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Die Bergpredigt ist der provokativste Text der Bibel. Wenn wir als Christen die Bergpredigt lesen, haben wir anschließend nicht viel Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir sind eher leicht verwirrt, verunsichert, aber auf eine sehr inspirierende Weise. Die Bergpredigt hat eine ungeheure Wirkungsgeschichte, die kein Mensch überblicken kann, aber durch alle Jahrhunderte hat dieser Text gezündet und Menschen tief verändert. Die Bergpredigt ist kein System, sie ist kein Programm, sie passt zu keiner Ethik. Es gibt ja sehr viele ethische Systeme, utilitaristische Ethik, hedonistische Ethik, Gesinnungsethik, Verantwortungsethik, normative

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Ethik, Situationsethik und so weiter. Zu keiner passt die Bergpredigt. Die Bergpredigt kann man überhaupt nicht integrieren, sie ist fremd, sie ist sperrig und wird es immer bleiben. Also, wir haben den provokativsten Text der Bibel vor uns und das sind besondere Herausforderungen für den Interpreten. Die Bergpredigt ist die wichtigste Rede Jesu, sie stammt nicht von Jesu selber. Die Worte sind zwar von Jesu, kommen von Jesu, aber Matthäus hat sie komponiert, also der Schöpfer, der Bergpredigt in dieser Komposition, Matthäus 5 bis 7 ist von Matthäus. Die Bergpredigt ist

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auch nicht eine Rede, die einen Spannungsbogen hat, also Einleitung, Mittelteile und dann Schlussteile, sondern die Bergpredigt ist ein Sammelsurium von kürzeren Texten, die sich verschiedenen Themen zuwenden, also ist ein Sammelbecken. Man könnte so eine Rede auch nicht halten. Also der Grundbestand der Bergpredigt sind wirklich Worte des historischen Jesus, aber durchaus gestaltet, geschliffen, zusammengestellt von Matthäus. Bei Matthäus ist die Bergpredigt die erste Rede Jesu und sie ist auch damit die erste Rede im Neuen Testament, wenn jemand das Neue Testament aufschlägt und von vorn bis hinten durchliest, stößt er als erste Rede Jesu auf die Bergpredigt. In Matthäus' Evangelium gibt es fünf Reden Jesu. Matthäus ist ein Lehrer, ein Didaktiker, er schafft größere Blöcke, zusammenhängende Blöcke und er liebt es,

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Jesus als Lehrer auftreten zu lassen. Jesus ist bei Matthäus der Lehrer, also ist ein Kollege von mir und diese fünf Reden sind auch sozusagen die Pfeiler des Matthäus Evangeliums. Die erste und grundlegende ist die Bergpredigt, Matthäus 5 bis 7. Auch wenn man Gleichnisse Jesu interpretiert oder Gespräche Jesu, man muss sich immer fragen, stimmt meine Interpretation dieses Gleichnisses oder dieser Gesprächssituation, stimmt diese Interpretation mit der Bergpredigt überein? Die Bergpredigt ist schon der Maßstab für die Botschaft Jesu. Die Bergpredigt ist der Schlüssel zum Verständnis Jesu. In diesen ersten drei Vormittag-Vorträgen widme ich mich zunächst den

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Seligpreisungen und der dritte Vortrag geht dann über Ihr seid das Salz der Erde und das Licht der Welt. Die Abendvorträge heute, morgen und übermorgen 18 Uhr widmen sich den sogenannten Antithesen, da ist aber schon das Wort völlig falsch, Jesus ist nicht Anti, sondern ich sage mal vorsichtiger, das sind die Ich-aber-sage-euch-Sprüche. Denen widme ich mich an den Abenden einer dieser Vorträge, entweder der erste heute oder der letzte, übermorgen habe ich noch nicht entschieden, stellt sich dann der Frage nach dem Gesamtsinn der Bergpredigt. Wem gilt die Bergpredigt? Kann man sie wirklich in die Tat umsetzen? Wie und wer und so weiter? Also das wäre so ein ganz grundsätzlicher Vortrag, entweder heute oder übermorgen. Gut, jetzt aber die Seligpreisungen.

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Ich sage mal die Seligpreisungen mit dem Wort selig, ich werde aber gleich erklären, dass das Wort heute sehr missverständlich ist, wir können das heute nicht mehr so übersetzen. Zu Luthers Zeiten aber, Luther hat es so übersetzt, auch völlig zu Recht, weil das Wort selig bei Luther was anders bedeutet hat wie heute. Zur Zeit von Luther war das Wort selig ein normales deutsches Wort, das man im Alltag ständig benutzt hat. Nach Luther wurde es zu einem religiösen Fachbegriff, der in religiösen Kreisen benutzt wurde und meint dann immer mehr die himmlische Seligkeit nach dem Tod. Das ist aber bei Luther nicht gemeint. Bei Luther hieß das Wort selig einfach auch glücklich, so wie wir heute ganz selten mal sagen, das Kind ist ganz selig eingeschlafen oder es lächelt

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selig. Also in solchen Redewendungen spürt man noch, dass das Wort selig mal ein völlig profanes, alltägliches Wort für Glück war. Also was da wirklich im Griechischen und Hebräischen steht, werde ich dann nachher genauer erklären, aber ich will euch mal die Seligpreisungen jetzt einmal vortragen mit dem Wort selig am Anfang. Immer am Anfang steht das Wort selig und nach diesem ersten Wort aller acht Sätze heißen diese acht Sätze die Seligpreisungen. Selig sind die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Reich der Himmel. Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig sind die Machtlosen, denn sie werden das Land erben. Selig sind die Hungernden und

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Dürstenden nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Selig sind die reines Herzensind, denn sie werden Gott schauen. Selig sind die, die Frieden schaffen, denn sie werden Söhne Gottes heißen. Selig sind die, um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn das Reich der Himmel gehört ihnen. Also dieses erste Wort immer ist selig. Was ist damit gemeint? Das Wort im Griechischen makarios oder das Wort im Hebräischen ashre, die bedeuten genau das Gleiche. Also ashre hebräisch oder makarios

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griechisch hat genau den gleichen Sinn. Es waren damals ganz geläufige alltägliche Wörter, die jedes Kind kannte und zwar ist es einfach eine Gratulationsformel. Also man gratuliert, wenn man gratuliert, ich gratuliere dir oder gratulation, das heißt makarios oder ashre. Und gratuliert wird in allen Kulturen interreligiös, interkulturell, denn die Menschen haben die Erfahrung gemacht, es ist schön, wenn man einem anderen gratuliert, wenn der irgendwas Schönes erlebt. Also man gratuliert zur Geburt eines Kindes, man gratuliert zur Hochzeit, zum 50. Geburtstag, zum bestandenen Abitur, zum Doktorexamen und dass man wieder eine Arbeitsstelle hat und so weiter. Also man gratuliert und das will ausdrücken, ich sehe dein Glück, ich freue mich mit dir, ich nehme Anteil

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daran und dann drückt man das mit einer Gratulation aus. Wenn man sagt, dem gratuliere ich nicht, dann stimmt wirklich die Chemie nicht mehr, wenn man jemand sagt, dem gratuliere ich nicht. Gut, aber Gratulation ist etwas Urmenschliches, das jeder kennt, tief im Leben verankert. Gehen wir mal ein bisschen zur Geschichte, zur biblischen Geschichte dieser Gratulation. Also gratuliert wird in allen Ländern, in allen Kulturen, das ist ein menschliches Urphänomen. In der Bibel gibt es im Alten Testament ungefähr 45 Gratulationssätze, 45 ziemlich genau im Alten Testament. Luther übersetzt leider, im Neuen Testament übersetzt er Magarios mit selig, also heute würden wir sagen glücklich oder zu beglückwünschen, so ist es noch besser. Und aber

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im Alten Testament übersetzt er Aschree nicht mit selig und nicht mit glücklich, sondern mit wohl. Also nehmen wir mal eine ganz berühmte Gratulation, Psalm 1 Vers 1, der erste Satz der 150 Psalmen. Wohl dem, der nicht sitzt, wo die Spötter sitzen, der nicht sitzt im Rat der Gottlosen, sondern über die Thora nachdenkt Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum gepflanzt an Wasserbechen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und was er tut, das gerät ihm wohl. Also Luther übersetzt alle diese Stellen immer mit wohl. Wohl dem, der sich an Jahwe freut, wohl dem, der Jahwe dient und ehrt und so weiter. Also das sind die Gratulationen im Alten Testament. Im Laufe

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der weiteren Geschichte spitzen die sich ein bisschen zu. Es entsteht die Apokalyptik. 100, 200 Jahre bevor Jesus geboren wurde, entsteht in Israel die Apokalyptik, weil sie haben eine ganz schwere Religionsunterdrückung erlitten, so 180, 170, 160 vor Christus durch die Seloikiden. Die Seloikiden wollten die jüdische Religion mehr oder weniger ausrotten. Sehr viele sind zu Tode gekommen. Auf Einhaltung des Sabbat stand die Todesstrafe. Auf Besitz der Thora Todesstrafe durch die Seloikiden. Also eine sehr dunkle Zeit, ähnlich wie bei Adolf Hitler, genauso schlimm. Und in dieser Zeit entwickeln sich die Gratulationen weiter. Es kommen auch die Wehe-Rufe jetzt auf, die Jesus auch an ein paar Stellen verwendet. Also es gibt die Gratulation und die Wehe-Rufe, die sind gerade

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das Gegenteil. In der Apokalyptik lauten die meisten, also ich pauschaliere etwas, die meisten, so 90 Prozent der Gratulationen heißen so, glücklich die treu beim Herrn ausharren, die nicht feige sind, die nicht zum Feind überlaufen, glücklich die Überwinder, die die Anfechtung überwinden, glücklich die, die den Glauben unter Todesgefahr bekennen, die die Thora studieren, die gehorchsam sind, Jahre und seinem Willen. Also in harten dunklen Zeiten spitzt sich die Gratulation zu auf das erwünschte vorbildliche religiöse Verhalten. Wenn man mal das vergleicht, Jesus sagt, ich übersetze jetzt sinngemässer, zu beglückwünschen sind die Armen im Geist,

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denn ihnen gehört das Reich der Himmel, Reich der Himmel können wir auch sagen, Reich Gottes, weil Matthäus manchmal das Wort Gott vermeidet und wie viele Juden dafür einfach Himmel sagt. Himmel war im Judentum eine Ersatzredeweise für Gott. Der verlorene Sohn bei der Heimkunft sagt zum Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir, mit Himmel ist Gott gemeint. Da merkt man, dass der Vater vom verlorenen Sohn nicht Gott ist. Das ist ein normaler galiläischer mittelgroßer Bauer, das ist nicht Gott, sondern das ist ein Bauer. Und das merkt man ja, ich habe gesündigt vor Gott und vor dir. Da wird klar unterschieden. Also der Begriff Himmel. Also sehen wir mal in die Apokalyptik. Gratuliert wird den treuen, gehorbsamen, mutigen Bekennern des Glaubens in harter Zeit. Oder

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eben im Alten Testament in aller Regel auch, gratuliert wird denen, die Gott vertrauen, die Gott gehorchen und die Thora studieren. Den wird gratuliert. Jesus aber gratuliert den Armen im Geist, den Trauernden, den Machtlosen, den Hungernden und Dürstenden nach Gerechtigkeit. Das sind also sehr andere Akzente. Also soweit aber die Gratulationsformel selber ist also weit verbreitet. Im Neuen Testament gibt es sogar noch mehr Gratulationsformeln wie im Alten Testament, ungefähr 50 Gratulationsformeln. Im Matthäusevangelium und im Lukasevangelium allein 28, bei Markus gar keine. In der Johannisapokalypse sieben. Also ich sage mal in den Evangelien,

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selig oder zu gratulieren, wer sich nicht an mir ärgert. Das ist eine Gratulation in Matthäus 11. Oder im Lukasevangelium zu gratulieren der Frau, an deren Brüsten du gesogen hast. Also selig die Frau, an deren Brüsten du gesogen hast. Johannesevangelium, selig zu gratulieren, wer nicht schaut und doch glaubt. Also es gibt diese Formel sehr oft. In den meisten Fällen wird sie lehrmäßig formuliert in der dritten Person. Also zu gratulieren denen, die nicht sitzen wo die Spötter sitzen. Oder zu gratulieren den Treuen und Gehorsamen, die die Thora lesen. Das ist eine Formulierung in der dritten Person, so auch bei Matthäus. Zu gratulieren den Armen im Geist, den Trauernden. Man kann sie aber auch in direkter Anrede benutzen zu gratulieren euch

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Armen. Also die Gratulation gibt es in lehrmäßig als lehrmäßige Aussage in der dritten Person in 95 Prozent der Fälle. Also von den 45 Gratulationen im Alten Testament sind nur vier direkt formuliert, in direkter Anrede. Zu gratulieren euch und dann wird die Gruppe genannt. Gut, also das als Hintergrundinformation zu beglückwünschen, zu gratulieren ist. Und jetzt wird eine völlig neue Zusammenstellung, die es so in der Bibel nirgends gibt. Es gibt in der Bibel nirgendwo acht Sätze, die alle genau gleich aufgebaut sind, mit Aschree oder Makarios beginnen. Das ist hier der einzige Fall in der Bibel. Also die Seligpreisung, ich benutze mal den Begriff weiterhin, weil er so

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üblich ist. Aber ihr wisst jetzt, das ist einfach eine Gratulation, zu beglückwünschen sind. Es sind acht ganz kurze Sätze. Du kannst sie nicht mehr kürzen. Sie sind ganz konzentriert. Nehmen wir mal als Vergleich wohl denen, also zu gratulieren ist denen, die nicht sitzen im Rat der Gottlosen, die nicht sitzen, wo die später sitzen, sondern die Torar studieren Tag und Nacht. Die sind wie Bäche, wie Bäume gepflanzt an Bächen, die ihre Frucht bringen zu ihrer Zeit und was sie tun, das gerät ihnen wohl. Das ist ungefähr die sechffache Länge. Also wenn ihr mal alle Gratulationsformen vergleicht, die gehören einfach zu den kürzesten. Es gibt auch andere, die kurz sind. Aber hier acht ganz kurze Telegramme, würde man früher sagen, und du kannst sie nicht

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mehr kürzen. Wieso acht? In der Antike haben die Zahlen alle eine tiefere Bedeutung. Die Zahl acht ist die Zahl der Ewigkeit, der Transzendenz, der Unendlichkeit. Denn die Schöpfung hat sieben Tage. Also alle Bedeutungen der Zahl eins bis sieben sind sehr stark durch irdische Dinge geprägt. Die Zahl sieben, die Zahl der Vollendung irdischer Dinge, die brauchen eine Vollendung, die von Gott kommt. Aber wenn man zur Zahl acht greift, das geht übers irdische hinaus. Deswegen beschneiden auch Juden am achten Tag, weil sie sagen, wir Juden glauben, dass die Beschneidung eine Bedeutung hat bis in die Ewigkeit. Wenn du zum auserwählten Volk gehörst, das geht über irdische Komponenten hinaus. Deswegen die Beschneidung am achten Tag. In den Naturwissenschaften und Mathematik ist heute noch die liegende acht das Zeichen für unendlich. Das kommt daher. Also es sind sehr bewusst acht

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Seligpreisungen. Und sie bilden eine Einheit. Das merkt man schon darin, die erste Seligpreisung heißt, zu beglückwünschen sind die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Reich Gottes. So übersetze ich jetzt einfach. Weil Seligkeit und dann noch himmelreich, das hat ja hundertelang zu dem Missverständnis geführt, es geht um die Seligkeit im Himmel nach dem Tod. Und das ist ja völlig daneben. Also ich sage jetzt mal, wie es sonst meistens im Neuen Testament heißt, Reich Gottes. Auch Matthäus sagt manchmal, auch in der Bergpredigt, trachtet am ersten nach dem Reich Gottes. Da sagt er mal Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit. Also die acht Gratulationen, die erste hat als Begründung, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Und die achte zu gratulieren,

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ist denen, die den um der Gerechtigkeit willen verfolgten, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Das ist so eine Umrahmung. Und das macht diese acht Telegramme zu einer Einheit. Jeder Satz ist genau gleich aufgebaut. Es kommt die Gratulationsformel, dann wird eine Gruppe von Menschen im Plural genannt, die Armen im Geist, die Trauernden, die Machtlosen und so weiter. Dann kommt ein Komma und eine Begründung, denn und dann kommt die Begründung. Und die Begründung ist immer eine Zusage. Also das ist das Strickmuster dieser Sätze, die ständig genau beibehalten wird. Gratulation einer Gruppe X, denn Zusage. So, jetzt will ich mal heute und morgen mich diesen Seligpreisungen zuwenden, denn sie sind einer der berühmtesten Texte in der Bibel und sie sind das Eingangstor in

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die Bergpredigt. Die Bergpredigt ist der Schlüssel zur Theologie Jesu, aber die Seligpreisungen sind der Schlüssel zu diesem Schlüssel. Also sie sind das Eingangstor. Man kann die Bergpredigt nur durch diesen Eingang betreten, durch keinen anderen. Und alles, was nach diesem Eingang kommt, soll von diesem Eingang her verstanden werden. Deswegen sind die Seligpreisungen, gehören zu den wichtigsten grundlegenden Texten der Bibel, des Neuen Testaments und sind ein Schlüssel zum Verständnis Jesu. Also da brauche ich jetzt schon zwei Vormittage. Und ich hoffe irgendwie, dass ihr diese acht Sätze am Ende von morgen Vormittag irgendwie mit völlig anderen Augen seht wie bisher, dass sie ganz anders leuchten. Also ich möchte mal in einem ersten Schritt, man kann hier nur Schritt für

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Schritt vorgehen. Ich möchte euch die Leuchtkraft, das Achte, das über das irdische hinausgeht, irgendwie ein bisschen zu spüren geben, so wie ich es eben kann, weil diese Seligpreisungen auch mich seit Jahrzehnten begleiten und in mir ein großes Licht innerlich aufleuchten lassen. Ich will mal grundlegende Merkmale dieser acht Sätze heute sagen und morgen den Sätzen Schritt für Schritt nachgehen. Also heute erst mal so grundlegende Annäherung. Das erste, was sehr auffällig ist für die Art dieser Sätze, für ihre Qualität, ist ihre Weite, ihr Horizont. Der ist ganz eigenartig.

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Diese Sätze haben nichts Nationales. Jesus war ja ein Jude und er wollte das Judentum, den jüdischen Glauben erneuern. Jesus wollte ja keine Kirche gründen. Jesus war ein Jude und er blieb ein Jude und er starb als Jude. Er hat niemals das Judentum durchbrochen. Und alle Zeugen des Auferstandenen sind Juden. Alle, die Pfingsten erlebt haben, sind alle Juden. Und nach dem heutigen Stand der modernen Bibelwissenschaft sind wahrscheinlich alle Autoren des Neuen Testamentes Juden. Der einzige, wo es ein bisschen umstritten ist, ist der unbekannte Mensch, dem wir das Markus-Evangelium zuschreiben. Wir wissen ja von keinem Evangelium, wer es wirklich geschrieben hat. Die Überschriften sind ja kein Bibeltext. Die Evangelien haben keine Überschriften. Und die, die sie bewusst anonym

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geschrieben haben, wollten ihren Namen bewusst nicht nennen. Alle Ehre Jesus. Gut, also auf jeden Fall, diese acht Sätze haben eine ungeheure Weite. Jesus war ein Jude, aber diese acht Sätze haben eigentlich nichts jüdisch Nationales. Sie haben auch nichts Regionales. Sie haben auch nichts Kulturspezifisches. Man könnte ein bisschen kühen, man könnte sagen, die Texte sind interreligiös und interkulturell. Es sind Menschheitstexte. Nehmen wir mal das jüdisch Spezielle, also weder berühmte jüdische Namen, Abraham, Moses, David kommen nicht vor. Es kommt auch nicht Bund, Beschneidung, Schabbat, Jerusalem, Tempel und so weiter. Es kommt eigentlich nichts jüdisch Nationales vor. Es gibt

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schon einzelne Worte, also zum Beispiel Reich Gottes, das kann man nur im Judentum verstehen, die haben einen bestimmten jüdischen Colorit, aber Reich Gottes, grundsätzlich kann jeder Mensch verstehen, also es ist irgendwie ein Reich von Gott. Aber das ist schon das Einzige, dieses Malkuth, Yahweh, Basileia, Tuteu, das Reich Gottes ist schon ein jüdischer Ausdruck, aber eigentlich nicht jüdisch National, denn das Reich Gottes ist weltweit. Aber damit ist auch schon Schluss. Also der Text hat nichts jüdisch Nationales, aber ich muss euch auch sagen, der hat eigentlich nichts Christliches. Das ist kein Kirchentext, kein Gemeindetext. Es kommt die Kirche nicht vor, die Gemeinde nicht vor, die Sakramente nicht vor, es kommen auch die Jünger Jesu hier gar nicht vor, die Nachfolge nicht vor. Das ist eigentlich kein christlicher Text, so gesehen. Und wenn man denkt,

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wie die Kirche sich um sich selber dreht, wie die Gemeinde, die Gemeinden, die Gemeinschaften ihre Wäsche waschen mit ihrem Insider-Mief, den gibt es hier nicht. Der Text hat kein Insider-Mief, das ist keine Vereinsmaierei, die hier betrieben wird. Das ist nicht die Gründung von einem Club, das ist, er hat weltweite Sprache, denn Arme oder Arme im Geist, wir werden klären, die gibt es überall. Und Trauernde gibt es bei den Hinduisten, Buddhisten, Atheisten, Agnostikern. Trauernde sind interreligiös und interkulturell, machtlose, hungernde und dürstende nach der Gerechtigkeit, barmherzige, die reines Herzen sind. Also ihr könnt diesen Text nicht lokalisieren und regionalisieren und religiös irgendwo verorten. Es ist ein Menschheitstext. Macht diesen Text nicht eng,

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der hat eine unglaubliche Weite, verengt den Horizont nicht. Das ist das erste Merkmal, da muss man mal kräftig darauf hingewiesen werden. Es gibt Leute, ich will jetzt nicht polemisieren, aber man kann 40 oder 60 Jahre lang die Bibel lesen und man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Also der Text hat einen enormen Horizont. Ich empfehle euch diesen Horizont. Zweitens, der Text hat keine Ermahnung, kein Appell, keine Aufforderung. Obwohl die Bergpredigt voller Aufforderungen ist, denn es ist ein praktischer Text, ein ethischer Text, denn Jesus sagt in der Bergpredigt, wie er Gottes Willen versteht und wie man seiner Meinung nach Gottes Willen im Alltag praktizieren kann. Es ist ein enorm praktischer Text mit vielen Aufforderungen,

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richtet nicht, sorg nicht und so weiter. Aber der Beginn, das Grundlegende, keine Ermahnung, keine Aufforderung, kein Appell, hier wird nicht dressiert, hier werden nicht Leute gesteuert. Eine Gratulation steuert dich ja in dem Sinn nicht, sondern die tut dir einfach gut. Sie stärkt dein Glücksempfinden, deine Lebensfreude. Also Gratulationen sind handlungsbezogen relativ unschuldig. Aber sie haben natürlich mit Glück zu tun. Hebräisch formuliert mit Schalom. Es geht im Reich Gottes schon um Glück. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt es, jeder Mensch hat ein Recht auf Glück. Und das stimmt. Deswegen sind ja viele damals aus

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Europa ausgewandert in die neue Welt, weil sie sagen, diese beschissene Lage im Old Europe, die mache ich nicht mehr länger mit und die mute ich meinen Kindern nicht zu. Ich fange nochmal ganz neu im Westen an, weil ich will glücklich werden und ich will meine Kinder glücklich sehen und das ist auch richtig so. Lasst euch euer Streben nach Glück von niemand ausreden. Der Mensch hat ein Recht auf Glück und deswegen kommen ja auch viele aus Aleppo und Homs, weil sie sagen, ich will meine Kinder glücklich sehen. Also es sind schon Glückwünschungen. Es geht schon um Glück, um glücklich sein. Aber diese Beglückmünsche haben keine Ermahnung, kein Appell, sondern sie leben im Entscheidenden von einer Zusage. Denn euch gehört das Reich Gottes, denn ihr werdet getröstet werden, denn ihr werdet das Land erben, ihr werdet satt werden. Das sind

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immer Zusagen. Ihr werdet Barmherzigkeit erfahren. Die Seligpreisungen lehren uns die Bedeutung der Zusage. Das war Luthers reformatorische Entdeckung, dass Luther, ich sage es mal mit meinen Worten, Luther hat als erster Mensch in Europa, als erster Mensch entdeckt, es gibt in der Bibel, die Gottes Wort ist, zwei Sorten von Gottes Wort. Zwei Sorten und die muss man unterscheiden. Die eine Sorte von Gottes Wort ist mengenmäßig nur 0,01 Promille vom gesamten Bibeltext, 1200 Seiten. Also wenn man das, was jetzt Luther da meint, zusammenstellt, das ist eine ganz kleine Minderheit, die ist aber entscheidend. Und das sind die Zusagen. Die Bibel lebt von den Zusagen. Nehme die Zusagen aus der Bibel weg und du kannst sie den Hasen geben. Also geht gleich los bei Adam und Eva,

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Gott öffnet seinen Mund und sagt zu Adam von allen Bäumen im Garten darfst du essen. Boah, das war ihm selber nicht so klar. Also die Zusage klärt die Dinge. Wir müssen Sachverhalte klären, Klarheit reinbringen. Der Rabbi klärt. Zusagen klären. Also fühl dich frei, fühl dich spontan, kannst du von allen Bäumen essen. Mit Ausnahme von dem in der Mitte. Das ist aber kein Verzicht, hast du ja genug. Nehme mal die Berufung Abrahams, zieh aus, das ist eine Aufforderung aus deinem Familie, Vaterstadt, Vaterland. Und jetzt kommt aber eine Zusage in ein Land, das ich dir zeigen werde, das habe ich schon ausgewählt. Da haben wir überlegt, ich werde dich zu einem großen Volk machen und in dir sollen gesegnet werden alle Völker. Wow. Also Zusagen stehen am Beginn der

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Urgeschichte, am Beginn Abraham. Gehen wir zum Exodus. Gott sagt, die Stimme aus dem Busch sagt zu Mose, ich werde euch in ein neues weites Land führen und ich werde mit euch sein. Nimm diese zwei Sätze aus 2. Mose 1 bis 20 raus und du kannst dir den Hasen geben. Die 20 Kapitel leben von diesen beiden Sätzen. Ich werde euch in ein neues Land führen und ich werde mit euch sein. Das sind die Zusagen. Der Rest, 99%, wird getragen von diesen beiden Sätzen. Nehmen wir die zehn Gebote. Sie fangen an, ich bin Jahwe und Jahwe selber ist eine Zusage. Jahwe heisst nämlich, ich bin für euch da. Das ist selber eine Zusage. Also Gott selber ist eine einzige Zusage, ein einziges Versprechen. Und dann sagt er noch, ich bin Jahwe, euer Gott, ist auch eine Zusage, der ich euch aus der

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Sklaverei herausgeführt habe. Und jetzt kannst du mal mit den Geboten kommen. Nimm diese Einleitung weg und du kannst die 10 Gebote den Hasen geben. Ich formuliere so radikal, damit ihr nicht pennt. Seid ihr noch da? Versteht ihr mich? Auch hinten, könnt ihr mich hinten verstehen? Naja, jetzt rede ich auch prompt ein bisschen lauter. Gut, also das Wort Zusage, wenn ihr evangelisch, evangelisch meine ich jetzt nicht konfessionell, ein guter Katholik ist auch evangelisch, in dem Sinn, dass er die Zusagen angemessen schätzen lernt. Und das ist in der katholischen Theologie heute genauso wie in der evangelischen. Also es gibt zwei Sorten von Gottes Wort. Es gibt diese kostbaren Zusagen Anfang von Matthäus Evangelium. Euch ist heute der Retter geboren, sagt der Engel zu den

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Hirten. Und am Ende vom Matthäus Evangelium, ich werde bei euch sein alle Tage bis an das Ende der Welt. Also von Anfang bis Ende eine Zusage. Luther lehrt ein Vortrag oder eine Predigt, wird dann erst eine christliche Predigt, wenn sie von einer Zusage ausgeht und in eine Zusage mündet. Das macht eine Predigt zur Predigt. Sonst ist ein bisschen Vortrag über Ethik und Lebenskunst, aber christlich. Die Zusage ist das, was mich trägt in den Tod hinein und durch den Tod hindurch. Also die Seligpreisungen gründen in der Zusage. Und das wird in diesem Text klassisch zum Ausdruck gebracht. Letztlich entscheidend sind nicht die Ermahnungen, die Drohungen, die gibt es in der Bibel auch, die Gebote, es steht auch hier kein Gebot, die Appelle, sondern wie im Abendmahl nur

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die Zusage. Das ist mein Leib für euch gegeben. Das ist mein Blut, mein Tod für euch gestorben. Also in der letzten Nacht, wo man nur noch das sagt, was entscheidend ist, haben Gebote, Ermahnungen und Appelle keinen Platz. Da regiert nur die Zusage. Wir sind Kinder der Zusage. Gut, also das zweite Merkmal, der große Horizont verengt ihn nicht auf euren Tellerrand, sondern die Seligpreisungen gehören der Menschheit und nicht der Kirche. Zweitens, es regiert die Zusage, das schöpferische, unerwartete, überraschende, beglückende Wort der Zusage. Man könnte auch säkular sagen, das Versprechen. Gott gewinnt uns durch unerwartete, unverdiente, überraschende

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Versprechen. So gewinnt er seine Leute. Und wenn Gott sie so nicht gewinnt, dann gewinnt sie anders auch nicht. Jetzt kommt das Dritte. Diese Zusagen haben keinerlei Bedingungen. Sie sind nicht konditioniert. Hier werden Menschen nicht religiös konditioniert. Da hat der Autor kein Interesse daran, Menschen religiös zu konditionieren. Diese Zusagen gelten bedingungslos, unbedingt. Sie sind nicht Belohnungen für Wohlverhalten. Bei keiner Gruppe wird gesagt, sagen wir mal, zu Beglückwünschen sind die Trauerunden, denn sie werden getröstet werden, sofern sie später mir nachfolgen. Das wäre eine Bedingung. Die Nachfolge spielt hier, also ich sage es mal zugespitzt. Gott und Jesus und wie die Leute zu Gott und Jesus stehen, spielt ausdrücklich in den Seligpreisungen eigentlich keine sichtbare Rolle. Also die

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Zusagen sind bedingungslos, unkonditioniert. Und deshalb gelten sie allen einschränkungslos, allen Armen im Geist, allen Trauernden, ob das jetzt buddhistisch Trauernde oder atheistisch Trauernde, den Trauernden als Trauernden. Also es ist keine Konditionierung da, es ist keine Belohnung. Die Zusagen sind keine Belohnung für etwas, was wir bringen, sondern die kommen unerwartet. Gut, also ich will, dass wir diese Merkmale euch gut, ich will so ein bisschen bei euch rein drücken. Luther sagt, ins Herz drücken. Er sagt, der Heilige Geist drückt uns die Worte, der drückt sie uns so richtig rein. Gut, also möge es so geschehen. Also die Weite, keine Ermahnungen, Appelle, keine Konditionen und deswegen keine Einschränkungen. Schränkt diesen

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Text nicht nach eurem religiösen Programm ein. Er erträgt keine Einschränkung, keine Regionalisierung, keine Konfessionalisierung, er gehört der Menschheit. Gut, jetzt das Dritte ist, Jesus redet hier überhaupt nicht von sich selber. Das ist eigenartig. Jesus redet in der ganzen Bergpredigt nicht von sich selber. Das muss euch mal auffallen. Die wichtigsten Dinge, es geht darum, dass uns das Wichtigste bewusst wird. Das ist die Kunst. Also in der gesamten Bergpredigt gibt es einen einzigen Satz, wo Jesus was über sich sagt. Er sagt nämlich, denk nicht, dass ich gekommen bin aufzulösen. Matthäus 5,17, ich bin nicht gekommen aufzulösen,

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sondern zu erfüllen. Das ist der einzige Satz in der ganzen Bergpredigt, wo Jesus über sich spricht. Das ist schon ein bisschen auffällig. Also Jesus macht in den Seligpreisungen, wie überhaupt in der Bergpredigt, sich selber nicht zum Thema. Hauptsächliches Thema ist das Reich Gottes. Also Jesus hat sein Thema gefunden und das heißt, erfüllt ist die Zeit. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Deshalb könnt ihr jetzt umkehren und glaubt an dieses Evangelium, dass das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist. Also Jesus ist der Prediger vom Reich Gottes. In den synoptischen Evangelien spricht er schon manchmal außerhalb der Bergpredigt von sich selber. Die wichtigsten Sätze sind die sogenannten Ältonsätze. Älton heißt, ich bin gekommen. Also Jesus sagt mal, ich bin gekommen, Lukas 19, zu suchen und zu retten das, was verloren ist. Ich bin gekommen zu den

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Kranken, nicht zu den Gesunden. Also es gibt immer wieder solche Sätze, wo Jesus sagt, ich bin gekommen. Und das sind sehr wichtige Sätze, weil er da seine Sendung zusammenfasst. Im Johannesevangelium ist das ganz anders. Das Johannesevangelium ist eine eigene, schöne, wichtige Welt. Mein Lieblingsevangelium ist das Johannesevangelium. Aber trotzdem, im Johannesevangelium, ja da hält Jesus Reden, die richtigen Spannungsbogen haben. Also Einleitung, Mittelteil und dann bis zum Schluss zieht sich, so eine Rede kann man wirklich halten, die Brotrede und so weiter. Also das gibt es nur im Johannesevangelium. In den Synoptikern hält Jesus niemals eine Rede in einem Zug, wie wir heute eine Rede halten, sondern alle Reden sind Spruchsammlungen. Aber im Johannesevangelium redet Jesus sehr viel über sich selbst. Ich bin das Licht der Welt, die ich bin, wurde und wer mich

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sieht, sieht den Vater. Das ist aber, das dürft ihr nicht verwechseln, das ist das Johannesevangelium und es hat bestimmte Gründe, die ich auch gut finde. Aber das ist die Spezialität des Johannesevangeliums. Wenn wir den historischen, den geschichtlichen Jesus tiefer kennenlernen wollen, dann müssen wir uns zunächst einmal an die synoptischen Evangelien halten, Matthäus, Markus, Lukas. Und da spricht Jesus sehr wenig von sich selber insgesamt. Also wenn man alle Stellen zusammenzählt, kommt da schon einiges. Aber wenn man das mal vergleicht mit dem, was Jesus über das Reich Gottes und über andere sagt, ist das viel mehr. Also Jesus sagt relativ erstaunlich wenig von sich selber in den Synoptikern. Vielleicht fünf bis acht Prozent des Textmaterials. Aber in der Bergpredigt ganz wenig und in den Seligpreisungen null.

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Jetzt ist aber sehr verblüffend, dass der, der sich selber nicht namentlich ins Spiel bringt, mit einer höchsten Autorität redet. Unglaublich. Zu beglückwünschen sind die Armen im Geist, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Da muss man übrigens sagen, woher will denn der das wissen? Das ist ja unglaublich. Was behauptet denn der? Der tritt auf als einer? Ja, san paolo, wie tritt der eigentlich hier auf? Da kann ja nicht jeder so was sagen. Mit welchem Recht kann ein Mensch dermaßen Behauptungen formulieren? Unglaublich. Also zu beglückwünschen sind die Armen im Geist, zu beglückwünschen sind die Trauernden, da hält man ja die Luft an, zu beglückwünschen sind die Machtlosen. Also da steckt eine Autorität dahinter, wo alle Titel, Jesus ist der Retter,

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Jesus ist Gottes Sohn, Jesus ist der Messias, diese Titel-Christologie hat schon ihren Sinn, aber sie führt oft zu religiöser Dressur. Glaubst du auch, dass Jesus Gottes Sohn ist? Da fragt man diese Begriffe ab und wenn man diese Begriffe schön nennt, dann ist man gläubig. Also nein, es geht hier gar nicht um solche Titel und Begriffe, aber die Autorität, die in diesen acht Sätzen steckt, sprengt jeden Titel. Sie ist noch mehr. Du kannst diese Autorität eigentlich nicht angemessen auf einen Begriff bringen und darum geht es auch gar nicht. Also der, der sich selber nicht zum Thema macht, spricht in diesen acht Sätzen in einer ungeheuren Autorität. Jetzt kommt das nächste Merkmal, aber er leitet diese Autorität von nirgendwo ab. Er zitiert nicht die

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Heilige Schrift, er beruft sich auf keinen Text, er beruft sich auf gar nichts. Ihr müsst mal darüber staunen, der Mann redet diese Behauptungen frei aus der Hüfte raus. Das sagt er halt so. Diese Überzeugung ist er. Wenn man sich anfängt zu fragen, woher will er denn das wissen, da wird es dir schwindlig. Also der Mann macht sich nicht zum Thema, er redet in einer höchsten Autorität, die er von nirgendwo ableitet. Er redet in eigener Autorität. Ich sage euch, das ist schon ein Text, der sich gewaschen hat. Dürft ihr ruhig ein bisschen euch wundern. Dann muss man auch sagen, diese acht Telegramme sind uns denkbar fremd. Wen beglückwünscht denn der? Wir würden sagen,

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zu bedauern sind. Keiner gehört ja freiwillig zu den Trauernden und Machtlosen und Armen im Geist und der beglückwünscht die. Also irgendwie kriegt man in diesen Sätzen schon den Eindruck, der denkt aber völlig anders als wir. Er ist uns tief fremd. Er hat ganz andere Meinungen, ganz andere Urteile. Er bestätigt uns in keiner Weise. Also das mal als ein grundlegendes, die Aura, das Fluidum dieser acht Seligpreisungen ist schon so, dass es gut ist, dass es acht sind. Es geht irgendwie über das irdisch plausible, empirische. Da wird alles gesprengt und dafür eben die Zahl

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acht. Das waren also jetzt mal grundlegende Merkmale. Jetzt will ich als nächsten Schritt noch mal etwas genauer den Aufbau dieser acht Sätze analysieren, denn der Aufbau ist so, tief durchdacht, genial, dass wenn wir diesen Aufbau uns nicht bewusst machen, verlieren wir auch viel Leuchtkraft. Diese acht Sätze haben zwei Strophen. Sie sind sehr bewusst in zwei Hälften gegliedert. Strophe 1 ist die Seligpreisung 1 bis 4 und Strophe 2 ist die Seligpreisung 5 bis 8. Ich will mal ganz äußerlich beginnen, weil es gibt eine ganze Latte an Signalen, dass das so ist, und alle Signale zusammen können kein Zufall sein. Ist ausgeschlossen. Also erster Gliederungshinweis,

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in diesen acht Sätzen gibt es nur zwei Substantive, die zweimal vorkommen. Alle anderen kommen nur einmal vor. Und zwar Reich Gottes kommt zweimal vor in der ersten und in der achten, weil euch, Armen im Geist, euch Verfolgte um der Gerechtigkeit willen, euch gehört das Reich Gottes. Das ist in der ersten und in der achten. Dadurch werden die Seligpreisungen gerahmt zu einer Einheit. Sie sind auch gut abgrenzbar nach vorne und nach hinten. Jetzt aber, es gibt ein zweites Wort, das zweimal vorkommt, das ist das Wort Gerechtigkeit. Es kommt in der vierten und in der achten Strophe. Also am Ende, in der vierten Seligpreisung, am Ende der ersten Strophe und am Ende der zweiten. Selig, zu beglückwünschen, sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten und in der achten, nein, in der vierten heißt es, zu beglückwünschen, sind die Hungernden und

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Durstenden nach der Gerechtigkeit. Das Wort Gerechtigkeit schließt die erste Strophe ab und die zweite. Zu beglückwünschen sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Also hier, das Wort Gerechtigkeit, das als einziges außer Reich Gottes zweimal und dadurch sehr betont vorkommt, denn jedes Wort ist hier hundertfach geprüft und erwogen. Und jetzt, es gibt bei Lukas, da komme ich dann irgendwann drauf, so wie ich es schaffe, da gibt es auch drei Seligpreisungen. Ich sage sie mal geschwind, die sind nämlich älter wie die von Matthäus. Sie kommen dem O-Ton des historischen Jesus viel näher, können auch direkt von Jesus sein. Und diese drei Seligpreisungen bei Lukas 20, 21, die heißen so, zu beglückwünschen seid ihr, direkte Anrede,

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seid ihr Armen, nicht Armen im Geist, sondern einfach Arme, denn euch gehört das Reich Gottes. Zu beglückwünschen seid ihr jetzt Hungernden, denn ihr werdet satt werden. Zu beglückwünschen seid ihr jetzt Weinenden, denn ihr werdet lachen. Das sind die drei Seligpreisungen bei Lukas. Und wenn man jetzt mal überlegt, wie Matthäus die weiterentwickelt oder von seiner Sicht her gestaltet, die sind alle drei nur in der ersten Strophe. Denn aus Armen macht Matthäus Arme im Geist. Ich werde euch nachher sagen, heute oder morgen, dass das eine enorm gute Weiterentwicklung ist, die genau an der Sache bleibt. Das hat sich Matthäus gut überlegt. Näher an Jesus heran, wie an Lukas und Matthäus kommen wir nicht. Wir haben Jesus nicht pur, aber wir brauchen auch nicht näher an Jesus herankommen, wie Matthäus und Lukas. Die sind sehr nahe dran. Da brauchen

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wir uns keine falschen Sorgen machen. Und dann zu beglückwünschen ihr jetzt Hungernden. Matthäus an die vierte Stelle. Zu beglückwünschen sind die Hungernden und Durstenden, setzt er dazu, nach Gerechtigkeit. Bei Lukas heißt es einfach, zu beglückwünschen sind die jetzt Hungernden. Übrigens das Wörtchen jetzt lässt Matthäus weg. Die gibt es nur bei Lukas. Und dann die Weinenden, das ist die Seligpreisung 2. Zu beglückwünschen sind die, Jesus sagt, seid ihr Weinenden. Und daraus macht Matthäus sehr gut. Ich werde Matthäus ständig loben, so hat er da merken. Aber man muss diese Unterschiede schon wahrnehmen. Da sagt er, zu beglückwünschen sind die Trauernden. Aus Weinenden werden Trauernde. Das irgendwie grundsätzlicher formuliert. Denn nicht alle

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Trauernde weinen. Manche Trauernde können gar nicht mehr weinen. Also das ist ein sehr bewusster neuer Akzent. Aber alle drei Lukanischen gibt es nur in der Strophe 1. Keine gibt es in der Strophe 2. Jetzt das Dritte, dass es wirklich Strophen sind. Wenn man im Griechischen die Wörter zählt, hat die erste Strophe 36 Wörter und die zweite Strophe 36 Wörter. Das ist kein Zufall. Dann kommt eine Alliteration dazu. Alle Gruppen in der ersten Strophe beginnen mit P, die ptochoi, die Armen, die pentuntes, die Trauernden, die praeis, die Machtlosen und die painuntes, die Hungern. Also alles mit P. Alle vier, nachher keiner mehr mit P. Also auch das ist ein Signal. Aber das tiefste

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Signal ist, es geht in der ersten Strophe um was anderes, wie in der zweiten. Die beiden Strophen unterscheiden sich inhaltlich enorm. Und das alles zusammen kann kein Zufall sein. Denn in der Strophe 1 geht es um Menschen, die in einer bescheuerten Situation leben, in der keiner freiwillig leben will. Sie geraten wie wir in einen Sturm geraten. Man wird in Trauer gestürzt. Es sucht doch keiner freiwillig raus. Die Armen im Geist macht auch keiner freiwillig. Das werden Sie dann merken. Und die Machtlosen ist auch nicht ein Traumziel für die Menschen. Und die Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit. Hunger tut auch da weh und Durst auch, weil es gibt zu wenig Gerechtigkeit. Und deswegen müssen sie hungern und dürsten. Also in der ersten Gruppe sind Menschen im Elend,

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in einer Situation, in der sie nicht freiwillig sind. Und das muss man in der Ethik lernen. Das erste in der Ethik ist nicht Handeln. Dass wir unser Verhalten verbessern und trainieren und heiligen, wie man früher gesagt hat. Gut, das sollen wir tun. Wir sollen wachsen im Glauben. Und wir sollen wirklich unser Verhalten verbessern. Unbedingt. Aber das ist nicht das erste. Sondern das erste ist wahrnehmen. Wir müssen erstmal wahrnehmen, es gibt tatsächlich sehr viele Arme im Geist. Es gibt sehr viele Trauernde. Und das ist wichtig. Es gibt sehr viele Machtlose. Darüber müssen wir nachdenken. Und es gibt sehr viele Hungern und Dürstende. Also in der ersten Strophe geht es nicht um Ethik. Es geht nicht um unser Verhalten. Aber in der zweiten Strophe unbedingt und zu beglückwünschen sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Mir hat

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mal ein Mann aus einer Freikirche, da habe ich eine Bibelarbeit gehalten, hat mich ein ältesten Bruder einer Freikirche in Baden-Württemberg heimgefahren und dann sagte er, Siggi, muss man nutzen, dass ich mit dir reden kann. Du, ich habe mal ein paar so lehrmäßige Fragen. Und jetzt fängt er die erste Frage, stimmt es, dass jeder Erdteil ein Engel hat? Ja, ich habe auch ein bisschen komisch, was es alles für schräge Gruppen gibt. Das glaubt man gar nicht. Sind alle ein bisschen schräg. Zu mir kam mal in der Pause, in der Tagung eine feine, liebenswürdige, ältere Dame, weil ich sage gern verdammt. Ich sage zum Beispiel verdammt spannend, verdammt schön. Das sage ich halt gern. Und das lasse ich mir auch von geheimen ausreden. Sage auch weiterhin. Jetzt kommt diese recht heilige Schwester zu mir her, vielleicht 70 Jahre alt. Bruder Zimmer, bitte sagen Sie nicht so oft verdammt. Das wird in der unsichtbaren Welt registriert. Das wird dort ernst genommen.

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Sagen Sie das bitte nicht. Dann gucke ich die Frau an und sage, ich glaube, Sie sind ein bisschen schräg. Sie huschte sehr heilig wieder von dannen mit beschleunigtem Gang. Sie war also sehr irritiert. Also ich sage euch, da dürft ihr bei mir nicht kommen mit diesen hochgetrechselten religiösen Spinnereien. Ja, ich nehme die unsichtbare Dimension schon ernst. Vielleicht ernster als ihr, das weiß ich nicht. Aber dass ich irgendjemandem zutraue, dass der besondere Kenntnisse über die unsichtbaren Welten hat, da bin ich sehr vorsichtig. Bis jetzt, was ich da gehört habe, es war nicht sehr beeindruckend. Gut, also auf jeden Fall, wo waren wir stehen geblieben? Es gibt zwei Strophen. In der ersten Strophe geht es nicht um Ethik. Jetzt habe ich den Faden verloren.

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Wo bin ich abgesprungen? Danke. Also ich bin ein ältester Bruder, hat mich heimgefahren und frag mich, Siggi, stimmt es, dass jeder Erdteil von einem Engel geleitet wird? Da sage ich, Psychiatrie. Und dann sagt er, du, in der Endzeit ist da erst so ein Endzeitsfabri. Da sage ich auch bloß, Martin, hieß der. Martin, Psychiatrie. Ich mache dir einen ganz anderen Vorschlag. Wenn du mich nächstes Jahr wieder heimfährst, sei bitte doppelt so barmherzig wie jetzt. Das ist ein Ziel. Wir müssen das Wichtige wichtig nehmen und nicht diesen Unsinn unseren Kopf belasten mit so schrägen religiösen Unsinn, spekulativ, neurotische Religion. Wenn ihr nächstes Jahr nach Flixdorf kommt, ihr könnt wirklich dreimal so barmherzig sein wie bisher. Das ist ein Ziel. Also ich will damit sagen, die

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Ethik beginnt ganz klar bewusst mit der Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit ist die Grundlage aller Ethik. Wenn du in der Barmherzigkeit Defizite hast, brauchst du kein Buch über Ethik schreiben. Das macht dieses Defizit nicht wett. Herr Zimmer, Sie haben nicht einmal eine ordentliche Ethik. Da ging so mein Vortrag über Schwule. Da habe ich gesagt, was? Ich habe keine ordentliche Ethik. Seligpreisungen, meine Ethik ist eine Ethik der Barmherzigkeit. Und das ist die tiefste und beste, die es gibt. Was willst du für ein System dagegen setzen? Gegen eine Ethik der Barmherzigkeit. Die ist leitend. Also ich will euch nur sagen, jetzt geht es los mit Ethik. Zu beglücken sind die Barmherzigen, da ist die Messlatte nach oben offen, die Skala nach oben offen. Könnt ihr euch mal verfünffachen.

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Dann zu beglückwünschen sind die, die reines Herzen sind. Das werden wir klären. Das liegt in unserer Verantwortung. Ob wir ein schillerndes Herz haben mit Hintergedanken, dass wir Kommunikation pflegen, um etwas über den anderen zu erreichen, ihn zu instrumentalisieren, ihm eigentlich schaden wollen. Oder ob wir reines Herzen sind, dass wir dem anderen Gutes wollen, auch in unseren geheimen Plänen. Also da können wir trainieren. Da können wir uns weiterentwickeln. Zu beglückwünschen sind die, die Frieden schaffen und die, die um der Gerechtigkeit willen, verfolgt werden. Däumchendreher werden nicht verfolgt. Also wenn du dich so, nimmst du die Gerechtigkeit ernst? Vorsicht, vorsicht. Also Jesus denkt an die, die die Gerechtigkeit so ernst nehmen, dass sie deswegen verfolgt werden. Weil wisst ihr, die Herren dieser Welt, die Drahtzieher dieser Welt, haben das gar

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nicht gern, wenn da einige wirklich nach der Gerechtigkeit fragen. Da kriegst du sehr schnell Gegenwind und sehr schnell wirst du da Widerstand und Verfolgung erleben. Aber also da geht es um ein Verhalten. Setzen wir uns so für die Gerechtigkeit ein, dass die Mächtigen unserer Gesellschaft, die Drahtzieher, unangenehm berührt sind. Das kann man trainieren. Die Stubenhocker und Däumchendreher sind von der achten Seligpreisung nicht gemeint. Die werden nicht verfolgt. Gut, also das war jetzt ein wichtiger Baustein. Die Seligpreisung haben zwei Strophen. Die erste ist eine Sache der Wahrnehmung und des Ernstnehmens, der Aufmerksamkeit, der Sensibilität, noch gar

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nicht des Handelns. Wenn du die erste Strophe nicht richtig wahrnimmst, brauchen wir nicht nach ethischen Rezeptenfragen. Also die zweite Strophe, die vier Punkte hat, Barmherzigkeit als die wichtigste Eigenschaft Gottes. Die Barmherzigkeit ist Liebe Gottes operativ, in Action. Und deswegen ist die Barmherzigkeit die wichtigste Eigenschaft Gottes. Gottes Gerechtigkeit, Gottes Heiligkeit und alle anderen Eigenschaften sind alle von der Barmherzigkeit her zu verstehen. Die Barmherzigkeit ist nicht von der Gerechtigkeit her zu drosseln, sondern die Gerechtigkeit ist eine barmherzige Gerechtigkeit. Also es ist die wichtigste Eigenschaft Gottes. Die Barmherzigkeit aber ist eine Sache der Herzen, nicht der äusserlichen Regeln. Deswegen muss gleich die Frage, bist du im Herzen barmherzig? Die Barmherzigen sind auch eines Herzens. Es sind übrigens immer die Gleichen gemeint, das muss ich

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schnell noch sagen. Wenn es also schon bei Lukas heißt, zu beglückwünschen sind die Armen, zu beglückwünschen sind die jetzt Hungern, zu beglückwünschen sind die jetzt Weinenden. Das sind immer die gleichen Leute. Der erste Satz ist die Überschrift und die beiden nächsten sind nur die Konkretion. Also die Weinenden, ja Millionäre weinen manchmal auch, aber das ist hier nicht gemeint, sondern die Weinenden sind die, die aus Armut weinen und die Hungern sind die, die aus Armut hungern, die in einer Lage sind zum Heulen. Die haben nicht viel zum Lachen. Also die Hungern und die Weinenden sind die Armen, denn sie hungern aus Armut und sie weinen aus Armut. Und jetzt auch bei den acht Zelligrammsätzen sind immer die gleichen gemeint. Die Armen im Geist, die trauern auch sehr oft und die sind machtlos und die sind hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Und die Barmherzigen,

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das gilt für alle vier, auch die Begründungen sind nicht vier verschiedene, die hängen alle zusammen. Die Barmherzigen sind die, die reines Herzen sind, muss aber ausdrücklich das Thema auch kommen. Sie werden Barmherzigkeit erfahren, die Barmherzigkeit erfahren werden Gott schauen, die Gott schauen werden Söhne Gottes heißen und sie werden um der Gerechtigkeit willend verfolgt. Also es geht immer um die gleichen Adressaten, nicht um acht verschiedene Menschengruppen, sehr wichtig. Also ich fasse mal zusammen, die zwei Strophen der Seligpreisungen zeigen, dass wir nicht mit dem Handeln beginnen können, sondern je nachdem, wie wir die Dinge sehen lernen. Es heißt von Gott, ich habe das Schreien der hebräischen Fronarbeiter gehört, ich habe ihr Leiden gesehen, ich kenne ihre Schmerzen. Das ist Strophe 1, das ist Wahrnehmung, Sensibilität

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und daraus ergibt sich dann die Strophe 2. Also das erste ist euer Bewusstsein, euer Tellerrand, euer Blick, euer Blickfeld. Habt ihr das im Blickfeld? Wenn wir mal nochmal auf den Lukas-Text zurückschauen, da wird ja Reich Gottes vorgestellt. Was ist im Reich Gottes entscheidend? Das Phänomen Armut, das Phänomen Hunger und das Phänomen Weinen. Im Reich Gottes werden diese drei Phänomene ganz nach vorne gebracht. Armut ist das die große Herausforderung. Hunger tut weh und Menschen, die chronisch weinen, nicht mal hin und wieder, sondern aufgrund ihrer chronischen Lebenssituation weinen, das sind die drei Phänomene, an denen Reich Gottes ansetzt. Die sind geistlich die

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wichtigsten Phänomene, sonst seid ihr nicht geistlich, sondern ein bisschen komisch. Gesund geistlich seid ihr dann und entwickelt euch dann, wenn Armut, Hunger und Weinen bei euch die drei ersten Plätze einnehmen. Und jetzt bei Matthäus, Arme im Geist, Trauernde, Machtlose und Hungernde, Dürstende nach Gerechtigkeit. Und darauf baut dann die Ethik auf. Wenn wir das so wahrnehmen, dann können wir uns fragen, was können wir an unserem Verhalten tun? Also da mache ich jetzt noch einen Baustein und zwar, ich erläutere, was Arme im Geist sind. Zunächst einmal müssen wir das Wort Arm klären, denn das Wort Arm ist ein Allerweltswort, das kann man so und so verstehen. Für Milliardäre sind Millionäre Arme Schlucker und für Leute der antiken Oberschicht waren alle

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arme Säcke, die selber arbeiten müssen. Denn die Oberschicht sind Menschen der Muse, die arbeiten selber nicht. Sie gehen den sieben freien Künsten nach, auf die Jagd, treiben Philosophie, verführen Frauen und andere Dinge. Weil sie müssen nicht arbeiten. Aber die Mittelschicht muss schon arbeiten, ist aber Wohlhaben und die Unterschicht kräpselt dauernd gerade noch so über die Runden. Also was ist in den synoptischen Evangelien mit dem Wort ptochos gemeint? Das müssen wir bitte sorgfältig genau klären. Es gibt im Griechischen zwei Worte für Arm, Penäs und ptochos. Penäs, da kommen die Penätes her, das sind die kleinen Leute, das ist die Unterschicht. Jesus und die

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Fischer am Segenetzeret, das waren alles Penätes, kleine Leute, Unterschicht. Aber sie hatten ihr Grundbesitz meistens, sie hatten ihr knappes Auskommen, müssen ihr Leben lang sparen, aber sie kommen über die Runden. Das sind die Penätes, aber nicht die ptochos. Die ptochos sind die unter der Unterschicht. Also eine antike Gesellschaft, habe ich schon ein paar Mal in verschiedenen Vorträgen gesagt, ganz kurz nur Oberschicht etwa 5%, plus minus 1, 2% rauf und runter. Mittelschicht gibt es kaum in der Antike, aber gibt es schon auch ungefähr 5%, Goldschmiede zum Beispiel, je nachdem wie sie halt Geschäfte machen, auch 5%. 80% ist Unterschicht bei einem normalen antiken Gesellschaft mit wirtschaftlicher Stabilität. In Verelendungsprozessen ändert sich

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das. Also normale antike Gesellschaft, nicht im Krieg und nicht in einer akuten Verelendung. 5% Oberschicht, 5% Mittelschicht, 80% Unterschicht, Penätes und 10% muss man übersetzen, ptochos muss man so übersetzen, entwurzelt. Das sind die Entwurzelten. Also übersetzt bitte in den synoptischen Evangelien das Wort ptochos mit entwurzelte. Das sind nämlich Folgen, die sind in der normalen Zeit ungefähr 10%, in Verelendungszeiten aber 30% und mehr. Da rutschen Teile der Unterschicht in die Entwurzelung ab, in die Schuldenfalle, die sind irreparabel, verschuldet, Kleinbauern, Kleinpächter, Arbeitslose, Tagelöhner, Heimatlose, chronisch Kranke, geistig und körperlich Schwerbehinderte. Das sind ptochos. Also die ptochos, die sind nicht

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nur arm in unserem mitteleuropäisch-bürgerlichen Lebensgefühl, das ist halt unser Gefängnis. Mit diesen Klubschaugen nehmen wir alles wahr. Nein, arm in den synoptischen Evangelien, die haben keinen eigenen Grundbesitz mehr, sie werden aber die Erde besitzen. Das Landerben, wenn wir noch drauf kommen, das wird ein Heißassat, das wird noch eine Veränderung in den Besitzverhältnissen geben. Gut, also die ptochoi haben keinen eigenen Grund und Boden mehr, sie sind entwurzelt, weil eigener Grund und Boden, das Land ist neben der Sippe, das sind die beiden Existenzgrundlagen. Land, also Boden, Besitz an Boden und Mitglied einer Sippe zu sein, das sichert das Leben. Also die ptochoi haben keinen eigenen Landbesitz mehr, kein Eigentum mehr an Land. Sie sind rechtlos, sie sind deklasiert, die

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Mächtigen der Gesellschaft können es sich leicht leisten, die ptochoi zu ignorieren oder auszunutzen. Es gibt ja auch nicht mal Wahlrecht, die können nicht mal in der Wahl dann vor Wut AfD wählen oder so, gibt es nicht. Also die sind völlig chancenlos. Zu diesen ptochoi gehören auch die dauerhaft Erkannten, die lebenslang Erkannten und die schwer Behinderten, geistig und körperlich, die leben alle in der Armenwelt. Das Wort Erfolg, darf ich euch versichern, ist ein Fremdwort in dieser Welt. Die kennen das Wort Erfolg nicht, das wichtigste Wort in der bürgerlichen Welt. Erfolg wird ja religiös verehrt bei uns. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Nein, bei den ptochoi. Oder Attraktivität. Nein, die haben auch nicht genügend anzuziehen. Ein Mitglied der ptochoi hat in der

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Regel nur ein einziges Gewand für Monate und Jahre, kein Untergewand. Immerhin Jesus hat ein Untergewand. Die in der Unterschicht haben zwei, drei Gewänder. Die ptochoi sind teilweise auch halbnackt und müssen sich mit irgendwelchen Fetzen flicken. Sie haben auch wirklich Hunger, sie können sich fast nie satt essen und sie haben keine Perspektive, sie haben keine Lobby, sie haben keine Hoffnung. Das verstehen die Evangelien, die synoptischen Evangelien unter ptochoi. Ja, das sind also die ptochoi und die preist Jesus. Also er sagt, zu beglückwünschen sind die ptochoi. Ptochos Arm gibt es in der Antike nicht als Metapher. Gefühlsmäßig arm. Du bist ein bisschen gefühlsarm oder seelisch arm. Das gibt es in der Antike nicht. Ptochos ist immer

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materiell. Das Wort Ptochos kommt im Neuen Testament 66 oder 67 mal vor. Es ist immer materiell gemeint. Selbst bei Matthäus mit dem Armen im Geist, der löst sich nicht von dieser materiellen Grundlage. Er spiritualisiert nicht. Wenn Luther sagt, die geistlich Armen, er hat das völlig daneben, weil das Wort geistlich hat ja Luther selber geprägt. Luther meint mit geistlich alles, was die Beziehung Mensch-Gott betrifft. Das ist geistlich. Also die sind geistlich arm. Das Wort kennt Matthäus gar nicht. Das hat ja erst Luther kreiert. Das führt auf völlig andere Bahnen. Also Matthäus bleibt sehr nahe bei Lukas. Ihr dürft Matthäus nicht von eurem Tellerrand verstehen. Wir müssen genau klären, was meint Matthäus mit dem Ausdruck macarius heuptochoi to pneumati,

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die Armen im Geist. Ja, das müssen wir klären. Gut, aber in allen 66 anderen Stellen ist klar, es ist materiell gemeint. Es gab ja im Oströmischen Reich genug materielle Arme und Palästina war in einem Verelendungsprozess. Also Jesus hatte genug Anlass, von Arm materiell zu sprechen. Es waren ja ständig überall materiell Arme. Also nicht euer bürgerliches Mittelschichtsfeeling. Gut, und dann muss man sich ja auch fragen, was nützt es eigentlich den Armen, wenn Jesus sie beglückwünscht. Das ist ja schon fast zynisch. Das ist ja absurd. Was soll denn der Käse? Fragen aus Studenten, wenn sie sich getrauen. Das finde ich auch gut. Das ist ja geschmacklos. Dazu mal ein paar Gedanken und dann müssen wir zu Matthäus kommen. Aber wir brauchen

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Lukas, um das genauere Profil des Matthäus zu finden. Lukas hat auch die Urfassung vom Vater Unser. Es gibt nicht nur zwei Bergpredigten, die kürzere bei Lukas. Die ist aber in wesentlichem älter. Lukas hat auch ein eigenes Vater Unser, es ist wesentlich kürzer. Lest es mal nach, in Lukas 11. Das ist die Urfassung vom Vater Unser. Und Matthäus entwickelt auch das Vater Unser sehr gut, sehr gut im Heiligen Geist. Entwickelt er es weiter. Halleluja. Aber die Urfassung steht trotzdem bei Lukas. Und so also bei Lukas, was nützt es den Armen? Also die Armen, bei Lukas sind wirklich materiell Arme. Dieser metaphorische Begriff, emotional arm, gibt es erst seit der Romantik, seit dem 19. Jahrhundert. Das gibt es in der ganzen Antike nicht. Macht die Bibel nicht kaputt. Die Bibel muss ihr eigenes Wort sagen dürfen. Ob es euch passt oder nicht, spielt keine

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große Rolle. Die moderne Bibelwissenschaft will, dass die Bibel ihr eigenes Wort sagen darf. Unabhängig von kirchlichen und Frömmigkeitsgeschichtlichen Interessen. Die dürfen die Bibel nicht zudecken. Also was nützt es diesen Armen? Ja, davon können die sich tatsächlich keine Brötchen kaufen, von dieser Beglückwünschung. Aber trotzdem sage ich euch, Jesus versichert diese Beteiligung des Paralektes. Und das ist der Prinzip der besonderen Aufmerksamkeit Gottes. Jesus sagt zu denen, in dieser und jener Gesellschaft seid ihr die letzten Ersche, da seid ihr die Verlierer. Und die Leute nutzen euch auch noch aus und kein Mensch interessiert sich für eure Probleme. Aber im Reich Gottes ist das nicht so. Im Reich Gottes seid ihr nicht die letzten Ersche, sondern ihr steht

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in der Tat. Gott kennt alle Arme dieser Welt genau und persönlich. Und das Reich Gottes kommt nicht, wie alle anderen Gesellschaftsformen, auf Kosten der Armen, sondern es kommt zuerst für Sie. Ihnen gehört das Reich Gottes. Das ist schon eine Wertschätzung, und das ist eine Akzentsetzung. für einen Meister und Herren, der solche Akzente setzt. Dessen Beute bin ich. Also er gibt diesen Armen eine Würde. Und ich sage euch, das mittesgefährlichste an der Armut ist die Selbstverachtung, die Verzweiflung, die Selbstaufgabe, die Selbsterniedrung. Die schämen sich, es ist peinlich, die halten sich ja selber für Versager. Nein, das durchbricht die Ermutigung der Zusage, euch gehört das Reich Gottes. Natürlich muss man diesen Satz ernst nehmen. Dieser Satz gilt

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Sola gratia, aber er wirkt sola fide, nur wenn man ihn ernst nimmt. Und da geht es um die Glaubwürdigkeit dieses Mannes, der selber ein Mann vom Bau war, Zimmermann, Bauhandwerker. Jesus war ein Bauhandwerker. Und das bisschen, was er hatte, hatte er freiwillig aufgegeben. Jetzt lebte er da gastfrei in verschiedenen Häusern. Er hat keine Familie, kein geregeltes Einkommen, er wandert durch die Gegend und er hat das wenige, Jesus gehörte zu den Penetes, aber er hat das wenige, das er hatte, freiwillig aufgegeben und hat sich dem Ptocheus sehr angenähert. Wenn so einer das sagt, ich sage euch, das hören die anders. Wenn man einfach nur sagt, irgendwo in einem Buch in China oder in Südamerika steht in einem Buch, zu beglückwünschen sind die Armen, zu beglückwünschen sind die Hungernden, zum Beglückwünschen sind die Weinenden, dann sagt man, was ist denn das für ein

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Scheiss? Löse diese Sätze von dem Mann, der sie sagt und sie werden Unsinn. Die Sätze hängen an der Glaubwürdigkeit dieses Mannes, sonst werden sie Unsinn. Also das ist nicht wenig, wenn ein Armer das innerlich aufnehmen kann. Bei Gott sind ganz andere Wertmaßstäbe. Gott sieht mein Leben mit größtem Interesse und sein Reich kommt in erster Linie für Leute wie uns. Ich sage euch, da kann schon was in einem Menschen hochkommen und Jesus redet ja nicht nur, er handelt auch, er hält Tischgemeinschaft und die Jesus-Bewegung lernt zu teilen. Also es entsteht da ja auch eine Wirkung, die nicht nur in Worten besteht. Aber jetzt zum Schluss zu Matthäus. Was meint Matthäus,

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wenn er sagt, die einzige Stelle, diese Formulierung Arme im Geist gibt es weder im Alten Testament noch im Neuen Testament noch im Hellenismus, es gibt es nur an dieser Stelle und deswegen ist es sehr schwer den ursprünglichen Sinn im Sinne des Matthäus herauszufinden. Kann man aber. Die moderne Bibelwissenschaft ackert mit 20 Doktorarbeiten und vielem, das dauert Jahrzehnte, bis man langsam sich dem richtigen Kern nähert. Mit frommen Sprüchen kannst du da nichts machen. Also wir müssen als erstes mal alle Stellen genau untersuchen, wo Matthäus vom Geist redet. Pneuma, aber im Hebräischen huach. Es geht um das Verständnis von huach. Matthäus redet griechisch, aber er denkt sehr stark hebräisch. Also alle Stellen nur im Matthäus-Evangelium. Lukas hat

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ein anderes Verständnis und so weiter. Man muss also jede Schrift für sich erst mal ernst nehmen. Wenn man alle Stellen genau prüft, das hat man gemacht mehrfach, dann stellt man folgendes fest. Manchmal meint Matthäus mit dem Geist Gottes Geist. Manchmal meint er den Geist des Menschen. Beides heißt ja Geist. Jetzt stellt man aber fest, wenn Matthäus den Geist Gottes in irgendeiner Beziehung meint, dann sagt er es auch. Oder es ist sowieso völlig klar. Wenn Matthäus nur vom Geist redet, ohne weitere Erklärung, ist immer der Geist des Menschen gemeint. Das muss man exegetisch so sorgfältig, da braucht man Methoden der modernen Bibelwissenschaft. Nämlich erst mal den Sprachgebrauch rein von Matthäus, nicht gleich vom ganzen Neuen Testament. Und die Evangelien unterscheiden sich da auch etwas. Jetzt, Matthäus hat mit Sicherheit im Hintergrund das Verständnis von Ruach. Das

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Wort Ruach, Geist, die Übersetzung Geist für Ruach ist ganz schlecht, weil man merkt gar nicht mehr, was gemeint ist. Ruach heißt eigentlich Atem und Wind. Ist also eine Naturerfahrung. Das Wort Ruach, Geist, ist im Orient genauso bekannt wie Vater und Sohn. Wir sagen bei der Trinität, also was ein Vater ist, das wissen wir, was ein Sohn ist, das wissen wir auch, aber was ist bitte schön ein Geist? Schüler denken immer erst Gespenst. Ein Geist ist ein Gespenst. Also das Wort Geist ist eine ganz schlechte Übersetzung, denn es ist eine praktische, sinnliche Erfahrung, die jedes Kind kennt. Hat nichts mit intellektuell zu tun, auch nicht Geist, Materie und Geisteswissenschaften und all diese europäische Quatsch müsst ihr weglassen. Wir Europäer haben einen Begriff von Geist,

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der gar nichts mehr zu tun hat mit Ruach. Ruach ist eine Erfahrung, aber nicht eine Sozialerfahrung wie Vater und Sohn oder Mutter und Tochter oder Nachbar oder Lehrer. Das sind Sozialerfahrungen. Ruach ist keine Sozialerfahrung, es ist eine Naturerfahrung, eine körperliche Erfahrung, eine sinnliche, praktische, nicht Rumgeisterei, irgendwie Theorie. Wir verbinden mit Geist das Wort Theorie, gar nicht. Ruach heißt Atem und Wind. Und der Wind ist der große Atem und der Atem ist der kleine Wind. Gemeint ist also mit Ruach bewegte Luft, weil wir leben ja von der bewegten Luft. Also Ruach ist eine sehr sinnliche, körperliche, praktische Erfahrung. Und Atem und

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Wind sind große Kräfte. Wenn mal eine Matrose in den Harrikan gerät, dann merkt ihr wirklich, bei acht Meter hohen Wellen, das ist wirklich eine körperliche Erfahrung. Das ist eigentlich keine Theorie und hat auch nichts mit intellektuell zu tun, so ein richtiger Sturm. Und deswegen heißt Ruach auch Kraft. Also die Urerfahrung ist Atem und Wind, bewegte Luft und wie wichtig die bewegte Luft für unser Leben ist. Die ist nämlich sehr wichtig. Du lebst ja Zug um Zug. Und deswegen heißt, wenn man es jetzt ein bisschen abstrakter formuliert, Ruach auch Kraft, Lebenskraft oder Lebensenergie. Und jetzt verstehen wir, was Arme im Geist sind. Das ist der Geist des Menschen gemeint. Es sind Menschen, die wenig Lebenskraft haben. Arm sind an Lebenskraft, an Lebensfreude, an Ruach, an Lebensenergie. Weil Ruach ist die positive, bewegende Energie, die selber immer

83:05
in Bewegung ist und andere in Bewegung setzt. Und wenn du arm bist an Ruach, dann sage ich es mal mit meinen Worten, hast du ein ganz schwaches Selbstwertgefühl. Du hast keine Ich-Sterge. Du bist ein geknickter Mensch, ein erschütterter, verzweifelter, verbitterter Mensch, der sich gar nicht mehr gern im Spiegel anguckt. Das sind die Armen im Geist. Der Kommentar ist sehr aufschlussreich. Und jetzt will ich zum Schluss sagen, das sind natürlich die materiell Armen, die sind immer noch gemeint. Merkt man ja dann auch die Übersetzung, die Machtlosen heißt nicht sanftmütig. Also, Matthäus denkt wie Lukas. Er bleibt sehr eng an Lukas. Nur die spiritualisierenden Mitteleuropäer der Neuzeit, die verbiegen das alles. Matthäus will sagen,

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und da hat er völlig recht, das weiß Jesus auch und das weiß Lukas auch. Also, Jesus und Lukas wissen auch, dass materiell Arme auch arm sind in der Ruach. Das weiß Jesus auch und das stimmt auch. Und Lukas setzt das natürlich auch voraus. Das ist gar keine große Verschiebung. Aber es ist trotzdem wichtig, dass man es mal sagt. Es geht in der Armut, in der materiellen Armut nicht nur um die materielle Armut, aber die bleibt grundlegend. Sondern es hat auch ein psychisches, der Mensch ist auch ein psychisches Wesen. Also, deswegen sagt Matthäus, zu beglückwünschen sind die Armen, die auch arm sind in der Selbsteinschätzung, die kaputt sind. Ein geknicktes Rohr wird er nicht kaputt treten. Das sind diese geknickten Menschen, die aus Armut auch in ihrer Psyche schweren Schaden

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davontragen. Also, Matthäus ist nicht weit weg von Lukas. Aber er betont etwas, was ich sehr wichtig und gut finde. Er erweitert etwas die Wahrnehmung, bleibt aber im Grunde genommen ganz bei Lukas. Lukas würde das gar nicht bestreiten und Jesus auch nicht. Aber Matthäus fühlt sich verpflichtet, diesen Akzent zu setzen. Hat aber mit geistlich Arm, wie man das so landläufig versteht, wenig zu tun. Gut, ihr Lieben, es war, es ist heiß draußen. Ich bewundere euch, dass ihr so lange konzentriert zugehört habt. Also, das Programm von heute war eine generelle Heranführung an die Seligpreisung, die grundlegenden Merkmale dieses unglaublichen Textes. Dann die Entdeckung der zwei Strophen, eine Entdeckung in der Universitätsdialogie, die sich immer stärker durchgesetzt hat, weil mehrere Indizien in die gleiche Richtung weisen. Früher hat man alle acht

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Seligpreisungen als Tugendlehre. Als ob auch in der ersten Strophe es um Training des Verhaltens geht. Nein, das ist ein oberflächliches Missverständnis, das den Clou verbirgt. Und dann habe ich also mich der ersten Seligpreisung bei Lukas zugewandt, die Matthäus sehr gut, sehr verantwortlich im Geiste des Herrn anders akzentuiert.

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Die Seligpreisungen – Teil 1 (Mt 5,3-10) | 6.6.1

Worthaus@Freakstock 2016 – Allstedt: 28. Juli 2016 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Wie zynisch das klingt: »Glückwunsch, dass Du pleite bist.« »Glückwunsch, dass Du krank bist.« So zynisch muss auch der Beginn der Bergpredigt Jesu für seine Zeitgenossen geklungen haben. Die beginnt mit »Selig sind, die geistlich arm sind. Selig sind …«. Dieses fromme Wort »selig« bedeutet korrekt übersetzt: »zu beglückwünschen sind …«. Und dann geht es weiter damit, warum all diese Armen, Verfolgten, Hungernden angeblich so gut dran sind. Die Seligpreisungen sind einer der provokativsten Texte der Bibel, und Siegfried Zimmer seziert sie hier Satz für Satz. Die Seligpreisungen richten sich nicht allein an Christen oder Juden. Sondern an alle. In allen Ländern und Religionen sind Menschen arm, hungrig, verfolgt. Jeder, egal ob Christ, Jude, Buddhist, Muslim oder Atheist kann sich angesprochen fühlen. Mit diesen ersten Worten seiner programmatischen Rede holt Jesus die aus dem Dreck, die von niemandem beachtet werden. Und gibt denen ihre Würde zurück, die sich wertlos fühlen. Sie enthalten keine Gebote, keine Drohungen, kein »wenn, dann«, sondern bedingungslose Versprechen. Sie prägen sich direkt ein, und wenn es Musik dazu gäbe, wären sie ein Ohrwurm. Wer sie versteht, versteht die Botschaft Jesu. Deswegen lohnt es sich, genau hinzuhören.