Das Thema des heutigen Tages ist Luthers reformatorischer Durchbruch oder wie man häufiger sagt auch gut Luthers reformatorische Entdeckung. Dieses Thema hat zwei Aspekte. Einmal einen inhaltlichen Aspekt, um was geht es bei dieser reformatorischen Entdeckung, was hat Luther entdeckt, das ist der inhaltliche Aspekt. Aber dieses Thema hat auch einen zeitlichen Aspekt. Wann machte Luther diese reformatorische Entdeckung? Also das ist jetzt die Frage, in welcher Phase seines Lebens oder seiner Entwicklung war er und in welcher Situation war er. Also diese mehr historischen Fragen, die sind
der zeitliche Aspekt dieses Themas. Bevor ich jetzt weiter mich diesem Thema widme, muss man erstmal einen ganz grundsätzlichen Einwand kurz streifen. Gibt es überhaupt eine reformatorische Entdeckung bei Luther oder ist es mehr so idealtypische Redeweise, man verdichtet einfach etwas, was eigentlich über längere Zeit sich entwickelt hat. Also ist es nicht so bei Luther gewesen wie bei vielen anderen, dass er jahrelang sich beschäftigt hat und dann viele Erkenntnisse gewonnen hat, immer wieder aus Selbstkorrekturen und viele Entwicklungsschritte und die hängen alle miteinander zusammen. Muss man da sagen, die reformatorische Entdeckung ist es nicht ein bisschen schwulstig und hochgegriffen, dramatisierend. Also diese Frage wird immer wieder gestellt, aber
es ist eine kleine Minderheit von Fachleuten, die wirklich behaupten, es gibt gar keine reformatorische Entdeckung. Es gibt schon solche Fachleute, aber es ist eine sehr kleine Minderheit. Doch ich bin der Meinung mit 90, 95 Prozent der Lutherforscher, doch es gibt wirklich eine reformatorische Entdeckung. Warum kann man das sagen und ist es nicht nur idealtypische Dramaturgie? Ja, Luther hat in eigenen Worten es so deutlich gesagt, dass man eigentlich nicht umhin kann. Also zum Beispiel in der Vorrede der Herausgabe seiner lateinischen Werke im Band 1 hat Luther eine Vorrede vorangestellt,
lateinisch geschrieben und die stammt aus dem Jahr 1545, also kurz darauf ist Luther gestorben, also das ist wirklich der alte Luther. Aber da in der Vorrede erinnert er sich und er schreibt so sinngemäß, ja, da war es mir wie, wenn die Tür zum Paradies aufgegangen ist, ich fühlte mich wie neugeboren, die ganze Heilige Schrift bekam auf einmal ein neues Gesicht und solche Wendungen. Also das kann man eigentlich nicht anders verstehen, als dass hier ein grundlegendes Aha-Erlebnis zugrunde liegt. Und das wird auch bestätigt durch mehrere andere Indizien, zum Beispiel gibt es zwei hochinteressante Briefe an Spalatin, ich komm da nachher noch drauf zu sprechen, die sind zwei Monate auseinander und im ersten Brief ist Luther noch relativ trübe und zerknirscht und also nicht
gerade freudig erregt, aber zwei Monate später teilt er Spalatin, einen guten Freund von ihm mit, also dass große Dinge passiert sind und er sich auf die Seite Gottes versetzt fühlt. Und dann gibt es noch weitere Indizien, es gibt, wenn man die Schriften Luthers der Jahre, der entsprechenden Jahre, ich werde das gleich näher erläutern, wenn man die verfolgt, stellt man fest, dass tatsächlich ein atmosphärischer Umschwung stattfindet und dass auf einmal neue Themen kommen, die er bisher nicht so hatte. Also man kann getrost davon ausgehen, es gibt eine reformatorische Entdeckung. Jetzt, dritter Gesichtspunkt, warum ist diese Frage wichtig? Die kann man unterschiedlich einstufen. Es gibt vielleicht schon Kollegen oder Forscher, die sagen, naja, man soll es nicht
übertreiben, ist auch nicht gerade heilsentscheidend, denn was auf jeden Fall klar ist, ab 1520, also Luther ist 1483 geboren, er war also 1520 37 Jahre alt und das ist allgemeiner Konsens, ab 1520 ist Luthers Theologie ausgereift. Also er entwickelt sich natürlich trotzdem weiter, völlig klar, aber in den wesentlichen Dingen ändert er in seiner Theologie bis zu seinem Tod nichts mehr, ab 1520. Es scheint manchmal so, aber das ist im Grunde falsch, weil es scheint so, weil Luther verschiedene Fronten hat. Er diskutiert mal mit Erasmus von Rotterdam, dann mit den Bilderstürmern, dann mit der katholischen Kirche und mit den sogenannten Wiedertäufern, also er hat ganz unterschiedliche Frontstellungen und je nachdem setzt er ganz andere Akzente, aber wenn man das
mal systematisch genau überprüft, es ist nicht widersprüchlich, Luther hält seine reformatorischen Grunderkenntnisse ab 1520 konsequent bei. Von daher kann man schon sagen, so what, wie wichtig ist es dann, wann er ein bestimmtes Aha-Erlebnis gehabt hat und was der Inhalt von diesem Aha-Erlebnis ist. Gut, ja, das finde ich auch berechtigt, diese Frage ist nicht heilsentscheidend und sie verändert auch nicht entscheidend die Interpretation der ausgereiften Theologie Luthers ab 1520. Man kann die ausgereifte Theologie Martin Luthers interpretieren ohne auf die Frage, wann hatte er seinen reformatorischen Durchbruch oder Entdeckung und um was geht es da überhaupt. Man kann also die
Theologie Luthers kompetent und gut interpretieren ohne sich die Frage überhaupt zu stellen. Das stimmt, trotzdem frage ich jetzt, wie wichtig ist diese Frage. Sie hat schon ein ordentliches Gewicht, also man soll es nicht übertreiben, aber man soll es bitte auch nicht untertreiben. Nämlich, wenn es eine reformatorische Entdeckung oder Durchbruch gegeben hat, dann ist das sozusagen der Clou, dann ist das das reformatorische am reformatorischen. Also man könnte ja fragen, worin wurzelt letztlich der Unterschied zwischen evangelisch und katholisch. Also Luther war in dem Sinne nicht evangelisch, er kennt ja die evangelische Kirche noch gar nicht, also Luther wollte eine Erneuerung der Christenheit, er wollte aber keine neue Kirche gründen. Also Luther war
nicht evangelisch. Ja also, aber wenn es eine reformatorische Entdeckung gibt, dann liegt darin das Profil seiner reformatorischen Seeweise, sozusagen die Identität der reformatorischen Theologie. Worin wurzelt letztlich der tiefste Unterschied zwischen der evangelischen und katholischen Seeweise? Schon eine interessante Frage. Ich stelle diese Frage nicht rechthaberisch, überhaupt nicht. Ich bin durch und durch ökumenisch. Ich glaube nicht, dass eine Kirche besser ist wie eine andere. Ob es Freikirchen sind oder evangelisch, katholisch, morgenländisch, orthodox oder... Also jede Kirche hat ihre große Berechtigung, ihre Stärken, ihre Schwächen und wir leben in einer versöhnten Vielfalt. Das heißt, die Unterschiede sind auch spannend, wir können aus ihnen lernen, wir können
gegenseitig aus diesen Unterschieden lernen. Also wenn ich jetzt so betont frage, was ist eigentlich die Pointe, das Reformatorische am Reformatorischen, meine ich das nicht im Sinne der Aufwertung der einen Seite und der Abwertung der anderen Seite. Ich frage auf dieser Tagung nach Martin Luther nicht konfessionell. Es geht mir überhaupt nicht um Konfessionen. Martin Luther ist heute für katholische Christen, evangelische Christen, freikirchliche Christen ein Lehrer der Christenheit. Die letzten Päpste haben alle gesagt, Martin Luther ist ein Vater der Christenheit. Thomas von Magui auch, Augustinus auch, Martin Luther auch. Also ich frage nach Martin Luther nicht konfessionalistisch, sondern ich frage aus Interesse, weil es spannend ist. Gibt es eine reformatorische Entdeckung? Doch wohl.
Ja also, um was geht es bei der? Weil das ist schon eine brisante Frage. Das ist sozusagen dann der springende Punkt im Unterschied. Also ich frage das nur aus Interesse, damit wir uns gegenseitig besser verstehen. Also ich frage das nicht irgendwie antikatholisch oder so. Die konfessionellen Unterschiede nehmen ja Gott sei Dank immer mehr an Bedeutung ab. Alle großen Herausforderungen müssen wir Christen gemeinsam angehen, evangelisch, katholisch, freikirchlich. Die engagierten Christen müssen aufeinander zugehen, völlig klar. Gut, also die Frage hat schon eine ganz ordentliche Bedeutung, aber ich meine das nicht im Sinne eines Abgrenzungsmodells, sondern im Sinne der versönten Verschiedenheit, an der wir uns freuen können. Gut, es gibt in der Forschung in der Frage,
was war Luthers reformatorische Entdeckung und wann geschah sie? Eine jahrzehntelange Kontroverse, die dauert bis heute an. Also die Sache kann man nicht hundertprozentig entscheiden, obwohl man seit Jahrzehnten in hunderten von Büchern drüber ringt. Trotzdem kann man sagen, es gibt zwei Grundpositionen. Es gibt die Frühdatierung und die Spätdatierung und mit dieser unterschiedlichen zeitlichen Datierung ist auch ein anderer Inhalt verbunden. Jahrhundertelang, 16., 17., 18., 19., 20. Jahrhundert, so bis ungefähr 1960, gab es nur die Frühdatierung, etwas anderes gab es gar nicht. 1959 hat ein Göttinger Theologieprofessor Eugen Bitzer in einem Buch Fides ex auditu zum ersten
Mal sensationell die These aufgestellt, was man jahrhundertelang als reformatorische Entdeckung Luthers unzweifelhaft fraglos vorausgesetzt hat, ist sie gar nicht. Weil in der Frühdatierung ist die reformatorische Entdeckung auf jeden Fall vor den Ablassthesen am 31. Oktober, also auf jeden Fall vorher. Aber nach Eugen Bitzer ist die reformatorische Entdeckung nach den Ablassthesen. Da sind, wenn das stimmt, sind die Ablassthesen noch gute katholische Theologie. Trotzdem hat es seinen Sinn, wenn die Reformationsfeierlichkeiten mit dem 31. Oktober besonders zusammenhängen, weil da trat Luther eine Lawine los, ohne es zu wissen, die dann wirklich halt entsprechende Folgewirkungen hatte. Jetzt gehe ich mal zu der Frühdatierung, die jahrhundertelang die einzige
Datierung war und schilder Sie mal, um was es da geht und schilder auch die berechtigten und schwächeren Punkte bei diesem Modell. Ich selber halte die Spätdatierung für plausibler, für besser, aber wie gesagt, ist nicht heizentscheidend. Aber jetzt mal zur Frühdatierung. In der Frühdatierung, da gibt es ganz extreme Frühdatierungen, 1511, 13, die werden heute so gut wie überhaupt nicht mehr vertreten. Dann wäre Luther von Anfang an reformatorisch gewesen. Nein, also die heutige Frühdatierung rechnet am stärksten mit 1516, höchstens 1515, aber eher 1516, so auf jeden Fall in dem Bereich. Und diese Entdeckung bezieht sich auf Römer 1,17. Also Luther versteht Römer 1,17
auf einmal anders, wie es damals üblich war. Römer 1,17 heißt in der Luther-Übersetzung, denn darin gemeint ist im Evangelium von Jesus Christus. Das Wort darin, das bezieht sich auf den Vers vorher. Ich schäme mich des Evangeliums von Jesus Christus nicht. Denn darin, in dem Evangelium von Jesus Christus, wird offenbar die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben, wie geschrieben steht, der Gerechte wird aus Glauben leben. Also ich sage den Satz nochmal, weil der ist natürlich weltberühmt. Denn darin wird offenbar die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben, wie geschrieben steht, der Gerechte wird aus Glauben leben. Nach der Frühdatierung erkennt Luther in diesem Vers, dass die Gerechtigkeit
Gottes nicht die philosophische, hellenistisch, römisch verstandene Strafgerechtigkeit ist, wo der Gute gelobt wird und der, der Dreck am Stecken hat, getadelt und bestraft wird. Das ist so die austeilende Gerechtigkeit, jedem das Seine. Wer also Dreck am Stecken hat, und letztlich haben wir ja alle Dreck am Stecken, der kann sich an dieser Gerechtigkeit nicht freuen, sondern er hat Angst davor. Und Luther sagte auch, er hasste das Wort Gerechtigkeit, weil er hatte so verstanden, Gottes Wesen ist Gerechtigkeit und aus diesem Wesen heraus belohnt er die Guten und bestraft er die Sünder. Aber wir sind ja alle Sünder. Und deswegen hat er gesagt, ich hasse dieses Wort Gerechtigkeit. Jetzt aber in dieser Entdeckung, die Luther 15 oder 16 gemacht hat und die hat er
tatsächlich gemacht, ist auch eine Entdeckung. Also Luther hat mehrere Entdeckungen gemacht, aber das ist schon eine system-sprengende Entdeckung. Nämlich Luther entdeckt, die Gerechtigkeit, von der hier die Rede ist, ist nicht eine, die von uns gefordert wird und dass wir dann Angst kriegen müssen, wenn wir sie nicht liefern, sondern es ist eine Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt durch den Glauben. Also diese Gerechtigkeit ist ein Geschenk, eine Garde und keine Förderung. Und das ist natürlich schon ein enormer Unterschied. Und in der Tat, das ist eine sehr grundsätzliche Entdeckung, die auch zum Kerninhalt von Luthers Rechtfertigungslehre wird. Und man merkt auch, dass diese Entdeckung, die also vielleicht irgendwie 1516, vielleicht Ende 1515 gemacht worden ist, dass die bei Luther auch relativ rasch Folgen hat. Denn er lehnt ab 1515, 16 die
scholastische Denkmethoden Theologie ab, das ist so eine mittelalterliche Form der Theologie, ich gehe da nicht näher drauf ein, bei der Aristoteles eine enorm große Rolle spielt. Und Luther fängt 16 an, sich mit der Universität Erfurt und anderen ins Zeug zu streiten. In Wittenberg selber wird eine Reform durchgeführt, Aristoteles hat nicht mehr viel zu sagen und die scholastischen Methoden werden in Wittenberg abgeschafft. Das hängt schon irgendwie mit dieser Entdeckung irgendwie zusammen. Gut, also das hat man jahrhundertelang gelehrt. Jetzt haben aber im 20. Jahrhundert Lotz, Iserloh und andere katholische Kirchenhistoriker mit guten berechtigten Gründen auf folgendes hingewiesen. Diese Interpretation von Römer 1, 17 ist überhaupt nicht neu, es gibt mehrere
mittelalterliche Kommentare, wo deutlich ausdrücklich auch schon geschrieben steht, dass es keine Gerechtigkeit, die von uns verlangt wird, sondern es ist eine Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt. Es gibt mehrere mittelalterliche Kommentare. Es gibt auch bei Augustinus jetzt nicht als Kommentar zu Römer 1, 17, sondern allgemein gibt es bei Augustinus mehrere Stellen, wo er klar sagt, die Gerechtigkeit Gottes müssen wir nicht verdienen und erschuften, sondern sie ist ein Geschenk aus reiner Gnade. Das sagt Augustinus auch. Also es gibt eine ganze Reihe von Stellen und das stimmt auch. Man hat es dann auf evangelischer Seite mehr oder weniger zähneknirschend zugegeben, ja sapperlott, ja das stimmt. Jetzt muss man allerdings diesem katholischen Einwand gegenüber sagen, das ist heute alles kalter Kaffee, das was ich jetzt sage, sagen auch katholische heutige Lutherforscher, dass dieser frühere katholische Einwand ein
bisschen oberflächlich ist. Also es ist heute Konsens zwischen den Konfessionen und zwar aus folgendem Grund. Ja das stimmt schon, also diese Interpretation von Römer 1, 17 ist nicht neu durch Lutter, es gibt sie schon vielfach vorher. Aber muss man jetzt sagen, sie ist trotzdem irgendwie neu, obwohl es sie schon mehrfach gibt, wo es ausdrücklich mit gleichen Worten ungefähr heißt, diese Gerechtigkeit ist nicht so zu verstehen, sondern so zu verstehen, genauso wie Luther auch. Aber es ist trotzdem nicht einfach eine Wiederholung, denn keiner dieser mittelalterlichen Kommentatoren wurde ein Reformator. Also das ist nicht so einfach, dass man sagt, wenn man Römer
1, 17 so rum versteht, ändert sich die gesamte Kirche und Christenheit. Nein, also bei diesen Kommentatoren stellt man fest, die haben diese Sicht tatsächlich gehabt, aber sie spielt bei denen dann keine größere Rolle. Sie war halt eine von 118 Erkenntnissen und sie hatte keine sprengende Kraft, sie hatte keine Leitperspektive für Frömmigkeit, Glaube, Kirchenreform. Also die die Kommentatoren haben selber nicht gemerkt, was sie hier eigentlich sagen, dass das dann mit anderen Dingen, die sie sagen, gar nicht so sehr in Einklang zu bringen ist. Also Luther interpretiert Römer 1, 17 genau gleich wie einige vor ihm, aber er zieht daraus systematisch grundlegende Konsequenzen für alle Gebiete des Glaubens und der Kirche. Und das ist neu, das gab es noch nie. Also das, was ich jetzt sage, ist allgemein heute anerkannt von katholischen und evangelischen
Lutherforschern. Jetzt will ich noch etwas zu dieser Frühdatierung sagen. Also sie ist nicht einfach falsch, es geht nicht darum, dass eine der beiden Positionen richtig ist und die andere falsch, sondern es geht eher darum, welche ist angemessener. Aber falsch, richtig falsch ist keine von beiden, denn es ist unbestritten auch von den Spätdatierern, dass diese Entdeckung von Römer 1, 17 eine grundlegende, system-sprengende Abschaffung der scholastisch-aristotelischen Theologie, eine system-strengende Bedeutung hatte. Das ist unbestritten. Also das ist schon eine grundlegende Bedeutung und wenn die Spätdatierung recht hat, dann geht es um eine ganz andere Entdeckung, sagen die Spätdatierer schon, ohne diese Entdeckung von Römer 1, 17 hätte es die andere, die noch wichtiger ist, nicht gegeben. Gut, jetzt will ich noch sagen, wenn das die reformatorische
Entdeckung gewesen wäre, der Ansicht sind schon auch heute noch nicht wenige. Ich bin ja Religionspädagoge und glaube sagen zu können, vor allem in der Schule wird eigentlich, wenn man Luther unterrichtet im siebten Schuljahr, achten Schuljahr, wird immer Römer 1, 17, ich habe noch in keinem Schulbuch das anders gesehen. Also diese interne Fortschritte der Lutherforschung dringen nicht so schnell in den Schulalltag ein. Wenn das die reformatorische Entdeckung gewesen wäre, was wäre dann das Reformatorische am Reformatorischen? Es wäre die Ablehnung jeder Form von Werkgerechtigkeit, Verdienstdenken, Pluspunkte sammeln bei Gott, das nennt man Werkgerechtigkeit, dass man mit Hilfe guter Werke sich bei Gott lieb Kind machen kann. Also weil dagegen richtet sich ja Luthers neue Entdeckung. Gottesgerechtigkeit ist keine Forderung, die ich
mit guten Werken und gutem Lebensstil und so weiter nachkomme, sondern sie ist ein Geschenk. Wenn das aber das Reformatorische an der reformatorischen Theologie wäre, die Ablehnung jeder Art der Werkgerechtigkeit und jeder Art des Verdienstdenkens. Dann muss man sagen, ja dann gibt es an der Stelle keinen Unterschied mehr zur katholischen Kirche. Da könnte man also sagen, es ist eigentlich fast, zumindest an dem Punkt, das Gleiche. Denn es gibt heute die heutige katholische Theologie, zweites Vatikanum, heutige wissenschaftliche katholische Theologie, lehnt selbstverständlich genauso klar jede Art von Werkgerechtigkeit ab wie die evangelische Theologie. Völlig klar. Also das, wenn das einer heute behaupten will, wir Protestanten, wir evangelische, wir haben das
Solakazia erkannt, aber ihr eigentlich nicht. Ihr werkelt immer noch in der Werkgerechtigkeit herum. Nein, das wäre einfach Blödsinn. Stimmt nicht. Gut, also was machen wir dann damit, wenn das die reformatorische Entdeckung wäre? Also die hat dann, also die katholische Theologie im 20. Jahrhundert seit Jahrzehnten auch. Wäre ja nicht schlimm. Gut, also das so kurze Diskussion der Frühdatierung. Jetzt kommt die Spätdatierung. Also Eugen Witzer 1959 zum ersten Mal, dann aber jahrzehntelang blieb die Frühdatierer vorherrschend, vor allem die älteren Universitätsprofessoren, die schon Bücher über die Frühdatierung, das war dann schwer dann wieder fallen zu lassen, aber unter den jüngeren Kollegen, neue Doktorarbeiten, Habilitationsarbeiten, da war dann immer klarer die neue Mehrheit für die Spätdatierung. Also ich habe keinen totalen Überblick, ich bin ja Religionspädagoge mit biblischen Schwerpunkten, aber ich glaube sagen
zu können, heute die Sache ist nach wie vor umstritten und manches lässt sich auch nicht bis ins letzte klären, aber die Vertreter der Spätdatierung, glaube ich sagen zu können, haben schon die große Mehrheit. Also ich folge jetzt zum Beispiel in dem, was ich jetzt sage, meinem Doktorvater Oswald Bayer, aber auch dem katholischen Kollegen Otto Hermann Pesch, der vor einigen Jahren gestorben ist, einer im hohen Alter, einer der besten Lutherkenner in Deutschland, der war ja Professor an der evangelischen Fakultät in Hamburg als katholischer Theologe, hatte er einen Lehrstuhl an der evangelischen Fakultät, bewusst, also so weit sind wir heute Jubilate. Gut, also der sieht es auch so wie Oswald Bayer, aber auch Kurt Ahland, Wolfgang Schwab, katholischer Kollege und viele andere. In der Spätdatierung macht Luther seine
reformatorische Entdeckung erst im Frühjahr 1518, also nach den Ablassthesen. Die Ablassthesen sind noch klar katholische Theologie. Und warum, ich erzähle dann gleich die Entwicklung aus der Sicht der Spätdatierung, warum halte auch ich mit der Mehrheit die Spätdatierung für plausibler, überzeugender, also ich will die wichtigsten Gründe nennen. Vor dem Frühjahr 1518, um das es gleich gehen wird, vertritt Luther eine Demutstheologie, auch in den Ablassthesen vertritt er eine Demutstheologie und die, die hält ihn zerknirscht. Die Demutstheologie, so sagt man in Fachkreisen, die geht ungefähr so, der Mensch ist ein Sünder, er kann Gottes Forderungen nie gerecht
werden, er läuft also eigentlich immer mit schlechten Gewissen herum und das einzige, was man als Sünder tun kann, ist Gott recht geben, jede Form der Selbstgerechtigkeit bei sich selber bekämpfen, demütig werden, Gott recht geben und seinem Gericht über mir recht geben, also ein ständiges Bußetun. Das ist das einzige, was angemessen ist. Aus dieser Demutstheologie hat Luther nicht herausgefunden, trotz seiner Entdeckung von Römer 1.17. Er hat aus Römer 1.17 stärkere Folgerungen gezogen wie mittelalterliche Leute, nämlich strukture Form der Theologenausbildung und mehr, aber diese persönliche Frömmigkeit, Demutstheologie, hat er trotzdem beibehalten, also in den Ablassthesen zum Beispiel. Also vor Frühjahr 1518 vertritt Luther nirgendwo eine
Heilsgewissheit, aber ab Frühjahr 1518 sagt Luther, der Glaube ist sich des Heils, ist sich nicht seiner Selbstgewiss, er ist sich auch nicht seines Glaubens gewiss, aber er ist sich der Treue Jesu Christi gewiss. Das nennt man Heilsgewissheit. Also die Heilsgewissheit bezieht sich nicht auf mich, sondern auf Gottes Treue. Dessen bin ich mir gewiss und da muss ich nicht so knirscht hin und her schwanken. Das ist atmosphärisch ein extremer Wandel, den man in den Schriften auch merkt. Ab Frühjahr 1518 unterschreibt Luther 18 Briefe mit Martin der Befreite. 18 Briefe. Da hört er wieder auf damit, hat er wohl gemerkt, er kann ja nicht mein Leben lang schreiben, Martin der Befreite, aber sowas hat er früher nie geschrieben. Dann ist auch weiter ein ganz wichtiges Indiz. Vor dem Frühjahr 1518 vertritt
Luther niemals die Unterscheidung von Evangelium und Gesetz. Die ist aber in seiner ausgereiften Theologie ab 1520 von grundlegender Bedeutung. An ihr hängt auch die Rechtfertigungslehre. Man kann nicht sagen, die reife Theologie Luthers ist denkbar ohne die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Nein, die reife Theologie Luthers ist undenkbar ohne die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die findet sich vor Frühjahr 1518 aber nirgendwo. Das sind schon schwere Hinweise. Und dann ein weiterer Hinweis. Trotz Römer 1,17 und dieser neuen Erkenntnis fühlt Luther sich in der römisch-katholischen Kirche unproblematisch beheimatet. Es ist seine Kirche. Er übt mal beim Ablass über Missbrauch vom Ablass. Luther wollte mit den Ablassdesen gar nicht sofort grundsätzlich den
Ablass abschaffen. Er hat mehr den Missbrauch gesehen. Gegen den hat er gewettert. Ja, also auf jeden Fall bis zum Frühjahr 1518 gibt es nirgendwo einen Hinweis, dass Luther das Papstamt infrage stellt. Er schreibt bis Frühjahr 1518 sehr demütig, gehorfsam, ehrerbietig am Papst Leo X. und er nimmt ihn immer in Schutz. Also der Papst wird gar nicht wissen dieses maltschreierische Treiben mit den Ablass-Tätsel und so weiter. Wenn das der Papst wüsste, der würde es aber sofort abstellen. In so einer Meinung war Luther. Erst nach dem Frühjahr 1518 kriegt Luther fundamentale Probleme weiterhin in der römisch-katholischen Kirche sich zu Hause zu fühlen. Und es entwickeln sich dann auch diese
Spaltungsprobleme. Die entwickeln sich alle erst nach dem Frühjahr 18. Nach 1516, Römer 117 hat sich hier gar nichts entwickelt. Und diese Indizien sprechen dafür für die Spätdatierung. Vor allem aber spricht die genaue Quellenanalyse, die ich jetzt hier nicht machen kann, da braucht man Stunden, Stunden, die genaue Analyse der Schriften Luthers spricht, soweit ich es kapiert habe, auch deutlich für die Spätdatierung. So, jetzt möchte ich mal erzählen, wie es Luther ergangen ist. Ich erzähle jetzt ganz aus der Sicht der Spätdatierung, die ich ja vertrete. Also nicht rechthaberisch, nicht beckmesserisch, aber einfach jetzt mal, ich finde sie halt überzeugender, wie das andere Modell. Also erzähle ich mal aus deren Perspektive. Am 31. Oktober 1517 schrieb Luther an den Erzbischof
Albrecht von Mainz, das ist sein oberster Bischof gewesen, es gibt noch den Bischof in Brandenburg, das ist sein Diözesanbischof, aber sein oberster Bischof ist Erzbischof Albrecht von Mainz, schreibt er einen Brief genau am 31. Oktober und diesem Brief legt er 95 handgeschriebene, lateinisch geschriebene Ablassthesen bei. Luther hat schon auch diese Ablassthesen brieflich anderen Leuten auch geschrieben, er hat zu einer Disputation aufgefordert, also es sind ja Thesen, es ist ja keine Dogmatik, er wollte einfach eine Diskussion herauf beschwören, weil er sie wichtig fand, längst an der Zeit fand und dann hat er die Ablassthesen auch an der Schlosskirche in Wittenberg, die gleichzeitig die Universitätskirche war, sagen wir so wie in
Heidelberg, weiß ich gar nicht, aber in Tübingen ist die Stiftskirche in Tübingen, ist gleichzeitig die Universitätskirche. Wer weiß denn, wie ist das hier in Heidelberg? Weiss das jemand? Meistens hat die Universität eine Kirche, das ist die Universitätskirche. Gibt es das hier in Heidelberg, weiß das jemand? Gut, können wir uns ja mal informieren. Also die Schlosskirche in Wittenberg war gleichzeitig Universitätskirche und die Tür war gleichzeitig das akademische Brett für Veröffentlichungen akademischer Art und da hat Luther an der Tür der Schlosskirche aber erst Mitte November. Also die 95 Thesen sind nicht am 31. Oktober irgendwie mit Hammerschlägen und so, das sind alles spätere Märchen, hat sich inzwischen herausgestellt. Er hat nämlich erst, aber der 31. Oktober ist trotzdem gut, weil er wollte erst den obersten Bischof informieren, bevor er die Ablassthesen als Einladung zu einer Disputation rumgehen lässt bei Fachkollegen. Er
dachte an einen kleinen Kreis von Fachkollegen, 10, 15 Leute, diskutieren wir mal drüber. Aber bevor er das gemacht hat, hat er dem Erzbischof geschrieben. Der hat den Brief erst sehr spät erhalten, erst in der zweiten Novemberhälfte und hat gar nicht darauf reagiert. Erzbischof Albrecht hat dem Papst unterrichtet, dass hier so ein Bettelmönch da irgendwie Unfug macht. Der Papst hat aber nicht gleich die große Keule genommen. Also zunächst ist eigentlich erst mal gar nichts passiert. Der Diözesanbischof von Brandenburg, der hat geantwortet und hat ihm abgeraten, hat gesagt, also lieber Bruder Martin, lass lieber die Finger davon, ich fürchte, du kriegst Schwierigkeiten. Also gut, aber jetzt ging es so weiter, diese bis jetzt nur handgeschriebenen lateinischen
Thesen, die wurden per Hand in Briefen immer abgeschrieben, die wurden jetzt, ohne dass Luther es wusste und wollte, an mehreren Orten gedruckt, erst mal lateinisch. In Augsburg, in Basel, in Leipzig wurden die gedruckt. Ist ja auch ein schöner Umstand der Weltgeschichte, dass es ja jetzt schon Druckerpressen gab, Gudenberg so 60, 70 Jahre vorher und es gab seit kurzem die Technik der Flugblätter, die gab es erst seit ein paar Jahren, also da spielt auch die Weltgeschichte, die Technikgeschichte eine Rolle. Also die Ablassthesen wurden jetzt gedruckt in vielen Versionen, gehören mehreren Orten und ich glaube der Mann heißt Nötzel, so genau habe ich mir jetzt da auch nicht mehr, ein Herr Nötzel hat diese Thesen ins Deutsche übersetzt. Wo der war, das weiß ich jetzt gerade auch nicht und zwar ohne mit Luther zu reden, Luther wusste es nicht und wollte es nicht und
jetzt wurden diese deutschen gedruckten Ablassthesen im Dezember und Januar innerhalb von vier bis sechs Wochen waren die in ganz Deutschland, von Flensburg bis Bodensee und Luther, der bis jetzt ein völlig unbekannter Professor an einer kleinen unbedeutenden Universität war, Wittenberg war eine der kleinsten Universitäten in ganz Deutschland und sie war noch sehr jung, also ich schätze die war zehn oder 15 Jahre alt, als sie gegründet wurde, länger gibt es die noch gar nicht, also der unbekannte Professor einer kleinen noch gar nicht lange bestehenden Universität war auf einmal im Rampenlicht der kirchlichen staatlichen politischen Öffentlichkeit. Also Luther ist ja völlig darüber erschrocken, sein Landesherr Kurfürst von Sachsen, Kurfürster Weisse, der bekam ordentliche Probleme, weil als
diese Thesen da überall gelesen wurde, Luther war innerhalb von fünf Wochen in ganz Deutschland bekannt, jeder wusste wer Martin Luther ist, fünf Wochen vorher wusste kein Mensch wer er war und man hat dann dem Kurfürsten unterstellt, dass der dahinter steckt, dass der Luther den Auftrag gegeben hat aus Neid gegenüber irgendwelchen Fürstenkollegen, was völliger Humbug ist, also es war sehr peinlich für Luther und dann wurde auch relativ bald der Ketzervorwurf laut, Tetzel hat gesagt in vier Wochen bringe ich den ins Feuer und das ist eine ernste Todesgefahr, Huss und Wicklifg, also Scheiterhaufen, sie waren da relativ schnell bei der Hand, also Luther war auf einmal in Lebensgefahr und das ist der Mutterboden mit dem die Spätdatierung völlig zurecht rechnet. Bis jetzt kannte Luther die Muse und Meditation seiner Studierstube, er hatte tagelang, wochenlang Zeit
gehabt über irgendwelche Bibeltexte zu brüten und jetzt war er im Gezerre, er sagt, er schreibt einmal Gott hat mich wider Wissen und Willen in das Spiel geführt, Gott hat mich wider Wissen und Willen in das Spiel geführt. Es war ihm jetzt auch peinlich, weil die Ablassthesen so stilistisch durchgekämpft waren, die nicht das ganz Deutschland jetzt las, weil er hat bewusst ein bisschen thesenartig, auch ein bisschen, manches ist ein bisschen unklar, was meint er denn damit, jetzt bekam er auch viele Rückfragen, was sollten diese Thesen, er fühlte sich jetzt veranlasst einen Sermon zu schreiben, der heißt Sermon über den Ablass und die Gnade, also ein paar Wochen später, der wurde gedruckt in Wittenberg und in anderen Orten und jetzt merkt man, dass Luther innerhalb
von ein, zwei, drei, vier Jahren der meist publizierte Mensch Europas war. Also niemand hat solche Auflagen, zum Teil achtzigste Auflage und so, also Luther erwies sich jetzt als ein echter literarisches Genie, ein Meister der Polemik, des Spottes, aber auch der Gedankenschärfe und die Schriften Luthers, die wurden, gingen weg wie warme Semmeln. Also er hat diesen Ablass-Sermon geschrieben, da war jetzt schon vieles klarer, seine Kritik wurde auch schärfer, aber im Februar 1518, jetzt geht's los. Im Februar 1518 waren die Verwicklungen, die Aufregung, der Widerstand auf verschiedenen Ebenen so stark geworden, dass Luther sich entschloss 95 Resolutionen zu verfassen, wo er in jeder Resolution jede These des Ablasses noch mal gründlich erklärt, was er eigentlich
will und um was es geht. Und er widmet diese Resolutionen dem Papst Leo X., er hat gedacht, ich informiere ihn lieber gleich selber, bevor der gerüchteweise alle möglichen Blödsinn hört, und er schreibt ein schönes Schreiben an den Papst und sagt, lies mal diese Schrift durch, wenn sie dir gefällt, dann freue ich mich und wenn du sie verdammst, dann nehme ich das auch an, und wenn du meinst, dass ich verbrennen muss, dann gehe ich dafür ins Feuer. Also wirklich Urteile über die Schrift und ich nehme dein Urteil an. So, und in diesen 95 Resolutionen, Luther hat sie zunächst handgeschrieben, er frug wieder den Diäzesanbischof an, was meinst du, kann ich das veröffentlichen, der Bischof sagt wieder, schieb's ein bisschen auf, der hatte einfach Sorge, dass hier ein Welpenbrand entsteht, der hat schon geahnt, dass das enorme Lawinen loslöst. Und dann
hat Luther es tatsächlich zwei Monate aufgeschoben, die Resolutionen wurden also erst im April oder Mai gedruckt, aber geschrieben hat er sie im Februar. Und in zwei dieser 95 Resolutionen kommt ein völlig neuer Ton auf. Dann hat Luther auch im März eine Predigt gehalten über den Philipperhymnus, Philipper 2, 6 bis 11, darüber hat er dann auch ein Sermon öffentlich gedruckt von den zwei Gerechtigkeiten. Und in diesem Sermon ist Luther fröhlich, heilsgewiss, eine ganz andere Atmosphäre wie in seiner Demutstheologie, er kommt nichts mehr von der Demutstheologie, man merkt, Luther ist im völlig anderen Aggregatzustand. Dann im Mai 1518 schreibt Luther eine Thesenreihe pro veritate für die Wahrheit, das ist ein längerer Titel, den ich jetzt weglasse, für seine Studenten. Und in
dieser Thesenreihe ist Luthers reformatorische Entdeckung glasklar da. Gut, ich will mal so enden, als dann im August 1518 der Abgesandte des Papstes Legat Cajetan nach Augsburg kam, um Luther zu verhören, hatte Cajetan, der ist selber ein qualifizierter Thomistischer Theologe, hat er sich alle Schriften von Luther nach Rom kommen lassen, also nicht nur die Ablastthesen, er hat alle weiteren sich auch kommen lassen. Er hat auch die Resolutionen gelesen und er schreibt bei diesen zwei Resolutionen mit Hand daneben, dieses Handexemplar ist in Rom erhalten, da schreibt er daneben, das heißt eine neue Kirche bauen. Das hat Cajetan schon gemerkt. Und bei dem Verhör war ja Cajetan zwei, drei Tage in Augsburg, ging es kein bisschen um die Ablastthesen, weil Cajetan selber
gemerkt hat, die sind ja kalter Kaffee für das, was er dann im Frühjahr alles schreibt. Und es ging im Gespräch mit Cajetan kein bisschen um die Gerechtigkeit Gottes nach Römer 1,17, spielt überhaupt keine Rolle mehr. Aber diese neue Entdeckung, die spielt eine Rolle. Also das spricht alles für die Spätdatierung. So, jetzt schildere ich Ihnen die Entdeckung. Luther musste im Februar 1518 sich nochmal mit dem Bußsakrament beschäftigen. Die katholische Kirche hat ja sieben Sakramente, nicht nur Taufe und Abendmahl wie die spätere evangelische Kirche, sondern weitere, zum Beispiel das Bußsakrament. In der Bibel gibt es kein Bußsakrament in dem engeren Sinn, in der alten Kirche auch nicht. Man tut halt Buße, man führt ein Gespräch oder geht auf die Knie und bittet Gott. Man kann auf tausendlei Weise Buße tun, aber im Mittelalter hat man die Buße in
eine bestimmte Gestalt gebracht und das nennt man dann das Bußsakrament. Und das Bußsakrament hat drei Teile. Der erste Teil ist die Reue, der zweite Teil ist das Absolutionswort, ich werde es gleich erklären, und der dritte Teil sind die Genugtuungen. Also das Bußsakrament, das jetzt einen ganz bestimmten Ablauf hat, der erst im Mittelalter entsteht. Und zwar hat man im Mittelalter bestimmte biblische Texte umformuliert in eine direkte mündliche Anrede. Nehmen wir mal die Taufe. Bei der Taufe heißt es im Taufauftrag, geht hin in alle Welt und taufet die, mache zu jüngern alle Völker, taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Da ist nirgendwo eine wörtliche Anrede. Aber im Taufsakrament sagt dann der Priester ego te baptizo, ich taufe dich.
Das ist ja gut so, weil diese direkte wörtliche Anrede basiert ja sinngemäß auf mehreren Tauftexten der Bibel, ist also sachlich gut begründet. Aber es hat viel mehr Schmackes, wenn man direkt sagt, ich taufe dich. Das steht nirgends in der Bibel. Also diese mündliche Anrede, ich taufe dich, Hubert, Fallersleben, also reine Fantasie, und dann kommt der Name, ich taufe dich und dann im Namen des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes zur Vergebung der Sünden oder irgendwie so. Und so hat man es im Bussakrament auch gemacht. Im Taufsakrament sagte man ego te baptizo und im Bussakrament sagte man ego te absolvo, ich löse dich. Absolvere heißt lösen im Sinne von vergeben. Ich löse dich aus dem Gefängnis deiner Schuld. Also ich vergebe dir. Und jetzt ist es interessant, dieses Bussakrament
ist auch die Umformulierung von zwei Bibeltexten, so wie ego te baptizo auch die Umformulierung mehrerer Tauftexte ist. Und zwar heißt es in Matthäus 16 Vers 18, Matthäus 16 Vers 18 heißt es, da sagt Jesus zu Petrus, ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein. Und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein. Man nennt es später den Bindeschlüssel und den Löseschlüssel. Deswegen sind im Papstwappen zwei Schlüssel drin. Das ist der Bindeschlüssel, es geht auf diesen Vers zurück. Dieser Vers ist die Grundlage der päpstlichen Absolutionsvollmacht, die dann über
Bischöfe bis zum Priester geht. Aber dahinter steht letztlich die päpstliche Absolutionsvollmacht. Das heißt, dieser Bibeltext hat jetzt mit Papstkritik und Problemen mit der katholischen Kirche viel mehr zu tun, wie Römer 1,17. Die Grundlage vom Bußsakrament ist Matthäus 16,19. Und dieser Vers wird zwei Kapitel später, nein 16,18 und zwei Kapitel später Matthäus 18,19, heißt es noch mal gleich, nur im Plural, sagt Jesus zu den Jüngern insgesamt, ich gebe euch die Schlüssel des Himmelreichs, alles was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, alles was ihr auf Erden lösen werdet, absolvere, ego, te, absolvo, soll auch im Himmel gelöst sein. Also es gibt diesen Spruch zweimal, das zeigt wie wichtig er ist, genau gleich, einmal Singular auf Petrus, später Papst und dann aber auch alle Jünger Priester. Gut, also jetzt wird die Sache
viel brisanter als Römer 1,17, das tut dem Papst nicht weh, aber die Stelle wird sofort brisant. Also jetzt dieses Bußsakrament ist so verstanden gewesen damals, ich rede jetzt mal nur von der damaligen katholischen Kirche. Man hat ungefähr folgendes gelehrt, also Gott vergibt die Sünden, wenn du die Sünden bereust. Also immer dann, wenn du die Sünden, natürlich ist gemeint ehrlich, aufrichtig, echt, nicht Gott anschwindeln oder was vormachen, also wenn du die Sünden bereust, vergibt dir Gott. Also nehmen wir mal ein Beispiel, ein Bauer auf dem Feld erinnert sich um 11 Uhr morgens, dass er gestern Abend ganz verletzend zu seiner Frau war, richtig sie schikaniert hat. Da fährt ihm aber das schlechte Gewissen rein und er sagt zu Gott, lieber Gott, es tut mir echt
leid, ich bereue diese Tat, bitte vergib mir. Dann lehrt die katholische damalige Kirche, dass in dem Augenblick, wo der Bauer um 11 Uhr zu Gott sagt, es tut mir echt leid, bitte vergib mir, hat er in der Sekunde die Vergebung. Völlig klar. Wer seine Sünde echt bereut, dem vergibt Gott die Sünde. Jetzt ist aber das Problem, dass wenn der Bauer abends heimkommt oder vielleicht zwei Tage später, ist er sich gar nicht mehr so sicher, habe ich wirklich tief genug bereut. War das ganz ehrlich oder war das bloß so ein Gedankenflug von ein paar Minuten? Jetzt ist der arme Bauer mit sich allein. Jetzt muss der irgendwie Gewissenserforschung... Gut, also jetzt sagt man, lieber Bauer, geh doch in die Beichte und dann sagst du diese Sünde nochmal dem Priester und der Priester wird dich fragen, bereust du diese Sünde? Und du wirst sie ja bereuen, sonst gehst du ja gar nicht in die
Beichte. Also die Tatsache, dass du überhaupt zur Beichte gehst, zeigt ja, dass du die Sünde bereust. Jetzt musst du aber dem Priester sagen, ja, ich bereue sie, du hast sie ja auch bereut und wenn du das dem Priester sagst, dann sagt der Priester dir, ego te absolvo in nomine patris filii et spiritus sancti. Ich löse dich im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes. Was ist die Hilfe, wenn man das so macht, dass der Priester offiziell als Vertreter der Kirche zu dem Bauer sagt, ich sag dir jetzt offiziell, kannst unbeschwert heimgehen, das sag ich dir jetzt als Vertreter, stell ich das jetzt offiziell fest. Ich setze natürlich voraus, dass du mich nicht anlügst, weil man lehrt es schon, wenn man das gar nicht bereut und nur dem Priester so tut, als man bereut, dann vergibt auch Gott die Sünden nicht. Also aber den Fall lassen wir jetzt mal weg,
normalerweise sagen die das ja ehrlich. Also der Priester muss fragen, bereust du diese Sünden oder diese Sünden und wenn dann der Beichtende sagt, ja, daraufhin kommt das Absolutionswort ego te absolvo auf der Grundlage von Matthäus 16, 18 und 18, 19. Und dann der dritte Teil ist die Genugtuung, dass der Bauer nicht so bequem wegkommt, sagt man ihm noch, legt man ihm eine gewisse Genugtuung auf, also achtmal Vater unser Beten, elfmal Ave Maria und eine Wallfahrt zu einem Wallfahrtsort. Das ist dann die Genugtuung, das kann der Priester ihm auflegen. So, jetzt muss sich Luther nochmal mit diesem Bußsakrament beschäftigen, weil die ganzen Ablassstreitigkeiten hängen ja mit der Buße zusammen mit der Vergebung. Das Bußsakrament war in der damaligen Volkskirche,
Volksfrömmigkeit, das wichtigste Sakrament. Denn die Taufe nimmt zwar die Erbsünde weg, aber dann im täglichen Leben, wie kriege ich diese sündenlos? Ja, durchs Bußsakrament. Und man stirbt schnell und früh, Pest und alles mögliche, dann steht man dem Richter gegenüber, wie kriege ich einen gnädigen Gott? Also diese Sterbeangst in einer Lebenserwartung von 35, 40, 45 Jahren, war das schon im Spätmittelalter. Das Bußsakrament kann dich in den Himmel hieven, wenn du das da richtig machst. Und der Ablass hängt mit diesem Bußsakrament irgendwie zusammen, das lasse ich jetzt mal. Also deswegen musste Luther sich mit der Sakramentsfrage beschäftigen. Römer 1,17 ist keine Sakramentsfrage. Aber das ganze Sakramentsverständnis von Luther hängt
jetzt damit zusammen, denn er macht seine reformatorische Entdeckung im Nachdenken über ein Sakrament. Also jetzt hat Luther sich nochmal mit dem Absolutionswort beschäftigt. Also genau wissen wir es nicht, welcher Tag und so. Also ich mach das mal so, er liest immer wieder ego te absolvo in nomine Patris Filii et Spiritu Santi. Und man hat bis dorthin dieses Absolutionswort als eine Feststellung verstanden. Der Priester stellt fest aufgrund des Ja-Wortes, er stellt kirchenamtlich fest im Namen der Kirche, dir sind deine Sünden vergeben von Gott, er sagt es ja nur stellvertretend. Kannst heimgehen unbeschwert. Also das Absolutionswort war sprachlich gesehen, hermeneutisch gesehen eine Feststellung. Man nennt es ein deklaratorisches
Verständnis des Absolutionswort. Der Priester deklariert, das heißt er stellt offiziell fest. Es ist eine Feststellung. Man könnte auch sagen ein Urteil. Aber sagen wir mal eine Feststellung. So war das jahrhundertelang. Es war eine Feststellung offiziell im Namen der Kirche. Und jetzt, ich weiß nicht wie, entdeckt Luther, das ist gar keine Feststellung. Das ist nicht deklaratorisch, sondern das ist eine Herstellung. Hier wird nicht etwas festgestellt, was sowieso schon da ist, sondern hier wird etwas bewirkt, schöpferisch. Dieses Absolutionswort ist ein Versprechen, eine Zusage. Und wenn der Bauer dieser Zusage glaubt, ist eigentlich gar nicht mehr so wichtig, ob er tief bereut hat oder halbtief oder dritteltief.
Mit einer Reue mag es stehen, wie es will. Ein Christ bereut seine Sünden, aber tu nicht dauernd deine Reue messen. Sondern schau auf das Versprechen. Es ist ein Versprechen, eine Zusage. Ich vergebe dir deine Sünden. Und das ist ein schöpferisches Wort. Da wird etwas nicht konstatiert, sondern konstituiert. Jetzt will ich mal an der Stelle ein paar Worte sagen über die, ich will mal hier einen kleinen Exkurs machen. Ich möchte, ich fast stetis verraten. Ich möchte euch mal an dieser Stelle auf ein Phänomen aufmerksam machen. Ich spring kurz raus, aber gleich wieder zurück. Ich möchte euch auf ein Phänomen aufmerksam machen, das ihr alle kennt, ohne jede Ausnahme. Es spielt bei jedem von euch eine Rolle, jeden
Tag und jede Stunde. Naja, vielleicht nicht jede Stunde, aber jeden Tag ständig. Ihr alle, ohne Ausnahme. Ohne dieses Phänomen wärt ihr nicht der, der ihr seid. Ihr seid von dem Phänomen tief abhängig. Und dieses Phänomen ist die Sprache, die menschliche Sprache. Stellt euch mal ein Leben vor ohne Sprache. Versucht mal. Ernsthaft, probiert es mal. Könnt ihr auch später machen, nächste Woche. Versuchen wir uns mal vorzustellen, ein Leben ohne Sprache, ohne jede Form der Sprache. Also Taubstumme haben Aussprache, denn Taubstumme können ja die Taubstummen Sprache lernen, sie können lesen. Aber stellt euch mal vor, da keine Sprache, null. Das kann sich niemand vorstellen. Ein menschliche Gesellschaft und Leben ohne jede Art der Sprache, mündlich, schriftlich, gar nichts. Auch Singen,
Englisch, Aussprache gibt es auch nicht. Das kann man sich nicht vorstellen. Wäre das noch ein menschliches Leben, man weiß es nicht, aber es wäre viel ärmer. Und wir denken auch in Sprache. Ohne Sprache können wir gar nicht denken. Ohne Sprache gäbe es keine Vernunft, denn die Vernunft hat mit Sprache zu tun. Deswegen gibt es kein gefühlsneutrales Denken, weil die Worte haben ihre Färbung, ihre Stimmungen, ihre Emotionen. Es ist so, dass die Sprache aber sehr ambivalent ist. Die Sprache kann sehr verletzen. Ich musste mal jemanden beerdigen, der hat sich in der Garage erhängt und seine 14-jährige Tochter hat ihn entdeckt. Und in einer Familienfeier, eine oder zwei Wochen vorher, sagte eine Verwandte,
die schon länger nicht mehr da war, laut beim Kaffeetrinken, du zu dem Mann, du warst ja schon immer ein Versager. Und zwei Wochen später hat der Mann sich erhängt, ich weiß es nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Satz da eine Rolle spielt. Also man kann sich mit Sprache ungeheuer verletzen. Versuchen wir es mal genereller zu sagen, wir können mit der Sprache demütigen, drohen, wir können lügen, wir können beleidigen. Aber die Sprache kann auch sehr positiv sein. Die Sprache kann beglücken, bezaubern, inspirieren. Denken wir mal an Trösten, an Ermutigen, an Komplimente machen. Also die Sprache ist sehr ambivalent. Jetzt habe ich mal eine Frage an euch, da dürft ihr mal zwei Minuten nachdenken
und dann mache ich euch wieder weiter mit der Luther's reformatorische Entdeckung. Was meint ihr, was ist das Schönste und Kostbarste, denkt mal so auf dieser generellen Ebene, Drohungen, Beleidigungen, Demütigungen, Verlogenheiten, aber auch Ermutigen, Trösten, Komplimente machen. Ich nehme das mal nur als Beispiel, das habe ich mir im Auto hier kurz überlegt. Was meint ihr, wenn ihr mal das so Revue passieren lässt, welche Art von Sprache oder sprachlicher Aktion oder so ist die schönste, kostbarste und reizvollste Sprachhandlung, die die menschliche Sprache zu bieten hat, was meint ihr? Denkt mal zwei Minuten nach, ihr könnt euch auch kurz mit dem Nachbar austauschen. So, ihr könnt ja den Rest eures Lebens euch dann
noch später weiter unterhalten. Also bei Luther war das so, Luther ist der erste Mensch außerhalb der Bibel, der erste Europäer, der glasklar behauptet, das Schönste, Kostbarste und Reizvollste, was die menschliche Sprache zu bieten hat, ist ein unerwartetes, unverdientes Versprechen. Wenn du ein Versprechen bekommst, mit dem du nicht gerechnet hast, überbitten und verstehen, das ernst gemeint ist, das ist ja klar, das Blaue vom Himmel Versprechen, also ein unerwartetes, unverdientes Versprechen, das dir entscheidend beglückt oder weiterhilft. Du kannst am Anfang mal bei mir wohnen, sagt jemand zu jemand anderen, die ersten Wochen kannst bei mir wohnen, das ist ein Versprechen, das ist eine Zusage. Und da sagt Luther, das ist das Schönste, was die menschliche Sprache zu bieten hat. Bei der Heirat haben die Christen
ja eingeführt, keine Unterschrift unter ein Dokument, das ist auf dem Standesamt, sondern einfach ein Versprechen. Bist du bereit, sagst du ja, mit Helga Spöri, Fantasiename, in den guten und in den schlechten Tagen bis zu lieben und zu ehren und dann sagst du ja, das ist eine Zusage, das ist ein Versprechen. Also ich will euch mal ein Beispiel sagen, wo mir das richtig aufgegangen ist. Da war meine Tochter 14 Jahre alt, heute ist sie 42. Da sitze ich bei den Osterferien Tübingen, war Assistent bei NIPCO, da sitze ich in den Osterferien so am Tisch und ich wusste, meine Tochter Chrissy, damals 14 oder 15 Jahre alt, hatte eine Freundin Katja und die haben mir seit Monaten in den Ohren gelegen, sie wollen noch mal nach Paris und da geht so Etipiaf-Kneipen geben, wo man mit Ziehharmonika
Etipiaflieder singt und dann geht man auf die Straße und tanzt und da wollen sie hin. Und die haben mir gesagt, Papa, komm her. Ich sag ja, die muss korrigieren, ein Diploma bei uns. Also jetzt sitze ich in den Osterferien und gucke rein zufällig so, weiß nicht mehr warum, in meinen Terminkalender und stelle fest, ich habe in den ganzen Osterferien nur, nächstes in der Woche drauf, nur einen Termin, den kann ich leicht absagen. Und dann fälle ich in mir eine Entscheidung, gucke Chrissy an, die ahnt noch nichts und dann sage ich, Chrissy, guck mich mal an. Chrissy, wir fahren nächste Woche nach Paris. Die guckt mich erstmal an, ob ich es ernst meine, aber sie hat gemerkt, der Papa meint es absolut ernst und dann macht die einen Schrei, einen unartikulierten Schrei und überhaupt die ganze Vorfreude. Und ich bin mit der Katja und der Chrissy, wir sind nach Paris gefahren,
wir haben eine Kneipe gefunden, wo Edith Jafflieder mit einer Ziehharmonika und wir sind rausgegangen und ich habe mit wildfremden Französinnen auf der Straße getanzt. Und Chrissy war happy. Jetzt wollte ich nur sagen, das ist nicht eine Feststellung, das ist eine Herstellung, das ist ein schöpferisches Wort. Ich kann nicht sagen, ob ich das sage oder nicht sage. Wenn ich jetzt zum Beispiel sage, das ist ein Pult, das ist eine Feststellung. Aber ob ich das sage oder ob ich das nicht sage, das Pult steht trotzdem da. Aber ich kann nicht sagen, ob ich das der Chrissy sage oder nicht, das war eine Detonation. Und Luther entdeckt, Gott will den Menschen durch seine Versprechen gewinnen. Anders nicht, durch seine Versprechen. Und das ändert jetzt für Luther alles. Es ist ein neues Verständnis des Wortes. Das
Wort ist nämlich jetzt ein mündliches Wort, steht so gar nicht in der Bibel. Es ist also gar nicht biblizistisch, fundamentalistisch, nein, es ist ein mündliches Wort. Der Priester sagt ja, ego te ab solvo, ego te baptizo, steht ja so gar nicht in der Bibel. Also für Luther wird jetzt das mündliche Wort das lebendige, schaffende, schöpferische Wort, für Luther wird das mündliche Wort wichtiger als das schriftliche. Und obwohl er Sola Scriptura sagt, aber er meint es nicht pietistisch oder fundamentalistisch, gar nicht. Sondern dieses Wort der Zusage, aus reiner Liebe, aus reiner Zuwendung, weil Gott macht es einfach gern. Er gewinnt gern durch ein Versprechen, das kannst ja du gar nicht so ausdenken, aber das ist wirklich eine Zusage. Kannst dich drauf verlassen, kannst ihn unter die Nase reiben. Probiere es aus, baue drauf und du wirst merken, diese Zusage entfaltet eine
irrsinnige Kraft. Wenn du diese Zusage glaubst, Sola fide, entfaltet die eine irrsinnige, schöpferische Kraft. Das versteht Luther jetzt unter dem Wort. Das werde ich in den nächsten Vorträgen weiter, ich will es mal nur nennen, was durch diese Entdeckung ändert sich die ganze Welt, es ändert sich ganz Europa, es ändert sich die ganze Christenheit, es ändert sich alles durch diese Entdeckung. Also zum Beispiel, es ist ein Wort, das ich mündlich einem anderen direkt ins Gesicht sage, von Angesicht zu Angesicht. Also Luther versteht unter Wort ab jetzt, ab Frühjahr 18, das mündliche Wort der Zusage, das ein anderer mir sagt. Das nennt Luther das äußere Wort. Das kann ich nicht in meinem Seelen, Herzenskämmerlein hören. Nein, es ist ein äußeres Wort, das ein anderer mich anredet. Das versteht jetzt
Luther unter Wort. Das ist ziemlich neu, darf ich euch sagen. Er nennt es jetzt solo verbo. Allein durch das mündliche, unverhoffte, unverdiente, ernst gemeinte Wort der Zusage. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Weltende. Wenn du dieses Wort glaubst, dann bist du ein Christ. Also für Luther ist jetzt das Wort, das mündliche Wort der Zusage, das nennt er solo verbo und aus dem solo verbo ergibt sich dann das sola scriptura. Das sola scriptura hat nur Sinn als Konsequenz aus dem solo verbo. Das solo verbo ist wichtiger als das sola scriptura. Das Wort der Zusage, Chrissi, nächste Woche fahren wir nach Paris. Überlegt mal, wo habt ihr sowas erlebt oder einem anderen Mal gegönnt. Dann, die Reue ändert sich. Bisher war die Reue, man kann sagen, mehr oder weniger die Bedingung der Vergebung.
Und habe ich jetzt wirklich tief genug bereut oder waren da doch falsche Motive dabei? Also da kommst du in eine Seelenkrämerei und eine Selbstbespiegelung, Erforschung, da bleibst du völlig allein. Luther sagt jetzt, es sei mit deiner Reue, wie es will, kannst du mir mal später erzählen. Ganz ohne Reue geht es natürlich nicht. Vielleicht bereust du mal erst in acht Monaten, ist ja auch egal. Irgendwann wirst du schon bereuen. Aber jetzt, es geht nicht um die Reue. Die Reue ist keine Bedingung, sondern freue dich an diesem Versprechen. In diesem Versprechen zeigt Gott sein Herz. So will er dich gewinnen, anders nicht. Nicht durch Gebote und nicht durch Drohungen. Gott gewinnt durch Versprechen. Also die Reue kommt irgendwie in achter, sie behält ihre Bedeutung, aber sie tritt jetzt zurück hinter dem Wort.
Ein neues Verständnis des Glaubens. Glauben ist jetzt, verlasse dich auf das Wort der Zusage. Euch ist heute der Retter geboren. Oder ich bin jawe dein Gott, der dich aus dem Sklavenhaus in Ägypten herausführt. Das ist ja alles Zusagen. Luther merkt jetzt, die Bibel sind 1100 Seiten. Mir hat mal ein Student gesagt, Herr Zimmer, ich glaube alles, was in der Bibel steht. Da habe ich gesagt, aha, du glaubst alles, was in der Bibel steht. Also will ich dich mal fragen, die Bibel hat ja 1100 Seiten. Was glaubst du denn, wenn du alles glaubst, was in der Bibel steht? Wie glaubst du 1100 Seiten? Da kam nichts G'scheites mehr. Nein, reformatorisch ist, glaube den Zusagen. Wir sind Kinder der Verheißung. Luther entdeckt nur die Versprechen Gottes. Zieh aus aus deinem Vaterhaus, das ist nicht
ein Befehl, denn ich will dich in ein Land bringen. Das ist nicht Zusage. In dir sollen gesegnet werden alle Völker. Zusage. Von allen Bäumen im Garten kannst du essen. Zusage. Luther, die ganze Bibel springt ihm auf. Also Luther, aus dieser Entdeckung lernt Luther, das Wichtigste an der Bibel, das sind von der Menge her vielleicht nur 0,1 Prozent, das sind die Zusagen. Aber die sind entscheidend. Ich will dich in ein neues Land führen und ich werde mit dir sein. Diese zwei Sätze begründen den Exodus. Ich will euch in ein neues, weites Land führen, wo Milch und Honig fließen und ich werde mit euch sein. Nimm diese zwei Sätze raus und der ganze Exodus kracht zusammen. Ein neues Verständnis des Priesters, des Papstes, der Kirche. Der Priester ist hier nur Vermittler. Es geht nicht um
die Macht des Priesters oder um die Macht des Papstes. Der Priester vermittelt dieses Versprechen. Er ist nur Medium sozusagen. Aber das Versprechen kommt von Gott. Was ist jetzt die Aufgabe der Kirche? Die Versprechen Gottes öffentlich weiterzusagen. Die Kirche ist ein geschöpfter Zusage. Ein neues Verständnis der Predigt. Eine Predigt ist nur dann christlich, wenn sie von einer Zusage herkommt und in eine Zusage mündet und gründet. Alles andere ist keine christliche Predigt. Und Luther gewinnt aus dieser Entdeckung ein neues Verständnis von Gott. Gott ist nicht mehr der Zwiespältige. Wie verhalten sich Gottes Liebe und Gottes Gerechtigkeit? Zuckerbrot und Peitsche. Nein, Gott wird für Luther eindeutig. Er ist ein Gott der Liebe. Denn er will durch Versprechungen die Menschen gewinnen. So gewinnt Luther aus
dieser Entdeckung, ich sag's nochmal, ein neues Verständnis des Wortes, der Reue, des Glaubens, der Bibel, der Kirche, der Predigt und Gottes. Das ist seine reformatorische Entdeckung. Und zum Schluss will ich sagen, es geht nicht nur darum, dass man Gottes Gerechtigkeit als Geschenk und Gabe erkennt. Wunderbar, das ist grundlegend. Es geht auch entscheidend darum, wie empfangen wir dieses Geschenk? Wie wird uns dieses Geschenk zuteil? Und darauf antwortet Luthers reformatorische Entdeckung. Durch das schöpferisch kräftige Wort der Zusage. Und dieses Wort, aus dem heraus sind wir geboren und in ihm gründen wir, in ihm erobern wir die ganze Bibel. Von diesem Wort her wird alles klar und einfach.
Luthers reformatorischer Durchbruch | 6.1.1
Es ist ein großes Jubiläum: Vor fast 500 Jahren nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Deswegen sieht man den bekannten Reformator im Jahr 2017 immer wieder auf Plakaten, in Magazinen und Fernsehsendungen. Doch was ist eigentlich so besonders an diesem Mann aus dem späten Mittelalter? Womit hat er die moderne Welt so verändert? Was für eine Entdeckung hat er gemacht, die ihn beinahe auf den Scheiterhaufen brachte, die Kirche, Familien und ganze Nationen entzweite, die Gläubige zum Zweifeln brachte und einen jahrzehntelangen Krieg auslöste? »Wie wenn die Tür zum Paradies aufgegangen ist, ich fühlte mich wie neugeborenen.« So beschreibt Luther sein Aha-Erlebnis. Es ist keine neue Erkenntnis, schon andere Kirchenväter hatten sie niedergeschrieben. Doch Luther denkt diese Erkenntnis weiter und entdeckt im Wort Gottes ein fast unglaubliches Versprechen. Es befreit ihn von einer Last, die er Zeit seines Lebens mit sich herumgetragen hat. Seine Erkenntnisse und damals nie gehörten Thesen stecken voller Überraschungen – und sind zu vielschichtig, um sie in einem Vortrag abzuhandeln. Deswegen widmet Worthaus eine ganze Vortragsreihe der Reformation. Zum Auftakt erklärt Siegfried Zimmer, welche Entdeckung Martin Luther vor 500 Jahren gemacht hat. Was die lutherische und die katholische Lehre gemeinsam haben. Und warum ausgerechnet 2017 das Jubiläum der Reformation gefeiert wird.