Es soll heute Nachmittag um Luthers Seelsorge gehen. Man könnte sagen, Luthers ganze Theologie ist seelsorgerlich orientiert. Das passt noch einmal zu heute Vormittag, wo es ja um seine Spiritualität ging, also auch um die Lebensrelevanz, wenn Sie so wollen, des Glaubens bei Martin Luther und heute Nachmittag die Lebensrelevanz seiner Theologie. Die Reformation ist ja öffentlich wirksam geworden, im Grunde genommen durch einen Beichtstuhlstreit, durch den berühmten Wittenberger Beichtstuhlstreit. Martin Luther war Professor, aber er war im Nebenamt Prediger oder Pfarrer,
wie Sie wollen. Und da gehörte es zu seinen Aufgaben, Menschen die beichte abzunehmen. Damals musste man ja regelmäßig beichten. Bis heute ist es für einen Katholiken vorgeschrieben, mindestens einmal im Jahr vor dem Osterfest eine Privatbeichte, eine Einzelbeichte abzulegen. Und das war damals nicht anders. Und es gab im Mittelalter, wie ich ja schon sagte, ein ziemlich schwungvolles Aktienwesen. Das nannte sich Ablasswesen. Und die Gemeindeglieder, die brachten in den Beichtstuhl diese Wertpapiere, diese geistlichen Wertpapiere mit, also namens Ablass. Und die hatten sie zum Teil für ziemlich teures Geld auf der anderen Elbseite,
nicht Neckar, sondern Elbseite erworben. Denn der berühmteste Ablass-Prediger der damaligen Zeit, namens Tetzel, der war ein Dominikaner und er durfte im Kurfürstentum Sachsen keine Ablässe verkaufen. Aber eben auf der anderen Seite der Elbe, das gehörte dann schon nicht mehr zum Kurfürstentum Sachsen, und da sind die Gemeindeglieder in Wittenberg über die Elbe gefahren und haben sich bei Tetzel diese Ablässe besorgt. Und sind mit den Ablässe zu Luther in den Beichtstuhl getreten, haben die ihm vorgezeigt und von ihm verlangt, dass er sie von ihrer Sünde absolvieren muss. Und das hat Luther, wie er so war, maßlos aufgebracht, weil er inzwischen
eine neue Erkenntnis, eben seine reformatorische Erkenntnis gewonnen hatte. Und er hat sich das eine Zeit lang angesehen. Er hat versucht, diesen Ablasshandel auch jenseits der Elbe abzustellen. Das war nicht möglich, weil nämlich hinter diesem Ablasshandel eine Absprache stand zwischen den damals führenden Mächten in Deutschland, zwischen einem Hohenzoller, der Erzbischof von Mainz war, Albrecht von Mainz, zwar aus dem Fürstengeschlecht der Hohenzollern, zwischen dem Papst und schließlich auch noch zwischen den Fuggern. Und die Fugger, das waren die Hochfinanz, würden wir heute sagen. Und
zwar haben die Fugger, also der Kaiser kam auch noch ins Spiel, die haben dem Kaiser bei der Kaiserwahl Geld vorgestreckt. Und es war immer ein Mitarbeiter, sage ich mal, ein Bankbeamter, der Fugger bei diesem Ablasshandel von Tetzel dabei, der sofort einen Teil des Geldes, das bei diesem Ablasshandel einkam, an die Fugger mitgenommen hat. Das wusste Luther aber nicht, aber das war der Grund, warum sich niemand, auch der Kurfürst nicht, sich da die Hände verbrennen wollte, die Finger verbrennen wollte und irgendwie was Kritisches, sage ich mal, gegen diesen Ablasshandel sagen wollte. Obwohl es in Deutschland, das sieht man daran, dass Tetzel eben im Kurfürstentum Sachsen
nicht diesen Ablass verkaufen durfte, obwohl es da durchaus intern bereits kritische Stimmen gegen diesen Ablasshandel gab, sowohl aus theologischen wie auch aus ökonomischen Gründen. Man wollte nicht, dass Geld aus Deutschland sozusagen nach Italien floss. Sie merken vielleicht, das sind übrigens sich immer wiederholende Vorgänge in der Geschichte. Und von daher gesehen hat Luther lange gezögert, weil er es auch nicht so richtig durchschaut hat, was da eigentlich passierte. Tetzel war inzwischen schon weitergezogen und dann hat Luther offensichtlich, aus welchen Motiven heraus, auch immer den Entschluss gefasst, in einer beschränkten Öffentlichkeit, muss man sagen, dieses Thema aufzugreifen. Und wie hat man das gemacht als Professor? Man hat Thesen, hübsch
auf Latein, also sie waren nur für einen beschränkten Kreis von Wissenschaftlern konzipiert. Er hat diese Thesen an entsprechende Kollegen, auch an Albrecht von Mainz geschickt und dann ist Folgendes passiert. Und das war vollkommen ihm aus der Hand genommen sozusagen. Diese Thesen sind offensichtlich von einer Reihe von Wissenschaftlern, würden wir heute sagen, in ihrer Brisanz von Anfang an erkannt worden. Luther selbst scheint sie nicht für so brisant gehalten zu haben. Und man hat diese Thesen sofort in Form von Flugblättern verschickt, weit ziemlich schnell über Deutschland hinaus. Und das ist jetzt im Grunde genommen der entscheidende Punkt. Es gab sehr schnell Leute, die offensichtlich diese
Thesen übersetzt haben in die deutsche Sprache und auch auf Deutsch wurden sie als Flugblätter weit verbreitet. Und das ist der Grund, warum die reformatorische Erkenntnis Martin Luthers nicht eine Erkenntnis blieb, die sozusagen im Bereich der Wissenschaft ihren Ort hatte, sondern die in gewisser Weise durch diese Thesen weit in die Gesellschaft hinein gewirkt haben. Also ein schlichter Beistuhlstreit als Auslöser für eine gesamteuropäische Reformation, wie wir sagen, aber es gibt durchaus auch Gründe dafür, hier von einer Revolution zu sprechen, weil es ja nicht bloß eine Reformation war, die sich auf die kirchlichen Belange bezog, sondern weil es eine
eine Umsturzbewegung war, die das gesamte gesellschaftliche Miteinander, sogar das politische, nationale Miteinander tiefgreifend verändert hat. Was ist inhaltlich zu diesen Thesen zu sagen? Luther tat mit ihnen einen gewaltigen Schritt auf den Weg zur Wiedergewinnung eines personalen Buß- und Gnadenverständnisses. Luther wirft in diesen Thesen der traditionellen Lehre des Spätmittelalters, der spätmittelalterlichen Kirche vor, dass sie durch den Ablass strafscheu statt Buße züchten würde. Und er ist der Meinung, dass wahre Reue die Strafe sucht und sie nicht flieht.
Und das war, was er bei seinen Beichtkindern beobachtete, dass sozusagen die alle die Buße, die Reue versucht haben zu umgehen. Sie meinten, sie könnten sich eben durch eine entsprechende Geldsumme loskaufen. Also ein nichtpersonales Bußverständnis war anstelle, wie Luther meinte, des biblischen Bußverständnisses, das ganz personal gefasst ist, getreten. Das kommt in These 40 ganz klassisch zum Ausdruck wahrhafte Reue sucht und liebt die Strafen, die reiche Fülle des Ablasses dagegen befreit von ihnen und lässt sie hassen. Zumindest bietet sie die Gelegenheit dazu. Also Luther ist noch etwas vorsichtig und schiebt noch als Nachsatz hinterher. Zumindest bietet der Ablass die Gelegenheit dazu, die Strafen zu hassen. Hinter Luthers Gedanken
steht also eine gegenüber der spätmittelalterlichen Theologie diametral verschiedene Auffassung der Buße. Luther ist auf dem Hintergrund seiner Neuentdeckung der Rechtfertigungslehre des Pauls davon überzeugt, dass zur wahren Buße gehört, dass ich nicht nur meine Tatsünden erkenne, sondern begreife, dass auch die innersten Motive meines Handelns selbstsüchtig sind. Dadurch, dass ich auf diese Weise Buße tue, nehme ich Abschied von der Vorstellung, aufgrund eigener Anstrengung vor Gott wohlgefällig leben zu können, aber vor allem auch mich irgendwie durch eine dingliche Leistung vor Gott freikaufen zu können. Warum ist das eine solche umwerfende Erkenntnis
gewesen? Damit ist die eineinhalb Jahrtausende ungelöst gebliebene Frage nach der Sünde im Christenleben geklärt worden. Das muss ich vielleicht erklären. Es gab im Laufe der Geschichte der Christenheit verschiedene Ansätze, die Frage nach der Sünde im Leben eines Christen, und nur darum geht es jetzt zu klären. Wissen Sie, wie man das in der alten Kirche gelöst hat? Das wird an Kaiser Konstantin erkennbar. Kaiser Konstantin war der erste Kaiser, der sich öffentlich zum Christentum bekannt hat. Er hat sich erst auf dem Sterbebett taufen lassen. Und zwar hat er das
nicht etwa deswegen getan, weil er in seinem christlichen Glauben nicht ganz sicher war, sondern er hat das deswegen getan, um sicher zu gehen, dass er nach seiner Taufe nicht noch einmal in Todsünden fallen würde. Und da hatte er als Kaiser ja viel Gelegenheit dazu. Es gab allerdings bei dieser Lösung des Problems Sünde im Christenleben, Taufe auf dem Sterbebett, ein schwerwiegendes Problem, das sozusagen diese Lösung als Scheinlösung hat erkennen lassen, dass es ja passieren konnte, dass man gestorben ist, bevor man getauft wurde. Also von daher gesehen hat sich diese Lösung Taufe auf dem Sterbebett als nicht sehr praktikabel auf Dauer
erwiesen. Dann gab es im Mittelalter einen neuen Anlauf, das Problem der Sünde im Christenleben zu lösen. Das ist durch unsere Vorfahren, die berühmten Germanen, ausprobiert worden. Und zwar sind unsere Vorfahren ja von den irisch-schottischen Mönchen missioniert worden. Die kamen aus England, ursprünglich aus Irland, Schottland. Und das war eine ganz monastisch, also vom Mönchtum her geprägte Kirche, die irische Kirche. Die hat die Völkerwanderungszeit überlebt und hat dann ihrerseits Missionen auf dem Kontinent betrieben. Und es war so, dass im orientalischen Mönchtum die Einzelbeichte sich ausgebreitet hatte, seit ungefähr dem vierten, fünften Jahrhundert. Aber die Einzelbeichte war eine Sache, die galt nur für Mönche,
nicht für die normalen Kirchenmitglieder. Jetzt war aber die irische Kirche eine vom Mönchtum geprägte Kirche. Die wichtigsten Würdenträger der Kirche, das waren Äbte. Und in den Klöstern, das ganze Land war von Klöstern überzogen. Das ist übrigens der Grund, warum diese irische Kirche ja heute viele Menschen auch irgendwie fasziniert, weil sie so eine eigenständige Entwicklung nach der Völkerwanderung durchgemacht hat, etwas separiert von Rom und der übrigen Christenheit. Und das war also eine monastisch geprägte Kirche und die irischotischen Missionare, die alle Mönche waren, die kannten überhaupt keine andere Praxis als eben die Einzelbeichte. Und deswegen haben sie, als sie hier unsere Vorfahren missioniert haben, denen die Einzelbeichte
mitgebracht sozusagen. Und die Einzelbeichte, das war die Möglichkeit, mit Sünde im Christenleben fertig zu werden, indem man die Sünde bekannt hat und indem man bestimmte Wiedergutmachungsleistungen vollzogen hat. Allerdings, auch hier gab es ein Problem. Das eine war, wie stand es mit den Wiedergutmachungsleistungen? Man konnte nie so ganz sicher sein, obwohl es dafür richtige Bücher gab, wo genau festgelegt war, was man für eine Wiedergutmachungsleistung bringen musste, wenn man eine bestimmte Sünde begangen hat. Aber man konnte nie ganz sicher sein, ob das vor Gott wirklich ausreichend war mit der Wiedergutmachung. Und es gab noch ein anderes Problem. Man musste, weil diese Einzelbeichte, damit die Absolution, also die Vergebung wirksam wurde, musste man eigentlich alle Sünden aufzählen. Auch das ist ein Problem. Es konnte ja sein, dass man eine
Sünde vergessen hat. Auch dann wurde die Beichte sozusagen nicht wirksam. Und schließlich gab es noch eine dritte Klausel, die die Wirksamkeit der Absolution in Frage gestellt hat. Man musste einen bestimmten Reuegrad gegenüber der Sünde zeigen. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal gebeichtet haben und ob Sie dann bereut haben, was Sie gebeichtet haben. Das nehme ich mal an. Aber auch da kann man sich eigentlich nicht 100 Prozent sicher sein, ob der Grad der Reue ausreichend ist, damit dann die Absolution wirksam wird. Und das ist genau Luthers eigene Erfahrung gewesen. Er hat ja sehr häufig gebeichtet im Kloster als Mönch. Und das ist oft so abgelaufen, dass er also kaum
einem Mitbruder gebeichtet hat, dass er schon nach 20 Minuten oder wenigen Stunden nicht mehr ganz sicher war, ob er wirklich alles gebeichtet hat, was er an Sünden vollbracht hat. Also diese Form, sage ich mal, der Wiedergutmachung oder überhaupt des Umgangs mit Sünde im Christenleben durch die Einzelbeichte war auch keine Lösung. Ich habe noch eine dritte Form der Wiedergutmachung vergessen. In der Altenkirche ursprünglich war es so, dass man vor der Gemeinde öffentlich seine Sünde bekennen musste, seine Todsünde bekennen musste. Und dann wurde man von der Gemeinde sozusagen absolviert und wieder in die Gemeinschaft, die christliche Gemeinschaft aufgenommen. Es war also
so eine Art öffentliche Beichte. Das Problem war, die war nur ein einziges Mal möglich. Und von daher gesehen dann als nächste Stufe die Taufe auf dem Sterbebett und dann im ganzen Mittelalter, der versucht diese Frage der Sünde im Christenleben mit der Privatbeichte zu lösen. Luther hat mit einem Federstrich, muss man sagen, dieses Problem der Sünde im Christenleben durch seine Erkenntnis der voraussetzungslosen Gnade Gottes uns Sündern gegenüber gelöst. Die katholische Kirche hat nach der Reformation 450 Jahre gebraucht, um diese Erkenntnis nachzuvollziehen. Meiner Meinung nach hat sie das getan, indem in Augsburg kurz vor der Jahrtausendwende die gemeinsame Erklärung
zwischen römisch-katholischer Kirche und lutherischem Weltbund zur Rechtfertigungslehre unterzeichnet wurde. Damals hat die katholische Kirche sich Luthers Überzeugung zu eigen gemacht, die ja die Überzeugung des Apostels Paulus meiner Meinung nach ist. In der ersten These ist im Kern die reformatorische Seelsorgekonzeption enthalten. Da schreibt Luther, unser Herr und Meister Jesus Christus wollte mit seinem Wort Tut Buße aus Matthäus 4,17, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei. Und er fährt dann fort in der zweiten These und erläutert ein wenig die Richtung, die die reformatorische Seelsorgepraxis fortan einschlagen wird. Dieses Wort, also Matthäus 4,17,
kann nicht als auf die sakramentale Buße bezogen verstanden werden. Also er will damit sagen, diese Buße ist nicht auf die Beichte, die institutionelle, sakramentale Beichte bezogen. Luther wehrt hier ein doppeltes Missverständnis ab. Einerseits, dass die kirchliche Hierarchie Macht hat durch ihr Bußinstitut, also durch diese sakramentale Beichte, die vor dem Priester einmal im Jahr mindestens abzulegen ist, dem Menschen den Himmel auf und zu zu schließen. Es ist ja eine Buße, die das ganze Leben prägen muss, also eine Haltung im Grunde genommen, nicht ein einfacher, ein einmaliger sakramentaler Akt. Andererseits das zweite Missverständnis, das von Luther abgelehnt
wird, dass der Mensch sich durch die Kirche von seiner täglichen und existenziell zu vollziehenden Umkehr dispensieren könnte. Ich habe den Eindruck, psychologisch verständlich, dass bis heute viele Menschen sich gerne von Gott und seinem Anspruch an ihr Leben freikaufen möchten. Also es fällt Menschen offensichtlich leichter, durch eine bestimmte Leistung und sei es eine Geldzahlung, ja sich von einem bestimmten Tun zu dispensieren, das sie ganz existenziell gewissermaßen fordern würde. Das kann man sogar in der Kindererziehung beobachten bei manchen Eltern, dass sie bereit sind,
durchaus ihren Kindern, gerade wenn sie schon ein bisschen älter sind, also alle Vergünstigungen zu ermöglichen. Also da werden keine Kosten und Mühen gescheut, aber die Kinder möchten sie bitte am Abend in Ruhe lassen, dass sie sich regenerieren können vor dem Fernseher oder was auch immer. Also sozusagen, dass die existenzielle Dimension, das insgesamt gefordert sein, das ist einem zu anstrengend und stattdessen versucht man sich durch irgendwelche Leistungen welcher Natur auch immer frei zu kaufen. Und das steckt im Grunde genommen hinter den Thesen Martin Luthers, dass er Menschen diesen Fluchtweg vor Gott gewissermaßen abschneiden möchte. So weit einmal der Versuch die Reformation
einerseits als eine Bewegung zu verstehen, die ausgelöst wurde durch einen Beichtstuhlstreit und die andererseits eine Antwort gegeben hat auf eine 1500 Jahre in der Christenheit ungelöst gebliebene Frage, wie mit Sünde im Christenleben umzugehen ist. Das hat Luther dann zu seiner berühmten Definition des Menschen geführt als simul justus et peccator. Man müsste wahrscheinlich sogar korrekter sagen simul peccator et justus, also zugleich Sünder und Gerechter. Das sagt Luther ist das Wesen des Menschen und eben nicht nur das Wesen des Menschen, sondern das bleibende Wesen auch jedes Christen. Es gibt auch für den Christen keine Möglichkeit dieser Doppelbestimmung zu
entgehen. Auch ein Christ, so Luthers Überzeugung, bleibt bis ans Ende seines Lebens zugleich gerechter und Sünder. Er kann dieses Sündersein nicht ablegen. Das bleibt sozusagen für sein Wesen konstitutiv. Allerdings wir haben heute morgen gehört, das ist für Luther keine statische Bestimmung, sondern das ist eine sehr dynamische Bestimmung. Denn der alte Adam soll täglich neu ersäuft werden. Oder erinnern Sie sich an die Bestimmung des Frommseins? Frommsein ist eigentlich kein Sein, sondern ein Werden. Es ist also ein dynamischer Prozess, durchaus in Richtung auch
auf eine Gleichgestaltung mit Jesus Christus. Nun zu einem zweiten Punkt. Luthers Seelsorge als Nagelprobe der reformatorischen Theologie. Luthers Seelsorge als Nagelprobe der reformatorischen Theologie. Ich habe das ja schon angedeutet. Luthers Theologie ist insgesamt seelsorgerlich motiviert. Er ist eigentlich durch diese Fragen auch seiner Gemeindeglieder oder das Verhalten seiner Gemeindeglieder ist er und sein eigenes Verhalten und seine eigenen Probleme ist er immer tiefer theologisch geführt worden, weitergeführt worden. Also seine Theologie ist nicht bloß eine erdachte Theologie, sondern es ist eine durch das Leben erworbene Theologie. Und das wird eben vor
allem auch an diesem seelsorgerlichen Grundzug dieser theologischen Überzeugungen Luthers deutlich. Und ich habe jetzt einfach mal versucht, die vier Soli der Reformation, diese Partikular, diese, wie sagt man da in Deutsch, also die Exklusivpartikel, die Ausschließlichkeitsformeln der Reformation, die mal seelsorgerlich abzuhören. Also was heißt zum Beispiel Solus Christus, allein Christus. Das ist ja meiner Meinung nach die erste und entscheidende Bestimmung reformatorischer Theologie oder Luthers Theologie. Also Seelsorge im Herrschaftsbereich Jesu Christi, könnte man sagen. Es gibt wahrscheinlich überhaupt nur ganz wenige Theologen, die sich so wie Martin Luther in die Person Jesu Christi vertieft haben. Wir haben das heute morgen gesehen. Im Zentrum von
Luthers Theologie steht ganz Jesus Christus. Das ist nicht überall in der christlichen Theologie so. In der Orthodoxie, also in der Ostkirche, ist viel stärker der dreieinige Gott im Zentrum der Theologie, also Gott in seiner Dreieinigkeit. Und ich würde sagen, im charismatisch-pfingstlichen Christentum, da spielt doch der Geist Gottes, der Heilige Geist, eine dominierende Rolle. Aber im lutherischen Christentum, da spielt Jesus Christus eine entscheidende Rolle. Woran liegt das? Ganz schlicht am Neuen Testament. Wenn Sie das Neue Testament lesen, da geht es vielleicht zu 15% um Belange der Gemeinde. Aber den Rest geht es um Jesus Christus, um dessen Leben in den Evangelien
und dann welche Konsequenzen aus diesem Kommen Jesu Christi für das Leben in der Gemeinde und im Alltag zu ziehen sind. Also es ist etwas Besonderes, diese Konzentration der Theologie auf Jesus Christus. Ich gebe mal ein Beispiel, wie sich das nun in der Seelsorge Luthers ausgewirkt hat. Also wie wirkt sich das Solus Christus auf seinen seelsorgerlichen Rat aus? Er hat an eine Elisabeth, das war die Frau von Luthers Schüler und Freund Johann Agricola, die unter Depressionen litt, folgenden Brief geschrieben. Dabei muss man wissen, dass Luther und seine Frau Katharina sie
bereits in einem früheren Brief eingeladen hatten, zu ihnen nach Wittenberg zu kommen für eine gewisse Zeit. Und jetzt schreibt Luther, der ehrhaftigen und tugendsamen Frau Elisabeth Agricola, Schulmeisterin zu Eisleben, meiner lieben Freundin, also die Adresse, Gnade und Friede, meine liebe Elsa. Ich lasse dann was weg. Du musst aber nicht so kleinmütig und zage sein, sondern denken, dass Christus nahe ist und hilft dir dein Übel tragen. Denn er hat dich nicht so verlassen, als dir dein Fleisch und Blut eingibt. Allein ruft du nur mit Ernst von Herzen, so bist du gewiss, dass er dich erhört, dass es seine Art ist, helfen, stärken, trösten, alle die,
so sein begehren. Also was sagt Luther in diesem Brief? Er versucht dieser Elsa seiner Freundin klarzumachen, auch wenn ihre Depression ihr eingibt, Christus ist ihr ferngerückt, hat sie verlassen. Ist das falsch? Sondern denke, Christus ist dir nahe und hilft dir dein Übel tragen. Also er will ihr klar machen, was immer ihre Gefühle ihr vielleicht einreden, suggerieren, dass Christus dennoch in ihrer Nähe bleibt. Das ist ja übrigens das erste, was einem schwer erkrankten Menschen im Krankenhaus, wenn man sie besucht als Seelsorger, sagen. Was muss ich doch für ein böser Mensch
sein, dass Gott mich verlassen hat und mich mit solch einer Krankheit straft? Das habe ich schon furchtbar häufig gehört, übrigens bei Christen und Nicht-Christen gleichermaßen. Was muss ich doch für ein böser Mensch sein, dass Gott mich verlassen hat und mich mit solch einer Krankheit straft? Das steht hier natürlich genauso dahinter. Das Luther, das wahrscheinlich aus eigener Erfahrung natürlich, weil er selber auch ein angefochtener Mensch war, dieser Elsa das schreiben kann, das ist natürlich, dass du so denkst, dass Gott Christus genauer gesagt dich verlassen hat. Aber da bist du auf dem Holzweg. Das stimmt gar nicht. Er bleibt bei dir. Zweites, Sola der Reformation, Seelsorger mit der Bibel, Sola Scriptura. Für Luther ist die Bibel weniger ein totes Buch als eine ganz dynamische,
lebendige Angelegenheit. Die Bibel ist für Luther das lebendige Wort Gottes. So hat er auch versucht, die Bibel ja zu übersetzen. Die Bibel ist ja von ihm weniger übersetzt worden, damit man sie liest, sondern damit man sie hört. Damals im 16. Jahrhundert konnten sich nur reiche Leute eine Bibel leisten. Die Bibel kostete ungefähr zwei Kühe, nein eine Kuh und man konnte von zwei Kühen leben. Da kann man sich ungefähr vorstellen, wie teuer eine Bibel war. Deswegen hat Luther die Bibel übersetzt in einer Weise, dass ihre Sprachmelodie sich beim Hören einprägt. Das können wir heute nicht mehr so ohne weiteres nachvollziehen, weil sich die Sprache weiterentwickelt hat. Aber das
steht eigentlich dahinter. Es ist eine ganz lebendige Angelegenheit. Es gibt ja keine andere moderne Übersetzung, die diesen Qualitätsstand wie Luthers Übersetzung erreicht hat. Alle anderen modernen Übersetzungen sind ja von der Luther-Übersetzung irgendwie abhängig, also in allen modernen Sprachen. Das kann man nicht hoch genug rühmen. Luther hat außer seinem Sprachgenie offensichtlich die Bibel bei seiner Übersetzung immer sich selbst gesagt sein lassen. Das war wohl das Geheimnis. Er hat sich identifiziert mit den Soldaten unter dem Kreuz Christi. Er hat sich mit den Hirten, die zur Krippe in Bethlehem gezogen sind, identifiziert. Er hat sozusagen die Engel singen hören. Das macht
wenigstens einen Aspekt des Geheimnisses dieser Übersetzung aus. Wenn man nun die Briefe Luthers, die Seelsorgebriefe daraufhin abhört, daraufhin untersucht, welche Bibelferse er eigentlich in seinen Seelsorgebriefen an andere weitergibt, dann ist das verblüffend, dass es nur ganz wenige Hauptstellen gibt. Es gibt im Grunde genommen nur vier Bibelstellen, die Luther immer wieder in seinen Seelsorgebriefen anderen Menschen schreibt. Ich nenne ihnen die jetzt mal. Die erste Bibelstelle, die sozusagen die Hauptstelle schlechthin ist, ist 2. Korinther 12,9. Lasst dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Das ist die Bibelstelle, die an der
Spitze steht. Die nächste folgt gleich darauf, 1. Petrus 5,7. Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Dann folgt Johannes 16,33. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost. Ich habe die Welt überwunden. Und dann schließt sich als vierte Bibelstelle, Römer 14,8. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn, darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Man kann diese vier Bibelstellen sehr leicht drei wesentlichen Seelsorgefeldern zuordnen, die auch in den Briefen Martin Luthers den meisten Raum einnehmen. Das ist
das Seelsorgefeld Sorgen und Sünden. Das ist das Seelsorgefeld Angst und Einsamkeit. Und das ist das Seelsorgefeld, drittens, Leiden und Sterben. Und alle drei Seelsorgefelder umgreifen ja unsere ganze Existenz. Und wenn man nun anschaut, wie Luther diese Bibelferse, diese vier Bibelferse in seinen Seelsorgebriefen einspielt, dann fällt einem auf, dass er sich selten damit begnügt, sie bloß zu zitieren. Vielmehr versucht er das Bibelwort mit der Situation des Adressaten des Seelsorgebriefes in ein Gespräch zu bringen. Also diese Bibelferse werden in die Situation des Seelsorgersuchenden hineingesprochen, mit dieser Situation verwoben. Und im Grunde genommen fangen
sie erst an, dadurch zu leuchten und ihre seelsorgerliche Kraft zu entfalten. Nun zum dritten Sola, Sola gratia, allein aus Gnade, Seelsorge jenseits von Gesetzlichkeit und Libertinismus. Wir haben das schon gehört, für Luther ist die Gerechtigkeit Gottes nicht dessen unerfüllbare Forderung an uns, sondern Gottes aus freier Gnade gewährte Geschenk an den Menschen. Und man fragt sich natürlich, welche Konsequenzen hat diese reformatorische, theologische Erkenntnis Luthers nun für seine Seelsorge. Und da möchte ich Ihnen ja vielleicht wenigstens für mich eines der schönsten Zitate aus Luthers Seelsorgebriefen vorlesen. Diesen Brief hat er geschrieben an Georg
Spenlein, das war auch ein Freund von ihm. Hüte dich darum, so schreibt er, je solche Reinheit anzustreben, dass du vor dir nicht mehr als Sünder erscheinen willst, ja gar keiner mehr sein willst. Denn Christus wohnt nur unter Sündern. Darum kam er ja vom Himmel, wo er unter Gerechten wohnte, damit er auch unter Sündern Wohnung nehme. Sollte er seiner Liebe Sinne immer wieder nach, und du wirst seinen gar süßen Trost erfahren. Ich weiß nicht, ob Sie das spüren können, gerade für einen skrupulösen Menschen wird ja solch eine Aussage, dass Christus vom Himmel gekommen ist, wo er nur unter Gerechten wohnte, damit er auf Erden unter Sündern wohne, eine unglaublich befreiende Wirkung haben können. Also ich darf Sünder sein und das vertreibt Gott nicht. Im Gegenteil, das zieht ihn
zu mir sozusagen geradezu herab. Aber er warnt Spenlein auch davor, nun zu meinen, dass durch irgendein Heiligkeitsstreben man Gott nahe kommen könne, sondern umgekehrt. Gott ist ja vom Himmel gekommen, damit er unter Sündern wohne, denn unter Gerechten, das steckt ja dahinter, hat er ja sowieso im Himmel schon gewohnt. Das wollte er ja nicht, als er hier auf Erden kam. Und nun noch das vierte Sola, Sola Fidei, allein aus Glauben. Wie gesagt, der Glaube, wir haben das von Herrn Zimmer heute Morgen gehört, ist der Weg, die Gnade Gottes persönlich zu erfahren. Luther hat anhand seiner Lektüre des Römerbriefs verstanden, was Paulus unter Glauben versteht. Das entscheidet, der
entscheidende Vers für Luther aus Römer 1, 16 und 17. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben, wie geschrieben steht, der Gerechte wird aus Glauben leben. Das ist ja eine theologische Übersetzung. Im Griechischen heißt es ja nicht, darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, sondern im Griechischen steht ja, darin wird offenbart die Gerechtigkeit Gottes. Und Luther interpretiert das als genetivus subjectivus, die Gerechtigkeit, die Gott sozusagen
uns zurechnet. Der Glaube bewirkt also einen seligen Tausch zwischen Christus und dem Christen. Luther hat den an vielen Stellen in seinen Seelsorgebriefen beschrieben. Darum, mein lieber Bruder, lerne Christum und zwar den Gekreuzigten. Ihm lerne Lob singen und an dir selbst verzweifeln. Dann spricht zu ihm, du, o Herr Jesu, bist meine Gerechtigkeit, ich aber bin deine Sünde. Du hast, was mein ist, angenommen und mir gegeben, was dein ist. Was du nicht warst, nahmst du an und gabst mir, was ich nicht war. Das ist, wenn Sie so wollen, der Herzschlag von Luthers Glaube. Also, dass wir zugerechnet bekommen, zugeeignet bekommen, das was Christi ist, was Gottes ist und er uns all das abnimmt, was unser Leben vergiftet. Und von daher gesehen, so sagt es Luther,
dieser fröhliche Wechsel zwischen Christus und dem, der glaubt. Wir haben auch das schon gehört, dass der Glaube die Sünde nicht verkleinern muss oder ein solcher Glaube die Sünde nicht verkleinern muss, sondern im Gegenteil, dass er sie in seiner ganz, in ihrer ganzen Realität, auch in ihrer ganzen Größe und Abscheulichkeit wahrzunehmen vermag, ohne daran zu zerbrechen. Weil er ja sozusagen dieser Glaube weiß, dass diese Schuld mir nichts mehr anhaben kann. Luther war umgeben von skrupulösen Menschen. Ein Hauptskrupulant in seiner Umgebung war sein wichtigster Mitstreiter, ursprünglich sein Schüler, Philipp Melanston. Philipp Melanston ist ja der
Präzeptor Germaniae, der Lehrer Deutschlands, hat im Grunde genommen eine ähnliche Bedeutung wie Martin Luther für die Lutherische Reformation. Wenn Sie Kirchen in Sachsen besuchen, dann sehen Sie im Kirchenraum oder heutzutage manchmal auch in der Sakristei immer zwei heiligen Bilder. Das ist einmal Martin Luther und neben ihm Philipp Melanston. Dieser Melanston stammte ja aus Baden, aus Bretten. Der war ein Skrupulant. Und als Martin Luther in Schutzhaft war nach dem Reichstag in Worms, 1521, da war plötzlich Melanston verantwortlich für den Fortgang der Reformation in Wittenberg. Er war sehr jung und eigentlich ungeeignet, um diese Turbulenzen zu steuern.
Und da hat ihm Luther einen Seelsorgerat gegeben. Und das ist einer der Seelsorgeratschläge Luthers, der am bekanntesten geworden ist, aber auch am schwierigsten zu interpretieren. Da schreibt Luther an Melanston von der Wartburg herab, 1521, peccafortita set fortius fide. Wer von Ihnen Latein kann. Sündige, tapfer, aber Glaube noch kräftiger, könnte man es vielleicht übersetzen. Ich weiß nicht, ob Sie jemals einen solchen Seelsorgerat bekommen haben. Sündige, tapfer. Ich vermute, es hätte Ihnen ganz gut getan. Es geht übrigens noch weiter. Luther schreibt, Sündige kräftig,
aber Glaube noch kräftiger und freue dich in Christus. Was ist der Hintergrund für diesen Seelsorgeratschlag Luthers an Melanston? Das peccafortita, das sündige, tapfer, ward den entscheidenden Unterschied zwischen Glaube und Moral. Luther geht davon aus, dass der alte Mensch im Blut des Lammes ertränkt ist samt seines Gewissens. Und dieses Wort Luthers, das sehr missverständlich ist, peccafortita, das soll Melanston davor bewahren, in die Geistesüberspannung Karlsstatt und der anderen Wittenberger Bilderstürmer und Propheten hineingezogen zu werden. Luther will sagen, das Streben nach Heiligkeit hat in sich keinen Wert. Im Gegenteil,
es bedroht sogar den Glauben, wenn es unter der Hand als die entscheidende Aufgabe des Glaubens verstanden wird. Es hilft nämlich dem Menschen bewusst oder unbewusst, letztlich doch wieder von Gott unabhängig zu werden. Und das ist ja nun nicht gerade das Zentrum des Glaubens. Glaube heißt, die Abhängigkeit von Gott als Glück zu empfinden. Da ist Glaube der Liebe ganz nahe, die Abhängigkeit vom geliebten Menschen als Glück zu empfinden. Und Luther hat meiner Meinung nach richtig erkannt, dass das Streben nach Heiligkeit und nach Heiligung bei vielen Christen missverstanden wird als der Versuch, sich doch unter der Hand von der Abhängigkeit von Gott ein Stück weit zumindest
wieder zu emanzipieren und letztlich Gott doch nicht nötig zu haben. Und insofern kann das Streben nach Heiligkeit, nach Heiligung sogar gefährlich werden. Jetzt möchte ich mit Ihnen ein paar Seelsorgemittel durchgehen. Luther hat natürlich auch auf sehr unterschiedliche Weise Seelsorge geübt und ein Mittel der Seelsorge für Luther war, Zeit seines Lebens auch von ihm selber praktiziertes Mittel, die Beichte. Das ist sicher für viele evangelische Christen ein Schock, das zu erfahren, dass Martin Luther der Meinung war, dass die Einzelbeichte auch für einen evangelischen
Christen entscheidend, entscheidendes Seelsorgemittel ist und bleiben muss. Luther kann im großen Katechismus schreiben, dass jemand der nicht die Einzelbeichte in Anspruch nimmt, dass der gar kein Christ ist. Ich befürchte viele von uns werden dann keine Christen. Ich weiß nicht wie viele von ihnen die Einzelbeichte praktizieren. Also die Einzelbeichte ist für Luther keineswegs ein konfessionsunterscheidendes Merkmal. Also Beichten, das machen die römisch-katholischen und wir als evangelische sind frei davon. Das ist ein totaler Irrtum. Luther ist der Meinung, dass die Beichte das entscheidende seelsorgerliche Mittel sei, um ja auf dem Weg des Glaubens voranzukommen. Ich muss
das natürlich erklären. Luther hat die Beichte reformieren wollen und zwar ziemlich grundlegend, aber er war nie der Meinung, dass die Beichte abgeschafft werden sollte. Er hat sich, wie es so seine Art war, fürchterlich geärgert, als er festgestellt hat, dass die evangelisch gewordenen die Freiheit zur Beichte als Freiheit von der Beichte missverstanden haben. Das hat ihn so aufgebracht, dass er im großen Katechismus schreibt, er wünscht diesen Evangelischen, dass sie wieder wie eine Herde Säue unter das papistische Joch getrieben werden, damit sie unter dem papistischen Joch endlich lernen, was für eine Freiheit zur Beichte Luther ihnen gebracht hat. Warum? Warum ist die Beichte für Luther so wichtig? Zunächst, die Beichte darf nicht,
wie im Spätmittelalter, als frommes Werk des Menschen missverstanden werden. Also kein Werk, das Gott von uns zu tun verlangt. Sie ist vielmehr ein Angebot Gottes an den Menschen und zwar ein Angebot, sich das Evangelium ganz persönlich zusprechen zu lassen. Luther schreibt, wir vermanen aber, du sollst beichten und deine Not nicht anzeigen darum, dass du es als ein Werk tust, sondern hörst, was dir Gott sagen lässt. Das Wort sage ich oder die Absolution sollst du ansehen, sie groß und teuer achten, als einen trefflichen großen Schatz mit allen Ehren und Dank anzunehmen.
Was sagt Luther hier? Im Zentrum der Beichte steht nicht eigentlich mein Bekenntnis der Sünde, sondern im Zentrum der Beichte steht der Zuspruch der Vergebung. Und Luther sagt, das Wort Gottes im Wort des Bruders, wie wir würden heute dazu fügen, dem Wort der Schwester, das ist kräftiger als das Wort Gottes im eigenen Herzen. Ich will das versuchen mal zu erläutern aus der Seelsorgepraxis. Sie haben das alles selber schon erlebt. Sie haben eine Freundin, einen Freund, der irgendwie down war und sie haben ihn ermutigen können mit bestimmten Worten. Und es vergingen ein paar Monate und sie sind selber in eine ähnliche Situation hineingeraten. Und auch sie waren down. Und dann haben sie noch
gewusst, was sie der Freundin oder dem Freund einige Monate, einige Wochen vorher gesagt haben und haben vielleicht auch versucht, sich das selber zu sagen. Und ich vermute mal, dann wird es ihnen so wie mir gegangen sein. Und das hat irgendwie nicht gezündet. Sie sind aus ihrem Tief nicht rausgekommen. Und dann ist es ihnen vielleicht passiert, dass sie einem Menschen begegnet sind, dem sie Vertrauen haben, dem haben sie ihren Kummer erzählt oder ihre Schwierigkeiten. Und der hat sie dann inhaltlich ziemlich gleich mit dem getröstet, aufgerichtet, was sie sich vorher selber in ihrem Herzen gesagt haben. Und dann haben sie vielleicht die Erfahrung gemacht, ja, das hat sie aufgerichtet
wieder. Und zwar deswegen, weil das Wort durch den Mund eines anderen an ihr Ohr gedrungen ist. Und ich denke, das ist genau, was Luther an der Beichte so schätzt. Dass sozusagen dieser Zuspruch der Vergebung durch das Wort eines Gegenübers, eines Zeugen eine ganz andere Kraft erhält, als wenn ich es mir selber in meinem Herzen sage. Weil das Wort in meinem eigenen Herzen immer das Problem mit sich bringt, dass im Hinterkopf so die Vorstellung sich hält, vielleicht habe ich mir auch einfach nur selber vergeben. Vielleicht ist das Wort im Herzen gar nicht das Wort Gottes,
sondern es ist mein eigener Wunschgedanke. Und indem sozusagen in der Beichte das Wort der Vergebung von außen an mein Ohr dringt, in dem Moment wird sozusagen dieser Verdacht in Frage gestellt oder aufgelöst. Ist übrigens ein wichtiger Grund auch dafür, wieso für Luther, das wäre jetzt das nächste Mittel der Seelsorge, der gegenseitige Rat, die Beratung können wir auch sagen, zwischen Christen, zwischen Brüdern und Schwestern so wichtig ist. Also Luther ist ganz anders als der moderne Protestantismus im 19. Jahrhundert geglaubt hat. Nicht der Meinung, dass man als Christ ohne Gemeinschaft, ohne Kirche überleben könnte. Luther meint, dass natürlich
jeder Einzelne seinen Glauben vor Gott verantworten muss und dass es auch niemand anders geben darf, der ihn bevormunden soll oder gar dass eine Kirche für den einzelnen Menschen den Himmel auf- und zuschließen könne. Das alles lehnt Luther ab. Aber er geht nirgends so weit, dass er sagen würde, Christ sein, das könne alleine gelebt werden. Noch eine kleine Geschichte, als ich Vicar war, habe ich, ich glaube es war sogar mein erster Besuch in Bensheim an der Bergstraße gemacht, bei zwei älteren Damen. Und wir hatten uns also niedergelassen auf dem Sofa und wie aus der Pistole
geschossen, sagten die beiden älteren Damen, Herr Pfarrer, die konnten nicht unterscheiden zwischen Pfarrer und Vicar, Herr Pfarrer, wir sind doch, wir sind nicht begott, wie unsere beiden Nachbarinnen, die jeden Sonntag zur Kirche rennen. Also konfessionsunterscheidendes Merkmal zwischen Evangelischen und Katholiken, die beiden Damen, die beiden Nachbarinnen waren nämlich katholisch, wie sich dann im Lauf des Gesprächs herausstellte, Evangelische gehen nicht zum Gottesdienst am Sonntag, katholische müssen es. Es ist eine fatale Überzeugung vieler Evangelischen bis heute, haben ihnen ja offensichtlich Theologen gesagt, dass das so sei. Luther ist anderer Meinung, er will zwar, dass wir sozusagen den Glauben als eine persönliche Sache erkennen, da drängt
er gegenüber der spätmittelalterlichen Bevormundung durch die Heilsanstalt Kirche immer wieder drauf, aber er wusste aus eigener Erfahrung, dass kein Christ auf Dauer ohne Gemeinde überleben kann. Jeder braucht von Zeit zu Zeit den Zuspruch von Brüdern und Schwestern. Nochmal ein Zitat von Luther, Gott will, dass einer den anderen trösten und jeder den Trost des Bruders beziehungsweise der Schwester, das habe ich jetzt hinzugefügt, glauben soll. Also Vergewisserung des Evangeliums erlangen wir nicht anders als durch Vermittlung des menschlichen Wortes und das ist auch der Grund, das Motiv, warum Luther die gegenseitige Seelsorge so betont. Also man könnte sagen,
Luther schwebt eigentlich eine seelsorgerliche Gemeinde vor, wo sich die Mitglieder gegenseitig trösten, in der Lage sind, aneinander Seelsorge zu üben. Das reformatorische Prinzip des allgemeinen Priestertums, das wird eigentlich konkret durch diese Seelsorge aneinander in einer Gemeinde oder Gemeinschaft. Ein schönes Beispiel für den seelsorgerlichen Zuspruch und zwar in diesem gegenseitigen Sinn, findet sich in einem Brief an Matthias Weller, der an schwermütigen Gedanken litt. Luther schreibt, denn wo ihr könntet glauben, dass solche Gedanken des Teufels wären, also diese schwermütigen Gedanken, so hättet ihr schon gewonnen. Aber weil ihr noch schwach im Glauben
seid, so gehorcht uns, die wir es durch Gottes Gnade wissen und haltet euch an unseren Stab, bis ihr selbst gehen lernt. Das ist Luther Seelsorge Prinzip. Also nicht, dass hier dieser Matthias Weller auf seine schwermütigen Gedanken festgelegt wird, sondern im Gegenteil, jetzt im Moment leidet er unter diesen schwermütigen Gedanken. Aber es kommt die Zeit, wo er frei davon wird und dann soll er anderen, die unter solchen Gedanken leiden, helfen können. Also das ist gerade wieder die Dynamik von Luther Seelsorgeverständnis. Es wird niemand festgelegt auf eine Rolle, die er ein für alle Mal sozusagen zu spielen hat. Es ist immer auf Zeit und dann kommt, so zeigt es die Fortsetzung des Briefes, dann kommt der Zeitpunkt, wo Matthias Weller
Martin Luther trösten soll, weil er unter diesen schwermütigen Gedanken leidet. Ein weiteres Seelsorgemittel, das habe ich ja schon angedeutet, ist der Brief. Luther war ein fleißiger Briefschreiber. Es sind ungefähr 2850 Briefe von ihm erhalten. Also das ist unheimlich viel, wenn Sie bedenken, dass ja seitdem 500 Jahre vergangen sind und dass natürlich viele seiner Briefe einfach verloren sind. Aber dass so viele erhalten sind, das zeigt sich daran oder das lässt erkennen, dass man damals offensichtlich schon seine Briefe als etwas Besonderes empfunden hat. Da muss ich Ihnen noch etwas erzählen zu diesen Seelsorgebriefen Luthers. Luther hat an viele Menschen Briefe geschrieben, Seelsorgebriefe geschrieben, die er gar nicht gekannt hat.
Und zwar ist es dadurch gekommen, dass Luther eine derart berühmte Persönlichkeit war, dass es immer wieder Menschen gab, die meinten, dass ein Brief Luthers einem ihrer Freunde und Freundinnen guttun würde. Also das war eine regelrechte Plage für Luther. Aus manchen Briefen geht es auch hervor, dass er im Grunde genommen von wildfremden Menschen gebeten wurde, an wildfremde Menschen Seelsorgebriefe zu schreiben. Also eine Unmöglichkeit eigentlich, würden wir heute sagen. Aber was mich ganz für ihn eingenommen hat und seine Seelsorge ist, dass Luther sich tatsächlich dieser Aufgabe unterzogen hat und nicht entzogen hat. Also er hat offensichtlich viele seiner Seelsorgebriefe auch geschrieben, ja so als eine Art Prototyp,
eines seelsorgerlichen Briefes. Er hat offensichtlich auch schon geahnt, dass viele dieser Briefe einmal veröffentlicht werden würden. Und bis heute gibt es ja unzählige Seelsorgebriefsammlungen von Luther. Wenn Sie mal im Internet das eingeben, Luthers Seelsorgebriefe, da werden Sie also für billiges Geld ganz viele Ausgaben sich besorgen können. Und ich rate Ihnen, kaufen Sie sich mal für ein, zwei Euro solch eine alte Ausgabe, weil da kriegt man dann sozusagen den Originalton von Luthers Seelsorge. Die Briefe sind an unterschiedlichste Menschen gerichtet, Familienangehörige und Freunde, Mitarbeiter, auswärtige Theologen, auch an Personen aus dem Bereich des öffentlichen Lebens und natürlich an ganz große Berühmtheiten. Und das muss man sagen,
Luther hat wie jeder andere Seelsorger auch große Fehler begangen. Sie wissen vielleicht, er hat ja dem Landgrafen Philipp von Hessen, hat er ja den Beistrat gegeben, eine zweite Frau zu nehmen. Philipp von Hessen, der konnte es mit seiner ersten Frau nicht mehr aushalten und er war sexuell sehr aktiv und hat Luther und Melanchthon unter Druck gesetzt und hat gesagt, wenn also er ihnen nicht erlaubt, dass ihm nicht erlaubt, eine zweite Frau zu nehmen, dann lebt er sozusagen im Will der Ehe. Und den Reformatoren war natürlich von Anfang an ganz fürchterlich, bei diesem Gedanken, also Bigamil hier im Christentum, im evangelischen Christenzung
zu genehmigen, aber sowohl Luther wie auch Melanchthon haben am Ende zugestimmt. Allerdings war das ein geheimer Beistrat. Aber Sie können sich vorstellen, was bei einem geheimen Beistrat an einem der berühmtesten Männer des damaligen römischen Reiches deutscher Nation passieren würde. Das ist der Grund übrigens, warum nicht ganz Deutschland, so wie Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen evangelisch geworden ist, weil es gab dann kriegerische Verwicklungen und der Kaiser konnte dann diesen Landgrafen gefangen nehmen und gewisse Zugeständnisse von ihm abpressen. Alles aufgrund dieses falschen Beistrats, muss man sagen, von Martin Luther und Melanchthon. Also nur, wenn ich jetzt ihn hier so rühme als Seelsorger, will ich damit deutlich machen, auch Martin Luther hat schwerwiegende Fehler begangen im Rahmen seiner Seelsorge. Die Zeit
erlaubt es jetzt nicht, auch nur einen Überblick über die in den Briefen behandelten Themen zu geben. Ich möchte nur mal Ihnen noch einen Brief vorlesen, einen Auszug natürlich nur an seine eigene Frau. Luther hat ja wunderbare Briefe an seine Frau geschrieben, an Katharina. Ich lese es einfach mal vor. Der heiligen, sorgfältigen Frau, Frau Katharina Lutherin, Doktorin, Zülsdorferin zu Wittenberg, meine gnädigen lieben Hausfrau. Wenn Sie diese Anreden der Briefe an seine Frau vergleichen, dann merken Sie, er hat sie immer anders angeredet. Also Frau Doktorin, ja, da nimmt
er sie ein bisschen ironisch hoch, weil sie ja auch eine gebildete Frau war, aber ein bisschen viel geredet hat in seinen Augen und sich eingemischt hat, wo es besser gewesen wäre, sie hätte geschwiegen. Zülsdorferin, das heißt, sie war die Gutsherrin eines Gutes bei Leipzig, wo sie viel Bier gebraut hat. Das war ja bei Luther sehr wichtig, das Bier. Er hat ja vom Kurfürsten eine ziemlich große Lieferung mit seinem Professorengehalt bekommen, aber oh Wunder, es war in wenigen Tagen ausgetrunken. Und da musste für Abhilfe geschaffen werden und die hat seine Frau gefunden, indem sie eben selbst Braumeisterin wurde in einem Gut. Damals gab es ja noch kein Mineralwasser, ja, das war gefährlich, Wasser zu trinken. Es war verseucht, da musste man also sozusagen Bier
trinken. Es geht weiter. Gnade und Friede in Christus, allerheiligste Frau Doktorin, wir danken euch ganz freundlich für eure große Sorge, vor der ihr nicht schlafen könnt. Denn seitdem ihr für uns gesorgt habt, hätte uns das Feuer gerne verzehrt in unsere Herberge, hart vor meiner Stubentür. Und gestern wäre uns ohne Zweifel Kraft eurer Sorge schier ein Stein auf den Kopf gefallen und hätte uns zerquetscht wie in einer Mausefalle. In unserem Gemach nämlich rieselt wohl zwei Tage lang über unserem Kopf Kalk und Lehm herab, bis wir Leute dazu nehmen. Die rührten den Stein an mit zwei Fingern, da fiel er herab. So groß wie ein langes Kissen und eine große Handbreit. Der hatte im Sinne eurer heiligen Sorge zu danken, wenn die lieben Engel nicht gewacht hätten. Ich
sorge, wo du nicht aufhörst zu sorgen, es könnte uns zuletzt die Erde verschlingen und alle Elemente uns verfolgen. Lernst du so den Katechismus und den Glauben? Beete du und lasse Gott sorgen. Dir ist nichts davon befohlen für mich oder dich zu sorgen. Es heißt, wirf dein Anliegen auf den Herrn, der sorgt für dich. Soweit der Brief an seine Frau, der ist ja recht kraftvoll. Aber dazu muss man wissen, die beiden haben sich nichts geschenkt. Es sei vorgekommen, dass ein Verwandter gestorben ist und das hat Martin Luther so getroffen, dass er sich gar nicht mehr einkriegen konnte. Und dann ist folgendes passiert. Am nächsten Morgen hat seine Frau ihn in Trauerkleidung beim
Frühstück empfangen und er ist ganz erschrocken. Was ist denn passiert? Und da habe sie zu ihm gesagt, dein Gott ist gestorben. Also sie wollte ihm deutlich machen, dass sein Unglauben und seinerseits auch nicht länger mit Gott gerechnet hat. Jetzt zum Schluss noch einige ganz kurze Impulse von Luthers Seelsorge für uns heute. Zunächst, wie ich finde, der entscheidende Impuls, Seelsorge im Raum der christlichen Gemeinde ist etwas Freiwilliges. Das ist uns vielleicht Ihnen allen so klar, dass für Sie das gar nicht mehr neu ist. Aber bis zur Reformation war für jeden Menschen die Seelsorge verpflichtend. Sie mussten mindestens einmal im Jahr zur Beichte gehen, sonst wurden sie exkommuniziert.
Also nicht zum Abendmahl zugelassen. Und Luther hat erkannt, Seelsorge muss eine freiwillige Angelegenheit sein. Es verträgt sich sozusagen nicht mit dem Evangelium, dass man mit Druck das Evangelium an Menschen heranbringt. Zweiter Punkt, ein anthropologischer Realismus. Luther berücksichtigt die Geschöpflichkeit des Menschen. Das zeigt sich an vielen, vielen Stellen. Einer habe ich heute morgen länger ausgeführt, dass Schuld und Versagen ein menschliches Existenzial darstellen, auch für Christen. Luthers Realismus zeigt sich auch im Hinblick auf die Frage, wie er mit Sexualität
umgeht. Also dieser Beichtrat an Philipp von Hessen, der natürlich falsch war, zeigt aber immerhin, dass Luther und auch Melanchthon offensichtlich bewusst waren, dass sexuelle Dinge eine derart den Menschen in den Griff nehmendes Problem sein können, dass da nur unkonventionelle Lösungen helfen können, in bestimmten Fällen. Dritter Punkt, Luther schwebt eine Demokratisierung der Seelsorge vor. Bis dahin war es so, dass offensichtlich ja nur geweihte Priester Seelsorge üben durften. Für ihn ist klar, es muss unter den Laien oder noch genauer zwischen Laien und Ordnierten eine seelsorgerliche Gemeinschaft entstehen. Der Seelsorge Suchende wird in
Luthers Seelsorge nie zum Objekt der Hilfe degradiert. Beide stehen gemeinsam vor und in gewisser Weise auch unter Gott. Und beide sind gleichermaßen trostbedürftig. Deswegen darf es kein Herrschaftsgefälle zwischen Seelsorge Suchenden und Seelsorgern geben. Weiterer Punkt, Seelsorge wird von Luther als Glaubens- und Lebenshilfe verstanden. Das ist noch ein besonders wichtiger Punkt. Für Luther ist klar, wenn ich einem Menschen helfe zu einem, sage ich mal, geklärten, getrösteten Glauben, dann helfe ich ihm auch sein Leben zu bewältigen. Also Hilfe zum Glauben und Hilfe zum Leben gehören zusammen. Indem ich Hilfe zum Glauben biete in der Seelsorge,
kommt unter dem Strich auch eine Hilfe zum Leben heraus. Fünfter Punkt, Seelsorge ist für Luther primär ein Trostgeschehen. Ich habe ja das gerade ein bisschen erläutert, warum ihm das so wichtig ist, weil wir uns das tröstende Wort meistens nicht selber sagen können. Wir brauchen Ermutigung von außen. Wir brauchen ja den Zuspruch von anderen Menschen. Wir sind angewiesen, weil wir Beziehungswesen sind, dass andere uns aufrichten. Und schließlich ein letzter Aspekt, das ist der Aspekt der Ewigkeitsorientierung. Luther lässt Trauer zu. Es ist so, dass natürlich Menschen um
Angehörige gestorben, verstorbene Angehörige trauern dürfen. Aber er ermahnt gleichzeitig dazu, nach einer gewissen Zeit diese Trauer dann auch sozusagen in den Hintergrund treten zu lassen. Etwa wird das deutlich in einem Seelsorgerat an den todkranken Vater Martin Luthers. Da schreibt er, der war schon alt und lag im Sterben und versucht ihn jetzt zu trösten, den eigenen Vater zu trösten. Das ist ungefähr das Schwierigste, was es in der Seelsorge gibt. Und da schreibt er, denn unser Glaube ist gewiss und wir zweifeln nicht, dass wir uns bei Christo wiedersehen werden. Sinte mal der Abschied von diesem Leben vor Gott viel geringer ist, denn ob ich von Mansfeld hierher
von euch oder ihr von Wittenberg, Gen Mansfeld von mir zöget. Also Wittenberg, da wohnt Luther und seine Frau, da wohnt Luther und seine Frau, Mansfeld, da wohnen die Eltern. Das ist gewisslich wahr. Es ist um ein Stündlein Schlaf zu tun, so wird es anders werden. Ich weiß nicht, ob Sie verstehen, was Luther damit sagen will. Der Tod, der ist so etwas wie, wenn wir uns schlafen legen und am nächsten Morgen wieder aufwachen. Wir haben ja den Eindruck, dass der Schlaf gar keine zeitliche Ausdehnung gehabt hat, also wenn wir durchgeschlafen haben. Und das sagt Luther nun oder nimmt Luther als Bild für das Sterben. Das Sterben, das dauert sozusagen nicht länger als ein Schlaf. Und dann sieht man
sich wieder. Und deswegen also dieser Gedanke, die Fahrt von Wittenberg nach Mansfeld oder von Mansfeld nach Wittenberg, ich weiß nicht, wie lange man dazu gebraucht hat, also jedenfalls nicht bloß an einem Tag hat man es geschafft. Das ist länger als wenn du jetzt stirbst und wir uns im Himmel wiedersehen. Und das finde ich, ist ein sehr schöner Gedanke und auch theologisch haltbar, meiner Meinung nach, weil ja die Ewigkeit Gottes auf jeden Fall eine Dimension von Wirklichkeit ist, die nicht durch unser Zeitverständnis geprägt ist. Es ist ja eine weitere Dimension oder wie immer man sich das vorstellen kann. Aber von daher gesehen, also auch so realistisch mit Bildern operiert hier im
Hinblick auf einen Trost im Sterben.
Luthers Seelsorge | 6.4.3
Sie hatten sich das so einfach vorgestellt: Im Leben begeht man immer wieder Sünden, das lässt sich kaum vermeiden. Dann geht man hin, kauft einen Ablassbrief, und der Platz im Himmel ist gesichert. Dachten sie. Aber dann kam dieser junge Pfarrer und haut den ganzen schönen Plan kaputt. Er wirft der Kirche nicht nur vor, mit dem Ablasshandel Geld zu machen. Viel schlimmer findet er, dass die Kirche dadurch Gläubige heranzüchtet, die aus Furcht vor Strafe wertloses Papier kaufen statt ehrlich Buße zu tun und die Strafe anzunehmen. Dieser sogenannte Beichtstuhlstreit ist Auslöser einer Revolution, die das Verständnis der Sündenvergebung zu Luthers Zeiten über den Haufen wirft. Und die theoretisch alle Christen von der Angst vor der Sünde befreien könnte. Die Angst aber belastet noch immer die Gläubigen. Auch Nicht-Christen fühlen sich bisweilen von der eigenen Schuld erdrückt. Diese schlechten Gefühle zu nehmen und Rat zu geben im Umgang mit Schuld und Sünde, das sollte eigentlich die Aufgabe der Beichte sein. Die Abnahme der Beichte ist also Seelsorge am anderen. Der Leipziger Theologe Peter Zimmerling erklärt, wie sich die Gläubigen einst die Sündenvergebung zu erkaufen suchten, warum jeder Gläubige die Beichte abnehmen kann und was Luther damit meinte, als er dazu aufrief, »tapfer zu sündigen«.