Video
Audio Als MP3 herunterladen
Transkript Als PDF herunterladen

00:00
In der alttestamentlichen Wissenschaft besteht seit längerer Zeit, seit vielen Jahrzehnten, ein großer Konsens, dass das Buch hier in dem Zeitraum vom fünften bis zum dritten vorchristlichen Jahrhundert entstanden ist. Dafür sprechen vor allem drei Gründe. Es ist einmal ein bereits relativ stark aramäisch beeinflusstes Hebräisch. Zweitens, das Hiob-Buch setzt eine Überwindung des Kollektivdenkens voraus, das zum ersten Mal durch den Propheten Hesekiel

01:03
errungen worden ist. Das heißt, das Buch Hiob setzt die Botschaft des Propheten Hesekiel voraus, der im sechsten Jahrhundert vor allem wirkte. Und der dritte Grund ist die Satansvorstellung, der Begriff auch Satan, gibt es erst in Israel, ist erst belegt in nachexilischer Zeit. Also wenn das Buch Hiob im Zeitraum vom fünften bis dritten Jahrhundert entstanden ist, ist damit vor allem ausgesagt, es ist in der Zeit nach dem babylonischen Exil entstanden. Das babylonische Exil, in dem auch der Staat Judah zerstört worden ist, der Tempel zerstört worden ist, Jerusalem zerstört worden ist, die davidische Königsdynastie zerstört worden ist. Dieses babylonische Exil dauerte von 587 bis

02:06
538, also ziemlich genau 50 Jahre. In der alttestamentlichen Wissenschaft ist es eine sehr wichtige Zäsur. Man muss in vielen Dingen beachten, ist der Text vorexilisch entstanden, ist der Text exilisch oder ist der Text nachexilisch? Weil im Exil durch die Zerstörung Jerusalems und dann die anschließende Deportation der Oberschicht der Eliten nach Babylon, da ist ein enormer theologischer Einschnitt. Aus dem Untergang Jerusalems haben jüdische Theologen viele Konsequenzen gezogen. Man kann auch nach dem Exil zum ersten Mal vom Judentum sprechen. Vor dem

03:03
Exil kann man nur von Israel sprechen, aber noch nicht vom Judentum. Zum Beispiel die Synagoge gibt es vor dem Exil überhaupt nicht. Es gibt keine Synagogen und das Judentum hängt auf das Ängste mit der Synagoge zusammen. Aber nach dem Exil entstehen langsam allmählich die ersten Synagogen. Also wir berühren hier einen sehr wichtigen Punkt. Das Buch Hiob ist nachexilisch. Jetzt möchte ich auf diese drei genannten Gründe ein bisschen näher eingehen. Der erste Grund ist, dass Hebräisch im Buch Hiob ist schon relativ stark aramäisch geprägt. Es gibt viele Aramäismen im Buch Hiob. Warum ist

04:00
das ein sehr wichtiger Aspekt? Ich möchte an dieser Stelle mal überhaupt die Sprachen im vorderen Orient, die für das Alte Testament wichtig sind, will ich mal ganz kurz besprechen. Es gibt im Semitischen, das ist die ganz große Sprachfamilie, es gibt im Semitischen eine Unterfamilie, das sind die Nordwest-Semitischen Sprachen. Dazu gehört das Aramäische, die spielt sogar eine besondere Rolle in dieser Sprachfamilie. Die sind alle untereinander relativ stark verwandt, aber es sind doch eigenständige Sprachen. Dazu gehört das Phönizische, das Ugaritische, das Kananäische, das Hebräische, das Moabitische und das Edomettische. Das sind die Nordwest-Semitischen Sprachen, die untereinander relativ stark verwandt sind. Die aramäische Sprache hat da aber eine

05:06
einzigartige Bedeutung errungen. Man unterscheidet das Alt-Aramäische, das erste Auftauchen aramäischer Sätze datiert im 9. und 8. Jahrhundert. Es sind meistens Inschriften, die man hat. So taucht also zum ersten Mal diese Sprache auf im 9. und 8. Jahrhundert. Dann aber im 7. und 6. Jahrhundert entwickelt diese Sprache eine enorme Bedeutung, weil sowohl im Neu-Asyrischen Reich wird das Aramäische zur Verkehrssprache. Also das Neu-Asyrische Reich ist ein Großreich, ein Vielvölkersstaat mit vielen Sprachen. Solche großen Reiche, die also Vielvölkersstaaten waren, brauchten eine lingua franca, das heißt eine Sprache, die möglichst jeder verstand oder zumindest

06:04
die Behörden, die Kanzleisprache, wo also zumindest die Leitungsorgane alle beherrschten. Und so wurde das Aramäische so Schritt für Schritt zu einer Art Verkehrssprache im Neu-Asyrischen Reich, dann auch im Neu-Babylonischen Reich und dann vor allem im Persischen Reich. Im 6. Jahrhundert erlaubten ja die Perser den deportierten Juden 538 wieder zurückzukehren nach Jerusalem und die Provinz Judah war eine persische Provinz. Dieses Persische Reich, das so also ab dem 6., vor allem dann im 5., 4., 3. Jahrhundert den Ton angab, war das erste Weltreich überhaupt in der Geschichte. Es hatte also Einfluss vom Indien, vom Schwarzen Meer bis nach Nordafrika. Also da wurden ja viele

07:07
Sprachen gesprochen und jetzt wurde das Aramäische genannt, das Reichsaramäisch. Und das Reichsaramäisch ist eben die Diplomatensprache, die Verkehrssprache, die Kanzleisprache im gesamten Persischen Weltreich. Und dieser Einfluss nimmt immer mehr zu. Man kann sagen, vom 6. ins 5., ins 4., ins 3. Jahrhundert nimmt der aramäische Einfluss auf das hebräische immer mehr zu. Immer mehr Aramäismen, also sagen wir mal, heute haben wir viele Amerikanismen, das Wort team ist also ein Amerikanismus. Wenn mal ein deutscher Text später gefunden wird, da kommt das Wort team vor, dann kann man sagen, das kann nicht aus dem 19., 18. Jahrhundert stammen.

08:04
Da gibt es das Wort team als Lehnenwort, als Aramäganismus, gibt es noch nicht. Oder Coca-Cola oder so, gibt es im 19. Jahrhundert nicht. Und so kann man an den Aramäismen sehr gut das Alter des Textes bestimmen. Die jüngsten alttestamentlichen Bücher, zum Beispiel die Chronika-Bücher oder Esra Nehemia oder Esther, da ist der aramäische Einfluss noch viel stärker. Er nimmt also immer mehr zu. Das ist also ein sehr objektives Kriterium zur Bestimmung des Alters eines Textes. Um 200 verliert das Aramäische seine Funktion als internationale Verkehrssprache und es tritt das Griechische an die Stelle. Nach Alexander dem Großen übernimmt so ab 200 ganz grob

09:02
allmählich das Griechische die Funktion der Lingua Franca, der internationalen Sprache. Alle Gebildeten verstanden dann Griechisch. In Israel war eine Sonderentwicklung. Das Aramäische nahm immer mehr zu. Vor allem auch die jüngsten Teile des Sior-Buches haben viel mehr Aramäismen als die ältesten Teile. Also selbst innerhalb des Buches hier ist es ein gutes Kriterium für alte oder junge Texte. In Israel war es so, dass das Aramäische überhaupt zur Sprache der Juden wurde. Jesus zum Beispiel hat Aramäisch gesprochen. Also während das Aramäische international gesehen teilweise an Bedeutung verlor und das Griechische an die Stelle trat, gab es lokale Entwicklungen,

10:00
wo das Aramäische vollends zur Umgangssprache geworden ist. Zurzeit Jesu verstand nur noch gebildete, das klassische Hebräisch. Die normale Bevölkerung verstand Hebräisch gar nicht mehr und deswegen musste man, wenn in den Synagogen das alte Testament auf Hebräisch vorgelesen wurde, musste man anschließend eine aramäische Übersetzung vorlesen, damit die Gemeinde in Judah ihre eigene Bibel überhaupt noch verstehen konnte. Gut, also das ist ein enorm wichtiger Aspekt, die Bedeutung des Aramäischen. Ich will bei dieser Gelegenheit noch etwas erwähnen, was vielleicht für viele sehr interessant ist. Das Aramäische hat sich gehalten bis heute. Es gibt im heutigen Syrien mehrere kleine Sprachinseln, da wird immer noch Aramäisch gesprochen, also die Sprache Jesu, und die hat sich gar nicht sehr verändert.

11:04
Ich war schon mal, ich war öfters in Syrien und ich war also vor diesen fürchterlichen Bürgerkriegen, als alles noch im Frieden war, und ich bin dann durch eben Guides, die mich da geführt haben, in die Bergregionen in Syrien, da sind mehrere aramäisch-christliche Gemeinden, die habe ich dann besucht und das werde ich nie vergessen, wie ein Gemeindeleiter oder ein Mann aus einer aramäischen Gemeinde mir das Vaterunser auf Aramäisch gebetet hat. Es ist sehr ähnlich wie das Vaterunser auf Hebräisch, aber es ist schon auch anders. Also es gibt heute noch Gemeinden in Syrien in den Bergregionen, weil sie unterdrückt wurden durch den Islam, haben die sich auch von selbst zurückgezogen in unzugängliche Bergregionen,

12:00
und da gibt es heute noch solche Gemeinden. Es gibt auch in Baden-Württemberg, wahrscheinlich in ganz Deutschland, auch einige Aramäer-Gemeinden, die dem politischen Druck in Syrien ausgewichen sind. Zum Beispiel bei uns in Bietigheim gibt es eine relativ große Aramäer-Gemeinde, in Esslingen auch, und ich habe einmal in den 20 Jahren, in denen ich an der PH Professor war, eine Studentin gehabt aus der Bietigheimer Aramäer-Gemeinde, die spricht fließend Aramäisch, also die Sprache, die Jesus gesprochen hat. Sie konnte dann alles immer übersetzen ins Aramäische. Und dann habe ich auch gemerkt, die sind in ihrer geistlich-theologischen Tradition sehr anders wie katholisch-evangelisch. Sie haben einen eigenen Religionsunterricht außerhalb der Schule in den Kirchenräumen, und diese Studentin, als sie dann ihren Staatsexamen machte, konnte sich entscheiden,

13:07
wird sie im staatlichen Schulsystem evangelische Religion unterrichten oder wird sie Religionslehrerin innerhalb der Aramäer-Gemeinden. Was sie dann entschieden hat, weiß ich nicht. Ich kann mich nur noch an ihre Examensarbeit erinnern. Das war eigentlich eine Predigt. Also das heißt, diese Aramäer-Gemeinden und die jungen Leute, die begabten Leute sind es gar nicht gewohnt, dass man über den eigenen Glauben auch fachlich neutral redet, wie wenn man ein Außenstehender wäre. Das muss man ja lernen, wenn man eine wissenschaftliche Examensarbeit schreibt. Das fiel ihr fürchterlich schwer. Also ihre Examensarbeit war eigentlich eine Predigt. Das haben wir aber berücksichtigt, und sie hat sicher irgendeine gute Note bekommen. Gut, also soweit. Das wollte ich einmal loswerden. Die Bedeutung der aramäischen Sprache, der Sprache Jesu, die also bis heute gesprochen wird.

14:14
Also wieder zurück zum Fachlichen. Es gibt also drei Gründe für die nachexilische Datierung des Buches. Hier eine bereits relativ stark aramäisch beeinflusste Sebräisch. Zweitens die Überwindung des Kollektivdenkens, vor allem durch den Propheten Hesekiel. In den alten alttestamentlichen Texten ist noch überall ein Kollektivdenken. Ich sage mal ein Beispiel. Weil der Pharao verstockt ist, tötete man Hunderte oder Tausende von Erstgeborenen. Das ist noch Kollektivdenken. Der Pharao ist verstockt, und zur Strafe tötet man die Erstgeborenen. Die können ja nichts dafür, dass Pharao verstockt ist.

15:07
Also dieses Kollektivdenken, das es im ganzen Orient überall gab, Klan-Denken, Sippen-Denken, Volksdenken, Stammesdenken, wird zum ersten Mal klar durch Hesekiel durchbrochen. Habe ich in einem Vortrag ja auch schon behandelt, warum Hiob sich von seinen Freunden nicht trösten lässt. Also das ist auch klar ersichtlich. Das Buch Hiob setzt Hesekiel voraus und auch das deutet in die nachexilische Zeit. Und der Begriff Satan, das ist der hebräische Begriff. Aus dem Griechischen heraus kommt der Begriff Teufel, Diabolus. Also im Neuen Testament spricht man weit überwiegend von Teufel, obwohl Jesus auch im Evangelium sagt, ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel stürzen.

16:02
Jesus ist ja ein Jude und er sagt also nicht Teufel, sondern Satan. Das kommt aus dem hebräischen H satanas. Ja und dieser Begriff Satan ist erstaunlich selten. Also sehr viele Christen haben da entweder noch gar nie drüber nachgedacht oder machen sich unbewusst falsche Vorstellungen. Also im Alten Testament ist überhaupt nie vom Teufel die Rede und nur dreimal vom Satan, also an drei Stellen, im Buch Hiob, im Propheten Sacharia und im Erste Chronikabuch. Chronika 21 Vers 1, da ist auch eine Stelle, da kommt der Satan vor. Vor dem Exil gibt es in keinem Text den Begriff Satan. Das ist durchaus sehr interessant, dass auch dieser Begriff eine Geschichte hat.

17:03
Zum Beispiel die Schlange im Garten Eden, die wird nicht als Satan bezeichnet. Und in der ganzen Thora, also die fünf Bücher Mose, die im Judentum das Zentrum des Alten Testaments sind, also die höchste Autorität in der jüdischen Bibel hat nur die Thora. Die Propheten versteht man in der jüdischen Theologie als die Kommentatoren der Thora. Sie sind also in ihrer Autorität unterhalb der Thora. Ihre Funktion ist lediglich, die Thora zu interpretieren. Das heißt aber, die Thora steht höher. Also das ist schon erstaunlich, das müssen wir Christen sehr bewusst in den Blick nehmen. In der gesamten Thora fällt niemals der Begriff Satan. Und die Schlange im Garten Eden, die kann man nicht ohne weiteres als Satan einfach vereinnahmen, denn es gibt in der gesamten Urgeschichte nicht die Figur des Satans.

18:12
Im ganzen ersten Buch Genesis gibt es nicht die Figur des Satans und in der ganzen Thora gibt es nicht die Figur des Satans. Die kommt zum ersten Mal nachexilisch vor, weil auch Saharia und erste Chronika sind auch nachexilische Texte. Andererseits muss aber das Buch Hiob vor dem Jahr 200 entstanden sein, weil es gibt eine Stelle in Jesu Sirach. Das ist ein Buch, das um 190 herum geschrieben wurde in Jerusalem. Und in diesem Jesu Sirach wird Hiob zu den Vätern Israels gezählt, in Jesu Sirach 49 Vers 9.

19:03
Und auch sonst gibt es im Buch Jesu Sirach viele Anspielungen auf das Hier-Buch. Das heißt, wir haben also als oberste Grenze, es muss nach dem Exil sein und als untere Grenze, es muss vor dem Buch Jesu Sirach entstanden sein. Genauer kann man die Entstehungszeit des Buches Hiob nicht angeben. Die Quellenlage gerade für die Zeit des fünften bis dritten Jahrhunderts ist dafür zu ungünstig. Man kann also nichts Genaueres sagen. Das war die Entstehungszeit. Jetzt das zweite, das in der alttestamentlichen Wissenschaft auch breiter Konsens ist, also ist eigentlich nicht wesentlich umstritten. Ich würde mal sagen, 90 bis 95 Prozent der Alttestamentler sind sich darin einig, dass das Buch Hiob in drei Schritten entstanden ist.

20:08
Der erste Schritt ist die Hier-Erzählung, die ursprünglich selbstständig war. Die Hier-Erzählung finden wir in Hier 1 Vers 1 bis Hier 2,10 und dann ganz am Ende Hier 42,10 bis 17. Das ist die Hier-Erzählung, die ist im heutigen Hier-Buch aufgeteilt am Anfang und am Ende. Diese Erzählung ist der Form nach, kann man am ehesten sagen, eine Novelle. Eine Novelle ist eine kurze Erzählung, in der wenig Personen auftreten, die keine Rückblicke und Vorblicke hat, sondern die chronologisch erzählt und wo immer immer nur zwei Personen reden. Das sind so Wesensmerkmale der Novelle.

21:02
Und von daher gesehen kann man die Hier-Erzählung am besten als Novelle bezeichnen. Jetzt der zweite Schritt ist ein enorm wichtiger Schritt, der erfolgt irgendwie später, ob 50 Jahre später, 100 Jahre später oder 20 Jahre später, kann man nicht wirklich sagen. Da wurde die Hier-Dichtung in die Hier-Novelle hineingesetzt und dadurch entstehen jetzt zwei Teile. Es entsteht das Vorwort vor der Hier-Dichtung, Prolog, und das Nachwort nach der Hier-Dichtung, Epilog. Also die Hier-Dichtung geht von Hier 2,11 bis Hier 42,9. Das ist die Hier-Dichtung. Die ist also viel, viel umfangreicher als die Hier-Novelle.

22:02
Das müssen wir dann am Ende auch nochmal gewichten. Was bedeutet es, dass das Hier-Buch viel umfangreicher eine Dichtung ist als eine Novelle ist? Also der zweite Schritt. Es wird eine Hier-Dichtung von irgendjemandem, wir wissen die Autoren nicht, sind unbekannt, wird die Hier-Dichtung hineingesetzt in die Hier-Novelle. Und die Hier-Novelle wird dadurch zum Vorwort und zum Nachwort. Der dritte Schritt ist, als die Hier-Dichtung da war, Jahrzehnte vielleicht da war, Einzelheiten können wir nicht sagen, wurden an die Hier-Dichtung noch spätere Einschübe eingebracht. Der größte Einschub sind die Elihu-Reden. Das sind sechs Kapitel, also wirklich sehr viel. In Hier 32 bis Hier 37.

23:03
Das sind die Elihu-Reden. Dann wurde auch ein Hymnus an die Weisheit an einer bestimmten Stelle reingesetzt. Das ist hier 28, ist also auch ein späterer Zusatz. Und an der Hier-Dichtung, an den drei Redegängen wurde gearbeitet. Der dritte Redegang ist in seiner Anordnung gestört und er ist unvollständig. Man merkt also, dass später am dritten Redeteil, der ja der Entscheidende ist, der Ausgang, da wurde also kontrovers gearbeitet. Wir müssen dabei berücksichtigen, dass ja das Buch Hiob nicht sofort zur Heiligen Schrift wurde. Auch andere, die meisten, fast alle alttestamentlichen Schriften wurden ja nicht, ich sag mal so, zack, bumm zum Bibeltext.

24:03
Sondern es dauerte noch Jahrzehnte und Jahrhunderte, bis eine Schrift dann in den biblischen Kanon aufgenommen wurde. Und solange das Buch hier noch nicht Bestandteil der Heiligen Schrift war, des Tanach, der jüdischen Heiligen Schrift, solang konnte dieser Text bearbeitet werden, überarbeitet werden, redaktionell bearbeitet werden, fortgeschrieben werden. Und in diesen Überarbeitungsprozessen und Fortschreibungsprozessen zeichnen sich des Öfteren auch gerade im Hier-Buch dritter Redegang kontroverse theologische Kämpfe ab. Denn die Hiob-Dichtung greift sehr deutlich bisherige theologische Positionen an, die auch weiterhin vertreten wurden.

25:00
Und so merkt man in diesen Bearbeitungskämpfen, könnte man fast sagen, können wir eine innerbiblische Theologiegeschichte rekonstruieren. Also ich fasse zusammen, die Entstehungszeit ist fünftes bis drittes Jahrhundert, nachexilisch auf jeden Fall. Und der Entstehungsprozess erfolgt in drei Schritten. Erst die Hiob-Novelle, dann die Hiob-Dichtung und dann spätere Zusätze. Jetzt möchte ich begründen, wie man zu dieser Sicht kommt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch einen kleinen Einblick versuchen zu geben, wie sorgfältig und verantwortungsbewusst man in der heutigen modernen Bibelwissenschaft arbeitet. Es gibt ja sehr viele Universitäten, Hunderte in der EU und in Deutschland.

26:01
Und da gibt es viele Fachzeitschriften, wo die Fachleute gegenseitig ihre Thesen und Hypothesen diskutieren. Und was sich dann in der Fachwelt über Jahrzehnte durchsetzt, da dürfen wir ruhig Respekt haben. Es ist also nicht so, dass sich alle fünf Wochen wieder was ändert. Es gibt so ein Verächtlichmachen, dessen, was heute gilt, gilt morgen nicht mehr. So was kommt natürlich auch vor. Aber zum Beispiel, dass die Entstehungszeit des Buches Hiob im fünften bis dritten Jahrhundert zu datieren ist, wird seit weit über 100 Jahren ist das ein Konsens. Es hat niemand gegeben, der mit Argumenten diese Argumentation verändern konnte. Die hat sich durchgesetzt. Und auch, dass das Hiob-Buch in drei Schritten entstanden ist, ist seit ungefähr 100 Jahren weitestgehend Konsens.

27:06
Und jetzt warum? Wie wird da argumentiert? Es ist für uns gut, wenn wir diese Argumente mal beispielhaft am Buch hier genauer hören. Also, dass eine Hiob-Novelle und eine Hiob-Dichtung zu unterscheiden ist und dass die beiden von zwei verschiedenen Autoren stammen, die auch eine andere Theologie haben. Dafür gibt es folgende Hauptargumente, die will ich euch mal vorstellen. Zwischen der Hiob-Novelle und der Hiob-Dichtung besteht ein anderes Verständnis von Hiob. Also, es ist in der Hiob-Novelle und in der Hiob-Dichtung ein anderes Hiob-Bild. In der Novelle verliert Hiob all seinen Besitz, alle seine Kinder und seine Gesundheit.

28:07
Und er muss den Ort verlassen, wo er gewohnt hat, und er muss auf die Matspalla, den Schutt- und Verbrennungshügel, der außerhalb der syrischen Dörfer war, bis ins 20. Jahrhundert. Und da oben ist Asche, die einen in der Sonne schützt und in der Kälte schützt. Und da werden üblicherweise sitzen dort die Aussätzigen. Und dieser Hiob, der also jetzt das alles verloren hat, klagt überhaupt nicht. Es gibt keinen Klagesatz in der Hiob-Novelle. Und der Hiob der Novelle, so sagen wir dann in der Bibelwissenschaft, der Hiob der Novelle stellt die Warum-Frage überhaupt nicht. Er fragt nicht nach Gottes Gerechtigkeit.

29:00
Und alle Anfechtungen, das sind ja schwerste Anfechtungen, überwindet der Hiob der Novelle sofort und eindeutig. Und dass er das tut, dass er nicht klagt, die Warum-Frage nicht stellt, bewertet die Hiob-Novelle als vorbildlich. Es gibt nämlich zwei Kommentarsätze in der Novelle, Hiob 1,22 und Hiob 2,10. Da heißt es, und in dem Allen versündigte sich Hiob nicht und tat nichts Thörigtes gegen Gott. Also vorbildlich. Der Hiob in der Dichtung aber klagt und rebelliert vom Anfang an bis zum Ende. Er ist seelisch auf das Äußerste verletzt und überfordert. Von einer Überwindung der Anfechtung wie in der Hiob Novelle kann keine Rede sein.

30:04
Und in der Dichtung, wo also hier dermaßen klagt, tobt, schimpft, lästert, anklagt, wird am Ende in Hiob 42,7 bis 9 sagt Gott zu diesem frechen Hiob. Hiob hat Recht von mir geredet, ihr aber, die drei Freunde, ihr habt nicht Recht von mir geredet. Also das ist ja ein sehr unterschiedliches Hiob Bild. Es wird ja nirgendwo im Buch Hiob gesagt, dass der standfeste Hiob von Hiob 1 und 2 irgendwann zusammenbricht. Er ist dann innerlich zusammengebrochen und wurde dann zu Hiob Nummer 2. Das wird ja nirgends erzählt. Stellen wir uns mal vor, diese markanten vorbildlichen Bekenntnisse des Hiob in der Hiob Novelle.

31:05
Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen. Der Name des Herrn sei gelobt. Nackt bin ich gekommen, nackt werde ich von hier gehen. Der Name Jahre sei gelobt. Wie beeindruckend wären diese Bekenntnisse denn noch, wenn man annehmen müsste, vier Tage später ist er aber zusammengebrochen und redet ganz anders. Dann wären ja auch die markanten Glaubensbekenntnisse in Hiob 1 nicht mehr viel wert, wenn sie nur für ein paar Tage gegolten haben. Und was ist denn eigentlich mit dem Sieg Jahres über den Satan? Der Satan sagte ja selbstbewusst, was gilt's? Wo bliebe denn der Sieg Jahres, wenn Hiob ein paar Tage später innerlich zusammengebrochen wäre und dann gleich loslegt, indem er den Tag seiner Geburt verflucht?

32:04
Wo wäre dann der Sieg Jahres über Satan? Der wäre auch weg. Also man kann hier nicht harmonisieren. Es kommt noch dazu, dass in der Hiob-Dichtung Hiob ein Stadtbewohner ist, ein vornehmer Stadtbewohner. Das können Sie in Hiob 19, 15 bis 18 können Sie das lesen. Große Herden oder spielt keine Rolle. Hier ist also nicht wie in der Hiob-Novelle ein Halbnomade, der im Übergangsland wohnt, wo man nomadische Tiere hat. Ziegen, Schafe und Kamele, das sind die Tiere der Nomaden, die hat man in einer Stadt nicht. In der Stadt hat man Rinder und Esel. Also Hiob ist in der Dichtung ein Stadtbewohner.

33:04
Gut, dieser erste Punkt ist im Grunde genommen so kräftig, so deutlich, dass er allein schon genügen würde. Aber es gibt acht oder neun oder zehn, wir werden es gleich sehen. Ich habe selber nicht jetzt die Zahl auswendig gelernt, aber ich kenne halt die Argumente. Also dieses erste Argument, würde ich mal sagen, jeder Unvereingenommene, für den ein Argument noch ein Argument ist, spürt, das ist ein sehr gravierendes Argument. Jetzt kommt das zweite. Ein anderer Personenkreis. In der Hiob-Novelle sind folgende Personen entscheidend. Jahwe, Satan, Hiob und dann kann man noch sagen seine Familie. Aber in der Hiob-Dichtung ist entscheidend Jahwe, Hiob und seine drei Freunde.

34:04
Die drei Freunde gibt es in der Hiob-Novelle nicht und den Satan gibt es in der gesamten Hiob-Dichtung mit ihren vielen Kapiteln nie wieder. Satan wird nie wieder erwähnt. Ist doch auch merkwürdig. Wenn das ein einziger Autor wäre, dann müsste doch spätestens in der Gottesantwort Gott erklären, warum der Satan also im Himmel das ganze Problem angezettelt hat und dass er jetzt aber Satan hinausgeschmissen hat oder irgendwie und dass er Hiob jetzt wieder gesund gemacht hat. Also spätestens in der Gottesantwort müsste doch Satan nochmal erwähnt werden. Denn in der Hiob-Novelle ist ja Satan nicht irgendeine Nebenfigur, die genauso gut auch fehlen könnte, sondern Satan ist ja der Hauptproblemmacher, der Anstifter, der zu dem ganzen Geschehen in der Hiob-Novelle der Anstifter war.

35:08
Also auch dieser unterschiedliche Personenkreis ist ein sehr gravierendes, objektiv feststellbares Argument. Das dritte Argument ist, die Hiob-Novelle und die Hiob-Dichtung haben bei aller Verwandtschaft ein anderes Thema. Die Zuspitzung des Themas ist deutlich anders. In der Novelle geht es um folgende Frage. Hat Jahwe Recht oder hat Satans Recht in der Einschätzung der Frömmigkeit Hiob? Das ist die Frage in der Novelle. Hat Jahwe Recht oder Satan Recht in ihrer Einschätzung der Frömmigkeit Hiob? Aber in der Dichtung geht es um eine andere Frage. Hat Hiob Recht oder seine Freunde in der Frage nach angemessenem Verhalten im Leid?

36:10
Hat da Hiob Recht oder seine Freunde? Also das ist auch eine andere Themenstellung. Ich möchte mal für diejenigen, die das hören im Internet, die gar nicht gewohnt sind, solche theologischen Argumente mal präzise zu durchdenken. Ich will mal nochmal zusammenfassen. Also in der Hiob-Dichtung, in der Hiob-Novelle ist ein deutlich anderes Hiob-Bild. Man könnte sogar sagen, ein gegensätzliches. Zweitens ein anderer Personenkreis. Es werden drei Freunde jetzt sehr wichtig, die es in der Novelle gar nicht gibt. Und jetzt wird Satan völlig unwichtig, der in der Novelle eine der Hauptfiguren war. In der Dichtung ist sachlich gar kein Platz für einen Satan, weil alle Formen des Leids sofort mit Gott direkt in Verbindung gebracht werden,

37:04
sowohl von Hiob als auch von den drei Freunden. Dann eine andere Fragestellung. Hat Gott Recht oder der Satan in der Einschätzung Hiob's oder hat Hiob Recht oder seine Freunde, wenn es darum geht, sich im Leid angemessen zu verhalten? Jetzt gibt's ein viertes Argument, nämlich deutliche formale Unterschiede vom Wortschatz und vom Stil her. Die Hiob-Novelle ist in normalem Erzählton. Man sagt Prosa, ist normales Prosa. Nur die Bekenntnisse des Hiob, die sind poetisch rhythmisiert. Aber die Hiob-Dichtung ist fast zu 100 Prozent nur der kurze Anfang und das kurze Ende ist auch Erzählung.

38:00
Komme ich noch drauf. Aber der gesamte Hauptteil von Hiob 3 bis Hiob 31 und dann auch die Gottesantwort ist alles rhythmisiert. Also die ganze Dichtung ist poetisch in Versen, die einen genauen Rhythmus haben. Es hat also ein deutlicher Unterschied. Dann zu diesen Unterschieden gehört auch ganz unterschiedliche Gottesnamen. In der Hiob-Novelle hat überhaupt keine Scheu, Gott als Jahwe zu bezeichnen. An vielen Stellen, fünf, sechs, sieben Stellen ist Gott Jahwe. Und wenn er nicht als Jahwe bezeichnet wird in der Hiob-Novelle, dann spricht diese Novelle von Elohim. Und Elohim ist der normale hebräische Bezeichnung für Gott. Also Elohim ist kein Name wie Jahwe, sondern ist eine Bezeichnung Gott allgemein.

39:03
Also diese beiden Bezeichnungen gibt es in der Hiob-Novelle, sonst keine. Aber in der Hiob-Dichtung gibt es ganz andere Bezeichnungen von Gott, von Anfang bis zum Ende. Das Wort Jahwe wird fast ganz peinlich vermieden. Nur am Ende, an zwei Stellen, nämlich immer wenn eine der beiden Gottesreden beginnt, da heißt es in Hiob 38, und Jahwe antwortete Hiob aus dem Sturmwind. Und in 40,1 auch wieder, und Jahwe antwortete Hiob. Also der übliche Name für Gott wird in der Hiob-Dichtung viele Kapitel hindurch, in den ganzen Streitreden kommt der Name Jahwe nicht vor. Übrigens an einer einzigen Stelle, und das ist ein späteres versehen, passt auch gar nicht hin.

40:02
Und selbst wenn es das eine Mal wäre, in so vielen Kapiteln, aber wie gesagt, in Hiob 12 gibt es mal eine Stelle, das ist ein späterer Eintrag, unpassend. Gut, Elohim kommt gar nicht vor. Der übliche Ausdruck für Gott, sondern in der Hiob-Dichtung wird Gott als El angeredet. Das ist die allgemeine Bezeichnung für Gott in den semitischen Religionen. El ist also auch außerhalb Israels die normale Bezeichnung für Gott. Dann wird Gott oft angesprochen als Eloah, das ist der Singular von Elohim. Und der ist eigentlich im Hebräischen gar nicht mehr üblich. Den gibt es außerhalb der Hiob-Dichtung, ich weiß nicht, ob es den überhaupt gibt, und wenn, dann ganz, ganz selten. Und die dritte Gottesbezeichnung ist El Shaddai, das ist auch eine Bezeichnung,

41:04
die außerhalb von Israel sehr oft genannt wird, das heißt der Allmächtige. Also in der Hiob-Novelle wird Gott als Jahwe und Elohim bezeichnet oder genannt. In der Hiob-Dichtung ist Elohim gar nicht da, Jahwe wird ganz bewusst bis aufs Ende aufgespart und dann zwei häufige Bezeichnungen, Eloah und El Shaddai. Diese gibt es in der Hiob-Novelle nicht ein einziges Mal. Also wenn das der gleiche Autor wäre, jetzt bei diesen vier Argumenten, würde ich sagen, in der modernen Bibelwissenschaft spätestens jetzt, weil die Argumente liegen ja auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Die summieren sich, sodass man dagegen was warum auch. Ich will aber zur Vollständigkeit noch weitere Gesichtspunkte sagen, die noch dazukommen.

42:03
Und in guten Kommentaren werden die auch klipp und klar besprochen und dann wächst man in innerer Erkenntnis über solche Bibeltexte. Zum Beispiel in der ersten Szene der Hiob-Novelle, die erste Szene 1.1 bis 1.5, da wird Hiob vorgestellt, wie sein Charakter, seine Herden und dann sein Familienleben. Und die allerletzte Szene, ganz am Ende, Hiob 42, 10 bis 17, das war das Ende dieser Hiob-Novelle. Diese beiden Szenen sind sehr bewusst in Spiegelsymmetrie aufgebaut. Spiegelsymmetrie heißt, es wird der Aufbau gerade andersrum gemacht. Also in der Hiob 1, erster Charakter von Hiob, dann sein Haus, seine Herden, sein Reichtum und dann das Familienleben, seine Söhne, seine Töchter.

43:05
In der letzten Szene geht es gerade andersrum, erst das Familienleben von Hiob, da kommen nämlich seine Brüder und Schwestern zu einem Beileidsbesuch und wollen ihn trösten und auch materiell unterstützen. Ist aber arg spät, gell? Die Freunde, wenn das jetzt ein Werk wäre, die Freunde sind doch aus Theem an und von weit hergekommen, haben eine Woche lang mit Hiob geschwiegen und dann dieser lange Disput und erst danach kommen seine Brüder und Schwestern zum Beileidsbesuch. Das wäre ja sehr spät, sehr spät. Und diese Spiegelsymmetrie, erst das Familienleben, dann sein Haus, er kriegt wieder die doppelte Zahl an Kindern und Herden und ganz am Ende sein Charakter, er wertet das Weibliche auf.

44:02
Diese Spiegelsymmetrie, die ganz bewusst die Szene 1 und die Szene am Schluss prägt, die wirkt natürlich eigentlich nur, wenn sie relativ dicht aufeinander kommen. Denn es gibt ja in der Antike keine Bücher, wo man mal geschwind zurückblättern kann. Wie war denn das am Anfang? Es sind ja Schriftrollen, die muss man drehen. 42 Kapitel, das geht gar nicht, gell? Also diese Spiegelsymmetrie verliert ihre Wirkung, wenn da 40 andere Kapitel dazwischen stehen. Aber wenn sie in einer Novelle, die überhaupt nur kurz ist, Anfang und Ende ausmachen, dann wirkt sie. Und gleichzeitig noch das andere Argument, der Beileidsbesuch der Familienangehörigen, Brüder und Schwestern, kommt komisch spät nach den Freunden. Aber tun wir mal die ganze Dichtung weglassen, gibt es gar keine Freunde.

45:04
Dann ist der Beileidsbesuch in hier 42, 10 und 11 genau richtig. Er erfolgt gleich nach den ganzen Unglücksdarstellungen. Dann ist noch ein weiterer Gesichtspunkt Dialoge im Orient. Dialoge oder Streitreden gibt es eine ganze Anzahl in Mesopotamien, vor allem in Ägypten. Und vor allem in den ägyptischen Streitreden oder Dialogen ist es überall so, sie haben einen erzählenden Anfang, kurz, so wie auch in der hier Dichtung. Da werden die Redner und die Redesituation kurz vorgestellt. Das ist die narrative Einleitung. Und dann ist es Dialog, Streitrede. Und jede Streitrede hat einen narrativen Abschluss.

46:02
Da wird das Fazit gezogen, was hat dieses Streitgespräch ergeben. Und genau so macht es die hier Dichtung. Sie hat eine erzählende Einführung, 2.11 bis 2.13. Da kommt Eliphas von, die Städte weiß ich jetzt nicht auswendig, und dann kommt Bildert von sowieso und Sofa von sowieso. Und sie kommen zu hier, ob sie erkennen ihn nicht. Und als sie dort sind, müssen sie weinen, sie streuen sich Staub auf ihr Haub und schweigen mit hier eine Woche lang. Also, ein weiterer Gesichtspunkt, die hier Dichtung ist formal in sich so aufgebaut, wie eben im antiken Orient Streitreden und Dispute aufgebaut sind. Und jetzt, wo beides miteinander kombiniert wird, haben wir den merkwürdigen Fall,

47:04
dass wir zwei Schlussworte haben. Hier ob 42, 7 bis 9 ist das Schlusswort für die Dichtung, ist deutlich ein Schlusswort. Und hier ob 42, 10 bis 17 ist ein erzählendes Schlusswort für die Hioch-Novelle. Also das auch durch diese Kombination kommt dieser etwas merkwürdige Sachverhalt zustande. Wir haben zwei Schlussworte. Ja, es gibt noch ein weiteres, ganz spannendes, ein spannender Aspekt. Und zwar, die Hioch-Novelle hat, so wie wir sie heute haben als Vorwort und als Schlusswort, hat sie sechs Szenen. Aber es fällt etwas sehr Merkwürdiges auf. Die Hioch-Novelle führt den Leser oder den Hörer sorgfältig Schritt für Schritt.

48:02
Also die Novelle ist ein literarisches Kunstwerk. Jeder Erzählzug ergibt sich folgerichtig aus dem vorherigen. Also die Hioch-Novelle führt sehr sorgfältig den Gang der Dinge. Aber in Hioch 42, 10 heißt es nur in einem Nebensatz, als Jahwe das Geschick Hiobs wendete. Tja, das kann man ja nicht anders verstehen als als Jahwe Hioch wieder gesund machte, Hioch von der Matspalla wieder runterkam und wieder zurück in sein Haus kam. Anders kann man das ja nicht verstehen. Ja, aber das wäre doch das Allerwichtigste in dieser Hioch-Novelle, die Gesundung Hiobs, die ja auch zum Sieg Jahwes über Satan gehört. Aber diese entscheidende Veränderung in einer Novelle, die von Anfang an millimetergenau den Leser führt,

49:08
Schritt für Schritt, Folgerichtung, Folgerichtung führt, erwähnt ja den eigentlich entscheidenden Vorgang, die Genesung Hiobs nur beiläufig in einem Nebensatz. Das kann eigentlich nicht sein. Also es wäre zumindest hoch erstaunlich, merkwürdig. Und deswegen ist in der althessanermändlichen Wissenschaft schon seit Jahrzehnten die Vermutung entstanden, es gab eine weitere Szene der Hioch-Novelle, nämlich die dritte Himmelsszene. Und die ist ausgefallen. Es geht auch nicht anders. Überlegen Sie mal, wenn die Hioch-Novelle sieben Szenen hätte, also eine dritte Himmelsszene. Am Anfang wird ja Hioch vorgestellt, dann kommt die erste Himmelsszene,

50:03
da geht es schon mal los mit der Wette. Dann kommt wieder die irdische Szene. Dann kommt eine zweite Himmelsszene, Hiob hat sich bewährt, aber Satan sattelt noch eine drauf, tastet ihn selber an, also Jahwe sagt gut. Dann kommt wieder die, das haben wir jetzt, die fünfte Szene. Und jetzt müsste eigentlich eine dritte Himmelsszene kommen, denn das Ganze ging ja im Himmel los. Im Himmel ist der Ursprung aller Probleme in der Wette, sagen wir mal so salopp, in der Wette zwischen Satan und Hiob. Und jetzt müsste doch eine dritte Himmelsszene kommen, wo Satan wieder kommt. Wo warst du denn? Hast du auch acht gehabt auf meinen Knecht Hiob? Er hält noch immer an mir fest, obwohl seine gesamte Gesundheit weg ist. Und deswegen, lieber Satan, jetzt reicht es mir. Du bist widerlegt. Hau ab, verlasse den Himmel.

51:00
Und Jahwe machte Hiob wieder gesund und Hiob stieg herunter von der Matspalla und wieder zurück nach Hause. So eine Szene muss es gegeben haben, weil wenn du die Hiob-Dichtung in die Hiob-Novelle rein inkorporierst, geht es nicht anders, als dass du diese Szene rausschmeißt. Sonst passt die Dichtung überhaupt nicht in diese RC-Logik. Also wenn man überhaupt die beiden Dinge kombiniert, dann geht es nur so, dass man die dritte entscheidende Himmelsszene übergeht. Und deswegen war es schon eine kleine Sensation, als man arabische Hiob-Versionen gefunden hat, die tatsächlich diese dritte Himmelsszene haben. Manche Alttestamentler haben die schon geschrieben gehabt, die müsste so lauten. Und sie haben das zu 80, 90 Prozent getroffen.

52:03
Also auch diese Beobachtung spricht sehr dafür, das sind zwei Autoren, und die Dichtung wurde also in diese Hiob-Novelle hineingesetzt. Also wenn Sie diese Argumente durch Argumente aus dem Text heraus widerlegen können, lerne ich sofort und gern von Ihnen. Aber bitte nur sachliche Argumente, die aus dem Text des Hiob-Ups zu begründen sind. Das ist aber seit 100 Jahren ungefähr niemand mehr gelungen. Also nicht so, dass man heute und morgen und übermorgen, da tut man mal wieder eine neue These, und dann kommt wieder diese hämische Verachtung der Bibelwissenschaft. Das hat von der Sache her keine Ahnung. Also diese zwei Schritte habe ich jetzt begründet, dass man die unterscheiden muss.

53:05
Und da will ich jetzt mal ein kurzes theologisches Fazit ziehen. Wenn es tatsächlich so ist, wie ich gerade eben begründet habe, es gibt einen Hiob A, den ein Autor X in der Hiob-Novelle auftreten lässt, und es gibt einen Hiob B, den ein Autor Y in der Dichtung auftreten lässt, und zwar viel ausführlicher, dann bedeutet es, es gibt in der Frage nach Hiob nicht eine einzige Antwort, sondern das Hiob-Buch gibt zwei sehr unterschiedliche Antworten. Man wird wohl sagen müssen, es können Sie ja selber überlegen, in Ihrem Gewissen, es sind eigentlich zwei gegensätzliche Antworten. Nämlich die eine Antwort, die auch gilt, weil der Autor der Hiob-Dichtung hat die Hiob-Novelle aufgegriffen.

54:07
Er hat sie wertgeschätzt, er hat sie zum Einleitungsbereich seiner Dichtung gemacht, obwohl er ganz andere Akzente setzt. Also werden wir sagen können, Hiob A ist wirklich der Leidende, der im tiefsten Leid Gott die Treue hält. Diesen Fall Hiob gibt es immer wieder, ich habe ja selber Beispiele erzählt. Und dieses Verhalten dürfen wir nie nur als idealistisch oder übertrieben, nein, Hiob A behält sein Recht. In der traditionellen Geschichte der Christenheit und des Judentums hat man sich fast nur auf Hiob A berufen, der treue Glaubenskämpfer, der die Anfechtung überwindet und Gott die Ehre gibt. An dem hat man festgehalten, Hiob B, der ja 90 Prozent vom Hiob-Buch umfasst,

55:05
spielt in den zweijahrtausenden Kirchengeschichte und Judentumsgeschichte fast keine Rolle. Übrigens auch im Islam spielt er gar keine Rolle. Hiob kommt im Koran durchaus mehrfach vor. Hiob heißt im Koran Ejub. Und ich war selber auf einem Kurs im Stifturach, das ist so das Einkehrhaus unserer Landeskirche, da hat es jahrelang einmal im Jahr eine Woche gegeben, wo sich ungefähr 20, 30 evangelische Pfarrer und 10, 20 muslimische Imame eine Woche lang getroffen haben, zusammen gefrühstückt haben, den Tag über Seminare miteinander gemacht haben und abends miteinander gemütlich zusammengesessen sind. Und eine dieser Studienwochen, dieser muslimisch-evangelischen Studienwochen,

56:02
da war ich selber Referent über Hiob und da hat auch ein muslimischer Professor über Ejub im Koran gesprochen. Und ich kann Ihnen sagen, also es kommt im Koran nur der treue Hiob A vor, in der Geschichte des Judentums auch, in der Geschichte des Christentums auch. Der freche Hiob, der schimpft und lästert, gibt es im offiziellen Islam nicht. Ob die Imame jetzt, ich habe mich dort erkundigt bei den Anwesenden, ob die Imame jetzt ein bisschen progressiver sind oder ganz konservativ. Es gibt Hiob nur als den Hiob A. Nur einige moderne zeitgenössische Schriftsteller haben Romane oder Texte geschrieben, wo sie im Sinne von Hiob A Aussagen machen.

57:00
Die gefährden sich aber ganz schön selber. Sie rufen wahnsinnigen Widerstand hervor. Also aus diesen Gründen ist es sehr wichtig, dass es zwei Hiob Darstellungen im Alten Testament tatsächlich gibt, was das orthodoxe Judentum nicht gern gesehen hat, was die Kirche 2000 Jahre lang nicht gern gesehen hat und was der Islam auch nicht gerne sieht. Da sind die 30 ziemlich einig. Und deswegen der freche Hiob. Damit will dieser unbekannte Autor, den ich sehr verehre, der wollte bewusst machen, Hiob A ist nicht die einzig legitime Form, in schwerstem Leid sich zu verhalten. Es ist schön, wenn es dazu kommt, bewunderungswürdig und es zeigt, was Gott möglich ist. Und in diesen Zeugen des Glaubens spüren wir, was Gott für diese Menschen bedeutet.

58:05
Also das ist eine ganz entscheidende Erfahrung, aber es ist nicht die einzige. Und man kann sie sich nicht vornehmen. Man kann nicht sagen, wenn ich mal in Leid falle, ich will mich so verhalten wie Hiob A. Nein, das kannst du dir nicht vornehmen, denn du weißt nicht, wann du zusammenbrechst. Du kannst auch zusammenbrechen. Und deswegen brauchen wir Hiob B. Auch das Zusammenbrechen im Leid, das Überfordertsein im Leid, das Toben, Schimpfen und Lästern im Leid ist eine legitime Möglichkeit nach biblischem Glauben. Dafür hat dieser Autor gesorgt. Also hinter diese Hierdichtung dürfen wir nicht wieder zurückfallen, was wir als Kirche zu 90 Prozent 2000 Jahre lang gemacht haben.

59:03
Auch Luther und die Reformatoren mit dem Schimpfenden. Sie haben da nur einen Satz. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Und dieser Satz ist ja falsch übersetzt. Also sie konnten mit dem Schimpfenden nichts anfangen. Erst im 20. Jahrhundert wurde diesem Autor Gerechtigkeit zuteil. Nach den beiden Weltkriegen, den verschiedenen Völkermorden, auch an den Aramäern im Ersten Weltkrieg durch die Oma-Jagen und durch Holocaust und Genozid und Massenvergewaltigungen und was es alles im 20. Jahrhundert gab, hat man den Hierb B. zum ersten Mal wirklich gewürdigt. Und das gehört zu den Qualitätsmerkmalen, dass Hierb B. vor allem auf Atheisten, auf ganz säkulare Menschen

60:02
oder auf Menschen, die in schwerstem Leid sind, dass Hierb B. dort eine ganz breite Segensgeschichte entfalten hat. Da hat Hierb A. nicht diese Möglichkeiten. Also ehren wir beide, spielen wir sie nicht gegeneinander aus. Aber denjenigen, die sagen, wenn du richtig gläubig bist, dann kannst du nur so handeln wie Hierb A. denen müssen wir sagen, nein, das stimmt nicht. Und jetzt will ich zum dritten Schritt kommen, also die drei Schritte im Entstehungsprozess des Hierb Buches. Der erste Schritt ist die Hierb Novelle. Der zweite Schritt von einem anderen Autor mit krass anderen Akzenten ist die Hierb Dichtung. Und jetzt passiert noch Folgendes Es wird weiter gekämpft um die Deutungshoheit bei Hierb.

61:03
Oder um es sachlich zu sagen Es wird weiter gehungen. Was ist angemessenes Verhalten im Leid? Gibt es unschuldiges Leid? Darf man im Leid auch Gott anklagen? Da wird weiter gehungen, denn die Hierb Dichtung ist sehr existenziell und sie ist sehr radikal. Sie ruft immer wieder Stellungnahmen hervor Hierb B. vor allem im 20. Jahrhundert. Und es war natürlich damals noch mehr der Fall, dass die Hierb Dichtung sie widerspricht so stark dem Mainstream auch in Israel, dass das weiterhin hat umkämpft war dieses Gelände. Zum Beispiel jetzt, es ist ganz deutlich, dass der dritte Redegang gestört ist. Und zwar der dritte Redegang beginnt in Hierb 22. Da fängt es noch ganz konsequent an, wie immer.

62:01
Die ersten beiden Redegänge sind ja sehr konsequent durchgehalten und die Positionen knallen voll aufeinander. Der Abstand, die Luft wird ja im Laufe der Zeit immer größer. Sie entfernen sich ja voneinander. Also Eliphas in Hierb 22 ist der erste Redeteil im dritten Redegang. Der entspricht dem bisherigen Logik. Eliphas ist ganz bockelhart, greift Hierb auf das Schärfste an. Und dann hört man die Antwort Hierbs in Hierb 23 bis 24, 12. Das ist die Hierb-Antwort. Die ist auch konsequent knallhart, so wie bisher. Also im dritten Redegang kann man sagen, bis dorthin ist noch alles in Ordnung. Aber jetzt, merkwürdig, in Hierb 25 redet Bildart nur fünf Verse.

63:03
Hierb 25, 2 bis 6. Das gab es noch nie. Und Zofa redet überhaupt nicht mehr. Und guckt man mal, was Hierb redet. Hierb redet nach dieser kurzen Bildartrede, also fünf Verse, Hierb 25, 2 bis 6, könnt ihr ja zu Hause nachlesen, redet Hierb jetzt ellenlang bis Hierb 29. Er redet jetzt dreimal mehr als die längste Hierb-Rede, die es bisher gab. Das ist Hierb 9 bis 10, ist die längste Hierb-Rede. Aber das, was er jetzt nach Bildart sagt, ist dreimal länger. Und es passt nicht mehr. Denn hier werden jetzt Worte in den Mund gelegt, die er bis dorthin leidenschaftlich abgelehnt hat. Also ich mache mal ein Beispiel.

64:03
Die Hierb-Rede von 23 bis 24, 12, die ist noch klar, so wie immer. Und Hierb hat ja nie nachgegeben. Und jetzt aber Hierb 24, 13 bis 25, das ist also der Rest vom Kapitel 24, redet Hierb auf einmal völlig anders, er sagt das Gegenteil wie bisher. Wenn man aber diese Verse Hierb 24, 13 bis 25 zu der anschließend kurzen Bildartrede dazu schlägt, dann ist wieder alles in Ordnung. Ist das eine normallange Bildartrede? Und so hat Bildart bisher immer geredet. Also man kommt nicht drum herum zu sagen, irgendjemand hatte ein Interesse daran, Teile der Bildartrede Hierb in den Mund zu schieben.

65:03
Und damit, was will der damit bezwecken? Ja, völlig klar, Hierb hat am Ende doch nachgegeben. Und er hat sich den bisherigen Überzeugungen, den traditionellen Überzeugungen seiner Freunde angenähert und sie doch übernommen. Das heißt, hier wurde versucht, Hierb zu entschärfen. Und das kann man natürlich nur am Ende sagen. Dann gehen wir mal weiter. Also Bildart, die kurze Rede von 25, 2 bis 6 wird jetzt auf einmal eine normale Rede, denn die Bildartrede beginnt Hierb 24, 13 und sie endet Hierb 25, 6. Das ist eine normale Bildartrede. Dann kommt ein Text, Hierb 25, 7 bis 14. Das ist ein eigenartiger Text, der ist ganz cool, ganz abgeklärt, ganz friedlich.

66:02
Eine völlig andere Atmosphäre, wie es sie bisher weder bei den Freunden, die ja immer radikaler wurden und immer empörter wurden. Da ist überhaupt nichts von Friede, vollem sanften Gesäusel. Dieser Text muss auch ein späterer Eintrag gewesen sein, dass das Ganze ein bisschen so ausplätschert und friedlicher wird. Diesen Text muss man sozusagen vergessen, wenn man die ursprüngliche Hierb-Dichtung rekonstruieren will. Dann kommt in Hierb 26, 1 bis 4 ein klarer Hierb-Text, wie immer hart und klar und überzeugend. Das ist wieder echte Hierb-Rede. Und auch Hierb 27, 1 bis 6 ist auch klare Hierb-Rede, so wie bisher auch. Das heißt also, die Antwort auf Bildart hat Hierb gegeben in Hierb 26, 1 bis 4

67:03
und in Hierb 27, 1 bis 6. Das ist seine Antwortrede. Und jetzt in Hierb 27, 7 bis 10 und 13 bis 23, glaube ich. Die Schlussverse weiss ich immer nicht genau, weil der hört als Kapitel auf. Deswegen merke ich mir die oft nicht so genau. Also auf jeden Fall hier 27, Vers 7 bis 10 und Vers 13 bis 23, glaube ich. Das ist die verlorengegangene Zofa-Rede. Walter, das ist genau das, was Zofa immer sagt. Nur noch Schelter. Dann das Kapitel 28 ist ja dieses Lied an die Weisheit, das ist ein ganz eigenes Stück. Ist fast so gleiche Theologie wie die Gottesantwort, nimmt also vieles auch ein bisschen vorweg. Das Kapitel ist ein späterer Eintrag, muss man weglassen. Das heißt, auf Zofa antwortet hier dann mit seiner Schlussklage und der Herausforderungsrede.

68:06
Also ich will das nochmal sagen. Durch jahrzehntelange textliche Forschungsarbeit, ganz am Text, ganz am Text, kann man sagen, der dritte Redegang ist offensichtlich planmäßig gestört. Also es ist kein Versehen. Hierb sollte entschärft werden. Wenn er schon in die Bibel reinkommt, dann muss man ihm die Zähne ziehen. Weil der Kampf zwischen der Deutung im Leid Hierb A und der Deutung im Leid Hierb B ist ein tiefer und harter Kampf. Viele Leute, die sagen, nur Hierb A ist richtig, die können Hierb B nicht ertragen. Sie kämpfen mit vielen Mitteln. Also der ursprüngliche Redegang 3 hat sehr wahrscheinlich, es spricht alles dafür und

69:06
nichts dagegen. Hat so gelautet Eliphas Kapitel 22, Hierb Kapitel 23 und 24 bis 12, Bildat Hierb 24, 13 bis 25 und 25, 2 bis 6. Darauf antwortet Hierb wieder Hierb 26, 1 bis 4 plus Hierb 27, 1 bis 6. Darauf antwortet Zofa Hierb 27, 7 bis 10 und 13 bis 23. Und dann kommt Hierbs Schlussklage. Die Streitreden sind ja eingerahmt durch Ausgangsklage und Schlussklage. Und das heißt, dieses Kapitel 28 steht, das ist auch ein späterer Eintrag, ist sehr bewusst, steht am Ende der Streitreden.

70:02
Da steht übrigens in den griechischen Tragödien, tritt oft ein Chor auf. Und genau an der Stelle hat jemand dann auch späterer Zusatz des Kapitel 28 sehr friedlich die Weisheit Gottes, wir Menschen können die Weisheit Gottes nicht erkennen, deswegen sollen wir bescheiden und demütig bleiben. Aber Gott in seiner Weisheit behält alles in seiner Hand. Ist also ein sehr abgeklärter Text, der weder zu Hierb passt noch zu seinen Freunden, auch schon in der Atmosphäre. Und er ist auch in der Machart, im Strickmuster ein Hypnos. Was soll denn auf einmal ein Hypnos in dieser Streitrede? Aber er ist genau platziert am Ende aller Streitreden, noch vor der Schlussklage. Jetzt will ich einen letzten Punkt klären. Der größte spätere Zusatz sind die Elihu-Reden.

71:04
Die Elihu-Reden stehen in Kapitel 32 bis 37. Also die Streitreden enden so, dass Hierb eine Schlussklage anstimmt, das ist Hierb 29 und 30. Und in 31 bringt er einen Reinigungseid, das ist im Orient in so komplizierten Fällen, wo man seine Unschuld nicht richtig beweisen kann, ist es ein häufiges Mittel, ich schwöre einen Reinigungseid. Und er hat immer folgende Logik. Falls ich tatsächlich das und das getan haben sollte, ich habe es nicht getan, aber sollte ich jetzt lügen und ich habe es tatsächlich getan, dann soll mich das und das treffen. Und wenn es dann nicht eintrifft, dann gilt der Reinigungseid als Wahrheit. Also er schwört einen Reinigungseid, dass er unschuldig ist an seinem schweren Leid,

72:03
sich insgesamt unschuldig, darum geht es gar nicht. Und dann kommt die Herausforderungsrede an Gott. Er endet also mit der Herausforderungsrede an Gott und es kommt aber gar nicht die Antwort Gottes, die kommt dann in Kapitel 38, sondern es kommt ein großer Einschub, die Elihu-Reden. Und die sind mit allem, was man erkennen kann, ein späterer Eintrag. Und da sage ich jetzt auch die wichtigsten Argumente, die seit ungefähr 100 Jahren ist an dem Punkt Friede, weil niemand hat diese Argumente sachlich am Text außer Kraft setzen können. Also der erste Gesichtspunkt, warum die Elihu-Reden ein späterer Eintrag sind, ist der, Elihu tritt unvermittelt auf, unerwartet und er tritt auch unvermittelt wieder ab.

73:04
Zack, bumm, ist er da. Er wird weder bei dem narrativen Einleitungsverse, wo Eliphas kommt auch sowieso, Bildat kommt auch sowieso, Zofa kommt auch sowieso, von Elihu ist hier keine Rede, also es sind immer nur drei Freunde. Auch in den ganzen Streitreden wird niemals ein Elihu in irgendeiner Form erwähnt und auch Gott in seiner Antwort sagt, Eliphas, du und deine beiden Freunde, ihr habt nicht recht vor mir geredet wie mein Knecht Hio. Das heißt, auch Gott in seiner Antwortrede, da gibt es kein Elihu. Und auf Elihu antwortet auch niemand, obwohl doch hier auf jede Rede eines Freundes geantwortet hat. Also nicht bei Elihu, der tritt auf einmal auf und der tritt auf einmal ab.

74:01
Das Argument alleine, es kommt wieder so eine Kette von Gesichtspunkten, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen liegen und die deshalb kein Zufall sein können. So summiert man die Beobachtungen, bis man dann sagen muss, es reicht, wir müssen jetzt diese These fallen lassen oder diese These aufstellen. Das Zweite ist, dass Elihu in seinen Reden sowohl hier als auch seine Freunde kritisiert. Das haben die anderen Freunde nie gemacht, sie haben sich nie untereinander kritisiert, aber Elihu kritisiert sowohl die drei Freunde als auch hier. Das ist auch jetzt ganz neu. Dann, eines der Hauptargumente ist, nimm die Elihu-Reden raus, diese sechs Kapitel.

75:04
Da merkst du gar nichts. Es würde niemand auffallen. Die Elihu-Reden, wenn man sie wegnimmt, hinterlassen keinerlei Lücke. Ganz im Gegenteil, Hiob 38 knüpft direkt an Hiob 31 Ende an. Also Hiob 38 knüpft an Hiob 31 viel besser an, wie an Hiob 37. Und Gott übergeht da auch in 38,1, redet er meine Antwort an Hiob, also Gott übergeht auch diese sechs Kapitel, ignoriert sie, geht gar nicht drauf ein. Dann gibt es weitere Gesichtspunkte. Die drei Freundesreden in den Streitgesprächen sind sehr poetisch-metaphorisch. Also sie haben sehr viele Bilder, Sprachbilder, sie sind sehr anschaulich.

76:04
Die Elihu-Reden sind fast gar nicht metaphorisch, sie haben fast gar keine Sprachbilder, sie sind mehr so Darstellung, wie ein Referat so. Und sie entfalten theologische Begriffe. Das ist eine ganz anderes Strickmuster, darstellende Sprache und Entfaltung theologischer Begriffe. Dann Elihu wird so anders eingeführt. Fünf Verse lang wird er in Hiob 37 langatmig eingeführt. Es werden auch, er ist der Sohn des Sowieso, also auch die Vorfahren. Jetzt, hier kommen auf einmal diese Genealogien, die weder bei Hiob noch bei den Freunden waren. Wir erfahren ja nie, er war der Sohn des Sowieso. Aber bei Eliphas erfahren wir, in 37, 1 bis 5 wird er sehr professionell vorgestellt.

77:02
Aber trotzdem kommt ein Knallfall, weil nach der Herausforderungsrede, was soll der jetzt? Und in Hiob 37, 6 bis 22 stellt Elihu sich langatmig selber vor, schon fast ein bisschen feindlich, selbstdarstellerisch, ein bisschen narzisstisch, könnte man modern sagen. Also eine langatmige Selbstvorstellung, ja was soll das? Sind also auch ganz neue Elemente. Dann ist es so, die Gottesreden in der Elihu-Rede, die Gottesbezeichnungen in der Elihu-Rede, sind deutlich anders, wie in der Hiob-Dichtung. Die Hiob-Dichtung hatte ja, im Unterschied zur Hiob-Novelle, sie hatte El, Eloah oder El Shaddai, alle drei sehr häufig. Die Elihu-Reden haben El häufig, da kann man sagen, bleiben sie auf deren Level, aber

78:06
Eloah ganz selten, ganz selten und El Shaddai ganz selten. Also deutlich andere Akzente, wie soll man sich das erklären, wenn das ein Autor wäre. Dann, die Elihu-Reden haben viel mehr Aramaismen, viel mehr. Und da merkt man schon, da ist eine gewisse Zeit vergangen, die aramäische Lingua Franca hat schon wieder noch mehr Einfluss, bis auf die Grammatik jetzt schon, nicht nur Vokabular, sondern Grammatik. Dann ist auch interessant, dass in den Elihu-Reden neueres Hebräisch vorkommt, zum Beispiel im älteren Hebräisch heißt Ich Anochi, also persönliche Führwort Ich, Ich, Sigi, Zimmergant. Also Ich im älteren Hebräisch heißt Anochi, aber in der nachexilischen Zeit wandelt sich

79:03
das langsam zu Ani, es wird einfach verkürzt, saloper, schneller, technischer, es wird zu Ani. In der Hiob-Dichtung kommt das Ani, das neuere Ani schon vor, aber ganz selten. Es überwiegt zu 90, 95 Prozent Anochi. Aber in der Hiob, in der Elihu-Reden ist mehr Ani wie Anochi und fünfmal so viel wie in der Dichtung. Also das ist auch, kann man auch sonst nicht erklären. Dann in der Elihu-Reden wird Hiob namentlich angeredet. Also Elihu sagt du Hiob, ich will dir mal was sagen und dann zitiert er wörtlich aus den Hiob-Reden und zwar aus allen, er blickt also aufs Ganze zurück und er redet Hiob namentlich an. Das haben die anderen nie gemacht und die anderen haben auch nie ein wörtliches Zitat

80:02
aus einer Hiob-Rede benutzt. Also auch das ist neu. Und dann letztes Argument, es gibt vielleicht noch ein paar mehr, aber die sind überreicht. Wenn jemand innerlich aufgeschlossen ist, nicht vorweg entschieden, reichen diese Argumente. Ich habe sie auch 20 Jahre lang an der PH vorgebracht mit dem Ergebnis, dass auch meine geborgenen Studierenden, die aus so geborgenem, frommen Hintergrund kommen, die ich ja genauso in der PH genauso positiv behandle wie alle anderen, dass da eigentlich fast alle gesagt haben, das leuchtet völlig ein, ich habe die Argumente halt nicht gewusst. Es gibt Kreise, da hört man diese Gesichtspunkte nie. Von der Wiege bis zur Bahre hört man das nie. Also der letzte Gesichtspunkt heißt, der Text der Elihu-Reden ist sehr schlecht überliefert.

81:06
Es ist vielleicht der am schlechtesten überlieferte Text der ganzen Bibel. Man muss also sehr oft ganz klar merken, da ist ein Grammatikfehler oder da fehlen zwei Buchstaben. Das kommt auch sonst in der Bibel vor, aber so gehäuft wie bei den Elihu-Reden, also die Elihu-Reden sind wesentlich auffallend schlechter überliefert wie die hier Dichter. Jetzt haben zwei Alttestamentler, Karl Budde 1913 und Norbert Peters, zum letzten Mal versucht, diese Argumente auszuschalten. Also Karl Budde, ein evangelischer Alttestamentler 1913 in einem Buch und Norbert Peters, ein katholischer Alttestamentler in einem Buch 1930. Sie waren die beiden letzten bis heute, die gesagt haben, die Elihu-Reden können doch

82:07
originaler Bestandteil der hier Dichtung sein. Und zwar haben Sie folgende Argumente gebracht. Erstes Argument, Elihu ist aus dem Zuhörerkreis herausgetreten, der diese Streitreden mit angehört hat. Er ist also aus denen herausgetreten, gehört gar nicht zu den drei Freunden. Das erste Argument, deswegen kommt er auch so spät und so weiter. Man muss allerdings sagen, von einem solchen Zuhörerkreis steht nicht ein einziges Wort im Text. Denn tun die beiden jetzt mal postulieren, könnte doch sein. Dann zweitens, warum antwortet niemand auf die Elihu-Reden? Weil hier ihnen zustimmt, weil die sagen die beiden, hier stimmt denen eigentlich zu, weil die Elihu-Reden sind schon näher an der Gottesantwort dran, wie die Freundes reden.

83:05
Und Gott stimmt den Elihu-Reden auch zu und deswegen muss er ihn nicht ausdrücklich kritisieren wie die anderen drei Freunde. Das ist aber eher unwahrscheinlich, denn die Elihu-Reden haben immer noch einen größeren Teil, 50, 60, 70 Prozent der Grundannahmen der drei Freunde, auf die hier bis dorthin immer scharf ablehnend reagiert hat. Also dass Hiob den Elihu-Reden sachlich zugestimmt hätte und deswegen nicht geantwortet hätte, ist unwahrscheinlich. Und dann das nächste Argument dieser beiden, dass Elihu Hiob mit Namen anredet und auch zitiert, was die anderen nicht getan haben, das passt einfach gut zu dem seelsorgerlichen

84:00
Anliegen dieses Elihu. Er will eben eine Brücke bauen, er will Hiob gewinnen, redet ihn an und benutzt Zitate. Kann man sagen, also ohne weiteren Anhalt ist eben so sehen wir das. Allerdings muss man sagen, ein seelsorgerliches Anliegen hatten die drei Freunde auch, zumindest ganz stark am Anfang, aber im Grunde genommen bis zum Schluss. Und dann sagen die beiden noch, der schlechte Textbestand und das Nachlassen des poetisch-metaphorischen, das erklären wir so, dass Elihu längere Zeit nichts geschrieben hat oder eben erst im Alter nach längerer Zeit, deswegen auch mehr Aramaismen. Er hat die Elihu-Reden im Alter geschrieben, im Unterschied zu den anderen Streitreden

85:04
und er ist gestorben, bevor er die Elihu-Reden ins Reine schreiben konnte und deswegen diese zahlreichen Tipp-Fehler, also Schreibfehler und Grammatikfehler oder mal ein Wort vergessen und so. Ja, also da muss man aber auch sagen, das ist weit hergeholt, also er hat die Dichtung in jüngeren Jahren geschrieben, da hatte er noch poetische Kraft und die Elihu-Reden im Alter und er ist gestorben, bevor er sie ins Reine schreiben konnte. Diese Argumente haben deswegen nicht überzeugen können. Sie sind etwas hergeholt. Also er kann, er muss viele Hypothesen benutzen und er hat fast gar keinen Anhalt am Text selber über die Annahme hinaus, wie kannst du sie am Text begründen? Und zahlreiche Gesichtspunkte, die greifen sie gar nicht auf, zum Beispiel ein sehr wichtiger

86:05
Gesichtspunkt, nimm die Elihu-Reden raus, es entsteht keine Lücke, sondern 38, Gottes Rede knüpft viel besser an, an 32 an, als an 37. Also weil diese beiden sehr viele Hypothesen benutzen mussten, die man nicht weiter begründen kann und weil sie bei weitem nicht alle Gesichtspunkte aufgreifen, deswegen haben diese Argumente dieser beiden Alttestamentler die Fachwelt nicht überzeugt. Und seitdem, seit 1930 hat es niemand mehr probiert, weil die Argumente sind sehr gravierend, sehr qualifiziert und so wird in der modernen Bibelwissenschaft gearbeitet. Also soweit jetzt der vorletzte Vortrag zur Entstehungsgeschichte des Buches hier.

Alles anzeigen
Ausblenden

Die Entstehung des Hiobbuches – Hiob Vorlesung Teil 9 | 11.1.1

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 11. Januar 2021 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Dieser neunte Teil der Hiob-Reihe ließe sich auch gut als einer der ersten hören. Siegfried Zimmer erzählt, wie und wann das Buch Hiob überhaupt entstanden ist. Und welchen entscheidenden Wendepunkt er in der Geschichte des Judentums markiert. Denn das Hiob-Buch bricht mit alten Überzeugungen und führt neue ein, die noch heute unseren Glauben prägen. Zimmer erklärt, was es für uns bedeutet, dass dieses eine Buch von zwei Autoren geschrieben wurde. Und warum einer davon fast zweitausend Jahre lang ignoriert wurde. In drei Weltreligionen waren die Schriften jenes zweiten Autors nicht gern gelesen. Es war der fromme, geduldig leidende Hiob, der als Vorbild für die guten Gläubigen galt. Ein unerreichbares Ideal. Der andere Hiob, frech und wortgewaltig, wurde unterdrückt. Umso wichtiger ist er für uns heute. Zeigt er doch, wie sich ein frommer Mensch in größter Not auch verhalten kann. Und dass Gott sich gerade diesem Wutausbruch nicht entgegenstellt – sondern sich in diese Wut hinein dem Leidenden zuwendet.

Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.