Das selbe, aber besser und noch mehr. Die Bücher der Chronik. Was ist die Chronik? Wie kommt jemand darauf, eine an sich bekannte Geschichte noch einmal zu erzählen und dann auch noch an bedeutsamen Stellen anders, zum Teil ganz anders? Die Leute, die die Bücher der Chronik verfassten, wollten das, was man schon kannte, neu und besser erzählen und darüber hinaus noch viel mehr dem Publikum mitteilen. Wer diese Personen waren, bleibt im Dunkeln. Sehr wahrscheinlich waren es Männer, frauenspezifische Perspektiven fehlen. Die Forschung spricht etwas vereinfachend vom Chronisten. Dieser
Autor, wahrscheinlich waren es aber mehrere, sagt nichts direkt über sich selbst. Daher werde ich im Folgenden einfach vom Text selbst sprechen, die Chronik. Die Chronik erzählt in einer eigentümlichen und eigenständigen Weise die Ursprungsgeschichte des Volkes Israel neu von der Schöpfung, denn 1 Chronik 1.1 beginnt mit Adam, also vom Ur-Anfang bis zum Neuanfang, nämlich dem Auftrag zur Heimkehr aus dem babylonischen Exil im sechsten Jahrhundert vor Christus. Wir finden darin folgende Schwerpunkte. Eine sehr komprimierte Vorgeschichte in Form von Genealogien der Stämme Israels, die großen Taten der Könige David und Salomo, vor allem die Gründung und den Bau des Jerusalemer
Tempels, Taten und Ergehen der folgenden Könige des Südreiches Judah und immer wieder das Suchen und Fragen nach Gott, das leider allzu oft unterlassen wird. Alles, was hier erzählt wird, ist auf ein Ziel, auf einen Zweck hin ausgerichtet. Es geht um die theologische Unterweisung der Lesenden und Hörenden. Die Chronik ist Katechese in Erzählung. Wen die Chronik damit ansprechen, will, bleibt auch offen. Man könnte sagen, jede und jeden, die und der es hören will. Insofern spricht die Chronik auch heute. Doch bevor wir das vertiefen, brauchen wir noch mehr Sachinformation.
Die Namen der Chronik. Als Name des Buches im Hebräischen kann man die häufig mit Chronik übersetzte Wendung Devrehayamim ansehen, die Begebenheiten der Tage. In der hebräischen Textüberlieferung war die Chronik zunächst ein Buch. Erst mit den Handschriften der griechischen Übersetzung, der Septuaginta, erfolgte die Teilung in zwei Bücher ungefähr in der Mitte. Und diese Teilung wird dann auch später für den hebräischen Text übernommen. Die Septuaginta, also die griechische Bibel, spricht dabei von Paraleipomenon 1 und 2, also Übergangenes oder Nachgetragenes. Leider hat dieser leicht abwertende Name, also die Sicht der Chronik als Nachtrag, zu einer unberechtigten Geringschätzung im Laufe der Zeit geführt. Hieronymus dagegen, der Übersetzer der
hebräischen Bibel ins Lateinische, transkribiert zunächst das hebräische Devrehayamim zu Dabreiamim und übersetzt es wörtlich mit verba dierum, also Worte der Tage. Und dann erläutert er dieses Fremdwort mit chronicon totius divine historie, die Zeit der ganzen göttlichen Geschichte. Von dieser Wendung des Hieronymus hat Martin Luther die deutsche Bezeichnung Chronik eingeführt. Chronik, Devrehayamim, die Begebenheiten der Tage. Es geht also um Zeitereignisse, aber nicht nur um das bloße Geschehen, sondern um dessen Bedeutung und Deutung. Dabei erfolgt
die Deutung einerseits durch längere Reden oder Gebete von Hauptfiguren, die den Geschehnissen eine theologische Tiefe abgewinnen. Andererseits bestehen Deutung und Unterweisung darin, dass bekannte Dinge weggelassen, neue Aspekte hinzugefügt, manches umgestellt und aus anderer Perspektive erzählt wird. Beim Lesen findet man das allmählich heraus. Man vergleicht nämlich das Gelesene mit dem, was man aus anderen Schriften schon kennt und wird so subtil zu eigenen Schlussfolgerungen ermutigt. Das ist die Chronik, erzählende Kateschese, die zum eigenen Nachdenken drängt und notwendige Konsequenzen für das eigene Handeln nahelegt. Mindestens ihre ersten Leserinnen und Leser damals, aber auch wir heute, sollen schlussfolgern. Ja, wenn das so ist,
dann muss ich doch auch so und so handeln. Vor allem Gott suchen und auf seine Weisung, die Thora, hören. Die Chronik erzählt also mit einer bestimmten Zielsetzung, aber sie formuliert beileibe nicht alles neu, sondern sie schreibt auf viel einfach ab oder fasst es zusammen. Diese drei Arbeitsweisen, abschreiben, zusammenfassen, neu schreiben, im Umgang mit der Vorlage kann man grob unterscheiden. Die Vorlage ist dabei wieder ein Sammelbegriff der Forschung für all das, was die Chronik als bekannt voraussetzt. Und dazu gehören maßgeblich die Samuel- und die Königbücher, die von den Königen Saul, David, Salomo und den vielen Königen vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.
erzählen. So dann sind das Buch Genesis, das Buch Esra Nehemia, eine Einheit im hebräischen Text, und die Psalmen, zu nennen ferner die Bücher Leviticus und Numeri, sowie einige weitere Bücher der hebräischen Bibel. Zu jedem Abschnitt der Chronik kann man so eine Vorlage finden und vergleichen. Und dann fragt die Forschung nach, erstens, was hat die Chronik wörtlich abgeschrieben? Zweitens, was hat sie zusammengefasst, umgestellt, geändert, gekürzt, weggelassen? Und drittens, was hat sie neu hinzugefügt? Dabei ist noch zu beachten, dass die Hauptvorlage der Chronik, die Bücher Samuel und Könige, nicht vollständig mit der heutigen, der sogenannten masoretischen
Textüberlieferung übereinstimmt. Nicht jede Abweichung von der Samuel-Könige-Vorlage geht also auf eine bewusste Textänderung zurück. An manchen Stellen zeigt sich, dass die Chronik einfach ihre Vorlage abgeschrieben hat, weil ihr Text, den sie vor sich hatte, auch derjenigen hebräischen Fassung des Samuel-Buches entspricht, die in einem Fragment im Kumran gefunden wurde. Dieses Fragment nennt man 4Q Samuel A. Das ist an sich ein Stück aus dem Buch Samuel, aber es weicht leicht von dem Text ab, wie er uns heute als Standarttext in unseren Bibelausgaben, hebräischen Bibel, vorlie. Und diese Fassung, die man da im Kumran gefunden hat, war möglicherweise auch sehr ähnlich zu der Fassung, die die Übersetzer ins Griechische benutzt haben, also die Vorlage der
Septuaginta. Und das sind also ganz, ja nicht ganz unterschiedliche, sondern leicht unterschiedliche Typen und Varianten des hebräischen Textes, die dem Übersetzer der Septuaginta vorlagen, die der Chronik vorlagen und die dann später von den Masoretten, den Überlieferern in der Spätantike und im frühen Mittelalter, in die hebräischen Handschriften gegossen wurden. Also da ist nicht alles gleich, da gibt es keinen Standarttext, sondern mehrere verschiedene Texttypen. Es muss also jeder einzelne Abschnitt hinsichtlich der Überlieferungslage geprüft werden, aber glücklicherweise halten sich die Abweichungen in Grenzen. Es gibt aber ein paar spannende Stellen. Diese Überlegungen sollen klarstellen, was gemeint ist, wenn im Folgenden von der Chronik und der Vorlage gesprochen wird. Zu fragen wäre noch, ob das, was die Chronik an neuem zur Vorlage hinzufügt,
von außerbiblischen, heute nicht mehr erhaltenen Quellen stammt. Grundsätzlich ist das Denken aber mangels Daten nicht beweisbar. Allerdings zeigen sich gerade in diesem Sondergut, da zeigt sich, dass die Chronik hier einen ganz typischen Stil an den Tag legt. Man kann das auch Eigenformulierungen nennen und damit spricht in den meisten Fällen viel dafür, dass die Chronik nur so tut, als würde sie eine Vorlage übernehmen. An den Stellen, wo es vorhandene Quellen gibt, bekommt die Leserschaft den Eindruck vermittelt, die Chronik würde die Geschichte treu und verlässlich überliefern. Diese Erwartung der Leserinnen und Leser benutzt die Chronik, um etwas, das sie frei erfindet, ebenfalls mit Autorität und Verlässlichkeit zu versehen. Und dann verweist die Chronik eben auf
Vorlagen, die wir nicht haben. Das macht die Chronik aber nicht aus Lust am Geschichte-Erfinden, sondern um einen bestimmten theologischen Punkt, eine katechetische Botschaft über das Volk, den Tempel, über Gott und das Handeln jedes einzelnen Menschen zu vermitteln. Aber statt zu sagen, so ist Gott und so musst du handeln, erzählt die Chronik eben eine Geschichte. Wie das geht, ist relativ leicht zu durchschauen, denn das Strickmuster ist recht einfach und wiederholt sich immer wieder. Zunächst aber schauen wir uns den Aufbau der Chronik näher an. Zum Aufbau der Chronik. Der ist naheliegenderweise chronologisch, wobei jedoch die Zeiträume nicht proportional wiedergegeben werden. Viele Jahrhunderte und Jahrzehnte werden extrem gerafft, manches wird dann ganz ausführlich und detailliert und angereichert erzählt. Vier große Blöcke
lassen sich abgrenzen. Block 1, 1 Chronik 1 bis 10, die ersten zehn Kapitel des ersten Buches der Chronik erzählen die Geschichte von der Schöpfung bis zu den zwölf Stämmen Israels, allermeist in Form von Namenslisten. Diese Abstammungslisten werden Genealogien genannt und die Forschung spricht seit Johann Wilhelm Rothstein 1927 auch von der genealogischen Vorhalle. 1 Chronik 1 bis 10. Block 2, 1 Chronik 11 bis 29, der größere Teil des ersten Chronikbuches erzählt die Geschichte von König David, seine militärischen Erfolge und die Namen seiner Helden, die Übertragung der Bundeslade nach Jerusalem, vor allem aber seine Pläne zum Tempelbau und
die Einrichtung des Kultes. 1 Chronik 11 bis 29. Block 3, 2 Chronik 1 bis 9, die ersten neun Kapitel des zweiten Chronikbuches erzählen die Geschichte von König Salom. Der klare Schwerpunkt darin ist der Bau des Tempels in Jerusalem. Die Chronik denkt darüber nach, was die Aufgabe und das Ziel des Tempels sind und was sich die Menschen davon erhoffen dürfen. Ihre theologische und katechidische Deutung verpackt sie in ein Gebet, das König Salomo in den Mund gelegt wird und in eine als Antwort Gottes deklarierte Rede. Kurz gesagt, wenn sich die Menschen falsch verhalten haben und in Not geraten, sollen sie sich reuevoll an den Tempel wenden und zu Gott umkehren.
Dann wird Gott Vergebung gewähren und Abhilfe für die Not schaffen. 2 Chronik 1 bis 9. Und schließlich Block 4, 2 Chronik 10 bis 36. Der größere Teil des zweiten Chronikbuches erzählt die Geschichte der Könige von Judah. Das Königtum im Nordreich Israel, Ab-Jerobeam, dem Ersten, wird als Abspaltung dargestellt und im Folgenden konsequent von der Chronik ignoriert. Es wird also nur vom Südreich erzählt und Südreichskönigen von Rehabiam und so weiter bis runter bis Zitkia. Ja, König Zitkia, mit dem endet das irdische Königtum der Nachfahren Davids. Und die letzten Verse erwähnen knapp die Zerstörung des Tempels und die Deportation der Bevölkerung Judas und Jerusalems nach Babylon in 2 Chronik 36, 17 bis 21 sowie den Neuanfang mit
der Erlaubnis des Perserkönigs Küros zum Tempelbau und zur Rückkehr nach Jerusalem. 2 Chronik 36, 22 bis 23. Diese durch die Personen vorgegebene Gliederung ist klar und logisch. Einzig die Zuweisung von König Saul in 1 Chronik 10 ist umstritten. Müsste man ihn, den ersten König Israels, nicht zur Geschichte der Könige hinzurechnen und aus der genealogischen Vorhalle herausnehmen. Doch 1 Chronik 9, 35 bis 44 liefert mit der Genealogie Sauls, also Genealogie ist der erste Teil, 1 bis 9 oder 10 liefert mit der Genealogie Sauls den Vorspann zu dem Erzählfragment über Saul in 1 Chronik 10, 1 bis 12. Und dieses Erzählfragment wird eben aus der Vorlage 1 Samuel 31, 1 bis 13
übernommen. Aber in diesem Fragment wird nicht die Geschichte Sauls erzählt, sondern nur dessen unrühmliches Ende. Dieses Ende wird damit begründet, dass Saul untreu war, gegenüber Gott und Liebe einen Totengeist statt Gott selbst befragt habe. Das ist eine Anspielung auf die Geschichte, die in 1 Samuel 28 erzählt wird und auf entsprechende Verbote in der Torah. All das ist kein Anfang, sondern ein Ende. Und das gibt der Chronik die Gelegenheit, den Übergang in ihrem Sinne zu formulieren. Erstens ist nämlich Gott der eigentliche und wahre König Israels, immer schon und durch die ganze Geschichte hindurch. Und zweitens gibt Gott das Königtum an David, weil erst David Gottes Weisung in rechter Weise befolgt. Und so erscheint in der Chronik David ab 1 Chronik 11 faktisch als
der erste richtige König über ganz Israel, wie die Chronik ihre Idealvorstellung des Volkes nennt. Ganz Israel. Die Verse 1 Chronik 11, 1 bis 3, also der Anfang der Davidsgeschichte und 1 Chronik 29, 26 bis 28 bilden damit einen Rahmen um die Davidsgeschichte. In 1 Chronik 11, 1 bis 2 heißt es, nach der Zürcher Bibel, und ganz Israel versammelte sich bei David in Hebron und sagte, sieh, von deinem Fleisch und Blut sind wir. Schon damals, als Saul König war über uns, warst du es, der Israel hinausgeführt und wieder zurückgeführt hat. Und der Herr, dein Gott, hat zu dir gesagt, du sollst mein Volk Israel weiden und du sollst Fürst sein über mein Volk Israel.
Und am Ende in 1 Chronik 29, 26 rundet die Geschichte Davids ab. So war David, der Sohn des Isaih, König über ganz Israel. Und dieser Rahmen legt es eben nahe, das Ende von König Saul in 1 Chronik 10 noch zur Vorhalle zu rechnen und die eigentliche Königsgeschichte in der Sicht der Chronik wohlgemerkt mit David in 1 Chronik 11 beginnen zu lassen. Diese Geschichte ist dann wiederum vom Volk Israel gerahmt. Und ganz Israel versammelte sich, so heißt es am Anfang in 1 Chronik 11, Vers 1. Und ganz am Ende der Chronik, in 2 Chronik 36, 23 wird jeder unter euch, der zu seinem ganzen Volk gehört, aufgefordert, nach Jerusalem hinaufzuziehen. Soweit zum Aufbau der
Chronik und nun zum Inhalt etwas genaueres. Block 1, die genealogische Vorhalle 1 Chronik 1 bis 10. Die ersten vier Verse der Chronik verraten viel über ihre Vorgehensweise und die Voraussetzungen, die sie von ihrer Leserschaft einfordert. Adam, Sheth, Enosh, Kenan, Mahalalel, Jereth, Henoch, Metuschelach, Lamech, Noah, Semham und Japheth. So beginnt die Chronik. Mit dieser Liste von Namen kann man nur etwas anfangen, wenn man die ersten neun Kapitel des Buches Genesis halbwegs kennt. Nur dann weiß man, dass Adam der erste von Gott geschaffene Mensch ist und dass Semham und Japheth nicht Vater, Sohn und Enkel, sondern drei Brüder und die Söhne Noachs sind.
Die Chronik rechnet also mit einer Leserschaft, die hier die Geschichten aus dem Buch Genesis einspielt. Die Leserschaft kennt also Witz und Pointe schon, wenn man nur ein Stichwort und hier den entsprechenden Namen nennt. Mit diesem Mittel der Genealogie, also der Abstammungsliste und dann auch noch mit dem Mittel der Geographie, also mit den Siedlungsgebieten, sowie weiteren kurz eingestreuten und episodenhaften Notizen rafft die Chronik den biblischen Geschichtsverlauf vor König David und ruft ihn bei ihrer Leserschaft ins Gedächtnis. Die Vor- und Gründungsgeschichte Israels wird in 1 Chronik 1 bis 10 in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit, nein nicht erzählt, sondern eher aufgerufen durch Namen, Listen, Stichwort. Kapitel 1 erstreckt sich von
Adam bis zu den Söhnen Jakobs, der auch Israel heißt und dann folgen als erster großes Schwerpunkt in Nachkommen Judas, also des Jakobssohnes Judas in 1 Chronik 2 bis 4 mit der Genealogie Davids als Nachfahre Judas im Zentrum in 1 Chronik 3. Bei den übrigen Stämmen Israels in 1 Chronik 5 bis 7 steht dann am umfangreichsten die Nachkommenschaft Levis und seines Nachfahren Aaron im Zentrum in 1 Chronik 6. Und damit sind die beiden großen Institutionen genealogisch verankert. Das Königtum über David und Judas, das Priestertum über Aaron und Levi. Königtum, Priestertum. Kapitel 8 bereitet dann mit Benjamin auf Saul vor und Kapitel 9 schwenkt in die Zeit Davids und nennt die Einwohner Jerusalems aus den Stämmen Judas und Benjamin, Ephraim und Manasseh, sowie die Priester und
Lewiten aus dem Stamm Levi. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwähren, dass die Chronik in diesen Übergangskapitel, also von der genealogischen Vorhalle zur Davidsgeschichte, da möchte die Chronik noch ganz viele Namen unterbringen. Also die dahinter stehenden Familien ihrer eigenen Zeit als dazugehörig integrieren. Man könnte sich vorstellen, dass die Chronik nicht nur laut vorgelesen wurde, sondern auch in einer Art Wandzeitung zugänglich war. Und da können dann die Zeitgenossen derjenigen, die die Chronik verfasst haben, auf einzelne Namen deuten und sagen hier ist unser Vorfall, wir gehören auch dazu. Daher diese vielen Namen. Wie bei großen Stammbäumen oder Namen auf Grabsteinen eines Friedhofs erwecken die bloßen Namen vor dem geistigen Auge der betrachtenden ganze Geschichten zum Leben. Und zugleich werden so die wichtigsten
Institutionen der nachherxilischen Zeit, Tempel, Priester, Lewiten, der Kult tief in der Geschichte Israels verwurzelt. Und David ist die Schlüsselfigur dazu. Der zweite große Block 1 Chronik 11 bis 29, die Geschichte Davids und die Tempelgründung. König David und die Tempelgründung sind das heimliche Zentrum der Chronik. Davids Erfolge, seine Intronisation und die Eroberung Jerusalem sind 1 Chronik 11 bis 12 sind die Voraussetzungen für eine komplexe und gestufte Hinführung bis kurz vor dem eigentlichen Bau des Tempels. Der Tempel ist der von Gott ausgewählte Art der Gegenwart und Nähe Gottes, die Gott selbst verspricht. Dazu muss zunächst die Bundeslade als Zeichen der
Präsenz des unsichtbaren Gottes nach Jerusalem überführt werden. 1 Chronik 13 bis 16. Und diese Überführung gelingt nach einem tödlichen Zwischenfall erst, nachdem David über die Priester und Lewiten, die als Ladeträger vorgesehen sind, Gott befragt hat. David selbst sagt, denn da ihr es, nämlich Gott zu befragen, beim ersten Mal nicht getan habt, hat der Herr unser Gott einen Riss in unsere Reihen gemacht, weil wir ihn nicht der Vorschrift entsprechend befragt haben. Das stellt David fest und leitet uns als Hörende schon dazu an, was wichtig ist, Gott befragen. Auch David kann nicht mit Gottes Präsenz nach Belieben umspringen. Erst nach entsprechenden Vorkehrungen und Hinwendungen
zu Gott kann die Lade in Jerusalem aufgestellt werden. Diese Hinwendungen zu Gott werden eben mit befragen ausgedrückt. Das ist das hebräische Darash, auch suchen wird das übersetzt. Und diese Aufstellung der Lade in Jerusalem legitimiert wiederum Davids Königtum und lässt sein Verhalten als vorbildlich erscheinen. So dann folgt der Entschluss zum Bau des Tempels mit entsprechenden Vorbereitungen in 1 Chronik 17 bis 22. Unter anderem wird in einer dramatischen Geschichte der Platz für den Tempel bestimmt, in 1 Chronik 21, und diese Geschichte übernimmt die Chronik aus der Vorlage in 2 Samuel 24 und reichert sie durch bemerkenswerte Veränderungen und Hinzufügungen an. Die Kapitel 1 Chronik 23 bis 29 können dann als Testament des alt gewordenen Königs David
gelesen werden. Die Übergabe des Königtums an Salomo wird vorbereitet, die Dienstämter der Leviten und Priester werden minutiös eingeteilt, Davids Verwaltungsfachleute und Militärführer werden aufgelistet. Wieder hat man den Eindruck, dass die Chronik hier viele Namen ihrer Zeitgenossen bzw. von deren Vorfahren unterbringen möchte. Die dynastische Nachfolge des Davids Sohnes Salomo auf dem Thron erfolgt dann glatt und in völligem Einvernehmen mit Gott. Die Chronik lässt hier sämtliche Kerelen, Skandale und Mordgeschichten aus den Thronfolgerzählungen von 2 Samuel 9 bis 1 Könige 2 ersatzlos weg. Die Chronik weiß, dass ihre Leserschaft darum weiß. Und es geht ihr auch
nicht darum, etwas zu verschweigen oder unter den Teppich zu kehren. Das ist, glaube ich, für die Chronik ganz selbstverständlich, dass man weiß, dass es da nicht so glatt gegangen ist. Aber das stellt sie nicht dar, weil die Chronik möchte nämlich die Aufmerksamkeit auf das wirklich Wichtige lenken. Und das besteht in ihren Augen darin, dass David alles Menschenmögliche für den Bau des Tempels und die Einrichtung des Gottesdienstes unternommen hat und sein Sohn Salomo in nahtloser und geistig-geistlicher Nachfolge den Bau durchgeführt hat und erfolgreich die Verbindung mit Gott hergestellt hat. Das ist der Punkt, den die Chronik machen möchte. Alles andere versinkt dem Gegenüber nach der Chronik in Bedeutungslosigkeit. Wer will, so die Chronik, möge das alles nachlesen. Man kann sich aber auch mit dem begnügen, was von ihr dargestellt wurde. Und allein darauf kommt es
nämlich an, so die Chronik. Insofern arbeitet die Chronik aus dem ihr vorliegenden Material das heraus, was ihre Verfasser als theologischen Kern ansahen, nämlich die im Tempel manifestierte Beziehung Israels zu Gott und die Erwartungen Gottes an sein Volk Israel. Das war für die erste Leserschaft der Chronik einerseits ein Trost. Gott ist bei uns in unserem Tempel und in seiner Weisung, in der Thora. Andererseits war das auch ein ethischer Anspruch, nämlich als Antwort auf Gottes Gegenwart die Weisung, Gottes Weisung, die Thora im Alltag umzusetzen. Also Trost und Ansprung. Diesen Kern durch eine Erzählung, durch ein Narrativ zu legitimieren und zu stärken, das scheint die Hauptaufgabe der Chronik zu sein. Dritter großer Block, die Geschichte Salomos und
des Tempelbaus, 2 Chronik 1 bis 9. Schon bei David, aber vor allem dann bei Salomo, greift ein zentrales Konzept der Chronik, das sich dann auch bei den späteren Königen wiederfindet. Wer Gott sucht und Gottes Weisung, die Thora befolgt, der hat Erfolg. Wer sich aber nicht nach Gott richtet, sondern eigene Ideen verfolgt, endet in Misserfolg und Untergang. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Tun und dem daraus folgenden Ergehen. Salomo ist das Musterbeispiel dafür im positiven Sinne. Sein Einsatz für den Kult und den Tempel, insbesondere dessen Bau und Ausgestaltung, führt zu Weisheit, Reichtum, militärischem Erfolg und prächtigen Bauten. Ihre
Vorlage spitzt die Chronik so zu, dass Salomos Hauptinteresse der Bau des Tempels ist und alles andere dem gegenüber zurücktritt. Die spätere Kritik der Vorlage an Salomos zahlreichen fremden Frauen und seiner üppigen Hofhaltung ignoriert die Chronik. An Salomos weiße West lässt die Chronik kein Stäubchen dringen und das nicht aus Interesse an Salomo, sondern am Tempel. Wenn schon sein Erbauer über jeden Zweifel erhaben ist, wie sehr ist dann der Tempel selbst ein Ort der reinen Gottesbegegnung und Heiligkeit. Das Gebet Salomos zur Inbetriebnahme des Tempels formuliert dessen nicht zu überschätzende theologische Bedeutung in klaren Worten. Der Tempel ist derart der Gottesbegegnung und des Heiles schlechthin der Himmel auf Erden. Damit stützen die Verfasser
der Chronik, die unter dem Kultpersonal am Tempel zu suchen, sind natürlich auch ihre eigene Position. Sie geben aber auch der Gemeinschaft, die an den Gott Israels glaubt, ein geografisches Zentrum, einen Fixstern, ein Gravitationszentrum. Das stärkt die eigene Identität und gibt den an Gott Israels, an den Gott Israels glaubenden Menschen einen Bezugspunkt. Vor allem auch den Menschen in der Diaspora, die fern von Jerusalem leben, haben so einen Orientierungspunkt ihrer Hoffnung. Dieser Gott Israels, von dem ich jetzt schon mehrfach gesprochen habe, wird übrigens mit diesen geheimnisvollen vier Buchstaben J-H-W-H geschrieben. Der Name wird nicht ausgesprochen, sondern man sagt stattdessen Adonai Elohim oder Hashem der Name. Nach dem Tempelbau klingt die Salomo-Geschichte mit einigen Episoden aus, die seinen Erfolg noch unterstreichen. Unter anderem
kommt die Königin von Saber zu Besuch. Ihr Zeugnis über den König als von Gott eingesetzten Herrscher mit großer Weisheit ist ein ganz entscheidender Beitrag zum Salomo-Bild der Bibel und darüber hinaus. Als Frau und ausländische Herrscherin bestätigt sie aus einer doppelten Außenperspektive die Größe des Tempelerbauers und damit indirekt die Unübertrefflichkeit des Tempels und des darin verehrten Gottes Adonai. Der vierte Block, die Geschichte der Könige Judas, Untergang und Neuanfang, 2 Chronik 10 bis 36. David und Salomo sind die Vorbilder und die Messlatte. An ihnen, an ihrem Tun und Ergehen werden die folgenden Könige gemessen. Zeigten die beiden Idealkönige
in bereinigter Weise, wie sehr der Gehorsam gegenüber Gottes Geboten zum Erfolg führt, so finden sich unter den Königen von Judas etliche Negativbeispiele. Schon in der Vorlage werden die Könige von Judas und von Israel schematisch und stereotyp behandelt und beurteilt. Die Chronik beschränkt die Nachrichten über die Könige von Israel, also im Nordreich, auf das Allernötigste, blendet sie weitestgehend aus und übernimmt ansonsten diese standardisierte Beurteilung der Vorlage, setzt dann aber nochmal andere Akzente und differenziert mitunter die fast durchgehend negative Beurteilung der Könige von Judas in der Vorlage. Also nochmal ganz kurz zusammengefasst, die Vorlage beurteilt bis auf Hiskia und Joschia eigentlich alle Könige von Judas Negativ. Die Chronik übernimmt das, aber an einigen Stellen verändert sie das. Und warum?
Das liegt an ihrem theologischen Schema von Tun und Ergehen als Geschichtsprinzip, das die Chronik mit der Geltung der Thora verbindet. Die Thora wird dabei auf das Grundgebot der alleinigen Verehrung Adonais zugespitzt. Könige, die davon abweichen und die Verehrung anderer Götter zulassen oder gar fördern, werden in folgender Weise verurteilt und bestraft. Ihre Unternehmungen erleiden Schiffbruch und sie gehen militärisch, familiär oder gesundheitlich unter. Dieses System der angemessenen Vergeltung führt zu gewissen logischen Zwängen. König Manasse beispielsweise wird in der Vorlage in 2. Könige 21 als der schlimmste Kult Frevler Judas dargestellt. Er hat für die fremden Götter Altäre gebaut, Totenbeschwörung und Wahrsagerei praktiziert,
sowie ein Standbild der Göttin Asherah im Tempel aufgestellt. Manasse hat die Weisung des Mose, die Thora gänzlich missachtet und andere zu diesen abscheulichen Taten angestiftet. Und so bewertet das 2. Königebuch seine Regentschaft als äußerst negativ. Dieses negative Urteil übernimmt die Chronik zunächst ab. Nun aber hat Manasse 55 Jahre in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts vor Christus regiert. Eine so lange Regierungszeit bedarf nach den Vorstellungen der Chronik eine Erklärung. Wie kann ein König, der sich derart falsch verhält, so lange regieren? Dazu gestaltet die Chronik eine Erzählung von Umkehr, Rettung und anschließendem Erfolg von König Manasse. Diese Geschichte hat keinen Anhaltspunkt in ihrer Vorlage. Man findet das in 2. Chronik 33,
1 bis 20. In ähnlicher Weise werden auch andere Könige gegenüber der Vorlage aufgewertet. Abia in 2. Chronik 13 und Jotham in 2. Chronik 27. Joschaphat in 2. Chronik 17 bis 20 wird noch positiver dargestellt als in die Vorlage darstellt. Und auch Hiskia in 2. Chronik 29 bis 32 und Joschia in 2. Chronik 34 bis 35 behalten ihre positive Wertung und deren Geschichte wird sogar noch ausgeschmückt. So erzählt die Chronik von König Hiskia ein ähnlich festliches Pessachfest, wie es bei König Joschia dargestellt wird. Und bei Joschia findet die Chronik in ihrer Vorlage nur eine kurze Notiz, dass Joschia in Pashia ein Pessach durchgeführt hat. Das baut sie eben
groß aus bei Joschia. Und bei Hiskia hat sie dann das Pessach frei nachgestaltet. Das lässt sich ziemlich gut zeigen, dass die Hiskia-Pessach-Geschichte eine Art Nachgestaltung des Joschia-Pessachs ist bei der Chronik. Und mit solchen literarischen Mitteln verstärkt sie massiv eine Tendenz der Vorlage und fördert so ihre Grundbotschaft in katechetischer Absicht deutlich zutage. Nochmal, wer gut handelt, also Gottes Gebot befolgt, sich für die alleinige Verehrung des einen und einzigen Gottes Adonai in Jerusalem einsetzt und den Tempel fördert, der wird überreich belohnt, unter anderem mit großen festen militärischen Erfolgen mit einer langen Regierungszeit. Viele Könige und alle Nachfolger Joschias versagen in diesem Punkt und finden ein unrühmliches Ende. Am Ende bleibt es auch der Chronik nicht erspart, den Untergang Jerozalems im Jahr 587 v. Chr. zu
berichten. Sie macht es so kurz wie irgend möglich. 2 Chronik 36, 17 bis 21. Aus der dramatischen Erzählung der Vorlage werden nur wenige Notizen übernommen, so nach dem Motto, die Leserschaft kennt das ja schon alles. Und ihre letzten zwei Verse macht die Chronik dann zu einem Manifest. Und im Jahr 1 des Kyros, des Königs von Persien, erweckte der Herr, damit das Wort des Herrn aus dem Mund des Serenier erfülle, den Geist des Kyros, des Königs von Persien. Und diese ließ einen Aufruf durch sein ganzes Königreich ergehen, auch schriftlich. So spricht Kyros, der König von Persien. Alle Königreiche der Erde hat mir der Herr, der Gott des Himmels, gegeben und er selbst
hat mir aufgetragen, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Judah liegt. Wer immer von euch aus seinem Volk ist, der Herr, sein Gott ist mit ihm und er ziehe hinauf. Das Zitat des Edicts des Perserkönigs Kyros wird zu einem grundsätzlichen Aufruf. Und die Erzählung wendet sich nun offen zu dem, wozu die Chronik subtil immer gemahnt hat, nämlich sich Gott zuzuwenden. Insofern erreicht der Schluss hier eine hochtransparente Doppelbötigkeit, die den gesamten Erzählfluss der Chronik schon durchwirkt. Auf der einen Ebene wird die Geschichte auf charakteristische Weise und mit auffälligen Zügen nacherzählt. Aber parallel dazu werden auf einer zweiten Ebene daraus Lehren gezogen und zugleich auffordernde Botschaften vermittelt. Und hier in 2 Chronik 36, 22 bis 23 wird in zwei
Versen am Ende des Exils in Form eines Zitats des Kyros-Edicts erzählt. Also wie ist dieses Exil zu Ende gegangen? Wie sind die dann aus Babylon wieder nach Hause gekommen? Wie haben die den Tempel wieder aufgebaut? Das wird alles mit diesem kurzen Zitat aus dem Kyros-Edict dargestellt. Zugleich aber, und das ist jetzt die zweite Ebene, wird der Segensspruch mit einer pointierten Aufforderung kombiniert zu einem Programm der Identität Israels aus der Sicht der Chronik. Israel ist nämlich das Volk, mit dem Gott ist. Und wer immer sich diesem Volk zugehörig fühlt, ziehe hinauf. Zunächst buchstäblich nach Jerusalem und zum Tempel, der wieder aufgebaut werden soll. Aber dann natürlich auch geistig geistlich gilt es, sich Gott zuzuwenden, Gott zu suchen,
nach ihm zu fragen, was ja immer durch die ganze Chronik hindurch lief. Die Zeit der Könige ist nun vorbei. Nun beginnt die neue Ära, in der Israel in dauerhafter Hinwendung zu Gott leben soll. Das Ziehe hinauf am Ende der Chronik ist ein geistliches Programm, eine Daueraufgabe. Soweit zum Inhalt der Chronik in aller Kürze. Das ist viel Text. Nun zur Entstehungsgeschichte der Chronik und ihrem historischen Kontext. Die literarische Charakteristik der Chronik zeigt, dass dieses Werk nicht nur die Kenntnis älterer biblischer Bücher und Schriften voraussetzt, sondern diese teils wörtlich, teils paraphrasiert verwendet. Hier sind also schon Schriftgelehrte am
Werk, die bereits so etwas wie eine Bibliothek zur Verfügung haben und diese auch nutzen. Mehrfach nennt die Chronik sogar diese oder jene Quelle für die Geschichte der Könige von Judah und Israel. Oder von Propheten geschriebene Geschichtsbücher. Etwa die übrige Geschichte Usias, die frühere und die spätere, schrieb der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz. 2 Chronik 26,22. So eine Quellenangabe. Ihr könnt noch da und da nachlesen. Solche Quellenangaben finden sich schon in der Vorlage und die übernimmt die Chronik dann auch leicht variiert. Aber all diese Bücher, auf die da verwiesen wird, auch das Buch, das angeblich Jesaja, der Sohn des Amoz geschrieben haben soll, all diese Bücher sind nicht erhalten. Es gibt keine Spuren davon. Und insofern kommen auch leichte Zweifel auf, ob es diese Bücher denn wirklich gegeben hat. Möglicherweise sind diese
Verweise auf weitere Literatur ein literarisches Stilmittel. Und damit will die Chronik zeigen, dass sie verlässliches Material bietet, beziehungsweise, dass man bei Bedarf auch noch an anderer Stelle nachlesen könne, um das es noch mehr zu berichten gibt. Für die Entstehungsgeschichte der Chronik selber tragen diese Notizen leider nichts aus. In den meisten Fällen lässt sich zeigen, dass die Chronik nur die bis heute vorliegenden biblischen Bücher, Teile der Thora, vor allem Samuel- und Königbücher, verwendet hat. Was sie zusätzlich bringt, trägt oft deutlich ihren eigenen Stil und ist daher wahrscheinlich frei gestaltet. Je mehr man den Verfassern der Chronik an eigenständiger redaktioneller und gestalterischer Arbeit zutraut, umso weniger Quellen und Schichten muss man annehmen. Es ist auch wahrscheinlicher,
dass nicht ein einzelner genialer Autor das Ganze geschrieben hat. Plausibler ist es, dass eine Art Schule über einen nicht allzu langen Zeitraum den Text geschrieben hat, immer wieder abgeschrieben hat und dabei ergänzt und verändert hat. Allein schon das anfällige Schreibmaterial, das ja nicht so lange haltbar war, machte ein fortwährendes Abschreiben nötig. Und solange der Text nicht kanonisch abgesichert war, konnte er dabei auch verändert werden. Diesen Prozesse einzeln sichtbar zu machen, ist heute nahezu unmöglich. Man kann aber bestimmte Interessen und Tendenzen in dem Text erkennen. Von den dezidiert priesterlichen Interessen in den Erzähltexten der Thora unterscheidet sich der Gesamtbestand dann doch signifikant. Am Tempel werden die von den Priestern dargebrachten Opfer, die in der Thora so eine große Rolle spielen, nur kurz erwähnt. Viel ausführlicher spricht die Chronik über den musikalischen Lobpreis Gottes,
das Bewachen der Tore des Tempels, die Verwaltung der Schatzkammern und die Belehrung des Volkes. Letztere Tätigkeiten waren aber nicht Aufgabe der Priester, sondern der Leviten, die sich als eigenständige Gruppe von Funktionsträgern am Tempel und dessen Umfeld etabliert hat. Daraus kann man schließen, dass das so deutliche theologisch-katechetische Interesse eher auf Autoren und Trägerkreise aus der Gruppe der Leviten hinweist. An vielen Stellen werden die Interessen und Anliegen des levitischen Kultpersonals, also insbesondere der Musiker und der Torwächter sowie der Leviten mit administrativen Leitungsfunktionen, sehr deutlich greift. Es drängt sich der Eindruck auf, dass beim weiteren Abschreiben des Textes diese
Gruppen ihre speziellen Interessen im Geschichtsverlauf verankert wissen wollten. Namen, Dienste, Aufgaben und Kompetenzen konnten so bei David im Uranfang verankert werden. Und auf diese Weise werden in der Gegenwart Ansprüche auf Leitungsfunktionen im Lobrersgottesdienst und in der Verwaltung legitimiert. Etwas einfacher gesagt, zur Zeit der Chronik haben diese Gruppen ihre Interessen so verfolgt, dass in der Chronik stehen sollte, dass sie schon von David eingesetzt wurden. Ob das so war, wissen wir nicht, aber sie haben ihre Ansprüche damit legitimiert. In ähnlicher Weise konnten auch Aufgaben und Leistungen der Gemeinde, Hebräisch Kahal und ihrer Leitungspersonen, aus der aktuellen Zeit der Chronik in die ideale Gründungszeit Davids und
der guten Könige zurückgerechnet werden. Viel mehr als in der Vorlage werden in der Chronik die oberen an politischen Entscheidungen und bei der Finanzierung des Tempels und der Feste beteiligt. Nicht nur der König, sondern die obere Führungsschicht. Und das könnte wiederum ein Hinweis auf die Zeitgenossen der Chronik verfassern. Das könnte eben auch ein Hinweis darauf sein, dass diese Leitungsgremien in der Entstehungszeit der Chronik ohne König ihren Einfluss in der Erzählung verankert wissen wollen. An einigen Stellen zeigen sich dann auch noch kultrechtliche Präzisierungen, oft mit Rückbezug auf die Torah. Es ist insgesamt ein komplexer Prozess, der nicht im Einzelnen rekonstruiert werden kann, doch es ist plausibel, dass der Text der Chronik über einen gewissen Zeitraum unter Einfluss der genannten Gruppen und Interessen ergänzt und umgestaltet werden konnte.
Dieses Entstehungsmodell nach Georg Steins erleichtert auch die Erklärung des Verhältnisses zum Buch Esra Nehemia. Im Hebräischen bilden die beiden Schriften Esra Nehemia ursprünglich ein Buch. Den Grundbestand von Esra Nehemia nutzt die Chronik gelegentlich als Quelle. Dann wiederum gibt es späte Zusätze in Esra Nehemia zum Thema Kult, Personal, Praxis der Opfer und Feste und so, die mutmaßlich mit ähnlichen Ergänzungen in der Chronik parallel gehen. Und diese Bearbeitung in beider Werke Esra Nehemia einerseits und Chronik andererseits aus einem gemeinsamen Interessenpool heraus erklären dann manche Gemeinsamkeiten zwischen der Chronik und Esra Nehemia. Doch diese wenigen tendenziellen Gemeinsamkeiten belegen nicht die früher geäußerte These eines chronistischen Geschichtswerks, also dass die Chronik und Esra Nehemia aus einer Hand
stammen würden. Das lässt sich eben nicht zeigen. Die konzeptionellen Unterschiede zwischen Esra Nehemia und der Chronik sind zu groß. Das waren unterschiedliche Gruppen, die diese Texte formuliert haben. Auch in der Überlieferung des Textes in den Handschriften wurden die Chronik und Esra Nehemia immer als zwei eigenständige und getrennte Werke behandelt. So ist die Chronik auch viel stärker als Esra Nehemia eine neue Schrift älterer Bücher. Im Englischen spricht man von rewritten scripture. Die Vertrautheit der Leserschaft mit der Vorlage wird dabei vorausgesetzt. Das Bekannte wird neu erzählt, um eine katheketische Botschaft in subtiler Unterweisung und doch klar erkennbarer Tendenz der Leserschaft zu vermitteln. Die Leute, die so etwas machen, kommen aus dem Milieu der Schriftgelehrten des Jerusalemer Tempels. Sehr wahrscheinlich sind es eben Lewiten. Die Darstellung
der Chronik betont wie kein anderes biblisches Buch die Tätigkeit und Kompetenz der Lewiten an wichtigen Knotenpunkten als Lehrer, Propheten, zentrale Verwaltungsfachleute. Die Thora vertraut in Deuteronomy um 33 10 den Lewiten die Bildung Israels an. Und in Nehemia 8, 1 bis 12 wird von einer Art Wortgottesdienst erzählt, bei dem die Lewiten die Aufgabe übernehmen, allen Männern, Frauen und Kindern, die es verstehen können, die vom Priester Esra vorgelesene Thora zu erklären. Diese Idealvorstellungen könnten doch ein körnischen Wahrheit dahingehend enthalten, dass eine Gruppe von Lewiten am Jerusalemer Tempel ein ausgeprägtes Bildungsinteresse pflegte. Die Chronik ist somit Literatur von Schriftgelehrten für Schriftgelehrte, wie Manfred Ueming das mal
genannt hat. Und sie könnte so eine Art Geschichtslehrbuch gewesen sein, aus dem die Lewiten interessierten Multiplikatoren, Lehrern, Katechäten die Geschichte in ihre speziellen Perspektive nahe gebracht hat, sie unterrichtet hat und damit die dann das Volk weiter belehren. Wann das Ganze stattfand, ist ein sehr schwer zeitlich präzise einzugrenzen der Punkt. In der Forschung ist die Diskussion tatsächlich offen. Eine gewisse Mehrheit tendiert zu einer Entstehung im vierten Jahrhundert vor Christus, also in die ausgehende Perserzeit beziehungsweise die frühe hellenistische Zeit. Andererseits deuten gewisse Indizien auch auf eine spätere Zeit hin. Die Chronik integriert viele ältere Schriften von Genesis bis zum zweiten Buch der Könige,
Esrenaemia, Prophetenbücher. Sie zeigt damit, dass sie diese bereits als heilige Schriften, also mit kanonischem Charakter angesehen hat. Vielleicht setzen die Details über die Tempelsänger und die Musiker bereits den Psalter voraus, mit seinen musikalischen Überschriften und Zuweisungen zu einzelnen Sänger gingen. Zudem setzt die Chronik auf eine Stärkung der eigenen judäischen Identität, vor allem im Blick auf die dominierende Einrichtung des Tempels als Gravitationszentrum. Vielleicht will die Chronik hier die eigene Identität durch eine Rückbesinnung auf die Tradition stärken, wobei sie sich dann auch deutlich vom wachsenden Einfluss des Hellenismus abgrenzen will. Das alles könnte auf die Wiederherstellung der staatlichen Selbstständigkeit der Juden unter den Maccabean in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus verweisen.
In dieser Zeit haben die Juden unter der Führung von Judas Maccabeus und seiner Familie Widerstand gegen die hellenistische Besatzung der Seleukiden geleistet. Das ist der sogenannte Aufstand der Maccabean. Die Besatzer, die Seleukiden, hatten den Tempel zu einer hellenistischen Kultstätte gemacht, an der Zeus verehrt wurde. Und nach heftigen Guerilla-Kämpfen konnten die Maccabean Jerusalem wieder erobern und den Tempel von diesen fremden Kulten reinigen und wieder einweihen. Das Chanukka-Fest erinnert bis heute daran. Nun berichtet die Chronik von Kultreformen unter den Königen Joschaphat, Hiskia und Joschia. Sie beschreibt detailliert, wie David den Kult und sein Personal eingerichtet hat. Und das Gebet Salomos beschreibt den theologischen Zweck des Tempels. All diese Dinge zusammengenommen, diese Erzählungen von damals, also vom Ursprung des Tempels, könnten auch dazu dienen, das zu legitimieren, was die Maccabean im Heute des zwanz zweiten
Jahrhunderts vor Christus taten. Die Maccabean sahen sich in einer Linie mit den guten Königen der Chronik. Und die neue Forschung zu den Samaritanern passt auch dazu. Die Samaritaner waren neben den Juden in Jerusalem eine weitere Gruppe, die sich als Nachfahren Israels und an Adonai Glaubende verstand. Mittlerweile geht man davon aus, dass über einen sehr langen Zeitraum hinweg das Jerusalemer Heiligtum keineswegs der einzige Adonai-Tempel war, sondern dass es auf dem Garezim Richtung Galiläa, nördlich von Jerusalem, durch die Samaritaner ebenfalls ein Adonai-Heiligtum gab. Beide Gruppierungen lebten durchaus kompromissbereit neben und miteinander. Sie hatten die Thora als gemeinsame heilige Schrift. Im Verlauf des zweiten Jahrhunderts vor
Christus wurde aus der Familie der Maccabean ein Herrschergeschlecht, das auf den Ur an Hasmon zurückgeführt wird und daher Hasmonäer genannt wird. Diese Hasmonäer beanspruchten dann die Führung aller Juden. Sie eroberten etliche Gebiete nördlich von Jerusalem und gräten dann in Konflikt mit den Samaritanern. Und so erhöhten sich im Verlauf des zweiten Jahrhunderts die Spannungen. Ende des zweiten Jahrhunderts kam es dann unter dem Hasmonäer Johannes Hörkan zu einem endgültigen Bruch und es entstand die Feindschaft zwischen Juden und Samaritanern, die sich dann im Neuen Testament widerspiegelt. Die Chronik wiederum zeigte eine auffällige Offenheit gegenüber den Samaritanern, die so nicht genannt werden, aber die in der Erzähllinie hinter den Nordstämmen, insbesondere Ephraim und Manasseh, zu vermuten sind. Die Samaritaner, sprich Ephraim und Manasseh,
gehören zum Zwölfstämmen-Volk und sie sind eingeladen, sich am Kult, nicht auf dem Garezim, sondern in Jerusalem zu beteiligen. König Hiskia etwa lädt sie zu seinem Pessach ein, den Zweikronik 30. Allerdings kommen nur wenige. Hier könnte sich die Realität der beiden Heiligtümer in Jerusalem und auf dem Garezim widerspiegeln. Das Problem ist aber für die Chronik nicht die eventuelle Konkurrenz des Heiligtums der Samaritaner, sondern die Abgrenzung gegenüber Fremdenkulten. Die Chronik nennt diese Fremdenkulte nicht beim Namen, sondern schiffriert sie lediglich mit den alten kananäischen Kulten der Königszeit. Schließlich erzählt sie ja auch von den Königen und dem kultischen Fehlverhalten der Elite und des Volkes zu dieser Zeit. Aber auch aus strategischen Gründen könnte die Chronik nicht die Fremdenkulte ihrer Zeit verdammen,
denn es sind ja die Götter der Oberherrschaft, seien es noch die Perser oder schon die hellenistischen Machthaber, Ptolemäer oder Seleukiden. All diese Schiffrierung und dieses immer Zurückblenden in die Geschichte und so macht dann eine konkrete Verankerung der Chronik in eine bestimmte Epoche, ein Jahrhundert oder ein Jahrzehnt so schwierig. Die Verhältnisse haben sich zwischen dem Vierten und dem Zweiten Jahrhundert gar nicht so gravierend verändert, als dass man hier einen ganz spezifischen geschichtlichen Ankerpunkt gewinnen könnte. Auch über die Adressaten kann man nur begründete Vermutungen äußern. Das katechetische Interesse der Chronik ist unverkennbar, aber sollen diese Unterweisungen nun bestehende gute Verhältnisse bestätigen und legitimieren? Oder sollen sie Missstände anprangeln und wollen sie diese durch den Verweis auf die ideale
Gründungszeit unter David und Salomon beseitigen? Wie viel Ist-Zustand will die Chronik festigen? Wie viel Soll-Zustand fordert sie ein? Die literarische Gestalt als Erzählung mit katechetischer Tendenz ermöglicht beides auch gleichzeitig. Grundsätzlich können und sollen die Chronik auch alle interessierten Judäerinnen und Judäer lesen, doch dazu waren sicher nicht alle in der Lage. Und daher kommt man nicht über die vorher schon geäußerte Vermutung hinaus, dass Schriftgelehrte mit einem Bildungsinteresse ihr Geschichtsbild mit einer theologisch-katechetischen Leitlinie formuliert haben. Andere Gruppen haben ihre spezifischen Interessen am Kult und an der Gemeindeleitung und zur Legitimation der eigenen Familie eingespeist. So entstand ein chronologisch orientiertes Lehrbuch, das bereits viele biblisch gewordene Schriften integriert und auf diese
anspielt. So sollte die eigene religiöse Identität zunächst bei den Lehrenden, also bei den Schriftgelehrten selbst, gestärkt werden, gerade auch gegenüber Einflüssen von außen. Von da ausgehend konnten dann nachfolgende Generationen unterrichtet werden, wie etwa Psalm 78, 1 bis 8 dieses religionspädagogische Konzept in poetischer Sprache skizziert. Was wir gehört und erfahren haben, was unsere Vorfahren uns erzählten, wollen wir ihren Söhnen nicht verschweigen, sondern erzählen der künftigen Generation die Ruhmesstaten des Herrn und seine Stärke und seine Wunder, die er getan hat. Er stellte ein Zeugnis auf in Jakob und eine Weisung gab er in Israel, als er
unseren Vorfahren gebot, sie ihren Söhnen kundzutun, damit eine künftige Generation sie erfahre, die Nachkommen, die geboren würden, dass sie aufstünden und es ihren Nachkommen erzählten und auf Gott ihr Vertrauen setzten, die Taten Gottes nicht vergessen und seine Gebote hielten und nicht wie ihre Vorfahren würden, eine störrische und trotzige Generation, eine Generation, die nicht festen Sinnes war und deren Geist nicht treu zu Gott hielt. Das ist, glaube ich, das Grundkonzept der Chronik, vielleicht der Bibel überhaupt, die nachfolgenden Generationen darin zu unterrichten, was Gott an der Vergangenheit Großartiges getan hat. Nun zur Rolle der Chronik im Kanon. Die integrierende und bündelnde Funktion der Chronik zeigt sich auch an ihrer Positionierung in der
Kanonausprägung der hebräischen Bibel. In der hebräischen Bibel gehört die Chronik zum dritten Kanonteil den Schriften, den Ketowim. Wir haben ja drei Teile in der hebräischen Bibel, die Thora als ersten und übergeordneten Teil, die prophetischen Schriften, die Nevi'im und den dritten Teil, die Schriften, Ketowim. Dazu gehört die Chronik. In der wichtigsten und ältesten vollständigen hebräischen Handschrift des Mittelalters im Jahr 1008, 1009 entstandenen Codex Leni Gradensis, eröffnet die Chronik die Ketowim. Das ist insofern sehr bezeichnend, als er die Chronik mit Adam, Seth, Enosh beginnt und damit das Buch Genesis, das erste Buch des ersten Kanonteils, also der Thora, aufgreift. Mit der Chronik am Beginn der Ketowim wiederholt sich dann variierend und interpretierend der Geschichtsfaden von der Schriftung über die gesamte Thora bis hin
zu den vorderen Propheten, also den Büchern Jesua bis zwei Könige. Im Babylonischen Talmud findet sich im Traktat Baba Batra eine andere Auffassung, die Auffassung der Rabbinen, wie die jüdische Heilige Schrift entstanden und aufgebaut ist. Die Rabbinen platzieren die Chronik ans Ende der Ketowim, so dass sie nach Esra Nehemia das letzte Buch der jüdischen Bibel bildet. Auch diese Positionierung, die in die wissenschaftlichen Ausgaben der Bibel, also zum Beispiel die Bibliothebraik aus Dutgatenzia, übernommen wurde, ist aussagekräftig. Die Chronik bildet ein kanonisches Abschlussphänomen, wie Georg Steins das nennt. Man kann die Chronik mit den Rabbinen als Zusammenfassung, Zuspitzung, Summe und Abschluss der jüdischen Bibel lesen. Da die Chronik viele biblische Bücher
aufgreift und deutlich auf die Thora als den ersten Kanon-Teil bezogen ist, passt die Endstellung hervorragend zu ihrem literarischen Charakter. In der griechischen Bibel, der Septuaginta, wird die Anordnung der Bücher insgesamt verändert. Hier wird nun die Chronik als Geschichtsbuch aufgefasst, das einen Nachtrag zu den Samuel- und Königgebüchern liefert. Also in der Septuaginta sind die Samuel- und Königgebücher die vier Bücher der Königtümer. Und daher wird dann die Chronik, die dann jetzt in zwei Bücher aufgeteilt wird, an das vierte Buch der Königtümer, also das zweite Königgebuch, angeschlossen. So geschieht dies in den wichtigen christlichen Handschriften, Kodex Vaticanus B und Kodex Alexandrinus A aus dem vierten bzw. fünften Jahrhundert nach Christus. Im Kodex Vaticanus folgen dann noch die Bücher 1 Estras, auch Estras Alpha, oder drittes Buch
Estra genannt, und die Bücher Estra Nehemia. 1 Estras, Estras Alpha, ist eine Zusammenstellung mit Material aus zwei Chronik 35 bis 36, Estra 1 bis 2 und 4 bis 5 sowie Nehemia 7 bis 8. Das Buch Estra wiederum beginnt mit dem Edikt des Perser-Königs Chüros und passt so ebenfalls zum Schluss der Chronik. Und diese chronologische Abfolge hat sich unter Auslassung der Apokryphenschrift 1 Estras in den heutigen Standartausgaben christlicher Bibeln erhalten. Die Bücher der Geschichte des Volkes Israel erzählen von der Landgabe im Buch Joshua bis zum Ende des irdischen Königtums und dem babylonischen Exil im zweiten Buch der Könige. Und dann wiederholt die Chronik in ihrer eigentümlichen Weise die Geschichte, führt sie fort bis zur Erlaubnis des Perser-Königs Chüros aus dem Exil nach Jerusalem heimzukehren und den Tempel wieder aufzubauen. Und daran
schließt sich dann Estra Nehemia mit der Rückkehr dem Tempelbau und dem Bau der Stadtmauer an. Die Position in den christlichen Kanon-Ausprägungen sieht damit die Chronik als Geschichtsbuch. Dagegen sind die Positionen der jüdischen Kanon-Ausprägungen am Beginn und am Ende der Ketowim Hinweise darauf, dass man im Judentum die Chronik als markanten Verweis auf die Thora und die Zusammenfassung aller heiligen Schriften wahrnimmt. Die Chronik ist beides, Geschichtsbuch und kanonisches Abschlussphänomen, Erzählung und Zusammenfassung aller heiligen Schriften. Es kommt eben auf die Perspektive. Zur Wirkung und Rezeption der Chronik. Hat denn die Chronik ihr katechetisches Anliegen erreicht? Hat sie die beabsichtigte Wirkung erzielt? Das ist schwer zu beurteilen. Sie wird jedenfalls als heilige Schrift wahrgenommen,
ins Griechische übersetzt und weiter überliefert im Judentum wie im Christentum. Das frühe Christentum hat die Chronik ebenfalls wahrgenommen, wahrscheinlich sogar als Ende der Ketowim, also am Ende des Kanons heilige Schriften. Das lässt sich an einem Wort Jesu ablesen, das in Matthäus 23,35 und parallel Lukas 11,51 überliefert ist. Jesus kündigt das kommende Gericht so an. Darum hat auch die Weisheit Gottes gesprochen. Ich will Propheten und Aposteln zu ihnen senden. Einige von ihnen werden sie verfolgen und töten. Und darum soll das Blut aller Propheten, das vergossen wurde seit Grundlegung der Welt, von diesem Geschlecht gefordert werden, von dem Blut Abels bis zum Blut des Zacharias, der umgebracht wurde zwischen Altar und Tempel. Ja, ich sage euch, es wird von diesem Geschlecht gefordert werden. Lukas 11,49 bis 51. Mit Abel
wird auf die dramatische Geschichte des Brudermords am Anfang der Bibel in Genesis 4 verwiesen. Weitaus weniger bekannt ist Zacharias. Das ist der in 2 Chronik 24,20 bis 22 als Secharia auftretende Prophet, der König Joaschen und den führenden Leuten vorhält, dass sie die Weisung Gottes übertreten und fremde Götter verehren. Secharia, Zacharias droht das Gericht Gottes an und wird dafür gesteinigt. Diese Episode hat keine Vorlage und ist nur in der Chronik überliefert. Mit der Wendung Jesu vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias wird so eine literarische Klammer um die hebräische Bibel gelegt, wenn die Chronik am Ende steht. Ein Hinweis darauf, dass die Chronik
vom Evangelisten Matthäus auch in ihrer formalen Gestalt geschätzt wird, ist der Anfang des Matthäusevangeliums. In Nachahmung der genealogischen Vorhalle in 1 Chronik 1 bis 10 liefert Matthäus 1,1 bis 17 eine Genealogie Jesu über 3 mal 14 Generationen. So wird auch vor der Geschichte Jesu die wichtige Vorgeschichte in Form von Namen als Stichwortgeber wachgerufen und Jesus an die Geschichte des Volkes Israel angedockt. Nun zum Schluss einige Bemerkungen zur Theologie und Relevanz. Die wichtigsten Leitlinien der Theologie der Chronik. Es ist etwas anachronistisch gesprochen, eine biblische Theologie, vielleicht die erste biblische Theologie überhaupt. Die Theologie der Chronik ist
zutiefst schriftbasiert. Schriftgelehrte greifen ältere heilige Texte auf, schreiben sie teils ab, teils entwickeln sie sie weiter. Wer solches liest, muss selbst mit diesen älteren Schriften vertraut sein, kann sich dann belehren lassen und wiederum andere lehren. Schriftlichkeit und Mündlichkeit greifen dabei ineinander. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass erst eine Version vorgetragen wurde, dann lebhaft diskutiert wurde und dann wurde sie unter dem Eindruck von Interessen bestimmter Gruppen zu einer zweiten Version ergänzt und umgearbeitet. Dabei kommen theologische Grundeinsichten nicht zu kurz. Sie werden in katechetischer Weise auf Kurzformeln gebracht, die variantenreich, aber klar identifizierbar, ständig wiederholt werden. Die Chronik schlägt, kunstvoll variiert und doch durchschauert immer in die gleiche Kerbe. Alles Entscheidende ist die Ausrichtung an der
Thora, an der Weisung zur alleinigen Verehrung Adonais und die Befolgung oder Missachtung dieses Hauptgebots entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Könige, der Gemeinschaft und des Einzelnen. Was auch immer geschieht, die Chronik empfiehlt, sich Gott annähern, Gott suchen, nach Gott fragen, niemals Gott untreu werden oder Adonai verlassen. Gekleidet wird diese grundlegende Lehre in die Form einer Erzählung von Geschehnissen, die als bekannt galten. Aber sie werden so spezifisch zugespitzt, dass der Leserschaft die Schlussfolgerung überzeugend nahegebracht wird, sich der Empfehlung der Chronik anzuschließen. Dabei geht es weniger um Politik oder Gesellschaft, sondern um die Anerkennung und Hochschätzung der Heiligkeit Gottes manifest im Kult am Tempel. Wer den Gottesdienst fördert und auf das Wort Gottes aus dem Mund des Mose und der Propheten hört,
erlangt Segen und Wohlstand. Der Tempelgründer David und der Tempelerbauer Salomo sind die Schlüsselfiguren dafür. Die anderen Könige Judas werden zu guten und schlechten Vorbildern stilisiert. Das eigentliche Königtum über das wahre Israel hat unangefochten und souverän Adonai inne. Und Adonais setzt auf seinen Thron, wen er gerade erwählt. Am Ende, nach der völligen Diskreditierung des irdischen Königtums aus Davids Linie, sogar dem Perser König Chüros. Die Könige sind dazu da, die alleinige Verehrung Adonais im Jerusalemer Tempel sicherzustellen. Und gerade in dieser Hauptaufgabe versagen sie. Der Umgang mit dem Tempel macht das Gottesverhältnis Israel sichtbar. Der Tempel bildet das Gravitationszentrum der chronistischen Darstellung und Theologie. Am Tempel zeigt sich die Herrlichkeit Gottes. Nach dem Ende des Tempelweihegebetes Salomos wiederholt
zwei Chronik 7, 1 bis 3, was einst nach Leviticus 9, 23 bis 24 beim ersten Heiligtum zur Zeit des Mose am Sinai geschah. Und als Salomo aufgehört hatte zu beten, fuhr das Feuer vom Himmel herab und fraß das Brandopfer und die Schlachtopfer. Und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus. Und die Priester konnten das Haus des Herrn nicht betreten, denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus des Herrn. Und als alle Israeliten das Feuer herabfahren sahen, während die Herrlichkeit des Herrn über dem Haus war, knieten sie mit dem Angesicht zur Erde nieder auf das Steinpflaster, warfen sich nieder und lobten den Herrn. Ja, er ist gut. Ja, ewig ist seine Güte. Hier passiert also nach der Erbauung des Tempels durch Salomo genau das, was schon viele Jahre vorher in der Wüste
beim Mose an der Stifzhütte passiert. Mit einem derart göttlichen legitimierten, göttlich aufgeladenen Heiligtum ist die Gegenwart Gottes gleichsam garantiert. Und die Chronik betont die feste Zusage Gottes seiner Präsenz im Tempel. Gleichwohl ist das weder Magie noch ein Automatismus. Entscheidend bleibt nämlich das Verhalten des Volkes. Wenn das Volk von Gottes Weisung abfällt und dann konsequent scheitert, kann es umkehren und in Reue Gott suchen. In seiner Antwort an Salomo verheißt Gott im gleichen Kapitel 2 Chronik 7. Wenn ich den Himmel verschließe und kein Regen fällt und wenn ich Heuschrecken gebiete, das Land kahl zu fressen oder wenn ich die Pest sende auf mein Volk, wenn dann mein Volk, über den mein Name genannt ist, sich demütigt und sie beten und suchen
mein Angesicht und wenden sich ab von ihren bösen Wegen, werde ich es vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen. So sollen nun meine Augen offen und meine Ohren aufmerksam sein für das Gebet an dieser Stätte. Und nun habe ich dieses Haus erwählt und geheiligt, dass mein Name hier bleibe für immer und meine Augen und mein Herz sollen dort sein für alle Zeit. Auch wenn der Tempel nicht mehr steht, bleibt die Chronik eine bis heute relevante Ermahnung und Einladung, gekleidet in Erzählungen, Reden und Gebete. Wer sie liest, fühlt sich mit sanftem Druck gedrängt, seinen Glauben und sein Vertrauen auf diesen einen Gott Israels Adonai zu setzen. Adonai nach Kräften zu suchen und zwar im Hier und Jetzt und nicht erst in einer eschatologischen
oder gar apokalyptischen Zukunft. Die Chronik konzentriert sich auf das Wesentliche, stellt das, was in ihren Augen wichtig ist, klar vor Augen. Die Fokussierung auf den einen und einzigen Gott und seine Präsenz in dieser Welt, in seiner Weisung und der Thora. In diesem Vertrauen sollen sich die, die Gott von Herzen suchen, von den wirren Ereignissen der Zeit und den zahllosen anderen religiösen Angeboten nicht irre machen lassen. Und so gelten die Aufforderung und die Verheißung im letzten Vers in einem geistlichen Sinne jeder Leserin und jedem Leser auch heute als Einladung, sich stets Gott zuzuwenden. Wer immer von euch aus seinem Volk ist, der Herr sein Gott ist mit ihm und erzieht hinauf.
Die Chronikbücher | 11.16.1
Es war doch alles schon erzählt: Der zeugte den, dann kamen ein paar Könige, einer baute einen Tempel und irgendwann wurden Tempel und Stadt zerstört und die Oberschicht der Israeliten nach Babylon verschleppt. Wozu also nochmal zwei Bücher, die seitenweise Namen auflisten und das ganze Grauen der Niederlage vor den Babyloniern erzählen? Und die ganze Geschichte dann auch noch an bedeutsamen Stellen verändern? Diese Fragen haben sich durch die Geschichte hinweg sicher unzählige Menschen gestellt und die Chronikbücher schnell überblättert. Wusste man ja alles schon. Der Theologe Thomas Hieke möchte die Chronikbücher von der unverdienten Geringschätzung befreien. Er erklärt, warum die Bücher wichtig sind, warum manches verändert, anderes neu erzählt wird. Und er führt in seinem Vortrag zum Herz der Chroniken, zur zentralen Aussage dieser zwei Bücher, die eben mehr sind, als ein Nachtrag zu den anderen Geschichtsbüchern. Und die auch heute noch zu uns sprechen sollen.
Dieser Vortrag gehört zur Reihe »Vorworte: Einführungsvorträge zu jedem biblischen Buch«.