Ich bin Alttestamentler, für mich persönlich etwas überraschend. Das war mir nicht in  die Wiege gelegt. Als ich mich entschlossen habe, Pfarrer zu werden, Theologie zu studieren,  war das Alte Testament eher so eine schwierige Materie und ich wollte sehr schnell damit  fertig werden. Ich bin gleich im ersten Semester ins Pro-Seminar, habe schon in Ferien Hebräisch  gelernt und im zweiten Semester war ich im Hauptseminar, damit ich dieses Buch loswerde.  Und im zweiten Semester im Hauptseminar traf ich einen holländischen Alttestamentler in  Bonn, Antonius Guneweg, und der hat über die Texte, die wir im Seminar behandelt haben,  auch immer gepredigt, so dass man mehrmals im Semester sehen konnte, wie es von der Übersetzung,  über die Textarbeit bis hin zur gehaltenen Predigt geht. Und diese Predigten haben mich
wirklich berührt. Die fand ich für meinen Glauben nahhaft und hilfreich. Es hat mich  eigentlich gewundert, wie man aus so einem blöden Text wie dem Alten Testament so gute  christliche Predigten machen kann. Das wollte ich genauer wissen. Deswegen bin ich dann  im nächsten Semester in ein weiteres Hauptseminar gegangen und insgesamt dann 30 Mal bei Herrn  Guneweg im Hauptseminar gewesen. Und mein anfängliches Antipathie-Verhältnis hat sich  im Laufe der Zeit in ein leidenschaftliches Liebesverhältnis verwandelt. Also ich stehe  heute Morgen hier für jemanden, der das Alte Testament liebt, der es versucht, Ihnen in  seiner Schönheit, in seiner Bedeutsamkeit, in seiner Tiefe zu erschließen. Und ich habe  mich entschlossen, frei zu sprechen, gebe der Heilige Geist, dass mir die richtigen
Worte kommen, um Ihnen dieses Gefühl der Begeisterung für das Alte Testament nahe  zu bringen. Sie sind ja nun ein ungewöhnliches Publikum. Ich hoffe, dass ich so ein bisschen  mich von meinem Sound her einbringen kann in Ihre Sprache. Also ich habe jetzt im ersten  Teil vor, etwas scheinbar Historisches darzustellen. Wie ist das Alte Testament entstanden? Das  ist aber nur scheinbar abständig historisch. Natürlich muss ich Sie jetzt mitnehmen ins  Museum. Aber ich gehe unheimlich gerne ins Museum. Da findet man die entscheidenden wichtigen  Dinge, die die Kultur der Gegenwart geprägt haben. Und ein ganz entscheidender kulturprägender  Faktor, auch wenn Sie es vielleicht gar nicht so bewusst machen, ist die alttestamentlich
jüdische Tradition. Das Alte Testament ist die heilige Schrift des Judentums. Und genau  der gleiche Wort aus exakt dieselben Buchstaben sind heilige Schrift der Kirche. Das ist an  sich schon ein Wunder. Ein Buch in zwei verschiedenen Religionen, die heilige Schrift. Natürlich  haben beide Religionen noch andere zusätzliche normative Texte. Im Judentum der Talmud, im  Christentum das Neue Testament. Aber wir haben einen riesigen gemeinsamen Grundstock, das  Alte Testament. Wie kommt es dazu? Wie ist es möglich, dass so etwas überhaupt in der  Welt der Religionen sich ereignet? Nun muss ich Sie wie gesagt in den Brunnen der Vergangenheit  hinabführen. Das Alte Testament erzählt, wie Sie wissen, von der Schöpfung. Und wenn
man die Jahresangaben im Alten Testament zusammenzählt, ist das ungefähr 6750 Jahre her. Vor 6750  Jahren sprach Gott, es werde Licht und es ward Licht. Diese Zahlenangaben, würde ich  mich für stark machen, sind nicht im Sinne einer naturwissenschaftlichen Aussage zu verstehen,  sondern als Glaubensaussage. Es gibt einen Anfang. Diesen Anfang hat Gott gesetzt. Und  indem Gott einen Anfang macht mit der Welt, einen Anfang macht mit den Menschen, setzt  er Geschichte in Bewegung. Und das gilt auch, wenn man Darwinist ist. Gott setzt die Geschichte
in Bewegung. Gott ist das leitende, das in dieser Welt wirkende Prinzip. Alles geht nach  der Ordnung, die Gott vorgesehen hat. So erzählt dann das erste Buch der Bibel, die Genesis,  wie sich aus diesem kleinen Anfang allmählich die ganze Welt entwickelt. Gott schafft den  Menschen, Adam. Dann sagt das Alte Testament, es ist nicht gut, dass Adam allein sei. Deswegen  schafft Gott die Tiere. Denn die Tiere sollen ein Partner sein. Wie sich herausstellt, kann  auch Gott sich irren. Denn die Tiere sind nicht so das Richtige für Adam. Er sieht,  wie die Löwen und die Löwinnen sich so gut vertragen und er sieht, wie die anderen Lebewesen
so ihre Partner finden, aber so richtig für ihn ist nichts dabei. Dann macht Gott einen  zweiten Schritt, lässt ihn in einen Tiefschlaf fallen und schafft die Frau, die Eva. Und  aus dieser Urbeziehung geht das erste Paar hervor, Adam und Eva. Der Mann wird Vater  und Mutter verlassen und an seiner Frau kleben, heißt es da. Man fragt sich natürlich, wer  sind Vater und Mutter von Adam? Da können Sie schon sehen, das ist keine historische  Aussage, sondern es geht darum, dass man Grundstrukturen der menschlichen Lebensweise, Grundstrukturen  menschlicher Existenz überdenkt. Und die Liebe zwischen Mann und Frau und das Einswerden,  das heißt Kinder bekommen, das ist nun mal eine Grundstruktur menschlichen Daseins.  Und so verstehe ich die Entstehung des alten Testaments in dieser Urgeschichte als Beleuchtung  der Grundstrukturen menschlichen Lebens. Mann und Frau, Eltern und Kinder, Brüder und
Brüder, Gewalt zwischen den Brüdern, Keim und Abel. Dann die Geschichte der Schuld der  Menschen führt zur Sinnflut und Gott nimmt seine Schöpfung zurück, aber nicht ganz,  denn einer findet Gnade in den Augen des Herrn Noah und Gott lässt die Geschichte der Menschen  weitergehen, obwohl der Mensch sündig ist. Das ist die Grundbotschaft dieses alttestamentlichen  Textteils. Gott liebt dich, obwohl du so bist, wie du bist. Trotz aller Schuld und trotz  aller Gewalt, die in der Welt ist, schwört Gott und macht einen Bund, dass er diese Schöpfung  nicht wieder zerstören wird. Also das alte Testament, wenn man die ersten Kapitel richtig
bedenkt, hat man auch schon gleich einen richtigen Schlüssel zum Gesamtverständnis, glaube  ich, ist darauf angelegt unser Leben zu beleuchten. Unser Leben auf seine elementaren Grundbestandteile  hin zu analysieren, meistens in erzählender Gestalt. Und glauben Sie bloß nicht, dass  Erzählungen naiv wären. Wie man erzählt, was man erzählt, das prägt das Denken zutiefst.  Jeder der Kinder hat und Geschichten erzählt, der weiß, diese Geschichten wirken, diese  Geschichten schaffen Bewusstsein und Stimmung. Nun ist die Frage, wer erzählt so etwas? Wer  kann so gut erzählen? Wer hat das alles geschaffen? Das ist die Frage der alttestamentlichen Einleitungswissenschaft.
Wir sind also als Alttestamentler auch Literaturhistoriker. Wenn Sie also ein Buch greifen und das Buch  da steht dann drauf, Johann Wolfgang von Goethe, Faust, dann würde es Sie vielleicht interessieren,  wer war dieser Goethe? Wann hat der gelebt? Wo hat der gelebt? Wo wurde dieses Stück  aufgeführt? Und so große Weltklasseliteratur wie der Faust ist das alte Testament auch.  Das ist einfach Weltliteratur von Format und insbesondere, wenn man geschichtlich denkt  und das in den Kontext der damaligen Literaturen stellt. Wir müssen jetzt also literaturhistorisch  fragen, wer kann solche Ursprungsmythen erzählen? Wer kann solche von philosophischer Tiefsinnigkeit  und von biologischer Glaubensstärke geprägten Geschichten sich ausdenken? Die Antwort, die
plötzlich da steht, das sind Geschichten von Gott. Der Anspruch dieser Texte ist, dass  sie Offenbarungstexte sind. Aber im Unterschied etwa zur islamischen Koranlehre, dass der  Koran im Himmel geschrieben wurde und dann durch die Vermittlung des Engels Gabriel,  dem Mohammed vorgelesen wurde, was der Koran heißt, vorlesen, ist das alte Testament sich  darüber im Klaren, dass das Autoren waren, die das geschrieben haben. Manchmal erzählt  das alte Testament selbst von diesen Autoren. Das, was ich gerade skizziert habe, die Urgeschichte,  steht in den fünf Büchern Mose. Wer ist Mose? Wann hat der gelebt? Das Problem ist,
der Pharao wird nicht genannt. Wir kennen die Geschichte Ägyptens gut, aber in der  Bibel wird der Name des Pharaos nicht genannt, sondern es ist immer nur der Pharao. Jetzt  muss man anfangen zu überlegen, welcher Pharao könnte das denn sein, der Pharao. Es gibt  Hinweise, zum Beispiel wird erzählt, dass die Kinder Israel, Pytom und Ramses bauen  mussten. Diese Städte kann man archäologisch ausgraben, was Altes Testamentler wie ich  auch tun, ich arbeite in Israel, aber durch Ausgrabungen hat man eben feststellen können,  dass diese Städte im 13. Jahrhundert vor Christus gebaut wurden. Also es spürt eine  Spur nach Ramses und zwar nach Ramses dem Zweiten. Das ist der Pharao, der am längsten  überhaupt regiert hat, der hat von 1280 bis 1210 vor Christus regiert und das wäre ein
guter Kandidat für die Zeit des Mose. Das ist die Spätbronzezeit, Ägypten war damals  eine Großmacht, eine reiche Supermacht, die bewundern ja heute noch gerne Tutankhamuns  Goldsarg und der war nur ein kleiner unbedeutender Pharao. Die Großen, wie zum Beispiel Ramses  der Zweite, viel viel mehr Macht, viel viel mehr Grabräuber, deswegen haben wir nicht  mehr so viel von ihm, seine Schätze sind längst geklaut worden. Also wir kommen mit  der Erzählung von Mose etwa so ins 13. Jahrhundert, wobei die Frage jetzt virulent wird und das  hat vor 200 Jahren, als die historisch-kritische Bibelwissenschaft begann, die Gemüter sehr  erregt, hat Mose wirklich alles geschrieben. Das Buch der Thora des Mose, Sefer Thorat
Moschee, ist das wirklich im Sinne da so zu verstehen, Mose hat den Pentateuch komplett  geschrieben. Die Frage hat die Gemüter wie gesagt extrem bewegt, da war sogar Todesstrafe  angedroht für die ersten, die gesagt haben, nein, denn Mose kann ja zum Beispiel nicht  seinen eigenen Tod berichtet haben. In Deuteronomium 34 wird der Tod des Mose erzählt und es wird  gesagt, dass Gott ihn bestattet hat und dass niemand weiß, wo sein Grab ist. Also Mose  kann wahrscheinlich nicht der Autor des ganzen Pentateuchs sein. Jetzt hat man aber, wie  Literaturwissenschaftler das tun sollten, genau gelesen. Wenn Sie einen Text lesen,  wenn Sie die Bibel lesen, lesen Sie genau, schauen Sie genau hin. Und dann hat man sehr
schnell festgestellt, das werden Sie beim Lesen auch erfahren, es gibt sehr viele Wiederholungen,  die Schöpfungsgeschichte. Sieben Tage wird erzählt, dass der Sabbat Gott ruht von all  seinen Waken, so wurde vollendet die Erschaffung von Himmel und Erde. Und in Genesis 2 fängt  er schon wieder an, Himmel und Erde zu schaffen, war diesmal anders. Während in Genesis 1  erst die Tiere geschaffen werden und als Krone der Schöpfung der Mensch, wird in Genesis  2 erstmal der Adam geschaffen, ich habe es eben schon erzählt, und dann die Tiere und  dann erst die Eva. Das ist deutlich anders als im ersten Schöpfungsbericht. Also Wiederholungen  und Widersprüche, Änderungen fallen auf. Dazu kommt, dass die Sprache sich ändert.  Also in Genesis 1 ist alles sehr wohl geordnet, da redet ein Mensch wie ein Beamter, der kirchliche
Würden trägt. In Genesis 2 wird ganz anders erzählt, spannend, sexy. Der Stil ändert  sich und, das war das Entscheidende, der Name für Gott ändert sich. In dem ersten  Kapitel heißt dieser Gott Elohim, Gottheit, die Gottheit, und im zweiten heißt der Yahweh,  J-H-W-H. Und wenn Sie das dann zusammennehmen, Wiederholung, Widersprüche, ändernde Sprache,  ändernder Sprachstil, ändernde Vorstellungswelt und ändernder Gottesname, so entstand für  ungefähr 200 Jahren die Hypothese, die fünf Bücher Mose stammen nicht von Mose allein,
sondern da haben mehrere Autoren dran mitgeschrieben. Es sind mehrere voneinander unabhängige Autoren,  die dann später miteinander verbunden wurden. Das nennt man die Quellenscheidung, die ältere  Urkundenhypothese, die wie gesagt so vor 150 Jahren in die Kirche hineinbrach, besagt und  ich sage es jetzt etwas abgekürzt, am Entstehen der fünf Bücher Mose haben mindestens vier  Autoren plus ein Redaktor mitgearbeitet. Sie müssen das sich vorstellen, wir haben dafür  eine genaue Entsprechung. Im Neuen Testament gibt es vier Evangelien. Das hat schon immer  Probleme gemacht. Wenn Sie anfangen zu lesen, bei Matthäus, da gibt es einen Kindermord  in Bethlehem und die heilige Familie muss nach Ägypten fliehen, dann lesen Sie bei
Lukas, da gibt es keinen Kindermord, sondern die heilige Familie geht nach Jerusalem und  lässt Jesus am achten Tag im Tempel beschneiden. Ja was denn jetzt? Sind die geflüchtet oder  sind die zu ehren? Das ist ein Widerspruch. Und so geht das weiter. Im Johannesevangelium  ist Jesus dreimal nach Jerusalem gereist, bei den drei Synoptikern nur einmal nach  Jerusalem gereist. Das hat Anstoß erregt, das hat Probleme gemacht. Deswegen hat man  eine sogenannte Evangelienharmonie geschaffen und hat aus den vier Evangelien eins gemacht,  ein Diatheseron des Tatján, von dem wir Teile haben. So eine Evangelienharmonie hebt alle  Widersprüche auf. Der Tatján hat sich dann überlegt, wie er das Leben Jesu so macht,  dass da keine solche Widersprüche drin sind. Viele haben es als hilfreich empfunden, aber  ich glaube, dass die Autoren oder die Sammler, die den neunteslamentlichen Kanon zusammengestellt
haben, genau diese Widersprüche auch wollten. Damit man immer daran denkt, das sind Glaubenszeugnisse,  das sind Geschichten, die den Glauben illustrieren wollen und das sind nicht Tatsachenreportagen.  So ist es im Alten Testament auch. Nur, dass dort aus den vier Berichten tatsächlich einer  gemacht worden ist. Sie haben viermal die Geschichte von Abraham, Isaac und Jakob. Sie  haben die Josefsgeschichte in mehreren Versionen, Sie haben die Mosegeschichte in mehreren  Versionen. Sie haben die Gesetzgebung an Sinaik aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.  Sie haben die Landnahme aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und dann gibt es einen  Redaktor, der das alles kombiniert hat. Wann haben diese verschiedenen Autoren geschrieben?  Und das war ein großes Forschungsunternehmen des 19. Jahrhunderts. Herauszufiltern, wann
haben die geschrieben? Wie kann man Literatur datieren? Dabei hat die Forschung im Alten  Testament enorm davon profitiert, dass die Ägyptologie und die Assyriologie die alt  schon lange bekannten Texte entziffern gelernt hat. Wenn Sie vor Hieroglyphen stehen, dann  werden Sie wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, die zu lesen. Obwohl man weiß, die  bedeuten was. Nur was bedeuten die verdammt nochmal? Und da gab es einen wunderbaren Fund,  können Sie heute in London im britischen Museum bewundern, einen Stein von Rosette.  Der hatte den selben Text in drei Sprachen und glücklicherweise eine Sprache kannte  man, die griechische. Man wusste jetzt, das ist der griechische Text, das können wir  ja, Altsprache ist Gymnasium. Und jetzt konnte man versuchen zu kombinieren, was bedeuten
die Hieroglyphen. Und die Keilschrifttexte. Und ungefähr um das Jahr 1900 sprudelten  durch die Entdeckung der Assyriologie und der Ägyptologie die Kenntnisse dieser Literatur.  Und das war toll. Zum Beispiel fand man den Namen Mose. Also da gab es Amose, Tutmose,  Pharaonen. Man wusste also jetzt, Mose ist ein gebräuchlicher Name aus Ägypten. In  dieser Zeit, von der wir sprechen, da gab es das. Wir wussten jetzt, dass es in der  Keilschriftliteratur Mythen gibt, Ennumaelisch, Atram Hasis, Gilgamesch, so hießen die da,  in denen ganz ähnliche Stoffe erzählt werden wie im Alten Testament. Also ich gehe jetzt
mal auf Tafel 11 des Gilgamesch Epos und das ist ungefähr um das Jahr 1000 zu datieren,  dieser Text. 1000 vor Christus. Da wird erzählt, dass die Götter die Menschen geschaffen hatten,  weil sie zu faul waren zum Arbeiten. Die Götter brauchten die Menschen, damit sie die Arbeit  erledigen. Die Menschen haben sich aber enorm vermehrt. Sie hatten einmal eine Million und  dann waren das zwei Millionen, dann waren das drei Millionen und diese Menschen waren  so laut. Und so ein richtiger Gott, der braucht eine Siesta, der braucht ein Mittagsschläfchen.  Und es wird erzählt, dass die Götter sich gestört fühlten, weil die Menschen zu viel  waren. Die Überbevölkerung der Erde hat die Ruhe der Götter gestört. Daraufhin haben  die Götter beschlossen, das sind zu viele, wir vernichten sie. Wir schicken eine Sintflut.  Die Götter machen also einen Plan, die Sintflut soll kommen. Allerdings haben die Götter
nicht so richtig bedacht, was da passiert. Sie haben alle Menschen vernichtet und dann  hatten sie Hunger, weil keiner mehr Opfer hat. Und die altorientalischen Götter sind  gefräßig und sie hatten wirklich Hunger. Da waren sie froh, dass ein Gott gepetzt  hatte und einen Menschen heimlich in eine Arche geschafft hatte, in Utnapishtim. Dieser  Utnapishtim hatte an Bord alle Tiere und alle Handwerker, alle Skulpturwissen der Menschheit.  Und als der wieder aus der Arche rauskam, hat er einen Opfer dargebracht. Die Götter  waren heilfroh, dass es die Menschen noch gab und sie stürzten sich, so heißt es da,  wie die fliegen auf das Opfer nach der Sintflut. Wenn Sie diese, ich weiß nicht, ob Sie den  Film gesehen haben, Noah, das ist voll mit altorientalischer Mythologie. Das ist voll  mit Texten, die wir jetzt datieren können um das Jahr 1000. Die alttestamentliche Wissenschaft
im Jahre 1900 hatte plötzlich diese Mythen und konnte sagen, das ist ja dasselbe, also  das kennen wir doch, diese Arche mit den Tieren und das Überleben und das Opfern nach der  Arche. Und man konnte jetzt sagen, wow, das alte Testament hat von Babel gelernt. Die  ersten Entdecker haben dann gleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und haben gesagt,  es ist alles nur geklaut, es ist alles gar nicht meine, nur gezogen aus Babel. Und es  gab einen Streit, der sogenannte Bibel-Babel-Streit, der insbesondere in Berlin stattfand. Ist  das alte Testament überhaupt originell oder ist es nur zusammengesucht bei den anderen  Kulturen? Bei den Ägyptologen gab es zum Beispiel eine Lebenslehre des Armen im Opel
und als man das übersetzte, merkte man, das kennen wir doch schon. Drei Kapitel im Buch  der Sprüche und ein bestimmter Abschnitt in der Lehre des Armen im Opel, der Weisheitslehre,  fast wortwörtlich identisch. Also wir wissen mit Sicherheit, dass die alttestamentlichen  Autoren in der ägyptischen Literatur, in der kalschifflichen Literatur Mesopotamiens  Motive entlehnt haben. Deswegen müssen wir Alttestamentler uns auch mit diesen Kulturen  beschäftigen. Also wer altes Testament studiert, muss auch immer in der Ägyptologie und der  Assyriologie ein gewisses Maß investieren. Das ist wichtig und nötig. Also wir haben  ganz sicher den Mose aus dieser Zeit, wir haben auch ganz sicher, dass dort eben Elemente  entlehnt wurden. Allerdings, und das glaube ich wissen wir heute noch viel besser als  damals, wir sehen natürlich auch die Differenzen. Die Sinnenflutgeschichte in Gilgamesch-Epos
ist eben an entscheidenden Stellen ganz anders. Die Sinnenflutgeschichte in der Bibel hat  zu tun mit dem Verhalten des Menschen und Gott sah, dass die Erde voll von Gewalt war.  Da räute es Gott, dass er den Menschen geschaffen hatte. Das ist nicht, weil die Menschen zu  laut sind und weil sie das Mittagsschläfchen ja weststören. Da geht es wirklich um das  Brutalsein und das kriegerisch sein des Menschen. Das will Gott nicht. Deswegen tut es ihm  leid. Und nach der Sinnenflut bereut es Gott, dass er den Menschen vernichten wollte und  obwohl der Mensch so gewalttätig und kriegerisch ist, was er nicht sein soll, lässt Gott doch  eine Zusage ergehen, es soll nie wieder geschehen. Also da gibt es auch massive inhaltliche  Differenzen. Das Alte Testament, die fünf Bücher Mose haben große Gemeinsamkeiten  mit dem Alten Orient und mit Ägypten, aber sie haben auch große Unterschiede. Diese
Unterschiede zu beleuchten, das macht einen dann auch theologisch stolz. In aller Bescheidenheit  würde ich doch klar sagen, die Alte Testamentische Theologie ist haushoch überlegen. Das hören  meine Kollegen von der Assyriologie wahrscheinlich nicht so gerne, aber im Alten Testament ist  das Bewusstsein der Verantwortung des Menschen, das Bewusstsein, dass Gott vom Menschen ein  bestimmtes Verhalten erwartet, dass Gott auf das Verhalten des Menschen reagiert, viel  ausgeprägter als im Alten Orient. Da sind die Götter relativ willkürlich und auch ein  bisschen tollpatschig. Das ist der Gott der Bibel nicht. Durch den synoptischen Vergleich  dieser Texte kriegen die Texte Profil. Wir können also sagen, die Autoren des Alten  Testaments waren eingebunden in die Kultur des Alten Orients. Sie haben dort viel Material
entlehnt, aber eben auch entscheidend theologisch bearbeitet. Wann war das? Also ich hatte eben  schon gesagt, die Ägyptologen führen uns in die Zeit von Ramses dem Zweiten. Da ist  das Alte Testament wahrscheinlich in seinen ersten Ursprüngen anzusetzen. Aber die fünf  Bücher Mose stammen nicht aus dieser Anfangszeit, sondern, und das gebe ich Ihnen jetzt sozusagen  als Ergebnis der Wissenschaft weiter, sie haben eine jahrhundertelange Wachstumsgeschichte.  Das was da angefangen hat mit dem Sein in Ägypten, mit dem Auszug aus Ägypten, mit  dem Offenbarungsgeschehen am Sinaï, das hat sich über mehrere Jahrhunderte, ja fast 1000  Jahre fortgesetzt. Die jüngste Bearbeitung, die sogenannte Endredaktion des Pentatoys
setzt man heute, und ich denke mit Recht, in die mittlere Perserzeit. Das heißt, in  die Zeit als Kyrus der Große und seine Nachfolger über Israel regierten und damit sind wir  ungefähr im Jahre 400. Da wird der Pentatoysch als Thora des Mose abgeschlossen. Und es  haben viele Menschen ihre Glaubenserfahrungen da hineingeschrieben. Man unterscheidet klassisch,  auch wenn das in der Forschung immer umstritten ist und immer wieder neu überdacht wird und  kritisch überprüft wird, also die Wissenschaft ist nie fertig. Die Texte, die zur Zeit Salomos  mit der Gründung des Staates Israels verschriftet wurden, also die Südreichstraditionen, von  den Nordreichstraditionen. Sie wissen, Israel war in zwei Staaten gespalten. Es gab zwei
Hauptstädte, Jerusalem und Samaria und an beiden Königshöfen gab es auch Literatur,  die die nationale Identität beschrieben hat. Dann gibt es den Elohisten im Nordreich, den  Javisten im Südreich und diese Traditionen sind zum Teil eben unterschiedlich. Und als  dann ein Redaktor aus diesen Überlieferungen, vielleicht auch mündlicher Art, aber auch  schriftlicher Art ein Werk geschaffen hat, hat er halt von jedem etwas stehen lassen.  Es sind Dubletten, Widersprüche, Wiederholungen da. Das macht es nicht ganz leicht zu lesen,  aber wenn man das erstmal im Hinterkopf hat, dann kann man vieles, was in der Genesis,  in den fünf Büchern Mose so schwierig ist, besser verstehen. Dann gab es vor dem Untergang  des Staates Israels eine große Reformbewegung, so eine Art Reformation, die ist im fünften
Buch Mose im Deuteronomium dokumentiert. Das Deuteronomium will eine durch Laien getragene  innere Erneuerung Israels. Heute lege ich dir vor Leben und Tod. Heute sollst du hören,  was Gott dir gebietet. Heute entscheide dich. Tu, was Gott von dir verlangt. Das Deuteronomium  als eine intensive Predigt versucht noch einmal der Gemeinde die Intention Gottes, den Willen  Gottes klarzulegen und zum Tun anzuleiten. Und schließlich die letzte Bearbeitungsschicht,  die Priesterschrift. Die Priesterschrift, die in einer Zeit schreibt, als es darum ging,  nach dem Exil, nach dem Untergang des Staates, nach dem Verlust der entscheidenden Größen
eine Neuerung Israels zu bewirken. Die Priesterschrift als die Grundschrift der Thora. Also, die  ich kann es jetzt nicht im Detail begründen, werden nachher bei Beispielen noch mal drauf  kommen. Die Thora, die entscheidende offenbare um Gottes in den fünf Büchern Mose hat eine  Entstehungsgeschichte von circa 800 Jahren. Die Autoren, die da geschrieben haben, kennen  wir nicht. Wir wissen, dass am Anfang Mose stand und seine Gebote, aber welche der Gebote,  die jetzt da stehen, auf Mose zurückgehen, welche viel später sind, das ist eben sehr  umstritten und sehr wahrscheinlich geht vieles eben erst auf die Existenz Israels im Land,  in der nachexilischen Zeit, in der Perserzeit zurück. In der Forschung unterscheidet man,  wenn Sie jetzt Theologie studieren, altes Testament, eher konservative Alttestamentler,
die eben davon ausgehen, dass es tatsächlich noch vorexilische Literatur gibt, dass es  vorexilische Zeugnisse gibt, also ich zum Beispiel und eher sogenannte moderne Kollegen, die  davon ausgehen, es ist alles viel später. Alles perserzeitlich, manche meinen sogar,  ist in der griechischen Epoche geschrieben. Also die Forschung ist keineswegs unisono.  Das, was ich Ihnen gerade versucht habe zu verdeutlichen, würde ein Kollege aus München  oder aus Göttingen vielleicht ganz anders sehen. Also das sage ich auch immer fairerweise  dazu. Ich bin nicht das Evangelium, sondern ich bin nur einer, der nach seinen Einsichten  sich bemüht und nach meiner Vorstellung hat die Pentateuch-Tradition eine alte Schicht,  die eben fast zurückreicht in die vorstaatliche Zeit und dann ist sie allmählich gewachsen  bis zu dem, was sie heute in der Endgestalt der Perserzeit ist. Also halten wir fest,
erster Schritt. Im Verständnis des Judentums ist das das alles Entscheidende, das Gesetz  des Mose. Darauf kommt es an. Dieses sogenannte Gesetz des Mose hat aber viele Elemente. Wenn  wir nur sagen, das Gesetz, ist das zu kurz gegriffen. Natürlich gibt es viele Bestimmungen  rechtlicher Natur, aber da drin sind auch wunderbare Erzählungen. Da sind tolle Geschichten,  also jeder, der Kindergottesdienst macht, weiß das sehr zu schätzen. Die Josefsgeschichte  oder die Erzählungen der Kinder Israels in der Wüste oder wie Mose mit seinem Bruder  Aaron streitet und so weiter und so fort. Also es ist sehr viel erzählendes Material da drin.  Es ist aber auch jede Menge Ethik. Das ist ja nicht nur Recht, sondern auch Moral. Das
ist wertvoll. Die 10 Gebote sind ja in dem Sinne nicht Recht, sondern moralische Orientierung.  Wir haben also in der Thora eine Mischung aus Geschichtserzählung, aus Rechtsüberlieferung,  aus ethischer Unterweisung und aus kultischer Anleitung. Die Feste und Feiern sind da drin.  Im Verständnis des Judentums und ich denke, da müssen wir als christliche Exegierten  erst auch mal hinhören, ist alles, was dann folgt, nur noch Erläuterung, Kommentierung  und Auslegung der Thora. Die Thora steht im Zentrum. Dann kommen die Propheten. Die  Propheten sind eine ganz andere Art, sich Gott anzunähern. Das muss man glaube ich
erst mal realisieren, dass ein Prophet und im Alten Testament gibt es ja, wie Sie wissen,  eine ganze Menge. Jesaja, Jeremia, Ezechiel, die zwölf kleinen Propheten, Daniel. Ein  Prophet ist von der Gattung her etwas anderes als die Thora. Propheten haben, und damit  müssen Sie sich jetzt sozusagen den Schalter umlegen, einen völlig anderen Weg zu Gott.  Oder man muss vielleicht sagen, Gott hat einen anderen Weg zu Propheten. Denn Propheten  haben zum Beispiel Auditionen. Propheten haben Visionen. Sie hören die Stimme Gottes. Sie  sehen Gott. Gott spricht direkt und unmittelbar zu ihnen. Das ist etwas, was einem auch Angst
und Bange machen kann. Hier gar nicht weit weg, 500 Meter von hier, ist die psychiatrische  Klinik Heidelberg. Und da sitzen auch Menschen, die Auditionen haben und die Visionen haben  und die manchmal kataleptische Anfälle haben, die auf der Erde liegen und starren. Also  wenn ein Psychologe auf das schaut, was die Propheten des Alten Testaments erlebt haben,  sind die immer so ein bisschen verdächtig. Einer unserer großen Heidelberger, Karl Jaspers,  war ja auch Psychotherapeut am Anfang und hat eine Arbeit geschrieben über die Psychopathologie  des Propheten Ezechiel. Er untersucht das Buch Ezechiel und stellt dann fest, dieser  Ezechiel ist ein Schizophrener. Er kommt zu dem Resultat, Ezechiel ist Schizophren und  hat dann diese komischen Erlebnisse, dass er in Jerusalem ist und dann ist er in Babylon
bei den Exilierten und dann hat er das Gefühl, dass Gott ihn bei der Hand nimmt und dann  so eine Art Teleporter, der ist dann hunderte von Kilometern unterwegs. Also ich halte das  für eine fundamentale Fehleinschätzung, weil Karl Jaspers eben kein Literaturhistoriker  war und nicht verstanden hat, dass wir hier verschiedene geschichtlich gewachsene Texte  vor uns haben. Er hat gedacht, das ist das seelische Erleben eines Menschen. Aber gleichwohl,  man muss sich klar sein, Menschen, die Auditionen und Visionen haben, werden von ihrer Umwelt  immer sehr kritisch beleuchtet. Ich weiß nicht, ob Sie persönlich das auch schon mal erlebt  haben, dass Sie das Gefühl haben, jetzt spricht Gott zu mir. Sie klar und deutlich das Gefühl  hatten, so spricht der Herr zu mir. Die Propheten hatten das und sie waren getriebene. Ein
Amos zum Beispiel, das ist der älteste Schriftprophet, der im Jahre 750, so Pi mal Daumen, in Bethel  aufgetreten ist, der hatte von Gott direkt und unmittelbar gehört, das Ende kommt über  diesen Staat Israel. Das Ende ist gerade dabei, über mein Volk zu kommen. Und er ist nach  Bethel gegangen und hat gesagt, Gott hat mir gesagt, ihr werdet untergehen. Das in einer  Zeit, in der wirtschaftliche Prosperität und Blüte in Bethel herrschte. Dieser Prophet  hat etwas gesehen, er hat etwas erfahren, er hat etwas gehört, was gegen den Zeitgeist  verstößt. Jeder hat gesagt, was will der denn, dieser Prophet. Man hat ihn aus dem  Land verwiesen, er wurde rausgeschmissen, das Land kann deine Worte nicht ertragen.
Propheten sind Verkündiger der Stimme, die sie selber hören und es ist ungewiss, ob  diese Propheten wirklich das Wort Gottes sagen oder ob sie etwas sagen, was nur aus ihnen  selbst herauskommt. Wir haben im Alten Testament einen großen Streit, wer ist wahrer Prophet  und wer ist falscher Prophet. Sind das nur die Gebilde des eigenen Herzens, die sie da  predigen oder predigen sie wirklich Gottes Willen? Diese Reihe der Propheten hat viele  Stimmen und jedes Prophetenbuch hat viele Stimmen in sich, genau wie der Pentateuch.  Auch das Amos Buch hat mehrere Wachstumsphasen, mehrere geschichtliche Fortschreibungen erlebt.  Wenn Sie heute ein Prophetenbuch aufschlagen, vielleicht am deutlichsten beim großen Propheten  Jesaja, kriegen Sie auch wieder eine Wachstumsgeschichte. Der erste Jesaja um 700, der zweite Jesaja
im Exil 550 vielleicht, der dritte Jesaja in der nachexilischen Wiederaufbauphase. Also  im Buch Jesaja haben Sie eine lange Geschichte des Glaubens dokumentiert mit verschiedensten  Stimmen. Aber Sie haben immer auch den Propheten Jesaja als Ursprung und als Ausgangspunkt dieser  Buchwerdung. Lassen Sie mich ein paar Sätze zur Geschichte der Prophetie sagen. Die ältere  Prophetie war Untergangsprophetie, war Gerichtsprophetie. Gott wird dieses Volk richten, dieser Staat,  dieser Tempel werden zerstört werden. Ab dem Exil, nachdem das alles dann auch eingetroffen  war, nachdem das genauso geschehen war, wie die Propheten es vorhergesagt hatten, so wie  Micha gesagt hat, der Zion wird zum Fußballacker werden, so kam es auch, gab es eine zweite
Phase der Prophetie, die sogenannte Heilsprophetie im Exil. Ein deutscher Jesaja sagt, tröstet,  tröstet mein Volk, die Schuld ist vergeben, die Strafe ist bezahlt, Gott fängt mit euch  neu an. Um 550 kommt die Botschaft überraschend neu von Propheten, es gibt einen Neuanfang.  In nachexilischer Zeit werden die Propheten zu Apokalyptikern. Apokalyptik ist eine Denkbewegung  im Judentum, die davon ausgeht, das hören wir nicht gerne, Himmel und Erde müssen vergehen,  damit ein neuer Himmel und eine neue Erde entstehen können. Apokalyptik ist die Ansage  des Weltuntergangs und die Hoffnung auf eine Neuschöpfung nach dieser Welt. In den jüngsten
Schichten der Prophetenbüchern haben wir Visionen davon, lesen Sie zum Beispiel Jesaja 25 bis  27, die Jesaja Apokalypse, da wird von diesem apokalyptischen Propheten, circa um 300, ein  neuer Himmel und eine neue Erde geschaut, der Tod wird nicht mehr sein und Gott wird  abwischen alle Tränen. Die Erwartung, dass es eine neue Schöpfung gibt, in der kein  Tod mehr ist. Das ist etwas ganz anderes als der Prophet Amos, der im Betel sagt, also  eure Moral ist dermaßen unerträglich, Gott wird euch bestrafen. Die Apokalyptik am Ende  der Prophetie erwartet ganz massive Neuanfänge, ganz entscheidende Veränderungen der gesamten
Erde, ein neuer Himmel und eine neue Erde. Ein schönes Bild dafür ist der Tierfriede,  der Löwe wird Gras fressen, ein Löwe der Gras frisst ist ja kein Löwe mehr und der  Wolf wird mit dem Lamm zusammen liegen. Das sind bildliche Veranschaulichungen für diese  Hoffnung der Apokalyptik. Die Welt wird fundamental verändert werden. Also die Geschichte der Prophetie  erstreckt sich genau wie die Wachstumsgeschichte des Pentateuchs über mehrere Jahrhunderte.  Von 750 Amos bis zu Jesaja Apokalypse, das sind 500 Jahre ungefähr. Und viele Stimmen  kennen wir nicht, da steht immer Jesaja drüber, aber es sind viele Stimmen da versammelt.  Gehen wir in den dritten Kanon Teil. Luther nennt das die Lehrschriften, in der hebräischen
Überschrift sind das einfach die Ketuvim, die Schriften. Diese Schriften sind sehr  unterschiedlich strukturiert und sie haben sehr unterschiedliche Wege zu Gott. Da gibt  es zum einen das Gebet als Weg zu Gott, 150 Psalmen. Diese Psalmen haben Überschriften,  jedenfalls sehr viele von ihnen, etwa die Hälfte haben die Überschrift Le David, dem  David. Das hat man meistens als Autorenangabe übersetzt, also Luther hat übersetzt, ein  Davids. Und viele haben gemeint, das bedeutet, David ist der Dichter. Es gibt ja unendlich  viele Darstellungen der Kunstgeschichte, wo David mit seiner Leier, seiner Gitarre,
Gebete spricht und singt. Das sind ja Lieder. Das ist aber nachweislich nicht möglich.  Also natürlich kann man sagen, David war Prophet, aber wenn drüber steht ein Psalm  Davids und er spricht vom Tempel. Wir wissen aus den Samuel-und-König-Büchern, dass erst  Salomo den Tempel gebaut hat. Also wie kann Salomo noch gar nicht geboren sein und David  schon ein Tempellieder singen? Irgendwas stimmt da nicht. Oder wenn ein Psalm Davids davon  spricht, dass die Völker in Israel einbrechen und den Tempel zerstören, dann hat er, versuchen  jedenfalls manche zu sagen, schon 500 Jahre in die Zukunft geschaut. Man kann aber vielleicht  auch sagen, die Übersetzung ist falsch. Ein Psalm Davids heißt nicht ein Psalm von David,
sondern das heißt ein Psalm im Angedenken an David, ein Psalm im Geiste Davids, ein Psalm  zu Ehren Davids, ein Psalm für David. Also das was wir schon gelernt haben bei der Thora  und bei den Propheten gilt auch für die Psalmen. Sie haben eine lange Wachstumsgeschichte.  Man soll nicht meinen, dass alle Psalmen aus dem Jahrtausend stammen oder aus dem neunten  Jahrhundert, sondern viele Psalmen spiegeln die ganze Glaubensgeschichte Israels. Nach  meiner eigenen Einsicht, ich habe einen Psalm in den Kommentar geschrieben und mich dafür  stark gemacht, dass der Psalter das jüngste Buch des alten Testaments ist, in seiner Endgestalt  um 100 vor Christus. Es ist kein Wunder, dass die Frömmigkeit der Psalmen so nah bei der  Frömmigkeit des neuen Testaments ist, die gehören auch zeitlich eng zusammen. Aber
ich sage Ihnen fairerweise wie immer, dass das eine Sondermeinung von mir ist. Viele  Kollegen halten die Psalmen für älter, mit meiner Spätdatierung der Psalmen stehe  ich ein bisschen in der Kritik oder sehr in der Kritik, aber ich habe recht. Also ich  glaube, das kann ich schon aufzeigen, dass die Psalmen eine Frömmigkeit haben, die zutiefst  von der Spätzeit geprägt ist. In der Spätzeit haben wir ein zunehmendes Sündenbewusstsein.  Das ist merkwürdig. Die älteren Autoren haben relativ solides Selbstbewusstsein. Das  ist ein Gefühl, ich bin Sünder, ich bin ein Wurm, ich bin kein Mensch, ich bin ganz
tief in der Schuld Gottes. Das ist erst ein Reifungsprodukt der Frömmigkeit. Wir haben  in den Psalmen die Erwartung, und das ist etwas Neues, der Auferstehung. In den alten  Schichten des alten Testaments rechnet man nicht damit, dass es ein Leben nach dem Tod  gibt. Das ist der Weg aller Welt, der Weg ohne Wiederkehr. In den Psalmen gibt es wunderschöne  Texte, lesen Sie Psalm 49, lesen Sie Psalm 73, die davon ausgehen, dass Gott nicht zulässt,  dass der Mensch im Tod bleibt. Der Mensch wird bei Gott sein, auch nach dem Tod. Gott  erweckt Tote auf. Das ist ein Spätprodukt der Frömmigkeit. Diese Hoffnung auf die Auferstehung  der Toten und das ewige Leben bei Gott, das haben wir erst um 100. Das ist im Zuge der  Apokalyptik mitgewachsen, die Hoffnung, dass man auferstehen darf, dass Gott einen durch  den Tod hindurch trägt. Wir haben in den Psalmen die Vorstellung der Königsherrschaft
Gottes. Die Theologie der Psalmen setzt voraus, dass die Königsherrschaft Gottes kommen wird.  Und dass Gott König wird, das ist die zentrale Botschaft Jesu. Das Reich Gottes ist nahe  herbeigekommen, darum tut Buße. Das ist genau die Frömmigkeit der Psalmen. Also diese Psalmenbeter  sind großartige Theologen der Spätzeit. Fantastische Theologie. Natürlich sind da auch alte Überlieferungskerne  drin. Das ist mir auch klar, dass zum Beispiel bei der Darstellung des Königtums Gottes  noch Elemente sich erhalten haben von dem Königtum in Jerusalem und am Hof von Jerusalem.  Da hat man halt eben bestimmte Feste gefeiert und bei der Ausmalung der Erwartung, dass  Gottes Königtum kommt, hat man darauf zurückgegriffen. Aber diese Texte sind spät. Also das Gebet
als ein wichtiger Weg zu Gott. Die Texte sind relativ, wie soll ich sagen, durch eine lange  Erfahrungsgeschichte gereift. Und ich habe gelernt, Texte, die anonym sind, auch wenn  wir nicht wissen, wer sie gedichtet hat, trotzdem sehr, sehr wert zu schätzen. Der Wert eines  Textes hängt nicht davon ab, dass David es geschrieben hat, sondern der Wert eines Textes  hängt davon ab, welche Einsichten in das Wesen Gottes und in die Gnade Gottes und in die  Möglichkeiten Gottes ein Text aufschließt. Und deswegen sind die Zeichen so wertvoll.  Es ist kein Verlustgeschäft, wenn ich sage, das ist nicht von David, sondern das hat ein  anonymer Beter in dem ersten Jahrhundert geschrieben, sondern ganz im Gegenteil eher. David hatte  noch keine Ahnung vom ewigen Leben. Jetzt kommt ein Bereich, von dem man wirklich
staunen muss, dass er in der Bibel steht. Das Alte Testament hat ebenso viele Facetten,  denn es gibt, wir haben jetzt die Geschichte, das Recht, die Ethik, wir haben die Feste  und die kultischen Handlungen, wir haben die Prophetie, wir haben das Gebet als Weg zu  Gott, aber es gibt noch ganz andere Wege zu Gott, nämlich die Vernunft. Wenn man nachdenkt  über das Wesen der Welt, wenn man reflektiert, wie ist diese Welt strukturiert, dann stößt  man darauf, dass da irgendwie doch wohl ein großer göttlicher Gedanke dahintersteht.  Und das ist die Grundeinsicht in die Grundfrömmigkeit der Alte-Sterbemännlichen Weisheitsliteratur.  Der Begriff Weisheit klingt vielleicht in unseren Ohren etwas altertümlich, meistens
höre ich von meinen Kindern, du kannst deine Weisheiten für dich behalten, aber Weisheit  ist etwas sehr Kostbares. Weisheit ist ein Wissen, ein Reflektieren über die Ordnung  der Welt, das uns zu Gott hinführt. Und dass das alte Testament der Vernunft und der Kraft  des Denkens so viel zutraut, dass es sogar Gott erschließt, finde ich fantastisch. Wenn  Sie also Sprüche lesen, also die Sprüche Salomos sind da die Hauptsammlung, entsprechend  in der katholischen Bibel, die ein bisschen größer ist, da gibt es noch den Jesu Sirach  und seine Sprüche, da werden sie hin angeleitet, gehe hin in die Welt und schaue sie dir an.  Geh mal zur Ameise und lerne von ihr. Wie funktionieren Ameisen? Die sind fleißig,
die sind gut organisiert, da ist einer für den anderen da und weil das ganze System zusammenarbeitet,  ist ein Ameisenvolk stark. Gehe hin zur Ameise und lerne von ihr. Oder die Weisheit beschäftigt  sich mit ganz ganz basalen Dingen. Wie muss ich mit meinem Geld umgehen? Spare in der  Zeit, dann hast du in der Not. Wie muss ich mit meiner Arbeitskraft umgehen? Stehe früh  auf, arbeite fleißig, dann hast du den Segen Gottes. Wie muss ich mit der Wahrheit meines  Partners umgehen? In der Weisheit wird da viel darüber gesagt. Worauf muss ich achten,  wenn ich eine Frau suche bzw. wenn Sie einen Mann suchen? Lesen Sie mal den Sprüchen,  worauf Sie da achten sollten. Da kommen eine ganze Reihe von Charaktereigenschaften zum  Tragen. Wie gehe ich mit meiner eigenen Sexualität um? Das Weisheitsbuch weist um die Power der
Erotik und versucht uns da Hilfestellungen zu geben, wie wir mit unserer Sexualität  verantwortungsvoll umgehen können. Wie gehen wir mit Alkohol um? Alkohol ist sehr geschätzt,  ein Wein erfreut das Herz des Menschen, aber Zehenwein, dann wird es schon problematisch,  der am Morgenrausch dran trinkt. Also es sind Dinge des Alltäglichen, aber die haben alle  mit Gott zu tun. Also es ist nicht einfach nur Zufall in der Welt, sondern die Welt hat  eine Ordnung und wir sind durch das Nachdenken über die Ordnung der Welt in der Lage zu  begreifen, da ist ein Gott am Werk. Gehen Sie am Neckar spazieren und denken Sie darüber  nach, wieso das alles so grün und wunderbar funktioniert. Dann kommen Sie auf Gott. Und
gehen Sie in eine Gesellschaft, in eine Familie, in eine soziale Ordnung, denken Sie darüber  nach, was passiert hier eigentlich und Sie werden auf Gott und seinen guten Willen stoßen.  Das ist jedenfalls die Botschaft der Weisheitstext. Diese Weisheitstexte, das habe ich vorhin  schon erwähnt, kommen aus Ägypten. Die Weisheit hat ihren Ursprung in Ägypten und das Volk  Israel hat sich nicht geniert, da auch kräftig zu lernen, prüfert alles und behaltet das  Beste. Warum sollen wir nicht auch Weisheit der Völker übernehmen, war die Devise. Und  dass da viele sich berühren mit Paralleltexten aus der Umwelt, also wenn Sie mir nachweisen,  dass meine Gedanken sehr verwandt sind mit denen von Sokrates, bin ich Ihnen nicht böse.  Also die Weisheitstexte. Jetzt kommt aber noch ein Phänomen im Alten Testament, das
mir geradezu Ehrfurcht gebietet, nämlich die sogenannte Krise der Weisheit, die Skepsis.  Es gibt zwei Bücher im Alten Testament, die sind geradezu unheimliche Bestandteile des  Kanons. Das ist das Buch Hiob und das ist das Buch Prediger Salomo. Diese Bücher, in  den Schriften des Alten Testaments gesammelt, stammen auch aus persischer Zeit und das Buch  Kohelet sogar ganz sicher aus der griechischen Epoche, als Alexander der Große in Israel  einmarschiert ist und seine Nachfolger, die Diadochen dieses Land beherrscht haben, da  kam es zur sogenannten Krise der Weisheit. Und das ist nur etwas, was mich persönlich  auch zum Theologiestudium motiviert hat. Diese Frage hat mich immer umgetrieben. Wie kann  Gottes zulassen, der liebende Vater, dass es so viel Elend in der Welt gibt? Die sogenannte
Theodicee-Frage. Wie geht das zusammen? Die Gerechtigkeit Gottes und die Liebe Gottes.  Und dieser Frage stellen sich diese Bücher. Und das ist in der Sammlung der Heiligen Schriften  aufgenommen worden, was ich schon erstaunlich finde. Wenn Sie das mal ein bisschen reflektieren,  was sagt das Hiobuch? Ich nehme an, das Hiobuch ist Ihnen vertraut, es ist auch ein großes  Stück Weltliteratur. Da tritt ein Mensch vor unsere Augen, von dem Gott selber sagt,  er ist vollkommen. Ein wunderbarer Mann. Er hat sieben Söhne und drei Töchter, er hat  ein sehr gutes Leben, er ist ein gerechter, ist ein Mensch, wie wir im Laufe des Hiobuches
erfahren, der seinen Reichtum nutzt, um anderen zu helfen. Hier um 29 wunderbare Sätze. Ich  war Auge für den Blinden, ich war Fuß für den Lahmen. Also er hat behinderte Menschen  gesehen, er hat sich selbst zum Auge des Blinden gemacht und hat hinten seine Füße zur Verfügung  gestellt. Es kam kein Wanderer zu ihm, der hungrig das Haus verlassen hätte und kein  Frieren, der nicht ein Kleid bekommen hätte. Hiob war ein diakonisches Werk. Und dieser  Hiob muss plötzlich erfahren, dass sein Besitz geraubt wird, dass seine Kinder bei einem  großen Unglücksfall ums Leben kommen und er steht vor den Ruinen seines Lebens. Und  was sagt er? Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, gelobt sei der Name  des Herrn. Ob ich das am Sarg von 10 Kindern sagen könnte? Ich weiß es nicht. Also hier
wird damit konfrontiert, dass er nichts getan hat, was ihm das erklärt und trotzdem unglaubliches  Leid. Und damit nicht genug. Er wird auch noch krank. Er bekommt eine Krankheit, wir  wissen leider nur, dass das Aussatz heißt, also was genau das ist, möglicherweise ist  es lebra, aber das ist nicht ganz sicher. Er bekommt eine furchtbare Krankheit. Er kratzt  sich und sitzt im Dreck und er sagt, haben wir Gutes aus Gottes Hand empfangen, sollen  wir dann nicht auch das Böse aus Gottes Hand nehmen? Also eine ganz tiefe Ergebung in das,  was Gott ihm schenkt oder eben nimmt. Aber hier hat eine Frau und hier hat eine Frau
sagt, wie kannst du das alles hinnehmen? Bist du immer noch in deiner Frömmigkeit? Wie  kannst du das aushalten? Und in der griechischen Version des Hierobuches spricht sie einen  Klagebefehl. Sie klagt darüber, ich habe zehn Schwangerschaften durchgestanden, ich habe  zehnmal ein Kind geboren, jetzt sind sie alle tot. Wie kann Gott das tun? Ich habe es satt  zu leben, ich will sterben, ich schaue auf den Sonnenuntergang, ich hoffe auf den Untergang  der Sonne. Und Hierob ist sehr sauer auf seine Frau und sagt, du redest wie die Törenen  reden und verbietet ihr sozusagen die Klage. Was Hierob nicht weiß, was aber wir als Leser  des Hierob-Buchs wissen, es gibt eine Wette im Himmel. Gott testet Hierob und er hat mit  dem Satan eine Wette laufen, dieser Hierob hat so einen Glauben, der ist unendlich belastbar.
Du kannst den quälen, aber er wird fromm bleiben. Er wird fromm bleiben. Und Satan  hat gesagt, nein, du hast ihn sein ganzes Leben lang so gut behandelt, Gott. Der ist  natürlich nur fromm, weil es ihm so gut geht. Glaubst du, der wird dir auch umsonst dienen,  also ohne Lohn, ein Frommsein ohne belohnt werden, das gibt es doch gar nicht. Und jetzt  kommt dieses theologische Experiment und wir sind die Zeugen davon, wie reagiert Hierob?  Angesichts des unendlichen Leidens, hält er das durch? Und in Kapitel 3 hält er nicht  durch. Hierob fängt an wie seine Frau zu klagen und zu fluchen. Er verflucht den Tag  seiner Geburt. Er möchte nicht geboren sein. Er sehnt sich danach, Fehlgeburt gewesen zu
sein. Dann wäre ich nie in dieses Leben geworfen. Er sehnt sich danach, bald und schnell zu  sterben. Denn wenn ich tot wäre, dann hätte ich einen Freund, den Tod. Es wäre viel besser,  nicht geboren zu sein, als in diesem Leiden leben zu müssen. Also mit einer unglaublichen  Schärfe wird die Theodiceeproblematik ausgesprochen. Lohnt es sich überhaupt zu leben, ist es  nicht besser tot zu sein? Hierob spricht nicht von Selbstmord. Also er ist nicht suizidgefährdet.  Aber er hat eine große Todessehnsucht. Er möchte gerne in der Sheol, also in der Unterwelt  sein, weil dort der Ort der Freiheit ist. Im Tod hat man Ruhe. Und er will endlich Ruhe  nach all dem Leid. Aber überlegen Sie, das steht im Alten Testament, das steht in der
Bibel. Gott wird in eine ganz problematische Rolle versetzt. Er ist quasi auf der Anklagebank.  Wie kann denn Gott so etwas tun? Das Hierob-Buch gibt keine schnelle Antwort. Hierob erfährt  niemals bis zum Schluss nicht von dieser Wette. Er weiß nicht, dass es eine Prüfung ist.  Sondern er glaubt, er müsste irgendeine Schuld auf sich geladen haben und das wäre eine  Strafe, die ihn da trifft. Wir werden Zeuge von so was wie einer ersten Psychoanalyse.  Hierob legt sich sozusagen selber auf die Couch und geht sein Gewissen durch. Was könnte  ich denn getan haben? Er geht sozusagen die möglichen Verfehlungen durch und dabei fällt  ihm allerhand ein, was man tun könnte. Er ist Mann und als erstes denkt er an Ehebruch.
Habe ich aber nicht. Dann denkt er daran, dass er vielleicht Menschen niederen Standes  schlecht behandelt haben könnte. Seine Sklaven, er hat ja Sklaven. Nein, ich habe alle meine  Sklaven behandelt wie gleichwertige, würdige Menschen, denn wir haben alle denselben Schöpfer.  Er überlegt, ob er vielleicht dem Geld zu sehr vertraut hat. Das Geld zu meinem Gott  gemacht. Er sagt, nein, ich habe niemals Kusshände zum Gold geschickt. Ich habe das Gold nie  angebetet. Das habe ich auch alles nicht getan. Er überlegt, ob er vielleicht Fremde schlecht  behandelt hat. Dass er vielleicht Ausländer misshandelt hat und nicht gewürdigt hat.  Nein, auch das hat er nicht. Also bei seiner Innenschau, bei seiner Beichte, alles was
er überlegt, er hat kein Bewusstsein davon, dass er etwas so Schlimmes gemacht haben könnte,  dass diese Strafe des Todes seiner Kinder, diese Strafe einer schweren Krankheit auf  ihm ist. Was er nicht weiß, er hat Recht. Er hat nichts gemacht. Er ist einfach nur,  in Anführungszeichen, nur Objekt eines Experiments. Hältst du durch? Hiops Leiden, Hiops abgrundtiefe  Verzweiflung ist sehsorgliche Aufgabe für seine Freunde. Hiop hat Freunde, die wollen  ihm helfen. Aber wie helfen sie einem Menschen, der in so einer tiefen Verzweiflung steckt?  Hiops Freunde entwickeln verschiedene Troststrategien. Zum Beispiel sagen sie ihm, Hiop hab Vertrauen,
das wird enden dieses Leiden, dieses Leiden wird aufhören. Das ist nicht das letzte Wort.  Bete zu Gott, er wird dir helfen. Aber Hiop betet nicht zu Gott, sondern er schimpft zu  Gott. Kannst du mir das antun? Oder die Freunde sagen, Hiop du musst verstehen, das Leiden  ist eine Erziehungsmaßnahme Gottes. Gott will dich erziehen. Der Mensch, der nicht  auch Leiden durchleben muss, der wird gar kein wertvoller Mensch, weil er nicht mal  leiden musste. Wenn man sozusagen glatt wie ein Zäpfchen durchs Leben schlupft, dann wird  man kein wertvoller Mensch. Nur durch Leiden gewinnt man Tiefe. Nur durch das Leiden gewinnt  man Bedeutung als Mensch. Also ich denke, die Freunde sind gar nicht schlecht. Sie haben  meistens in der Hiop-Forschung schlechte Presse, aber viel Schlaueres müsste ich auch nicht
zu sagen. Ich war 6,5 Jahre auch Krankenhaus-Farher und ich fand diese Worte der Freunde, bete  zu Gott, vertraue darauf, dass das hier nicht das letzte ist. Das Ende wird gut und wenn  es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. Und vielleicht hat das Leiden, das  jetzt so vollkommen sinnlos erscheint, aufs ganze Deines Lebens doch eine Bedeutung. Also  so dumm ist das nicht. Das Hiop-Buch geht überraschend aus, das muss man schon sagen, denn am Ende  wird überhaupt nicht klar, warum Hiop gelitten hat. Hiop erfährt es wie gesagt nicht, sondern  Gott erscheint hier und redet mit ihm aus dem Wettersturm. Und die Beregnung mit Gott,  das direkte Angeredetsein durch Gott, das Bewusstsein der Schöpfer des Himmels und  der Erde redet zu mir, das bringt Hiop zum Schweigen. Er sieht ein, dass in dieser großen
Schöpfung Gottes er glücklich sein darf, dass Gott mit ihm redet und er widerruft seinen  Verfluch. Er widerruft die Verfluchung des Lebens, er widerruft die Anklage Gottes. Und  daraufhin bekommt er alles doppelt wieder. Der Hiop-Schluss macht unheimlich Mut. Wer  durchhält bis ans Ende, bekommt doppelt zurück. Und am Ende kommen noch die Nachbarn und Freunde  und die reden mit Hiop immer wieder über all das Unglück. Finde ich auch einen wichtigen  Zug am Hiop-Buch, dass man über das, was man an Schlechtem erlebt hat, auch immer wieder  reden soll und darf. Hiops Freunde sind dafür ein Beispiel.  Also, wir haben ein Buch, das die Frage nach der Theologie C radikal stellt und bis an
den Rand der Heresie. Das Hiop-Buch ist eine Provokation. Und die, die den Kanon komponiert  haben, haben gesagt, das brauchen wir auch. Dieses kritische Durchdenken der Theologie  C Problematik gehört zum Glauben dazu. Deswegen kommt das Hiop-Buch in die Sammlung der Heiligen  Schriften. Ein noch unheimlicherer Gast ist der Prediger  Salomo. Der ist sozusagen die Krise der Krise. Dieser Kohelet, der Prediger, wir datieren  ihn so um 250 v. Chr., der ist davon überzeugt, es ist alles eitel und haschen nach Wind.  Warum kommt er zu so einer negativen Einschätzung des Lebens? Es ist alles vergeblich. Vanitas
vanitatum, die Eitelkeit der Eitelkeiten. Warum? Seine Sicht ist so, Gott hat zwar alles schön  gemacht zu seiner Zeit, alles hat seine Zeit. Nur leider wissen wir die Zeit nicht. Wir  Menschen bemühen uns, aber wir verfehlen dauernd die Zeit. Der Prediger lehrt, dass  wir dann reden, wenn wir schweigen sollten. Und wenn wir schweigen, dann sollten wir reden.  Wenn wir schweigen, dann sollten wir reden. Und wenn wir reden, dann sollten wir besser  schweigen. Wir hauen dauernd daneben. Wir verfehlen die eigentliche Ordnung Gottes.  Aber das ist das Problem. Die Ordnung Gottes, die uns zugedachte Zeit, die erkennen wir
nicht. Das ist im Grunde eine Kritik der Vernunft. Also das ist so ein Protokant. Kohelet, das,  was menschliche Vernunft zu leisten vermag, sie kann so viel, ist letztlich doch nicht  ausreichend. Unsere Vernunft ist doch begrenzt und wir scheitern bei dem Versuch, den Willen  Gottes zu deschauen. Deswegen ist der Prediger Salomo sehr demütig. Manche sagen, er ist  Atheist. Manche sagen, er ist Zyniker. Das glaube ich nicht. Ich glaube, er ist Realist.  Wie oft wir im Leben scheitern, wie oft wir bei dem Versuch, Gottes Willen zu tun, daneben  greifen, das macht der Prediger uns sehr bewusst. Und trotzdem verzweifelt dieser Mann nicht,  sondern sein Motto, carpe diem, nutze den Tag oder anders formuliert, das, was Gott
dir schenkt, das nimm dankbar an. Wenn Gott dir es schenkt, dass du eine Frau findest,  die zu dir passt, dann nimm das dankbar an. Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst.  Wenn Gottes dir schenkt, dass du eine Salbe hast, heute würden wir sagen Wettgelb und  entsprechende Haare, dann genieße das. Lass es an Salbe nicht mangeln. Also als ich zum  ersten Mal konfirmiert habe, hatte ich auch so das Gefühl, die haben es an Salbe nicht  mangeln lassen. Da musste ich mir anschließend die Hände waschen. Und wenn du Wein hast,  dann genieße das. Das ist eine Gabe Gottes. Das ist die Gabe Gottes in all der Mühe,
mit der du dich mühst unter der Sonne. Goyelet ist nicht einfach nur ein Genussmensch, einer,  der sagt, lass uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot, sondern er weiß, das,  was wir haben, ist Gnade Gottes. Und das sollten wir genießen, das sollten wir auch dankbar  auskaufen, wo wir uns doch so oft verfehlen. Also ich finde diese beiden Bücher in der  Krise der Weisheit ganz erstaunlich. Es ist schon etwas Besonderes, dass der altis-dermännliche  Kanon das gewertschätzt hat als heilige Schrift. Das tut weh. Also glauben Sie mir, wenn Sie  sich mit diesen Büchern auseinandersetzen, da leiden Sie geradezu körperlich. Diese Gedanken  nachzudenken, das ist keine Freude des Evangeliums, aber eine Vorbereitung für das Evangelium.  Gehen wir noch ein Stück weiter. Im Alten Testament gibt es noch Literatur, die wir
noch nicht berührt haben, das hohe Lied der Liebe. Damit kommen wir auch in eine sehr  späte Zeit. Das gehört in die Liebesliteratur, die Liebeslieder-Literatur und da steigert  sich auch wieder die Frage ins fast unlösbare, warum ist das Teil der Bibel? Wenn Sie das  nüchtern lesen, sind das Lieder, die davon singen, dass ein Mann total begeistert ist  von der Schönheit einer Frau und dass eine Frau total begeistert ist, wie gut ihr Mann  gebaut ist. Lesen Sie mal so die sogenannten Beschreibungslieder, wie so der Blick von  oben nach unten geht. Da ist von der Schönheit der Haare, der Zähne, der Brüste, der Palje,  der Schenkel, die Rede auf beiden Seiten. Sowohl die Mannperspektive als auch die Frauperspektive
wird gründlich ausgefeiltet. Was macht das im Kanon? Es gibt Ausleger, die sagen, das  sind Lieder aus dem Rotlichtmilieu. Und Rabbi Akiba sagt, wer das hohe Lied in der Kneipe  singt, der wird nicht Anteil haben an dem kommenden Reich Gottes. Also offenbar wurden  die da auch gesungen, sonst hätte der Rabbi es ja nicht verboten. Das sind sehr erotische  Lieder. Was haben die mit der biblischen Tradition zu tun? Meine Antwort darauf ist differenziert.  Also ich glaube zum einen, dass der weise Mensch wissen sollte, dass Liebe und Erotik  zum Leben gehören. Wer das verneugnet und denkt, das spielt keine Rolle und das hat  mit Gott nichts zu tun, der verkennt sowohl Gott als auch das Leben. Liebe, Zärtlichkeit,
Erotik sind wichtig. Und das sagt das alte Testament, indem es das hohe Lied in den Kanon  aufnimmt. Aber Liebe und Erotik sind eben nicht platt. Da geht es nicht nur um guten  Sex, da geht es auch darum, dass man im Erleben von Erotik Gott erfahren kann. Gott ist die  Liebe und wenn der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Und zwar jetzt nicht  mit Agapan, also dem klißischen Wort für platonische Liebe, sondern mit Erotan. Im  alten Testament haben wir die Überzeugung im Buch des hohen Lieds der Liebe, dass man  in der Liebe die Menschen füreinander empfinden, etwas vom Wesen Gottes begreift. Und in der  Auslegung dieses Liedes wird das gerne so interpretiert, dass die Frau Israel ist und
der Mann Gott. Es geht um die Liebe zwischen Gott und seinem Volk. Oder in der christlichen  Auslegung, die Frau ist die Seele und der Mann ist Jesus Christus. Christus liebt die  Seele und die Liebe liebt Christus. Also die sogenannte allegorische Interpretation. Das  war in der Forschung sehr verpönt und eigentlich unmöglich, aber ich glaube da steckt schon  ein Stück Wahrheit drin. Auch ein Stück Wahrheit über die Erotik. Erotik ist eben  nicht nur platt, sondern sie hat, richtig gesehen, Tiefgang. Bringt in Beziehung zu  Gott. Noch ein letzter Punkt. Ein Weg zu Gott besteht auch darin, dass ich von anderen  ihre Religion lerne. Das klingt jetzt sehr verblüffend, weil im Alten Testament offiziell
die anderen sehr kritisch gesehen werden. Die anderen sind die Fremden und die haben  fremde Götter, die haben andere Götter und die wollen wir gar nicht kennenlernen. Aber  wenn man genauer hinschaut, dann sieht man in wie hohem Maße das Alte Testament auch  die Frömmigkeit der anderen rezipiert hat. Wir finden zum Beispiel im Buch Hiob. Hiob  ist kein Israelit, Hiob kommt aus dem Lande Utz, das liegt im Osten. Also heute würde  man sagen, der kommt aus Jordanien oder Syrien und der ist der Held des Hiob Buches. Es gibt  dem Alten Testament eine merkwürdige Öffnung darauf hin, dass Gott auch anderen Menschen  sich offenbart. Dieses Bewusstsein, dass in der Offenbarung Gott auch merkwürdige
Wege geht, steht am Schluss der hebräischen Bibel. Wenn Sie die letzten Worte der Bibel  der Hebraiker, die ist ein bisschen anders angehaut als die Lutherbibel, lesen, da spricht  der Perser König Kyrus, der König von Persien und der ist im Grunde ein frommer Jude geworden.  Der König von Persien, also der hat Ahura Mazda, der war wahrscheinlich Zoroastria historisch,  der sagt, der Gott des Himmels, Jave, hat mir alle Gewalt auf Erden gegeben. Darum rufe  ich alle im Volk Gottes auf, zieht nach Jerusalem, baut eurem Gott einen Tempel. Wie kann das  sein? Der persische König. Also es wäre so, wie wenn Putin plötzlich aufsteht und sagt,  Jesus Christus hat mir alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben. Darum geht hin nach
Jerusalem und baut dort einen Tempel. Einer der mächtigsten Herrscher seiner Zeit spricht  ein Bekenntnis zu Gott. Ich finde das total faszinierend und das begeistert mich irgendwo  auch, dass das alte Testament weiß, auch die anderen Völker haben Gottes Erkenntnis.  Auch die anderen leben nicht gottlos, sondern sie sind auch Teil im Geschichtsplan Gottes,  auch Gott hat mit anderen Menschen einen Plan, nicht nur mit dem vermeintlich so sicheren  Volk Gottes. Damit sind wir im späten alten Testament an Aussagen, die das alte Testament  öffnen. Und wenn wir in der zweiten Vorlesung darüber nachdenken, was bedeutet das alte  Testament für den christlichen Glauben, finde ich solche Textstellen außerordentlich wichtig.  Das alte Testament öffnet sich von sich aus für die Völker. Mein Haus soll ein Bethaus
sein für alle Völker. Mein Haus in Jerusalem, das Haus wo Jabe verehrt wird, ist da auch  für Menschen von außerhalb Israels. Also das alte Testament weiß in vielen Textpassagen  auch um die Frömmigkeit von Nicht-Israeliten. Das ist unsere Chance. Ich darf abschließen  und zusammenfassen. Ich habe ihnen versucht zu zeigen, dass wir im alten Testament eine  Geschichte von fast 1000 Jahren Literatur haben. Das meiste was im alten Testament geschrieben  wird, ist von anonymen Autoren. Wir wissen nicht wie sie heißen. Auch wenn da drüber  steht 5 Bücher Mose, das meiste ist nicht von Mose. Wir haben im alten Testament anonyme  Traditionsliteratur vor uns, die das Wachsen des Glaubens dokumentiert. Der Glaube war
nicht am Anfang so wie am Ende. Das was wir aus den ältesten Texten erfahren, das ist  sehr konzentriert auf Staat, auf Tempel, auf diese Welt. Das was wir in den jüngeren Texten  erfahren, das hat auch die Dimension der persönlichen Frömmigkeit, die Dimension des ewigen Lebens,  die Hoffnung auf einen neuen Himmel und auf eine neue Erde. Es ist sehr weit und offen  für die Erfahrungen der anderen. Es integriert auch die Kraft des philosophischen Nachdenkens,  die Kraft der Erotik, die Kraft des Gebets als Wege zu Gott. Also dieser alttestamentliche  Kanon, dieses alte Testament, das über 1000 Jahre entstanden ist, hat einen faszinierenden  Reichtum an Perspektiven. Die Theologie des alten Testaments betreibt, wird in verschiedene
Bereiche unseres Lebens geschickt, in die Geschichte, in die Feste und Feiern, in den  Kult, in das Recht, in die Ethik, in die prophetischen Erfahrungen, in die weisheitliche Reflexion,  in das Gebetsleben, in das Liebesleben, in die internationale Begegnung mit der Frömmlichkeit  anderer Menschen. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, dass wir im alten Testament sehr viel haben,  was unseren Glauben reich macht und fördert.
Die Entstehung des Alten Testaments | 4.2.1
Das Alte Testament ist verschrien als schwere Kost, als undurchdringlich, langweilig, scheinbar unkonsumierbar. So oder ähnlich dachte anfangs auch Manfred Oeming. Erstaunlich, denn er ist nichts anderes als ein Theologe mit dem Schwerpunkt Altes Testament. Ihn, den früheren Skeptiker, hat das Alte Testament gepackt und nicht mehr losgelassen. Wie konnte es dazu kommen? Woher hat die heilige Schrift zweier Weltreligionen diese Kraft? Vielleicht, weil es an die Anfänge von allem geht, ans grundsätzlich Menschliche, an die Grundzüge menschlicher Existenz, an den Anfang, ans Eingemachte. Zum Elementaren reist Manfred Oeming mit seinen Zuhörern, bereist 1.000 Jahre Literaturgeschichte in eineinhalb Stunden. Eine Reise, die für die, die sich aufmachen, kaum folgenlos bleiben dürfte.