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Die Erinnerungen des 20. Jahrhunderts Dietrich Bonhoeffer ist mit Abstand der bekannteste Theologe des 20. Jahrhunderts. Wahrscheinlich ist er nach Martin Luther der zweitbekannteste evangelische Theologe überhaupt. Das liegt etwas weniger stark daran, dass er Theologe ist. Es liegt schon sehr stark auch an seinem Leben. Ein Leben eines Mannes, der mit besten bürgerlichen Voraussetzungen gestartet ist, in Studium, der alles hätte werden können, aber ausgerechnet Theologe werden wollte, der eine Karriere beginnt, aussichtsreich, wie man sich es nur vorstellen kann, und dann im Dritten Reich ausgebremst wird, wo es nur geht, der sich als Christ und Theologe ausdrücklich dafür entscheidet, in den widerstand zu gehen. Er ist in den kirchlichen widerstand, der in der Kirche versucht, den Einfluss des Dritten Reichs zu minimieren, zu blockieren, wo es geht, der dann aber 1939 die Entscheidung trifft, das reicht nicht.

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Ich könnte mich zwar der ganzen Kiste hier entziehen, ich könnte in die USA, ich könnte mich mal eben wegmachen und hoffen, dass irgendwas überbleibt, falls ich hier zurück will, aber der trotzdem sagt, nein, ich möchte in diesem Deutschland leben und ich möchte mithelfen, diesen Wahnsinn zu stoppen. Ich möchte dem Rat in die Speichen greifen. Dietrich Bonhoeffer beteiligt sich an den Verschwörungsplänen, die es gibt, in einer Gruppe von Bürgerlichen, von Adlingen, die zusammenhängt auch mit dem Attentat, was Grafen Stauffenberg durchgeführt hat. Er beteiligt sich an mehreren Anschlagplänen, er ist Mitwisser, er arbeitet für den widerstand und diese Tätigkeit fliegt auf. Er wird verhaftet 1933, zunächst ist nur ein Bruchteil dessen bekannt, was er getan hat. Zunächst wird er eingesperrt unter relativ günstigen, komfortablen Bedingungen,

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noch weil man nicht weiß, wie tief er verstrickt ist in echten und wirklichen Widerstand. Aber mit der Zeit fliegt auch das alles auf und so wird er kurz vor Kriegsende hingerichtet, auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers. Es ist diese Geschichte eines Theologen, der zum Widerstandskämpfer wird und als Märtyrer erinnert wird, die Dietrich Bonhoeffer so besonders macht, so einzigartig im Grunde unter den Theologen des 20. Jahrhunderts. Ein bekanntes Zitat von Bonhoeffer lautet, eine Erkenntnis kann nicht getrennt werden von der Existenz, in der sie gewonnen wurde. Und es ist vor allem Dietrich Bonhoeffers Existenz, sein Lebenslauf, was ihn so besonders für viele so verehrenswert oder bewundernswert macht. Und um dieser Existenz willen ist er auch als Theologe präsent,

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wird er als Theologe noch erinnert, hier und da auch gelesen. Hier und da auch gelesen, muss man wohl leider unterstreichen, denn seien wir ehrlich, Theologie, ja, gibt es. Sie produziert Bücher, sie produziert Vorträge, Aufsätze und Theologie steht im 21. Jahrhundert nicht gerade im Zenit öffentlicher Anerkennung. Hat keine Blüte, dass sie eine Leitwissenschaft ist, an der sich ganz viele Menschen irgendwie orientieren oder wenigstens kritisch abarbeiten. Sowas wie Gender Studies, das wird ja wenigstens noch gehasst. Da hat man ja ungeheuer viel Aufmerksamkeit. Theologie wird ja nicht mal gehasst. Sie wird verachtet, bemitleidet und das ist dann schon gut in der Regel ignoriert. Warum wird Theologie in der Regel ignoriert? Warum spielt Theologie eigentlich so ein Nischen-Dasein und wird dann so gerade nochmal wahrgenommen, wenn Menschen wie Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer

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in irgendeiner Form weltbewegendes anstoßen? Ich denke, dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ein Grund, dass Theologie oft ignoriert wird von Christen wie Nicht-Christen, ist ganz schlicht eine lange Geschichte einer tief empfundenen Bevormundung. Dass Theologen allen anderen sagen, wo es lang geht. Theologen sagen, was richtig und was falsch ist, sagen, wie man glauben soll. Theologen führen Glaubensverhöre durch, Theologen Maßregeln, andere urteilen sie ab als Ketzer oder Abweichler oder wie auch immer. Ja, und es gibt genug Filme, wo man das so sieht und wo man sagt, boah, die Biester, das dürfen die nie wieder. Die sollen mal ruhig schmoren in der Suppe der Bedeutungslosigkeit. Ich glaube, Theologen müssen das verstehen, dass sie eine Geschichte beerben, wo die Schriftgelehrten in gewisser Hinsicht von Anfang an

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eine Top-Besetzung für böse Buben sind. Niemand möchte sich gern bevormunden lassen, dann lieber Abstand. Ein weiterer Grund dafür, dass Theologie oft nicht so anziehend oder begeisternd empfunden wird, ist für viele Christen das Gefühl, wenn es um Gott und mich geht, muss ich das doch irgendwie leicht verstehen können. Es muss doch irgendwie auch ein Kind oder jeder Mensch oder auch der Nichtgebildete irgendwie begreifen können, was Gott für ihn bedeutet. Und da kann es doch nicht sein, dass da so eine Expertenkaste sich da aufdrängt und zwischen Gott und uns stellt. Der Glaube muss doch einfach sein. Ich kann doch nicht in die Lage geraten, dass ich abhängig werde von Experten. Das bin ich ja oft genug. Ich will ja akzeptieren, dass ich Ärzte brauche, deren Kauderwelsch ich auch nicht begreife.

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Ich muss akzeptieren, dass ich manchmal Juristen brauche, die mich auch schwindelig quatschen und sich da alles so zurechtlegen, dass sie auch unverzichtbar sind. Ich muss akzeptieren, dass ich mein eigenes Auto überhaupt nicht mehr verstehe und da die Menschen, die es reparieren, es auch nicht verstehen und da andere Maschinen, da muss ich alles akzeptieren. Aber die Kiste mit Gott, wer Gott ist und wie ich glaube und lebe, das kann doch nicht sein, dass da die Experten irgendwie was zu sagen haben. Darum, nein, Misstrauen. Theologen dürfen nicht wichtig sein. Dann könnten die mich ja auch wieder da, wer weiß wie, bevormunden oder wie auch immer. Drittes Gefühl ist bei vielen Menschen schlicht, Theologen sind auch gefährlich, weil die haben ständig neue Ideen. Und das kann ja nicht das Christentum sein, dass da ständig irgendeine Nase kommt, die 20 Jahre studiert hat, ganz blass ist davon und mir dann irgendwas erzählt, was vorher noch nie jemand sich so überlegt hat. Das Christentum muss doch sein, was es immer war.

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Es muss doch klare Bekenntnisse geben, klare Grundlagen und da kann doch nicht jeder Theologe irgendwie was ändern und irgendwie was dran rühren und so. Ich denke, das sind drei Gründe dafür, dass Theologie gegenwärtig, gerade auch bei Christen und bei Nicht-Christen nicht weniger, oft nicht sehr gefragt ist, weil verdächtig, vielleicht gefährlich, im günstigsten Fall nur überflüssig. Ich glaube, das ist eine Täuschung. Es ist vor allem für Christen eine Täuschung zu glauben, dass man einfach so auf jede Form der Theologie verzichten kann. Warum ist es eine Täuschung? Weil jeder Gläubige, jeder Christ in irgendeiner Weise beeinflusst ist von theologischen Gedanken. Die Täuschung besteht darin, dass man glaubt, der eigene Glaube sei irgendwie

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ursprünglich echt unmittelbar allein durch die Theologie, ursprünglich unmittelbar allein durch die persönliche Gottesbeziehung und die persönliche Bibellese geprägt. Viele Menschen, die näher hinschauen, merken irgendwann, ihre Gottesbeziehung ist geprägt durch sehr, sehr viel Input, durch sehr, sehr viel Information, durch sehr viel Selbstverständliches, was durch die Erziehung, die Familie, die Gemeinde, Gehörtes und Gelesenes beeinflusst ist. Jeder Glaube hat irgendwelche theologischen Prägungen in sich drin. Die Frage ist nicht, brauche ich Theologie oder nicht. Die Frage ist, kann ich verstehen, dass es manchmal sinnvoll ist, meine Prägung zu hinterfragen, zu reflektieren, überhaupt zu verstehen, was mich prägt.

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Und in vielen Fragen auch zu fragen, passt meine Prägung noch? Wird sie dem gerecht, was ich erlebe in dieser Welt? Kann ich mit meiner Prägung andere verstehen oder muss ich mir vieles einfach vom Hals halten? Was immer man sonst über Theologie sagen möchte, sie versucht, den Glauben zu reflektieren und das sehr ausdrücklich. Sie versucht zu verstehen, was den Blick auf Gott, den Blick auf die Bibel so oder so mitbestimmt, welches Vorverständnis, welche Voraussetzungen mit im Spiel sind. Das heißt, wenn ich mich mit Theologie beschäftige, werde ich in gewisser Hinsicht gezwungen, meine eigenen Voraussetzungen wahrzunehmen. Die Theologie, die mich dazu zwingt, kann in der Tat abwegig sein, falsch, extrem, langweilig, wie auch immer, aber sie würde mich auf einen Weg führen, eigene Prägung als Prägung wahrzunehmen und nicht als selbstverständliche, objektive Wahrheit. Darum glaube ich, dass jede Beschäftigung mit Theologie Christen helfen kann,

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überhaupt in ein Nachdenken zu kommen, überhaupt in ein Hinterfragen zu kommen, wo ich merke, es ist nicht einfach so selbstverständlich, dass ich unmittelbar direkt durch die Bibel auf Gott schaue, sondern da sind ganz viele Filter dabei, sehr viele Folien, sehr viel Hintergrundbeleuchtung, sehr viele Vorannahmen, die meinen Blick mitbestimmen. Ein zweiter Punkt, warum meines Erachtens der Verzicht auf Theologie nicht einfach so funktioniert, ist ganz schlicht der, jede Zeit braucht ihre Theologie. Und das ist es, was Bonhoeffer gemeint hat mit diesem Zitat am Anfang, eine Erkenntnis kann nicht getrennt werden von der Existenz, in der sie gewonnen wurde. Ja, das heißt zum einen, jede Theologie, jede Erkenntnis, alle Überlegungen müssen irgendwo befragt werden daraufhin,

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in welcher Zeit versucht hier wer, welche Fragen zu beantworten. Theologie ist immer geprägtes Denken, ist immer kontextuelles Denken. Theologische Texte stehen nie absolut, sie haben einen Kontext. Und Texte beantworten Fragen, Herausforderungen in einem ganz bestimmten Kontext. Jede Theologie, auch biblische Theologie, hat ihre Kontexte, ohne die sie nicht gut zu verstehen sind. Das heißt aber auch, jeder Kontext, jede Situation, jede Zeit, die sich in irgendeiner Weise verändert, die sich entwickelt, braucht neue theologische Texte. Man kann nicht einfach die Texte der Vergangenheit eins zu eins nehmen in eine neue Situation und zu sagen, lasst die Welt sich ändern,

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lasst sich alles auf den Kopf stellen. Wir wissen ja, was wahr ist. Wir haben ja unsere Theologie. Wir haben doch seit 2000 Jahren immer dasselbe, was wir als Christen glauben. So kann man nur sprechen, wenn man von 2000 Jahre Christentumsgeschichte wenig weiß. Sobald man ein bisschen hineinschaut in die Geschichte, wie man in der Antike geglaubt hat, wie im Mittelalter, wie im frühen Neuzeit, merkt man, es entwickelt sich ständig. Jede Theologie, wenn man sie verstehen will, muss man im Kontext ihre Zeit sehen. Aber auch jede Zeit braucht theologische Antworten, braucht theologisches Nachdenken, braucht neue theologische Ansätze. Und dafür ist das Gespräch mit Theologen, ist das Gespräch mit wichtigen theologischen Texten unverzichtbar, weil in der Beschäftigung mit bestimmten großen Theologen wir das schlicht Lernen nachvollziehen können, wie Theologie sich immer neu

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auf Herausforderungen einlässt, die es vorher so nicht gab. Und das ist etwas, was man bei Dietrich Bonhoeffer wunderbar lernen kann. Er ist ein Theologe, der sich radikal auf seine Zeit einlässt und der bereit ist, ganz neu zu fragen und ganz neu zu denken. Und ich möchte in diesem Vortrag gewissermaßen das Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers vorstellen, seine letzten Gedanken, seine letzten theologischen Ansätze, die er wenige Monate vor seinem Tod entfaltet hat. Ich orientiere mich dabei an seinen theologischen Briefen. Dietrich Bonhoeffer kam 1943 ins Gefängnis. Den ersten Wochen, Monaten konnte er nicht viel arbeiten, nicht viel schreiben. Dann kam eine ruhigere Zeit. Ihm war erlaubt, Briefverkehr zu haben, nicht nur mit seiner Familie, sondern auch mit seinem besten Freund Eberhard Bethke, mit seiner Verlobten Maria von Wedemeyer.

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Es gab einzelne Besuche, Gespräche und Dietrich Bonhoeffer, der nicht wusste, wie lang er inhaftiert sein würde, nahm seine theologische Arbeit wieder auf. Und seine theologische Arbeit spiegelt sich in Briefen, die er an seinen Freund Eberhard Bethke verfasst hat. Diese Briefe sind erhalten und er hat in diesen Briefen einen Gedankengang entwickelt, den er in dieser Zeit damals schon nennt, meine theologischen Briefe. Er hat ein theologisches Problem aufgeworfen und einige Monate darüber nachgedacht. Er fing an, ein Buch zu schreiben in der Haft. Von diesen Aufzeichnungen ist leider nichts erhalten. Aber wir haben die Briefe an Bethke und können daraus ganz gut nachzeichnen, was sein letztes theologisches Projekt war. Ich lese nun mal den Anfang dieser theologischen Briefe an seinen Freund vor. Bonhoeffer schreibt hier so, was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum

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oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist. Diese Frage ist schon ganz grundlegend. Und in dieser Frage findet sich alles wieder, was ich vorhin über Theologie gesagt habe. Das könnte man ja sagen, ist so viel Frage. Der ist Theologe, der hat studiert, der hat promoviert, habilitiert. Er muss doch wissen, was das Christentum ist. Der muss doch wissen, wer Christus ist. Das ist doch das kleine 1 1 für einen Theologen. Er sagt, wer Christus heute für uns eigentlich ist. Und das ist so entscheidend. Bonhoeffer hat Christologie Vorlesung gehalten. Er konnte sehr viel über Jesus Christus sagen. Theologie heißt immer nicht nur zu wissen, was andere geschrieben und gesagt haben, auch nicht nur die Bibel kennen und sie nacherzählen können. Es heißt auch ganz schlicht, alles, was ich weiß, alles, was ich gelernt habe,

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in einem zweiten Schritt darauf zu befragen. Und was bedeutet es heute für uns? Und das ist jetzt nicht nur so ein Ansatz, so ein Anbau, dass man sagt, naja, die Wahrheit ist die Wahrheit. Und das ist halt die Wahrheit, die immer die Wahrheit war. Und jetzt muss ich irgendwie vielleicht da neue Gleichnisse dran bauen. Es ist schon mehr. Die Wahrheit selbst verändert sich, wandelt sich, nimmt neue Gestalt an. Dadurch, dass sie mit neuen Fragen in Berührung kommt, mit neuen Herausforderungen, mit neuen Herausforderungen, mit einer neuen Zeit. Und beides ist wichtig heute, dass heute die jeweilige Zeit, die jeweilige Kultur, in die ich hineingestellt bin, aber auch dies für uns. Christentum ist nie an sich wahr. Es ist nie eine absolute Theorie über leblose, tote Dinge, sondern Christentum ist immer der Glaube von Menschen in einer ganz bestimmten Zeit,

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in einer ganz bestimmten Herausforderung. Darum stellt Bonhoeffer in dieser Gefängniszeit radikal die Frage, wer ist Christus heute für uns? Erfährt Wort. Die Zeit, in der man das den Menschen durch Worte, seien es theologische oder fromme Worte, sagen könnte, ist vorbei. Ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, das heißt eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen. Die Menschen können einfach so, wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein. Auch diejenigen, die sich ehrlich als religiös bezeichnen, praktizieren das in keiner Weise. Sie meinen vermutlich mit religiös etwas ganz anderes. Mit diesen Sätzen leitet Bonhoeffer einen Gedankengang ein,

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den er über 20, 30 Seiten in etwa je nach Buchausgabe entfaltet. Ich möchte in der folgenden Zeit diese Sätze, diese Anstöße ein wenig auslegen. Wir merken zunächst mal, so wie Bonhoeffer das beschreibt, die Sätze sind aus einer anderen Zeit. Das würde man heute so nicht sagen. Wenn man sagen würde, wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen, gäbe es ja heute viele, die sagen würden, Gott sei Dank, stirbt das wirklich alles ab? Auch der Islam und hört das alles auf? Imagine no religion, John Lenn. Es wäre ja für viele so ein Hoffnungssignal. Heute leben wir in einer Zeit, wo viele sagen, aussterbende Religion, im Gegenteil Renaissance der Religion, Wiederkehr der Religion. Es ist eine andere Zeit, in der Bonhoeffer das schreibt. Er schreibt das 1944. Wir merken auch, es ist nicht so ganz klar, was er eigentlich meint.

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Er meint völlig religionslose Zeit in einem Jahrzehnt, wo ja 90 Prozent der Deutschen Mitglied der Kirchen sind. Wir leben ja in einer Zeit, wo man so das Gefühl hat, es wird immer weniger und die Kirchenaustritte sind so hoch und sie sind so hoch und sie treten aus und es wird weniger und weniger. Und das ist ja seit 40, 50 Jahren. Es ist erstaunlich, dass noch so viele da sind eigentlich. Man redet von der guten alten Zeit. Damals war die Kirchenaustrittsquote nicht dramatisch. Es gehörten fast alle dazu. Es wurden auch im Dritten Reich Hunderte von Kirchen gebaut. Im Dritten Reich wurden mehr Kirchen gebaut als in den letzten Jahrzehnten. Man würde im Rückblick sich ein bisschen verwundern und sagen, wie völlig religionslos Christentum war doch da, war doch irgendwo noch vorhanden.

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Und Bonhoeffer war jetzt auch ein Mensch, der nicht nur einen deutschen Horizont hatte, der rumkam. Man wundert sich erst mal, was meint er denn? So aussterbend kann das damals doch gar nicht gewesen sein. Sind wir das nicht diejenigen, die sagen, jetzt auf einmal stirbt es aus? Jetzt spätestens ab 1968 hört das alles irgendwie auf. Wovon redet er da? Und wer sind die, von denen er sagt, die bezeichnen sich als religiös, sind es aber gar nicht. Wie kann man sich davon tun? Um diesen Gedanken Bonhoeffers nachzuvollziehen, muss man jetzt ein bisschen näher hinschauen, was er meint, worüber er nachdenkt. Und wenn man sich seine Briefe ein bisschen anschaut, sind es zwei Punkte, die ihm in seiner Zeit besonders auffallen, über die er nachdenkt und wo er sagt, wir Theologen müssen diesen beiden Punkten mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wir müssen verstehen, was jetzt passiert.

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Ansonsten haut unsere Botschaft immer genau daneben. Wir werden den Menschen nicht gerecht, wenn wir nicht verstehen, was gegenwärtig passiert. Und Bonhoeffer sagt, zwei Dinge geschehen. Das eine ist, die Welt, in der wir leben, ist zunehmend eine mündige Welt geworden, eine autonome Welt, eine säkulare Welt. Und viele Christen tun sich schwer, das erst mal anzuerkennen. Und zweitens, es in irgendeiner Weise zu akzeptieren. Mündigkeit der Welt ist das eine große Stichwort der Briefe. Das andere große Stichwort ist das der Religionslosigkeit. Das kann man aber erst verstehen, wenn man ein bisschen schaut, was meint Dietrich Bonhoeffer mit mündiger Welt. Mündige Welt ist ein Thema, über das Bonhoeffer sich in diesen Jahren viele Gedanken macht. Und dazu muss man jetzt mal Folgendes sagen. Bonhoeffer erfindet diesen Gedanken überhaupt nicht.

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Er ist im Grunde in vielen Strömungen des Christentums eigentlich verbreitet. In all den Strömungen, die in irgendeiner Weise sich liberal nennen oder aufgeklärt oder sich irgendwie für modern halten, ist das eigentlich eine Standardeinsicht. Die Welt hat sich verändert. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Wir leben nicht mehr in der Neuzeit. Wir leben in einer aufgeklärten, mündigen Welt. Und wir brauchen schlicht den christlichen Glauben, so dass er für aufgeklärte, mündige Zeitgenossen verständlich ist. Jetzt muss man bei Bonhoeffer dies sehen. Dieser Gedanke ist nicht völlig neu, aber Bonhoeffer lernt ihn in diesen Jahren neu zu durchdenken und nun zu akzeptieren. Und dabei durchdenkt Bonhoeffer, wie ist das Christentum damit umgegangen, dass sich die Welt verändert hat im Prozess der Neuzeit, im Prozess der Aufklärung. Und er sagt so, das Christentum hat nicht von sich aus gesagt,

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lass uns mal eine Aufklärung irgendwie starten, lass uns mal hier Säkularisierung, Machtverzicht, Relativierung von Kirche, Trennung von Staat und Kirche. Nee, nee, das wurde in der Regel dem Christentum aufgenötigt oder abgepresst. Das ist so eine Entwicklung nach dem dreißigjährigen Krieg, nach dem konfessionellen Zeitalter, wo viele so das Gefühl hatten, wenn die Theologen uns hier sagen, wie das alles läuft und wie wir leben, dann fahren wir alle an die Wand. Wir müssen jetzt mal irgendwo dahin kommen, dass wir religionsfreie Zonen schaffen. Und gerade der dreißigjährige Krieg, 400. Jubiläum 2018, ist dafür eine einschneidende Epoche. Der dreißigjährige Krieg hatte viele sehr komplizierte Gründe, auch machtpolitische, auch finanzielle, auch einflussstrategische Gründe.

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Aber es waren natürlich vor allem auch die religionsfreie Zonen, auch einflussstrategische Gründe. Aber es war natürlich vor allem auch ein Religionskrieg. Es war ein Krieg, wo in der Regel Protestanten und Katholiken einander feindselig gegenüberstanden, wo absolute Machtansprüche unversöhnlich waren und wo es für Katholiken undenkbar war, dass etwa die Protestanten die Mehrheit bekamen und wo es für Protestanten undenkbar war, dass etwa die protestantische Kurwürde, der Kurpfalz, einfach auf die Bayern oder so übergeht. Wo es für Gustav von Schweden undenkbar war, dass die Katholiken den protestantischen Glauben einfach wieder so ausmerzen im ganzen Deutschen Reich. Es war auch, nicht nur, aber auch ein Religionskrieg. Und in dieser Zeit gab es unter vielen die wachsende Einsicht,

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wir müssen lernen, bestimmte Fragen ohne religiöse Oberaufseher zu klären. Tuggo Grotius hat das in einer Weise formuliert, die für die Epoche sprichwörtlich wurde. Er sagte, wir können nicht mehr Politik und Staat so denken, dass wir sagen, das Wichtigste ist die Religion, der Glaube, die Dogmen und der Fürst oder die Obrigkeit leitet ihre Macht ab von einer religiösen Beglaubigung. Naja, und die kann entweder katholisch oder evangelisch sein, aber nicht einfach so. Tuggo Grotius sagte, damit kommen wir alle in den Abgrund, damit bringen wir uns alle um. Wir brauchen ein politisches Denken, ein Staatsrechtsdenken, was so funktioniert, dass es weitergeht, selbst wenn es nicht mal Gott gäbe. Er sagte das auf Latein, et sideus non deretor.

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Selbst wenn es keinen Gott gäbe, also nicht nur die religiösen Ansprüche, die irgendwelche Leute damit verbinden, sondern selbst wenn es Religion irgendwann nicht mehr gibt, brauchen wir ein Staatssystem, eine Friedensordnung, eine Rechtsordnung, die funktionieren kann. Der Dreißigjährige Krieg konnte so beendet werden, dass man auf die absoluten religiösen Oberhoheitsansprüche irgendwann verzichtete und die Folgeepoche ist davon geprägt, dass man in immer mehr Bereichen sagt, jetzt lasst doch mal die Religion weg. Das ist in allen wissenschaftlichen Fragen so, dass immer mehr Wissenschaftler sagen, ich möchte nicht, dass irgendein Priester oder sonst wie, das abnicken muss, was ich schreibe. Ich möchte durchs Fernrohr sehen und einfach über die Sterne nachdenken, ohne die Frage Hoppla, gefällt das denen in Rom oder Wittenberg? Das geht so nicht. Und es setzt sich durch in der Wissenschaft, dass man sich unabhängig macht von religiöser Bevormundung. Es setzt sich durch in der Politik. Es setzt sich durch im Recht.

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Es setzt sich durch in der Wirtschaft. Und dann setzt es sich irgendwann auch durch in der Moral, in der Lebensführung. Es setzt sich in immer mehr Bereichen durch, dass Menschen sagen, die Frage der Mode, des Geschmacks, der Kunst, der Schönen muss von Menschen menschlich behandelt werden, ohne religiöse Bevormundung oder Gängelung. Wie haben die Kirchen darauf reagiert? Naja, die Kriegzeit und es war ein bisschen eindeutig, dass Toleranz vielleicht irgendwann helfen könnte. Das war ein bisschen einleuchtend den allermeisten Christen irgendwo auch. Aber je mehr diese Bewegung Fahrt aufnahm, desto mulmiger wurde es vielen Christen. Und das beschreibt Dietrich Bonhoeffer im Rückblick so. Christliche Apologetik hat diesen Trend je länger,

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je mehr kritisch begleitet. Im Grunde irgendwann immer lauter gestöhnt. Diese Säkularisierung ist eine Entchristlichung, ist ein Verlust des christlichen Abendlandes. Die bisherige Ordnung löst sich auf. Auf einmal werden Fürsten und Könige, die doch von Gott eingesetzt sind, einfach so abserviert. Und der Pöbel schreit, alle Macht geht vom Volk aus. Ja, wo sind wir denn? Wie soll man denn noch der Obrigkeit gehören, wenn meine Putzfrau und mein Schuhstar wählen geht und da irgendwelche Kommunisten oder so an die Macht bringt, muss ich denen gehorchen als guter christlicher Bürger? Das war für viele immer mehr verstörend. Sie hatten das Gefühl, die christlich geordnete Welt wird gestürmt, sie wird geschliffen, sie wird sturmreif geschossen und irgendwann abgeräumt. Und die Christen verhielten sich vielfach kritisch

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gegenüber dieser neuzeitlichen Entwicklung. Bonhoeffer sagt, die christliche Apologetik hat im Grunde versucht, die Mündigkeit der Welt, wo immer es ging, zu verhindern, zu attackieren. Bonhoeffer sagt nun dazu, diesen Versuch, die Mündigkeit der Welt zu bekämpfen, halte ich für sinnlos, für unvornehm und ja, selbst auch für unchristlich. Warum? Bonhoeffer sagt, ich halte sie für sinnlos, weil sie mir wie der Versuch erscheint, einen zum Mann gewordenen Menschen in seine Pubertätszeit zurückzuversetzen. Das heißt, ihn von lauter Dingen abhängig zu machen, von denen er faktisch nicht mehr abhängig ist, ihn in Probleme hineinzustoßen, die für ihn faktisch nicht mehr Probleme sind. So sieht das Bonhoeffer im Rückblick und er kann das sagen als einer,

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der durchaus in Phasen seines Lebens auch Autonomie, Freiheit, negativ konnotiert. Diese ganze Bewegung der Entchristlichung des Abendlandes hat auch Dietrich Bonhoeffer kritisch kommentiert. Aber jetzt in dieser Zeit denkt er noch mal drüber neu dar und sagt, dieser Kampf gegen Aufklärung, gegen Autonomie gegenüber mündigen Menschen wird die Kirche niemals gewinnen. Denn sie versucht offenbar in vielen Lebensbereichen so eine Art Vormundschaft wieder aufzurichten. Die Menschen zu bevormunden, was wissenschaftlich geht und was wissenschaftlich nicht geht. Was rechtlich geht, welche Gesetze von der Kirche akzeptiert werden können, welche Gesetze aber völlig inakzeptabel sind, dass die Kirche in keiner Weise da mitmacht. Und ständig unter der Berufung auf höhere Einsicht, auf größeres Wissen, auf bessere Kenntnis der Dinge, aber nicht mit Argumenten, die überzeugen,

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nicht mit Gründen, die durchdringen, sondern immer wieder mit diesem Pochen auf Autorität, auf Autorität der Kirche, auf Autorität der Bibel, auf Autorität Gottes. Und es trifft nicht mehr. In einem Lebensbereich nach dem anderen werden die Vertreter des Christentums abserviert. Sie reden in die wissenschaftliche Forschung nicht mehr hinein, nicht mehr in die Gestaltung des Rechtssystems, der Politik und so weiter. Dieser Kampf ist sinnlos. Er ist im Grunde längst verloren. Zweitens nennt Bonhoeffer diesen Kampf für unvornehm. Weil er sagt, hier findet das Ausnutzen der Schwäche einiger Menschen statt, die man versucht, in irgendeiner Weise zu bekneten und zu beknien und ihnen Glauben aufzudringen als etwas, was sie brauchen. Ja, es werden noch Menschen bekehrt zum Christentum.

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Aber Bonhoeffer kriegt mehr und mehr einen kritischen Blick darauf. Er merkt, Menschen werden zum Christentum bekehrt oft so, indem man ihnen lange einredet, gib es doch zu, du schaffst es nicht. Du kannst es nicht. Du kommst nicht klar ohne Gott. Du kriegst dein Leben nicht gebacken. Du hast dein Leben nicht im Griff. Versuch nicht, dich von Gott loszumachen. Dein Leben wird scheitern. Ohne Gott wird dein Leben in die Dunkelheit führen. Verlass dich drauf. Das wird passieren. Und wenn du nicht scheitern willst, dann brauchst du Gott. Und dann brauchst du Kirche und dann brauchst du uns. Dann brauchst du die Gemeinschaft der Gläubigen. Mit uns hast du eine Chance. Aber allein wirst du es nicht schaffen. Ja, und das kann Erfolg haben. Aber Bonhoeffer hält das für unvornehm, weil man im Grunde Menschen auf so eine Weise erst mal schwach redet und ohnmächtig, ihnen Selbstvertrauen nimmt, ihnen ihre Mündigkeit im Grunde wieder abspenstig macht. Der schärfste Gedanke Bonhoeffers ist aber der, er sagt, es ist schlicht und einfach unchristlich.

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Es ist nicht dem Evangelium gemäß, ein Gegensatz von Glaube und menschlicher Mündigkeit, vernünftiger Autonomie aufzustellen. Bonhoeffer geht noch weiter und sagt, das ist eine bestimmte Stufe der Religiosität des Menschen. Es gibt diese religiöse Stufe, wo Menschen Religion haben als ein autoritäres System. Und dieses autoritäre System verbürgt eine art christliche Weltanschauung. Sie rechtfertigt die Herrschaft der Fürsten und Könige. Sie rechtfertigt die Herrschaft der Theologie über alle anderen Wissenschaften. Sie rechtfertigt die Bibel, die nirgendwo kritisiert werden darf und drückt es mit Macht durch. Und überall, wo die Kirche in der alten Welt Macht hatte,

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hat sie davon Gebrauch gemacht. Schon im Altertum, im ganz Mittelalter, im frühen Neuzeit, hat die Kirche nicht nur Wahrheit beansprucht, sondern Macht. Und sie hat alle Machtmittel bis hin zu Folter und Tötung eingesetzt, um ihre Macht zu halten. Dieser Machtanspruch wurde in der neuzeitlichen Entwicklung der westlichen Länder abgelehnt und zurückgewiesen. Und für Bonhoeffer ist dies klipp und klar ein Fortschritt. Dieses Erringen von Autonomie, von Mündigkeit, von Selbstständigkeit, die Entmachtung der Kirche als einem religiösen System, was sich eine Oberhoheit über alles Mögliche anmaßt, ist aus christlicher Sicht für Bonhoeffer ein großer Fortschritt. Weil der Wahrheitsanspruch des Christentums durch den Einsatz solcher Machtmittel

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zutiefst diskreditiert wurde, zutiefst unglaubwürdig wurde. Bonhoeffer fällt sofort. Er sagt, Gott wurde als moralische, als politische, als naturwissenschaftliche Arbeitshypothese abgeschafft, überwunden. Arbeitshypothese in diesem Sinne, dass man lange behauptet hat, Gott ist für diese Welt notwendig. Man kann diese Welt nicht verstehen ohne Gott. Und dieser These setzt Bonhoeffer im Grunde entgegen, Gott ist nicht notwendig, er ist viel mehr. Er ist kein notwendiger Bestandteil dieser Welt, sondern weit darüber hinaus. Ihr Anfang und ihr Ende, das große Ja, das große Du, die entscheidende Beziehung eines Menschen. Und das ist viel mehr als etwas, was zum Verstehen dieser Welt notwendig ist.

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Gehen wir die einzelnen Punkte durch. Naturwissenschaft, da war es zuerst so. Ganz lange war die christliche Argumentation so, die Wissenschaft kann die Welt ja nicht verstehen, wie sie ist. Die Welt ist ja ein Wunder und dass das alles hier so hängt im Universum und sich dreht und bewegt, ist ein ganz großes Wunder. Das ist, weil Gott alles hält. Und wenn Gott irgendwie seine Hände wegnimmt, dann fällt alles zusammen, dann bricht alles auseinander, dann lösen sich die Elemente auf. Nur durch Gottes Kraft gibt es überhaupt Tag und Nacht und Sommer und Winter und dies. So, und die naturwissenschaftliche Forschung hat mehr und mehr und mehr und mehr gezeigt. Die Dinge lassen sich verstehen, natürlich. Sie sind natürlich nachvollziehbar. Es gibt ein berühmtes Gespräch zwischen einem Physiker und Napoleon. Der Physiker erklärt die Welt, wie das alles so ist und die Gravitation, die Schwerkraft,

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verbindet gerade zu Wunderdinge und Napoleon hört sich das alles an und sagt, ja, wo kommt denn in Ihrer Physik, in Ihrem Weltbild Gott vor? Und der Physiker sagte nur ganz lapidar, Sir, diese Arbeitshypothese benötige ich nicht mehr. Das wurde sprichwörtlich Gott als Arbeitshypothese, als ein etwas, ein Faktor, der erklären sollte, wie sich alles irgendwie verhält, ist irgendwann für die Physik überflüssig geworden. In der Biologie der nächste Fall, wo man sagt, ja, okay, dann ist das mit den Sternen. Gravitation haben wir nicht genau kapiert, aber klingt sehr vornehm. Vielleicht kann man vieles natürlich verstehen, aber die Entstehung des Menschen, das geht ja niemals von allein. Die Entstehung des Lebens, das kann ja nicht einfach so, das kann ja nicht Zufall. Und der Darwin-Schock sitzt bei manchen Christen bis heute tief drin. Die meisten haben ihn irgendwann überwunden, aber es war für viele Christen ein Schock zu sehen.

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Vieles lässt sich selbst in der Entwicklung des Lebens verstehen ohne Gott. Gott ist nicht mehr nachweisbar als ein notwendiger Faktor. Ganz fremde Christen haben sich zurückgezogen auf den Gedanken, dass Gott ganz am Anfang im Sinne eines Programmierers doch zumindest alles so programmiert haben muss, damit es so funktioniert, dass am Ende Leben dabei herauskommt. Heißt auch, von da an bis heute ist im Grunde das Feld geräumt. Man sieht ein, es ist im Grunde tatsächlich nicht mehr notwendig, und man versucht eine letzte Bastion zu halten, dass Gott doch wenigstens ganz am Anfang notwendig war als Programmierer, der die Information, die notig ist, die entscheidenden Codes irgendwie hineinbringt in diese Welt, dass alles läuft.

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Diese Theorie gab zu Bonhoeffers Zeiten noch nicht. Er hätte sie ganz sicher abgelehnt, weil auch diese Theorie versucht, Gott an irgendeiner Stelle notwendig sein zu lassen für diese Welt. Das ist er nicht. Und das zu sagen, verkleinert Gott nicht, sondern macht ihn wirklich groß. Denn was ist das Problem des notwendigen Gottes? Der notwendige Gott ist im Grunde ein Baustein im Universum, ein Faktor in der Wirklichkeit, ohne den es angeblich nicht geht. Bonhoeffer sagt, das ist ein Stück prolongierte Welt. Das ist im Grunde ein Gott, der zur Welt gehört. Er ist ein Faktor der Welt. Er ist irgendetwas im Ganzen, der der Schöpfung gegenübersteht, aber im Grunde Teil der Wirklichkeit ist notwendig dafür, dass sie so läuft.

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Das heißt, er ist in irgendeiner Weise ein seiendes Ding, ein Faktor, ein Gegenstand, der funktioniert wie andere Kräfte, Mächte und Gewalten auch. Gott ist nicht weniger für Bonhoeffer. Er ist viel, viel mehr. Bonhoeffer kann das auf den Satz bringen. Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht. Und auch dieser Satz ist nicht gesprochen, um Gott klein zu machen, sondern um ihm wirkliche Größe zukommen zu lassen. Ein Gott, den es gibt, ist im Grunde eine Superintelligenz, die halt zu existierenden Wirklichkeit gehört, die wir so überschauen. Und da ist Bonhoeffer der Überzeugung, Gott ist wirklich der ganz andere, wirklich jenseits, wirklich transzendent, kein Teil der Wirklichkeit, die wir überschauen und damit eben auch in unseren Weltbildern niemals ein notwendiger Faktor. Wer ihn dazu machen will, macht ihn klein. Und es ist eine ungeheure Befreiung für den Glauben zu sagen, Gott ist nicht notwendig.

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Nicht für die Evolution, nicht für die Physik, nicht für die Astronomie, nicht für irgendetwas, was wir noch nicht verstanden haben, wo Gott eine Arbeitshypothese oder ein Erklärungsansatz für irgendetwas ist. Gehen wir weiter. Gott ist für die Welterklärung nicht notwendig. Er ist es nicht mal für die Moral. Es gibt Christen, die sagen, ja, okay, aber Gott muss doch schon notwendiger Garant sein einer absoluten Moral. Ohne Gott wäre ja alles willkürlich. Ohne Gott wäre ja alles erlaubt. Ohne Gott gibt es ja keine festen Maßstäbe mehr. Also ist Gott notwendig dafür, dass Menschen eine verbindliche Moral haben, an die sie sich halten müssen, weil sie nur dann eben auch zur Rechenschaft gezogen werden, wenn es Gott gibt.

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Auch davon hat Bonhoeffer nichts gehalten. Seine ganzen Erfahrungen sprachen überhaupt nicht dafür. Denn ja, es gab viele Christen und viele, die es auch so gesagt hätten, die gesagt haben, ohne christliche Grundlage kann der Staat nicht existieren. Der Staat muss ganz klar christliche Grundlage, christliche Prinzipien haben. Und Bonhoeffer hat selbst miterlebt, wie unzählige Christen sich dadurch fangen ließen, dass der Nationalsozialismus sagte, wir stehen auf dem Boden eines positiven Christentums. Positiv war damals ungefähr konservativ. Es gab die Liberalen und die Positiven. Und wenn der Nationalsozialismus sagt, wir stehen auf dem Boden eines positiven Christentums, hieß das, wir sind da nicht so modern, zeitgeistig, liberal irgendwie, sondern klassisch, traditionell, konservativ.

43:06
Und für unzählige Christen war der Nationalsozialismus entweder willkommen oder akzeptabel, weil er vermeintlich Schutz bot gegenüber einem gottlosen Kommunismus. Das war der einfachste Trick nationalsozialistischer Propaganda, das Schreckgespenst der gottlosen Herrschaft der Kommunisten an die Wand zu malen. Und schon waren alle Christen mindestens bereit, den Nationalsozialismus zu akzeptieren, wenn nicht sogar sich ihm hinzugeben. Das hatte Bonhoeffer viel zu oft erlebt, wie die Betonung christlicher Werte und christlicher Grundlagen radikal korrumpierbar ist. In den Kreisen des Widerstands gab es Christen. Es gab sehr eindrückliche hingegebene Christen, die gesagt haben, wir sind bereit, unser Leben zu riskieren, um Hitler zu bekämpfen. Und es gab viele andere. Es gab Agnostiker, Humanisten, aufgeklärte Skeptiker, Sozialisten, Kommunisten, Juden und Christen. Es gab alles Mögliche.

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Aber es war überhaupt nicht so, dass Christen den Durchblick hatten und Atheisten nicht. Die Rede von der Religion als Grundlage der Moral hat nicht nur theoretische Schwierigkeiten zu zeiten, wie sie wirklich funktioniert, denn das konfessionelle Zeitalter hat ja nun doch irgendwo gezeigt, dass unter den Bedingungen eines gespaltenen Christentums dieser Anspruch gerade nicht funktioniert und sondern alles zerstört, sondern es hat auch ganz praktisch im Grunde nicht gezeigt, dass Christen qua ihres Glaubens die bessere, schlüssigere, hellsichtigere Moral haben. Ein dritter Angriff auf die Mündigkeit der Welt sah nach Bonhoeffer so aus. Viele Predigten funktionierten so, dass sie sagten, okay, ihr könnt die Welt erklären ohne uns, meinetwegen,

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Relativitätstheorie ist auch schwierig und lassen wir mal und so Moral kann man lange drüber reden, Politik schwierige Frage, man kann ja auch nicht mehr frei reden, aber es gibt Fragen, da kommt ja alle nicht mit klar. Da ist zum Beispiel der Tod und da guckt ihr jetzt ernst mit Recht, denn das kriegt ihr mit eurem Unglauben niemals in den Griff. Niemand von euch weiß, was da kommen wird. Wir alle gehen auf ein schwarzes nicht zu und was wird da warten und möchtest du es riskieren, so dass du glaubst, es geht ohne Gott und das wird dann ein tödlicher Irrtum, den du in alle Ewigkeit büßen musst. Willst du es riskieren? Wie willst du mit dem Todesproblem klarkommen, wo du nichts darüber weißt und wo keine Wissenschaft was weiß, sondern allein der, der sagen kann, ich war tot und siehe, ich bin die Auferstehung und das Leben, der allein mit dem Tod, da kommst du nicht dran vorbei.

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Oder die Schuldfrage. So willst du denn im Ernst behaupten, du bist nie schuldig geworden? Ja, glaubst du, das ist egal? Wenn du im natürlichen Leben etwas versuchst gegen die Naturgesetze, sie werden dich daran erinnern, dass du wirklich nicht fliegen kannst. So du kannst nicht aus dem Fenster springen und hoffen, dass du sanft landest, einfach weil du das möchtest und was stören dich die Naturgesetze. Sie werden dich durch einen harten Aufprall wieder zurück in die Wirklichkeit bringen. Warum sollte es in der Moral ähnlich sein? Wenn du gegen moralische Gesetze verstoßen hast, wenn du schuldig geworden bist, wirst du bezahlen. Und wie willst du damit umgehen? Keine Politik, keine Wissenschaft kann dir da helfen. Allein der Glaube. So und das waren so Fragen. Und Bonhoeffer bekam aber mit der Zeit ein Wiederwillen gegen solche Predigten. Weil er sagte, das ist im Grunde der letzte Versuch, immer dasselbe Spiel den Menschen irgendwie zu packen, ihn irgendwie zu Boden zu ringen, ihn irgendwie klein zu kriegen, ihn auf die Knie zu zwingen und zu sagen, gib zu, dass du nicht klar kommst, dann haben wir was für dich.

47:26
Aber sei ja nicht mündig und selbstbewusst und stolz. Glaub ja nicht, dass du dein Leben in den Griff hast. Und es war jetzt nicht so, dass Bonhoeffer sagte, das sind gar keine Fragen, das sind keine Probleme. Es sind Fragen, es ist schon sehr wichtig. Und so kann doch Glaube nicht funktionieren, dass man Menschen mit psychischer Gewalt unter Druck setzt, um sie irgendwann zu etwas seelisch zu nötigen. Denn dann würde der Glaube festgemacht an Grenzfragen, an den Grenzfragen, wo Menschen schwach, ohnmächtig und hilflos sind. Christentum würde damit im Grunde permanent die Ausnutzung von Verzweiflungssituationen von Menschen.

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Müsste Glaube nicht den Menschen bei seiner Stärke packen, bei seinem Glück, bei seiner Tatkraft, bei seinen Erfolgen, müsste nicht das ganze Leben von Gott durchdrungen werden können, wenn es wirklich um Gott geht. Warum macht Gott sich auf solche armselige Weise an Seelen heran, wenn das nicht anders funktioniert? Was ist das für eine armselige Religion? Darum zieht Bonhoeffer in diesen Jahren die sehr klare Konsequenz. Der Kampf gegen die mündige Welt war vergeblich und er war mehr als das, er war tragisch. Das Christentum hat sich radikal unglaubwürdig gemacht, dadurch, dass es versuchte, gegen die Moderne anzutreten und im Grunde immer versuchte, die Lücke noch zu finden, wo die aufgeklärte Moderne noch keine Antwort hat. Dieser Weg muss radikal beendet werden.

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So kann Christus nicht mehr glaubwürdig gemacht werden. Das ist die eine grundlegende Beobachtung, die Dietrich Bonhoeffer zu seiner Zeit macht. Die zweite hat mit dem Stichwort Religion zu tun. Er sagt, wir müssen die Mündigkeit der heutigen Menschen anerkennen. Zweitens, wir müssen auch verstehen, dass die bisherige Form des Christentums nicht mehr lebbar ist, nicht mehr gelingt, nicht mehr funktioniert. Das ist jetzt eine etwas komplizierte Gemängelage, wo Bonhoeffer in verschiedenen Gedankensträngen drin ist. Ich versuche es mal sehr einfach auf drei Punkte runterzubrechen, die Dietrich Bonhoeffer mit Religion verbindet. Zum einen kann man sagen, er meint mit Religionslosigkeit auch so etwas, was wir heute als schlicht Sekularisierung bezeichnen würden. Also er sammelt Beobachtungen. Er sagt, es hat im Krieg keinen religiösen Aufbruch gegeben. Das gab es oft früher.

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Befreiungskriege, Deutschland gegen Napoleon, großer nationaler Aufschwung, großer religiöser Aufschwung. Die Menschen strömten zur Kirche. So, das findet nicht statt im Dritten Reich. Es plätschert alles so weiter. Es gibt aber überhaupt kaum religiöse Reaktionen auf diesen ungeheuren Krieg. Es gibt eine wachsende Entfremdung vom Christentum. Die christliche Sexualmoral interessiert die meisten nicht mehr. Viele kennen sie gar nicht mehr. Und die, die sie kennen, zucken die Schultern. Es leuchtet nicht mehr ein, dass diese Regeln das Leben irgendwie besser oder einfacher machen. Es findet eine ständige Ablösung statt des Glaubens durch Kunst, durch Wissenschaft, durch Politik. Und das ist ein Prozess, den man wahrnehmen, beobachten kann. Und das meint Bonhoeffer auch mit Religionslosigkeit. Das meint er aber in gewisser Hinsicht am wenigsten. Er denkt bei Religionslosigkeit auch etwas anderes mit.

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Dietrich Bonhoeffer ist stark geprägt durch den Schweizer Theologen Karl Barth. Und Karl Barth hat in seiner Theologie einen neuen Gegensatz aufgemacht, den es so vorher nicht gab. Er sagte, es gibt Religion. Und Religion ist der menschliche Versuch vom Menschen her, einen Zugang zu Gott zu bekommen. Das ist Religion. Und so geht es aber nicht. Religion hat immer eine notwendige Tendenz zum Götzendienst. Religion schafft sich Gottesbilder, die irgendwie menschenförmig sind und wo die Menschen das verehren, was ihnen irgendwie einleuchtet und was ihnen nahe ist. Religion ist immer eine Form der Selbstvergötzung. Und das ist von Karl Barth ein recht kluger Schachzug, weil er sagte, die Feuerbachsche Religionskritik funktioniert ja so, dass sie sagte, der Mensch glaubt im Grunde an die eigenen Ideale des menschlichen Wesens, die projiziert er an den Himmel.

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So und das war eine sehr erfolgreiche Religionskritik. Und Karl Barth sagte, genau richtig, so ist es auch. So funktioniert Religion. Nur dass wir Christen eben nicht an das glauben, was wir von uns aus entwickeln, sondern wir glauben an den Gott, der in Christus Mensch wird. Wir glauben an Christus und nicht an Religion. Diese Religionskritik überzeugte damals sehr viele. Bis heute ist das auch unter manchen Christen fast eine Mode, dass sie sagen, ich bin nicht religiös, ich habe eine Beziehung zu Christus. Und Bonhoeffer fand es auch überzeugend. Religion war für ihn ein kritischer Begriff, etwas Problematisches, etwas, was vom Menschen ausging. Und er teilte diese Religionskritik von Karl Barth. Insofern klingt es für Bonhoeffer nicht so schlimm, wenn er sagt, wir gehen auf eine religionslose Zeit zu. Das schwingt für Bonhoeffer auch mit, da stirbt etwas.

53:15
Aber darum ist es nicht so schlimm. Karl Barth hat dann in der weiteren Entwicklung seiner Theologie zu zeigen versucht, dass das alles so sei und dass man auch sagen müsste, das Christentum sei gleichzeitig die wahre Religion. So wie der Christ ein gerechtfertigter Sünder ist, ist die Religion schon dem, was Sünder entspricht. Aber gleichzeitig das, was auch von Gott her gerechtfertigt ist, so dass die christliche Religion als wahre Religion von Gott angenommen würde. Damit war Bonhoeffer überhaupt nicht zufrieden, weil er hier im Grunde eher das Gefühl hatte, dass der Gewinn von Barths Theologie, also sozusagen Religionskritik, ist wesentlich für den christlichen Glauben, fast verspielt wurde. Es gibt also diese beiden Stränge eine Säkularisierungstheorie, eine theologische Kritik an Religion, die bei Bonhoeffer mitschwenkt.

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Das Wichtigste in seinem Überlegung ist aber nochmal etwas anderes. Und der wichtigste Gedanke funktioniert so. Bonhoeffer sagt, Religion wird für uns allmählich erkennbar als eine zeitbedingte Ausdrucksform des Christentums. Religion ist ein bestimmtes zeittypisches Gewand, in das der christliche Glaube gekleidet war. Und dieses Gewand, diese Ausdrucksform hat im Grunde eine große Epoche überspannt. Im Grunde von der alten Kirche bis in die moderne hinein lebte der christliche Glaube in der Gestalt der Religion. Und dieses Gewand, diese Gestalt, diese Ausdrucksform funktioniert aber nicht mehr. In welcher Weise war Religion eine Ausdrucksform, eine Gestalt? Bonhoeffer nennt vor allem zwei Dinge, die für das traditionelle Christentum wesentlich waren.

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Er nennt diese beiden Dinge Metaphysik und Innerlichkeit. Metaphysik heißt ganz schlicht Religion, also Metaphysik funktioniert so, dass man bestimmte Grundannahmen über das Göttliche, also Metaphysik funktioniert so, dass man bestimmte Grundannahmen über das Göttliche hat. Es ist ewig, es ist allmächtig, es ist zeitlos, es ist allgegenwärtig, es ist vor allem jenseits, es ist eine Überwelt, eine Hinterwelt, die diese unsere Welt in irgendeiner Form bestimmt. Es sind diese beiden Welten, die ewige Welt und unsere zeitliche Welt und in dieser ewigen Welt ist Gott. Und dann hat man schlicht das Christentum mit dieser Matrix beschrieben und dann gesagt, naja, und der Gott, den es so gibt, für uns Christen ist das der dreieinige Gott. Das ist der ewige und absolute und allmächtige und dieser Jesus, der ist eben der Herr und der Richter und der König.

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So und dann war das fertig und das war die eine Hälfte, die andere war Religion ist eine persönliche Angelegenheit, gibt die Kirche, die ist in der Welt aktiv und so, aber religiös sein heißt Innerlichkeit und Gewissen, also persönliche Gottesbeziehungen, die irgendwie weltlos ist. In der persönlichen Gottesbeziehung geht es um Gottes ewige Welt, es geht schlicht darum, in den Himmel zu kommen. Und Bonhoeffer sagt lange hat das Christentum so funktioniert, eine Zwei-Welten-Lehre. Und wenn man in der wirklichen Welt glaubte an den Gott der Überwelt, dann so, dass es eine persönliche Beziehung war, die im Grunde diese sichtbare materielle Welt immer schon übersprang und im Grunde immer so betete, lieber Gott, mach mich froh, dass ich in den Himmel komme.

57:06
So und diese Matrix, diese Gestalt von Religion hatte eine große lange Zeit und Bonhoeffer glaubt zu sehen, sie ist nicht mehr glaubwürdig. Es funktioniert so nicht mehr. Warum? Zum einen können die Menschen diese ganze Überwelt nicht mehr denken. Sie haben massive Zweifel an diesem Jenseits, an diesem König, der da auf einem Thron irgendwo sitzt und aus einer anderen Welt hier alles regiert. Das spricht nicht so viel für und vor allem finden sie, dass die praktischen Folgen einer solchen Religion im Leben der Menschen einfach so ein bisschen befruchtlos sind, ein bisschen schädlich. So da versuchen lauter religiöse Iche ihre Seele zu retten, machen dafür manchmal kuriose Dinge, manchmal auch ganz gute Dinge, aber lauter Befremdlichkeit. Und Bonhoeffer sagte, das verschwindet, das geht unter und das ist auch gut so.

58:09
Denn das Problem dieser religiösen Epoche war, Glaube war gleichbedeutend mit Weltflucht. Es ging nie um diese Welt. Diese Welt war immer, lass die herrschen, die dazu von Gott eingesetzt sind. Aber diese Welt hat im Grunde nur den Zweck, dass man in ihr die Botschaft aus der jenseitigen Welt erfährt, durch Taufe oder Bekehrung sich zur jenseitigen Welt bekennt, um in der jenseitigen Welt das wirkliche Leben zu führen. Das hier ist ja Jammertal. Hier muss man ja nicht groß, man muss ja auf einem sinkenden Schiff nicht noch die Reling polieren oder so. Es braucht kein Mensch. Es geht alles den Bach runter. Es ist egal. Wir brauchen das alle nicht. Und Bonhoeffers These ist diese ungeheuer mächtige Matrix. Die Überwelt und die innerliche, weltlose Religion war eine Gestalt des Christentums.

59:06
Das hat lange so funktioniert und in dieser Gestalt war manches Gute möglich. Aber im Grunde ist diese Matrix dem wirklichen Christentum unangemessen. Denn Gott geht es um diese Welt. Gott wurde Mensch in dieser Welt und Christen, die ständig über diese Welt hinweg glauben, werden der Inkarnation Gottes in Jesus Christus, der Menschwerdung Gottes in Christus einfach nicht gerecht. Darum ist es im Grunde eine Befreiung, wenn ein solches Religionssystem immer unglaubwürdiger wird. Aber es ist natürlich auch eine ungeheure Umformungskrise, dass das Christentum im Grunde ganz neu gedacht werden muss. Bonhoeffer kann schreiben, wir sind auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Wir müssen ganz neu durchbuchstabieren, wer Gott ist, was Glaube ist, wie Kirche geht, was Hoffnung bedeutet.

60:10
Wir müssen uns auf diese Umformungskrise einlassen. Wir müssen fallen lassen, was fällt. Aber wir brauchen auch neue Worte, neue Wege, neue Strukturen, die erst allmählich sich herausschälen können. Bonhoeffer schlägt zwei Begriffe für, die im Grunde ganz eng zusammengehören, wie es weitergehen muss. Er sagt, in dieser Zeit brauchen wir ein neues Verständnis der christlichen Botschaft. Und er nennt es so, wir brauchen eine nicht religiöse Interpretation der biblischen Botschaft. Und wir brauchen eine weltliche Interpretation der biblischen Botschaft. Diese beiden Formeln kann man im Grunde so beschreiben. Erstens, wir müssen lernen. Gott radikal von Christus her zu verstehen. Und zweitens, wir müssen lernen, Gott radikal auf diese Welt hin zu verstehen.

61:14
Der erste Punkt, wir müssen lernen, Gott von Christus her zu verstehen. Was die Religion als Matrix ja im Grunde gemacht hat, ist folgendes. Sie hat das Gottesdenken der Antike genommen. Und da war Gott das höchste Prinzip, das höchste Sein. Er war der unbewegte Beweger, er war der Ewige. Und dann sagte man, das ist der, der im Alten Testament sich als Schöpfer offenbart und der in Jesus Christus seinen Sohn präsentiert und der der Dreieinige ist und den wir als den Pantokrator, den allmächtigen Herrscher der Welt verirren. Das heißt, man hat im Grunde eine vorchristliche Logik übernommen und von dieser vorchristlichen philosophischen Logik her den Gott der Bibel verstanden.

62:05
Manuver weiß, dass es komplizierter ist. Ich weiß es auch. Ich mache es jetzt sehr, sehr kurz und sehr knapp. Im Grunde, was tatsächlich stattfindet, ist ein sehr komplizierter Prozess der wechselseitigen Befruchtung von antikem Gottesdenken und biblischer Gottesrede. Es ist komplizierter, aber sehr vergröbert, kann man sagen. Bonhoeffer sieht es manchmal so kritisch, als wäre Gott in Christus gekapert worden. Von einem Gottesverständnis, was nicht von Christus her denkt, sondern von allgemein abstrakten Ideen des Ewigen und Absoluten. Dem stellt Bonhoeffer gegenüber. Wir müssen die biblische Botschaft wirklich ernst nehmen. Das heißt, am Anfang steht nicht zuerst ein allgemeiner Gottesglaube, an Gottes Allmacht und so weiter, den man dann auf den Gott in Jesus bezieht. Bonhoeffer sagt dazu, das ist keine echte Gotteserfahrung, sondern ein Stück prolongierter Welt.

63:06
Wie geht es dann? Bonhoeffer schreibt stichwortartig Begegnung mit Jesus Christus. Erfahrung, dass hier eine Umkehrung alles menschlichen Seins gegeben ist, darin, dass Jesus nur für andere da ist. Das für andere da sein Jesu, das ist die Transzendenzerfahrung. Und aus dieser Freiheit von sich selbst, aus dem für andere da sein bis zum Tod, entspringt erst die Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart. Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu, Menschwerdung, Kreuz, Auferstehung. Sehr verkürzt, sehr kryptisch, bisschen ausgelegt. Wir müssen lernen, Gottes Sein anders zu denken. Gottes Sein ist immer schon ein Inbeziehungsein. Gottes Sein ist nicht dingförmig. Gott ist nicht ein anderes existierendes Etwas, so wie die Welt ein existierendes Etwas ist.

64:11
Nur dass er eben mächtiger und größer ist als sie. Sondern Gott ist immer schon der Gott Inbeziehung auf den Sohn hin. Und Jesus ist der Sohn Gottes ganz vom Vater her und ganz für die Menschen. Und Glaube heißt nicht an die Existenz eines Gottes glauben, sondern sich so auf Christus einzulassen, dass man in diese Beziehung hineingerissen wird. Glaube ist das Teilnehmen an diesem Sein Jesu, also nicht das Fürwahrhalten von etwas, was in irgendeiner Weise existenzförmig gedacht wird. So, und das ist ein Thema, was Bonhoeffer immer weiter entfaltet in Ansätzen. Aber er sagt, das ist die Arbeit, die vor uns steht, von Christus her, vom Kreuz her, vom wirklichen Leben des Jesus von Nazareth her zu sagen, was ist Gott? Wer ist Gott? Und da stehen wir am Anfang und das müssen wir allmählich durchbuchstabieren.

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Zweitens, wir müssen diesen Gott dann auf die Welt hindenken. Nicht über die Welt hinaus. Wir dürfen uns nicht aus dieser Welt herausdenken in irgendeine tröstliche Überwelt. Und das kann Bonhoeffer ganz kryptisch andeuten, was er damit meint. Er sagt, wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen. Et si Deus non deretur, Latein, als wenn es keinen Gott gäbe. Und eben dies erkennen wir vor Gott. Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. Das klingt paradox. Ich soll erkennen, dass ich in der Welt leben muss ohne Gott, vor Gott. Ja, und genau so formuliert Bonhoeffer es dann. Er sagt, vor und mit Gott leben wir ohne Gott.

66:07
Der Gott, der uns in der Welt leben lässt, ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt. Das sind jetzt so Kinderschrecksätze, wo viele Menschen wahrscheinlich befürchten. Habe ich geahnt, dass Theologen irgendwann ins Unaussprechliche geraten. Was möchte Bonhoeffer damit sagen? Es ist im Grunde hier ein Kampf zwischen den Gottesbildern. Und die Botschaft ist ja klar, wenn wir wirklich glauben von Christus her, müssen wir bestimmten Gottesbildern den Abschied geben. Wir müssen den Gott, der immer die Lösung in letzter Sekunde war, der Helfer und Tröster in jeder Krise, der väterlich, mütterlich immer gesprungen kam, wenn ich irgendein Auer hatte, diesen Gott müssen wir verabschieden. Zu einem mündigen, reifen Glauben gehört für Bonhoeffer auch ein wirklicher Abschied von Gottesbildern.

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Und er sagt gleichzeitig, Gott zwingt uns zu dieser Einsicht. Wir verabschieden Gott und nur so können wir vor und mit Gott leben. Wir verabschieden den Gott, der im alten Sinne eine Projektion war. Und das sieht Bonhoeffer sehr nüchtern. Das, was die meisten Menschen in ihrer religiösen Sozialisation sich erst mal aneignen, ist nicht so sonderlich tief geprägt von der biblischen Botschaft, sondern wirklich sehr viel Kultur, sehr viel Menschliches, sehr viel Projektion, sehr viel Wunschbilder, sehr viel Unreifes, sehr viel Halbgares. Und man kommt im Laufe des Lebens manchmal an den Punkt, wo man das merkt. Und viele entscheiden sich an dieser Stelle für eine endgültige Befreiung von jedem Gottesglauben, weil sie durchschauen, das, was sie bis jetzt geglaubt haben, ist nicht tragfähig.

68:12
Es war eine tröstliche, heimliche Fantasie, die aber den Zusammenprall mit der harten Wirklichkeit nicht überlebt hat. Und Bonhoeffer würde in der Tat sagen, viel Atheismus in dieser Welt ist ehrlicher und realistischer als viel unreife Religion. Und er würde weitergehen und sagen, der Atheismus ist nicht die einzige Alternative zur unreifen Religion. Es gibt so etwas wie einen mündigen Glauben. Und dieser mündige Glaube besteht auch zunächst mal in einem Illusionsverzicht, in einem Verzicht auf einen kindischen Glauben. Dieser Verzicht muss nicht in einem Gegensatz stehen zu einem sehr kindlichen Vertrauen auf den Gott Jesu.

69:06
Also das Vertrauen darf als solches sehr kindlich und sehr hingegeben sein. Aber es gibt kindische Vorstellungen von Gott, die nicht realistisch sind. Und die muss man verabschieden, spätestens dann, wenn man merkt, sie tragen nicht mehr. Und warum muss man das? Bonhoeffer verweist auf den Grund, warum er so zugespitzt formuliert, Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz. Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt. Und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Christus hilft nicht Kraft seiner Allmacht, sondern Kraft seiner Schwachheit, seines Leidens. Bonhoeffer beruft sich auf das biblische Zeugnis, wo der gekreuzigte Gott ein radikaler Gegenentwurf ist zu allen stets hilfreichen Götzen, die Menschen sich erfinden, um sich mit ihnen selbst zu trösten. So ist Gott nicht. Hingegen wird vom Menschen eine umgekehrte Bewegung gefordert oder ihm ermöglicht,

70:14
nicht nur einen Gott zu haben, der absolut hilfreich und tröstlich und gut ist, sondern ein Gott, der mit ins Leiden kommt, der mit in das Leid, mit in die Not dieser Welt eingeht und der gleichzeitig Menschen dazu aufruft, diesen Weg fortzusetzen. Dieser Gott, der sich am Kreuz zeigt, steht im Grunde für zweierlei. Das eine ist radikale Anteilnahme, radikale Zuwendung, bedingungslose Liebe, bedingungsloses Ja zu den Menschen, nicht aber permanente Wunscherfüllung, permanente Lebenserleichterung, permanente Gebetserfüllungsorgien, die das Leben besser, leichter und schöner machen,

71:07
als die armen, armen Heiden das so haben. Ein solches Christentum würde Bonhoeffer für kitschig und für unwahr befinden. Aber radikale Zuwendung zum Menschen, das ist es, wofür der Gott Jesus steht. Und das zweite, Gott nimmt den Menschen in diese Bewegung radikaler Anteilnahme mit hinein. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiten. Bonhoeffer bezieht sich dabei auf die Gethsemane-Geschichte. Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? Fragt Jesus in Gethsemane. Und in diesen Gefängniswochen denkt Bonhoeffer das immer wieder durch. Gott ist nicht zuerst dafür da, dass es mir gut geht. Gott gibt mir viel mehr, er gibt mir radikale Liebe. Aber er nimmt mich auch in eine Bewegung hinein, dass ich nicht um mich kreise, dass es mir nicht um meine Befindlichkeit geht, sondern ich mich anderen genau so radikal zuwende,

72:12
wie Gott sich mir zugewandt hat. Was bedeutet das für die Verarbeitung von Lebenserfahrungen? Bonhoeffer war ja im Gefängnis und erwartete nun darauf, was wird denn jetzt mit dem Attentat? Gelingt es jetzt, Hitler zu stürzen? Er wusste darum, es steht bevor und es waren seine Freunde und Verwandten, die in Berlin bereit waren, die Macht zu übernehmen. Sobald die Botschaft kommt, Hitler ist getötet, der Krieg ist zu Ende, wir fangen neu an. Am 20. Juli, ihr kennt die Geschichte alle, kam es zu diesem Attentat und gegen alle Logik, gegen alle Wahrscheinlichkeit überlebt Hitler, fast kaum verletzt. Es geht unendlich viel schief, in Berlin geht auch viele schief. Am Abend des selben Tages meldet sich Hitler wieder über den Volksempfänger. Er preist die schützende Fürsorge Gottes, er dankt der Vorsehung, er sieht seine Rettung als Beweis dafür an, dass die Vorsehung mit ihm noch viel vorhat.

73:16
Und Millionen von Christen gehen an diesem Abend auf die Knie und danken in Brünstig Gott dem Herrn, dass er seinen Knecht Adolf Hitler gerettet hat. Gott ist lebendig, Gott ist mächtig, Gott erweist sich als stark und als helfender, erlösender, rettender Gott, der dem deutschen Volk seinen Führer nicht genommen hat und dessen grausames Gericht nun über die Verräter ergehen wird. Das war der Tag 20. Juli 1944 für Dietrich Bonhoeffer. Dietrich Bonhoeffer schreibt am nächsten Tag einen Brief an seinen Freund Bethke. Es ist natürlich ein Tag zum Wahnsinnigwerden, klar. Es ist noch nicht sicher, ob es herauskommen wird, dass Bonhoeffer mit drinsteckte. Es kommt Monate später heraus, das weiß er an diesem Tag noch nicht. Darum redet er nicht offen, er redet verklausuliert. An einer Stelle schreibt er in diesem Brief, wie sollte man bei Erfolgen übermütig

74:13
oder an Misserfolgen irre werden. Wenn man im dieszeitigen Leben Gottes Leiden mitleidet. Du verstehst, was ich meine, auch wenn ich es so kurz sage. Sehr verklausuliert. Die Botschaft ist natürlich im Grunde das, was gestern passiert ist, zum Wahnsinnigwerden. Man kann doch nur durchdrehen angesichts eines solchen Misserfolgs, angesichts eines solchen höhnischen Preises der Vorsehung Gottes, der alles dazu getan hat, Hitler vor Schlimmerem zu befürchten. Aber Bonhoeffer sagt, ich werde nicht wahnsinnig, weil ich in dieser Zeit nur eines im Sinn habe, Gottes Leiden mitzuleiben. Was ist damit gemeint? Damit ist zum einen gemeint ein radikaler Sinnverzicht im Blick auf dieses Ereignis. Für die Religion ist es oft typisch, dass sie das, was passiert, deuten möchte.

75:12
Religion ist immer irgendwo Lebensdeutung, Ereignisdeutung. Sie möchte den Dingen Sinn abgewinnen. Sie möchte mit der Faustformel Gott macht keine Fehler, verstehen, was passiert. Und das, was passiert, ist eben Geschenk oder Lohn oder Strafe oder Prüfung oder Gericht. Es ist aber sinnvoll. So funktioniert menschliche, selbstbezügliche Religion. Alles, was passiert, hat einen Sinn. Die Prämisse ist Gott macht keinen Fehler. Alles, was passiert, hat irgendeinen Sinn. Welchem Sinn kann man dem gescheiterten Attentat auf Hitler geben? Was Bonhoeffer macht, ist ein radikaler Verzicht auf das Deutungstun. Der Versuch, einzelnen Ereignissen eine klare Deutung zu geben. Gott straft, Gott richtet, er führt in Versuchung, er erprobt, er beschenkt, er belohnt.

76:14
Es gibt viele Ereignisse im Leben, die sind für uns nicht begreiflich. Und hier muss der reife Glaube erkennen, dass der Deutungsverzicht die einzig angemessene Haltung ist. Und ja, das fordert den Menschen viel ab. Das produziert immer kognitive Dissonanz in der Birne, das Dinge ereignet, für die man keinen Begriff hat, keine Formel, keine Erklärung, keine Story. Darum sind Verschwörungstheorien ja so wahnsinnig beliebt, weil sie irgendeinen Sinn in die Wirklichkeit hineinzeigen, auch wenn er völlig bescheuert ist. Und wir leben in einer Zeit, wo dieses Deutungsverlangen sehr stark, sehr mächtig ist, wo Menschen lieber den letzten Scheiß glauben, bevor sie sagen, ich weiß auch nicht, warum das mit der Globalisierung so schwierig ist. Ich weiß auch nicht, welche Währung oder welche Finanzkrise oder welches Rechtssystem oder wie auch immer funktionieren könnte.

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Im Blick auf Gott ist dem reifen Gläubigen viel Sinnverzicht zugemutet. Wir können vieles nicht verstehen. Und das gilt es anzuerkennen. Und da gilt es, mit Jesus in Gethsemane zu wachen und diese radikale Perspektivverschiebung mitzumachen. Ich leide das Leiden Gottes mit an dieser wahnsinnigen, kranken, aufgewühlten Welt. Und das zweite Neben-diesem-Sinn-Verzicht ist das Bewusstsein der radikalen Anteilnahme Gottes an meinem Leben. Und ich denke, das macht Bonhoeffers Theologie bis heute auch noch so nahbar, so ansprechbar, dass er nicht nur Gedanken produziert, sondern diese Gedanken immer wieder in Gebete, in Gedichte und in Liedern einmünden lässt.

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Und ich denke, das ist etwas, was reifen Glauben ausmacht. Auf der einen Seite den Verzicht auf ein sich-Gott-passend-machen, ein Verkleinern Gottes, das ich ihn begreife. Reifer Glaube weiß, Gott ist größer, er ist größer als das, was ich verstehen oder fassen kann. Und bei vielen Ereignissen kann ich nur stumm und starr davorstehen und verzichten auf jede Deutung. Aber kein Glaube kann nur von dem Bewusstsein leben, dass Gott größer ist. Glaube lebt auch von dem Bewusstsein, dass Gott näher ist, mir zur Seite steht, mich hält. Und Bonhoeffer hat diesen Gedanken in viele Gedichte gebracht, unter anderem in die letzten Worte, die von ihm überhaupt überliefert sind. Von guten Mächten wunderbar geborgen. Ich könnte sagen, ja, davon hast du aber nicht viel erlebt in den letzten Jahren deines Lebens. Bonhoeffer sagt, doch, doch, ich habe unendlich viel Güte und Treue Gottes erlebt.

79:13
Und ich habe darin Dankbarkeit und Halt und Geborgenheit erfahren. Ja, ich bin gewiss, dass Gottes Liebe mir nah ist. Und das bekenne ich. Und ich kann das nicht begründen. Ich kann nur auf diesen Jesus Christus am Kreuz zeigen und sagen, darum, darum bin ich mir dessen gewiss. Und darum bete ich es und darum singe ich es. Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Das ist interessant offen formuliert. Er hätte ja sagen können, erwarten wir getrost, wie Gott alles wieder in Ordnung bringt. Nur Gott bringt vieles nicht wieder in Ordnung. Es geschehen Katastrophen. Dinge gehen radikal schief. Schlimmste Dinge können real werden. Und das widerlegt Gott nicht einfach. Und der Gläubige kann nicht mit so einem Mantra leben. Gott macht keine Fehler. Gott kriegt alles Sinn. In letzter Sekunde wird alles gut. Er wird doch seine Kinder nicht hängen lassen. Es kann alles passieren. Aber Bonhoeffer betet, wir erwarten getrost, was kommen mag.

80:18
Was auch immer und sei es der bittre Kelch des Leidens. Denn Gott ist mit uns. Er ist an unserer Seite jeden Tag neu. Und wir gehen getrost mit ihn in jedem neuen Tag hinein. Das ist reifer christlicher Glaube. Ein Gott, der sich nicht zu berechnen lässt, der sich nicht komplett verstehen oder durchschauen lässt. Und dessen Nähe dichter und tiefer und liebevoller ist als alles, was wir sagen können. Mit diesen Impulsen ist Dietrich Bonhoeffer nicht nur ein Theologe seinerzeit, sondern ein Anstoß, in diese Richtung weiterzudenken. Auf dieser Spur neu zu fragen, wer ist Christus für uns? Und heute. Und ich glaube, dass Dietrich Bonhoeffer bei dieser Frage bis heute ein unglaublich hilfreicher Theologe sein kann.

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Dietrich Bonhoeffer: Eine Theologie für eine mündige Welt | 7.12.2

Worthaus Pop-Up – Waldkappel: 31. Dezember 2017 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Am 20. Juli 1944 überlebt Adolf Hitler ein Attentat mit leichten Verletzungen. Am selben Abend sprach er wieder aus den Volksempfängern. Er dankte der schützenden Fürsorge Gottes und bezeichnete sein Überleben als Beweis dafür, dass die Vorsehung mit ihm noch viel vor habe. Millionen Christen dankten Gott für diese Rettung. Einige Christen waren an dem Attentat beteiligt und wurden kurz vor Kriegsende dafür hingerichtet. Unter ihnen auch Dietrich Bonhoeffer. Im Gefängnis machte er sich Gedanken über das, was da gerade in der Welt – auch in der christlichen Welt – geschieht, und hinterließ einige Aufzeichnungen. Wie nämlich vermittelt man den Glauben an Gott in einer Welt, in der Diktatoren Gott für ihre Rettung danken? Wie vermittelt man diesen Glauben an Menschen, die Religion immer mehr für unwichtig halten? Deren große Fragen an das Leben – Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? – zunehmend von der Wissenschaft beantwortet werden? Wenn Menschen mündig werden und nicht mehr der Kirche hörig sind, können sie dann noch an Gott glauben? Sie können, glaubte Bonhoeffer. Doch dafür müssen Gott, Glaube und Christentum völlig neu gedacht und die biblische Botschaft wieder ernst genommen werden.

Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Klassiker der Theologie«.