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Das Thema dieses Vortrags ist der Psalm 82. Ich werde aber diesmal nicht nur den Psalm selber interpretieren, obwohl das im Vordergrund steht, sondern am Ende dieser Interpretation hänge ich noch einen Anhang dran und den habe ich überschrieben Einige systematische Überlegungen zu Recht und Gerechtigkeit. Also jetzt erstmal steht der Psalm lange Zeit ganz im Vordergrund. Martin Hühnerhoff wird diesen Psalm vortragen. Psalm 82 Ich dachte, Götter seid ihr und Söhne des Höchsten ihr alle.

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Jedoch ihr werdet sterben wie ganz gewöhnliche Menschen und ihr werdet stürzen wie irgendein Herrscher. Steh auf Gott, richte die Erde, denn alle Völker sind dein Eigentum.

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Dankeschön Martin. Dieser Psalm 82 ist ein besonderer Psalm. Ja, er ist ein einzigartiger Psalm. Meiner Meinung nach ist dieser Psalm einer der wichtigsten Bibeltexte überhaupt. Inwiefern dieser Psalm kann uns eine tiefe Klarheit und Orientierung vermitteln, die ein Leben lang anhält und sich bewährt. Die besondere Bedeutung dieses Psalms kommt an drei Gesichtspunkten zum Ausdruck. Erstens beachten wir mal die äußere Textgestalt dieses Psalms. Der Psalm hat acht Verse, aber erst der letzte Vers, der achte Vers macht diesen Psalm zu einem Gebet.

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Die sieben vorherigen Verse sind gar kein Gebet, sondern diese ersten sieben Verse sind ein prophetischer Text. Er könnte jederzeit in irgendeinem der prophetischen Bücher stehen. Genauer gesagt, es handelt sich bei diesem prophetischen Text um eine prophetische Visionsbeschreibung. Und das ist sehr ungewöhnlich. Und ungewöhnlich ist auch, dass Gott in diesem Psalm viel mehr spricht als irgendein Mensch. Also normalerweise sind ja Psalmen Gebete, die von Menschen an Gott gerichtet werden.

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Aber die ersten sieben Verse sind gar kein Gebet, sondern da redet eigentlich nur Gott. Erst im achten Vers reden die Beter. Und das macht natürlich diesen achten Vers auch besonders wichtig. Es muss sich hier um eine besonders aufschlussreiche Reaktion der Beter handeln. Also das ist der erste Gesichtspunkt, die äußere Textgestalt, ein prophetischer Text, eine prophetische Visionsbeschreibung. Zweitens aber auch der Inhalt dieses Psalms ist vollkommen einzigartig. Es steht nämlich da, dass Gott in der Vollversammlung der Götter steht. Man fragt sich, wie ist er denn da hingekommen? Hat er sich selber eingeladen? Sowas gibt es in der ganzen Bibel nie wieder.

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Es ist eine wahnsinnige Begegnung, eine Begegnung der besonderen Art. Gott steht allen Göttern gegenüber und kann ihnen ins Angesicht das sagen, was er jetzt für wichtig hält. Und natürlich können wir davon ausgehen, dass Gott hier zu den Göttern bei dieser Gelegenheit nicht über Nebensächlichkeiten plaudert, sondern dass er auf das zu sprechen kommt, was ihm am allerwichtigsten ist. Und der dritte Gesichtspunkt Vers 5, bei Vers 5 heißt es im letzten Satz von Vers 5, deshalb wanken alle grundfesten der Erde. Wow, also mehr geht ja eigentlich nicht. Man kann ja diesen Satz nicht mehr steigern, es wanken ja schon alle grundfesten der Erde. Das heißt, es geht in diesem Psalm um die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft

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und es geht um eine Gefährdung schlimmster Art. Also diese drei Gesichtspunkte signalisieren sehr deutlich, dieser Psalm ist ein besonderer, ja einzigartiger Psalm. Jetzt gehen wir diesem Psalm mal Schritt für Schritt entlang. Der erste Vers lautet, Gott steht da in der Vollversammlung der Götter, inmitten der Götter richtet er. Dieser erste Vers ist die Exposition, die Einleitung zu diesem Psalm. Diese Exposition ist sehr kurz gehalten, aber sie entwirft doch eine sehr spezielle Szenerie. Im Grunde genommen sind wir jetzt mitten dabei, wir sind sozusagen Augen- und Ohrenzeugen, was jetzt abläuft.

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Gott ist inmitten der Vollversammlung der Götter. Ich muss das kurz erklären, in allen polytheistischen Religionen, also in allen Religionen, bei denen mehrere Götter eine Rolle spielen, und das ist in allen Religionen so, das Judentum ist damals die einzige monotheistische Religion, alle Umweltreligionen sind polytheistisch. Und die vielen Götter, die da eine Rolle spielen, die treffen sich immer wieder mal zur Vollversammlung, müssen sich mal alle treffen, sich beraten. Und wie kommt es zu dieser Vorstellung? Ja, sie ist aus dem politischen Bereich genommen, nämlich auch die Könige oder sagen wir mal allgemein die monarchischen Spitzen der damaligen Staaten. Die hatten alle eine monarchische Spitze, ob der Pharao heißt oder König oder Fürst, ist völlig egal.

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Es ist in jedem Fall eine monarchische Spitze mit fließenden Übergängen zur Diktatur. Und diese, sagen wir mal, Könige haben auch Ratgeber, also anders geht es nicht. Und sie haben dann auch ihre Thronversammlungen, wo sie sich alle beraten und neue Aufträge in Empfang nehmen und so weiter. Und diese politische Realität der königlichen Thronversammlung hat man in die Götterwelt übertragen. Die Götter haben auch ihre Vollversammlung. Aber jetzt ist also Gott in der Vollversammlung der Götter. Man fragt sich, wie kommt denn so was zustande? Und jetzt ist aber interessant, das interessiert den Psalm überhaupt nicht. Das Zustandekommen dieser seltsamen Begegnung interessiert den Psalm nicht,

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sondern er ist ganz konzentriert auf die Absicht, mit der Gott in diese Vollversammlung der Götter hineingeht. Er ist nämlich gekommen, um zu richten. Damit fällt ein entscheidendes Stichwort. Das Wort richten im hebräischen Shafat kommt in diesem Psalm dreimal vor. Zweimal im Anfangsbereich des Psalms und einmal ganz am Ende. Und damit ist klar, dieses Wort richten gibt dem ganzen Psalm sein Gepräge. Das Wort, das Verb richten ist im Alten Testament ein sehr wichtiges Wort. Eine der wichtigsten Tätigkeiten Gottes besteht darin, dass er richtet. Und deswegen ist es gut, wenn wir gleich mal zu Anfang fragen,

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was bedeutet eigentlich dieses Wort richten? Um was geht es dabei? Und diese Frage möchte ich mal gleich an euch alle weiterleiten. Also nehmt euch doch mal so drei, vier Minuten Zeit und denkt entweder selber drüber nach oder wenn ihr zu zweit oder zu dritt seid, plaudert mal drüber über folgende Fragen. Was bedeutet deiner Meinung nach das Wort richten? Um was geht es dabei? In welchen Zusammenhängen steht dieses Wort? Und dann könnt ihr mal von eurer Bibelkenntnis her zu diesen Fragen mal Stellung nehmen. Also wir unterbrechen, ihr könnt jetzt den Vortrag mal kurz unterbrechen.

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Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht und dann, wenn ihr eure Antworten gegeben und ausgetauscht habt, dann schaltet den Vortrag wieder ein. So, ich gehe jetzt davon aus, ihr habt euch darüber ausgetauscht. Viele heutige Zeitgenossen und auch viele Bibelläser beantworten die gestellten Fragen ungefähr so. Beim Richten geht es darum, ein Urteil zu sprechen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens. Richten hat also zu tun mit Strafrecht, mit Strafvollzug und Kriminalitätsbewältigung. Und Bibelläser kommen oft mit Nachdruck auf Gottes Weltgericht zu sprechen. Dort wird Gott seine Urteile sprechen über die Sünden der Menschen.

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Das heißt, in beiden Fällen, ob im irdischen Gericht oder im himmlischen Gericht, geht es bei Richten immer darum, den Menschen zur Rechenschaft zu ziehen und ihn bei seiner Verantwortung zu behaften. Dieses sehr häufige Verständnis von Richten entspricht aber nicht dem biblischen Befund. Das biblische Wort Schafatt, Richten, ist viel umfangreicher gemeint. Und dieser Vorgang des Richtens ist in der Bibel ein durch und durch positiver Vorgang. Richten in der Bibel ist etwas Wertvolles, ja sogar Kostbares.

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Es ist vielleicht das Kostbarste, was es überhaupt gibt. Wenn wir einen Übeltäter aburteilen, dann ist es sicher notwendig. Wir können ja die Welt nicht den Verbrechern überlassen, aber wir können doch dazu schlecht sagen, das ist etwas Kostbares. Das passt irgendwie nicht. Und daran erkennt man, dass das biblische Schafatt anders akzentuiert ist. Man kann das Wort Schafatt, oder man muss es eigentlich so übersetzen, Rechtsprechen. Also bei Schafatt geht es nicht nur darum, irgendwelche Urteile zu fällen. Es geht nicht einmal in erster Linie darum, sondern es geht darum, Recht zu sprechen in einem ganz umfassenden Sinn.

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Das Hauptwort von Schafatt heißt im Hebräischen Mishpat. In dem Substantiv Mishpat steckt das Wort, das Verb Schafatt drin. Und dieses Wort Mishpat muss man so übersetzen, Recht oder Rechtsordnung. Also ganz im grundsätzlichen umfassenden Sinn. Das Wort Mishpat ist im Alten Testament der wichtigste Fachausdruck für Recht. Also das Richten steht in der Bibel in einem viel größeren Zusammenhang. Zwar gehört es auch dazu, Urteile zu sprechen, aber das steht nicht im Vordergrund.

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Und es wird jetzt bei der Interpretation dieses Psalms auch sehr deutlich werden. Wir wenden uns also jetzt der Rede zu, die Gott an die Götter dieser Vollversammlung richtet. Ist ja spannend. Was sagt er denen? Vielleicht nach dem Motto, was ich euch schon immer mal sagen wollte. Und jetzt kann ich es euch endlich mal ins Angesicht sagen. Also wir können sicher sein, dass Gott hier nicht mit Nebensächlichkeiten die Zeit verplempert. Auch nicht mit dem Austausch diplomatischer Höflichkeitsfloskeln. Nein, damit verplempert er seine Zeit nicht. Gott kommt sofort, ohne Umschweife, auf den entscheidenden Punkt zu sprechen. Wir könnten ja bei dieser Szenerie uns fragen, also wenn Gott mal die Gelegenheit hat,

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einmal hat er sie den Göttern mal seine Meinung zu sagen, dann wäre doch interessant, wie viele Punkte er auf seiner Tagesordnung hat. Über was alles will er denn mit den Göttern bei dieser Gelegenheit reden? Ja, ihr Lieben, um das Wichtigste vorneweg zu sagen, er hat nur einen einzigen Punkt. Und die ganze Rede, alle fünf Zeilen der Rede drehen sich immer nur um diesen einen Punkt. Das ist aber doch höchst aufschlussreich, höchst bezeichnend. Gott hat bei dieser Gelegenheit nur einen einzigen Punkt. Und die ganze Szenerie gibt natürlich diesem einen einzigen Punkt eine überragende Bedeutung.

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Man wird diesen einen Punkt wohl kaum überschätzen können. Gott beginnt seine Rede mit einer Frage. Und zwar ist es eine Doppelfrage. Die Frage heißt, wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Mächtigen begünstigen? Mit dieser Frage geht es los. Und diese Frage ist sehr präzise. Man kann ihr fürchterlich schlecht ausweichen. Und diese Frage geht sofort auf den entscheidenden Punkt, bei dem dann die ganze Rede auch bleibt. Für uns ist es ein bisschen verwunderlich, was haben denn die Götter mit Richten zu tun? Das leuchtet uns gar nicht so schnell ein.

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Aber in der Antike war das völlig klar, das haben die Leute gewusst, das lag auf der Hand. Ich muss das kurz erklären. In der Antike waren die Könige, also die monarchischen Spitzen, wie immer sie heißen, in der Antike waren die Könige immer auch die obersten Richter. Das gehörte zu ihrem Herrschaftsamt. Zum Herrschen gehört auch das Richten. In der Antike ist alles Recht Königsrecht. Der König erlässt das Recht und der König steht selber über dem Recht. Du kannst dich gegen einen König auf kein Recht berufen, denn der König ist ja das Recht. Und so haben es die Menschen auf die Götter übertragen. Man war allgemein der Überzeugung, das Recht wurzelt letztlich im Willen der Götter.

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Und die beauftragen dann die Könige. Und die obersten Götter sind die obersten Richter. Deswegen ist hier das Wort Richten sehr am Platz. Also wie lange noch wollt ihr ungerecht richten? Interpretieren wir mal diese Frage erst mal emotional. Da stecken irgendwie Emotionen drin. Wie lange noch wollt ihr? Also das klingt ziemlich genervt. Wie lange noch? Sowieso schon viel zu lange. Ja, wie lange denn noch? Also Gott redet hier gar nicht aus der Ruhe heraus. Nein, nein, er redet leidenschaftlich. Es reicht ihm. Er hat die Nase gestrichen voll. Er ist empört.

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In dieser Frage steckt das Gefühl der Empörung. Mich hat mal jemand gefragt, Herr Zimmer, warum sind Sie denn so wütend? Und da habe ich gesagt, ich bin gar nicht wütend. Ich bin empört. Kennen Sie den Unterschied nicht? Also Gott ist hier gar nicht wütend. Er ist empört. Und wer das Gefühl der Empörung hier nicht innerlich mitvollziehen kann, der kann den ganzen Salmao weglegen. Er wird ihn nicht verstehen. Es gibt eben Dinge, die kommen nur aus der Empörung zustande. Und wenn du nicht empört bist, dann passiert auch nichts. Und dann ist noch interessant, wie lange wollt ihr noch? Ja, die wollen das ja auch.

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Die machen das ja nicht zufällig. Das ist ihre Absicht. Dahinter steckt System. Wie lange wollt ihr noch ungerecht richten? Jetzt haben wir die zwei entscheidenden Stichworte der alttestamentlichen Ethik. Nämlich das Wort Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit und das Wort Richten. Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten? Ungerecht zu richten ist das Schlimmste, was es gibt. Da wanken nämlich alle Grundfesten der Erde. Weil Richten ist eigentlich das Kostbarste, was es gibt. Und deswegen, wenn man dieses Kostbare missbraucht, dann wanken alle Ordnungsstrukturen. Ungerecht richten heißt ja Recht und Unrecht vermengen.

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So vermengen, dass kein Mensch mehr den Unterschied merkt, dann ist alles kaputt. Dann wanken die Grundfesten der Erde. Jetzt muss man sich ja auch fragen, worin genau besteht denn das ungerechte Richten? Ja, das liefert Gott gleich mit. Das sagt er ja gleich. Das ungerechte Richten besteht im Folgenden, die Mächtigen zu begünstigen. Wenn man die Mächtigen auch noch begünstigt, Günstlinge der Mächtigen, Lobbyisten der Mächtigen, dann wanken die Grundfesten der Erde. Das Problem ist nicht die Macht, das Problem sind die Mächtigen. Ja, also in jeder Gesellschaft gibt es ja Mächtige bis heute.

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Fragen wir uns erstmal, wer sind eigentlich die Mächtigen? Ja, im alten Orient sind die Mächtigen, ich zähl's mal auf, der König mit seiner Familie und seinen Ratgebern, also mit seinen engsten Mitarbeitern. Dann aber auch die Großgrundbesitzer, die internationalen Großhandelskaufleute und die Führungskräfte in Militär und Religion. Das sind die Mächtigen. Die Mächtigen können also immer auch ihre wirtschaftliche Macht militärisch absichern. Und das machen sie dann auch. Ja, also die Mächtigen sind immer reich und die Reichen in der Antike sind immer mächtig. Macht und Reichtum ist identisch. Allgemeiner formuliert kann man sagen, die Mächtigen sind die oberen 3-5% einer Gesellschaft.

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Es sind die Drahtzieher, die Weichensteller. Es gehört zu den fundamentalen Problemen der menschlichen Gesellschaft, dass die Macht so ungleich verteilt ist. Und weil die Macht so ungleich verteilt ist, tendieren die Mächtigen allzu oft dazu, ihre Macht zu missbrauchen. Denn wenn man ein bisschen Empathie für die Mächtigen hat, muss man wirklich zugeben, die Versuchung ist riesengroß. Stell dir mal vor, du wärst die Tochter oder der Sohn eines sehr Mächtigen. Dann würdest du doch auch die Situation als völlig normal empfinden und dass es so bleiben soll. Stell es dir mal vor. Also die Versuchung der Mächtigen bei dieser ungleichen Verteilung der Macht ist wirklich riesengroß.

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Und dann machen sie natürlich Folgendes. Sie haben die Deutungshoheit über die Begriffe Recht und Gerechtigkeit. Die Mächtigen erlassen ja die Gesetze. Und die Richter, die über die Einhaltung der Gesetze wachen, kommen ja auch aus dieser Schicht. Also die Rechtsprechung und die Gesetzgebung in der Antike, es spiegelt die Interessen der Mächtigen. Die Mächtigen geben natürlich ihre Privilegien und ihre riesigen Vorteile nicht her. Sie wollen, dass sie weiterhin die Machteliten bleiben, dass es möglichst immer so bleibt. Und das verwirklichen sie über die Gesetzgebung. Die Gesetze, sie formulieren auch, was Gerechtigkeit ist. Also die Mächtigen formulieren, was Gerechtigkeit ist und Gerechtigkeit ist immer das, was ihren Interessen dient oder sie zumindest nicht stört.

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In der Antike arbeiten die Herren im Himmel und die Herren auf der Erde ganz eng zusammen. Das ist eine feste Allianz. Eine Hand wäscht die andere. Die Staatsgötter repräsentieren in der Antike nur die staatstragende Schicht, also die Machteliten. An allen anderen Menschen haben die Staatsgötter kein Interesse. Ja, und die arbeiten also eng miteinander. Sie sichern sich gegenseitig ab und sie legitimieren sich gegenseitig. Die Bibel nennt die Mächtigen auch die Frechen. Die Bibel sagt bei vielen Handlungen der Mächtigen, sagt die Bibel, so eine Frechheit.

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Die Bibel nennt die Mächtigen auch die Bedränger, die die anderen Menschen bedrängen und verdrängen. Und hier bei dem Wort Mächtigen übersetzen auch mehrere Bibelübersetzungen die Frevler. Ja, das kann man auch übersetzen. Man muss nur wissen, die Frevler in der Bibel sind die Mächtigen. Die Frevler sind die Machteliten, die Gottes menschenfreundliche Schutzbestimmungen nicht achten sondern mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit und Brutalität ihre Macht sichern und erweitern. Das nennt man die Frevler. Und deswegen, hier steht das Wort für Frevler, muss man das, wenn man es genau treffen will, sagen, die Mächtigen. Also die Bibel ist sehr herrschaftskritisch. Die Botschaft der Propheten ist sehr herrschaftskritisch.

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Die Propheten kritisieren in erster Linie die Könige und ihre Familien und ihre Ratgeber. Aber sie kritisieren auch die Großgrundbesitzer, die internationalen Großhandelskaufläute, die Generäle und die Oberpriester. Also die Führungselite, die Machtelite, die Verantwortungsträger. Das Gericht, das die Propheten ankündigen, ist nicht nach dem Gießkannenprinzip, als ob man Täter und Opfer gleicherweise richten könnte. Nein, das Gericht wird nur den Machteliten angekündigt. Und auch die Thora ist genauso herrschaftskritisch wie die Propheten. Die Thora, das Geniale der Thora besteht darin, dass sie die prophetische Machtkritik, Sozialkritik und Kultkritik in ein verbindliches Recht umformuliert hat.

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Die leitenden Priester haben gesagt, wir müssen diese Kritik der Propheten, die Gottesmänner sind, die müssen wir in verbindliches Recht umformulieren, das dann die Menschen viele Jahre hindurch, Millionen Menschen, viele Generationen schützt. Dass die Thora machtkritisch ist, merkt man schon darin, dass in der ganzen Thora in allen fünf Büchern Mose ein einziges Mal von Königen die Rede ist. Das ist ja völlig, das ist ja unglaublich, das ist doch die wichtigste Institution aller Staaten. Nein, die Thora nur ein einziges Mal, ich glaube in 5. Mose 17, ich habe jetzt vorher nicht genau nachgeguckt, da ist das Königsgesetz. Es gibt also in der Thora ein Königsgesetz und wisst ihr, was da drin steht?

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Da steht nur drin, was der König nicht darf. Nicht so viele Frauen, nicht so viele Rosse, nicht so viele Streitwagen und nicht so viel Gold und Silber. Also so ein Königsgesetz dürft ihr mal auf der ganzen Welt suchen, gibt es nicht nochmal. Also die Propheten sind herrschaftskritisch, die Thora ist herrschaftskritisch. Sie sprechen von den Frechen und von den Bedrängern. Ich war mal in einer Religionsstunde hinten drin gesessen und die Studentin, die diese Stunde gehalten hat in einer achten Klasse Realschule, hat über das Thema der Propheten gesprochen. Und dann hat sie Folgendes gesagt, die Propheten haben das Volk zur Umkehr aufgerufen, weil das Volk nicht die 10 Gebote hält. Das waren in der Sicht dieser 22-Jährigen die Propheten.

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Das hat sie auch in ihrer christlichen Erziehung über viele Jahre so gelernt. Sie war völlig irritiert, dass ich da ein bisschen anderer Meinung war. Denn hier ist ja alles vermieden, was politisch sein könnte. Alles Brisante ist weg. Die Propheten haben das Volk. Ja, was ist denn das Volk? Das sind alle und niemand. Aber dass es da Mächtige gibt und Großhandelskaufleute und dass es aber auch Schutzlose gibt und Elende, das entzog sich. Also auf den Gedanken wäre sie da nicht gekommen. Und sie fordern das Volk, also möglichst alle gleich. Kein Unterschied. Wir sind ja alle Sünder. Und zur Umkehr auf, weil sie die 10 Gebote nicht gehalten haben.

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Aber man darf darauf hinweisen, dass kein einziger Prophet sich jemals auf die 10 Gebote berufen hat. Das kommt gar nicht vor. Also ich habe ihr nur gesagt, also das könnte man durchaus etwas verbessern. Ich habe das nicht in der Stunde gesagt, nur nachher. Aber sie war irritiert, denn ihr war völlig klar, ihre Sicht ist bibeltreu. Und da kann man eigentlich nichts verbessern. Okay, also so weit. Jetzt diese Die Mächtigen. Was ist das für ein Begriff? Der Begriff Die Mächtigen ist ein Strukturbegriff. Er stammt aus dem öffentlichen gesellschaftlichen Bereich. Der Begriff Die Mächtigen ist kein Privatbegriff. Er stammt nicht aus dem persönlichen Privatbereich.

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Nein, das stammt er nicht. Er ist ein Strukturbegriff und markiert ein grundsätzliches Grundlagenproblem. Die Ethik und die Moral in vielen christlichen Gruppen ist relativ stark konzentriert auf den privaten persönlichen Bereich. Es geht um die eigene Familie, um die eigene Gemeinde, um den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis, dann noch um die Nachbarn, die Arbeitskollegen und die eigene Schulklasse. Und das war es dann. Aber Die Mächtigen und dann noch bewusst plural, strukturell Die Mächtigen. Es kann schon sein, dass es auch einige ganz nette Mächtige gibt, die auch durchaus sympathisch sind.

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Kann durchaus sein. Ich halte auch für möglich, dass manche Mächtige beten, dass sie zu Gott beten, lieber Gott danke, dass du mich so gesegnet hast. Aber ändert eigentlich an der Problematik gar nichts. Und jetzt gibt es zwei Tricks oder sagen wir mal zwei Redensarten, wie man da seine eigene Konzentration auf das persönliche Privatbereich rechtfertigen kann. Und in der Tat, das wird ja über Jahre hinweg wächst es ja heran und dann empfindet man das ja so ist es. Einmal sagt man, ich als Einzelner, ich kann doch sowieso an den großen Dingen nichts ändern. Naja, da ist ein dickes Korn Wahrheit dran. Trotzdem, die Gemeinde als Ganze oder die Gemeinden können sich doch auch zusammenschließen, vielleicht sogar zu internationalen Zusammenschlüssen.

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Da können sie vielleicht doch was ändern. Aber natürlich bequem ist es nicht. Das erfordert Interesse und Engagement. Und eine andere Redensart, die ich tausendfach gehört habe, die geht ungefähr so. Also ich konzentriere mich lieber auf den Bereich im Kleinen. Wer im Kleinen nicht treu ist, der ist auch im Großen nicht treu. Naja, da ist schon ein dickes Korn Wahrheit dran. Aber diese Redensart kann sehr schnell zur Masche werden. Nämlich zur Masche, dass man seinen eigenen relativ bequemen und begrenzten Horizont dann noch auch als besonders christlich verbrämt. Dann wird es aber wirklich zur Masche. Ja, gehen wir noch mal zurück auf die Mächtigen.

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Also die Mächtigen haben die Deutungshoheit über Recht und Gerechtigkeit. Und die entwickeln dann in der Antike eine Ethik. Aber diese Ethik ist ganz an den Interessen der Mächtigen orientiert. Zumindest darf sie die Mächtigen nicht ernsthaft ärgern. Das geht nicht. Und deswegen ist Gerechtigkeit in der Antike eine Tugend. Sie ist eine der vier Kardinaltugenden. Bei Platon zum Beispiel sind die vier Kardinaltugenden folgende. Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit, das meint maßvoll sein, Besonnenheit und Gerechtigkeit. Und in der Ethik der Antike ist das Hauptinteresse darauf gerichtet, den tugendhaften Mann als Vorbild vor Augen zu stellen und von seinem Tun zu lernen.

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An der Verteilung der Macht ändert diese Tugendlehre nichts. Sie stört auch nicht die Mächtigen. Ja, aber jetzt also nach dieser grundsätzlichen Äußerung, wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Mächtigen begünstigen? Das ist der eine entscheidende Punkt, den Gott selber nach vorne rückt. Und jeder darf sich ja fragen, habe ich diese Prioritätssetzung meines eigenen Gottes, habe ich die schon inhaliert? Jetzt wenden wir uns mal der folgenden Rede zu. Martin wird uns die Rede jetzt vorlesen. Verhelft den Schutzlosen und Weisen zu ihrem Recht. Sorgt dafür, dass den Unterdrückten und Armen Gerechtigkeit zuteil wird.

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Befreit die Elenden und Bedürftigen. Entreißt sie der Gewalt der Mächtigen. Dankeschön. Also hier werden jetzt eine Gruppe von Menschen genannt, nämlich im ersten Satz die Schutzlosen und die Weisen, im zweiten Satz die Unterdrückten und die Armen und im dritten Satz die Elenden und die Bedürftigen. Weil das so wichtig ist, nochmal, die Schutzlosen und die Weisen, die Unterdrückten und die Armen und die Elenden und die Bedürftigen. Noch einmal, weil es so grundlegend ist, da hängen alle Grundlagen der Erde dran. Die Schutzlosen und die Weisen, die Unterdrückten und die Armen, die Elenden und die Bedürftigen.

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Ihr seht, die sind immer zu Paaren geordnet. Das ist prophetische Redetechnik, weil die Propheten haben ein unheimliches Gespür, wie man die Worte wirksam machen kann. Und Paarbildung ist sehr markant. Die Schutzlosen und die Weisen, die Unterdrückten und die Armen, die Elenden und die Bedürftigen. Alle Sätze sind im Imperativ. Jetzt kommt nur noch nach dieser Frage, kommen nur noch Ausrufezeichen, nur noch Aufforderungen. Verhelf denen zum Recht, sorg dafür, befreit sie, entreisst sie. Wir haben keine Zeit mehr für andere Sachen. Ran, ran an die Pulletten. Was sind das für Menschen, die Schutzlosen und die Weisen, die Unterdrückten und die Armen, die Elenden und die Bedürftigen?

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Das sind die sechs Fachausdrücke, die alle sechs hier vereint sind. Zum einzigen Mal in der ganzen Bibel sind alle sechs Fachausdrücke für wen? Für die Hilflosen, Erwerbslosen und Besitzlosen. Alle diese Menschen, vielleicht mit geringen Ausnahmen, sind hilflos. Das heißt, sie können sich selber nicht helfen. Sie sind erwerbslos. Als Sklaven haben sie ja nichts von ihrem Lohn und sie sind besitzlos. Und das Recht in der Antike ist an den Besitz gebunden. Besitzlose sind rechtlos und damit auch schützlos. Ja, das sind die Menschen, die im Schatten des antiken Rechts liegen. Die Mächtigen haben ganz andere. Elende und... Nein. Wie sagt Brecht? Und die im Schatten sieht man nicht. Die Schutzlosen, die muss man sehen lernen.

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Und ihre Schutzlosigkeit muss man sehen lernen. Und man muss lernen, mitzufühlen, wie es ihnen in ihrer Haut zumute ist. Man kann auch hier wieder durch eine bestimmte Frömmigkeit, kriegst du die ganze Gottesrede, wo Gott doch so leidenschaftlich redet, die kriegst du ganz schnell vom Tisch. Und zwar mit Hilfe einer biblischen Wahrheit kannst du diesen Psalm erledigen. Nämlich, alle Menschen sind Sünder. Alle Menschen sind Sünder. Stimmt ja auch. Also man kann mit dieser biblischen Wahrheit die eigene Blindheit steigern. Weil natürlich sind das alle Sünder. Man könnte doch jetzt sagen, naja, die Mächtigen sind Sünder ja schon, aber die Schutzlosen und die Unterdrückten doch auch.

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Das sind doch auch Sünder. Auch keine besseren Menschen wie die anderen. Ja, in der Tat, die Elenden, die Schutzlosen, die Armen, sind auch keine besseren Menschen wie die Mächtigen. Ich sage ja gar nicht, dass das bessere Menschen sind. Und in der Tat, es sind alle Sünder. Und damit kriegst du das ganze Problem weg. Nein, unbeschadet dieser biblischen Wahrheit. Diese biblische Wahrheit kann man hier nur sehr manipuliert anwenden. Ja, es kann schon sein, dass auch einige der Schutzlosen, der Weisen, der Unterdrückten und so weiter auch Übeltäter sind. Ja, das halte ich durchaus für möglich. Aber darum geht es hier nicht. Man darf das nicht so individualisieren. Mächtigen ist ein öffentlicher Strukturbegriff. Und wenn wir jetzt anfangen, aber es gibt doch auch ein paar nette Mächtige.

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Und die sind auch nicht besser, die sind auch Übeltäter. Aber darum geht es hier gar nicht. Und wenn Schutzlose und Elende eine Übeltat begehen, begehen sie die Übeltat ganz sicher aus anderen Gründen wie die Mächtigen. Nein, in dieser ganzen Rede geht es gar nicht um Bestrafung. Überhaupt nicht. Jetzt gehen wir mal diesen Sätzen entlang. Verhelft den Schutzlosen und den Weisen zu ihrem Recht. Also es gibt immer noch Schutzlose. Die werden von keinem Recht beschützt. Auch von keiner Tugendlehre werden die beschützt. Sie sind schutzlos. Und die Weisen, ja, die Weisen, das sind die Vaterlosen, deren Väter im Krieg gefallen sind.

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Wir, die wir, der Zweite Weltkrieg ist 75 Jahre her, aber als Millionen Väter im Krieg gefallen waren, da waren die Weisen eine ganz schöne Realität. Und dort in den kriegerischen Zeiten, also immer nach Beendigung eines Krieges, waren die Witwen und Weisen ein beachtlicher Teil der Bevölkerung. Also die Weisen sind immer die Kinder der Witwen. Es geht immer um Vaterlos. Und Witwen mit Kindern, die kriegen keinen Mann mehr. Das wäre eine Sensation. Und mit dem Tod des Vaters beginnt ein senkrechter Abstieg sozialer Art. Witwen und Weisen kommt 30 Mal im Alten Testament vor, weil das waren die Schutzbedürftigsten. Also verhelft ihnen nicht zu Almosen oder zu einer einmaligen Zahlung von 500 Euro. Nein, verhelft ihnen zum Recht.

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Hier steht jetzt das Wort Mischpat, Recht. Das Hauptwort zu Shafat heißt Mischpat. Es ist das wichtigste Wort im Recht des Alten Testaments. Dieses Wort Mischpat wird in den allermeisten Bibelübersetzungen unkenntlich gemacht. Es wird völlig verschiedenartig übersetzt. Ich sage euch mal ein besonders trauriges Beispiel, gibt aber 50 andere. In Micha 6, Vers 8 heißt es, Es ist dir gesagt, oh Mensch, was gut ist und was dein Gott von dir erwartet, nämlich erstens Mischpat praktizieren, erstens. Zweitens, die Güte lieben und drittens, aufmerksam zu sein auf den Wegen Gottes.

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Als erstes den Mischpat praktizieren. Ja, wie praktiziert man den Mischpat? Könnt ihr ja hier wörtlich, indem man die Schutzlosen und Weisen zu ihrem Recht verhilft, den Unterdrückten und Armen und den Elenden, Bedürftigen habt ihr was zu tun. Das ist Mischpat praktizieren. Wisst ihr, wie die meisten Bibelübersetzungen das übersetzen? Es ist dir gesagt, oh Mensch, was gut ist und was dein Gott von dir erwartet, manche sagen auch fordert. Und dann geht es los, erstens Gottes Wort halten. So wird das übersetzt. Bibelübersetzung im Dienste der Verharmlosung der Bibel. Nein, nein, Mischpat, das ist die Verbindlichkeit des Rechts. Das Kostbare am Mischpat ist seine Verbindlichkeit. Das ist das Kostbare, das für Millionen Menschen dann gilt, über Generationen hinweg.

47:05
Machen wir mal weiter. Sorgt dafür, besorgt euch dafür, tragt Sorge dafür, dass die Unterdrückten und die Armen den Armen Gerechtigkeit zuteil wird. Unterdrückung ist der Fachausdruck für Versklavung und Verknechtungen aller Art, Fronarbeit, Zwangsarbeit. Das sind die Unterdrückten. Denen wird ja auch ihr Recht unterdrückt. Und den Armen, zu den Armen will ich mal nur ein paar Dinge sagen. Mahatma Gandhi hat einmal gesagt, die Armut ist die schlimmste Umweltverschmutzung, die es gibt. Und Armut entsteht ja nicht von allein. Armut ist ja kein Zufall, sondern Armut ist die Konsequenz ungerechter Strukturen.

48:01
In der Bundesrepublik Deutschland haben die zehn reichsten Familien ein Vermögen von über 230 Milliarden. Zehn Familien, mehr als 230 Milliarden. Nehmen wir mal an, sie hätten die Hälfte weniger. Wäre das schlimm? Dann hätten wir immerhin 115 Milliarden für die bessere Bezahlung der Pflegekräfte und der Krankenschwestern, für die Tafeln, wo die Leute hingehen, die nicht wissen, was sie zu essen haben. Da könnte der Mindestlohn angehoben werden. Das wäre ja nur die Hälfte. Nehmen wir mal an, sie hätten alle nur eine Milliarde. Nur eine Milliarde. Ich frage euch, wäre das wirklich schlimm? Dann hätten wir 220 Milliarden. Das ist ein Drittel vom Bundeshaushalt.

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Was meinst du? Das Geld, das die haben, fehlt ja woanders. Wie viel Kindergärten? Wie viel? Man kann es gar nicht sagen. Wäre das eigentlich schlimm oder wäre es eher ein bisschen gerecht, wenn die Milliardäre dafür zuständig wären, alle unterbezahlten Leute und alle, die auf irgendeine Essentafel strömen, die abzusichern, wenn das ihre Aufgabe wäre? Die 40 reichsten Familien der Bundesrepublik haben so viel Vermögen wie die unteren 50 Prozent der Bevölkerung. Die untere Hälfte unserer Bevölkerung, das sind 42 Millionen, haben so viel wie die 40 reichsten Familien.

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Kann man da als Christ, wenn man sich international zusammentut, ist es, was ist es? Besorgt euch das, bedrückt euch das in eurem Gewissen. Also, und dann die Elenden und die Bedürftigen. Befreit sie. Das Ganze, Mischpa, ist eine befreiende Kraft. Und jetzt der Schlusssatz, der Gong, der Höhepunkt, entreißt sie der Gewalt der Mächtigen, denn die Mächtigen sind immer sehr liiert mit Gewalt. Die Machtsysteme und die Gewaltsysteme hängen auf das Ängste zusammen. Und die werden die Menschen, die sie ausbeuten und ausnutzen, sie werden sie nicht freiwillig hergeben. Da braucht ihr gar nicht drauf warten. Du musst sie ihnen entreißen.

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Und ich sage dir, da musst du ziemlich reißen. Und das hat ja Gott uns vorgemacht. Er hat die hebräischen Zwangsarbeiter der ägyptischen Machtelite entrissen. Und selbst die verfolgende Militärmaschine aufgehalten. Und hat sie in ein verheißenes Land und in eine neue Heimat geführt. Damit hat Jahwe selber die Elenden der Gewalt der Mächtigen entrissen. Und er hat sie dadurch, hat er ihnen zum Recht verholfen, zu einer neuen Heimat. Denn jeder Mensch hat das Recht, ohne Unterdrückung zu leben, ohne Demütigung, ohne Diskriminierung. Und hat das Recht auf Heimat und Frieden. Ja, jetzt ist die Rede zu Ende. Jetzt kommt ein, jetzt müssen wir uns fragen, wie reagieren denn die Götter auf diese Rede?

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Also haben sie wahrscheinlich noch nie im Leben gehört. Und jetzt kommt die Reaktion Vers 5, Martin. Aber es fehlt ihnen an Einsicht und Verständnis. Sie tappen im Dunkeln. Deshalb geraten alle Fundamente der Erde ins Wanken. Ja, also es fehlt ihnen an Einsicht und Verständnis. Sie können das nicht verstehen. Sie reden ja auch gar nicht. Was wollen sie da auch groß sagen? Und auch Gott sagt nicht, da ist so eine kleine Fraktion da, mit denen könnte ich vielleicht zusammenarbeiten. Ihr seid gar nicht so übel. Nein, also Gott differenziert da gar nicht. Die Misere ist allgegenwärtig und es gibt gar keine Reaktion. Sie sind auch, was wollen sie denn auch reagieren?

53:01
Es fehlt ihnen an Einsicht und Verständnis. Die sagen, was will denn der Depp hier? Wir sollen uns den Weisen und den Elenden, wir müssen doch uns an den Interessen unserer Bank orientieren und an den Interessen der Erdölindustrie. Was will denn dieser Depp hier? Also es fehlt ihnen wirklich an Einsicht und Verstand. Die sind völlig beratungsresistent. Und dann der nächste Satz, sie tappen im Dunkel. Es fehlt ihnen nicht nur Einsicht und Verstand. Es fehlt ihnen überhaupt die Wahrnehmung des ganzen Problems. Sie wissen beim besten Willen nicht, was der will. Und dann also, da wird nicht bagatellisiert, da wird nicht schön geredet. Dieser Vers 5 ist knallhart realistisch. Also Gott macht sich da keinerlei falsche Hoffnungen.

54:03
Und deswegen wanken alle Fundamente der Erde, alle Fundamente der menschlichen Gesellschaft. Also schlimmer geht es nicht. Es ist hier eine Krise im Weltordnungssystem. Und es ist höchste Gefahr. Und jetzt fällt Gott ein Urteil, Vers 6 bis 7. Ich dachte, Götter seid ihr und Söhne, des Höchsten ihr alle. Jedoch ihr werdet sterben wie ganz gewöhnliche Menschen und ihr werdet stürzen wie irgendein Herrscher. Das ist ein eigenartiger Text, weil da wundert sich jetzt Gott selber. Ich dachte, aber ich muss das korrigieren, ich dachte, ein bisschen seriös werdet ihr schon auch sein. Und irgendwas Göttliches könnte doch, vielleicht doch, ihr seid Söhne.

55:04
Also so schlimm habe ich mir das nicht vorgestellt. Aber jetzt wird mir klar, ihr seid nur Produkte der Menschen. Und deswegen sterbt ihr auch. Weil Götter können in der Antike nicht sterben. Götter können nicht sterben. Aber die sterben jetzt, warum? Weil sie sind wie Menschen. Sie sind Produkte der Menschen. Und stürzen wie ein Herrscher. Der Text bleibt herrschaftskritisch. Dieses Urteil ist ein Todesurteil, das schlimmste Urteil, das es gibt. Es geht um Tod und Leben, um Sein und Nichtsein. Dieser Psalm markiert das Ende des polytheistischen Systems. Und dieser Psalm markiert die Stunde des Monotheismus. Also in diesem Urteil wird klar, das polytheistische System kann die Weltordnungskrise niemals beheben, nicht mal wahrnehmen.

56:14
Das kann nur einer. Nur einem ist es zuzutrauen. Und jetzt kommt der Vers 8. Steh auf Gott, richte die Erde, denn alle Völker sind dein Eigentum. Jetzt wird dieser prophetische Text zu einem Gebet im letzten Vers. Und der ist aber wirklich besonders wichtig. Was beten jetzt die Beter? Sie beten, steh auf Gott. Steh auf heißt, wenn man das auf Gott bezieht, immer im alten Testament, zieh dich nicht auf dich selbst zurück. Steh auf und hilf uns jetzt. Und meditier nicht über dich selber.

57:01
Das ist gemeint mit Steh auf, zieh dich nicht auf dich selbst zurück. Da gehen wir kaputt. Und richte die Welt. Ja, richten ist das Kostbarste, was es gibt. Wir werden erst dann vom Weltgericht angemessen reden, wenn wir voller Sehnsucht davon reden. Denn es kann uns nichts Besseres passieren, wie wenn Richten und Mischpat, Recht und Gerechtigkeit uns zuteilwerden. Gerechtigkeit ist ja nicht in der Bibel ein neutrales, sachliches Abwägen. Nein, Gerechtigkeit heißt zu backen. Und dieses gerechte Handeln können wir nicht von Natur aus, sondern wir können es eigentlich nur, wenn Gott selber an uns treu und gnädig gehandelt hat. Dann können wir unsererseits gerecht handeln, denn wir können es nicht von Natur aus und von Geburtswegen.

58:10
Also dieser Gott, du bist der einzige, der uns helfen kann. Und alle Völker, alle Völker sind dein Eigentum. Was für ein Horizont und was für eine Hoffnung. Ich will zum Schluss so zusammenfassen. Dieser Psalm ist nicht nur etwas Besonderes in der Bibel, ein Edelstein, sondern diesen Psalm gibt es nur in der Bibel. Man hat keine Kultur gefunden, keine Weltreligion, in der es so einen Psalm gibt. Auch nur annähernd. Also das ist unser Edelstein, eine Priorität, die Gott selber gesetzt hat.

59:04
Und deswegen doch die Frage, wie tief ist diese Priorität in uns hineingeplumpst? Wird dieser Psalm in deiner Gemeinde eine Heimat finden? Wenn du ein Pastor bist, könntest du doch mal über diesen Psalm predigen? Also dieser Psalm redet von Gottes Richteramt, das Kostbarste und Wertvollste, was es gibt. Nichts ist eine schönere Hoffnung als die Hoffnung der Bibel, dass Gottes Gerechtigkeit einmal offenbar werden wird und er alle Unrechtssysteme beendigen wird. Halleluja! Jubilate!

60:03
Jetzt möchte ich, wie angekündigt, noch einen Anhang bringen mit dem Thema einige systematische Gedanken zu Recht und Gerechtigkeit. Jetzt unabhängig von dem Psalm und auf die Gegenwart hin bedacht. Ich habe mir dazu sieben Punkte überlegt. Das Recht hat eine Schlüsselfunktion für das Zusammenleben der Menschen. Ohne Recht ist ein Zusammenleben der Menschen undenkbar. Der Frage, was ist Recht bzw. was ist Unrecht, kann sich niemand entziehen. Das Recht gilt allen Menschen, insofern sie Menschen sind.

61:06
Bei allen Unterschieden, die es zwischen den Menschen gibt und die zu beachten sind, bleibt doch auch eine fundamentale Gemeinsamkeit, insofern wir alle Menschen sind. Alle Menschen haben die gleiche Würde. Denn alle Menschen sind von Gott geschaffen, sind Gottes geliebte Geschöpfe und seine Ebenbilder. Und insofern wir alle die gleiche Würde haben, haben wir auch das gleiche Recht. Dieses Recht ist unabhängig von der Kultur. Es ist auch unabhängig von Alter, Geschlecht, Bildungsstand, sozialem Status und Religionszugehörigkeit.

62:04
Dieses Recht ist Ausdruck unserer Würde und schützt unsere Würde. Wer andere Menschen oder Menschengruppen deren Würde antastet, begeht damit Unrecht. Zweitens. Der Unterschied zwischen Recht und Unrecht ist fundamental. Er darf auf keine Weise verwässert oder vernebelt werden. Aus Unrecht folgt mittelfristig und langfristig Enttäuschung, Verbitterung, Empörung, Aggression, Hass, Feindschaft und Gewalt. Nur das Recht kann zum Frieden führen.

63:04
Wir dürfen uns an Unrecht niemals und in keiner Gestalt gewöhnen oder es als selbstverständlich hinnehmen. Nach dem Motto, es ist halt so, da kann man nichts machen. Drittens. Nur das Recht hat Sinn, das auf der Gerechtigkeit basiert und auf Gerechtigkeit zielt. Ungerechtes Recht ist überhaupt kein Recht. Zwar können wir die Gerechtigkeit niemals vollkommen erreichen. Nur Gott selbst ist vollkommen gerecht. Aber wir können unser Recht Schritt für Schritt verbessern, dass es der Gerechtigkeit näher kommt. Die praktisch entscheidende Frage lautet, was können wir heute unter den gegebenen Umständen tun, um unser Recht zu verbessern und der Gerechtigkeit näher zu bringen?

64:15
Besonders schlimm ist es dort, wo die Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo sie nicht ernst genommen oder sogar bespöttelt wird. Dann kann das Unrecht untragbare Ausmaße annehmen. Negativ gesehen besteht Gerechtigkeit im Verzicht auf Ungerechtigkeit. Im Verzicht darauf, dass ich mir irgendwelche Vorteile anreiße, obwohl ich es eigentlich könnte. Nein, ich verzichte darauf. Gerechtigkeit ist vor allem der Verzicht auf Habgier.

65:07
Der Wert der Gerechtigkeit liegt keineswegs auf der gleichen Ebene wie der Wert der Freiheit und der Gleichheit. Nein, nein, keineswegs. Sondern die Gerechtigkeit prüft die Freiheit, ob die Freiheit gerecht ist oder ungerecht. Und die Gerechtigkeit prüft die Gleichheit, ob es sich um eine gerechte oder eine ungerechte Gleichheit handelt. Das heißt, die Gerechtigkeit ist das alles entscheidende Kriterium. Viertens. Die größte Herausforderung eines heutigen Rechtsstaates besteht darin, die Macht unter das Recht zu beugen.

66:04
Die Macht muss dem Recht dienen und das Recht stabilisieren. Die größte Gefahr für das Recht sind die Mächtigen. Denn die Versuchung ist enorm, diese Macht zu missbrauchen, sich das Recht zu Recht zu biegen und nach den Schlupflöchern im Recht zu suchen. Die Mächtigen können es sich auch leisten, die teuersten Anwälte für sich arbeiten zu lassen und damit ihr Unrecht zu verschleiern und die Rechtsprechung fast endlos hinauszuzögern. Fünftens. Die Rechtsethik ist das entscheidende Kapitel der Ethik und der Moral.

67:02
Nur die Rechtsethik kann in der Lage sein, die Wirtschaftsethik zu formen, auch die politische Ethik, die soziale Ethik, die Ethik der Lebensformen und die Sexualethik. Es ist sehr erfreulich, dass in dem neuen Standardwerk Handbuch der evangelischen Ethik 2016 die Rechtsethik das erste und grundlegende Kapitel der Ethik ist. Sehr erfreulich. Leider sehr akademisch geschrieben. Es wäre noch viel besser, wenn es allgemein verständlich wäre. Aber die Rechtsethik wird hier klar vorgeordnet der Wirtschaftsethik, der politischen Ethik, der sozialen Ethik, der Ethik der Lebensformen und der Sexualethik. Es ist hoch an der Zeit, dass sich die christlichen Gemeinden fragen, ob sie diese Erkenntnis über den entscheidenden Wert der Rechtsethik nicht gewinnen wollen.

68:16
Ob das nicht jetzt Aufgabe der christlichen Gemeinden ist. Sechstens. Vom Begriff der Gerechtigkeit her nahm die Reformation ihren Anstoß. Einer der ersten Impulse, die Martin Luther bekommen hat, stammt aus Psalm 71 Vers 2. Dieser Psalm lautet, rette mich durch deine Gerechtigkeit. Durch diese und viele anderen Bibelstellen wurde Luther klar, dass Gottes Gerechtigkeit nicht im Bestrafen besteht, sondern dass Gottes Gerechtigkeit ein Geschenk ist mit befreiender Kraft.

69:07
Und Luther wurde auch klar, dass selbst die tief in Schuld gefallenen Menschen nichts Besseres tun können, als sich an die Gerechtigkeit Gottes zu wenden. Beispiel der Buchst. Psalm 51. Schwere Missetäter, Mörder und anderes betet der Beter, Richte mich in deiner Gerechtigkeit. Das ist seine einzige Hoffnung. Ja, das sind die Grunderkenntnisse der Reformation. Vor der Gerechtigkeit Gottes muss kein Mensch Angst haben. Die Gerechtigkeit Gottes ist unsere schönste Hoffnung. Siebtens, wenn wir Ehrfurcht haben vor der Persönlichkeit der Kinder,

70:06
wenn wir den Kindern unsere Zeit gönnen, unsere Zuhörbereitschaft, sodass sie von ganz alleine ihre Träume erzählen, ihre Sorgen und Ängste und Sehnsüchte. Wenn wir unseren Kindern eine Zuwendung gönnen, sodass sogar die Kinder überrascht sind, dann können diese Kinder zu Erwachsenen werden, die der Gerechtigkeit nachjagen, wie es in Sprüche 21.21 heißt. Wer der Gerechtigkeit nachjagt, der wird sie finden. Und solche Menschen, die der Gerechtigkeit nachjagen, werden wir in Zukunft dringend benötigen.

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Gottes Rede an die Götter (Psalm 82) | 11.20.1

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 16. November 2021 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Psalm 82 hat es in sich! Er bietet eine Rede Gottes in der Vollversammlung der Götter. In dieser Rede bringt Gott es auf den Punkt, was er für den schlimmsten Schaden hält: die Mächtigen zu begünstigen und die Schutzlosen sich selbst zu überlassen. Dieser Tatbestand ist für Gott das alles entscheidende Kriterium. Wer so handelt, bringt alle Fundamente der Erde zum Wanken. Dieser Psalm macht auch deutlich, dass »richten« etwas sehr Wertvolles und Kostbares ist. Richten bedeutet nämlich »Recht schaffen«, wo Unrecht herrscht. So kommt Siegfried Zimmer in seinem Vortrag zu der Überzeugung, dass das Gericht Gottes deshalb die größte und schönste Hoffnung ist.