uns dabei am Leben. Unser Herz ist mehr als eine Pumpe. Es schlägt 100.000 Mal am Tag, durch Blutbahnen, die aneinandergereiht zweimal um die Welt reichen. Sein Schlag ist Rhythmus und Spiegelbild unseres Lebens. Sind wir glücklich, schlägt es leichter, sind wir ängstlich, schlägt es schneller. Und wenn wir uns verschließen, erbarmungslos sind uns und anderen gegenüber – dann verengen sich auch die Gefäße rund um unser Herz. Kein Wunder also, dass die Menschen vor uns in allen Epochen, in fast allen Kulturen, das Herz als das wichtigste Organ im Menschen betrachteten, Sitz von Identität und Seele. Der Theologe Siegfried Zimmer erzählt in seinem Vortrag, was unsere Vorfahren über diesen Mittelpunkt ihrer Existenz dachten. Er erläutert philosophische, theologische und medizinische Erkenntnisse. Und er erklärt, was dieser unruhige, vergängliche Teil unseres Körpers auch heute noch mit unserem Glauben und unserer Seele zu tun hat.

Der Heilige Geist hat vor langer Zeit Aposteln und Apostelschülern die Schriften des Neuen Testaments in den Kopf gepflanzt, sie haben gehorsam alles aufgeschrieben, und da steht es nun, unverrückbar, für immer. Und wir können es lesen.
Schön, wenn es so einfach wäre!
Jahrhundertelang hat die Kirche darauf bestanden: Das steht da so und gezweifelt wird nicht.
Wie Eltern, deren einzige Begründung ist: »Weil ich es saaage!«
Damit macht man sich angreifbar, wird nicht ernst genommen. Damit wird auch die Autorität der Bibel angreifbar gemacht, sagt der evangelische Kirchenhistoriker Holger Strutwolf. Er beschreibt, wie der Glaube an die sogenannte Verbalinspiration in der Aufklärung ihr größtes Disaster erlebte und wie die Verbreitung der Bibel nach der Erfindung des Buchdrucks diesen Glauben weiter erschütterte. Wie ist die Bibel nun wirklich entstanden, wenn sie nicht vom Himmel gefallen ist? Wie wurde aus Briefen und Handschriften die Heilige Schrift, wie wir sie heute kennen? Woran erkennt man, welche Schriften wann und warum geschrieben wurden? Wann wurden sie »heilig«? Strutwolf führt mit diesem Vortrag weiter durch die Entstehungsgeschichte des Neuen Testaments und klärt auf, was der Kanon den Gläubigen bedeuten kann, obwohl er von Menschen geschaffen wurde.

Über Jahrhunderte wurden uns die Schriften des Neuen Testaments als Handschriften weitergegeben. Allein 5700 sind es, die auf Altgriechisch erhalten sind. Schrittweise und fast unmerklich hat sich bei jeder neuen Abschrift der Charakter der Erzählungen und Briefe verändert, erklärt der evangelische Kirchenhistoriker Holger Strutwolf. Jede dieser winzigen Veränderungen sind geprägt von der Theologie, den Ängsten und Einstellungen jener Zeit, in der die Schrift abgeschrieben wurde. Auch Fehler wurden auf diese Weise weitergegeben, haben sich summiert.
Was bedeutet das nun für uns? Für alle Christen, die ihren Glauben und ihr Leben auf dem Neuen Testament gründen? Lässt sich wenigstens herausfinden, wie das Original lautet?
Holger Strutwolf erläutert, wie die neutestamentliche Textkritik versucht, den Urtext zu rekonstruieren, und wie Historiker und Theologen Texte vergleichen, Fehler entdecken und persönliche Einflüsse der längst verstorbenen Schreiber aufdecken. Und er erklärt, wie groß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten eines Textes wirklich sind – und ob Gläubige dem Neuen Testament noch vertrauen können.

Antike Alltagstexte auf Papyrus, Tonscherben und Holztäfelchen geben ein buntes Bild vom privaten wie öffentlichen Leben der Menschen zur Zeit des Neuen Testaments. Die in diesen Texten enthaltenen Themen umfassen ein breites Spektrum menschlichen Lebens: Von Sorgen um das Wohlergehen von Familie und Freunden, von Unfällen und Krankheiten, von Streitereien mit Nachbarn und Verwandten, von Geschäftsbeziehungen und vielem mehr ist dort die Rede. Zusammen mit Texten der Administration, Gerichtsakten und Arbeitsverträgen ermöglichen die antiken Alltagstexte weitreichende Rückschlüsse auf das ganz konkrete Leben von Männern und Frauen in den unterschiedlichen sozialen Schichten in biblischer Zeit.
Christina Kreinecker unternimmt mit ihrem Vortrag eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit und zeigt anhand ausgewählter Beispiele, wie wichtig die durch Zufall erhalten gebliebenen Alltagstexte für ein zeitgemäßes Verständnis der beinahe 2000 Jahre alten neutestamentlichen Texte sind.

Kaum geschrieben, schon übersetzt: Bereits für das zweite Jahrhundert nach Christus sind Übersetzungen des griechischen Textes des Neuen Testaments belegt. Damals wie heute stellen sich beim Übersetzen grundlegende Fragen, die weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der biblischen Erzählungen haben können. Was ist zu bevorzugen: eine wörtliche oder eine sinngemäße Übersetzung? Und was, wenn eine Übersetzung ganz einfach unmöglich ist? Dazu gesellen sich rasch grundsätzliche theologische Fragen: Welchen Stellenwert haben Übersetzungen im Verhältnis zum griechischen Text? Und wie sind die frühen Christen und Christinnen mit der Vielfalt an Texten umgegangen, die sich aus unterschiedlichen Übersetzungen ergeben?
Christina Kreinecker widmet sich in ihrem Vortrag den frühesten Übersetzungen des Neuen Testaments und den Schwierigkeiten, die mit jeder Übersetzung damals wie heute verbunden sind.

Das Thema »Heiliger Geist« gehört zu den wichtigsten und spannendsten Themen des christlichen Glaubens. »Vater und Sohn«, mit diesen Begriffen kann jeder etwas anfangen. Aber wer oder was – bitteschön – ist ein »Heiliger Geist«? Das Wort »Geist« weckt in uns nicht so vertraute Erinnerungen, Bilder und Gefühle, wie sie sich bei den Worten »Vater und Sohn« – und natürlich auch bei »Mutter und Tochter« – einstellen. Außerdem steht das deutsche Wort »Geist« in ganz bestimmten Zusammenhängen: Wir sprechen von der europäischen »Geistesgeschichte«, von Naturwissenschaften und »Geisteswissenschaften« et cetera. Für uns Deutschsprachige hängt »Geist« sehr eng mit »geistig« zusammen und ist eher etwas Intellektuelles und Theoretisches. Das ist im Hebräischen ganz anders!
Auf der Grundlage der hebräischen Sprache und Begriffe entfaltet Zimmer die alttestamentliche Sicht des Geistes beziehungsweise des Heiligen Geistes. Das führt zu überraschenden Erkenntnissen, die eng mit unserer Lebenserfahrung verbunden sind und der christlichen Erziehung beziehungsweise Verkündigung neue und sehr anregende Perspektiven eröffnen.