Obwohl wir nicht genau wissen, wann und wo der jüdische Mann aus Nazareth das Licht unserer Welt erblickt hat, setzt mit seiner Geburt die Stunde Null unserer Zeitrechnung ein. Und gleichzeitig beginnt damit auch die eigenständige Geschichte des Christentums. Es ist eine Geschichte in der sich Schönes und Gutes mit viel Brutalität, Gier, Heuchelei, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit vermengt. Mit einem Blick in die Historie der Menschheit könnte man sagen, dass das normal ist. Mit einem Blick auf die Botschaft des Mannes aus Nazareth könnte man sagen, dass das schizophren ist. Doch wenn man Siegfried Zimmer zuhört, dann liegt es nahe zu sagen, dass das vollkommen absurd ist. Denn er ist der Überzeugung, dass der Grund für den seltsamen weihnachtlichen Inkarnationsvorgang, der gerne als “Menschwerdung Gottes” bezeichnet wird, eben genau jene Unmenschlichkeit, jener Unfriede unter den Menschen ist. Kann man das ernst nehmen?

Der Mensch, was ist der Mensch? Im Abschluss-Vortrag von Worthaus 1 begibt sich Siegfried Zimmer in aller Freiheit auf die Suche nach dem Geheimnis des Lebens. Dabei ist er sich bewusst, dass es nicht möglich ist den Mensch an sich zu definieren. Und doch schafft er es sich dem Mensch an sich durch die Beobachtung von menschlichen Grunderfahrungen so zu nähern, dass deutlich wird, welche Erfahrungen für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung entscheidend sind. Das macht nachdenklich, fordert heraus, setzt Impulse und appelliert letztlich an jede Hörerin und jeden Hörer das Leben aus einem “sich-getragen-wissen” in die Hand zu nehmen.

Worthaus 1 war für alle Beteiligten sehr anstrengend und bereichernd. Siegfried Zimmer ist an seine Limits als Vortragender gegangen. Welcher ernsthafte 50plus-Wissenschaftler hält schon vier Tage am Stück durchschnittlich drei Vorträge pro Tag und lässt sich dann noch auf intensive Diskussionsrunden ein? Und diese enorme Frequenz ging auch an der Worthaus-Teilnehmerschaft nicht spurlos vorüber. Umso beachtlicher ist es, dass am letzten Tag in Weimar noch zwei abschliessende Vorträge möglich waren, die den Blick noch einmal etwas weiteten. Denn während an den anderen Tagen die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Juden Jesus aus Nazareth im Mittelpunkt stand, schlägt der erste Teil des Epilogs anhand von sozialwissenschaftlichen Grunderkenntnissen und philosophischen Überlegungen eine Brücke zu den Lebensfragen des modernen Menschen. So schließt sich der Kreis während die verchromtem Füllhalter-Metallclips aus der Brusttasche des Professorenhemds hervorblitzen.