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Ein Gott zum Fürchten, ein Lebensthema Luthers. Damit wollen wir uns heute Vormittag beschäftigen. Es ist mit Luther ja interessant. Ein Lutherjubiläum steht vor der Tür. Es wird schon viel gesagt, viel geschrieben. Ich glaube, es ist das Jubiläum, wo man am häufigsten feststellen wird, wie fremd der uns geworden ist. Wie anders der denkt als wir, wie weit das weg ist, wie unverständlich, wie unbegreiflich, auch wie verstörend, wie befremdend manches bei diesem Luther ist. Und das ist wahr und das muss gesagt werden. Das Ganze Juristische und das Harte und das Zugespitzte, was Luther bringt, das geht nicht immer so leicht ein. Und doch ist es, glaube ich, auch so mit Luther bis heute, dass er einen bis heute packen kann. Dass er erfahrungsgesättigt

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ist, dass er lebensnah ist, dass er immer wieder durchdringt. Und darum ist es mit Luther so ein gemischte Erfahrung. Irgendwo fern und weit weg und ganz andere Zeit, verwirrend und manchmal auch nah dran. Ich kann mich erinnern an mein Studium. Ich habe Theologie studiert, Anfang der 90er. Ich war gerade Christ geworden. Ich war viele Jahre Atheist und für mich war das Christentum Neuland. Das war eine Entdeckungsreise. Ich wusste nicht alles immer schon, musste mir das alles so entdecken. Und dann hörte ich so in meinem ersten Semester Luther, wichtig und ganz wichtig von ihm, vom unfreien Willen. Da müsste man mal drin gelesen haben. Und ich habe beim Lesen immer so ein bisschen überfunktioniert in meinem Leben. Ich habe mir das Buch dann genommen und habe es in einer Nacht durchgelesen. Und ich weiß nicht, ob ihr so Erfahrungen kennt. Es gibt so Einschnitte. So der erste Rausch, der erste Sex oder der erste Live-Auftritt mit einer Band, das erste Konzert

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einer Band, für die man immer schon so gebrannt hat. Und man weiß nachher nicht, was das war. Man hat gar keine Worte dafür, aber man weiß, wie lebendig man war, wie einen das gepackt hat, durchgeschüttelt hat. Und man weiß, diese Erfahrung, das war nicht so ein One-Night-Stand, das will ich wieder. Da bleibe ich dran. Und so ging es mir mit Luther meine erste Nacht unfreier Wille. Da dachte ich bei dem bleibe ich dran. Irgendwas brennt da. Ich weiß zwar nicht, was genau, aber mal schauen. Ich bin dann auf ein Thema gestoßen, was bei Luther interessant ist. Wenn man Leute fragt, was ist an Luther irgendwie schon noch cool, auch wenn man vieles nicht begreift, sagen viele seinen Mut. Was man so weiß, der stand in Worms vor Kaiser und Reich und soll dann da gesagt hat, hier stehe ich, ich kann nicht anders, hat er gar nicht gesagt, aber er stand da so. Er hätte es gut sagen können. Und da sagen viele, wow, das ist ein mutiger Mann, der hat den

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Kopf wirklich hingehalten, der hat sich was getraut. Jetzt ist die Sache komplizierter. Es gibt auch ausführliche Berichte auch vom kaiserlichen Gesandten Allianz. Es ist interessant, Luther mal so wahrzunehmen aus der Sicht der anderen. Es war nämlich so, dass Luther da in Worms vorgeladen war, vor allen Kurfürsten, dem päpstlichen Gesandten, dem Kaiser selbst. Und dann kam er da rein, alle waren gespannt und Luther stand da in Furcht und Zittern. Und er hat fast kein Wort rausbekommen. Er fing an zu stottern, sich zu verhaspeln. Er sollte antworten. Bekennt er sich zu seiner Lehre oder widerruft er ja oder nein? Er druckste rum. Irgendwann stotterte er, er möchte noch einen Tag bedenkt sein. Und die Leute fuhren ihn an und sagten, wer glaubst du, was du bist? Da sitzt der Kaiser, da der päpstliche Gesandte, jahrelang haben wir mit dir zu tun und du willst noch einen Tag uns hinhalten? Ja, nee, wollte er. Man hat ihn so halb weggejagt und gesagt, morgen antwort. Ja oder nein? Und der Allianz

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frollocte schrieb dann auch so für seine Leute, der ist durch, der Luther. War ein ganz kledlicher, jämmerlicher Auftritt. Im Grunde ein feiger Mönch, der weit über seine Verhältnisse hinaus hier aufgetrumpft hat und so. Im Grunde ist es gelaufen. Er hat jedes Ansehen verloren. Ja, und am nächsten Tag dann, dieser Tag der Weltgeschichte, wo Luther vorbereitet ist, wo er sich in eine Stimmung rein gebetet und gedacht hat, wo man auch vor Kaiser und Reich Eindruck hinterlässt, erhält seine Rede und sagt am Ende, ich bin in meinem Gewissen gefangen in den Worten der Heiligen Schrift und wenn ich nicht durch klare Schriftzeugnisse oder eindeutige Vernunft Gründe überwunden werde, dann kann ich nicht widerrufen, Gott helfe mir. Amen. Und ging raus und Allianz beschrieb das so und er beschrieb es szeneknirschend, weil er wusste, das war ein verdammt guter Auftritt.

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Und er sah Luther rausgehen und beschreibt das dann so, als er an der Tür war, streckte Luther die Arme hoch und Allianz sagte, er streckte die Arme hoch wie so ein deutscher Kriegsknecht, wenn er einen guten Schlag getan hat und jubelt und sich freut. Und der Allianz beschreibt das so in diesem ganzen italienischen Befremden. Italiener waren Humanisten, die waren gebildet, die hatten Kultur. Wenn er so über diese Deutschen schreibt, ist immer die Stimmung, boah, wenn ich in Rom bin, auf die Straße gehe, dann sehe ich da Michelangelo, wie er auf dem Weg zur Arbeit ist, die Sixtinische Kapelle malt. Und diese Deutschen da in Wittenberg, wenn die auf die Straße gehen, dann steht da eine Sau oder eine Kuh und stinkt und boah, dass die uns hier mit ihrem Quälen, mit ihren deutschen Gedanken und so. Aber er merkte, das war ein Wirkungstreffer. So, das Reich bebte und Luther hatte Eindruck hinterlassen. Was ist das für ein Typ? So mutig, so standhaft, aber manchmal auch so zittern verzagt. Wie ist

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das mit der Angst bei Luther? Jetzt weiß man ja, es ist eine Angstgeschichte mit Luther, die ihn überhaupt ins Kloster treibt. Dieses Gewitter bei Stotternheim, wo ein Blitz in seiner Nähe einschlägt, Luther durch und durch gerüttelt wird, auf die Knie stürzt und schreit, Heilige Anna, hilf, ich will ein Mönch werden. Und er hat das immer betont, ich bin nicht freiwillig ins Kloster gegangen, ich bin von Angst getrieben Mönch geworden. Und diese Angstgeschichte zieht sich durch sein Leben durch. Und diese Angst hielt ihn auch als Mönch noch im Griff. Vielen Rückblicken beschreibt er das so, Zitat, also war ich gebadet und getauft in meine Möncherei und hatte die rechte Schweissucht. Gott sei Lob, dass ich mich nicht zu Tode geschwitzt habe. Luther hat immer wieder Panikattacken bekommen,

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Schweißausbrüche, wo er in Atemnot geriet, der Herzschlag rast, er in Ohrmacht fiel. Anderes Zitat, ich bin einer derjenigen gewesen, die in diesem Schweiß ja Angst bade, wohl gebadet haben. Seine erste Messe, eigentlich ein großer Auftritt, so der Vater kam nach langen Jahren des Schweigens, der schwierigen Beziehung. Luther beschreibt das im Rückblick so, da ich zum Altar kam und sollte die Einsetzungsworte sagen, die Gebete sprechen ewiger, lebendiger, wahrer Vater, da dachte ich vor dem Altar wegzulaufen und sagte zu meinem Prior, ich fürchte mich so, ich muss vom Altar laufen. Aber er schallt mich und sagte immer fort, fort, weiter. Aber so entsetzte ich mich von diesen Worten. Immer wieder hat er das beim Messehalten erfahren, da wo er im Grunde im Allerheiligsten vor Gott steht, heißt es, Zitat, da brach mir wahrlich der Schweiß aus und das Herz begann mir zu zittern und zu pochen. Manchmal auf einer öffentlichen

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frohen Leichnamensprozession, so stark, dass er ohnmächtig wurde in einer Angstattacke und schnell beiseite gebracht werden musste. Immer wieder solche Angsterfahrungen. Es ist natürlich eine spannende Frage, wie kommt man in so was rein? Habe ich mich auch gefragt. Es gibt manche Fragen, die muss man irgendwann vorläufig so lassen. Um so für Angst ansprechbar zu sein, braucht man natürlich eine bestimmte Sensibilität. Und Luther hatte die mit und das ist nicht jedem so gegeben. Ist nicht so ein Ding, wo man sagen kann, kennen wir das nicht alle? Ne, das kennen wir nicht alle. So sind wir nicht alle. Aber es gibt Menschen, die so angstsensibel sind, die kann das so packen. Man kann auch nicht sagen, es war normal früher. Die waren alle kurz vorm Zusammenklappen und so war Mittelalter. War schlimm. War nicht so. Luther selbst ist der beste Zeuge dafür, weil er sagt, so viele schnarchen vor sich hin in absoluter Sicherheit. Verstehen das gar nicht.

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Es waren nicht alle so. Letztlich kommen wohl drei Dinge zusammen. Das eine ist eine Sensibilität, in so eine Angstkiste rein zu geraten. Das Weite ist schon eine Kultur, die Deutungsmuster vorhält. So also bestimmte Bilder und Symbole, die so gestrickt sind, dass sie Angst auslösen, dass sie Angst anregen, dass sie Angst auch im Laufen halten. Und ja, das gab es. Spätmittelalterliche Frömmigkeit, viele Bilder vom jüngsten Gericht. So Menschen, die stürzen in höllische Fluten hinein, werden gefoltert, werden gequält. Es gab Angstbilder. Nicht alle waren permanent im Panikmodus, aber man konnte immer wieder andocken in dieser Zeit. Wahrscheinlich braucht es noch etwas Drittes. Auslösende Erlebnisse, so Triggererfahrungen, die einen zum ersten Mal

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in Panikmodus bringen. Und das kann man bei Luthers Lebenslauf so ein bisschen nachzeichnen. Er macht mehrere Nahtoderfahrungen als Student. Einmal verletzt er sich auf eine Wanderung schwer, schneidet sich so eine große Ader durch, blutet sehr schwer. Sein Freund läuft weg, um Hilfe zu holen. Luther liegt zwei Stunden auf einem Wegestück und hält sich die Wunde zu, presst sich der Hand drauf. Er sagt im Rückblick, ich wäre an diesem Tag auf Maria gestorben, weil ich diese zwei Stunden lang die Mutter Gottes angeschrien und bestürmt habe, dass sie mich noch einmal am Leben hält. Ich glaube, wenn man so etwas mal erfahren hat, zwei Stunden Todesangst, ist man ein anderer Mensch. Luther hat in seiner Studiumzeit mehrere Freunde verloren, an Krankheit, an Unfällen. Ein, zwei, drei Mal in seiner Nähe hat der Tod zugeschlagen,

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zugegriffen und das Gewitter, so auf diesem Weg, Blitzeinschlag in seiner Nähe war offenbar so ein letzter Schub, wo er wieder einmal in Panik ausbrach und dann diesen Schnittmacht ins Kloster geht. Tod, Krankheit, Lebensende, ja, funktioniert heute noch, macht Angst. Gibt viele Menschen, die sagen, vom Tod habe ich keine Angst, aber wenn die in ihr Zimmer kommen und da liegt eine giftige Schlange auf dem Bett oder so, denken die noch mal anders. Tod macht Angst. Und im Mittelalter war sehr präsent die Todesfrage, eine Gottesfrage, war sehr klar, es geht weiter, aber wie, wie geht es weiter? Und dass es gut weitergeht, war eine Gottesfrage, wie stehe ich mit Gott? Und das war diese Unsicherheit, wie geht es weiter nach dem Tod? Es wird schnell gestorben, aber dann geht es eigentlich erst los, wie geht es dann weiter? Und in dieser Unsicherheit galt das Mönchtum als der

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sichere Weg. Das war die große Verheißung des Mönchtums, eigentlich durch die Taufe sind wir Christen, durch das Sakrament, die Beichte, die Messe sind wir auf einem Weg, so, aber leider, wenn wir ungünstig sterben oder gerade eine schwierige Lebenssituation, Fegefeuer, muss man sich regelmäßig darauf einstellen, Fegefeuer als Hölle auf Zeit. Das war mehr oder weniger für den normalen Bürger etwas, womit er rechnen musste. Und wenn man Folterbilder vor Augen hat, auch auf Zeit nicht gut, so, nicht gut, in siedendem Öl immer wieder, so dass die Haut danach wächst, dass es auch beim nächsten Mal wieder wehtut und so, nicht gut, so. Und Kloster hieß zweite Taufe, im Kloster bin ich noch einmal ganz auf Null, ganz rein, wie noch einmal ein

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neugeborenes Kind und dann in einem Lebenswandel mit täglicher Beichte, täglicher Messe, also als Mönch kann nicht viel schiefgehen, das muss laufen. So, und so hatte Luther das geglaubt und er hatte ungefähr ein Jahr Honeymoon, ein Jahr lief es. Er beschreibt das, das erste Jahr war gut, Frieden, Trost und dann lief es nicht mehr so. Warum lief das nicht mehr so? Luther war, als er ins Kloster kamen, für die anderen Mönche ein dicker Fisch. Das war nicht irgendein, ach, wieder so ein Bruder, Martin heißt er. Nee, das war einer, der hatte ein Studium fertig, vier Jahre die freien Künste, das machten die wenigsten bis zum Ende. Studium im Mittelalter war nicht, man macht Bachelor, Master, man zieht das durch, die meisten kommen auch irgendwo an. Die meisten im Mittelalter

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hieß Studium, man hört sich mal ein, zwei Jahre was an, man macht aber keinen Abschluss. Die wenigsten machen Abschluss, die einen Abschluss machen, das sind die, die richtig was werden wollen. Luther hatte Jura angefangen, war jetzt damals nicht Juristenschwemme, dass man sagt, ja klar, jeder Dorf, jedes Dorf braucht drei Anwälte oder so. Wenn man das machte, war man auf dem Weg in eine absolute Führungsposition. Wenn so einer Mönch wird, ist er für ein Kloster ein richtig dicker Fisch an der Angel. Da haben die sich was drauf eingebildet, so die Augustiner. Insofern war sehr schnell klar, dieser Luther, der soll auch richtig studieren bei uns. Man muss ja nicht Theologie studieren, man konnte ja einfacher Bruder, gab ja immer viel zu tun, aber bei Luther war klar, der hat mehr auf dem Kasten als man bräuchte, bei Weitem, der soll studieren und der soll auch richtig für uns was machen. Er wird früh gefördert von seinem Orden, von Staupitz, dem Ordensoberen,

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macht dort Karriere und wird mit theologischen Studien beschäftigt. Dabei liegt es natürlich nah, sich aus heutiger Sicht mal zu fragen, was hat Luther besonders interessiert in der Theologie? Und das war so meine Grundfrage in der Beschäftigung mit Luther. Was hat Luther eigentlich genau studiert im Blick auf sein Lebensthema, auf den Umgang mit Angst? Und in der Tat bei den frühesten Texten, Vorlesungen und Schriften bei Luther merkt man, er hat sich intensiv damit beschäftigt, wie kann man Angst theologisch verstehen? Wie wird das eingeordnet? Und jetzt versuche ich uns in fünf Minuten nahe zu bringen, was Luther im Laufe der Zeit auch gelernt hat. Es ist mit der Angst in der Bibel schon nicht so ganz einfach, denn es gibt so unterschiedliche Aussagen. Es gibt auf der einen Seite Aussagen wie, die Furcht des Herrn bleibt in Ewigkeit. Also Furcht ist etwas Positives. Es

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gut gehört zum Glauben, absolut ein Teil der Frömmigkeit. Aber es gibt auf der anderen Seite auch die Aussage, die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Also Furcht ist etwas, was eigentlich nicht sich so gehört, was nicht richtig ist, was von der Liebe überwunden wird. Jetzt würden wir heute, schlau wie wir sind, sagen, vielleicht ist es nicht dasselbe, vielleicht ist das eine Ehrfurcht, vielleicht ist das andere Schrecken. Es war für die damals Timor. Es war so eins, ein Wort und es gehört ja irgendwo zum Spektrum. Andere Aussagen, Jesus sagt, fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können. Es gibt also eine Furcht, die man gar nicht haben soll als Christ. Da sagte man, das ist die weltliche Furcht, die Angst vor weltlichem Übel sollen wir gar nicht haben. Da steht Gott vor, da sind wir ganz in seiner Hand und da sollen wir nichts fürchten. Aber dann setzt Jesus Wort und sagt, fürchtet euch aber vor dem, der Leib und Seele töten und in der

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Hölle verderben kann. Vor dem fürchtet euch. Aha, also eine solche Gerichtsfurcht soll irgendwie doch sein. So und jetzt merken wir, es ist ein bisschen schwierig. Man soll sich fürchten, man soll sich nicht fürchten. Manche Furcht ist gut, manche Furcht ist schlecht. Augustin ist immer der Anfang aller Dinge in der Theologiegeschichte her, hat fast alles zusammengeführt, was in der frühchristlichen, altkirchlichen Theologie da war. Im Mittelalter hat man alles entfaltet, was er gedacht hat. Der hat ausführlich über dieses Thema nachgedacht und der hat ein paar grundlegende Unterscheidungen eingeführt. Augustin hat das so versucht zu lösen. Er sagte, es gibt zweierlei Furcht. Es gibt kindliche Furcht. Kindliche Furcht, das ist die Furcht eines Kindes, die Eltern nicht zu verärgern. So, das ist kindliche Furcht und das ist eine gute, reine Furcht. So, die Angst, ich möchte dem anderen

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nicht wehtun. Und das könnte man auch Ehrfurcht nennen, könnte auch sagen Respekt. Und diese Angst ist rein und gut in Ewigkeit, die Furcht Gott ja nicht zu beleidigen. Es ist eine nicht schmerzhafte, nicht unlustvolle Furcht, sondern eine Furcht, die mit der Liebe und mit dem Vertrauen bestehen kann. Und dann gibt es eine andere Furcht, nicht die kindliche Furcht, sondern die Furcht des Knechts. Die Furcht eines Knechts, der Angst hat vor Strafe, der irgendwie ein Glas umhaut und dann denkt, oh, wenn die Herrschaft nach Hause kommt, die Scherben sehen, Stock oder Peitsche. So, knechtische Furcht und der darum immer versucht, alles richtig zu machen. Augustin sagt, es sind zwei grundlegend verschiedene Sorten von Furcht. Und dann, typisch augustinisch, sagt er sowohl als

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auch, einerseits ist es so, dass wir die gute Furcht haben sollen und von der anderen heißt es eigentlich nicht. Die andere Furcht ist es, von der 1. Johannesbrief sagt, die vollkommene Liebe treibt die knechtische Furcht aus. Diese knechtische Angst haben wir so als Sünder, als Menschen, die Gott nicht kennen. Aber im Grunde ist es nicht richtig. So kann Augustin sagen, meistens aber dreht er es anders und sagt, naja, so wie wir sind, getrennt von Gott, ist offenbar der Weg des Glaubens so, dass wir alle erst mal durch knechtische Furcht zum Glauben finden. Aus Angst vor Gottes Gericht, vor der Strafe Gottes, vor der Hölle, lernen wir Gott ernst zu nehmen, bekehren uns. Das ist dieses Nötig, sie hereinzukommen. So, und dann, dann lernen wir Gott zu lieben,

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ihm zu vertrauen und dann verschwindet auch diese knechtische Furcht. Aber diese knechtische Furcht ist nützlich. Durch sie findet eine Gewöhnung an die Gerechtigkeit statt. So, und das ist das Erbe, was Augustin hinterlassen hat. Und nun muss man sagen, das Mittelalter hat das verarbeitet, vereinzeitigt und im Grunde die erste Einsicht Augustins nach und nach vergessen. Also dieses knechtische Furcht ist eigentlich etwas, was gar nicht in der Gottesbeziehung etwas zu suchen hat. Man hat im Mittelalter ganz stark ausgebaut, so eine pädagogische Entwicklung, erst mal Straffurcht, erst mal Gericht und Hölle. Anders kommt man gar nicht zum Glauben. Augustin konnte noch sagen, die wenigsten werden durch Liebe bekehrt, die meisten durch Furcht. Die Besten, die verstehen so,

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die werden von der Liebe Gottes angezogen, den meisten muss man leider Druck machen, sonst tut sich da nichts. Aber nach Augustin allen muss man Druck machen. Ohne Druck kommt überhaupt keiner zum Glauben. Wir brauchen alle ständig diesen Druck, wenn du nicht dann. Und das setzt sich durch und das wird immer grundsätzlicher ausgebaut. Man macht unterschiedliche Formen der Angst. Angst vor weltlichem Leid soll man gar nicht haben. Wer irgendwie sich noch fürchtet vor Krankheit, vor Armut, vor irgendwie, der ist geistlich nicht sehr reif. Da soll man wissen als Christ, der Herz gegeben, der Herz genommen. Vor weltlichen Dingen habe ich keine Angst. Ich fürchte allein den Zorn Gottes. Und dann hieß es, diese Furcht soll nach und nach durchdrungen werden von Liebe, von Vertrauen. Sie soll durch die Gnade umgeformt werden hin zu dieser kindlichen Furcht. Aber im Lauf der Zeit sagt man ja, die kindliche Furcht ist die Furcht des Himmels. Hier auf Erden sind

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wir in einem Umerziehungsprozess und die Gerichtsfurcht ist notwendig. So hat man es gemacht, so hat Luther das kennengelernt. Und jetzt muss man zunächst mal sagen, das ist ein Schema, das leistet ja auch etwas. So es bietet auch etwas, denn es gibt der Erfahrung, vor dem Gericht Gottes zu zittern, einen sinnvollen Ort. Man kriegt eine Deutung angeboten und gesagt, du fürchtest dich vor dem Zorn Gottes? Ja, tue ich. Großartig, denn so geht es los. Wir alle, wir alle kommen daher. Ohne dieses Zittern findet niemand von uns zum Herrn. Und es ist eben etwas, was jetzt absolut dran ist und es entwickelt sich unter der Erziehung zur Gnade und wird mehr und mehr durch Liebe und Vertrauen verwandelt in eine reine Furcht. Also man bekommt eine sinnvolle Deutung für diese Gerichtsangst als eine positive Anfangsgestalt des Glaubens und man bekommt eine

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Perspektive, dass diese Angst okay ist, sie ist in Ordnung und man bekommt eine Entwicklungsperspektive, sie darf sich verwandeln und mehr und mehr ihre beherrschende Stelle im Leben verlieren. So, jetzt die nächsten tausend Jahre sparen wir uns. Die haben immer diskutiert und gemacht, zwischendurch war die Pest, man wurde ein bisschen panischer, dann war das Wetter immer schlecht, viele Missernten, man fragte sich, läuft irgendwas nicht? Man hatte Schisma und Spaltung und Krieg, zwischendurch zwei Päpste, drei Päpste, schlechte Laune, wieder nur ein Druck, Geld, so, Leben ist immer schwer. Und das wirkt manchmal zurück auf die Theologie und schafft da neue Herausforderungen. Im Spätmittelalter ist es reichlich kompliziert, sind verschiedene Schulen da und Luther hat zwei verschiedene theologische Schulen besonders intensiv kennengelernt in seinem Heimatkloster durch Seelsorger, durch Lehrer, die er hatte, es gab viel mehr, aber zwei sind wichtig

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und die haben versucht auf das Thema Angst und Gerichtsfurcht Antworten zu geben, aber sie gaben völlig Gegensätzliche. Das ist ja entweder herausfordernd, man reift daran, aber es ist oder auch ein bisschen schwierig, weil es verwirrt. Und Luther wurde erstmal damit richtig in Verwirrung gestürzt, wie denn jetzt? Es gab die einen, die sagten das so und das mit der Angst, das ist echt ein Problem, so und im Grunde ist es ja so, man sollte dann reifen und wachsen hin zur Gnade und zu Liebe, aber es ist gar nicht so einfach sich dabei zuzusehen, wie man wächst. Es gab eine Diagnose im Mittelalter, die hieß Skrupulositas, verstehen wir heute noch, Skrupellhaftigkeit und das haben die erlebt, wenn man so den ganzen Tag im Kloster und sieben Gottesdienste am Tag, jeden

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Tag beichte, jeden Tag Fragen, wie war ich, so jede Woche öffentliche beichte, so vor den anderen Brüdern sagen, so und so habe ich, so und wenn einem nichts mehr einfiel, war die Regel, dass einer dann sagen durfte, der Bruder möge bedenken, dass er bei der Mittwochsandacht sehr schläfrig wirkte, so und dann, oh ja, das tut mir auch sehr leid, so also es gab verschiedene Verfahren, dass man Skrupellhaft werden konnte, denn beichte war ja großartiges Angebot, sag das, was dich bedrückt und der Herr befreit dich, so und man hat aber immer dann so im Moment nach der beichte, die Frage war das, das alles, habe ich irgendwas übersehen, habe ich mich getäuscht oder so und die merken, die Seelsorger, oh manche, die kippen uns weg, die werden so skrupellhaft und da hatte man sich dann folgendes überlegt, dass man so einen Wettbewerb an Ermäßigungsangeboten machte,

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also irgendwann begann dann da der Sommerschlussverkauf der Gnade und sie sagen im Grunde, du musst bereuen, es muss dir wehtun, du musst Angst vor dem Gericht haben, das ist eigentlich beichte, aber wenn du nicht wirklich bereust, dann sag wenigstens, dass dir es leid tut, dass du nicht bereust, wenn es dir nicht mal leid tut, dass es dir nicht leid tut, dann sag einfach so, dass du schuldig bist und wenn du das auch nicht wirklich glaubst, tu so als ob, vielleicht glaubst du es morgen wieder. Man wird da immer großzügiger so und das war ein Angebot, was manche so und das war gut gemeint, die sagten, wir haben so Skrupulanten, die drehen uns durch, wir müssen entgegenkommen und Luther ist an so Beichvätern geraten, in einer frühen Vorlesung beschreibt er, was die zu ihm gesagt haben. Luther kam und er hat da viele Dauer gestresst, er konnte stundenlang beichten und kaum war er fertig, kam mal zurück, sagt, ich hab was vergessen, Hilfe und war wieder

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dran und er hat irgendeinen Beichvater, den zitierte er in einer Vorlesung, der hat ihm dann gesagt, als Luther wiederkam, so ein Wehlaut, warum bist du denn so sehr erschüttert über dich, das ist doch nicht nötig, du bist doch demütig, du bist doch geduldig. Glaubst du denn, dass Gott dich derart streng erforschen wird? Er weiß doch, dass du Staub bist. Gott ist doch gütig, ein Seufzer genügt ihm schon. Denkst du denn, dass niemand gerettet wird, der nicht so streng mit sich verfährt wie du? Wo soll denn da die große Menge derer bleiben, in denen du keine Anstrengung siehst? Das sei doch fern, dass die alle verloren gehen. Man muss mal Mäßigung bewahren. So, so haben die geredet und das hat bei Luther überhaupt nicht funktioniert. So, weil er sagte, ja wir können den lieben Gott einen alten Mann sein lassen, aber stimmt's, trägt das. Und Luthers Erfahrung war in seinen Panikattacken,

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dass es nicht trägt, so zu sagen, der wird doch jetzt nicht so. Das funktionierte bei ihm nicht. Hatten bestimmten Maß von Erschütterung, haut es offenbar nicht mehr hin, zu sagen, so alles gut, jetzt beruhige ich mich mal wieder selbst. Darum war Luther auf einem anderen Trip, sein Orden hatte gewisser Hinsicht eine Spaltung, da gab es die traditionellen, normalen und dann gab es einen Reformzweig, die die zurück wollten zur alten Strenge des Ordens. Luther war in diesem Reformzweig, er war bei den Harten. Es ist also nicht so wie in vielen Rally-Büchern, wo es immer so heißt, katholische Kirche war streng, zorniger Gott, die sagte, du musst irgendwie dir den Himmel verdienen und Luther hat dann entdeckt, dass Gott eigentlich ein prima girl ist. Der sagt, brauchst du gar nicht, ich schenk dir alles. Vielleicht ist das für erste Klasse in Ordnung, ist aber Quatsch, das ist ganz falsch. Also Luther war nicht konfrontiert mit strenger, harter, anspruchsvoller Religion, zerbrach

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daran und hat dann irgendwie einen leichten, lustigen, milden Weg gesucht, sondern er hatte sehr milde, freundliche, liebe Angebote und sagt, das ist es nicht und er war bei den Hardlinern. Das war seine mönchische Vorgeschichte und er wollte Gottes Anspruch, Gottes Forderung ernst nehmen und er hielt sich an die Schultradition, die nicht die Ansprüche ermäßigt hat, sondern die gesagt hat, wir müssen ganz die Gnade Gottes in uns zur Wirkung kommen lassen. Es war nie im Mittelalter das Ding, wir müssen uns den Himmel verdienen. Es war nie der Punkt, wir müssen durch Werke gerettet werden. Das war sowieso klar, dass man durch Gnade gerettet wird. Die Gnade hat man in der Taufe, so haben wir alle schon in der Taufe bekommen und jetzt gilt es die Gnade zu halten, zu bewehren, dadurch, dass wir in der Taufe im Sakrament leben, aber schlicht auch der Gnade

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Raum geben. Das können wir nicht von uns aus, aber durch die Gnade können wir das. Das war der Punkt, ging nicht darum in die Gnade reinzukommen, aber die Gnade zu bewahren. Da konnte man aber viel Druck reinbringen. So funktionierte das bei Luther und bei diesem Folgedruck, da kam er immer wieder in diese Krise hinein. Reicht's denn? In dieser Schule sagte man auch, du musst nicht vollkommen sein, du musst nicht wie Jesus, keiner kann das. Nein, es hieß schon, gibt der Gnade Raum, lass die Liebe Gottes in dir herrschen, du hast den Geist, du bist getauft, du hast das Sakrament. Es genügt aber, wenn du alles tust, was du vermagst. Gott erwartet nicht Vollkommenheit von dir, er erwartet von dir nur, dass du alles tust, was du kannst. Für alles andere ist Christus

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gestorben und wird dich mit seiner Gnade umhüllen. So, und das klingt ja gut, hat aber auch ein Problem, wann ist alles alles? Kann ja jeder von uns mal probieren, so ein Deal, du musst ja keine 100 Liegestütze schaffen, aber nur alle, die du kannst, dass du die mal machst, dann bist du gerettet. Und dann hat man vielleicht 30 oder 50 geschafft und hört auf und dann die harte, ehrliche Frage, waren das alle oder wäre noch einer mehr gegangen? Du hast dir wirklich alles gebracht, alles gezeigt, nicht alles was möglich ist, aber alles was du kannst. In den frühen Vorlesungen arbeitet sich Luther an dieser Frage ab und er wird an ihr wund, weil er merkt, dieses alles soll trösten, soll eine Grenze sein, du sollst nicht Vollkommen sein, du sollst nur alles, was du vermagst, aber dieses alles kann nun endlich werden. Es kann mich mit dieser Frage

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quälen bis in die verzweifelten Nächte hinein, dass es nie genug war. Und Luther bringt diese Erfahrung auf ein Sprichwort, das Sprichwort lautet so, wer sich vor der Hölle fürchtet, der kommt hinein. Wenn dich diese Frage gepackt hat, war das alles, dann wirst du die nicht mehr los. Wenn die Angst dich am Schlawittchen gepackt hat, dann kannst du sie nicht mehr abschütteln, wenn du so eine Bedingung hast, die dich immer im Griff hat, alles genügt ja. Luther kann das so formulieren, die Konditio, die Bedingung, die richtet alles Unglück an. Und wenn deine Gottesbeziehung an einer letzten Bedingung hängt und sei es eine kleine und sei es eine geringe

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Bedingung, sei es noch so ermäßigt, aber es ist eine Bedingung, dann kannst du in dieser Bedingung ertrinken. Dann kannst du da um den Verstand kommen, dann wirst du von dieser Angst getrieben, immer weiter reingedrängt in die Verzweiflung, vielleicht war es nicht alles, vielleicht hätte ich noch ein bisschen mehr, vielleicht wäre da noch ein bisschen mehr gegangen. Die erste Entdeckung, die Luther in dieser Zeit macht, ist die, dass diese Frömmigkeit, die von Angst getrieben wird, eine Frömmigkeit, in der Angst instrumentalisiert wird, wo Höllenfurcht eine positive Bedeutung kommt. Knechtische Furcht ist nicht die Furcht des Himmels, aber sie ist jetzt schlicht die Peitsche, die du brauchst. Eine erste Entdeckung war, dass eine solche Frömmigkeit tief krank ist, vergiftet ist, letztlich in Verzweiflung treibt, wenn man sie ernst nimmt. Und das ist ein

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grundlegender Einschnitt in der Christentumsgeschichte. Von Augustin an haben alle immer wieder das betont, wie Augustin ja schon auch, Höllenfurcht ist nicht für die Ewigkeit, aber ohne Peitsche funktioniert es nicht. Kein Glaube ohne dieses Knüppel aus dem Sack. Wir funktionieren sonst nicht. Wir brauchen den Druck, wir müssen die Peitsche hören, doch das ist unverzichtbar, dass Glaube in die Gänge kommt. Und Luther ist der erste Theologe der Christentumsgeschichte, der an der Stelle radikal Nein sagt und sagt dieser timor serviles, diese knächtische Angst, ist keine Hilfe im Glauben, sondern eine Hilfe zur Verzweiflung. Das ist nichts, was uns zu Gott treibt, sondern es ist etwas, was uns in uns selbst festnagelt. Diese knächtische Angst macht

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uns nicht gläubig. Sie hält uns in Selbstsucht gefangen. Sie treibt uns in selbstische Angst. Und sie verdirbt unseren Glauben und sie verdirbt auch unsere Ethik. Und das ist etwas, wo der junge Luther, der vorreformatorische Luther auch sagt, Gottes Forderungen zielen nicht darauf ab, dass sie nur getan werden. Gott sagt nicht tu so, sondern er sagt vor allem Liebe. Liebe Gott und liebe deinem Nächsten und dann handle in der Liebe. Und du kannst nicht lieben aus Angst heraus. Es funktioniert nicht. Eine angstgetriebene Moral, eine angstgetriebene Frömmigkeit ist wertlos. Und Luther kann das radikal zu Ende denken. Zitat, er sagt, wenn die Menschen Gutes täten,

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um das Reich Gottes zu erlangen, dann würden sie es niemals erlangen. Sie würden vielmehr zu den Gottlosen gehören, die mit nichtsnutzigen und gewinnsüchtigen Augen das Ihre suchen, auch bei Gott. Die Kinder Gottes aber tun mit uneigennützigen Willen das Gute. Sie suchen keinen Lohn, sondern allein die Ehre und den Willen Gottes. Sie sind bereit, das Gute zu tun, selbst wenn es weder Himmel noch Hölle gäbe. Er fügt hinzu, was unmöglich ist, aber er haut das so raus. Das ist vorreformatorisch und ich nenne das frühreformatorische Einsicht. Frühreformatorische Einsicht, die ein radikaler Bruch ist. Und ich würde behaupten, wäre Luther gestorben vor den 95 Thesen, vor der Entdeckung des Evangeliums, vor dem Wormster Reichstag. Er hätte deswegen

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schon ein 500. Jubiläum verdient. Weil das eine ungeheure Einsicht ist. Angst getriebene Frömmigkeit ist vergiftet. Angst getriebene Moral ist wertlos. Es gibt Menschen, die heute noch sagen, habe ich mal erlebt, eine Frau, die sagte, ja klar, man könnte in sexualethischen Fragen sich ja auch mal eine großzügige Meinung gönnen, bisschen mehr Barmherzigkeit. Aber ich habe da Angst wegen so paar Bibelstellen. Ich bleibe mal lieber auf der sicheren Seite. Geh mal lieber auf Nummer sicher, halt das fest. Das und das ist Sünde, weil will ja nicht verloren gehen. Gehe ich lieber auf Nummer sicher und bleibe dabei. Das gibt es noch. Von Luther her hätte ich da eine ganz schlechte Nachricht. Das

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ist nicht die sichere Seite. Das ist nicht Nummer sicher. Das ist voll daneben. So, wenn die Menschen Gutes täten, um das Reich zu erlangen, würden sie es niemals erlangen. Wenn Menschen irgendetwas tun oder irgendetwas denken oder irgendwelche Meinung festhalten, weil sie glauben, damit auf Nummer sicher zu gehen, dann gehen sie vorbei an dem, was wirklich gut ist, an dem, was wirklich Liebe Gottes und Liebe zum Nächsten ist. Und diese Kritik dieser falschen Angst in der Frömmigkeit ist einer der grundlegendsten Einsichten, die der frühe Luther entwickelt. Seinen weiteren Weg fasse ich jetzt sehr kurz. Wir haben viel gehört bereits in diesen Tagen. Es ist bekannt, darum jetzt so ein bisschen im Klickverfahren die wichtigsten Stationen. Luther merkt, was nicht funktioniert. Das ist ihm

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irgendwann sicher. Seelsorger Staupitz und andere beißen sich an seinen Krisen so ein bisschen die Zähne aus. Staupitz sagt irgendwann, du ich verstehe dich nicht, ich kann dir nicht helfen, aber was ich dir sagen kann, halt dich an diesem Jesus, halt an Jesus fest und warte auf sein Erbarmen. Und ich weiß, dass Jesus ein Barmherziger ist. Bleib bei ihm. Und Luther versuchte das. Er las die Bibel, er las die Psalmen, er legte sie immer wieder aus und er las sie unter Anweisung seines Seelsorger Staupitz so, dass er sagte, die Psalmen sind Gebete Christi. Und dann entdeckte Luther in den Psalmen die Klagen, wo die Beter sagen, Herr, ich habe Angst, mir steht das Wasser bis zur Kehle. Wo bist du? Ich bin verzweifelt und allein. Ich schreie um Hilfe, aber niemand ist da. Und Luther fand

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sich in diesen Worten. Und auch das könnte man sagen, kaum jemand, vielleicht niemand hat vor Luther so sehr die Klage entdeckt. Die Klage vor Gott, die Verzweiflung, den Schrei um Hilfe. Luther hat ganz ausführlich diese Stellen ausgelegt, viel stärker als alle anderen, die dann immer ruckzuck sagten, wir sollen Gott loben und danken für all seine Gnade und Güte. Und Luther blieb ganz lange bei diesen Verzweiflungssalmen, dem, was er später Anfechtung nannte. Und dann brachte er das zusammen und sagte, hoppla, das sind doch Gebete Christi. Jesus betet doch am Kreuz den 22. Psalm. Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Das heißt, wenn ich meine Angst vor Gott rausschreie, dann bin ich in meiner Angst nicht von Gott getrennt. Dann darf ich mit meiner Angst vor Gott sein. Und das war für

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Luther eine weitere neue Entdeckung. Denn das Problem war ja, die alten Angebote konnten sagen, Höllenangst ist super, geht gar nicht ohne. Und muss natürlich jetzt weiterkommen. Also du solltest im Laufe der Zeit in der Liebe wachsen. Und dass das nicht so hinhaut, das ist das Problem. So, dass bei der Selbstbeobachtung er immer wieder absolute Zusammenbrüche hatte, Verzweiflungsteufelskreise der Gedanken, dass er Schweißausbrüche bekam. Da dachten die irgendwann, du, das ist, du musst mal ausgespitzt haben, du musst da rauskommen. Du bist jahrelang Christ täglich beichte. Was ist los mit dir? Bis hin zu so Horrorgedanken, die Gnade funktioniert bei mir nicht. Bin ich etwa

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einer von denen, die Gott verworfen hat? Bin ich irgendwie einer, der von Gott geschaffen ist, als Zeichen des Unhalts, als einer, der nicht dabei sein soll, weil es nicht funktioniert? Und wieder ein neuer Teufelskreis. Und dann die Erfahrung zu machen, die Angst, die Panik trennt mich nicht vor Gott, sondern kann und darf sein, war für diesen frühen Luther eine ungeheure Entdeckung. In einer anderen frühen Vorlesung, Römerbrief 1515, auch lange vor dem Sola Fidei, vor der vollständigen Rechtfertigungslehre, hat Luther eine ungeheure Passage. Da geht es um etwas, wir würden das Zwangsgedanken nennen. Und das war etwas, wo die Seelsorgeanleitung voll von waren. Das war offensichtlich ein Phänomen. Mönche, die den ganzen Tag über Gott nachdenken sollten,

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bekamen manchmal so Stress. Alles zum Beispiel hieß, du sollst Gott nicht lästern, du sollst seinen Namen nicht missbrauchen, keine Lästergedanken. Jetzt kennen wir alle das Phänomen, wenn ich sage, jetzt denkt, was ihr wollt, aber nicht an grüne Elefanten. Kriegen wir Probleme. Und das haben die damals auch irgendwie gemerkt. Wenn man weiß, nicht lästern, schwierig. Es ist genauso wie die Anweisung bei der Messe, trittst du vor dem allmächtigen Gott. Und jetzt musst du jedes Wort sprechen im Bewusstsein, dass Gott gegenwärtig ist. Du darfst dabei nicht abgelenkt sein. Das ist nicht so gut, der Tipp. Weil man sich immer fragen kann, ich darf nicht abgelenkt sein, scheiße, jetzt bin ich schon. So, das ist schwierig. Auf keinen Fall abgelenkt sein. Also mit Zwangsgedanken gab es Anleitung für. Und Luther setzt da aber richtig ein drauf. Er

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beschreibt das hier so. Selbst wenn jemand unter dem übermächtigen Druck der Anfechtung lästerte, er ging um dessen Willen nicht zugrunde. Denn unser Gott ist nicht ein Gott der Ungeduld und der Grausamkeit auch nicht den Gottliessung gegenüber. Das sage ich denen zum Trost, die beständig von Gottes lästerlichen Gedanken gequält werden. Klammer auf, wir wissen aus späteren Rückblicken, dass Luther hier zu sich redet. Er sagt zu sich im Rückblick, ich liebte diesen Gott nicht, ich hasste ihn. So, aber hier sagt er es für andere. Das ist ja immer schon mal gut. Das sage ich denen zum Trost, die von Gottes lästerlichen Gedanken gequält werden und sich allzu sehr ängstigen, obgleich solche Gotteslästerung, weil sie gewaltsam vom Teufel

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Menschen wieder ihren Willen abgepresst sind, bisweilen willkommener klingen in Gottes Ohr als selbst das Halleluja oder irgendein Jubellied. Das hört man in vielen Gemeinden nicht oft, oder? Dass in Gottes Ohren Lästerung Gottes, Fluch Gottes, Gottesbeschimpfung lieblicher klingen kann als Lobpreis, als Halleluja, hört man heute noch nicht oft. Aber Luther haut das hier raus. Er sagt, unser Gott ist kein grausamer Gott, sondern ein Barmherziger, denn er sieht, dass es dir abgepresst wird. Und jetzt kommt so ein bisschen der Kniff dabei. Je grausiger und scheuslicher eine Gotteslästerung ist, umso willkommener ist sie Gott. Wenn das Herz dabei fühlt, dass es diese Gotteslästerung nicht will, weil es sie nicht aus dem Herzen hervorholt. Das Zeichen dafür,

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dass diese Gotteslästerung nicht von Herzen gewollt ist, ist, dass derjenige in zitternder Angst schwebt und erschrocken ist, dass er so etwas getan hat. Und das ist eine psychologische Revolution. Denn in der Gotteslästerung, wo du voller Schrecken und Entsetzen dich fragst, was habe ich getan? Ist diese Angst im Grunde ein Zeichen, dass du auf dem Weg nach ganz unten bist? Und wenn du das merkst, geht es noch schneller. Aber wenn du in der Situation sagen kannst, meine Angst ist kein Zeichen, dass ich von Gott getrennt bin, sondern meine Angst, mein Zittern, meine Verzweiflung ist ein Heilszeichen, ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, dass ich angefochten bin, dass ich durchgerüttelt und durchgeschüttelt bin und dass ich Angst habe, zeigt, dass Gott mich festhält. Weil es ja eine Angst vorm Bösen ist. Und weil ich vor diesem

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Bösen Angst habe, spüre ich an meiner Angst, wie Gott mich festhält. Dann wird mir meine Angst zum Trost. Und das ist der Weg, wie der junge Luther, der frühreformatorische Luther gelernt hat, seine Angst anders zu deuten, anders zu bewerten. Nicht mehr als Teil eines Teufelskreises, sondern als Heilszeichen. Und das treibt er dann sehr radikal. In dieser Zeit, sagt Luther, der Sichere, der Furchtlose, der Stolze, das ist der Gottlose. Der, der sicher ist in seine Frömmigkeit, der, der glaubt, dass alles in Ordnung ist, der hat nichts verstanden. Der Erschrockene, der Zerschlagene, der von Ängsten Gepeinigte, das ist der, bei dem Gott ist. Die Elenden und Zerschlagenden, die Armen,

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die Niedrigen, die geistlich Armen. Das ist das Zeichen des Heils. Und frühreformatorische Theologie heißt bei Luther, die wahren Christen werden ihrem Herrn gleich gestaltet. Gott führt sie hinein in die Finsternis des Kreuzes, in die Angst von Gethsemane, in das Zittern und Zaken. Und sie finden zu ihrem Herrn Durchfurcht und Zittern, so wie Jesus durch Kreuz und Leiden verherrlicht wurde. Glauben heißt mit Christus leiden, mit Christus Angst haben. Glauben heißt Zittern und Ungewisssein, das sind die wahren Kinder Gottes. Das ist eine frühreformatorische Theologie, eine Theologie voller Christus und eine Theologie voller Gnade, die Gnade allein. Es ist eine Theologie ohne

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Evangelium und ohne Sola Fidei. Das ist nicht da in dieser Zeit. Aber mit dieser frühreformatorischen Theologie beginnt Luther den Kampf gegen den Ablass. Warum? Der Ablass ist ja super gut gemeint. Der Ablass war ja für die, die nach allem beichten, nach aller Reue, nach allem immer so fragten, reicht es? So und dann zu hören, du es reicht und der Heilige Vater in Rom, überleg mal wie barmherzig der ist, sagt dir und wenn du noch unsicher bist, dass vielleicht eine Restzeit Fegefeuer, wir haben das so im Kasten und eine kleine Geldzahlung und sozial gestaffelt, jeder kann sich das leisten, wenig für die Armen, viel für die Reichen und du tust ein gutes Werk, du baust den Petersdom mit, wo der Heilige Vater Gott anbietet. Ist das nicht großartig? Du bist Teil

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dieses wunderbaren Werks und kriegst es schwarz auf weiß. Du bist begnadigt, du hast gezahlt, was gefehlt haben möge, sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt und das Beste kommt noch für deinen toten Papa und deine tote Oma auch. Das war ja ein Gnadenfeuerwerk, das war ja großartig. So und für Luther war das entsetzlich, weil er sagte, hier wird eine falsche Frömmigkeit bedient. Luther sagte, der wahre Gläubige will gar nicht die Strafe vermeiden. Wahrer Glaube ist doch nicht, zahl ich halt was, spare ich mir die Strafe. Wahrer Glaube liebt die Strafe und der wahre Gläubige geht gerne ins Fegefeuer und lobt und

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ehrt Gott dadurch, dass er alles willig leidet. Dieser Luther kann zu sagen, und wenn es Gottes guter Wille ist, dass ich in die Hölle komme, dann will ich ihm auch darin Recht geben. Und wenn ich Gott in der Hölle Recht gebe und ihn lobe dafür, dass er mich verdammt, dann bin ich selbst da von Gott ungeschieden und mit Gott versöhnt in meinem Willen, dass ich ihm Recht gebe. So ist wahrer Glaube. Und darum war für ihn der Ablass nicht zu streng, sondern zu lax. War zu lax einfach. So wahrer Glaube liebt die Strafe und nimmt alles aus Gottes Hand an, was Gott verfügt. In der Folgezeit, und das ist bekannt, kriegt Luther richtig Stress mit seiner Ablasskritik.

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Er wird anders gefordert, schlicht zu sagen, kann ich für das, was ich vertreten habe, den Kopf hinhalten, bin ich dafür bereit zu brennen? Das muss er sich fragen, das muss er sich für seine Anhänger fragen, bin ich bereit dafür zu brennen, für das, was ich sage? Das heißt, er wird ganz anders mit einer Gewissheitsfrage konfrontiert und in dieser Konfrontation bin ich gewiss genug, mein ganzes Leben dafür zu wagen, geht Luther nochmal ganz neu über alles hinweg. Und die reife reformatorische Theologie macht jetzt etwas auseinander, was ineinander lag. In der frühere reformatorischen liegen die Gnade Gottes und das Selbstgericht der Glaube und die Angst in eins. Es ist im Grunde Gericht und Gnade in Christus eng verbunden. 1518 sagt Luther so, diese Erfahrung von Gericht, von Angst und Schrecken, das ist Gesetz, es ist Sündenerkenntnis.

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Und wenn ich dann Gottes Vergebung höre, Gottes Gnade höre, den Freispruch, dir sind deine Sünden vergeben und spüre, dass dieses Wort mich ergreift, mich packt, ich von Vertrauen erfüllt werde und das Glaube, dann bin ich gerettet durch dieses Wort allein im Glauben allein. Das ist Sola Fidei und nun sind Gesetz und Evangelium zweierlei, gehört eng zusammen, aber es wird deutlich unterschieden, denn nun ist Glaube Gewissheit. Vorher war Glaube Ungewissheit, er musste ungewiss sein, die sicheren sind ja die Stolzen und die Falschen und in dem Moment, wo Luther absolute Gewissheit braucht, kann ich das gegen Rom vertreten, reife Rechtfertigung, Glaube allein, Glaube ist Heilsgewissheit und darum überwindet solcher Glaube auch alle Angst,

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so wie das Evangelium vom Schrecken des Gesetzes tröstet. So, jetzt könnte man sagen, das war schon mal was, Angst bei Luther, ich finde es immer noch interessant, auch nach vielen Jahren, man könnte jetzt sagen, ja war doch schön, hören wir auf, aber wir sind hier bei Worthaus, da würde ich sagen, wir haben Zeit, ich möchte versuchen noch einen drauf zu legen und das Thema jetzt noch mal ein bisschen schwieriger machen, indem wir schauen, was wird aus dieser Einsicht im Lebenslauf Luthers, haben das ja genannt hier ein Lebensthema Luthers. Es ist mit Luther so, dass er 1518 und die Folgejahre wie in einem Rausch seine Sprache findet, sein Evangelium findet, seine Rechtfertigungslehre, er hat gute Jahre, wo er auch sagen wir mal anfallsfrei lebt, er ist

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selbstbewusst, er ist aktiv, er heiratet, er kriegt Kinder, er zeigt klare Kante, die Dinge laufen und dann geht es irgendwann nicht mehr so rund. Es kommt interne Spannung, Spaltung, Bauernkrieg und das ist eine ziemliche Katastrophe. Luther wird gesundheitlich durchgeschüttelt, 1527, die Ärzte sagen wahrscheinlich Menierschüss-Syndrom, eine Krankheit, wo er Schwindelanfälle bekommt, Rauschen, Schießen, Knallen, Zischen im Kopf, immer wieder etwas, was mit neuer Panik einhergeht, erste mal glaubt er der Satan persönlich, packt ihn körperlich an, schlägt ihn, wirft ihm zu Boden, konnte ja nicht irgendwie googeln und sagen, ich glaube ich habe Meniersches Syndrom, schwierig 1527 so, ne, das harte Sache und das wird er nie so ganz los. Weitere Sachen, Nierensteine,

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Gallensteine und da gibt es so scheußliche Beschreibung für, was man da mit Luther versucht hat und wie er Nierensteine auch los wird, das will man nicht ein zweites Mal lesen, wenn man sich da ein bisschen umgeguckt, was er hatte. Üble Sachen, er kriegt erhebliche schübe Melancholie, depressive Verstimmung, erhebliche innere Anfechtung, dass er Europa teilweise in Flammen aufgehen sieht, Spaltung im eigenen Lager, Täufer, in der Schweiz sind sie nicht mehr dabei, intern permanent gegen Reformationen, setzt hier und da an, Freunde, Anhänger werden öffentlich verbrannt, so ungeheuer schwerwiegende Erschütterung und für ihn die Frage, was ist denn, wenn ich dazu beigetragen habe, wenn mir irgendwann Gott oder der Satan zeigt, was aus meinem Wirken wurde und ich all diese

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Leichen berge und all die Verzweiflung und die Not nochmal sehe und dann höre und du bist schuld daran, wie stehe ich dann da? So, also er wird durchgeschüttelt und durchgerüttelt und vieles aus seiner Frühzeit kehrt wieder. Er nennt das in seiner Spätzeit Anfechtung. Das wird einer der Hauptthemen seiner späten Theologie. Ich möchte jetzt auf ein Thema eingehen, das ist jetzt etwas spezieller, aber warum mal nicht. Es gibt einen Streit, der zieht sich über fast 20 Jahren in seinem Lebens, der sogenannte Antinoma-Streit. Während vielleicht nur die Experten mal gehört haben. Antinoma-Streit war etwas, was in den 20er Jahren begonnen hat. Ein Theologe, Agrikula fing damit an, andere ließen sich darauf ein. Es gab Leute in Luthers Umkreis,

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die sagten jawohl, Evangelium, Rechtfertigung, super und habe ich doch richtig verstanden, das heißt, wir glauben an die Gnade Gottes, an das Evangelium, das ist alles so und wir brauchen doch jetzt im Grunde nicht mehr das Gesetz, was uns mit der Hölle bedroht, was Strafe ankündigt. Wir brauchen doch jetzt gar nicht mehr so die Peitsche, den Knüppel aus dem Sack, den Druck. Wir leben vom Evangelium her. Das Gesetz ist auf dem Rathaus gut, zehn Gebote, haben noch nie geschadet, aber wir leben mit Jesus, wir leben im Evangelium, wir leben in der Liebe, Sünde, klar, wir erkennen, dass wir zurückbleiben, wenn wir auf Jesus schauen. So, da sehen wir an Jesus, wir bleiben zurück, das ist wichtig, aber das Evangelium allein, Jesus allein bringt uns doch dann immer auf den Weg. Klingt jetzt erstmal nicht dämlich und ich hätte so ein bisschen das Gefühl,

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wenn man das mal so vorstellt, würden 90 Prozent aller Protestanten sagen, ja super, genau, was sollen wir jetzt hier ab und zu nochmal Donnerwetter, Gericht und Hölle machen wir ja gar nicht mehr und so. Eigentlich sind gute Leute, wann haben die 500. Jubiläum, dass wir das auch richtig feiern, das ist ja schön. Luther fand das furchtbar. Er fand das entsetzlich, er jielt das für einen völligen Irrweg und er ist da in Rage geraten und er fing immer wieder an und konnte sich nicht beruhigen. Das ist im Detail jetzt auch ein bisschen unerfreulich und ich sage heute Nachmittag ja noch was über die Juden und es gibt auch wirklich Unerfreuliches bei Luther. Ich bleibe heute Vormittag mal bei dem, wo er meines Erachtens wirklich was hatte, was Wesentliches erwischt hatte, was er festhielt. Luther sagte so, wenn wir nur noch Gott als den Lieben verkünden, nur noch ein Liebe Gottes Evangelium, nur noch einen gnädigen Gott haben, dann haben wir ein Schönwetter

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Christentum. Das klingt gut und damit kommt man auch zurecht so, aber in den großen Krisen unseres Lebens trägt das nicht. Es wird keinen Bestand haben, wir werden damit scheitern. Zu unserem Leben gehören solche Phasen, der angefochten hat, wo wir in uns selbst spüren, dass wir mit Gott nicht klar sind, wo wir über uns selbst erschrecken, wo wir an uns selbst verzweifeln und zu unserem Leben mit Gott gehören auch Phasen, wo wir Gott nicht mehr erfahren, wo Gott fern ist, wo sich der Himmel verfinstert, wo ein riesiges Schweigen das einzige ist, was wir mit Gott nur noch verbinden. Und was machen wir dann, wenn alles was wir kennen ein Schönwetter Evangelium ist mit einem lieben

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Gott, wo alle sagen, auch bei mir ist er lieb, mir funktioniert noch, keine Probleme mit. Das ist der Punkt, wo Luther sagt, das ist Gesetz. Und es ist ein bisschen verwirrend, weil normal denkt man, Gesetz ist zehn Gebote, ist Moral, tu dies, lass das, ist es auch. Für Luther ist Gesetz aber mehr und vor allem ist es diese Erfahrungsdimension, diese Erfahrung der Krise, der Anklage, der Erschütterung, aber auch der Gottesferne, der Verborgenheit Gottes. Und Luther ringt damit, er versucht das zu erklären, seine Gegner treiben ihn damit zu Weißglut, dass sie sagen, ja aber Luther guck mal hier deine frühen Schriften, da bist du Evangelium, Gnade, Liebe, das ist doch super, deine frühen Schriften.

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So, das ist doch, was du jetzt sagst, Gericht, Ferne Gottes, Gesetz, Zorn, ist das nicht ein Rückfall in überwundene Einsichten. Und Luther macht da ganz interessante Beobachtung, er sagt, damals vor 25 Jahren war es eine andere Welt. Viele waren erschrocken über ihre Sünde und viele kämpften in der Beichte und wussten nicht weiter. Und damals konnten wir die Liebe allein, die Gnade allein, Christus allein als den süßen Herrn verkünden, weil der Schrecken uns in den Gliedern steckte. Und wenn wir dasselbe heute so sagen würden, wo viele nicht die Frage haben, nicht den Hunger, nicht die Sehnsucht, dann ist das, was damals wahr gewesen ist, heute unwahr. Das ist eine ganz wesentliche, tiefe Einsicht in der modernen Theologie vielfach wieder entdeckt. Paar hundert Jahre lang

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hat das keinen gestört. Dietrich Bonhoeffer konnte das so sagen, eine Erkenntnis ist nicht wahr, unabhängig von der Existenz, innerhalb der sie gewonnen wurde. Eine Einsicht, eine These, eine Lehre ist niemals an sich wahr, sondern immer vor einem bestimmten Hintergrund, immer im Blick auf eine bestimmte Frage. Die Theologen, Paul Tillich, da großen Wert darauf gelegt, Wahrheit ist nicht an sich Wahrheit, sondern immer als Antwort auf eine bestimmte Frage. Und wenn die Frage nicht da ist, kannst du nicht die Antwort wiederholen und sagen, bleibt wahr. Das funktioniert so nicht. Luther beschreibt das genauso. Die Wahrheit ist nicht immer gleich. Sie muss sich ausrichten an der jeweiligen Situation. Luther hat das mit dem Gesetzesbegriff wahrscheinlich etwas unglücklich

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und etwas vertrackt und etwas zu dicht zusammengeballt. Darum sind viele dieser Einsichten seiner Antinomer-Disputationen heute oft kaum bekannt, oft kaum verfügbar. Ich möchte in den letzten Minuten, wofür habe ich noch, mal versuchen mit einem anderen Marburger Theologen, das in anderer Sprache zu sagen, ohne Gesetz, ohne diese altfränkischen Begriffe des 16. Jahrhunderts. Ich finde, der Marburger Theologe Rudolf Otto, der ist nicht so bekannt, wie er es verdient hätte, weil der, finde ich, ein genialer Pionier ist in einer moderne Epoche, wo wir manches neu sagen müssen, um es wirklich noch so verstehen zu können, wie es mal gemeint war. Rudolf Otto war Luther-Forscher, er wollte aber auch wirklich in dieser klassischen Moderne der Weimarer Zeit neu sagen, wie wir das begreifen können. Und er hat versucht Grundeinsichten Luthers noch einmal

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neu aufzudröseln. Und das, was Luther so beschreibt als Gesetz und Evangelium, als verborgener Gott, als ferner Gott und offenbarer Gott, das bringt Rudolf Otto auf neue Formeln. Und Otto sagt das so. Gott im Sinne der Bibel und im Sinne Luthers ist ein mysterium tremendum et fascinosum, ab der späteren Auflage fascinans. Und Otto sortiert das so, er sagt, Gott ist das fascinosum, das was uns anzieht. Fascinosum steht für ihn, für die Liebe Gottes, für die Barmherzigkeit, für diese Gnade, sagen wir für dieses Sola Caritas. Gott ist dieser glühende Backofen voller Liebe und nichts fasziniert mehr als die Erfahrung bedingungsloser Liebe. So, und das ist Gott.

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Und wenn wir Gott darauf reduzieren, wenn wir den Gottesgedanken auf einen lieben Gott reduzieren, dann verflachen wir ihn. Gott zu Otto ist zugleich auch das Tremendum, das was uns erbeben lässt, das was größer ist als alles, was wir fassen können, das was mächtiger ist als alles, was wir in den Griff kriegen. Man kann das versauen, indem man sagt, Macht, wir wollen doch auch die Macht Gottes von Christus her verstehen. Das ist wahr, ist absolut nötig, aber auch wenn wir Macht von Ostern her verstehen als die Macht der Liebe, bleibt es Macht, die größer und stärker und auch unheimlicher ist als alles, was wir fassen können. Darum ist Gott faszinosum,

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aber auch tremendum. Und mehr noch so Otto, dieser Gott ist zugleich Mysterium. Wir versuchen ihn zu beschreiben, wir versuchen zu sagen, was er ist und wir sollen das genau tun und sorgfältig und gründlich. Und je mehr wir das schaffen, Gott zu denken, verliert er dadurch nicht seine Geheimnishaftigkeit, sondern das Geheimnis wächst mit. Wir können es so klar sagen, wie wir wollen und davon durchdrungen und ergriffen sein und können es doch nicht begreifen. Und das sollten wir im Bewusstsein behalten. Und das ist eine doppelte Spannung, eine Spannung von Mysterium,

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Geheimnis, was verborgen und fern und ungreifbar ist und zugleich nah, gegenwärtig, was wir sagen können und nicht sagen können. Und es ist zugleich eine Spannung zwischen Gottes Zuwendung, seiner Liebe und Gnade, aber auch seiner Kritik. Gott ist Ausrufezeichen, das große Ja, er ist aber auch das Fragezeichen, die große In-Fragestellung, die alles auf den Prüfstand stellt. Er ist unbedingte Annahme, er ist aber auch Anspruch, er ist auch Auftrag. Und diese Spannung von Zusage und Kritik, von Geheimnis und Nähe, wenn wir das auflösen, verflachen wir es und dann machen wir Gott flacher als das Leben ist. Und wenn wir Gott erst mal verflacht haben, dann ist er handlicher, aber dann ist das Leben auch härter als er. Und das ist vielleicht kein guter Tausch, wenn wir

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einen Gott haben, der am Ende für dieses Leben mit all seinen Härten und Schrecken und Grausamkeiten zu weich gespült ist. Und ich glaube, es gibt Protestantismen, die Gott zu weich spülen, die auch bei Luther vieles rausoperieren und sagen, naja, das ist jetzt Mittelalter. Da ist auch Mittelalter, wo wir sagen, lassen wir mal echt gut sein. So, aber ich denke, bei Luther ist auch ein Urraunen, so ein Grundrauschen auch etwas Abgründiges, was wir nicht verlieren sollten. Gott ist Grund, auf dem wir stehen, aber wehe uns, wenn wir vergessen, dass er auch Abgrund ist, angesichts dessen uns auch schwindelig wird. Darum konnte Luther das immer wieder am Kreuz festmachen. Kreuz ist Theologie war für ihn der Inbegriff dessen, wo alles zusammenkommt,

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das Gericht über aller Menschen Schuld und Sünde und zugleich die Versöhnung in Jesus Christus, die Barmherzigkeit, die Liebe, der Ort, wo Gottes Nein über alle Schuld und das Ja zum Schuldigen zusammenkommt. Und zugleich ist das Kreuz der Ort, wo Gott ganz und gar sich offenbart. Nirgendwo in der Welt ist Gott so offenbar und greifbar wie am Kreuz. Und zugleich ist es der Ort, wo Jesus sagt, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Es ist ein Ort unendlicher Fernen. Und das ist Gottdenken nach Luther. Das ist Glaube, der nicht verflacht wird. Das ist Denken in Spannung, in Dynamik. Und du kannst es nicht festhalten. Du kannst nicht einen Punkt nehmen und sagen, das ist jetzt das Stück Wahrheit, das habe ich jetzt, das nehme ich in eine Tasche und gut. Sondern

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es ist eine Bewegung und eine Dynamik, die uns einweist hinein in das Leben mit Gott. Darum bleibt Leben mit Gott bei Glaube darauf angewiesen, Angst als eine Herausforderung annehmen zu können, aussprechen zu können. Denn es bleibt dabei, in der Welt habt ihr Angst. Und Luther hat der Angst, dem Schrecken, der Verzweiflung Worte gegeben. Und er hat ihr einen Ort gegeben in der christlichen Existenz, das Glaube immer auch angefochten Existenz ist. Und diese Anfechtung hat er immer zugleich überboten. In der Welt habt ihr Angst, aber Christus spricht, seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Im Glauben gibt es Trost, gibt es Erbarmen und gibt es Ruhe und Frieden, weil Gott nicht alle Angst auslöscht und beseitigt, aber doch immer wieder tröstet und uns in unserer Angst

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erlöst und befreit.

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Ein Gott zum Fürchten? Ein Lebensthema Luthers | 6.3.2

Worthaus 6 – Heidelberg: 15. Mai 2016 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Mit Begeisterung und einigen Lachern aus dem Publikum steigt der Marburger Theologe Thorsten Dietz ein in ein Thema, das eigentlich gar nicht lustig ist: die Angst. Ein fieses Gefühl, das wir nicht zugeben wollen, wenn es uns doch mal packt. Und gerade Menschen, die bewundert werden, die großen Vorbilder der Geschichte verbindet man kaum mit Angst und Furcht. Dabei fürchten selbst die Mutigsten zumindest den Tod – die Ungewissheit und Unendlichkeit, die dahinter lauert. Für Martin Luther war die Angst vor dem Tod sogar lebensbestimmend. Todesangst war es, die ihn ins Kloster trieb, Todesangst quälte ihn selbst dort, obwohl das Dasein als Mönch im damaligen Glauben die größtmögliche Sicherheit bot, nach dem Tod in den Himmel zu kommen. Doch überall wurde die Todesangst geschürt. Folterszenen aus der Hölle und Bildnisse qualvoller Märtyrertode schmückten die Kirchen. Diese Angst vor dem Tod ging zu Luthers Zeiten einher mit der Angst vor der Hölle. Dabei heißt es in der Bibel an verschiedenen Stellen: „Fürchtet euch nicht.“ Doch Furcht und Angst sind nicht das gleiche. Wie wir unnötige Angst verlieren, aber die gute, die „reine“ Furcht bewahren, erklärt Thorsten Dietz anschaulich und alltagsnah. So dass zum Ende des Vortrags selbst diese Aussage Luthers einleuchtet: Er werde Gott auch dann noch lieben und loben, wenn er in der Hölle landen sollte.