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Die Macht, so lautet der Titel heute Nachmittag des Vortrags. Und die Macht muss man jetzt ein bisschen komplementär hören zu dem letzten Vortrag, den ich hier auf Wort aus acht gehalten habe, die Liebe. Und alles, was da vielleicht etwas zu rosa-rot gezeichnet war über das Leben, das Universum und alles, das wird jetzt ein bisschen schwarz nachgedunkelt. Aber beides zusammen ist so gemeint als Auslegung, dass wir glauben an Gott, den allmächtigen Vater. Die Zuwendung Gottes, die Gnade, die Barmherzigkeit, die Liebe, aber auch Gott als der Mächtige, der alles Bestimmende. Allmacht, das klingt abstrakt, klingt vielleicht auch erst mal unspannend,

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aber Macht ist natürlich eine zutiefst menschliche Grundfrage. Wir alle haben mit Macht zu tun, mit Machterfahrung. Wir alle erleben uns als Wesen der Freiheit. Das kann man auf theoretischer Ebene sehr gut bestreiten. Das kann man so wegforschen, aber im wirklichen Leben natürlich nicht. Man kann sagen, es ist eine Illusion, es ist irgendwie evolutionär-adaptiv, sich das einzureden. Und dann hat man aber mit dieser Illusion zu tun. Jeder Mensch kennt von frühester Kindheit an die Erfahrung, sein Willen zu bekommen oder nicht. Das geht an Eltern gleich genauso. Auch die kriegen mal ihren Willen und mal nicht und mal nicht so, wie sie gehofft haben. Und das eine kann nett sein und lustvoll und begeisternd, die Erfahrung etwas bewegen zu können, das Erleben Wirkmacht zu haben, gestalten zu dürfen.

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Das andere kann tief ärgern, frustrieren, in Verzweiflung treiben, wenn man sich ohnmächtig erlebt, wenn man nichts mehr machen kann. Und das ist gemeint, wenn man von Macht spricht. Es geht darum, schlicht Spielräume zu haben, etwas durchsetzen zu können. Macht ist bestimmen können, etwas anstoßen, selbst bestimmen zu leben oder Macht zu erfahren, etwas gegen den eigenen Willen reingedrückt zu bekommen oder gar Spielball für fremde Wünsche zu sein. Und wir leben in einer Zeit, wo wir mehr denn je Wert darauf legen, mitzubestimmen, nicht verdinglich zu werden. Selbst da, wo wir krank und behandlungsbedürftig sind, wo wir also Wirkmacht verlieren, legen wir umso mehr Wert darauf, unsere Selbstbestimmung nicht einfach komplett an das ärztliche Personal abzutreten.

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Da ist es entscheidend, Respekt zu erfahren vor der eigenen Autonomie. Es ist in der Bioethik eines der Grundwerte, dass die Autonomie des Patienten gewahrt bleibt. Da, wo mehrere Menschen aufeinanderstoßen, ist Macht daher nichts Neutrales. Die Wirkmacht des einen sind zugleich auch die Grenzen des anderen. Das ist kein einfaches Thema, Macht und Macht auszubalancieren. Es gibt so ein Wort von Lord Acton, der sagte mal, alle Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut. Wie gehe ich gut damit um, Macht zu haben, gar viel Macht? Und wie gehen andere damit, um das zu erleiden? Aber das ist natürlich ein heißes Sprichwort, wenn man an Gott denkt. Ist das bei dem auch so? Ist Gott korrumpierbar? Gibt es auch bei Gott Machtmissbrauch oder ist das für Gott kein Thema?

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Ist bei ihm Macht immer gut? Ist er die große Ausnahme von der Regel? Wie reden wir von der Macht Gottes? Möchte einen kleinen, kurzen, knackigen, bibelgeschichtlichen Anfang an den Überblick stellen. In der Bibel ist Gott nicht von Anfang an der Allmächtige. Ich hatte es im letzten Vortrag erwähnt, das Wort kommt im Hebräischen praktisch nicht vor. Es gibt keine hebräischen Wörter, die das ausdrucken könnten. Es kommt aber auch als Konzept oder als Idee im Grunde erstmal nicht vor. Es gibt ja für vieles im Hebräischen kein direktes Wort. Aber dann würde man sagen, ja, das Konzept gibt es schon. Das wird anders umschrieben. Aber das ist mit Allmacht am Anfang in den ältesten Texten auch nicht so. In den ältesten Geschichten der Bibel ist zum Beispiel der Gott Israels ja nicht der einzige Gott.

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Das denken viele. Man denkt das, das ist sofort, man schlägt die Bibel auf. Da ist nur ein Gott. So ist es halt in der Bibel. Ist ja klar. Aber das ist natürlich mitnichten so. Es gibt viele Götter. Israel hat seinen Gott. So und dieser Gott war stark genug, Israel aus Ägypten zu führen. Aber natürlich wird anerkannt, es gibt andere Götter. Es gibt andere Mächte und Gewalten. Es gibt so eine verstörende Geschichte im Königsbuch. Da führen die Israeliten Krieg gegen die Moabiter. Und es sieht gut aus für Israel. So und das merken die auch. Und der König in höchster Not verfällt auf eine verzweifelte Idee. Er nimmt seinen eigenen Sohn und opfert ihn. Und die Bibel berichtet in aller Sehnenruhe, dass das funktioniert. Das heißt, da kommt ein Zorn über Israel und sie können Moab nicht einnehmen. Die Bibel rechnet in den ältesten Geschichten natürlich damit, dass es Götter gibt. Und nach und nach erst wird der Machtbereich Gottes im Bewusstsein der biblischen Autoren immer größer.

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Am Anfang kann man sagen, ist der Gott Israel so ein Gott der Berge. Und es gibt Geschichten, da sieht man den Lernschritt. Gott hilft nicht nur in den Bergen, er hilft auch in der Ebene. Er ist ein Gott des ganzen Landes. Das ist so ein Lernschritt. Mit dem Meer werden die Israelis dagegen nie so recht wahr. Bleiben sie auf Abstand. Da haben sie nur schlechte Erfahrungen. Das Meer mögen die nicht so. Das wird nie so ganz. Am Ende taucht das auf. Gott kann sogar den Jona im Meer, den kriegt den da wieder zurück. So das geht, aber das ist nicht selbstverständlich sofort. Nach und nach wächst erst dieses Bewusstsein. Nach und nach wird beschrieben, Gott ist König, ist Herr auch in der Götterversammlung. So auch alle Götter müssen Gott, den Gott Israels anerkennen als den höchsten Gott.

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Eine weitere Grenze, die erst nach und nach überschritten wird, ist etwa das Todesreich. Die Sheol, die gibt's, die ist da, man weiß nicht wo, da kommt man hin. Wenn man stirbt, wird man versammelt zu seinen Vätern. Und dann heißt es, die Toten loben Gott nicht. Sie sehen den Gott Israels auch nicht. Sie sind getrennt von ihm. Sie sind ferne, die sind weg. Das ist erstaunlich. In Ägypten etwa ist lange, lange früher Galar, die Götter sind im Diesseits und des Jenseits. Und wenn man hier sich verabschiedet, dann rüstet man sich, um auf der anderen Seite mit den Göttern einigermaßen gut klarzukommen. Israel hat das lange Zeit nicht. Die gesamte Torah hat keinen einzigen Vers, der einen Blick über die Todesgrenze hinaus riskiert. Man wird versammelt zu den Vätern und dann ist man weg.

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Wenn es gut läuft, stirbt man alt und lebenssatt. Erst in Spättexten des Alten Testaments reicht die Macht Gottes auch so weit, dass der Tod keine Grenze mehr ist. 239 betete ich mich bei den Toten, bist du auch da? Der moderne Bibelleser denkt, ja klar, natürlich ist er auch da. Ist aber überhaupt nicht selbstverständlich. Das wird lange im Laufe von Jahrhunderten, Jahrtausenden entdeckt. Auch der Tod ist keine Grenze. Ganz, ganz spät im Alten Testament kommen wenige Verse, wo deutlich wird, der Tod ist keine Grenze. Gott holt die Toten wieder, die Toten werden auferstehen. Auch spät exilische Zeit sind die anderen Götter nicht nur dem Gott Israels unterlegen. Irgendwann werden sie nichts. Irgendwann sind sie Machwerke der Völker. Die machen sich das im Jesaja Buch in den späten Schichten ab Kapitel 40.

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Da ist das so, da ist Gott der eine und einzige Gott, derjenige, der über Leben und Tod, der über alles gebietet. Aber das ist ein weiter Weg dahin. Gottes Macht wächst. Wir dürfen dazu sagen, im Bewusstsein seines Volkes. Er wird nicht immer mächtiger, sondern es ist ein mehr und mehr offenbar werden, ein mehr und mehr erkennen und verstehen, wer Gott ist. Man kann so sagen, das Alte Testament kann man lesen als eine Geschichte, in der der barmherzige Gott Israels immer mächtiger wird. Genesis 1 etwa, die Schöpfungsgeschichte ist kein früher Text, der steht nicht am Anfang, sondern ist ein später Text. Es ist ein reifer Text, ein sehr, sehr ausgereifter Text, wo alle anderen Mächte und alle anderen Götter gar nicht mehr im Spiel sind.

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Es gibt diese Bewegung im Alten Testament, dass der barmherzige Gott der Liebe immer mächtiger wird, sein Machtbereich weitet sich immer mehr aus. Und dann beginnt eine zweite interessante Bewegung. Die Macht Gottes wird mehr und mehr die Macht der Liebe. Nächstes ist es ja so, dass der mächtige Gott mit starker Hand sein Volk befreit. Und die Ägypter und andere und die Philister und so da, da erweist sich Gott als Kriegsherr, als Kriegsgott, der seinem Volk beisteht. Und im Laufe der Geschichte Israels kippt es ja. Mit den Asychern ist das schon schwierig. Da läuft das nicht mehr so. Und dann aber auch nie wieder eigentlich. Nicht mit den Babyloniern und mit den griechischen Römern wird es immer schwieriger. Und im Alten Testament, je später die Schriften sind, desto mehr kippt da auch was.

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Es ist nicht mehr so, dass sich Gott erweist als der Starke, der Überlegende, der die Feinde besiegt, sondern Israel macht die Erfahrung, dass der Gerechte nicht immer triumphiert, sondern auch leiden muss. Der Gerechte wird zum Leidenden. Und etwa im Jesaja, Buch Jesaja 53, auch der Gerechte, dem wird das Leiden, ja selbst das Sterben nicht erspart. Auch die Verheißungen kriegen diesen Tonfall. Der König kommt sanftmütig, arm, auf einen Esel. Und im Neuen Testament setzt sich das immer stärker durch. Jesus widersteht den Versuchungen der Macht. Das Neue Testament erzählt sehr machtkritisch von Jesus. Versuchungsgeschichte, Matthäus 4, ganz eindrücklich. Jesus verwandelt nicht die Steine in Brot. Er besticht niemand. Er springt nicht von der Zinne des Tempels.

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Er will nicht durch den Anschein unendlicher Macht betüren. Er unterwirft sich auch nicht der Macht dieser Welt, aber er beseitigt die auch nicht einfach. Er wird gefangen, gefoltert, verhöhnt, getötet. Und mehr und mehr setzt sich ein anderes Reden von der Macht Gottes durch. Bis dahin, dass Paulus sagen kann, die Schwachheit Gottes ist stärker als die Menschen sind. Die Torheit Gottes ist weiser als die Menschen sind. Ein Weg der Niedrigkeit, der Demut, der Armut, der Liebe, das wird die Macht. Die Liebe kommt erst zur Macht und die Macht wird immer stärker durch Liebe geformt. So, das ist eine kleine biblische Basis, dass man das überhaupt mal vor Augen hat. Solche Wörter haben Geschichte und diese Geschichte ist wichtig. Das Christentum funktioniert nicht als abstraktes System, wo das alles wie im Anfang, so auch

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jetzt und in Ewigkeit und so. Da hat man mit der Zeit zu viel Beschichtlosigkeit sich eingekauft. So erzählt die Bibel nicht von Gott. So, wir gönnen uns an dieser Stelle mal wieder unseren wohlmeidenden Agnostiker, der uns skeptisch, aber nicht ohne Wohlwollen zuhört und der jetzt vielleicht so sagen würde, okay, ich habe nichts gegen historische Bibelwissenschaften, ist alles super. Schön, dass ihr das inzwischen macht. Das ist auch spannend. Interessiert mich ja auch für römische Kaiser, ägyptische Pyramiden. Warum sollte ein Bildungsbürger da Wissen über die Bibel verschmähen? Das wäre ja nicht schlau. Aber jetzt wollt ihr Christen sein. Da reicht es nicht, wenn ihr einfach immer irgendwie was aus der Wissenschaft erzählt. Das erwarte ich in Bildungsfernsehen und so. Ihr solltet Farbe bekennen. Wie ist es denn jetzt? Also ist euer Gott allmächtig?

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Jetzt will ich nicht wieder aus dem alten Orient was erzählt bekommen, sondern wie, wie glaubt ihr das? Wie, wie könnt ihr das beschreiben? Wie ist denn Gott jetzt für euch hier und heute? Ja, wir drücken uns gern, Meteorologen und so. Aber ich glaube, die ist ja eine faire Frage. Jawohl mein Agnostiker. Darum bemühen wir uns mal, weil was könnte man halbwegs seriös sagen? Nun, zunächst mal dies Allmacht ist ein großes Wort, was den Mund vollnimmt. Aber ich bemühe mich mal so um eine Querschnittstandard Antwort heutiger christlicher Durchschnittstheologie. Die würde sagen Allmacht ist natürlich ein Konzept, was man leicht missverstehen kann. Man kann es pseudo leicht aushebeln mit so Fragen. Wie kann Gott einen Stein schaffen, den er selbst nicht mehr heben kann? Ohne Frage. Oder, ein bisschen anspruchsvoller, könnte Gott die Vergangenheit ändern?

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Kann Gott machen, dass Deutschland auch 1966 Weltmeister war, weil er dem Linienrichter offene Augen einpflanzt und dass er sieht, dass er niemals drin war? Kann Gott das? Oder kann Gott Dinge tun, die seinem Charakter widersprächen? Kann er neidisch sein, gehässig, schadenfroh, missgünstig? Wenn er das nicht kann, ist er nicht allmächtig. Und bei all dem muss man sagen, nee, das ist alles so Quatsch. C.S. Lewis hat zu so Fragen mal gesagt, Unsinn bleibt Unsinn, selbst wenn er von Gott handelt. Und in einem solchen absoluten Sinne, also wenn alles alles sein soll, in irgendeinem mathematischen Sinne, dann kann man nicht sagen, dass Gott allmächtig ist. Das wäre eine metaphysische Fantasie. Aber als Christ würde man natürlich schon dann auch diese Linie sehen, auch aus dem

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Alten Testament sollte dem Herrn etwas unmöglich sein. Auch Jesus sagt, alles ist möglich dem, der glaubt. Paulus sagt, ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht. Im Rahmen dessen, was man denken kann. Und wenn man das genau will, kann man, könnte man jetzt sagen, Gott kann alles, was nicht logisch widersprüchlich ist, was nicht mathematischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht, Gott kann nicht machen, dass 2 plus 2 5 ist. Er kann nichts tun, was gegen die Linearität der Zeit verstößt oder was mit seinem Charakter im Widerspruch steht. Wenn wir das alles sagen, ja. Jetzt bitte keine Petition starten. Petition für eine Verbesserung des Glaubensbekenntnisses für aufgeklärte Gläubige. Künftig bitte sprechen, ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Klammer auf, im Blick auf alles, was nicht logisch widersprüchlich ist, nicht mathematische Gesetzmäßigkeiten ignoriert, nichts gegen die Linearität der Zeit verstößt und mit seinem Charakter nicht

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im Widerspruch steht, Klammer zu. Nein, das wird in den Konfirmandenunterricht delegiert. Das alles nicht. So, aber so, so würde man es machen. Da ist vielerlei. Und dann aber würde man eine zweite Einschränkung machen. Ich glaube, unser wohlmeinte Agnostiker wird langsam unzufrieden mit unseren Einschränkungen. Ja, aber es geht um Gott. Also Fußball ist schneller erklärt. Es geht um Gott. Zweite Einschränkung. Schöpfung ist immer schon ein Akt Gottes einer ursprünglichen Selbstbegrenzung. Gott setzt sich ein Gegenüber. Das muss er nicht. Aber wo er das tut, ist er nicht mehr das einzige. Und er selbst setzt sich Wesen gegenüber, die aus der Reihe tanzen können und das tun. Das widerspricht nicht seiner Allmacht. Es ist Ausübung seiner Macht, dass er seiner Macht in diesem Sinne begrenzt.

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Und das gehört dazu, wie Gott mächtig ist. Es gibt anderes nicht durch und durch bestimmtes Gegenüber, nicht durch determiniertes Sein. Es gilt übrigens auch für reformatorische Theologie. Manche kriegen da Angst und sagen, ja, nee, ich glaube, dass Gott alles in allem wirkt und alles bestimmt und das ist doch reformatorisch. Na, das ist so nicht richtig. Reformatoren sagen, ja, selbst der Glaube des Menschen ist etwas, was Gott bewirkt, was er schenkt. Worthaus sechs. So, das ist eine heilsame Einsicht. Aber Reformatoren sagen sehr klar auch in den Bekenntnisschriften. Confessi Augustana, der Mensch ist frei in Dingen, die in dieser Welt liegen, frei in seinem Handeln. So, das ist biblisch, das ist reformatorisch, das ist katholisch sowieso.

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Da ist noch ein bisschen mehr sogar. Das heißt, Gott ist allmächtig, aber so, dass er gleichzeitig seine eigene Macht auch einschränkt. So übt er seine Macht aus. Und so bekennt sich der christliche Glaube zu Gott, dem Allmächtigen. Und so läuft dann auch die Argumentation, wenn man fragt, kann man das denn rechtfertigen, dass Gott und das Leiden irgendwie miteinander besteht? Sogenannte Theodizie Frage. Da würde man sagen, ja, es gibt Leiden in dieser Welt und das ist in gewisser Hinsicht der Preis dieser ursprünglichen Selbstbegrenzung Gottes, dieses Gewähren von Freiräumen. Wenn Gott Freiheit gewährt, kann und wird die missbraucht werden. Und dann gehen manche noch weiter und sagen, na ja, aber was ist jetzt mit Tsunamis und Erdbeben und so weiter? Und da sagen die, nun, es ist so, natürlich kann man sich die Welt so vorstellen wie beim

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Herr der Ringe Mordor, dass das Auge Gottes so über allem schwebt und alle immer sehen, Gott guckt. Die Menschen würden besser funktionieren. So, das wird wahrscheinlich so sein. Jetzt war aber Gottes Idee ganz schlicht die, dass er nicht wie so ein Riesenauge über alle schwebt und alle immer sehen ständig, dass er guckt. Er will ja in irgendeiner Weise Freies gegenüber, Freies sich öffnen in Liebe. Er will dies und wenn er das in irgendeiner Weise will, bedarf es auch ganz schlicht einer gewissen kognitiven Distanz, sagen dann manche. So, also dass es nicht so offensichtlich ist, dass er ständig einem zuguckt. So, das funktioniert in einer naturgesetzlich geordneten Welt, die berechenbar ist. Nur in einer berechenbaren Welt wissen Menschen ganz schlicht, dass ihr freies Handeln Konsequenzen hat. Sie können das selbst abschätzen lernen.

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Dann müssen aber auch ganz schlicht die Folgen getragen werden einer naturgesellschaftlich geordneten Welt. Und wenn man eben zu schnell mit dem Auto durch die Kurve fährt, haut es einen eben aus der Bahn und so weiter und so weiter und so weiter. So, so würden Religionsphilosophen, Theologen versuchen zu erklären. Ja, wir können sagen Gott ist allmächtig. Wir brauchen zwei bis drei Fußnoten und ein paar Schutzerklärungen gegenüber kritischen Fragen und dann kommen wir zurecht. Das war jetzt so eine Querschnittsantwort einer heutigen Durchschnitts Theologie oder Religionsphilosophie. Und jetzt fangen wir richtig an. Das ist jetzt erst mal eine Ausgangsbasis. So und die Idee ist ja, wir reden über Gott, wir reden über den Allmächtigen und wir wollen schlicht die Kraft kluger Religionskritik auch dabei nutzen, diesen Gott, unseren Glauben

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besser zu verstehen. Unter kluger Religionskritik stelle ich mir aber halt schlicht etwas vor, was nicht Papkameraden und Schwachsinnversionen von Christentum sich so bastelt und die dann wegwatscht für so intellektuelle Kinderkreuzzüge ist das Leben zu kurz, sondern dass man sich so mindestens an dem orientiert, was ich gerade beschrieben habe, also an so einer Querschnittsstandards Durchschnitts Theologie. Und das ist jetzt der Maßstab. Jetzt aber nochmal richtig kritisch nachzuhaken. Passt das? Funktioniert das? Oder entstehen da Probleme? Und dafür muss ich jetzt keinen wohlmeidenden Agnostiker mehr so ad hoc erfinden. Da leih ich mir einen aus der Weltliteratur, den es gibt, den man nachlesen kann. Und ich nehme jetzt so ein Schicksalsbuch aus meiner zarten Jugend, da war ich 17 oder

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18, was damals für mich schlechthin entscheidend war. Die nächste halbe Stunde oder länger werden wir ein bisschen nachdenken zusammen mit Dostojevski seinem Roman Die Brüder Karamazov und der wohlmeidende Agnostiker, dem wir erlauben, uns jetzt zu quälen, wird Ivan Karamazov sein. Nur einer der Brüder Karamazov. Für mich spielt das Buch biografisch eine riesen Rolle. War ja so 16, 17 und so, glühende Atheist, französische Existenzialisten, Sartre, Camus, Simone de Beauvoir habe ich rauf und runter gelesen. Alles was die empfohlen haben, habe ich auch gelesen. Dann war ich irgendwann da wirklich durch und dann las ich bei Camus, Dostojevski sei ja richtig gut, der sei zwar Christ, Russe, 19. Jahrhundert, muss man auch verzeihen, aber dafür, dass der Christ ist, hat er echt Ahnung, der weiß Bescheid vom Leben. So, und da dachte ich, ja Christ, ich hatte so mit 17 fühlte ich mich unendlich schlau,

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ich las so viel und so. Und so mein Bild von Christen war immer so geprägt durch intellektuelles Kindchenschema. Ich hatte immer so das Gefühl, die im günstigsten Fall sind sie langweilig oder süß, aber auf jeden Fall ein bisschen dümmlich, die fragen nicht nach. Die sitzen da unkritisch auf ihrem harten Holz und die trauen sich nicht, richtig kritisch und so, insofern habe ich immer gedacht, was soll da kommen, Christen, du lieber Himmel, das habe ich doch jetzt abgeschüttelt. Ich war ja auch mal so eine Zeit, ich habe es ja echt versucht so, aber dann irgendwann gemerkt, es funktioniert nicht. Aber wenn Camus das sagt, da habe ich gedacht, der Camus, der muss das wissen, also Dostojevski, Christ, aber wenn der Ahnung hat, tue ich es mir an. Und ich war nach Dostojevski nicht sofort Christ, aber es war auf einmal eine Option. Ich konnte mir vorstellen, man könnte Christ sein. Da war eine Phase, wo ich es mir nicht vorstellen konnte, dass das intellektuell redlich geht.

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So das Gefühl gehabt, das kann man nur erben und in so einem Halbschlaf vergessen, das abzuschütteln oder so. Aber dass man da intellektuell redlich hinkommt, na, nach Dostojevski dachte ich, man könnte Christ sein. Ob ich, weiß ich gerade nicht, aber es ginge. So, aber jetzt hinein, es ist ein Krimi, ich werde mich mit Spoilern radikal zurückhalten. Es gibt ein paar Brüder, die haben einen Vater, es kommt jemand zu Tode und mehrere Personen sind verdächtig und Polizei und Gerichte und so weiter. Und es ist eine Geschichte von Glaube und Unglaube, Schuld und Vergebung, Zweifel und Auflehnung, Erbarmen und Liebe und so weiter. 1200 Seiten und großartig. So, aber das einzige, was wir brauchen, ist ein Gespräch zwischen zwei Brüdern.

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Aljosha, der jüngste Mönch, russisch-orthodoxer Mönch, tiefgläubig von Jesus begeistert und Ivan, der ältere intellektuelle Bruder, westlich geprägt, voller Zweifel mit dem Christentum durch. So, und diesen beiden werden wir jetzt insgesamt in vier Schritten folgen. Schritt eins, die Brüder unterhalten sich, das haben sie ewig nicht getan, sie kommen von völlig unterschiedlichen Enden der geistigen Weltkarte und sie kommen hinein ins Sprechen, wie ist das denn mit Gott? Kann man an Gott glauben? Na ja, Ivan tut das nicht. Es ist 1880, damals hat Atheismus noch so was Anrüchiges. Kann man das denn? Darf man das denn? Ist das nicht westliche Dekadenz? Ist das nicht der Weg in die Verzweiflung hinein?

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Wie kann man denn ohne Glauben an Gott? So, und Ivan schockt seinen Bruder auch. Es macht ihm richtig Spaß zu sagen, ohne Gott wäre alles erlaubt. So ist es auch. So, ohne Gott gibt es nicht ewige Wahrheiten. So ist es auch. So, der Bruder kommt, weiß nicht, wie kann man da hinkommen und so. Irgendwann erklärt Ivan es ihm und sagt, weißt du, ich habe so eine Sammlung. Ich sammle Geschichten. Ich sammle Geschichten von Menschen, von denen ich in der Zeitung lese, in Journalen, Büchern und zwar echte Geschichten, echte Menschen. Ich sammle Geschichten vom Leiden. Und man kann sagen, es wird viel gelitten in der Welt. Und wenn man das kurz macht, dann sagt man schnell Weltkrieg, Schuah, Völkermord, Kulturrevolution, Hut siehst, tut siehst, Millionen hier, Millionen da. Ich denke, den meisten von uns geht es aber so, wir machen dann dicht.

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Wir hören diese Zahlen. Wir können es im Grunde nicht greifen. Es rauscht vorbei. Wir können mit Millionen Toten nicht rechnen. Wir können das nicht auf eine Waagschale legen und dann sagen und jetzt gucken wir mal, ob die Freiheit des Menschen diesen Preis wert war. Wir paralysieren uns oft gegenseitig durch diese großen Dinge, sodass Ivan seinem Bruder lauter kleine Beispiele erzählt, einzelne Menschen, einzelnes Leiden. Das macht er über viele Seiten. So, ich möchte auch nur eine Geschichte erzählen. Keine entsetzlich grauenhafte, keine Foltergeschichte, nichts von Tee und Graufreund, nichts Furchtbares, wo man danach gar nicht mehr weiß und so. Eine kleine Geschichte, wo man aber vielleicht die Empathie genug hat zu sagen, so und ich

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glaube, die Frage mit dem Leiden und die Frage nach der Macht Gottes wird immer da ernst, wo sie in unseren Gesichtskreis tritt, wo sie so konkret ist, dass es eine echte Frage wird. Die große Weltgeschichte entzieht sich unserem Leben, unserem Verstehen, unserem Einordnen können. Darum eine kleine Geschichte. Ein Vater erzählte mir mal Folgendes, seine dreijährige Tochter musste operiert werden und das nicht zum ersten Mal. Das Kind hatte schon genug Krankenhauserfahrungen gesammelt, um zusammen zu zucken, sobald man nur Krankenhaus sagte, weil das war die Welt der Spritzen. Das war die Welt, wo man auf einmal wach ist und völlig allein ist. Und die Nachricht, wieder ins Krankenhaus, wieder Spritze, wieder Betäubung, wieder

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Operation war für die kleinen Horror. Der Papa sagte ihr, keine Angst, ich bin da. Ich bin die ganze Zeit bei dir. Ich weiche nicht von deiner Seite. Ich bin da, egal was die Ärzte machen. Ich bin an deiner Seite. Na ja, das geht jetzt während einer OP nicht, aber der Segen der Anästhesie wird die Kleinen das nicht merken lassen, so denkt er sich. Er ist dabei, als das Kind betäubt wird und er wird dabei sein, wenn sie wach wird und gut. Ja, und das Mädchen lässt sich darauf ein, der Papa ist dabei und er hält ihre Hand bei der Spritze und sie schläft ein und sie wird zur Operation erst weggeführt, als sie wirklich tief schläft. Und er wartet und wartet. Die Operation findet statt. Dann dauert es länger, noch länger. Und dann hört er irgendwann, also jetzt ist es vorbei und es ist so, es gab leider Komplikation.

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Es gab eine schwierige Phase während der Operation. Es kam zu einem Herzstillstand. Keine Angst, es war noch gerade, also es ist nichts schief gegangen. Es ist alles gut geworden. Es war einfach, es hat dann länger gedauert. Aber die Ärzte haben es im Griff gekriegt. Es ist kein Schaden entstanden. Die Operation ist gelungen. Es hat doppelt so lange gedauert, aber keine Angst, es ist wirklich alles gut. Er ist dabei, wenn das Mädchen wach wird, sind wir wieder zu Hause. Aber es ist nicht gut. Das Kind scheut vor ihm zurück. Es ist anders. Es ist verschlossen. Es wendet sich ab. Und er fragt sie, was ist denn mit mir? Warum sprichst du denn nicht mehr? Ich war doch da, ich war doch die ganze Zeit bei dir. Was ist denn? Hast du irgendwas erlebt? Und irgendwann bricht es aus der Kleinen heraus und sie schreit und weint gleichzeitig und

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sagt, du hast mich angelogen. Bei der Operation, da habe ich auf einmal mich selbst von oben gesehen. Da habe ich gesehen, wie ich da liege auf dem OP-Tisch und die Ärzte waren an mir dran und es war hextisch und es piepte und piepte. Und ich habe mich umgesehen und ich habe überall im Raum geguckt und ich habe dich gesucht und ich habe dich nirgendwo gesehen. Du warst nicht da. Du hast mich angelogen und ich kann dir nie wieder vertrauen. Du hast gelogen. Und der Mann erzählt diese Geschichte unter entsetzlichen Schluchzen. Es ist nichts passiert. Es ist kein Schaden entstanden, sagen die Ärzte. Nur das Vertrauen eines dreijährigen Mädchens ist kaputt. Und wie bescheuert kaputt. Und das finde ich ist so eine Geschichte, man kann sagen, naja Gott sei Dank ist nichts passiert. Natürlich ist was passiert, aber wie doof. Es gibt so viele Bücher über Nahtoderfahrung, wo Menschen sagen Ja, ich habe mich auch gesehen

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im OP-Saal und dann lag ich da und dann war da aber ein Tunnel und es war Licht und es war schön und es war warm und ich war geborgen. Und da sagen Menschen Ja, ich hatte eine Nahtoderfahrung. Seitdem habe ich keine Angst mehr vor dem Sterben. Wie schön. Leuten, denen es schon gut ging oder Leute, die ein stabiles Leben hatten. Und da ist ein kleines Mädchen, was einfach ein doofes Schicksal mitgekriegt hat. Viel zu viele Operationen und viel zu viel Angst und viel zu viel offenes Schicksal. Und die hat dann eine Nahtoderfahrung und so eine beschissen. Und was ist denn da los? So und wie denkt man dann Gott hinein in eine solche Welt, wo das so passiert? Man sagt manchmal Christen reden nicht vom Schicksal. Wir glauben nicht an Schicksal. Naja, gönnen wir uns mal das, reden wir mal vom Schicksal.

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Das ist viel leichter. Wenn wir vom Schicksal reden, da gibt es ein Buch, einen Film. Das Schicksal ist ein mieser Verräter, heißt es. Es geht um zwei Jugendliche, schwer krank, finden zueinander. Richtig gut geht das alles nicht aus. Das Schicksal tut grauenhafte Dinge. Das Schicksal packt Menschen hart an. Das Schicksal wirft dich zu Boden und dann tritt es dir in die Nieren und spuckt dir ins Gesicht. All das tut das Schicksal mit Menschen. Man kann das sagen über das Schicksal und man kann das sagen über das Leben. Denn Millionen Menschen erleben so etwas. Millionenfach. Aber wie können wir das mit Gott zusammen denken? Wer lässt sich denn so etwas einfallen? Wer lässt denn so etwas zu? So, dass man sagt, ja, kann Gott jetzt jeden Tsunami verhindern? Vielleicht nicht. Kann er nicht so eine extreme Unwahrscheinlichkeit?

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Da braucht man ja kriminelle Energie, so extreme Unwahrscheinlichkeiten, die Vertrauen zerstören, zuzulassen. Wie kriegt man das mit Gott zusammen? Das war jetzt eine, eine wirkliche, leicht verfremdete, aber reale Geschichte. Ivan erzählt seinem Bruder Aljosha viele solche Geschichten. Und irgendwann sagt er ihm, weißt du Aljosha, ich habe alle auch gelesen und gehört und weiß, was ihr Christen sagt. Ich würde ja sagen, ja, gut, das Leiden ist Preis der Freiheit. Ja, gut, Menschen tun einander weh. So, und weil das so ist, ist es ja so wertvoll, wenn sie einander gut tun. Das ist so. Die Möglichkeit, Freiheit zu missbrauchen, macht es ja so kostbar, dass echte Güte und Großzügigkeit und Verzeihen in der Welt vorkommt. Und das mag ja aufgehen. Es mag aufgehen. Hier, die wir unter uns sitzen und alle im normalen Alter, wie wir miteinander umgehen,

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das mag ja aufgehen. Und da würden wir Gott nicht verurteilen oder verdammen oder für unmöglich erklären. Aber sagt Ivan, das sind ja wir, wir Erwachsenen, die Verantwortung übernehmen und unschuldig werden, aber auch Opfer werden, Täter und erleiden und zufügen. Und vielleicht mag es aufgehen und wir können verstehen, dass Gott es so einrichtet. Aber was ist mit den Kindern? Was ist mit den Kindern, die niemand gefragt hat, die nicht Verantwortung tragen können, die manchmal hineinwachsen in eine Situation, wo sie von Anfang an auf eine Verliererstraße gezwungen werden, von Anfang an misshandelt und missbraucht und vergessen und verachtet und nichts kennenlernen außer Schmerz und Angst und Scham und vielleicht zu Tode kommen

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dabei, was ist mit denen? So, was ist mit so einer Geschichte? Mag sein, dass der Vater vielleicht irgendwann sagt, ja, ich habe auch die Unwahrheit gesagt und ich habe auch, wer weiß wie, und ich habe es ja gut gemeint und gut, ich könnte es Gott verzeihen, aber kann er das für das Kind? Kann man für ein Kind verzeihen, was doch hier dann irgendwie zum Mittel gemacht wird? Den meisten Menschen heute leuchtet es ein zu sagen, die Würde des Menschen ist unantastbar. Niemals behandeln wir Menschen als Mittel zum Zweck. Menschenwürde heißt für uns, der Mensch ist Zweck an sich selbst, niemals Mittel. Was ist das für eine Rechnung, wenn Gott in diese Rechnung, die Leiden ist Preis der Freiheit, die Kinder hineinrechnet, werden die nicht zum Mittel des Zwecks, dass Freiheit

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so wichtig ist, dass so etwas vorkommt, dass kognitive Distanz, naturgesetzliche Abläufe, dass das so ist, aber das ist doch untersittlich, dass dergleichen passiert, dass Kinder Mittel zum Zweck sind. Und Ivan sagt seinem frommen, Jesus gläubigen Bruder, weißt du Aljoscha, das akzeptiere ich nicht. Dies unschuldige Leiden derer, die nie gefragt worden sind, ich kann es nicht akzeptieren und ich will auch nicht akzeptieren, wenn du sagst, ja, aber Gott kann es doch wieder gut machen. So macht man Menschen nicht zu Spielbällen, zu einem Riesenexperiment und darum sagt Ivan, weißt du, selbst wenn Gott sagt Himmel und Schlaraffenland und so Kinder werden meine

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Schoß und Herzenskinder, Ivan sagt, dem Preis ist es nicht wert. Das ist es nicht wert. Und wenn ich eingeladen bin ins ewige Leben mit Gott, so ich ihn denn anerkenne und ihm vertraue, dann möchte ich meine Einladungskarte höflich zurückschicken. Danke, nein, ich akzeptiere das nicht. Ich möchte einem solchen Gott nicht vertrauen, der kindliches Vertrauen so vor die Wand laufen lässt. Das ist der erste Schritt, Dostoevsky, Ivan Karamazov. Können wir Gottes Macht denken, rechtfertigen? Können wir den Allmächtigen zusammendenken mit dem Vater? Die Macht mit der Liebe. Funktioniert das? Oder muss man am Ende des Tages sagen, es funktioniert dermaßen nicht, dass es besser wäre, keinen Gott zu denken als einen solchen.

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Das Gespräch zwischen den Brüdern geht weiter. Ivan fragt seinen Bruder, könntest du es denn? Kannst du das akzeptieren, der du glaubst? Würdest du zum Beispiel, wenn du das Angebot hättest, die ganze Welt zu beglücken, die ganze Welt in ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit zu führen für den einen Preis, dass du ein einziges Kind langsam zu Tode folterst, würdest du das tun? Und Al-Ghoshar sagt, nein, niemals, das könnte ich nicht. Und Ivan sagt, ja, du glaubst an einen Gott, der vermeintlich sowas tut, der vielfach so etwas zulässt. Wie kannst du das? Wie kannst du deinem Gott eine Logik zutrauen, zu der du selbst nicht bereit wärst, obwohl du ein Mensch bist und kein Gott? Und Al-Ghoshar sagt, ich weiß es nicht.

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Und dann sagt Al-Ghoshar etwas anderes. Er sagt, ich habe keine Antwort. Aber ich glaube auch nicht, dass mein Glaube, mein Christsein aus Antworten zu bestehen hat. Ich halte mich an diesen Jesus von Nazareth, auf ihn setze ich mein Vertrauen und an ihn klammere ich mich und er ist meine Hoffnung und vor ihm werden sich einmal alle beugen. Er, der in der Bibel empfangen wird mit den Worten, gerecht bist du, Herr, geoffenbart haben sich deine Wege. Er ist es, an den ich mich klammere. Kann man sagen, ja, damit ist Al-Ghoshar sehr nah an dem, wie neutestamentliche Texte mit der Frage des Leidens umgingen. Was ich vorhin ernst gemeint, aber milde distanziert so beschrieben habe als Querschnittstheologie, Theodicee Antworten. Es wird ja in der Bibel nicht entwickelt. Es wird nicht durchgerechnet und geprüft, wie man das irgendwie hinbekommt.

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Nein, in der Bibel wird es viel existenzieller bearbeitet, die Frage, warum leiden. Es gibt einen eindrücklichen Text aus der Offenbarung des Johannes, die zitiert Al-Ghoshar ja hier im Kapitel 5. Das ist eine eindrückliche Beschreibung. Das ist eine Vision des Seers Johannes und da heißt es, und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch, beschrieben inwendig und auswendig, versiegelt mit sieben Siegeln. Eine Vision, Gott auf dem Thron und er hat dieses Buch versiegelt. Das Buch, wo meinetwegen alle Antworten drinstehen, die wir schon immer wissen wollten, aber ach, mit sieben Siegeln versiegelt. Dann geht es weiter in der Offenbarung. Und ich sah einen starken Engel, der rief mit großer Stimme, wer ist würdig, das Buch aufzutun und seine Siegel zu brechen. Und niemand im Himmel, noch auf Erden, noch unter der Erde konnte das Buch auftun und hinein

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sehen. Es ist ja ein biblisches Statement dazu. Keiner weiß, keiner hat die Antwort. Dann geht es weiter im Text, Johannes wieder, und ich weinte sehr, dass niemand würdig erfunden wurde, das Buch aufzutun und zu lesen und hinein zu sehen. Der pietistische Theologe Albrecht Bengel schrieb sich in seiner Bibel an dieser Stelle hinein. Dieses Buch wurde nicht ohne Tränen geschrieben und es wird auch nicht ohne Tränen verstanden werden. Und so geht die Bibel damit um. Es gibt Fragen, da sind Tränen die einzige Antwort, die nicht völlig daneben ist. Dann geht es weiter und einer von den Ältesten spricht zu mir, weine nicht, siehe es hat

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überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlecht Juder, die Wurzel Davids aufzutun das Buch und zu brechen seine sieben Siegel und ich sah und siehe mitten zwischen dem Stuhl und den vier Tieren und den Ältesten stand ein Lamm, wie wenn es erwürgt wäre. So, was Aljoscha hier gibt, ja, sehr nah am Neuen Testament, keine Antwort, keine Diskussion, kein gut angegriffen Ivan, aber jetzt kommt mein Konter, nichts dergleichen. Einfach dieses Bekenntnis, aber Jesus. Ist das die christliche Antwort, können wir sagen ja, aber Jesus. Nun Ivan sagt, dritter Schritt, ja Jesus, ich habe ihn nicht vergessen. Ich wundere mich ehrlich gesagt, wie lange du brauchst auf ihn zu verweisen, denn so, ja, so seid ihr Christen, ich kenne euch gut. Wenn es hart auf hart kommt, dann ist Jesus irgendwie der Joker.

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Dann holt er ihn raus und sagt gute Frage, nächste Frage, aber Jesus. So, dann Joker, Jesus, und dann sollen wir alle ganz beeindruckt gucken und sagen, oh, ja, okay, gut, gewonnen. Du hast recht. So, und Ivan sagt, ja, ich weiß, so macht ihr es. Ich habe mal eine Geschichte aufgeschrieben. Ich habe mal eine Geschichte verfasst, die möchte ich dir einfach mal vortragen. Dann holt er ein kleines Skript raus, eine Novelle, eine Erzählung, die Geschichte vom Groß Inquisitor. Geschichte ist auch einzeln, Reklam, Büchlein, ist ein Buch im Buch. Das will man jetzt ganz zusammengerafft uns hier kurz vergegenwärtigen. Ivan sagt, ja, Jesus ist die Antwort, sagst du. Gut, ich habe eine Geschichte und lass uns über die Antwort mal nachzudenken, wie sie genau lautet. Ivan hat eine Geschichte geschrieben, sie spielt in Spanien des 16.

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Jahrhunderts. Spanien, 16. Jahrhundert, der christliche Glaube regiert. In jeder Amtsstube hängt ein Kreuz. Keine Kompromisse. Karl V. gekämpft wie ein Löwe gegen die Kirchenspaltung, der christliche Glaube regiert. Philipp II., König von Spanien, sagt, mir ist es lieber, wenn in meinem Land tausend Unschuldige von der Heiligen Inquisition verbrannt werden, als dass ein einziger Ketzer am Leben bleibt, der den wahren Glauben verrät und Menschen verführt. So sehr regiert das Christentum. Es ist das christlichste aller Jahrhunderte. Wunder geschehen, große Heilige laufen herum. Ignatius von Loyola, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz. Wunder, Visionen, Entrückungen und Verzückungen. Und die Heilige Inquisition und Mutterkirche achtet darauf, dass wirklich jeder beim wahren

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Glauben bleibt. Die Welt ist voller Glaube. Und sie ist auch voller Geschrei, der Gefolterten und Gefangenen. Aber nein, Ivan will nicht einfach jetzt eine Kriminalgeschichte des Christentums erzählen. Er tut es ein bisschen. Aber dann spielt er ein Gedankenexperiment durch. Was wäre denn, wenn Jesus käme? Wenn Jesus wieder käme, abermals als Mensch, ins Sevier des 16. Jahrhunderts. Und Ivan beschreibt das sehr schön, sehr anrührend. Wie die Menschen ihn auf einmal erkennen. Sie erkennen ihn an seinem sanften Lächeln unendlichen Mitleidens. Geschrieben klingt das immer kitschig, klar. Aber was für eine Macht kann das sein, dass inmitten dieser Welt Mitgefühl aufstrahlt. Und die Liebe wird fast sichtbar, wie Jesus sich den Arm zuwendet.

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Den Ausgegrenzten. Und er sie anrührt und tröstet und heilt. Und es ist wie in den schönsten Jesus-Geschichten. Er vergibt, er weckt Tote auf. Und alle sind voll Tränen der Rührung. Und dann kommt der Groß Inquisitor und sieht das alles. Und er erkennt ihn auch und denkt, ach, da ist er wieder. Und was er macht ist, er lässt Jesus verhaften. Und das Volk steht paralysiert dabei. Denn wenn es eine Macht gibt, die größer sein kann als jede Liebe, dann die Angst. Und alle sind vor Angst gelähmt. Weil sie wissen, mit welcher Macht der christliche Glaube regiert. Und Jesus wird abgeführt und kommt in eine Zelle.

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Und er wehrt sich nicht. Er ist, wie er war. Er lässt sich einfach abführen. Es ist kein anderer. Und das ist fast das Besondere hier an dieser Geschichte. Man ist ja heutzutage manchmal auch so fundamentalistische Endzeit-Romane gewöhnt, die ja schon sehr strange sind. So, nech, da ist Jesus damals auf der Welt sanftmütig, demütig und von Herzen freundlich und liebevoll. Und dann kommt er zurück und er wird wie Gehirn transplantiert. Als wäre er irgendwie auf der anderen Seite zu Thanos geworden aus Infinity War, der seine Feinde sieht und nur so macht. Und alle seine Feinde vernichtet und beseitigt. Und er kommt wie der Imperator mit Todesstern und wirft alles nieder. Und am Ende hat er halt die größte Superpower. So, und alle Mächte dieser Welt legt er in Schutt und Asche.

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Solche Bücher werden im Namen des Christentums verkauft. Ich weiß nicht, wer sich dessen tröstet. Aber es ist natürlich ein sehr spezieller Jesus. Der Jesus von Ivan hat den großen Vorteil, man erkennt ihn wieder. Und er ist derselbe. Er lässt sich einfach gefangen führen. So, und dann hat der Groß Inquisitor ihn in seiner Zelle und spricht mit ihm und sagt, sieh mal, okay, du bist es. Keine weiteren Wunder nötig. Du brauchst nichts beweisen. Ich kenne dich. Ich kenne die Schriften. Du bist der Alte. Du bist der, wie in der Versuchungsgeschichte. Du willst einfach die Menschen nicht zwingen. Du willst sie durch deine Liebe gewinnen. So denkst du dir das. Du glaubst, dass die Kraft des Mitgefühls und der Liebe Herzen gewinnt. Du willst niemand kaufen.

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Niemand betören. Niemand manipulieren. Und das ist auch großartig. Ich bin Priester geworden, weil ich das auch klasse fand. Und sieh mal, jetzt regiert die Kirche. Dein Name herrscht. Überall Kreuze. Ist die Welt besser geworden? Ich muss dir sagen, die Menschen sind für deine Vision schlicht zu schwach. Sie schaffen das nicht. Du vertraust darauf, dass es ohne Druck und ohne Gewalt und ohne Zwang geht. So kann man Märtyrer werden. Aber so kann man nicht Gesellschaft gestalten. So kannst du nicht Menschen leiten und regieren. Darum haben wir als Kirche eine harte Lernkurve hinter uns gebracht. Wir haben dir vertraut. Wir haben das gehofft, dass es geht. Es geht nichts.

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Wir haben gelernt, dass es nicht geht ohne Macht und ohne Zwang. Und wir zwingen die Menschen zu ihrem Glück und tun dabei Dinge, die nicht schön sind. Aber es funktioniert. Wir sind jetzt alle gläubig. Und morgen werde ich dich verbrennen. Und niemand wird dir helfen. Weil die Angst vor der Macht stets größer ist als die Liebe zur Wahrheit. Das hat die Weltgeschichte oft genug bewiesen. Morgen wird sie es auch. So geht die Geschichte vom Großinquisitor und Aljoscha, der Bruder von Ivan, ist fertig und sagt, was ist das für eine Geschichte? Und ich dachte, dass du wolltest jetzt mir sagen, warum du nicht glaubst. Aber ehrlich gesagt, es ist doch eine eine wunderbare Geschichte von Jesus, wie er ist. Du hast doch die Kirche angeschwärzt, nicht Jesus. Und Ivan sagt, ja schon.

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Aber jetzt sind wir doch mal ehrlich. Können wir das so auseinandernehmen? Ist die Kirche nicht der Leib Christi? Ist Christus nicht das Haupt der Kirche? Fast 2000 Jahre Christentum, fast 2000 Jahre die Wahrheit offenbar, fast 2000 Jahre Gott im Fleisch. Was ist denn das Ergebnis? Haben die christlichen Völker alle anderen Kulturen beschämt durch ihre Güte und Sanftmut und Großherzigkeit, ihre Friedfertigkeit, das übrigens vor zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts geschrieben inmitten der Kolonialreiche, wo lauter christliche Völker ihr Kreuz auch in die Amtsstuben Südamerikas und Schwarzafrikas und Fernasiens tragen? Kann man das machen, dass man sagt, ja, die Kirche, aber der Jesus ist super und die Bibel

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auch. Was ist das denn für eine Wahrheit, die nicht greift, die nicht wirkt, die nicht funktioniert? Wie viel Wahrheit ist denn da drinnen, wenn es ohnmächtig und schwach ist und korrumpierbar und die Leute es schaffen, ihre Härte und Kälte und ihre Lügen selbst unter dem Zeichen und Banner des christlichen Glaubens zu verstecken und gnadenlos auszuleben? Ich denke, das sind die beiden harten Kritiken der Religionskritik am Christentum. Die Frage nach dem Leid, wie man einen liebenden Gott damit zusammendenkt und die Geschichte des Christentums. Und jetzt die Bücher, die das ganze Christentum als eine einzige Kriminalgeschichte darstellen, die sind schon komisch. Aber es ist halt zu viel Kriminalgeschichte, zu viel, selbst wenn man es bestmöglich beschreiben

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würde. Was nun? Kann man nochmal jetzt auf Jesus verweisen? Ein vierter Schritt. Auch Aljosha tut sich jetzt schwer. Was kann man jetzt sagen? Kann man sagen, ja, Ivan, guter Versuch, aber reicht mir nicht. Ich glaube weiter, du solltest dich auch bekehren, dann hast du nicht mehr so Fragen. Nein, macht Aljosha nicht. Er ist ordentlich beeindruckt. Das ist schon stark. Das ist Best of Religionskritik. Bei mir hatte das damals einen komischen Effekt, als ich das als 18-jähriger las. Ich hatte auch immer das Gefühl, ich wüsste alle kritischen Dinge über das Christentum. Und so an der Stelle hatte ich das Gefühl, wow, der hat seinem Bruder aber jetzt ganz schön eine reingewürgt. Und dann habe ich überlegt, wüsste ich jetzt noch irgendwas obendrauf zu setzen und dachte, nee, das war der Hammer.

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Und dann dachte ich, verdammt nochmal, der ist Christ, warum weiß der das? Der Autor, warum glaubt der? Da war ich ein bisschen geschockt in meinem jugendlichen Unglauben. Wie kann man denn jetzt weiter glauben? Ist das jetzt hier Wahnsinn oder so, dass da der Aljosha sich nicht bekehrt und dass Christen das so schreiben können? Geht es jetzt weiter? Ja, es gibt jetzt nochmal eine Wende. Die beiden reden weiter und Ivan sagt an der Stelle, ja, die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich wusste nicht ganz, wie es enden soll. Was macht Jesus denn jetzt? Macht er jetzt auf Thanos und sagt, okay, war ein Versuch, aber jetzt mache ich dich platt. Aber da hätte er gewonnen. In der wirklichen Welt hätte er gewonnen. Und Ivan würde sagen und durch seinen Sieg hätte er bewiesen, dass es halt am Ende doch

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die Macht ist, die über die Liebe triumphiert. Herzlichen Glückwunsch. Das ist halt nicht das Christentum. Das ist halt am Ende doch wieder nur die nackte Gewalt. Ja, es ist kein Ende. Und Ivan sagt, mein Ende wäre so. Jesus sagt kein Wort. Er steht auf, geht zu dem Großinquisitor hin, umarmt ihn und gibt ihm einen ganz zarten Kuss auf seine dürren, fast toten Lippen und schaut ihn an. Der Großinquisitor spürt diesen Kuss wie ein Brennen und er macht die Tür auf und sagt, verschwinde, geh, geh und komm nie wieder. Und Jesus geht. Und so endet die Geschichte offen. Und ich glaube, es ist ein vierter Schritt. Und ich glaube, es ist ein wichtiger Schritt.

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Ich glaube, wir sind an einer Stelle, wo man die ganze Frage, die wir diskutiert haben, Leiden und Macht und Güte und Liebe, naja, in zwei Richtungen betrachten kann. Man kann die Frage retrospektiv betrachten, rückwärtsblickend, in der Theorie. So, und in der Theorie einfach mal sagen, freeze. Lass uns jetzt die Welt einfrieren. Lass uns jetzt die Zeit ausschalten. Ab jetzt ist Theorie keine Zeit mehr. Und wir schauen zurück und schauen auf das Leben und die Liebe und die Macht und Gott und den Menschen und fragen, kriegen wir das zusammen? Und, ja, Ivan würde sagen nein.

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Und Aljosha würde sagen nein, ich kriege es nicht zusammen. Und die Atheisten würden sagen nein, wir kriegen es nicht zusammen. Und die meisten Theologen würden heute auch sagen nein, wir kriegen es nicht zusammen. Sobald wir konkret werden, kriegen wir es nicht zusammen. Im Einzelfall, in der Betroffenheit durch schreckliches Leid. Jetzt könnte man sagen, jetzt könnte sich jemand melden und sagen, ja, ich bin aber unzufrieden, weil ich kriege es zusammen. Also es tut mir leid, was andere leiden. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, wenn ich auf mein Leben schaue, also ich habe ein schönes Leben. Für mich ist es nicht schlimm. Ich kriege das zusammen und ich hatte mal eine Nahtoderfahrung und die war auch noch wunderbar. Also ich kriege es zusammen. Ich bin dabei. Halleluja. Für mich war es schön. Naja, Ivan würde sagen, herzlichen Glückwunsch. Aber ich habe die Bibel gut gelesen.

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Ich hatte in der Bibel das Gefühl, der Maßstab Gottes ist nicht, geht es dem Pharao denn wenigstens gut, sondern wie geht es einem Sklaven? Das muss doch die Frage sein. Die Güte einer Gesellschaft bemisst sich nicht nach den oberen 10.000, sondern nach den letzten, den hintersten. Geht es denen irgendwie? Und ich glaube, die Religionskritik, die harte Religionskritik hat hier oft den christlicheren Maßstab angelegt. Darum sagt sie nein, wir kriegen es nicht zusammen, wenn wir sagen freeze und retrospektiv zurückschauen auf die Geschichte. Aber man kann auch anders schauen. In dieser Geschichte, sie endet mit einem offenen Ende. Jesus geht. Und die Geschichte der beiden Brüder geht auch weiter.

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Ivan fragt am Ende, was denkst du denn jetzt? Willst du mich nochmal bekehren? Willst du nochmal was sagen? Hast du noch was? Wir ahnen, wie es endet. Aljosha sieht ihn an, geht ihn auf ihm zu, umarmt ihn und gibt seinem Bruder einen Kuss. Und Ivan sagt, das ist gemein, das hast du geklaut. Aber Aljosha sagt nichts mehr. Und das Ende ist offen, sie trennen sich. Und Ivan sagt ihm, er weiß, vielleicht sehen wir uns lange nicht, aber das möchte ich dir versprechen, wenn ich irgendwann auch mal mit meinem Leben nicht weiß oder es wegschmeißen will oder sonst wie. Ich komme zu dir, wir reden nochmal. Wir reden nochmal. Und wenn ich aus den USA hier zurück nach Russland muss, wir reden wieder in zehn Jahren. Ich bin gespannt, ob du da noch glaubst oder ich. Es sieht anders aus, wenn wir Prospektie fragen. Nicht zurückblickend, sondern nach vorne.

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So und so möchte ich nun einen letzten Gedankengang einleiten. Die Religionskritik der letzten Jahrhunderte ist gewichtig. Es sind nicht irgendwelche fadenscheinige Gründe. Und Christen, die glauben, dass da keine Probleme bestehen, sind sehr gemütlich in ihrer eigenen Blase. Mir geht es aber gut, für mich passt es. Die meisten Theologen halten die moderne Religionskritik für erheblich. Sie hat gute Gründe gegen die Zusammenbestehbarkeit von Liebe, Macht und Leid. Aber lasst uns das Ganze nochmal anders sortieren. Jetzt lasst uns nochmal zurückgehen, mal ganz vernünftig, so ganz rational gucken, wo stehen wir denn jetzt? Ich finde, in der deutschen Denkgeschichte, wenn man so richtig vernünftig sein will,

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kann man jedem empfehlen, nochmal Kant lesen, Immanuel Kant. Einfach so. Da ist man auf einem guten Grund, wo alle Christen, nicht-Christen, Agnostika, zweifelnde, hoffende sagen können, können wir uns irgendwo finden, wo wir alle das Gefühl haben, da geht es vernünftig zu. Bei Kant geht es vernünftig zu. Philosoph, 18. Jahrhundert, wir besparen uns jetzt hier alle Anekdoten und wer weiß was und so. Ich reiße jetzt einfach aus einem Riesenwerk ein paar Gedanken raus, wo ich sage, das ist eine vernünftige Ausgangsbasis. Kant sagt so, die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal, dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann. Denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann. Denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.

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Mit letzter Remind, Kant ausdrücklich die Frage, kann man das Leid erklären, kann man das rechtfertigen, kann man Gottes Güte und Macht und das Leiden dieser Welt zusammendenken. Und Kant sagt sehr klar nein. Nein, jede theoretische Lösung ist zum Scheitern verurteilt. Wir können das nicht durchrechnen. Also man kann das irgendwie. Ich bin auch das, was ich am Anfang gesagt habe, ich würde das jetzt nicht hier sagen, weg damit, das ist alles zynisch und sonst wie. Ich glaube, die Idee zu sagen, Gott schafft Freiraum, er begrenzt seine Macht, Leiden mag ein Preis sein. Ich glaube, dass man grundsätzlich das erst mal so formulieren darf. Es ist nicht von vorne herein irrational oder absurd, überhaupt Macht und Liebe und Leiden zusammenzudenken. Also so als Grundidee sollte man das ruhig tun.

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Aber da bin ich dann doch ganz bei Kant. Man kann das nicht durchrechnen. Man kann es nicht durchrechnen und sagen, ratter, ratter, ratter, zwei Weltkriege, schwoa. Nee, reicht noch, klappt. Nein, da gibt es keine Mathematik für und kein Messinstrument. Wir können es so nicht beantworten. Kant sagt, der Gute gibt keine Antworten, sondern Hilfe. Es gibt keine theoretische Theorie, keine theoretische Antwort auf die Frage des Leidens, sondern die Guten werden das ihre Antwort sein lassen, dass sie Leiden bekämpfen, Güte verbreiten, Leben fördern. Das ist die einzig angemessene Lebensantwort auf die Realität des Leidens. Dann aber, er probt Kant auch eine Gegenrechnung in seiner Schrift Kritik der Urteilskraft,

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die sogenannte dritte Kritik. Und ich raff das jetzt mal halbwegs verständlich zusammen. Seine Zitate sind immer so, dass sie beim ersten Hören das Gehirn abstürzen lassen. Ich fasse das jetzt alles frei zusammen, aber ungefähr steht das so bei ihm da. Macht das jetzt ein bisschen locker flockig. Es gibt ein berühmtes Wort von Kant, wo er sagt, der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Das sind die beiden großen Realitäten, die uns immer neu staunen lassen, die uns ehrfurcht und Demut leeren lassen. Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Das ein bisschen entfaltet das Phänomen, dass wir hier in einem Kosmos leben, unendlich groß und wunderbar, voller Sternen und Milchstraßen und Galaxien und all dies.

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Und dies Wunder erleben, dass wir in unserem kleinen Gehirn Zahlen haben, Mathematik, Logik und wir können den bestirnten Himmel vermessen und berechnen und erleben, dass menschliche Rationalität etwas, was nicht auf Bäumen wächst und was man nirgendwo in der Natur gibt, vollkommene Kreise oder rechte Winkel. Aber in unserem Kopf gibt es das. Und diese Grundbausteine der Rationalität, Mathematik, Geometrie messen ist in der Lage, dass wir den Kosmos uns nach und nach begreifbar machen. So, es geht gesetzmäßig zu in dieser Welt oder anders. Die Gesetzmäßigkeiten unseres rationalen Denkens passen in irgendeiner Weise zu Wirklichkeit, da da besteht ein Verhältnis von Entsprechungen, dass wir mehr und mehr verstehen und begreifen.

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Und das ist erstaunlich. Für manche ist das schon Gottes Beweis, die sagen, das allein ist Wahnsinn genug, da glaube ich schon mal für. Und dann sagt Kant etwas anderes. Und jetzt ist alles großartig, so alle Mathematik und all diese Dinge, es funktioniert. Aber wenn wir uns fragen, was ist denn das Wichtigste, was wir in uns entdecken, würde niemand sagen, ist der Satz des Pythagoras, der erbaut mich jeden Morgen aufs Neue. Wir würden ja andere Dinge sagen, wir würden sagen, wofür lebe ich? Für Gerechtigkeit. Für die Idee der Gerechtigkeit oder die Idee der Menschenwürde oder für Wahrheit. Ich will die Wahrheit verstehen. Ich will wissen, wie es wirklich ist. Ich will die Natur verstehen. Ich will nicht mit Überlieferung und Tradition und Mutmaßung abgespeist werden. Ich will Wahrheit. Und dann sagt Kant weiter, Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Freiheit, auch das sind Ideen

69:07
in uns drin und es sind die uns heiligsten, die wertvollsten. Und dann machen wir eine andere Erfahrung, nämlich das Universum hält sich an unsere mathematischen, rationalen Ideen in der äußeren materiellen Welt und es verachtet unsere moralischen Gesetzmäßigkeiten. Menschen werden durch Lügen entehrt und entmutigt und in Verzweiflung getrieben. Menschen werden durch Lügen um ihren Ruf gebracht und zu Tode gebracht, unschuldig. Menschen werden zutiefst ungerecht behandelt. Und das ist die Realität, dass Lügen sich durchsetzen, dass Ungerechtigkeiten sich durchsetzen, dass menschliche Freiheit zerstört wird, dass die Menschenwürde angetastet wird, Tag

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für Tag. Jedes Naturgesetz wird respektiert von unendlich mächtigen Galaxien und schwächliche, kleiner 1,80-hohe Kreaturen wagen es, tiefe moralische Prinzipien zu verletzen. Und das Leben wagt es und Erdbeben und Vulkane in einem Mini-Planeten wagt es, moralische Prinzipien zu verachten, die uns tausendmal wichtiger sind als alle Gesetze der Mathematik. Und Kant sagt, es ist, als wäre da in uns eine Stimme, die spräche, das ist nicht recht. Das kann so nicht bleiben. Es kann nicht so sein, dass die tiefsten vernünftigen Intuitionen, zu denen wir fähig sind, dass

71:00
Wahrheit zählt, dass Gerechtigkeit regieren soll und dass die Würde des Menschen unantastbar sei, dass der Kosmos das ignoriert. Das kann nicht das letzte Wort in diesem Universum sein. Das wäre wieder vernünftig. Und das ist auch nicht akzeptabel, weil wir das Gefühl hätten, dass in unseren 1.500 Gramm Gehirnsubstanz Ideen sind, die wir nach gründlichster rationaler Prüfung heiliger und wertvoller und tiefer finden als ganze Milchstraßen uns wertvoll erscheinen mit ihrem riesigen Leere und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Das kann es nicht sein. Und Kant sagt weiter, das ist jetzt kein Beweis, weit entfernt. Aber er sagt, es ist ein Postulat der moralischen Vernunft, dass Ungerechtigkeit und Lüge und

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Verachtung nicht das letzte Wort der Geschichte sein dürfen. Und Kant sagt weiter, es ist ein Postulat der moralischen Vernunft, dass ein Gott sei, der Wahrheit und Gerechtigkeit und Güte am Ende siegen lässt. Kein Beweis. Argument vielleicht, er nennt es Postulat, eine tiefe Intuition. Und vielleicht kann man so viel sagen, es ist zumindest nicht irrational, auf einen Gott zu hoffen, der mächtig genug ist, Güte und Gerechtigkeit und Liebe einmal das letzte Wort haben zu lassen. Wir reden jetzt prospektiv. Wir schauen nach vorne im vollen Wissen, dass wir retrospektiv, zurückschauend es nicht

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zusammenkriegen. Denn auch das ist Kant. Im Rückschau kriegen wir es nicht zusammen. Und zugleich haben wir das tiefe Gefühl, es wäre zutiefst unbefriedigend zu sagen, ja, die Welt ist großartig und die Mathematik regiert. Menschlich und moralisch und human, müsste man sagen, ist absurdes Theater. Aber alle Rechnungen funktionieren. Gönnen wir uns an der Stelle mal wieder einen wohlmeidenden Agnostiker. Was würde er sagen? Er würde sagen, ja, Kant ist eine seriöse Adresse. Und es geben alle ehrlichen Denker zu. Okay. Aber ich bin hier auf die Tagung eingeladen worden. Ich dachte nicht, dass es um Kant geht, ehrlich gesagt. Vielleicht würden wir uns da einig. Aber war hier nicht Christentum eigentlich die Challenge? Wie geht es denn jetzt christlich weiter?

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Und lass mich auch so sagen, wir können darüber reden und hoffen und wünschen ist ja erlaubt. Viele kluge Geister haben gesagt, also ich wünschte, es gäbe was. So. Aber jetzt mal ehrlich, wie ist es mit dem Christentum und wie ist es mit der Bibel? Gibt es da nicht auch viele Bilder eines Gottes, der am Ende nicht mit Liebe und Güte gewinnt, sondern irgendwann mit harter Hand sich durchsetzt? Ich habe das gehört von Paulus, die Schwachheit Gottes ist stärker als die Menschen sind. Ja, da hätte der Pharao sich auch gefreut, wenn Gott ihn mit so vielen Liebesworten betört hätte, dass Pharao mit Tränen der Rührung sich vom Mose mit Umarmungen verabschiedet hätte. Ich habe die Geschichte anders in Erinnerung.

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Wenn das euer Ding ist, dass ihr sagt, Gott am Ende, die Macht und die Liebe und die Wahrheit und die Gerechtigkeit und die Güte und so. Warum hat Gott dann sein Bild in euren heiligen Schriften nicht von Anfang an so vereindeutigt? Ich finde da auch andere Bilder von Gott als solche einer gewaltlosen und gewinnenden Liebe. Wie kriegt ihr das denn zusammen? Es gibt einen tschechischen katholischen Philosophdenker Tomas Halić, von dem klaue ich mir jetzt ein, zwei Gedanken aus dem Buch Geduld mit Gott und aus anderen Büchern. Der sagt an dieser Stelle so, Christen können von Atheisten Entscheidendes lernen. Und die atheistische Kritik am Christentum oder auch am Gottesgedanken hat in der Tat in wesentlichen Punkten recht.

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Und auch solche Kritik an biblischen Einzelgeschichten, die ist ja dadurch stark, dass sie sich auf Werte und Maßstäbe beruft, die im Neuen Testament aufleuchten. Es ist ja so, dass Jesus so spricht, überwindet das Böse nicht mit Bösen, liebt, vergebt, nicht widerschlagen, nicht widersprechen, nicht im Zorn, nicht Rache. So, das macht die atheistische Kritik ja stark an Gottesbildern, die dem nicht gerecht werden, was die Bergpredigt von normalsterblichen Menschen zu verlangen scheint. Man kann hallig weiter so verstehen, ja, viele Gottesbilder sind in der Tat unzureichend. Und in gewisser Hinsicht ist es auch tragisch. Es gibt Christen, die mit ihrem Glauben ringen.

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Und das Ringen ist für sie so schwer, weil sie Angst haben, am Glauben zu scheitern. Und sie haben diese Angst, weil sie ihnen gemacht wird. Ihnen wird in ihrem Ringen nicht geholfen. Sie kriegen gesagt, halte bloß am Glauben fest. Mit offenen Fragen müssen wir alle klarkommen. Aber halte am Glauben fest, sonst verlierst du alles. Und sie versuchen es und versuchen es und kriegen die Dinge nicht zusammen und trauen sich nicht mehr zu fragen. Aber wenn sie sich nicht mehr zu fragen trauen, wie können sie dann vertrauen? Und wie können sie dann glauben? Und wie können sie offen darüber reden? Und im Grunde müsste man vielen solcher Christen sagen, du scheiterst am Glauben. Bei dir scheitert ein Gottesbild, was nicht mehr trägt. Du hast zu viele Fragen gestellt. Und du siehst auf einmal, dass ein bestimmtes abstraktes Gottesbild, ein geschichtsloser

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Allmachtsgott nicht funktioniert. Und du versuchst es manchmal zu retten aus Angst, dass dir sonst alles wegbricht. Aber im Grunde verlierst du nur einen Gott, der zu klein geworden ist für deine Fragen. Und du darfst ihn loslassen. Vieles an atheistischer Kritik, an einer reinen Machtgottheit ist berechtigt. Und Halik sagt weiter, reife erwachsene Gläubige und Agnostiker und Atheisten können in vielem heute übereinstimmen. Sie sehen, dass viele Erklärungen von einst nicht mehr einfach so reichen. Wenn es aber etwas gibt, was sie unterscheidet, die Gläubigen von den anderen, dann ist es Geduld. Glaube heißt heute nicht zu sagen freeze.

79:01
Nicht zu sagen und jetzt halte ich die Welt an. Und jetzt ziehe ich Bilanz und jetzt sage ich, der Gottesidee lebt wohl. Jetzt verabschiede ich mich von jeder Idee von Gott, weil es geht ja nicht. Was Gläubige ab einer bestimmten Stelle tun, ist sie warten. Sie warten auf Gott. Sie schauen nach vorne. Sie wissen, dass die Geschichte nicht vorbei ist. Und dabei kann die Bibel helfen. Das war die Ausgangsfrage. Passt die Bibel dazu, die doch Gott so anders schildert? Die Bibel ist eine lange, große Geschichte. Die erzählte Zeit ist Jahrtausende und die erzählende Zeit auch ein gutes Jahrtausend. Und in diesem Jahrtausend verändert sich je und je und je das Bild Gottes. Und in dieser Geschichte, in dieser Erzählgemeinschaft Israels und der frühen Christenheit verändert

80:09
sich Gott mehr und mehr. In einer Autobiografie von Theodor Fontane heißt es über ihn so, wie er ganz am Ende war, so war er eigentlich. So ist es mit dem Gott der Bibel. So, wie er ganz am Ende ist in Jesus Christus, so ist er eigentlich. In dieser machtvollen Liebe und in dieser Liebe, die machtvoll ist. Und wenn man die Bibel liest, lernt man geduldig zu warten auf Gott. Jetzt könnte man fragen, ja okay, aber Moment, das hieße ja, dass vorher Geschichten, von

81:01
denen, wovon Gott die Rede ist, die dem noch nicht entspricht, wo Gott noch rachsüchtig ist und über Leichen geht und so, ist er dann so nicht? Nein, wenn wir die Bibel ernst nehmen, dann nicht. Ja, aber warum hat er sich denn dann nicht gleich in der Bibel vereindeutigt von Anfang an? Vielleicht ist die Bibel eine solche Lerngeschichte, dass Gott mit seiner schwachen Macht nicht von Anfang an letzte vollkommene Wahrheit den Hörern seiner Botschaft aufzwingt, sondern die Bibel ein Dokument ist, wo in einem Jahrtausend mehr und mehr und mehr gelernt wird, wie Gott ist. Und vielleicht ist das der Weg, den die Christenheit geht, ein Weg, den jeder Christ in seinem

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persönlichen Leben geht. Vielleicht ist die Bibel nicht nur eine Lerngeschichte, sondern ein Lernfeld, wo sich lernt, Geduld zu haben, wo man lernt, auf Gott zu warten und man geführt wird von Einsicht zu Einsicht, Schritt für Schritt und wo mehr und mehr und mehr Klarheit kommt. Und am Ende endet auch das Neue Testament offen und wir warten. Wir warten. Bibel lesen lehrt solche Geduld. Daher denke ich, der Glaube an den Allmächtigen Vater kann heute nur noch hoffend gewagt werden. Und damit sind wir ganz am Ende verrückterweise wieder ganz nah beim Glaubensbekenntnis. Wie heißt es da beim zweiten Mal, wo das vorkommt von Jesus heißt es Sitzen zu Rechten

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Gottes des Allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen. Da kein Punkt setzen. Der Allmächtige Vater von dort wird er kommen. Wir können vom Allmächtigen Vater heute nur noch hoffend sprechen. Und für die moderne Christenheit ist das, denke ich, an der Zeit. Jede Generation, jede Epoche hat ihre Propheten, hat ihre Stimmen des Glaubens, die das Evangelium so formulieren, dass es hier und heute gesagt werden kann, Vertrauen findet. Und nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts war das der neue Ton von Gott zu reden in einer Theologie der Hoffnung, den Gott der Hoffnung zu durchdenken. Ich möchte das abschließend bringen auf diesen Sound, den eine Sprach-Ik-Tone des modernen Christentums gefunden hat.

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Dafür Martin Luther King von Gottes Allmacht können wir nur noch hoffend sprechen. Im Sinne dieses I have a dream. Denker alle kennen das. Diese Rede, die so verhalten beginnt. Diese Rede, die langsam Fahrt aufnimmt. I have a dream. Eine Rede voller Schmerz. 1963. Voller Gewalt in Erinnerungen und vor Augen. Voller Rassenunruhen. Voller Auseinandersetzung. Voller Hass und Verbitterung in Alabama und Mississippi und Georgia. Aber inmitten all dessen ohne Antwort unversöhnt doch dieses I have a dream. Und dann spitzt sich Kings Rede zu. Das Reden geht in Singen über die Klage in Verheißung der Glaube in Hoffnung. Und ganz am Ende kommt King zu sprechen auf diesen alten spiritual, wo er mit den letzten Worten schließt. Da, da geht es hin, dass wir einmal Hand in Hand miteinander, schwarz und weiß, Juden

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und Heiden singen werden, wie es heißt in diesem spiritual free at last, free at last, oh Gott almighty, free at last. So, so können wir thank God almighty sagen, hoffend, hoffend auf die Allmacht Gottes, die die Macht seiner Liebe ist.

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Die Macht | 8.4.3

Worthaus 8 – Weimar: 21. Mai 2018 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Kaum etwas ist dem modernen Menschen wichtiger als seine Freiheit. Sicherheit vielleicht, aber darüber streitet man sich ja. Was zur Freiheit überhaupt nicht passt, ist der Gedanke daran, dass jemand Macht über einen hat. Und dann gar Allmacht. Gott, der Liebe ist, wie Theologe Thorsten Dietz in einem anderen Vortrag erklärt, ist auch Macht. Das klingt gefährlicher und bedrohlicher als ein Gott, der Liebe verkörpert. Um zu verstehen, was Gott mit Macht zu tun hat, wagt sich Dietz an die Theodizee-Frage, jener großen Frage, auf die es nie eine wirklich befriedigende Antwort gibt, nämlich: Warum lässt Gott Leid zu? Für eine Antwort bemüht Dietz den russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski und „Die Brüder Karamasow“, Immanuel Kant und einen hypothetischen Agnostiker, der kritische Fragen stellt. Es ist eine lange Antwort, durchzogen von nachdenklichen Geschichten, vielen Denkanstößen und dem Versuch, jenen allmächtigen Gott des Alten Testaments und der blutigen Kirchengeschichte mit Liebe in Einklang zu bringen.