Was wir aus dem Alten Testament über den Heiligen Geist lernen können. Ich habe dieses Thema bewusst ausgewählt und an den Anfang gestellt, mehrere Vorträge, die ich an der PH gehalten habe über den Heiligen Geist, habe ich also mit dem Alten Testament angefangen. Das, was wir Altes Testament nennen, können wir auch als die jüdische Bibel bezeichnen. Es ist gut, wenn wir mal eine Zeit lang das Wort Altes Testament vermeiden und ein paar Monate lang von der jüdischen Bibel reden und dann können wir ruhig wieder vom Alten Testament reden. Es geht mir nur darum, dass wir im Blickfeld behalten, dass das, was wir
Altes Testament nennen, die jüdische Bibel ist, die wir den Juden nicht enteignen können. Und ich will damit auch zum Ausdruck bringen, dass das Alte Testament für uns Christen von grundlegender Bedeutung ist. Es ist bei vielen Themen gut. Wir fangen erst mal in der jüdischen Bibel an. Also das will ich auch jetzt bei diesem Vortrag machen. Im christlichen Glauben gibt es drei grundlegend wichtige Ausdrücke für Gott. Wir Christen sprechen von Gott dem Vater, von Gott dem Sohn und von Gott dem Heiligen Geist. Bei diesen drei Ausdrücken fällt sofort etwas auf. Nämlich zwei dieser Ausdrücke sind uns
gut bekannt, leicht zugänglich, sie sind uns sofort vertraut, Vater und Sohn. Aber der dritte Ausdruck, Heiliger Geist, ist uns nicht so vertraut. Zum Beispiel bei den Religionslehrern und Religionslehrerinnen, wo ich ja häufig Fortbildung mache, ich werde auch demnächst eine Fortbildung machen über den Heiligen Geist. Bei den Religionslehrern kann man sagen, bei ihnen gilt das Thema Heiliger Geist durchaus als sehr wichtig, ist es ja auch. Aber es gilt auch als sehr schwierig. Und die Schwierigkeiten beginnen gleich beim Begriff. Kinder übrigens assoziieren mit dem Wort Geist erstmal Gespenst. Aber auch pubertierende oder ältere Jugendliche, wie kann man den Begriff Heiliger Geist Schülern nahe bringen? Jeder Mensch weiß, was ein
Vater ist. Und jeder Mensch weiß, was ein Sohn ist. Aber was, bitteschön, ist ein Heiliger Geist? Beim Wort Vater stellen sich sofort Erinnerungen, Erlebnisse ein, Gefühle, Bilder taugen auf. Das Wort ist tausendfach mit unserer Lebenspraxis verbunden. Genauso beim Wort Sohn. Aber beim Wort Heiliger Geist stellen sich nicht im vergleichbaren Maß Erinnerungen ein, Erlebnisse ein, Gefühle ein, Bilder steigen hoch. Also da ist es irgendwie anders. Das ist eine Grundproblematik in unserer Lehre von der Dreieinigkeit, dass der Begriff Heiliger Geist nicht so ohne weiteres zugänglich ist. Jetzt diese Auffälligkeit wird noch viel
auffälliger, wenn wir erfahren, wenn wir feststellen, dass es im Hebräischen diesen Unterschied überhaupt nicht gibt. Das hebräische Wort für Vater ist wie unser Wort Vater, jedem Menschen vertraut zugänglich, es steigen sofort Erinnerungen, tausend Erlebnisse. Das hebräische Wort für Sohn, und wir können natürlich auch sagen, das Wort für Mutter, das Wort für Tochter gilt es genauso. Aber bei dem hebräischen Wort für Geist haben die hebräischen Leute überhaupt kein Problem. Nämlich das hebräische Wort für Geist ist genauso zugänglich, genauso altvertraut wie die Worte Vater und Sohn. Wenn das hebräische Wort, ich sag's noch nicht, für Geist hören, stellen sich genauso sofort viele Erlebnisse,
viele Erinnerungen, viele Gefühle und Bilder tauchen auf. Also im Hebräischen sind diese drei Begriffe alle gleich vertraut und bekannt. Warum ist es im Deutschen anders? Das liegt an einer schlechten Übersetzung, an einer sehr schlechten Übersetzung. Ja, wir müssen sogar sagen, das liegt an einer falschen Übersetzung. Aber diese Übersetzung ist inzwischen so eingebürgert, dass wir sie nicht mehr wegkriegen. Ich will auch nicht, dass wir das Wort heiliger Geist jetzt vermeiden, gar nicht, aber wir müssen es mit dem richtigen Inhalt füllen. Also es geht da um eine schlechte Übersetzung. Das will ich kurz erklären, weil es ist eigentlich
völlig unbekannt. Die irischen und die schottischen Mönche haben im 9. Jahrhundert aus der Vulgata, das ist die lateinische Übersetzung der Bibel, die Vulgata war die Grundlage der damaligen Kirche. Denn die allermeisten Mönche haben weder hebräisch können noch griechisch, aber latein haben sie alle können. Das war die Kirchensprache. Also die lateinische Bibel war im 9. Jahrhundert, da hat sich das zugetragen, also im frühen Mittelalter, war die Basis der Kirche die Vulgata. Und in der Vulgata heißt das, was wir heiliger Geist nennen, Spiritus, oder eben Spiritus Sanctus, heiliger Geist. Und dieses Wort Spiritus haben die
irisch-schottischen Mönche, die vor unseren germanischen Vorfahren schon christianisiert waren, aus dem römischen Reich heraus, sie haben das Wort Spiritus mit Ghost übersetzt. Und Spiritus Sanctus, Holy Ghost. Und wir Germanen wurden missioniert von den iro-schottischen Mönchen. Das ist vielleicht unbekannt. Wir sind vom Norden her missioniert worden, nicht vom Süden, weil eben Irland und Schottland lange vor den Germanien, ich meine jetzt mit Germanien das, was nördlich vom Limes liegt. Südlich vom Limes, der ja hier so bei Schwäbisch-Münd und so weiter vorbeiläuft. Die waren auch christianisiert, aber der größere Teil, der weitaus größere Teil von Germanien war nicht missioniert. Und wir wurden also durch die iro-schottischen Mönche, wurden wir christianisiert. Und die Übersetzung
Ghost oder Holy Ghost zog jetzt im Deutschen die Übersetzung Geist oder heiliger Geist nach sich. Es gab ja noch nicht die Luther-Übersetzung, aber es gab sehr früh eben auch so erste Ansätze einer deutschen Übersetzung, oft sehr schlecht. Luther hat dann ganz neue Maßstäbe gesetzt. Aber für uns ist also wichtig, unser Wort Geist oder heiliger Geist ist dadurch zustande gekommen, dass iro-schottische Mönche ihre Übersetzung Ghost, Holy Ghost zu Geist und heiliger Geist gemacht haben. Die deutschen Worte Geist und heiliger Geist waren die Konsequenz aus dieser Übersetzung Ghost, Holy Ghost. Jetzt ist aber das Tragische, das enorme Folgen hat, wenn wir Spiritus übersetzen mit Ghost, dann geht der gesamte Erfahrungszusammenhang,
der bei dem Wort Spiritus entscheidend ist, der geht verloren. Und das Wort Spiritus hat genau die gleiche Bedeutung wie im Griechischen das Wort Pneuma, das man mit Geist übersetzt, und dem hebräischen Wort für Geist, das ich jetzt bewusst noch nicht sage. Also das Wort Spiritus ist eine genau richtige Übersetzung, aber mit der Übersetzung Ghost geht der Zusammenhang völlig verloren. Wenn ein Deutscher das Wort Geist hört, kann er nicht einmal ahnen, um was es im Hebräischen geht. Also er kann es nicht mehr wissen und er kann es auch nicht mehr erraten oder ahnen, der Unterschied ist viel zu groß. Ich will mal beim Deutschen
bleiben. Das deutsche Wort Geist ruft eine Menge an Assoziationen hervor. Man spricht von der europäischen Geistesgeschichte, da merkt man, das ist was Intellektuelles, man könnte auch sagen europäische Philosophiegeschichte. Oder unser deutsches Wort Geist ist in Europa, in Deutschland der Gegenbegriff zu Materie. Es gibt also philosophische Strömungen, die nennt man Idealismus, die sind der Meinung von Geist und Materie ist der Geist das Ursprünglichere und der Geist beeinflusst ganz stark die Materie. Dann gibt es aber gegensätzliche philosophische Strömungen, man nennt sie den Materialismus und der Materialismus lehrt genau das Gegenteil, die Materie ist grundlegend und der Geist, das ist so eine Art Überbau über der Materie.
Also man handelt sich schon gleich solche Assoziationen ein oder noch viel verbreiteter, wenn wir das Wort Geist hören, denken wir oft und viele sofort an Geistik. Wir kennen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, also das grundlegende Unterschied in der europäischen Kultur, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Also ist Geist irgendwie das Gegenteil von Natur. Geist ist erstmal nicht materiell, Geist ist nicht Materie und Geist ist auch nicht Natur, denn wir haben Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Oder denken wir zum Beispiel an die alten Schuleinteilungen, also das ist jetzt nicht meine Meinung, sondern ich referiere nur kurz, was bei uns so jahrhundertelang üblich war. Wir haben also ein dreigliedriges Schulsystem,
es gibt die Gymnasiasten, die arbeiten mit dem Kopf und dann gibt es die Hauptschüler, Bauarbeiter, die arbeiten mit der Hand. Also arbeitest du geistig mit dem Kopf oder arbeitest du praktisch mit der Hand. Daher kommt auch die Nähe zwischen geistig und theoretisch. Die Theorie ist wichtig im Gymnasium und bei den Geisteswissenschaften. Also das handeln wir uns alles ein, das ist eine jahrhundertelange europäische Kultur- und Geistesgeschichte. Das hat aber gar nichts zu tun mit dem, was das hebräische Wort meint, das wir mit Geist übersetzen. Also in gewisser Weise könnte ich jetzt sagen, Leute, vergesst das, was
ihr mit dem Wort Geist verbindet. Forget it. Das führt nämlich in völlig falsche Landschaften. Jetzt also stehen wir vor der großen Frage, was steht im Hebräischen und was ist mit diesem Wort gemeint. Also im Hebräischen steht hier das Wort Ruach. Dieses Wort kommt 389 Mal in der jüdischen Bibel, unserem Alten Testament vor. Ein starkes Drittel, 136 Mal, wird es auf Gott bezogen, Gottes Ruach. 108 Mal wird es auf den Menschen bezogen, die Ruach, Ruach ist übrigens feminin, die Ruach des Menschen. Man kann auch von der Ruach
des Tieres reden, gibt es auch in ein paar Stellen. Und dann über 100 Stellen haben gar keine religiöse Bedeutung, sondern sind ein Naturphänomen. Vater und Sohn oder Mutter und Tochter sind eine bestimmte Art von Erfahrung, unsere Vatererfahrung, unsere Muttererfahrung, unsere Geschwistererfahrung. Man nennt es, es ist eine Sozialerfahrung, also eine zwischenmenschliche Erfahrung, Vater und Sohn, genauso Mutter und Tochter. Ruach aber ist keine Sozialerfahrung, es ist keine zwischenmenschliche Erfahrung, aber es ist eine Erfahrung, die uns genauso vertraut ist, genauso wichtig ist, wie Vater und Sohn und Mutter und Tochter. Nämlich, das übersetze ich mal richtig, es ist für die Zukunft der Christenheit von größter
Bedeutung, dass sie die ursprüngliche Bedeutung von Ruach wieder ins Blickfeld nehmen. Nämlich diese Bedeutung ist praktisch unbekannt, eigentlich nur unter wissenschaftlichen Theologen oder eben unter Fachleuten. Aber in der Christenbevölkerung nehme ich mal an, zu 99 Prozent ist es unbekannt. Wenn wir das Wort Ruach ins Deutsche übersetzen wollen, ist das erste, was wir berücksichtigen müssen, es gibt keine genaue Übersetzung. Also es gibt keine einlinige Übersetzung, es gibt in der deutschen Sprache kein Wort, das genau die Bedeutung von Ruach hat. Aber Gott sei Dank können wir Ruach trotzdem gut übersetzen, wir brauchen dazu aber drei Begriffe.
Wenn wir das üben und trainieren und der Ruach dann immer gleich diese drei Begriffe automatisch mithören, dann docken wir wieder an, an die ursprünglichen Erfahrungshorizonte. Und das ist von größter Bedeutung. Wenn wir nämlich nicht die Bedeutung von Ruach kennen, können wir auch das neustestamentliche Zeugnis vom Heiligen Geist nicht wirklich in der Tiefe verstehen. Deswegen brauchen wir die Hilfe des Alten Testaments, weil die neustestamentlichen Schreiber denken alle Hebräisch. Also jetzt kommt der große Augenblick, wo wahrscheinlich viele von Ihnen zum ersten Mal die Übersetzung hören. Ruach bedeutet erstens und grundlegend Atem. Ruach bedeutet zweitens Wind. Und weil Atem und Wind etwas
Dynamisches sind, immer in Bewegung und es gehört auch eine gewisse Energie dazu zu atmen, nicht so stark, aber der Wind kann sehr energisch sein. Also beides sind auch Äußerungsformen einer gewissen Lebenskraft. Wir brauchen zum Atmen eine gewisse Kraft. Im Sterben geht sie uns verloren und der Atem hört auf. Aber der Wind, gemeint ist Ruach, alle Formen des Windes, von der frischen Brise bis zum Orkan, zum Hurricane, zum Chiroko. Also alles das ist Ruach. Deswegen müssen wir noch ein drittes Übersetzungswort anfügen. Ruach meint immer auch Kraft oder Energie oder vielleicht noch besser Lebensenergie.
Das ist die Bedeutung von Ruach. Ruach heißt also Atem, Wind und Lebensenergie. Jetzt will ich mal im ersten Schritt mich dem Phänomen Atem nähern, dann auch einen Blick auf den Wind werfen. Und das alles ist mein erster Schritt jetzt im Vortrag, nämlich uns dem Wort Ruach einmal in der Tiefe nähern und dieses Wort erschließen. Dann kommt ein zweiter Schritt, nämlich die Ruach gehört im Alten Testament zuerst und grundlegend in die Schöpfungstexte. Ruach ist ein Phänomen der Schöpfung. Aber dann, letzter Schritt, sehr wichtig, es gibt dann auch im Alten Testament viele wichtige Stellen, da wird beobachtet, wie sich die
Ruach in der Gesellschaft auswirkt. Also im Alten Testament gibt es die Ruach im Kontext der Schöpfung, aber auch im Kontext der Gesellschaft. Das sind die drei Schritte. Also erst mal der Begriff Ruach, dann der Kontext Schöpfung und drittens der Kontext Gesellschaft. Also das will ich auch an der Stelle sagen, Atem und Wind sind im orientalischen Lebensgefühl das Gleiche. Also sind wir Europäer nicht gewohnt. Orientale sagen zum Beispiel, der Atem ist der kleine Wind und der Wind ist der große Atem. Also die Übergänge sind total fließend. Es ist im orientalischen Lebensgefühl, ist es das Gleiche, Atem und Wind. Wenn zum Beispiel der frische Wind aus dem Mittelmeer, aus dem Norden in die Täler des Nil hineinbläst,
dann sagen die alten Ägypter, das ist der Atem am Mond. Und wenn es stark windet, dann sagt man im Orient, die Erde atmet. Also Atem und Wind sind irgendwie das Gleiche. Und was genau ist gemeint, fragen wir mal präzise, inwiefern ist Atem und Wind eigentlich auch das Gleiche? Ja, das Gleiche in Atem und Wind ist folgendes, bewegte Luft. Oder wir können auch sagen, Luft in Bewegung. Und diesem Phänomen möchte ich jetzt nachgehen. Wie wichtig ist bewegte Luft für dich und mich? Also Atem und Wind sind Luft in Bewegung.
Zunächst mal, die Luft ist doch ein eigenartiges Phänomen, ist überall da, können wir nicht vertreiben. Es wird auch wissenschaftlich nicht möglich sein, wir werden ja auch blöd, dann müssen wir ja sterben. Aber rein ist mal wissenschaftstheoretisch, es wird der Menschheit nicht möglich sein, die Luft abzuschaffen. Das wäre ja auch blöd, aber ginge auch nicht. Die Luft ist überall da und sie ist nicht greifbar, der Wind. Man sagt ja auch, haschen nach dem Wind, kann man nicht. Übrigens, gestern oder vorgestern hat Erik, mein fünfjähriger Sohn, mir eine Schachtel geschenkt. Ich saß auf dem Sofa, er kam her und sagte, Papa, ich habe eine Überraschung für dich. Oh, Erik, ich bin ganz gespannt, mache ich diese Schachtel auf, war vielleicht so groß wie eine Schuhschachtel, aber war alles zu. Ich mache also die Schachtel auf, fühle da drin rum, ist nichts drin. Na sage Erik, da ist
doch gar nichts drin. Na sagt der Erik, doch Luft. Ich wollte dir mal eine Schachtel Luft schenken. Das ist mir jetzt einfach gerade eingefallen. Also überall ist Luft, unsichtbar, unfassbar, eigentlich könnte man sagen ein Nichts, aber von welcher Bedeutung? Atmen ist dasjenige Bedürfnis des Menschen, das wir am wenigsten aufschieben können. Ich frage immer wieder mal Studierende oder sonst in der Erwachsenenbildung, was meinen Sie, ist das stärkste Bedürfnis des Menschen? In der Regel kommt dann Trinken, Essen, Schlafen und das stimmt auch, das sind die Bedürfnisse auf Platz zwei, drei und vier. Aber das erste Bedürfnis ist Atmen. Atmen ist das stärkste Bedürfnis des Menschen. Und während Trinken,
Essen, Schlafen stark auch in unsere Regie übergeben wurde, also wir brauchen dann eben Besteck und müssen einkaufen, wir müssen das Essen herrichten und wir müssen uns zu Trinken besorgen und Schlafen wäre auch gut, wenn wir ein Bett hätten und so. Also das ist immer ein bisschen mit unserer menschlichen, zivilisatorischen Aktivität verbunden, aber Atmen ist nicht in die Regie des Menschen gestellt. Gott sei Dank, wir brauchen keine Angst haben, dass wir mal Atmen vergessen. Das geschieht mehr oder weniger automatisch, aber wir können das Atmen nur wenige Minuten aufschieben. Deswegen ist nach der hebräischen Sicht des Menschen ganz anders wie in der griechischen Sicht der Mensch nie autark, nie autonom. Der Mensch ist im höchsten Maße abhängig. Der kann nicht mal vier Minuten
ohne Luft sein, der ist total abhängig von der Luft. Das Atmen ist eigentlich die Bewegung des Lebens. Dieses Atmen geschieht still, geräuschlos, fast geräuschlos. Das Atmen ist sehr unaufdringlich. Wir können es übersehen, überhören. Ich habe mal gehört, es soll Menschen geben, das sollte man aber nicht für möglich halten, aber ich habe wirklich gehört, es soll Menschen geben, die haben sich noch nie über ihr Atmen gewundert und haben noch nie über ihr Atmen gestaunt und haben es noch nie wirklich gewürdigt. Habt ihr von solchen Leuten auch schon mal gehört? Es soll Menschen geben, für die das Atmen kein
Gegenstand der Bewunderung, der Dankbarkeit ist. Atmen ist viel mehr als ein biologischer Vorgang. Atmen betrifft den gesamten Menschen. Atmen ist viel mehr als Aufnehmen und Hergeben von Luft, viel mehr. Wir spüren, wenn wir es lernen, darauf zu achten, im Atmen, dass wir leben. Der Atem ist die Bewegung des Lebens, denn spüren wir nie so wie im Atem. Also jetzt der Atem geht Zug um Zug. Wir leben Zug um Zug. Wir hängen sozusagen am Tropf der Luft. Vom ersten Atemzug bis zu unserem letzten Atemzug leben wir Zug um Zug. Mein
Bruder, der an Krebs mit 39 Jahren gestorben ist, hat sich in den letzten Minuten in meinen Arm gelegt. Er lag so in meinem Arm und wir konnten uns in die Augen sehen und ich werde nie vergessen die letzten Atemzüge meines Bruders. Der drittletzte Atemzug, der zweitletzte Atemzug, dann trat eine Pause ein und dann der letzte Atemzug. Ich darf euch sagen, das war etwas sehr Feierliches. Also wir leben Zug um Zug. Wir hängen am Tropf der Luft. Jeder Atemzug ist eine Art Vertrauensübung. Irgendwie vertrauen wir uns der Luft an,
wir gestatten ihr Einlass in unser Inneres und es ist eigentlich eine unbewusste, vielleicht die wichtigste, ganz sicher die wichtigste Vertrauensübung, die wir das ganze Leben lang machen. Stellt euch mal vor, ihr würdet Gott so vertrauen wie der Atemluft. Das wäre angemessen, denn Gott ist mit dem Leben so eng verbunden, wie die Atemluft mit dem Leben verbunden ist. Und Gott ist für uns so wichtig, wie die Luft, die wir einatmen. Das ist der einzig angemessene Vergleich. Und wir machen doch ständig diese Vertrauensübung. Wir vertrauen der Luft an und lassen sie in uns hinein. Und deswegen ist der Tod durch Vergasen so radikal böse. Auch die modernen Kampfgase, die auch in Syrien eingesetzt wurden, wo Kinder
dann elendig sterben, weil sie atmen mit der Luft Gift ein. Das Vergasen von Menschen ist das Böseste, was es gibt, denn dadurch wird sogar die Luft, die Atemluft, die Grundlage unseres Lebens wird zum Feind. Das ist wirklich pervers. Aber der Atem an sich ist sehr gesund und hat heilende Kraft. Wir westliche Menschen, das wissen alle, Atemlehrer, Gesangslehrer, die atmen alle ziemlich schlecht. Wir haben nur Kleinkinder und Leute, die Gesang studieren, die lernen es wieder richtig zu atmen. Das gesunde Atmen ist zunächst mal eine ganz leichte Dauermassage unseres Unterkörpers. Und das tut unserem Unterkörper sehr gut.
Wenn wir nicht richtig atmen, kann sich die Körpertemperatur um ein halbes Grad senken. Also allein die Tätigkeit des Atmens erwärmt unseren Unterkörper und massiert ihn. Und das ist eine Quelle der Gesundung. Und wenn unser Körper das nicht hat, ist es die Ursache vieler Erkrankungen. Nämlich das gesunde Atmen beginnt mit dem Ausatmen. Das Ausatmen ist das Entscheidende. Wir sprechen ja im Ausatmen. Wir singen im Ausatmen. Wir lachen im Ausatmen. Wir schreien im Ausatmen. Schreie mal mit dem Einatmen oder singe mal im Einatmen oder spreche – das geht nicht – spreche im Einatmen. Also das Geheimnis des Atems,
wir werden noch darauf kommen, ist das Ausatmen, das Hergeben, das Loslassen. Und das können wir westlich Zivilisierte nicht mehr. Wir legen unbewusst jahrelang den Ton auf das Einatmen, weil wir sind raffgierig. Und deswegen neigen wir dazu, den Akzent aufs Einatmen zu legen. Ist aber falsch. Wer richtig ausatmet, atmet dadurch auch automatisch richtig ein. Also ich werde noch darauf kommen, das Atmen ist auch eine Quelle der Gesundung. Zum Beispiel ein besonders deutliches Beispiel ist es, wenn so zwei, drei-Jährige auf dem Kinderspielplatz oder sonst irgendwo hinfallen, sich die Knie aufschürfen. Dann guckt der zweite, dreijährige erst, ob die Mama überhaupt herguckt. Und wenn sie nicht herguckt, dann macht er auch
nicht viel. Aber wenn die Mama guckt, dann fangen die an zu plärren. Dann kommt entweder die Mama oder sie kommt zur Mama. Und die Mama vertraut der Ruach, der Luft in Bewegung. Die Mama, nehmen wir mal an, der Handrücken, mit dem Knie kann ich es jetzt nicht gerade so gut, also der Handrücken ist aufgeschürft, dann macht die Mama, und ich sag euch, das könnt ihr naturwissenschaftlich nicht erklären, die Schmerzen sind weg. Das ist Ruach. Also Ruach hängt auch, wie ich jetzt schon angedeutet habe, sehr eng mit dem Wort zusammen, mit der Stimme. Denn wir sprechen durch die Atemluft. Aber nicht nur das. Wir kommunizieren in der Atemluft. Wir verständigen uns Tag für Tag in der Atemluft mit dem Ausatmen.
Also wahnsinnige Bedeutung. Gäbe es keine Luft in Bewegung, gäbe es auch keinen Ton. Denn der Ton ist Luft in Bewegung. Das ist eine Welle, die da ausgelöst wird. Ohne Luft in Bewegung gäbe es kein Wort, keine Stimme, kein Gesang, kein Hilfeschrei. Es wäre alles tonlos, lautlos. Es gäbe keinen Klang. Also der Atem ist von grundlegender Bedeutung. Gehen wir mal zum Wind. Also Ruach heißt auch Wind, und zwar jede Spielart von Wind. Der Wind hat ja eine riesige Variationsbreite, von der frischen Brise bis zum Chirurko, also
einem Orkan. Wenn du mal in einen Hurricane kommst, in einen Orkan, wirst du auch merken, dass Ruach eine Körpererfahrung ist, eine Naturerfahrung. Also während Vater und Sohn eine Sozialerfahrung ist, ist Ruach eine ganz andere Art von Erfahrung. Es ist nämlich eine Naturerfahrung. Also in unserer Unterscheidung zwischen Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft gehört Ruach auf die Seite der Naturwissenschaft. Das ändert wahnsinnig viel, weil Ruach ist eine Naturerfahrung und eine Körpererfahrung. Das heißt, wie viel die Natur eine Rolle spielt im Religionsunterricht, in der Kirche, das hängt ganz davon ab, wie wir Ruach wertschätzen, welche Rolle der Körper spielt in der Religion. Ja, Ruach ist eine Körpererfahrung. Atmen
ist nicht geistig, das ist körperlich, aber sehr hintergründig, sehr geheimnisvoll. Es geht um das Geheimnis des Natürlichen. Also der Wind steht für alle Formen des Windes, und wir sind des Windes nicht mächtig. Wir können einen Sturm nicht erzeugen. Gut, es gibt heute Windkanäle, aber das ist ein ganz winziger Ausschnitt. Aber denken wir an die großen Passat-Stürme, die durch die Erdumdrehung, da haben wir nichts in der Hand. Und welche Kraft, man sieht auch den Wind nicht. Man sieht nur, wie Zeitungen aufgewirbelt werden, Fensterläden klappern und so weiter. Man kann den Wind nur an den Wirkungen feststellen. Also wir sind des Windes nicht mächtig. Wir können seine Richtung nicht ändern, auch wissenschaftlich nicht. Wir sind des Windes, in diesem umfassenden Sinn der großen Winde
sind wir nicht mächtig. Aber Gott kann die Winde zu Boten machen. Er verfügt über den Wind. Die Israeliten, kann man sagen, sind eigentlich Windgeborene. Als sie nämlich geflohen sind aus Ägypten und dann standen sie vor einem großen Wasserhindernis und da kam ein starker Wind und hat die Chaosmacht des Wassers auseinandergetrieben und sie konnten durch das Wasser gehen. Die Israeliten sind Windgeborene. Im Atem und im Wind erlebt der orientalische Mensch das Geheimnis und das Faszinosum des Lebens. Atem und Wind sind ganz natürliche Phänomene. Sie sind das Natürlichste, was es gibt. Das Realste, was es gibt. Das
Realste, was es gibt, ist der Atem. Etwas Realeres gibt es nicht. Und jetzt gibt es in den Religionen, auch in den christlichen Religionen, immer wieder Menschen und Gruppen, die sind sehr stark hypnotisiert, sehr stark begierig nach dem Übernatürlichen. Vorsicht, Vorsicht. Was heißt denn übernatürlich? Wenn jemand sehr stark aus ist auf Übernatürliches, nach dem Prinzip nur nichts Normales, nur nichts Normales, wundersüchtig. Das geht sehr schnell Hand in Hand mit einer Unterschätzung des Natürlichen. Je mehr wir auf das Übernatürliche geil sind, desto klarer kann ich dir sagen, du würdigst ja nicht mal das Natürliche. Und dann werden das so schräge Vögel. Es gibt in der Religion, wie ihr wahrscheinlich
alle schon häufig gemerkt habt, gibt es viele schräge Vögel, die sind irgendwie verspult. Und das hängt oft damit zusammen, nur nichts Normales. Es soll möglichst viel übernatürlich sein. Nein, es geht um das Geheimnisvolle des Natürlichen. Und es lässt uns auch natürlich bleiben, gesund bleiben, vernünftig bleiben. Ruach ist das Natürliche, Körpererfahrung, Körpererfahrung. Also, so weit mal die Begriffserläuterung. Ruach ist immer in Bewegung. Ruach ist nie etwas Stabiles, Erstattes. Nein, Ruach ist in Bewegung und setzt andere in Bewegung.
In Ruach steckt eine Urdynamik. Leben ist Bewegung. Ich möchte jetzt mal an dieser Stelle mit euch allen einen Versuch machen. Also, ich lade euch herzlich ein, macht da mal mit. Aber wenn ihr keine Lust habt, dann macht ihr halt nicht mit. Ich mache jetzt eine Übung, eine Atemübung, um das Ganze einmal praktisch zu erleben. Diese Atemübung dauert fünf Minuten. Und ihr sollt am besten dabei die Augen schließen. Wenn ihr es nicht wollt, dann macht ihr es halt nicht. Aber ich sage euch, die Wirkung ist tiefer, wenn ihr die Augen schließt. Ich sage jetzt noch ein paar Vorbemerkungen und dann machen wir eine Atemübung. Wir machen eine Ruachübung. Steht mal alle auf. Ihr hier auch. Steht mal alle auf in euren Wohnzimmern, wo ihr seid auch. Wenn ihr könnt, wenn ihr nicht
kann, sonst bleibt der Hals sitzen, ist auch kein Problem. Also, stellt euch mal auf und stellt die Füße so breit wie die Schultern. Also, gerade so wie die Schultern. Und dann, wenn ihr unsicher seid, ich sage das auch in der Schule bei den Schülern, ich mache diese Übung oft und je öfter ich sie mache, desto mehr verlangen die Schüler danach. Beim ersten Mal kichern sie, das sage ich immer, ist nicht schlimm, alle kichern am Anfang, ich mache trotzdem weiter. Aber nach einem Schuljahr, sagen sie, Herr Zimmer, die Übung hat mein Leben verändert. Also, wenn ihr unsicher seid, wenn ihr die Augen schließt, also den Schülern sage ich, stellt euch mit dem Rücken an der Wand, so dass ihr ganz dicht vor der Wand steht und jederzeit Tuchfühlung mit der Wand aufnehmen könnt. Dann geht, wenn ihr gerade schlecht drauf seid oder schlecht gegessen habt oder es
gibt alles Mögliche, dass wenn man geschwind die Augen schließt, dass es einem ein bisschen schwindelig wird. Oder wenn das bei Vorträgen ist, dann sage ich auch den Leuten, steht mal bitte auf, aber nimmt mal mit euren Waden Kontakt mit dem Stuhl auf, dass ihr den Stuhl spürt und dann ist alles okay. Ich werde jetzt also fünf Minuten lang immer wieder bestimmte Sätze sagen und ihr sollt sie innerlich mitvollziehen. Das Ganze dauert ungefähr fünf Minuten. So, jetzt fangen wir an. Wir achten als erstes auf unser Ausatmen. Das Ausatmen ist eine Bewegung von oben nach unten. Es beginnt an der Schädeldecke, geht durch Im Ausatmen lassen wir los und geben wir her. Und dieses Loslassen gründet uns auf dem
Grund, der uns alle trägt. Jetzt achten wir auf einen geheimnisvollen Augenblick. Es ist der Augenblick, wenn unser
Ausatmen zu Ende ist, aber das Einatmen noch nicht begonnen hat. Wir brauchen diesen Augenblick nicht zu steuern, er kommt von ganz allein. Nie ist ein Mensch
so ruhig und so entspannt wie in diesem Augenblick. Jetzt achten wir auf unser Einatmen. Das Einatmen ist keine Bewegung von oben nach unten, sondern sie beginnt in unserer Körpermitte und geht von dort aus in die Breite. Im Einatmen nehmen wir das Neue an
und das Neue erweitert uns. Jetzt achten wir auf beides, die Senkrechte des Ausatmens und die Waagrechte des Einatmens.
Sie bilden ein Kreuz, ein Atemkreuz. Wir atmen, wir leben.
Alles, was atmet, lobe den, der uns den Atem gibt. Halleluja, Jubilate, jetzt könnt ihr wieder Platz nehmen. Also, soweit eine erste Annäherung. Es ist sehr gut, wenn wir die Grundbedeutung von
Waag uns wieder vergegenwärtigen zur Erneuerung der Christenheit, zur Hoffnung, dass die Christenheit nochmal erblüht und die Kinder und Jugendlichen gerne kommen werden, weil sie spüren, wo das Leben ist. Dazu gehört auch die Würdigung des Atems.
Jetzt kommt der zweite Schritt, eine theologische Analyse. Der Atem, das leuchtet ja auch unmittelbar ein, ist im Alten Testament in der jüdischen Bibel zunächst und grundlegend verortet in den Schöpfungstexten. Sehr berühmt zum Beispiel ist ganz am Anfang in der Bibel Genesis 1, Vers 2. Und die Erde war wüste und leere, und Finsternis lag über der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser. Und jetzt kann eine Stimme kommen. Vayehí or, es werde Licht. Also, bevor Gott seinen ersten Satz sagt, Vayehí or, es werde
Licht, braucht diese Stimme die Ruach. Oder auch, ich sage ein anderes Beispiel, die Taufe Jesu. Es kommt die Ruach in Gestalt einer Taube, und dann ertönt die Stimme, du bist mein lieber Sohn. Also, hängt sehr eng miteinander zusammen. Man kann sagen, im ganzen Alten Testament vollzieht sich die Schöpfung in einem ganz engen Zusammenhang zwischen dem schöpferischen Wort und der Ruach, die dieses schöpferische Wort allererst ermöglicht. Martin lies mal Psalm 33, Vers 6. Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen, ihr ganzes Heer durch den Hauch
seines Mundes. Aha, Hauch, Hauch heißt hier Ruach. Also, es wird halt in den Bibeln immer so und so. Also, Gott schafft durch sein Wort und durch die Ruach seines Mundes. Das Wort und die Ruach kommen beide aus dem Mund. Oder wir gehen mal zum berühmtesten Schöpfungspsalm, ein wunderschöner Psalm, sehr lang. Und dieser Schöpfungspsalm ist eingerahmt mit am Anfang und am Ende mit Aussagen über die Ruach. Martin lies mal bitte Psalm 104, zuerst die Verse 3 bis 4 und dann die Verse 29 bis 30. Du verankerst die Balken deiner Wohnung im Wasser. Du nimmst dir die Wolken zum Wagen. Du fährst ein Heer auf den Flügeln des Windes. Du machst die Winde zu deinen Booten, zu
deinen Dienern Feuer und Flamme. Verbirgst du dein Angesicht, sind sie verstört. Nimmst du ihnen den Atmen, so schwinden sie hin und kehren zurück zum Staub. Du sendest deinen Geist aus. Sie werden erschaffen und du erneuerst das Angesicht der Erde. Ja, du sendest deinen Geist aus. Hier wird einmal Atem übersetzt und einmal Geist. Es steht im Hebräischen zweimal Ruach. Also ganz tiefe Verankerung in der Schöpfung. Gott schafft durch sein Wort und sein Geist. Das Wort Ruach ist feminin, weiblich, ist für uns sehr ungewohnt. Wir sagen der Atem, der Sturm. Aber im Hebräischen sagt man die Atem, die Sturm. Und in den orientalischen Sprachen wählt man sehr bewusst, soll ein Wort weiblich
sein oder männlich sein, feminin oder maskulin. Das ist in den orientalischen Sprachen viel bewusster wie in den europäischen Sprachen. Da kann es manchmal auch Zufall sein, aber im Hebräischen nicht. Warum ist also Ruach weiblich? Ja, ganz klar, das kann man ganz sicher sagen, weil in der menschlichen Erfahrungswelt ist nichts so schöpferisch wie eine Geburt, wie das Gebären. Wenn sich der Mutterschoß öffnet und ein neues Lebewesen erblickt das Licht der Welt und alle, die herumstehen, sagen, so was war noch nie da. Also das Gebären ist in der menschlichen Erfahrungswelt das, was dem Schöpferischen am nächsten kommt. Also das Wort Ruach hat zum Mutterboden die weibliche Erfahrungswelt des Gebärends. Und
aus diesem Hintergrund wird auch Folgendes verständlich, es gibt neben dem Wort Ruach ein weiteres sehr wichtiges hebräisches Wort, das sehr oft in der Bibel vorkommt und eine enorme Rolle spielt und dieses Wort heißt Rehwach. Das Wort Rehwach kommt von Ruach, ist von dort abgeleitet. Und dieses Wort heißt Weite oder auch Raum, weiten Raum, das heißt Rehwach. Und das ist ganz aus dem Gebärvorgang. Der Gebärvorgang führt immer aus der Enge der Gebärmutter durch den Geburtskanal in die Weite. Ruach führt nie in die Enge, Ruach führt nie ins Kleinkarierte, sondern Ruach führt in einen weiten Horizont. Es
heißt bei der Berufung des Mose, ich führe euch in ein neues weites Land. Es könnte hier nie mal stehen, ich führe euch in ein neues enges Land. Wenn die Religion ein enges Land ist, dann ist die Religion krank. Und es heißt an einer anderen Stelle, du stellst meine Füße hin auf weiten Raum. Jetzt bei dieser Verbindung von Ruach mit Schöpfung gibt es noch einen wichtigen Akzent. Es gibt auch die Neuschöpfung. Es gibt die Situation, dass das Leben des Menschen verdurrt, alle Hoffnung ist dahin, wir versinken in tiefster Depression und dann kann nur die Ruach nochmal einen neuen Anfang schenken. Und ich hätte
jetzt gern, dass ihr mal ein berühmtes Kapitel der Bibel, eines der berühmtesten Kapitel der jüdischen Bibel, jeder gläubige Jude kann dieses Kapitel auswendig. Es ist das Kapitel Hesekiel 37. Dieses Kapitel ist der Kern, das Zentrum der Botschaft des Hesekiel. Hesekiel 37, 1 bis 14. Und zwar der Ausgangspunkt dieses Kapitels steht in Vers 11b, also zweite Hälfte von Vers 11. Martin, kannst du mal das vorne lesen? Siehe sie sagen, ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind abgeschnitten. Jawohl. Das ist die Situation, wie oft erleben Menschen das. Wir sind verdurrt, wir sind
ausgedört, unsere Hoffnung ist zerstört, wir sind abgeschnitten vom pulsierenden Leben. In so einer Situation bedarf es der Neuschöpfung. Und jetzt, Martin wird dieses Kapitel mal vorlesen. In diesem Kapitel kommt neunmal das Wort Huach, Geist, wird hier übersetzt mit Geist. Und neunmal Huach ist der Rekord in der gesamten Bibel. Also Martin, lies dieses berühmte Kapitel des Hesekiel mal uns vor. Die Hand des Herrn legte sich auf mich und erbrachte mich im Geist des Herrn hinaus und versetzte mich mitten in die Ebene. Sie war voll von Gebeinen. Er führte mich ringsum an ihnen vorüber und siehe, es waren sehr viele über die Ebene hin. Und siehe, sie
waren ganz ausgetrocknet. Er fragte mich, Menschensohn, können diese Gebeine wieder lebendig werden? Ich antwortete, Gott und Herr, du weißt es. Da sagte er zu mir, sprich als Prophet über diese Gebeine und sagte zu ihnen, ihr ausgetrockneten Gebeine, hört das Wort des Herrn. So spricht Gott, der Herr zu diesen Gebeinen. Siehe, ich selbst bringe Geist in euch, dann werdet ihr lebendig. Ich gebe euch Sehnen, umgebe euch mit Fleisch und überziehe euch mit Haut. Ich gebe Geist in euch, so dass ihr lebendig werdet. Dann
werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin. Da sprach ich als Prophet, wie mir befohlen war. Und noch während ich prophetisch redete, war da ein Geräusch. Und siehe, ein Beben. Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, siehe, da waren Sehnen auf ihnen. Fleisch umgab sie und Haut überzog sie von oben. Aber es war kein Geist in ihnen. Da sagte er zu mir, rede als Prophet zum Geist. Rede prophetisch, Menschensohn, sag zum Geist, so spricht Gott, der Herr. Geist, komm herbei von den vier Winden. Hauch diesen Erschlagenen an, damit sie lebendig werden. Da sprach ich als Prophet, wie er mir befohlen hatte. Und es kam der Geist in sie. Sie wurden lebendig und sie stellten sich auf ihre Füße. Ein
großes, gewaltiges Herr. Er sagte zu mir, Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe sie sagen, ausgetrocknet sind unsere Gebeine. Unsere Hoffnung ist untergegangen. Wir sind abgeschnitten. Deshalb tritt als Prophet auf und sagt zu ihnen, so spricht Gott, der Herr. Siehe, ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zum Ackerboden Israels und ihr werdet erkennen, dass ich der Herr bin. Wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole, ich gebe meinen Geist in euch. Dann werdet ihr lebendig und ich versetze euch wieder auf euren Ackerboden. Dann werdet ihr erkennen, dass ich der Herr bin.
Ja, ein unglaublicher Text. Der intensivste Text der Bibel über die lebendig machende Kraft, der Ruach. Hier ist nicht an die Auferstehung der Toten in den Himmel gedacht, sondern diese Vision hat Hesekiel im Exil gesagt, im bavillonischen Exil, als die Israeliten völlig k.o. waren, keine Perspektive mehr, keine Hoffnung mehr, hat Hesekiel mit dieser Vision ihre Heimkehr grundgelegt. Und diese Vision hat Israel wieder neuen Mut, neue Hoffnung und neue Perspektiven gegeben. Also die Ruach ist das, was Leben ermöglicht. Sei es in der Schöpfung oder in der Neuschöpfung, die Ruach ist das, was Leben ermöglicht und
Leben schafft. Also das war das erste Kapitel, die Ruach im Kontext von Schöpfungstexten, von Texten der Schöpfung oder der Neuschöpfung. Beides bewirkt die Ruach. Jetzt im letzten Kapitel betreten wir ein ganz neues Gebiet, nämlich die Ruach in der Gesellschaft, in einem, könnte man sagen, gesellschaftspolitischen Kontext, ein ganz anderer Kontext. Grundlegend ist die Schöpfung. Bei der Schöpfung ist auch klar, jeder Mensch wird durch die Ruach lebendig. Nehmen wir mal die Erschaffung Adams, da formte Jahwe staub aus der Erde, modellierte Staub aus der Erde, das ist sozusagen die materielle Seite des Menschseins, und dann
heißt es, und hauchte ihm den Atem des Lebens in die Nase. So wurde der Mensch eine lebendige Nefesh, ein lebendiges Wesen. Also der entscheidende Schritt ist, den Atem in die Nase hauchen. Gott hat Zugang zu unserem Inneren und jeder Mensch ist so geschaffen worden, dass er den Atem des Lebens hat. Auch jedes Tier, wir Menschen und wir Tiere sind Atemwesen. Jetzt aber gibt es noch ein weiteres Kapitel. Die Ruach wird jetzt auch wichtig im gesellschaftlichen Umfeld. Und zwar in diesem Umfeld hat nicht jeder Mensch schöpfungsbedingt die Ruach in sich, wie es ja jeder Mensch, der auf dieser Erde ist, hat. In jedem Menschen hat die Ruach
den Menschen und das Tier zum Leben erweckt. Aber im gesellschaftlichen Bereich ist es zunächst ganz anders. Die Ruach wird dort nur wenigen berufenen Einzelnen zuteil, die irgendeinen besonderen Auftrag haben. Und zwar gibt es da drei oder vier, sagen wir mal vier wichtige Stadien. Nämlich die Ruach beginnt gesellschaftlich zu wirken bei den frühen Propheten, also in der Frühzeit Israels. Auch im Richterbuch spielt das eine Rolle. Also in der Frühzeit Israels. Die Richter zum Beispiel Simson, Gideon, die werden alle, heißt es, der Geist, die Ruach, kam auf sie und packte sie. Also es muss ein sehr kräftiges
Erlebnis gewesen sein. Sie wurden geradezu von der Ruach überfallen. Und genau gleich bei den frühen Propheten des 9. Jahrhunderts, das ist so die Zeit Elia und Elisha, da gab es ganze Prophetenschulen, konnte man zur Schule gehen und Propheten lernen. Bei den großen Schriftpropheten gilt das alles nicht. Aber ursprünglich waren mal Prophetie, das waren ganze Gruppen von Propheten. Und da heißt es, ich tu das mal nur knapp anreißen, das wäre unbedingt eines eigenen Vortrags wert. Bei den frühen Propheten, bei den Prophetengruppen, bei den Prophetenschulen, heißt es immer wieder, die Ruach kam über sie. Oder die Ruach packte sie. Oder die Ruach riss sie. Und es waren auch enorme Kräfte und Auswirkungen.
Ganze Prophetengruppen gerieten in Verzückung, in Ekstase. Sie haben gesungen, getanzt und sind außer Kontrolle geraten. Sie haben auch die normalen Konventionen nicht mehr eingehalten. Und die Bevölkerung war sehr befremdet. Es war zwar klar, nur die Ruach kann einen Propheten zum Propheten machen, das kann nur die Ruach, aber die Auswirkungen waren irgendwie befremdlich. Im Volksmund galten damals diese Geistmänner oder diese Ruachmänner als irgendwie nerrisch oder auch ein bisschen verrückt. Oder der Jude sagt ein bisschen Mechucke. Es waren manche sehr befremdlich, grenzte an der Lächerlichkeit. Und es war damals schon, dass manche sagten, wahrscheinlich sind die besoffen. Das ist ja genau das Gleiche. In der Pfingstgeschichte
sagten die Leute, haben die zu viel Wein getrunken. Also diese Auswirkungen der Ruach waren irgendwie ein bisschen merkwürdig. Und diese Frühzeit, wo die Ruach noch irgendwie sehr undeutlich war, kitzelt die Frage hervor nach der Unterscheidung der Geister. Man kann doch jetzt hier nicht alles gut finden. Schaum vor den Mund, fallen vier Leute um und kriechen auf dem Boden wie eine Schlange. Also sollen wir das alles gut finden. Also diese etwas wilden Formen, sie werden überfallen von der Ruach und umgeworfen und geraten außer Kontrolle. Diese Wirkungen der Ruach rufen die Frage hervor, man muss hier die Geister unterscheiden. Also das war die Frühzeit gesellschaftlich. Die Ruach überfiel einzelne Propheten oder ganze Prophetengruppen.
Und diese Prophetengruppen brachten den gesamten Stand der Propheten in Verruf. Und jetzt kommt ein zweiter Schritt in der Religionsgeschichte Israels, der sehr auffällig ist. Den muss man gründlich berücksichtigen, unbedingt. Nämlich als die großen Schriftpropheten jetzt auftraten im achten Jahrhundert. Als erster Amos, dann Hosea, dann Micha, dann Jesaja und dann Jeremia. Als diese großen Propheten auftraten, kam das Wort Ruach überhaupt nicht mehr vor. Diese Propheten haben ihre Berufung und ihre Botschaft nicht aus der Ruach abgeleitet. Es ist, wie wenn es das nicht mehr gäbe. Und da liegt die Vermutung sehr nahe und sie wird auch in der Bibelwissenschaft so geäussert, ich bin der gleichen Überzeugung,
das kann ja kein Zufall sein. Die großen, jetzt sage ich mal seriösen Schriftpropheten, die eine tiefe Kritik an den Machteliten vorgetragen hat und sich sehr solidarisiert haben mit den Kleinbauern, Kleinhandwerkern. Sie haben sich gescheut, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Sie wollten nicht mit diesen verzückten und ekstatischen Prophetengruppen verwechselt werden. Sie haben dieses Wort gemieden. Und jetzt kommt Jesaja 37 mit neunmal Ruach. Also dieses Jesaja-Kapitel hat die Kurve wieder gekriegt, von da an war Ruach wieder möglich. Weil Jesaja war so klar auf Seiten der Ruach, dass ab jetzt wieder Bibeltexte kommen mit Ruach. Jetzt taucht auch zum ersten Mal die Hoffnung auf, dass vielleicht alle
Menschen mal denn diese Geisterprophetie bekommen könnten. Aber zunächst, der dritte Schritt, sind die messianischen Texte. Und zwar, die sind etwas jünger, die stehen zwar auch im Jesaja-Buch, ist aber eine jüngere Schicht von Jesaja, sind später als dieses Hesekiel-Kapitel. Und die wichtigsten messianischen Texte sind Jesaja 11, Jesaja 42 und Jesaja 61. Die will ich jetzt mal ganz nach vorne bringen. Martin liest mal Jesaja 11 von Vers 1 an. Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Jawohl. Dieser Satz, ein Reis, ein Trieb springt hervor, ist eine messianische
Formel. Der Messias ist damit gemeint. Und jetzt machen wir weiter. Der Geist des Herrn ruht auf ihm. Gut. Das ist ganz wichtig. Zum ersten Mal in der Bibel heißt es jetzt, also ist eine völlig neue Welt, weil bisher heißt es immer, der Geist fiel auf ihn, der Geist riss ihn, der Geist packte ihn und so weiter. Aber jetzt heißt es zum ersten Mal, der Geist ruht auf ihn. Und das bedeutet, er ist nicht nur phasenweise vom Geist gerissen, sondern er hat eine Dauerverbindung sein ganzes Leben lang. Der Messias ist der Geistträger par excellence, der Ruachträger. Die Ruach ruht auf ihn. Und jetzt, wir haben immer noch die Frage im Hintergrund, wir brauchen eine Unterscheidung der Geister. Die Ruachwirkung in der Frühzeit
der Prophetie ist sehr ambivalent und vielschichtig, schillernd. Aber jetzt, wie wird derjenige in der Gesellschaft wirken, auf dem die Ruach ruht? Bitteschön. Der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Ja, so weit mal. Also erst wird mal ausgeführt, viel Weisheit, viel Erkenntnis und Furcht Gottes, das meint Gott, ganz ernst nehmen. Also so geht's los, das braucht man. Wir brauchen viel Weisheit, viel Einsicht, viel Furcht des Herrn und der Messias hat das. Aber wie wirkt es sich jetzt gesellschaftlich aus? Und er hat sein Wohlgefallen an der Furcht des Herrn. Er richtet nicht nach dem Augenschein und nach dem Hörensagen, entscheidet
er nicht, sondern er richtet die Geringen in Gerechtigkeit und entscheidet für die Armen des Landes, wie es recht ist. Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen. Gerechtigkeit ist der Gürtel um seine Hüften und die Treue der Gürtel um seine Lenden. Ja, also mit diesem Text fängt es an. Das ist jetzt ein dritter Schritt in der Religionsgeschichte Israels. Erster Schritt, die Frühzeit der Propheten. Zweiter Schritt, völliges Schweigen bei den großen Schriftpropheten. Aber Herr Sekel hat das Ganze wieder umgedreht. Und jetzt die Auswirkung, er richtet die Armen in Gerechtigkeit und er richtet das Recht auf. Ruach wird ab jetzt zu einer Ruach der Gerechtigkeit. Wie
kann man die Ruach-Geister unterscheiden? Nur die Ruach, die sich als Recht und Gerechtigkeit gegenüber den Armen erweist, das ist das Kriterium. Jetzt gehen wir zu Jesaja 42, 1 bis 4, auch ein wichtiger messianischer Text aus der gleichen Zeit. Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze. Das ist mein Erwählter. An ihm finde ich gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt. Er bringt den Nationen das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Gasse erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Ja, er bringt wirklich das Recht. Er verglimmt nicht und wird nicht geknickt, bis er auf
der Erde das Recht begründet hat. Auf seine Weisung warten die Inseln. Ja, also auch in diesem messianischen Text, er wird den glimmenden Docht nicht auslöschen und das geknickte Rohr nicht vollends kaputt machen. Das sind Bilder der Barmherzigkeit. Also es verdichtet sich jetzt. Die Ruach verwirklicht sich in der Gesellschaft in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Jetzt gehen wir zum dritten messianischen Text, der für Jesus entscheiden wurde. Er wird nämlich von Jesus bei seiner ersten Predigt in Nazareth zitiert Jesus diesen Text und er erkennt sich in diesem Text selbst. Jesaja 61, 1 bis 2. Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir. Wieder ruht auf mir.
Denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, um den Armen frohe Botschaft zu bringen, um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind, um den Gefangenen Freilassung auszurufen und den Gefesselnden Befreiung, um ein Gnadenjades Herrn auszurufen, einen Tag der Vergeltung für unseren Gott, um alle Trauernden zu trösten. Also auch hier der Geist des Herrn, die Ruach, ruht auf mir. Er hat mich gesandt, den Armen eine gute Botschaft zu bringen, den Blinden das Augenlicht und denen im Kerker. Kerker war nur was anderes wie unsere Gefängnisse, die Freiheit und allen traurigen Trost. Man merkt schon, wie nahe dieser Text an Jesus dran ist. Und Jesus zitiert diesen Text in
Nazareth, macht die Heilige Schrift zu und sagt, heute ist dieser Text erfüllt vor euren Augen. Also Jesus findet sich selber in diesem Text. Ein Text und eine Person finden sich. Also das ist der dritte Schritt. Der Messias ist der herausragende Geistträger. Niemand wird jemals in einer so engen Verbindung zum Geist, zu Ruach. Ich sage jetzt auch wieder Geist, weil ihr habt jetzt diesen Hintergrund, wir müssen ihn vom At, vom Alten Testament herfüllen. Der Messias macht die Frage der Geisterunterscheidung glasklar. Die wahre Ruach konkretisiert sich in Gerechtigkeit, im Recht, in der Barmherzigkeit und im Frieden.
Jetzt kommt der vierte Schritt. Als es also wieder losging, dass die Ruach wieder sehr wichtig wurde, dank Hesekiel, dank dieser messianischen Texte, kam jetzt die Hoffnung auf, in mehreren Texten, ich habe die jetzt übersprungen, dass doch Gott eine Zeit kommen lassen möge, in der der Geist der Prophetie auf allen Menschen ausgegossen wird. Und es gibt einen berühmten Text, der für das Neue Testament von größter Bedeutung wird. Er wird nämlich in der Pfingstgeschichte ausführlich wörtlich zitiert. Das ist Joel, der Prophet Joel. Der Prophet Joel lebte nachexilisch, so zwischen 400 und 350, in der Zeit, da ist die Thora schon abgeschlossen, kanonisiert und die meisten Propheten haben ihr Dienst
getan. Joel steht schon in der Nähe zum Neuen Testament. Und da verheißt er Folgendes, Joel 3, 1 bis 2. Danach aber wird folgendes geschehen. Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein. Eure Alten werden Träume haben. Und eure jungen Männer haben Vision. Auch über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen. Also Joel sagt, ja, es wird die Zeit kommen. Da werde ich meinen meine Ruach ausschütten über alles Fleisch. Jetzt geht es nicht mehr um die Ruach,
die in jedem Menschen sowieso drin ist, Kraft der Schöpfung, sondern es sind diese gesellschaftlichen Texte. Es ist kein Schöpfungstext. Über alles Fleisch. Und jetzt interessant, eure Söhne und Töchter werden prophetisch reden oder man kann auch übersetzen, werden Propheten – gleiche Formulierung – Söhne und Töchter. Und jetzt eure Alten und Jungen. Das sind auch nie Männer allein. Bei Alten und Jungen sind immer Frauen dabei. Also das erste Paar kann man sagen, die Ruach wird über beide Geschlechter gleicherweise auf Augenhöhe ausgegossen. Aber auch über alle Alten, Männer und Frauen, und über alle Jungen. Und dann aber auch, das ist sozusagen alle Altersgruppen. Und dann aber auch alle Gesellschaftsschichten.
Eure Knechte und Mägde werden auch den Geist ausgeschüttet erhalten. Also da geht es wirklich um freie Bürger oder rechtlich abhängige Knechte, Mägde sind auch Sklaven. Also interessant ist, dass dieser Text gar nicht pauschal bleibt. Er könnte ja sagen, werde ich ausgießen über alles Fleisch, über die ganze Bevölkerung. Könnte ja sagen, nein, der Geist bewirkt etwas in der Gesellschaft. Nämlich Söhne und Töchter, beide Geschlechter sind gleicherweise im Blick. Und dann Alte und Junge sind auch beide Geschlechter. Es gibt in diesem Text das Wort Männer nicht. Es wird ganz streng vermieden. Es gibt auch nicht das Wort Väter. Es ist ja eine total patriarchale Gesellschaft. Und dann noch Knechte und Mägde, an die
hätte man sicher am Schluss gedacht, die werden ausdrücklich genannt. Und auch da wieder beide Geschlechter, Knechte und Mägde. Also die Roach, wenn sie sich gesellschaftlich auswirken wird, wird die Hierarchie der Geschlechter beenden. Sie wird jede Hierarchie durch Altersgesichtspunkte beenden und sie richtet sich nach keinem politischen Gesellschaftsaufbau. Auch die Knechte und Mägde werden ausdrücklich genannt. Wie viele gesellschaftliche Gruppen geraten dadurch in den Schatten, dass man über sie gar nicht redet. Man nennt sie gar nicht. Ich habe mal in Marokko, war ich mal im christlich-islamischen Dialog und dann sagte ein Student zu mir, ja ich bin ein Berber. Na sage was, du bist ein Berber? Ich habe gedacht, die Marokkaner
sind alle Araber. Na sagt er, ja das war auch bis zwei Jahre so. Es ist zwar ein Drittel oder ein Viertel aller Marokkaner sind Berber, aber im staatlichen Fernsehen kam das Wort Berber nie vor. Die wurden nie genannt. Also man kann einfach, dass man sie übergeht. Erst seit ein, zwei Jahren hat er gesagt, bessert sich das jetzt langsam. Also wer wird hier genannt? Sehr auffällig. Es gibt auch bei diesen Gruppen, die sind alle gleichberechtigt, gibt es keine Lenkungsgruppe. Also keine dieser Gruppen ist dominant, dass eine Gruppe den anderen gesellschaftlichen Gruppen die Ruach weitervermittelt. Nein, alle diese Gruppen sind gleich unmittelbar zu Gott. Und dann ist aber auch interessant, es werden hier nur Gruppen genannt, keine einzelnen Stas, keine Führerpersönlichkeiten, wo man dann
ein Personenkult anfangen kann. Nein, es sind Gruppenerfahrungen. Also es ist eine differenzierte Sicht der Gesellschaft. Man merkt, welche Vielfalt, welche Diversitäten. Es ist eine Art Differenzkultur. Die Ruach wird uns alle lehren, alle relevanten Gruppen der Gesellschaft wahrzunehmen, keine zu übergehen. Und dieser Text kündigt die Ruach an, es wird keine Privilegierten mehr geben und keine Diskriminierten. Dafür wird die Ruach sorgen. Das, ihr Lieben, ist die alttestamentliche Vorbereitung für die neuntestamentlichen Texte zum Heiligen Geist. Wer diese alttestamentlichen Texte nicht beachtet und nicht angemessen
würdigt, der wird auch die neuntestamentliche Botschaft vom Heiligen Geist nicht wirklich verstehen. Die neuntestamentliche Botschaft vom Heiligen Geist ist nur dann richtig verstanden, wenn wir alle ganz dicht beim Natürlichen bleiben. Nicht das Übernatürliche rettet uns, sondern das Wunder, das im Natürlichen liegt, im Atem, im Wind, in der Gerechtigkeit. Ja, also, ihr Lieben, das alte Testament ist die Voraussetzung und die Basis des Neuen Testaments. Von daher können wir dann die Botschaft des Neuen Testaments viel angemessener
aufnehmen.
Was wir aus dem Alten Testament über den Heiligen Geist lernen können | 11.7.1
Das Thema »Heiliger Geist« gehört zu den wichtigsten und spannendsten Themen des christlichen Glaubens. »Vater und Sohn«, mit diesen Begriffen kann jeder etwas anfangen. Aber wer oder was – bitteschön – ist ein »Heiliger Geist«? Das Wort »Geist« weckt in uns nicht so vertraute Erinnerungen, Bilder und Gefühle, wie sie sich bei den Worten »Vater und Sohn« – und natürlich auch bei »Mutter und Tochter« – einstellen. Außerdem steht das deutsche Wort »Geist« in ganz bestimmten Zusammenhängen: Wir sprechen von der europäischen »Geistesgeschichte«, von Naturwissenschaften und »Geisteswissenschaften« et cetera. Für uns Deutschsprachige hängt »Geist« sehr eng mit »geistig« zusammen und ist eher etwas Intellektuelles und Theoretisches. Das ist im Hebräischen ganz anders!
Auf der Grundlage der hebräischen Sprache und Begriffe entfaltet Zimmer die alttestamentliche Sicht des Geistes beziehungsweise des Heiligen Geistes. Das führt zu überraschenden Erkenntnissen, die eng mit unserer Lebenserfahrung verbunden sind und der christlichen Erziehung beziehungsweise Verkündigung neue und sehr anregende Perspektiven eröffnen.