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Die erste Frage, die man vielleicht hat, ist, warum heißt die Stoah Stoah? Und deshalb schauen Sie bitte auf das Textblatt auf der Seite 17. Das haben Sie alle da. Stoah heißt nichts anderes als Säulengang. Und hier auf dem Foto haben wir die Stoah von Athen. Und die Philosophie der Stoah heißt so, weil die einzelnen Philosophen immer in solchen Säulengängen hin und her gewandelt sind. Und von daher haben sie ihren Namen bekommen. Deshalb

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also Stoah. Die Stoah, sie wurde ungefähr 300 v. Chr. gegründet und hatte ihre Blütezeit bis 200 n. Chr. Also 500 Jahre Stoah. Die Stoah sah die Hauptaufgabe darin, den Menschen zu zeigen, wie sie glücklich werden können. Also was will man mehr? Eine größere Aufgabe, Menschen glücklich zu machen, gibt es überhaupt nicht. Und zwar glücklich aus eigener Kraft, glücklich auf Dauer und zuverlässig. Jeder sollte tatsächlich, so wie wir es auch als Sprichwort haben, seines Glückes

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sein. Und um dies zu erreichen, empfehlen die Stoika, sich auf das eigene Innere zu konzentrieren, auf die innere Seele und alles Äußere als gleichgültig anzusehen. Alles Äußere, also als Reichtum, Macht, Ansehen, all das ist gleichgültig. Da merken Sie schon, wo der große Unterschied zu heute besteht. Heute ist es ja ganz genau umgekehrt. Was zählt? Das ist Geld, Macht, Reichtum. Man soll also dieses Äußere beiseite lassen. Ja, sogar der Tod ist gleichgültig. Seelenruhe und Gelassenheit und dass aus einer solchen Haltung heraus ein glückliches Leben

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entstehen kann, das war für die Stoika wichtig. Nun können Sie sagen, ja meine Güte, das ist jetzt 2000 Jahre her. Was hat uns das heute noch zu sagen? Was geht uns das heute eigentlich noch an? Und da hilft wie immer ein kurzer Blick ins Internet. Wenn Sie nämlich Stoa googeln, dann kriegen Sie vor allem Titel, Bücher aus der Lebensberatung. Und ich lese Ihnen jetzt mal drei Titel vor von zig Titeln, die Sie finden werden. Also ein Buch erschienen 2021, moderner Stoizismus. Die Fähigkeit konsequent innere Stärke, Selbstdisziplin und Resilienz

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aufzubauen, wie sie den Alltagsproblemen mit den Werten der Stoa gelassen entgegenwirken, erschienen 2021. Oder 2022, von der Herausforderung ein Stoika zu sein, ein philosophisches Handbuch für mehr Stärke, Seelenruhe und Resilienz. Oder gesund leben mit dem Stoizismus, wie sie durch die Philosophie der alten Stoika seelisch und körperlich gesund bleiben, 2023. Und so könnte ich das jetzt fortsetzen. Innere Stärke, innere Ruhe, Resilienz. Das ist das Programm der Stoa und das ist ein absolut aktuelles Programm. Denn genau

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das geht uns ja verloren in der heutigen Zeit, wo alles Mögliche auf uns einströmt und wir innerlich unruhig werden, unruhig sind. Und das merken Sie, das merkt man, dass unsere gesamte Gesellschaft ist innerlich unruhig, angesichts dessen, was an Herausforderungen auf uns zukommt. Das heißt also, die Grundannahme, die ich jetzt habe bei diesem Vortrag, ist, dass das, was die Stoa vor 2000 Jahren gesagt hat, durchaus aktuell ist. Denn es geht um ein Programm der Selbstoptimierung im positiven Sinn. Und zweitens, all unsere Probleme, die wir heute haben, wurden natürlich auch schon

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vor 2000 Jahren bedacht. Was denn sonst? Und drittens, die Stoa ist ein Lebenskonzept. Und das Christentum ist auch ein Lebenskonzept. Und was ich heute morgen mit Ihnen machen möchte, ist, dass ich beides miteinander verbinde und versuche, Ihnen zu zeigen, wo es durchaus Übereinstimmungen gibt, aber auch wo es grundlegende Unterschiede gibt. Im Denksystem, im Konzept. Also, haben die frühen Christen die Stoa überhaupt gekannt? Das ist die erste Frage, die wir stellen werden. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen. In der Apostelgeschichte, das haben wir gestern Abend auch schon gehört, diskutiert Paulus mit Epikurean und Stoikern

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in Athen. Und die sprechen über den unbekannten Gott. Und in der Geschichte des Lukas ist eine Sache sofort interessant. Über den unbekannten Gott kann man diskutieren, das kann man sich anhören, da sind alle interessiert. Und dann wird gesagt, Paulus fängt an über die Auferstehung Jesu Christi von den Toten zu reden. Und da fingen die einen an zu spotten und zu lachen, und die anderen sagten, darüber reden wir mal morgen. Und sie verschwanden. Und da merken Sie schon, wo der grundlegende Unterschied ist. Also haben die frühen Christen die Stoa gekannt, Paulus kannte sie mit Sicherheit. Ein zweites Argument ist, dass Paulus aus der Metropole Tharsis kommt. Da haben wir gestern Abend ja auch drüber gehört. Und Tharsis war auch ein Zentrum

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stoischer Philosophie. Also auch das spricht dafür, dass man voneinander wusste. Und der dritte Punkt, der ist entscheidend. Nämlich, dass in der Antike die Philosophie etwas völlig anderes war, als sie heute ist. Wenn Sie heute bei einer Universität in einer philosophischen Fakultät irgendeine Lehrveranstaltung sich anschauen, dann sind das absolute Spezialistenabteilungen, wo Sprachlogik, Geschichte oder sonst irgendetwas gemacht wird. Und es interessiert keinen Menschen, jedenfalls außerhalb der Universität. Und das war in der Stoa und in der antiken Philosophie völlig

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anders. Und jetzt schauen wir mal auf den ersten Text beim Textblatt Nummer eins, wo der stoische Philosoph Mousonius sagt, die Philosophie ist Wissenschaft vom Leben. Die Philosophie ist Wissenschaft vom Leben. Und ein gutes, sittliches Leben zu führen, ist gleichbedeutend mit Philosophie. Das heißt also, Philosophie ist eine eminent praktische Disziplin und nicht irgendetwas völlig Abgehobenes, was kein Mensch versteht oder kein Mensch interessiert. Und dann kommt ein weiterer Punkt hinzu. Wenn Sie heute Philosophen fragen würden, glauben Sie an Gott? Ja, da würden Sie also 99 Prozent würden natürlich entrüstet sagen, wie kommen Sie denn da drauf? Also die Philosophie ist heutzutage völlig getrennt von der Theologie. Und genau das war aber in der antiken Welt auch

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wieder völlig anders. Theologie und Philosophie gehörten zusammen. Jede Philosophie hatte religiöse Potenz und jede Religion hatte auch philosophische Potenz in dem Sinne, in dem es darum geht, denkewisch Lebensfragen zu thematisieren und zu beantworten. Gott und gelingendes Leben, das war ein zentrales Thema der Stoar. Und Gott und gelingendes Leben, das war von Anfang an ein zentrales Thema des frühen Christentums. Denn worum geht es denn im Christentum? Es geht um Gott und um gelingendes Leben. Man könnte auch sagen um sinnvolles Leben, um glückliches Leben. Das heißt

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also, was für die Philosophie im ersten Jahrhundert nach Christus zutrifft, das trifft auch für das entstehende Christentum zu. Nämlich beide sind sie ein Heilmittel, um gut zu leben und gut zu sterben. Hier haben wir eine grundlegende Gemeinsamkeit zwischen beiden und das müssen wir uns immer vor Augen halten. Und als letzter Punkt, also kannten die frühen Christen die Stoar? Ich habe gesagt, ja, mit Sicherheit. Als letzter Punkt kann man auch darauf hinweisen, dass das frühe Christentum natürlich eine Bildungsbewegung war. Das ist etwas, was in der neueren Forschung erst seit

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ungefähr zehn Jahren wirklich in den Blick kommt und was sie in Wirklichkeit ja schon immer geahnt haben. Denn wenn sie eine Predigt gehört haben und es wurde ein Text aus dem Römerbrief oder aus dem Galaterbrief vorgelesen und sie haben nichts verstanden, ja, dann haben sie sich möglicherweise immer irgendwie geschämt, warum verstehe ich das nicht? Weil diese Texte unglaublich anspruchsvoll sind. Wenn sie den Römerbrief des Paulus zum Beispiel lesen, dann hat der hohe intellektuellen Anspruch und das gilt für die anderen Schriften auch. Es gibt ja keine Textgruppe in der gesamten Geschichte der Menschheit, die einen solchen Einfluss hatte wie die Texte der Bibel. Bis heute

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sind die Gleichnisse, sind die Briefe des Paulus doch aktuelle Texte, die Menschen erreichen und das nach 2000 Jahren. Das heißt also, das frühe Christentum war nicht bildungsfern, wie man früher meinte, sondern man wird voraussetzen können, dass sie sehr wohlgebildet waren und auch Sklaven, viele Sklaven gehörten ja zu den frühchristlichen Gemeinden, waren ja nicht ungebildet, weil sie Sklaven waren, sondern eher umgekehrt. Viele Frauen waren gebildet. Das heißt also, das frühe Christentum war eine Bildungsreligion und auch deshalb liegt es nahe, dass man die Stoire und

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ihre Lehren kannte. Denn es geht ja wie gesagt in beiden Lebenskonzepten um die gleiche grundlegende Frage, wie werde ich glücklich, wie lebe ich sinnvoll. Also das ist der Ausgangspunkt. Philosophie und Theologie haben in der Antike dasselbe Thema gehabt. Und von diesem Ausgangspunkt wollen wir uns jetzt einmal anschauen, was hat denn die Stoire über Gott gesagt und was hat das frühe Christentum über Gott gesagt. Und das ist jetzt der nächste Punkt, den wir miteinander bedenken wollen. Gott, die Götter, war das zentrale Thema der Stoire, gewissermaßen ihre geistige Mitte. In der antiken Welt war klar, dass es Gott oder Götter gibt. Es gab zwar vereinzelte Atheisten,

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aber eigentlich war völlig klar, es gibt Götter, es gibt Gott. Und nun ist das Entscheidende, wie stellt die Stoire eigentlich Gott und die Götter dar? Die Stoire geht nicht, nicht von einem persönlichen Gott aus, sondern von einer göttlichen Struktur der Wirklichkeit. Sie vertritt einen Panteismus. Das Wort haben Sie wahrscheinlich schon mal gehört. Wer war ein berühmter Vertreter des Panteismus, ein großer deutscher Dichter? Goethe natürlich, genau. Also Panteismus, Pan heißt alles, Gott ist in allem. Und dieser Panteismus lebt ja sozusagen in irgendeiner

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Form weiter. Sie kennen ja dieses berühmte Bild, ich gehe in den Wald, um Gott zu finden. Also, das heißt ein Panteismus, die Gottheit ist weltimmanent, sie ist allgegenwärtig und sie ist gerade deshalb auch nicht fassbar. Wir lesen Text Nummer zwei, wenn Sie da mal reinschauen, der historische Philosoph Chresip sagt, die göttliche Kraft liege in der Vernunft und in der Seele und in dem Geist der gesamten Natur. Und er erklärt weiter, die Welt selbst und die allesdurchdringende Weltseele sei Gott. Und den nächsten Text auch noch, Sie, die Historiker,

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sagen, dass Gott mit der Materie vermischt ist, sie insgesamt durchzieht und sie so gestaltet, sie strukturiert und die Welt aus ihr macht. Das heißt also, Gott ist der Materie immanent. Gott ist die allesdurchwaltende Kraft im Sein. Das ist ein durchaus interessanter Ansatz, denn da muss ich dann nicht an irgendeinen jenseitigen Gott glauben, sondern Gott ist in der Materie, ist in dem Seinen selbst. Und die Historiker sagen, Gott hat uns durch die Vernunft, die Kraft und die Fähigkeit gegeben, das zu erkennen. Um dies zu erreichen, muss man sich natürlich zunächst einmal

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klarmachen, welche Vorstellungen man von den Göttern haben kann und welche Vorstellungen man haben muss. Und das ist Nummer vier. Epiktet heißt der historische Philosoph. Was die Frömmigkeit gegenüber den Göttern betrifft, so wisse, dass es hauptsächlich darauf ankommt, richtige Vorstellungen über sie zu haben, nämlich, dass sie existieren und das Weltall gut und gerecht regieren und dass du die Bereitschaft haben musst, ihnen zu gehorchen und dich allem, was geschieht, zu fügen und freiwillig zu folgen in der Überzeugung, dass es von der vollkommensten Einheit zum Ziel geführt wird. Dann wirst du die Götter nämlich niemals tadeln und ihnen vorwerfen, sie kümmerten sich nicht um dich. Also, es kommt darauf an, die richtigen Vorstellungen zu haben. Es gibt die Götter, es gibt Gott, er wohnt der Natur inne, er lenkt alles weise und meine Aufgabe

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ist, das zu erkennen und sich in diesen Organismus sozusagen positiv einzufügen. Das heißt also, ich soll dem Willen Gottes gemäß handeln. Und wie tue ich das? Indem ich, und jetzt kommt wieder ein moderner Gedanke, indem ich mit der in Übereinstimmung mit der Natur lebe, mit dem gesamten Kosmos, in Übereinstimmung mit der Natur. Nummer fünf. Zizero, das höchste Gut besteht darin, im Leben das Wissen um die natürlichen Gegebenheiten anzuwenden, indem man sich für das entscheidet, was naturgemäß ist und das verwirft, was ihr zuwiderläuft. Das heißt, in Harmonie und

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Übereinstimmung mit der Natur zu leben. In Harmonie und Übereinstimmung mit der Natur zu leben, da könnte man jeden Parteitag von den Grünen oder der SPD oder auch der CDU als Thema nehmen. Ein völlig aktueller Gedanke. Oder der Philosoph Seneca. Bei alledem, darin sind sich ja sämtliche Historiker einig, folge ich der Natur. Von ihr nicht abzuweichen und von ihrem Gesetz, von ihrem Vorbild leiten zu lassen, das ist Weisheit. Glücklich ist also ein Leben, das seiner natürlichen Bestimmung entspricht. Das ist antike Weisheit. Und daran stimmt natürlich etwas, was wir vergessen haben, nämlich dass wir ein Teil der Natur sind und dass wir nur leben und überleben werden, wenn wir uns in die Natur eingliedern. Aber dieser kurze Überblick zeigt schon, dass es

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grundlegende Unterschiede zwischen dem stoischen und dem christlichen Gottesbild gibt. Die christliche Gott steht als eine transzendente Wirklichkeit der Welt gegenüber. Er hat sie geschaffen, ja natürlich, aber er steht ihr gegenüber. Die stoische Gottheit ist weltimmanent. Das könnte man doch miteinander verbinden, indem man sagt, ja auch der christliche Gott ist ja der Schöpfer und seine Schöpfungskraft wirkt in der Schöpfung weiter. Das ist ja ein guter, wichtiger, aktueller Gedanke. Das geht. Aber an einer Stelle klappt es dann nicht mehr. Bei der Stoah ist Gott ein

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Vernunftprinzip, das der Mensch natürlich erkennen kann, jeder Mensch. Und da ist es im Christentum natürlich etwas anderes, nämlich, darauf werden wir nachher noch kommen, dass Gott sich einmalig in einer bestimmten Person offenbart hat, nämlich in Jesus von Nazareth. Und das war natürlich für die Stoah ein völlig undenkbarer Gedanke. Das war jetzt der erste Punkt. Wir werden auf einzelne Aspekte noch zurückkommen. Also wie denken die Historiker über Gott und wie denkt das frühe Christentum über Gott? Wir haben gesehen ein sehr attraktives, teilweise aktuelles Konzept von Gott. Aber es gibt sozusagen Unterschiede, auf die ich noch näher eingehen will. Der zweite Punkt, wie

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ist eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch eigentlich möglich? Gott überragt uns Menschen, er ist qua Definitionen unserem Zugriff und eigentlich auch unserem Erkennen entzogen. Und wie kommen wir trotzdem miteinander in Kommunikation? Und auch hier gibt es interessante Parallelen zwischen der Stoah und dem frühen Christentum. Die Stoah sagt, dass Gott diese Kommunikation selber möglich macht und zwar, indem er den Menschen die Vernunft gegeben hat und in dem Gott im und durch den Geist wirkt. Die Stoah sagt, Gott selbst gibt Anteil an seiner

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Wirklichkeit durch den Geist, griechisch Pneuma, durch die Vernunft, griechisch Nus, durch das Wort, griechisch Logos. Es besteht sozusagen in der Stoah eine Analogie zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos, nämlich alles ist miteinander verflochten durch den göttlichen Geist, sagen die Stoiker. Und hier schauen wir in den Text Nummer sechs, der römische Kaiser und Stoiker Marc Aurél. Alles ist miteinander verflochten. Es gibt nämlich nur einen Kosmos, der aus allem, was existiert, besteht. Nur einen Gott, der in allem ist. Nur eine allen denkbaren Wesen

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gemeinsame Vernunft, Logos Koinos. Nur eine Wahrheit unter der Voraussetzung, dass es auch nur eine Vollkommenheit der Wesen gibt, die alle diese Herkunft haben und an der denselben Vernunft teilhaben. Ja, also die Gottheit wirkt in allem und auch in uns und sie hat uns die Vernunft gegeben und dadurch können wir sie erkennen. Und Sie merken schon, das ist nicht so weit weg von der Vorstellung, die wir im frühen Christentum haben, dass der Heilige Geist die Kommunikation zwischen Gott und Mensch ermöglicht. Man kann natürlich sagen, viel mehr andere Möglichkeiten gibt es ja auch nicht. Wir können sagen, die Vernunft, der Geist, wir könnten dann auch sagen, Gott offenbart

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sich in Schriften, er gibt sozusagen seinen Willen in Schriften bekannt. Das hat die Histoire nicht, aber da ist man ganz nah beieinander, denn auch im frühen Christentum ist ja der Heilige Geist etwas, was man erkennt, etwas, was man merkt, etwas, was man erfährt und nicht irgendein, wir haben ja morgen Pfingsten, nicht ein irgendwie großes Fragezeichen, unter dem sich keiner was vorstellen kann, sondern der Geist hat auch im frühen Christentum eine energetische Macht. Paulus nennt ihn einmal Energie und genau das ist es. Und diese Energie zeigt sich ja vor allem im frühen Christentum in den Geistesgaben, in den Charismen, wo ja sozusagen sichtbar der Geist wirkt. Im Johannes-Evangelium heißt es Gott ist Geist, Johannes 4,24. Bei Paulus heißt es, 2. Korinther 3,17,

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der Herr aber, also Jesus, der Herr aber ist der Geist. Das heißt also, auch im frühen Christentum ist der Geist sozusagen ein göttliches Wirkprinzip und das ist es in der Histoire auch. Und wenn die die göttliche Vernunft mit Logos benennt, dann fällt Ihnen natürlich sofort das Johannes-Evangelium ein. Im Anfang, Vers 1, im Anfang war der Logos, in archä, in hologos, im Anfang war das Wort. Also wie kann man Gott denken, wie kann man sich Gott vorstellen und wie kann man sich denken, dass Gott mit uns Menschen kommuniziert? Antwort durch den Geist und durch

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die Vernunft. Das sind die beiden großen Bereiche. Aber auch hier ist völlig klar, es gibt Unterschiede, denn die Kommunikation zwischen Gott und Mensch ist im Christentum an einer Stelle völlig anders als in der Histoire, nämlich dass der göttliche Logos sich ausschließlich in einer einzelnen geschichtlichen Person zeigt, sich in einer Person offenbart hat, nämlich in Jesus von Nazareth. Und es war für die Histoire natürlich völlig unmöglich zu akzeptieren, dass Gott oder die Gottheit sich in einem gekreuzigten Juden endgültig offenbart hat. Also da merken wir wieder, wir haben

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Übereinstimmungen und wir haben an einer Stelle eine grundlegende, fundamentale Differenz. Und dasselbe wird sich jetzt bei dem dritten Bereich zeigen, den ich mit Ihnen besprechen möchte, nämlich die Ethik. Die Frage nach dem glücklichen Leben ist ja eine ethische Frage. Und hier gibt es wieder Übereinstimmungen und Differenzen. Die Histoire sagt, das glückliche Leben kann ich nicht durch die Befolgung einzelner Gebote erreichen, also indem ich das und das mache und das und das unterlasse, sondern für die Histoire ist klar, ich muss der göttlichen Vernunft und der Natur folgen,

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der Tugend folgen und im Einklang mit Gott, der Natur und mir selbst leben. Hier schauen wir mal kurz auf Text Nummer 8. Wer auf das Gesetz der Vernunft hört, sagt Musonius, kann seinem Mitmenschen nicht schaden. Wer so handelt, steht im Einklang mit Gott, der Natur und sich selbst. Um es mit einem Satz zu sagen, das Gesetz des Zeus gebietet den Menschen gut zu sein. Das ist also der ethische Anspruch, seinen Mitmenschen nicht schaden und gut zu sein. Und wenn ich das mache, dann befolge ich

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die Tugend. Das ist ein entscheidendes Konzept. Und wenn ich das mache, wenn ich also die Gottheit erkenne und danach handle, dann wird es mir möglich, die Affekte zu vermeiden. Affekte, das sind starke, der Vernunft, nicht gehorchende Triebe, die den Menschen beherrschen. Zu den Affekten gehören die Begierde, die Angst, die Trauer, die Unlust, der Zorn, aber auch die Lust und die zu starke Liebe oder der Hass. Und die Histoire sagt, wenn du das Gute tust, wenn du im Einklang mit der Natur lebst, dann kommen diese Affekte erst gar nicht auf. Oder du bist in der Lage, sie sozusagen zu

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handeln, zu managen, indem du sie nicht in einer Kraft zulässt, die dich dann sozusagen umwirft und dich bestimmt. Das heißt also, es ist die Aufgabe der Vernunft und der Philosophie, erst gar keine Affekte aufkommen zu lassen. Aber wie klappt das? Wie geht das? Das ist ja unser aller Problem, mit dem wir sozusagen tagtäglich kämpfen. Und die Histoire gibt eine Antwort. Sie sagt, du musst erst mal erkennen, das zu unterscheiden, worüber wir Macht besitzen und worüber wir keine

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Macht besitzen. Also zu unterscheiden, was wir beeinflussen können und was wir nicht beeinflussen können. Und das müssen wir uns gedanklich klar machen. So, es ist sofort völlig klar, was kann ich nicht beeinflussen? Jeder denkt, er ist unsterblich, ist man über 70, denkt man das nicht mehr so intensiv. Also wir können den Tod, wir können das Sterben nicht beeinflussen. Wir können unseren Körper nicht beeinflussen, sagt die Histoire. Heute wollen wir das natürlich, aber die Histoire sagt, wir können das nicht beeinflussen. Wir können nicht beeinflussen, wie wir aussehen. Heute versuchen wir das natürlich, aber trotzdem gilt es generell. Wir können nicht beeinflussen,

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in welche Familie wir hineingeboren sind. Wir können nicht beeinflussen, welches Geschlecht wir haben. Wir können also vor allem unseren Körper nicht beeinflussen. Und wir müssen das akzeptieren nach der Histoire, denn das ist doch Natur gegeben, dass das so ist. Also akzeptieren wir es. Das ist doch sozusagen der entscheidende Punkt. Wir lesen Text Nummer zehn, Epiktet. Sag nie von einer Sache, ich habe sie verloren, sondern ich habe sie zurückgegeben. Dein Kind ist gestorben, es wurde zurückgegeben. Deine Frau ist gestorben, sie wurde zurückgegeben. Man hat

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mir mein Grundstück gestohlen, nun auch das wurde zurückgegeben. Man hat mir meine Aktien geklaut, mein Auto ist weg. Es wurde alles zurückgegeben. Ein faszinierender Gedanke, der einen natürlich auf der einen Seite traurig machen würde, dein Kind ist gestorben, natürlich. Aber was dahinter steckt, ist, du kannst dem Tod nicht entfliehen und du kannst auch nicht über den Tod bestimmen. Also musst du das hinnehmen und darfst dich davon vor der Angst vor dem Tod, vor dem Sterben nicht beeinflussen lassen. Und das, dies alles zu erkennen, das ist sozusagen die Aufgabe des Menschen, nämlich dass der wirkliche Philosoph das Innere sieht. Das macht ihn stark. Über das

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Innere hat er seine Verfügbarkeit. Und genau das ist die Arbeit, die jeder Mensch leisten muss, das Innere zu stabilisieren sozusagen, damit es überhaupt in der Lage ist, dem äußeren Druck standzuhalten. Was machen die denn heute in der Lebensberatung, in der Psychologie und so weiter? Anderes. Genau das, diese Resilienzstärkung. Ziel der Ethik ist es also, dass in unserer Verfügung stehende Wesen des Guten zu erkennen. Zu erkennen, was können wir beeinflussen, was können wir nicht beeinflussen und daraus eine innere Stärke zu ziehen. Dem Historiker kann also nichts wirklich genommen werden. Selbsteinsicht, Selbstbeobachtung sind also die Voraussetzungen

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für das Gelingen eines solchen anspruchsvollen Lebens. Also Selbstbeobachtung, das würden wir heute unter Care, Selbstcare oder weiß der Kuckuck was, laufen lassen. Also, dass man sich selber beobachtet und nicht so in Wallung durch die äußeren Dinge bringen lässt. Und wenn man das alles kann, dann ist man frei. Dann ist man nämlich innerlich frei. Und das ist das Entscheidende beim Freiheitsbegriff bei der Stoah. Die innere Freiheit soll ich erlangen und wenn ich diese innere Freiheit habe, dann kann ich auch äußeren Druck ertragen. Dann kann ich damit umgehen. Wie sieht das im frühen Christentum aus? Auch im frühen Christentum spielt die Vernunft eine ganz

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entscheidende Rolle. Paulus fordert die Gemeinde in Rom zu einem vernunftgemäßen Gottesdienst auf. Paulus spricht von den Früchten des Heiligen Geistes. Liebe, Freude, Friede, Geduld, Güte, Treue, Sanftmut. Besonnenheit ist auch eine christliche Tugend. Der Glaube insgesamt ist so etwas wie die höchste Tugend. Besonders hat Paulus das in 1. Korinther 13, dem hohen Lied der Liebe. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter Ihnen. Ja,

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wenn ich das erkannt habe, dass die Liebe die eigentliche Lebensenergie ist, die eigentlich positive Lebensenergie, die mich zum Glück bewegt, dann habe ich gewonnen. Das ist wie immer, nicht immer hundertprozentig zu realisieren, aber wenn ich diese Einsicht habe, dann bin ich doch dabei. Und auch an einem zweiten Punkt gibt es durchaus Übereinstimmungen und Unterschiede, nämlich bei der Freiheit. Ich habe gesagt, die Stoah hat das Konzept einer inneren Freiheit. Das hat das frühe Christentum auch. Paulus sagt, Sklave ist er, Sklave soll er bleiben, er ist aber frei in Christus. Das heißt also, Freiheit ist auch im frühen Christentum eine innere Freiheit, sie hat aber eine andere Grundlage als bei der Stoah. Bei der Stoah ist es die Selbsterkenntnis,

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die Vernunft. Bei Paulus ist es die Bindung an Jesus Christus. Das heißt also, die Freiheit hat eine externe Grundlage. Sie liegt nicht in mir selbst, sondern sie kommt sozusagen in mich hinein, nämlich durch den Glauben an Jesus Christus. Das heißt also, wirkliche Freiheit, wirkliche Autonomie erlange ich durch Heteronomie, indem ich mich an einen anderen binde, werde ich selber frei. Das ist ein tolles Konzept im Christentum, das bis heute gilt. Denn das Konzept der Stoah, Freiheit bekomme ich nur durch mich selbst, durch meine Autonomie, das ist das Konzept von heute. Ja, das die meisten Menschen meinen, das muss ich selber herstellen. Das frühe Christentum sagt, nein, das kannst du gar nicht früher, das kannst du gar nicht selber herstellen, sondern das

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muss dir geschenkt werden. Und da ahnen wir jetzt so ein bisschen, wo der große Unterschied zwischen der Stoah und dem frühen Christentum steht, dass nämlich das frühe Christentum von dem Geschenkcharakter allen Lebens ausgeht. Gerechtigkeit, Liebe, Hoffnung, all das wird mir doch geschenkt in meinem Leben. Ich kann es in Wahrheit nicht selber herstellen. Und das ist genauso, wird mir Freiheit auch von Gott geschenkt. Das heißt also, die Freiheit des Menschen muss mir geschenkt werden. Und die Einsicht in den Geschenkcharakter allen Seins ist in Wahrheit die Grundlage des christlichen Glaubens. Dass Gott

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mir das schenken muss und er tut es ja auch. Er hat es ja auch getan in Jesus von Nazareth, hat er mir seine Liebe geschenkt. Und das verwandelt den Menschen und gibt ihm innere Kraft und Stärke. Und hier sind wir sozusagen an dem entscheidenden Punkt. Das frühe Christentum sagt, du kannst deine Freiheit nicht selber herstellen. Warum? Weil der Mensch unter der Macht der Sünde steht. Nun, das ist ein schweres Wort. Was ist denn Sünde? Sünde ist nicht, ein zweites Bier zu trinken. Sünde ist nicht eventuell mal ein Burger zu essen, sondern Sünde ist nach dem Zeugnis des Neuen

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Testaments eine überindividuelle Macht. Und zwar eine Macht, die durch die Begierde entsteht, sagt Paulus. Wonach strebt der natürliche Mensch? Er strebt nach Herrschaft, nach Macht, nach Reichtum, nach Ausweitung seiner Grenzen. Und dies führt letztlich zu destruktiven Ergebnissen. Und Sünde meint also nichts anderes als, der Mensch kann die Destruktivität seines menschlichen Seins nicht selbst überwinden. Er bedarf der Hilfe. Er bedarf sozusagen des externen Eingriffs. Denken wir uns 30 Jahre zurück, man hätte über Sünde gesprochen oder über die Realität des Bösen,

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dann hätten die meisten gesagt, nö, gibt's doch gar nicht. Das Böse, das gibt's doch überhaupt nicht. Das ist doch eine Erfindung des Menschen. Jetzt sind wir weiter. Jetzt wissen wir, dass es sozusagen etwas Böses gibt, dass es das Böse gibt, nämlich als Symbol für die destruktiven Kräfte des Menschen. Und das frühe Christentum ist der Meinung, das Christentum bis heute ist der Meinung, du kannst diesem Bösen nicht selbst entkommen. Du kannst es nicht selbst überwinden, sondern du bedarfst eines externen sozusagen Eingriffs. Und hier liegt sozusagen die entscheidende Differenz zwischen beiden Systemen. Auf der einen Seite der Optimismus des vernunftbegabten Menschen,

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der meint, wir können die Probleme lösen. Wir schaffen das sozusagen. Angela schreibt ja bald ein Buch darüber. Wir schaffen das. Und auf der anderen Seite die Einsicht, wir können es nicht selber schaffen. Bei uns nämlich die Begierde und der Drang nach Herrschaft, nach Reichtum, nach Selbstoptimierung immer wieder selbst ausbremst. Und die Position der Stoire ist im Prinzip die Position des modernen Menschen. Ich schaffe das selber, wir schaffen das selber durch die Wissenschaften, durch die Technik. Aber inzwischen haben wir gelernt, es gibt Technik, die uns hilft, aber selbstverständlich. Aber jede technische Entwicklung hat auch negative Folgen.

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Und das, dazu brauchten wir ja jetzt also Jahrzehnte. Club auf Rom hat 1973 alles bereits gesagt, was heute die Leute aufregt oder nicht aufregt. 50 Jahre sind vergangen, ohne dass irgendetwas passiert ist. Und wir begreifen es nicht. Das heißt also, die Ich-Bezogenheit des Denkens, die Ich-Bezogenheit der Existenz muss aufgebrochen werden. Und sie kann nicht aufgebrochen werden durch meine eigene Aktivität, das wäre die Stoire, sondern das frühe Christentum sagt, sie wird aufgebrochen dadurch, dass Gott sich dir zugewandt hat. Drei Punkte haben wir gehabt. Stoire, frühes Christentum, was sagen sie über Gott? Was sagen sie über die Kommunikation

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zwischen Mensch und Gott? Und drittens, was sagen sie zur Ethik? Wenn wir das jetzt miteinander vergleichen und fragen, was sind nun die Stärken und die Schwächen in dem jeweiligen System, dann kann man auf der einen Seite eine inhaltliche Nähe feststellen und zwar auf drei Ebenen. Beide Systeme, Stoire und frühes Christentum, bestimmen Ethik grundsätzlich als Übereinstimmung mit dem Willen Gottes. Das würde die Stoire auch sagen. Zweitens, die Möglichkeit dazu, schafft Gott, der Anteil an seiner Wirklichkeit gibt, durch den Geist, durch das Wort, durch die Vernunft. Und

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drittens, als Ziel und Inhalt der Ethik kann gleichermaßen das Gute benannt werden. Die Unterschiede, die liegen einzig und allein in der Beurteilung des Menschen durch sich selbst. Ob er sich selbst sozusagen für fähig hält, diese Dinge zu lösen, diese Dinge zu machen oder ob er sieht, dass es notwendig ist, ja ich sage sogar, dass es vernünftig ist, sich an Gott zu binden und von Gott her sich zu erneuern zu lassen. Konnte ein Stoiker Christ werden? Wenn wir diese Frage uns

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jetzt stellen auf dem Hintergrund dessen, was wir gehört haben, dann meine ich nicht nur den Stoiker von vor 2000 Jahren, sondern im Grunde genommen auch den Menschen von heute. Welche Einsichten befähigen ihn, verlocken ihn, bringen ihn dazu, sich dem Christentum zu öffnen? Das Bild von Gott ist unser Ausgangspunkt. Für den Historiker war klar, die Wirklichkeit ist insgesamt durch Gott strukturiert. Das frühchristliche Gottesbild hingegen hat einen transcendenten Gott und es hat vor allem einen persönlichen Gott. Und jetzt kommen wir auf einen ganz wichtigen Unterschied, der aber attraktiv für einen Stoiker gewesen sein konnte. Nämlich der christliche Gott hat eine

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Geschichte. Er hat ein Gesicht, nämlich das Gesicht des Jesus von Nazareth. Das heißt also, der historische Gott, der pantheistisch überall und nirgends ist, ist nicht fassbar und nutzt sich gewissermaßen irgendwann selber ab. Der christliche Gott aber hat eine Geschichte und diese Geschichte ist die Geschichte des Jesus von Nazareth. Und hier unterscheiden sich dann Christentum und Stoar sehr wohl. Es ist der gekreuzigte Gott, von dem Paulus spricht, etwas, was für damalige Juden und Griechen völlig unvorstellbar war, dass Gott sich in das Leiden, in den Tod begibt, um bei den Menschen zu sein. Und das bedeutet gleichzeitig für uns, wenn Leiden

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unser Leben bedrängt und bedroht, dann können wir wissen, dass Gott in diesem Leiden auch war. Der zweite Punkt ist ein genauso großer Unterschied, der Gott der Auferstehung. Das ist ja die grundlegende Einsicht, Gott hat Jesus Christus von den Toten auferweckt. Ein Gedanke, der für den Historiker absurd war und der für viele Menschen heute genauso absurd ist. Das kann doch nicht sein, dass etwas passiert, was über unser naturwissenschaftliches Weltbild hinausgeht. Dazu kann man nur kurz sagen, wenn du einen Gott hast, der nur das machen kann, was du selber auch

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denkst und machen kannst, dann hast du keinen Gott. Dann hast du irgendetwas, meinetwegen die Verlängerung des Selbst oder was auch immer, aber dann hast du keinen Gott. Wenn es einen Gott gibt, der diese Welt geschaffen hat, der diesen Kosmos geschaffen hat, dann kann der auch etwas machen, was unser Denken übersteigt. Ja, ich würde sogar sagen, das ist die Grundvoraussetzung für einen Gott, dass er etwas machen kann, was ich nicht machen kann. Und insofern ist klar, Auferstehung kann nicht bewiesen werden, selbstverständlich nicht. Auferstehung kann auch nicht widerlegt werden, sondern es ist eine Frage des Glaubens, der Hoffnung, der Lebenserfahrung, ob man so etwas für möglich hält oder nicht. Klar ist auf jeden Fall, der auferstandene Gott, das kann es für die

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Stoah nicht geben. Wieder näher bei der Stoah sind wir beim Schöpfergott. Wir haben gesehen, in Übereinstimmung mit der Natur leben heißt in Übereinstimmung mit sich selbst und mit dem Willen Gottes zu leben. Und der Schöpfergott, der die Welt geschaffen hat, ihr gegenübersteht und dennoch durch den Geist, durch den Heiligen Geist mit ihr kommuniziert, das ist etwas, was auch wir Christen ja erst wieder mühselig neu denken und erfahren müssen, dass die Schöpfung insgesamt, die Natur insgesamt ein Werk Gottes ist und wir ein Teil dieses Werkes sind und deshalb müssen wir uns in diese Natur einordnen. Ja, wir müssen uns der Natur unterordnen. Das ist das Entscheidende. Hier sind

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wir, wären wir sozusagen gar nicht so weit von der Stoah weg. Dann, der christliche Gott ist der Gott des Lebens. Das ist ein entscheidender Punkt. Bei Paulus, bei Johannes haben wir den Begriff des ewigen Lebens. Das heißt also, dass der Mensch seine Verbindung zu Gott über den Tod hinaus behalten wird. Das ist die Einsicht dieser Vorstellung. Auch wenn wir sterben, unsere Körperlichkeit sich sozusagen aufgelöst hat, wird die Verbindung zu Gott nicht aufgehoben, nämlich von Gott selbst, der diese Verbindung halten will. Das ist ein Gedanke, der in der Stoah nicht wirklich gedacht werden konnte. Dann, der christliche Gott ist der Gott der Liebe. Das ist

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ein sehr interessanter Befund. Wenn man sich fragt, in der antiken Welt, der Liebesgedanke spielte nirgendwo so eine große Rolle wie im frühen Christentum. Im frühen Christentum ist die Liebe als Gottesliebe, als Selbstliebe, als Nächstenliebe und als Feindesliebe das Zentrum der gesamten Ethik. Und es gibt kein System in der antiken Welt, das so sehr auf den Liebesgedanken hin konzentriert war. Und Liebe ist eine ethische Grundeinstellung, eine Grundsympathie für andere Menschen, für die Schöpfung, für das Leben. Also das konnte für einen Stoiker, denke ich, durchaus attraktiv

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sein. Dieser Gedanke der Liebe, der in den Gemeinden ja gelebt wurde, indem man alte Schranken zwischen Juden und Griechen, Reichen und Armen, Männern und Frauen aufhob und eine neue Gemeinschaft bildete. Nicht mehr in den Ständen. Damals die römische Gesellschaft war eine Ständek Bei uns ist das dann im Wesentlichen das Geld, was den Stand bestimmt. Das wurde aufgehoben. Alle sind eins in Christus, sagt Paulus. Also der Liebesgedanke, der war für einen Stoiker sehr wohl nachzuvollziehen. Im frühen Christentum ist Gott der Gott der Gerechtigkeit und auch der Gott der Freiheit, der Gerechtigkeit schenkt im Glauben, der Freiheit schenkt im Glauben. Auch das könnte für einen Stoiker attraktiv gewesen sein. Warum denn nicht?

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Denn der Mensch merkt doch, dass er eigentlich gar nicht in der Lage ist, sich selbst zu befreien, dass er sozusagen der Hilfe Gottes bedarf. Auch hier ist also eine Attraktivität des frühen Christentums da. Und der Gott des Du, nämlich Gott ist ein persönlicher Gott. Und das scheint mir ein ganz entscheidender Punkt zu sein, warum auch ein Stoiker Christ werden konnte. Nämlich dass Gott sozusagen, wenn ich ihn ausschließlich im Seinden verorte, bleibt er anonym. Er bleibt unfassbar. Und im frühen Christentum ist es der Gott des Du, der dich anspricht, der dich befreien will, der dich befähigen will, Liebe zu üben, mit dem eigenen Leben glücklich zu sein,

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mit anderen Menschen glücklich zu sein in einer neuen Gemeinschaft der Glaubenden. Und hier wird ein ganz entscheidender, attraktiver Punkt gewesen sein, nämlich das Leben in den frühen christlichen Gemeinden, was ich ja eben auch schon sagte. Wo eine Anziehungskraft, eine Faszination ausgeht. Die machen etwas, was völlig neu ist. Da können Sklaven reinkommen, da werden auch Kinder sind wichtig. Das ist ein wichtiger Punkt. Kinder wurden ja teilweise in der Antike ausgesetzt, wenn man sie nicht wollte. Die Liebe zu Kindern, die Liebe zu anderen Menschen. All das, diese neue Gemeinschaft, das war faszinierend. Hat viele Menschen zu den christlichen Gemeinden gebracht. Und ich denke, dass es auch für einen Stoiker wirklich attraktiv war, sich diesen Dingen zu öffnen.

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Nun haben wir allerdings ein Problem. Im Zentrum des historischen Optimierungsprogrammes steht ja das individuelle Glück. Eu-daimonia-Griechisch oder Tüche-Griechisch. Also Glück. Glück als Ziel des Lebens. Und wir lesen Text Nummer 13. Stobäus, ein Philosoph. Sie, die Historiker, sagen, dass glücklich zu sein das Ziel ist, um dessen Willen alles getan wird, dass aber selbst nicht um irgendetwas Willen getan wird. Es besteht darin, tugendhaft zu leben, darin in Übereinstimmung zu leben oder was dasselbe ist, darin in Übereinstimmung mit der Natur zu leben. Worin besteht das Problem?

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Das Problem besteht einfach darin, dass das Wort Glück im Neuen Gestalt der Welt überhaupt nicht vorkommt. Das gibt es da gar nicht. Als individuelles Glück, wie wir es kennen und wie wir es haben. Aber was haben wir an dessen Stelle? Und da würde ich zwei Dinge nennen, die sachlich dasselbe aussagen. Und zwar der Glaube und das Leben. Der Glaube, im Hebräerbrief heißt es, der Glaube aber ist eine gewisse Zuversicht dessen, dass man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Hebräer 11, 1. Der Glaube ist eine Zuversicht. Der Glaube ist eine Hoffnung.

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Und das ist eine starke Kraft. Das ist nicht irgendetwas, was man ins Jenseits vertritt, sondern der Glaube ist eine Zuversicht. Die Zuversicht, dass es Gott gibt. Die Zuversicht, dass Gott diese Welt halten wird. Dass Gott diese Welt sinnvoll gestaltet hat. Und das macht Menschen damals wie heute zuversichtlich und damit auch glücklich. Glücklich sind wir ja nicht immer. Aber zuversichtlich eine Lebenszuversicht zu haben, das geht doch. Und genau das ist der Kern der Resilienz, die auch der Glaube hat. Eine Zuversicht auszustrahlen, dass das Böse, dass die Sinnlosigkeit, dass der Wahnsinn sozusagen und das Chaos nicht das letzte Wort haben werden.

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Und diese Zuversicht gibt der Glaube. Und insofern macht auch der Glaube glücklich, dass er mir die Kraft gibt, mein Leben positiv zu gestalten. Also einmal der Glaube und das zweite das Leben. Das griechische Wort Leben, Zoe, taucht im Neuen Testament mehrere hundertmal auf. Es geht immer um Leben und zwar um sinnvolles Leben von der Gegenwart jetzt, in der ich lebe, bis hin zum bereits erwähnten ewigen Leben. Das frühe Christentum vertröstet nicht auf irgendetwas, was in der Zukunft kommt oder kommen soll,

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sondern das Christentum ist die Religion des Lebens und das ist es in all seinen Dimensionen. Und das Zentrum ist das gemeinschaftliche Leben und die Jahreslosung dieses Jahres 2024. Alles aber bei euch geschehe in Liebe. 1. Korinther 16, alles aber geschehe in Liebe. Das ist doch sozusagen das Grundkonzept des gelingenden, glücklichen Lebens, dass ich in der Lage bin, aus der Liebe heraus, aus der Zuversicht des Glaubens heraus, mein Leben zu leben. Und dann habe ich auch Resilienz und da wird auch der Stoiker seine Resilienz finden. Seine innere Zufriedenheit, seine innere Stärke, die ihm befähigt, das Leben zu meistern.

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Die historische Vernunftethik mit dem Ideal des guten und besten Menschen ist ein anspruchsvolles Konzept. Und ich hoffe, dass ich Ihnen so ein bisschen habe nahe bringen können, wie dieses Konzept gelaufen ist. Und auf der anderen Seite, das frühe Christentum, das Konzept des Glaubens, des Lebens, der externen Freiheit, der externen Gerechtigkeit, ist ebenfalls ein anspruchsvolles Denkmodell. Denn beide Systeme denken darüber nach, was ist das Wesen des Menschen, was ist das Wesen des Lebens? Wie kann ich mein Leben sinnvoll und aktiv gestalten? Wie werde ich glücklich? Was wir ja bis heute im Grunde genommen jeden Tag tun. Die Stoah sagt, du schaffst das aus eigener Kraft, indem du deine eigenen Energien sozusagen aktivierst, in Übereinstimmung mit Gott und der Natur lebst, dann schaffst du das.

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Das frühe Christentum ist zunächst an dem Punkte nicht pessimistisch, sondern realistisch. Du schaffst das nicht. Und das ist aus meiner Sicht jedenfalls das Resultat auch der Geschichte der Menschheit. Dass sie immer wieder gedacht hat, sie schafft das, aber sie schafft es nicht. Du bedarfst dafür der Hilfe Gottes, um die Destruktivität menschlichen Seins als Gier, Begierde, Herrschaft. Damit das überwunden wird. Und an diesem Punkte gehen beide Systeme auseinander.

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Und ich glaube, dass es auch für einen Stoiker durchaus klar war, das klappt bei uns Menschen nicht immer. Diese Aussage, wir können das selbst und du musst nur die Vernunft und die Tugend aktivieren, dann klappt das schon, die wird durch die Wirklichkeit jedenfalls nicht gedeckt. Und deshalb ist gerade der Glaube nicht wirklichkeitsfern, sondern wirklichkeitsnah. Weil er nämlich das genau im Blick hat, das was die Bibel, die Sünde oder das Böse nennt. Das heißt also, für einen Stoiker war das durchaus nachvollziehbar. Stoizismus und frühes Christentum stehen sich also in vielen Grundgedanken zweifellos nahe. Und ein Stoiker konnte Christ werden, ohne dass er sein bisheriges Denken völlig über Bord werfen musste.

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Er konnte bestimmte Elemente ohne Schwierigkeiten übernehmen, dass es Gott gibt, dass Gott die Welt regiert, dass Gott mit den Menschen durch den Geist kommuniziert. Zugleich aber war eine Neuausrichtung unausweichlich. Die historische Leitidee universaler Tugend, Freiheit und Gerechtigkeit als menschliche Möglichkeit, die lässt sich nicht halten. Weil sie an dem unentwegten Herrschafts- und Machtstreben des Menschen über die Menschen und über die Natur scheitert. Sondern es bedarf des rettenden Eingreifens Gottes, um das Leben neu zu fundieren, um das Leben neu auszurichten.

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Und wenn ein Stoiker diese Einsicht gemacht hat, dass ich diese rettende Kraft Gottes ergreifen kann, dass er sie mir schenken will, dann konnte er auch ohne Probleme Christ werden. Und aller Wahrscheinlichkeit nach sind Stoiker auch Christen geworden.

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Paulus und die Stoa – Warum ein stoischer Intellektueller im 1. Jahrhundert durchaus Christ werden konnte | 14.4.1

Worthaus 12 – Tübingen: 18. Mai 2024 von Prof. Dr. Udo Schnelle

Voll innerer Ruhe sein, den Stürmen des Lebens gelassen entgegentreten, Schicksalsschläge abprallen lassen oder gar glücklich sein können, egal was kommt – das klingt doch verlockend! Und nahezu unmöglich. Diese innere Haltung war das Ziel der Stoiker, Anhänger einer philosophischen Lehre der Antike. Innere Ruhe, Resilienz, Selbstoptimierung – das sind die Ziele vieler Ratgeberbücher, die heute in den Regalen stehen, ein aktuelles Thema also. Ein Lebenskonzept, ebenso wie das Christentum. Udo Schnelle, Professor für Neues Testament, verbindet in seinem Vortrag beide Lebenskonzepte, arbeitet Gemeinsamkeiten heraus und zeigt, welches Konzept letztendlich das realitätsnahe ist und den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit im Blick hat.