Themenbereich: Aspekte des christlichen Glaubens
Was hat Worthaus nur immer mit Paulus? Dutzende Vorträge gibt es inzwischen über den Apostel. Ein kurzes Gedankenspiel erklärt es: Ohne Jesus gäbe es natürlich kein Christentum. Und ohne Paulus? Jesus zog durch Galiläa, wurde gekreuzigt, ist auferstanden, und die meisten Augenzeugen dieser Auferstehung blieben im Heiligen Land. Das Christentum blieb ein jüdisches Phänomen.
Und dann kam Paulus. Ehemaliger Christenverfolger, Schriftgelehrter, erster Missionar. Er dachte darüber nach, was das Kommen Jesu für die gesamte Menschen bedeutet. Er hat das Christentum, diese jüdische Glaubensströmung, für die Nicht-Juden der Antike zugänglich gemacht. Und hat damit auch entscheidenden Anteil am Glauben von Milliarden Christen der Gegenwart.
Ein guter Grund also, sich immer wieder mit Paulus und seiner Theologie auseinanderzusetzen. Der Theologe Jens Schröter gibt in diesem Vortrag einen Überblick über Paulus’ Denken und darüber, wie sich seine Lehre im Laufe seines Wirkens verändert hat.
Wir feiern den Advent nur nebenbei – wenn überhaupt. Es sind schließlich die hektischen Wochen vor Weihnachten: Geschenke kaufen, Feiertagsbesuche planen, Festessen organisieren, dazwischen Weihnachtsfeiern und bitte auch etwas Besinnlichkeit. Ach ja, und wieder eine Kerze anzünden, wie die Zeit vergeht! Dabei hat der Advent wenig mit Weihnachten zu tun. Und viel damit, wie wir durchs Leben gehen. In der Antike – und auch heute noch – schaute man auf das Bewährte, erklärt Siegfried Zimmer. Gut war, was schon lange funktionierte. Neues machte Angst, die Zukunft war ungewiss. Jesus aber war ein Revolutionär – er blickte nach vorn. Er versprach den Leidenden künftigen Trost und den Trauernden das Reich Gottes. Das Gute kommt noch. Und wer zurückblickt, so sagte es Jesus, der ist nicht geschaffen für das Reich Gottes, der erstarrt im Hier und Jetzt. Damit uns das nicht passiert, gibt es den Advent.
Bevor es Netflix gab, Fernsehen oder Radio, in einer Zeit also gar nicht so lange vor unserer Zeit, da war es eine große Kunst, Geschichten erzählen zu können. Siegfried Zimmer beherrscht diese Kunst und erzählt. Dieses Mal wendet sich der Theologe an Kinder ab etwa neun Jahren. Allerdings mit einer kleinen Warnung für die Eltern, denn die Geschichte könnte für manche Kinder zwischendurch unheimlich sein. Es geht um eine Krankheit und um eine Erzählung, die die meisten Christen längst kennen. Für viele Kinder mag es das erste Mal sein, dass sie diese Geschichte hören. Für Erwachsene ist es eine seltene Gelegenheit, einfach nur zuzuhören, so wie es die Kinder einst taten, vor Radio, Fernsehen und Netflix.
Das Neue Testament wurde vor sehr langer Zeit von einer relativ kleinen Gruppe von Menschen verfasst. Es sind Stimmen aus einer anderen Zeit, fremde und herausfordernde Stimmen, die – wenn man sich ihnen ganz öffnet – unsere Standpunkte ins Wanken bringen. »Darin liegt Schönheit«, sagt Thorsten Dietz. Denn wenn alle Standpunkte zerstört sind, bleiben Wege übrig. Auf Wegen kann man sich auch mal verlaufen, kann die Richtung ändern, kann gemeinsam gehen und voneinander lernen. Dietz führt das Publikum in diesem Vortrag Wege, die nicht naheliegen. Er führt in die Philosophie. Denn nicht nur in der Theologie haben sich Menschen mit Paulus beschäftigt, auch Philosophen wie Alain Badiou, Giorgio Agamben oder John D. Caputo haben seine Schriften gelesen. Und sich Gedanken darüber gemacht, was Paulus uns Menschen, knapp 2000 Jahre nach seinem Tod, zu sagen hat.
Oft leiern wir es im Gottesdienst nur noch herunter, hören die Worte kaum, die wir selbst und die Menschen um uns herum aussprechen. Wir haben sie ja schon zu oft gehört und gesprochen. Was uns dabei entgeht, ist eine gewaltige Kraft, eine Einzigartigkeit, die in diesem Gebet steckt. Diese wenigen Worte sind eigentlich viel zu groß für eine halbe Minute am Sonntagmorgen. Das Vaterunser ist ein Gebet für die Welt. Für alle Religionen, alle Nationen, alle Zeiten.
Jesus war von den Jüngern gefragt worden, wie sie beten sollen. Er formulierte ein Modellgebet, das es so in keiner anderen Religion gibt. Siegfried Zimmer erzählt mit Leidenschaft und Bewunderung von diesem Gebet und erklärt, warum die Anrede »Papa« für Gott damals eine Revolution war, obwohl Götter schon in der Antike gelegentlich als Vater bezeichnet worden waren. Er beschreibt die Sozialkritik, die in einer der Bitten steckt und wie uns dieses Gebet als Menschheit vereint. Weit über diese dreißig Sekunden am Sonntagmorgen hinaus.
Eva beißt in den Apfel, reicht ihn an Adam weiter und hat es damit für die gesamte Menschheit verbockt. Nicht der Teufel, der Eva verführte, nicht Adam, der ebenfalls zugriff, nein, allein Eva ist schuld am Sündenfall und den Strafen, die der Apfelkonsum mit sich brachte.
Dass weder Apfel, Paradies, Sünde noch Adam in der Geschichte erwähnt werden, erklärt Theologe Konrad Schmid in diesem Vortrag. Er erläutert, was die Geschichte vom Sündenfall eigentlich bedeutet, wie sie vom Erwachsenwerden, von Wissen und Unkenntnis erzählt und wie sie begründet, was für alle Menschen offensichtlich war: dass der jetzige Zustand der Welt und der Gesellschaft nicht optimal ist, dass er nicht so ist, wie Gott sich die Schöpfung gedacht haben muss. Gleichzeitig, sogar noch vor der Geschichte über den Sündenfall, erzählt Genesis, dass die Gesellschaft der Menschen auch anders aussehen kann: ebenbürtig, gleichwertig. Und wieder zeigt sich, dass in der Bibel mehr steckt, als wir beim ersten Lesen verstehen, dass dieses Buch überrascht, und dass selbst Schriften, die in einer patriarchalen Gesellschaft von Männern geschrieben wurden, die bestehende Ordnung kritisieren können.
Jesus hat Frauen wie Menschen behandelt. Nicht als Mutter, Ehefrau eines anderen oder (potentielle) eigene Ehefrau und Sexualpartnerin. Sondern einfach als vollwertige Menschen. Ein unerhörtes und selten gesehenes Verhalten in der Antike.
Denn in der Antike, wie heute auch noch viel zu oft, galt der Mann als der eigentliche Mensch, die Frau als das andere Geschlecht, irgendwie nicht so ganz vollständig. Ihre Aufgabe ist es, für andere zu funktionieren. In der Antike hieß das: Hochzeit mit 14, erstes Kind kurz danach, mit 30 Oma oder vorher schon tot, denn so eine Geburt ist nicht ohne. Die Frau hatte zu funktionieren und zu gehorchen. Zu lernen oder gar mitzureden hatte sie nicht. Und dann kommt da Jesus und lehrt Frauen wie Männer, beantwortet die Fragen von Frauen, richtet seine ersten und seine letzten (aufgeschriebenen) Worte an Frauen. Und das auch noch völlig unabhängig von ihrem Stand in der Gesellschaft. Er redet mit Herrinnen und Huren, lässt sich von einer Unreinen berühren und macht eine Frau mit unmoralischem Lebenswandel zur ersten Missionarin unter Nicht-Juden. Siegfried Zimmer erzählt von unterschiedlichsten Begegnungen zwischen Jesus und Frauen, welchen Eindruck diese Begegnungen damals machten und was sie für uns heute noch bedeuten können.
David tanzte und sang, Salomo hatte Hunderte Frauen, selbst Jesus feierte noch – mit Alkohol! In der Bibel kommen körperliche Freuden immer wieder vor. Dann entwickelte sich das Christentum weiter und der Körper ging verloren. Körper und Seele wurden getrennt, der Körper verfiel vom Tempel Gottes zum schlichten Werkzeug, das zu funktionieren hatte – vor allem, wenn es der Körper anderer Menschen war. Erst mit der Reformation bekamen Körper und körperliche Arbeit ihre Würde zurück. Und heute, so sagt es Thorsten Dietz, wird das Leibliche wiederentdeckt.
Dieser Vortrag ist der dritte in der Reihe, eine Art Zusammenfassung, ein Überblick, in dem Dietz einen Bogen von der Bibel bis heute schlägt. Und feststellt, dass die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist. Nachdem der Körper in der Theologie und im Glauben neue Bedeutung erlangt hat, brauche es endlich eine Theologie des ganzen Menschen. Eine Theologie gegen rassistische Denkmuster. Und eine befreiende Theologie gegen Sexismus.
Woran erinnern wir uns, wenn wir an unsere Kindheit denken? An die Einschulung mit der großen Schultüte vielleicht, an die Geburt eines Geschwisterchens, an das erste Verliebtsein – die großen Momente. Woran wir seltener denken, ist das tägliche Essen auf dem Tisch, die gewaschenen Kleider im Schrank, Hand in Hand mit dem Vater zum Kindergarten gehen. So funktioniert auch die Bibel. Sie erzählt von den großen Momenten, vom rettenden Eingreifen Gottes. Weniger von den allmählichen Vorgängen, vom stetigen Lenken des Schöpfers.
Siegfried Zimmer stellt hier die entscheidende Frage: Was ist wichtiger für unser Leben – die plötzlichen oder die allmählichen Vorgänge? In diesem Vortrag erklärt er, wie das Plötzliche und das Allmähliche in der Bibel gewichtet werden, warum das Staunen über die kontinuierlichen Vorgänge nicht nur für Kinder entscheidend ist und woran wir festhalten müssen, um unser ganzes Potential zu entfalten.
Es scheint eher ein Phänomen aus anderen Kulturen zu sein: Menschen, die sich völlig im Gebet verlieren, voller Euphorie loben und preisen, die glauben, weil sie fühlen, dass da Jemand ist. Dort scheint es eine Selbstverständlichkeit zu geben, den eigenen Glauben zu fühlen.
Nicht aber in der westlichen Kultur, nicht im Hier und Jetzt. Man glaubt mit dem Kopf und betet mit halbem Herzen. Mit Ausnahme mancher frommer Gemeinschaften, in denen Gefühle aber bitte in der richtigen Dosierung zum richtigen Zeitpunkt stattzufinden haben: tiefe Freude bei Lobliedern, Tränen bei der Passionsgeschichte. So jedenfalls hat es Friedrich Schleiermacher erlebt, von dem Thorsten Dietz erzählt. Schleiermacher lebte im vielleicht spannendsten intellektuellen geistlichen Jahrhundert der Menschheitsgeschichte und hat selbst einen turbulenten geistlichen Lebenslauf hingelegt: Vom angehenden Prediger zum Religionskritiker zurück zur Religion. Und immer begleitet von der Frage, wie entscheidend Gefühle für den Glauben sind, wie sich die Religion retten lässt in einer Zeit, die immer ungläubiger wurde. Schleiermacher verband Intellektualität mit Gefühl. Und ist damit wohl heute so aktuell wie damals im 18. Jahrhundert.
Gut und Böse, Freund und Feind, Gläubige und Nicht-Gläubige – es ist so einfach, die Welt in uns und die anderen einzuteilen. Der Dualismus ist das Weltbild jener, die es sich leicht machen, die nicht tiefer über das Leben und die Welt nachdenken wollen, denen so christliche Werte wie Barmherzigkeit und Gnade fern liegen. Es ist auch das Weltbild vieler Christen. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg, christlich-islamischer Familienvater und verheiratet mit einer Muslimin kennt die Vorurteile gerade gegenüber dem Islam. Umso vehementer spricht er gegen den Glauben an eine schwarz-weiße Welt. Gegen den Dualismus und stattdessen für das dialogische Zusammenleben in Vielfalt. Er leugnet nicht, dass Menschen Böses tun, dass es das Böse gibt. Doch, so betont Blume, alles ist miteinander verbunden, und wer an eine Gottheit glaube, solle sie als Quelle der Liebe erkennen. Es klingt so einfach und ist so schwer. Doch diese Weltsicht, die niemanden zum Feind erklärt, lässt sich erlernen.
Acht Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten, unzählige Kulturen, Weltanschauungen, Sprachen, Meinungen. Dass es da immer wieder Auseinandersetzungen gibt – im Sandkasten, im Parlament und zwischen Nationen – wundert kaum. Doch es gibt eine einfache Regel, die (fast) allen Menschen Frieden und Freiheit sichern, Verletzungen vermeiden und sogar Kriege verhindern kann. Wenn sich nur alle, vom Kleinkind bis zum Politiker, daran halten würden.
Siegfried Zimmer erklärt, welche Kultur diese Goldene Regel erfunden hat, wieso sich Menschen jeder Kultur und Religion daran halten können und warum sie trotzdem nicht auf jeden Menschen in jeder Situation angewandt werden kann.