Video
Audio Als MP3 herunterladen
Transkript Als PDF herunterladen

00:00
Wenn Sie sich jetzt vorstellen, wir wären so nicht ganz 2000 Jahre zurück in der Zeit und vielleicht in einem Ort wie Kolosse und ich würde jetzt Onesimus heißen und ein Sklave sein, dann würde ich jetzt vielleicht zu Martin sagen liebster Herr Philemon ich bin zurück, hat etwas lang gedauert aber ich bin nicht davon gelaufen. Ich wurde am Eingang sogar fotografiert um nachzuweisen, dass ich wirklich da bin und ich habe ein Brieflein des Paulus mitgebracht und es trifft sich auch wunderbar, dass nicht nur du da bist sondern gleich die ganze Hausgemeinde, die Worthausgemeinde, denn die sollen jetzt auch gut zuhören was der Paulus zu schreiben hat. Der Philemon weiß jetzt noch gar nicht, dass er mich als Partner annehmen soll

01:05
und nicht mehr so sehr als Sklave. Wären wir jetzt aber in Rom, dann müssten Sie sich vorstellen, ich wäre eine Föbe, Diakonin und Prostatis aus Kenkrehe, von den Haaren her wird es vielleicht funktionieren, den Bart müssen Sie sich wegdenken, die Stimme vielleicht etwas höher, dann würde ich sagen ich habe einen langen Brief mitgebracht des Paulus, er war noch nie hier aber er schickt schon mal einen Brief, den soll ich jetzt vorlesen, wann hättet ihr denn einmal viel Zeit. Ich soll Ihnen also etwas über die Paulusbriefe erzählen. Zunächst etwas zur Sprache, ich würde natürlich griechisch sprechen, als Onesimus, als Föbe, wie auch immer und ein sehr spezielles Griechisch, das sogenannte Koinégriechisch, das ist eine Form des Griechischen, das im Zuge des

02:05
Hellenismus, im Zuge dieser riesigen Eroberung durch Alexander den Großen sich herausgebildet hat, einfach ausgedrückt eine einfachere Form des Griechischen im Vergleich zum klassischen Griechisch, eine Umgangssprache und das ist beim Griechischen jetzt überhaupt interessant, griechisch gab es nie und gibt es bis heute nicht als Hochsprache, es gab immer nur umgangssprachliche Formen des Griechischen, ja sogar das heutige Neugriechisch, das sogenannte Vimotiki, heißt nichts anderes als die Volkssprache, die Umgangssprache. 1984 hat das griechische Parlament offiziell beschlossen, dass nicht eine Art Kunstsprache als die Sprache der Griechinnen

03:01
und Griechen festgelegt wird, sondern genau diese Umgangssprache, die das Volk auch während der Jahrhunderte der türkischen Besatzungszeit gepflegt und weiterentwickelt hat. Eine Sprache, die sich tatsächlich durch eine Vereinfachung auszeichnet, ist eigentlich was ganz Natürliches, wenn Sie sich vorstellen, dass plötzlich Millionen von Menschen griechisch nicht als Muttersprache lernen, aber ein wenigstens basales griechisch können müssen, um sich in dieser Riesenwelt, dieser griechischen Welt zwischen Frankreich, Spanien und Indien bewegen zu können, dann kommt es automatisch zu Vereinfachungen. Man mag jetzt an das heutige Englisch denken, mit Englisch kommt man überall durch. Und auch da beobachtet man, dass es zu Vereinfachungen kommt, eben auch jene vielen Millionen, vielleicht sogar Milliarden, die griechisch nicht als Muttersprache, sondern

04:04
als Zweitsprache gelernt haben, vielleicht sogar täglich sprechen, manchmal nur im Urlaub, die prägen natürlich die Entwicklung des Englischen heute mit. Und trotzdem würde der Vergleich sehr hinken, denn beim Coenägriechischen müssen Sie sich auch noch vorstellen, plötzlich beginnen Menschen, die ganz andere Sprachen als Muttersprache mitgebracht haben, in Ägypten zum Beispiel das Ägyptische, sogar privat sich auf Griechisch zu unterhalten. Wir haben tausende Papyrusbriefe zum Beispiel aus Ägypten von Menschen, die Ägyptisch, in dieser Zeit das sogenannte Demotische, später dann das Koptische, als Muttersprache gelernt haben, Griechisch also bestenfalls als Zweitsprache. Und trotzdem schreibt plötzlich ein Vater an die Tochter oder ein Sohn an

05:04
die Mutter, Verwandte untereinander private Briefe auf Griechisch. Also stellen Sie sich vor, wir hätten hier dort wo Amerikaner Besatzungszonen eingerichtet hatten nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, in Österreich. Plötzlich hätten also unsere Eltern, Großeltern angefangen, Englisch privat miteinander zu korrespondieren. Ein Ding der Unmöglichkeit. Bei Griechisch war das so und ich denke, das kann man eigentlich nur damit erklären, Griechisch wurde eben nicht einfach als die Sprache der Eroberer gesehen, sondern als Kultursprache, als Sprache, die mit Literatur, Kultur verbunden war. Anders wäre es nicht zu erklären, dass man das sogar eifrig übernommen hätte. Wie ich gestern schon erwähnt habe, die Römer haben das Griechische einfach übernommen. In den östlichen Provinzen

06:06
wurde durchwegs Griechisch verwendet, nicht nur im Alltag von der Bevölkerung, sondern sogar in der römischen Administration, in der römischen Verwaltung. Der einzige Bereich, der Latein war, war der Bereich der Armee. Im Militär, in der Armee, in der Marine, da war Latein die übliche Sprache. Das hat natürlich auch mit der Befehlskette und so weiter zu tun. Dass also die Paulusbriefe alle ursprünglich schon auf Griechisch verfasst wurden, liegt nicht daran, dass Paulus vielleicht nicht Latein gekonnt hätte, sondern das war die normale, auch die zu erwartende Sprache, die Paulus hier verwendet hat. Auch im Römerbrief. In Rom gehörte es zu der Zeit zum guten Ton, vor allem von der gebildeten Schicht, Griechisch zu können. Der Kaiser Claudius, ein Zeitgenosse des Paulus, hat ein

07:08
Geschichtswerk auf Griechisch verfasst. Ja, sogar noch am Ende des zweiten Jahrhunderts Mark Aurel, der nicht weit von hier seine Kämpfe ausgefochten hat, wenn Sie Gladiator gesehen haben, dann bekommen Sie ein Bild davon. Sogar dieser Mark Aurel, der dann im Heerlager von Wien, in Wien-Dobona gestorben ist, hat seine Selbstbetrachtungen, seine philosophischen Schriften auf Griechisch verfasst. Ein römischer Kaiser. Zur Einteilung ein wenig Systematik. Anschließend können Sie die gleich wieder vergessen. Sie werden sehen, warum. Das Corpus Paulinum, wie das so schön heißt, zählt 14 Briefe. Den Hebräerbrief kann man gleich einmal weggeben. Da wird der Name Paulus nicht

08:05
erwähnt. Es bleiben 13 Briefe und sieben davon, also gut die Hälfte, sehen wir heute als authentische Briefe des Paulus, die Paulus selber verfasst haben wird. Der Römerbrief, erster, zweiter Korintherbrief, der Galaterbrief, der Philippabrief, der Philemonbrief und der erste Thessalonikerbrief. Um gleich zu den einzelnen Gruppen besondere Merkmale dazu zu sagen, was auffällt bei diesen sieben Briefen im Vergleich zur antiken Epistolographie, also zu anderen Briefen der Antike, in diesen Briefen, und jetzt sage ich einfach Paulus, finden Sie genau die üblichen

09:01
Konventionen, die man beim Briefschreiben so verwendet, die üblichen Formeln. Paulus war ein Meister des antiken Briefschreibens. Der kennt sich aus. Der weiß, welche Formeln man da verwendet, um bestimmte Wirkung zu erzielen. Der verwendet jene Formeln, die auch die Leserinnen und Leser gewohnt waren. Das heißt, die Botschaft, die damit verbunden wird mit solchen Merkmalen, die kommt an. Das konnte er erwarten. Bei den sogenannten Deuteropalinen sieht das schon anders aus. Da zählt man den Epheserbrief, Kolosserbrief und zweiten Thessalonikerbrief dazu. Da nehmen wir in der Bibelwissenschaft an, die wurden also nicht von Paulus selber geschrieben, vielleicht von Paulus Schülern. Da wird Paulus nachgeahnt. Und daher kennt man einen deutlichen Unterschied von diesem Stil und von der Verwendung der Formeln. Da kennt man, die Autoren dieser

10:05
Briefe sind nicht so wie bei den sieben anderen Briefen im gewohnten Formular unterwegs, ja, um es kurz zu sagen, die übertreiben. Die versuchen, paulinischer zu sein als Paulus. Die haben also eine offenbar recht gute Ahnung und Kenntnis, wie Paulus geschrieben hat und wollen es jetzt besonders deutlich machen. Also denen kann man fast über die Schulter schauen und merken, naja, von Paulus kenne ich das auch. Aber da ist es jetzt besonders deutlich. Und damit ist das übertrieben und damit stimmt das auch nicht mehr mit den üblichen Konventionen überein. Also die Deuteropaulinen, diese schreiben Epheser Kolossa, Zweiter Thessaloniker, unterscheiden sich nicht

11:04
nur von den Paulusbriefen, sondern unterscheiden sich auch von den anderen Briefen der Zeit, während die Paulusbriefe im Formular und so weiter, ich werde darauf noch ausführlich eingehen, mit den anderen Briefen übereinstimmen. Schließlich gibt es noch die sogenannten Tritopaulinen, Begriff ist nicht so wesentlich, Sie können sich das einfach als die Pastoralbriefe merken. Gemeinsam haben die, dass sie nicht an eine Gemeinde gerichtet sind, sondern an Einzelpersonen, erster, zweiter Timotheusbrief an Timotheus, Titusbrief an Titus. Und da sind die Unterschiede noch größer. Die sind eigentlich mit echten Briefen der damaligen Zeit überhaupt nicht vergleichbar. Da geht es um sehr abstrakte Anweisungen, die sind auch von einer speziellen Situation abgehoben. Man kann sich da sogar fragen, warum sind die überhaupt in Briefform überliefert,

12:06
wenn da so die Anrede am Beginn und den Schluss groß fehlen würden und dann noch ein paar seltsame individuelle Züge, wie zum Beispiel, ich habe da meinen Mantel liegen lassen, bring den das nächste Mal mit und alles andere ist abstrakt, wie in einem modernen Schreiben einer politischen Partei oder eines römischen Papstes an die Allgemeinheit gerichtet. Dann kann man sich fragen, warum ist das nicht gleich als Taktat, als theoretische Schrift überliefert, warum überhaupt in Briefform? Zur Chronologie der paulinischen Briefe, das ist so ähnlich wie mit Kapitleinteilung und Verszählung schwierig. Da kann man viel diskutieren. Hinweise gibt es nur sehr wenige. Wir können

13:05
relativ gut datieren, wann Paulus in Korinth war aufgrund einer besonderen Inschrift, will ich jetzt nicht näher darauf eingehen, weil für die Datierung der Korintherbriefe, für eine exakte, taugt auch das nicht. Im Philemonbrief bezeichnet sich Paulus als alter Mann, das ist relativ und vor allem die Ordnung in den Ausgaben des Neuen Testamentes ist sowieso nicht chronologisch. An erster Stelle steht der Römerbrief, der vermutlich der letzte Brief des Paulus, chronologisch sein wird. Wie man die Chronologie der anderen Briefe einordnet, ist bestenfalls relativ, was war früher, was war später. Dass der Gallaterbrief mit der Gerechtigkeitslehre des Paulus früher ist, als dann die weiter ausformulierte Fassung im Römerbrief, das liegt auf der Hand, das liege ich aber auch

14:03
so auf der Hand. Bei den anderen Briefen ist es zum Teil schwierig, ja die Anordnung in den Paulus Briefsammlungen und auch in unseren heutigen Ausgaben ist letzten Endes ja auch der Hinweis, die Chronologie ist gar nicht wichtig. Durch die Sammlungen, darauf werde ich am Schluss noch etwas eingehen, wurden ja diese Briefe aus ihrer ursprünglichen Situation, aus einer bestimmten Zeit und auch aus einer bestimmten Zielgruppe herausgehoben und praktisch zeitlos gemacht. Sie sollten also für die Zukunft gar nicht mehr unbedingt chronologisch oder bezogen auf eine bestimmte Zeit gelesen werden, auch wenn es mir durchaus wichtig und nutzbringend erscheint, sich darüber Gedanken zu machen, wie sah denn die Zeit des Paulus tatsächlich aus.

15:00
Sehr viel Arbeit, Zeitaufwand wurde auch in die Frage von Brieftypen, von Brieftheorien gesteckt. Es gab schon in der Antike Briefteoretiker, also hochgebildete Leute, die sich überlegt haben, wie könnte man denn einzelne Brieftypen unterscheiden, zum Teil nach emotionalen Gesichtspunkten, da gibt es Tadelbriefe, da gibt es Liebesbriefe, da gibt es Freundschaftsbriefe und so weiter und so fort. Ganze Listen wurden da zusammengestellt. Ja, man hat schon in der Schule gelernt, solche typischen Briefe zu schreiben. Wir haben das auf Papyri aus dem antiken Schulunterricht sogar überliefert, wo man dann sieht, da hat also

16:00
jemand geübt, einen ganz bestimmten freundlichen Brief in verschiedenen Zusammenhängen nachzuhaben und andere Brieftypen auch. Wenn man in die Praxis reinschaut, und das gilt für die antiken Alltagsbriefe genauso wie für die Briefe des Cicero oder auch die Briefe des Paulus, dann haben wir da eigentlich immer eine Mischung. Es gibt kaum Briefe, die so idealtypisch einen bestimmten Brieftyp zuzuordnen wären. Es gibt auch im Alltag Geschäftsbriefe, die aber gleichzeitig persönliche Privatbriefe sind, wo man persönliche Nachrichten mit geschäftlichen Angelegenheiten verbindet. Und der Brief ist auch nicht viel länger als vielleicht 20, 25 Zeilen. Und selbstverständlich gibt es das auch bei den Paulusbriefen. Sie können sich das

17:00
ganz gut im Vergleich mit einem heutigen Schulunterricht vorstellen. Da lernen wir auch, bestimmte Dinge mal zu üben. Wie wir das später in der Praxis anwenden, sind wir dann mehr oder weniger wieder frei. Und der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Zum Material noch ein paar einführende Worte. Antikes Streitmaterial ist entweder Papyrus, Tonscherben, Pergament, verschiedene Metalle, Holz- oder Wachsteeflchen. Das verbreitetste Material war natürlich Papyrus. Alle Briefe des Paulus, davon können wir wirklich ausgehen, wurden auf Papyrus geschrieben. Stellen Sie sich vor, Paulus hätte den Römerbrief auf Wachstafeln geschrieben. So kleine Teeflchen aus Holz mit einer Auslastung. Da wurde Wachs reingegossen und da konnte man mit

18:06
einem spitzen Gegenstand reinritzen. Also der Römerbrief, das hätte jetzt in der Kamera gar nicht Platz, wäre ein Holzstoß enormer Ausmaßes. Der arme Briefträger. Natürlich wurde das auf Papyrus geschrieben. Interessant ist beim Papyrus vielleicht noch, Papyrus konnten sie nicht als Blatt oder als zwei, drei, zehn Blätter im Papyrusladen kaufen, sondern als Rolle. Papyrus wurde in Rollenform als Schreibmaterial hergestellt. Zuerst natürlich die einzelnen Blätter in etwa 30 x 30 cm und dann hat man sofort noch in der Produktion die Blätter aneinandergeklebt. So ein Standardformat waren 20 Blatt zu einer Rolle zusammengeklebt. Denken Sie heute 20 Blatteffet,

19:06
DIN A4 oder 40 Blatteffet. Ganz interessante Analogie. Das war so fünf bis sechs Meter lang eine Rolle aus 20 Blatt und je nach Bedarf hat man dann von dieser Rolle ein Stück runterschnitten, wenn man gleich wusste, wie viel man braucht für einen kurzen Brief oder eine einfache Steuererklärung oder was auch immer. Oder man hat einfach begonnen auf der Rolle Kolumne für Kolumne, Spalte für Spalte zu schreiben, bis man fertig war und dann hat man abgeschnitten. Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, antike Literaturwerke, die lang sind, die sind aus mehreren Büchern bestehend. Buch in dieser Zeit ist nicht unsere Buchform, sondern die

20:01
Rolle. Wenn zum Beispiel das Geschichtswerk des Dukydides aus so und so vielen Büchern besteht und gut heute in einem einzigen Taschenbuch Platz findet, dann hängt das nur damit zusammen, nach fünf, sechs Metern, je nachdem, war die Rolle voll. Dann brauchte man die nächste Rolle, das nächste Buch. Nur so ein kleiner Vergleich zu den Paulusbriefen. Da sind ja einige ganz schön lang. Nur ein Römerbrief auf alle Fälle, erster, zweiter Quarinterbrief, dazu später noch mehr zur Länge. Gallaterbrief auch länger als das, was man üblicherweise damals geschrieben hat. Wir haben aber da den glücklichen Fall eines Briefes, der erhalten geblieben ist, ein reiner Privatbrief und der hat ziemlich genau die Länge des Gallaterbriefs. Das hat den Vorteil, da braucht

21:05
man nicht lange mit Zahlen rumspielen und Buchstaben zählen und dann ausrechnen, sondern wir haben tatsächlich einen Brief, der zwar nicht vollständig erhalten ist, aber das, was man noch immer erhalten hat, entspricht der Länge des Gallaterbriefs und der ist auf einer Rolle von 75 Zentimeter Breite. Also mehr braucht man für den Gallaterbrief nicht. Die ersten Kodizes sind bereits aus dem ersten Jahrhundert erhalten. Zum Durchbruch gelangt diese Buchform erst in etwas späterer Zeit. Was wir nach wie vor da feststellen können, obwohl die ersten Kodizes gar nicht christliche Texte enthalten, dass wohl schon im frühen Christentum

23:37
die Kodexform sehr beliebt wurde. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln und werden noch immer heiß diskutiert. Eine sehr frühe Theorie war, wenn sich das frühe Christentum zuerst vor allem in ärmeren Schichten verbreitet hat, dann ist ja die Kodexform etwas sehr Interessantes, denn da

24:02
kann ich ja fast doppelt so viel Text draufschreiben, brauche also nur halb so viel Papyrus. Warum ist das so? Die Rolle beschreibt man nur auf einer Seite. Das wäre sonst kompliziert, wenn man die umdreht und die Rückseite auch beschreibt. Also dann beim Lesen oder Stelle aufzusuchen, das hat man nicht gemacht. Bei unserer heutigen Buchform hat man Blätter. Der wird vorne und hinten beschrieben. Also nicht ganz das Doppelte hat auf dem Papyrus Platz. Da hat man gemeint, Papyrus ist ein sehr teures Material. Da spart man sich viel Geld, wenn man doppelt so viel draufschreiben kann. Das Ganze scheitert an der Tatsache, das teuerste war nicht der Papyrus, sondern der Schreiber. Es gab teuren Papyrus, aber es gab auch sehr billigen Papyrus. Es gab

25:07
unterschiedliche Qualitätsstufen. Das Teure war immer der Schreiber oder auch die Zeit, die man selber dafür aufwenden musste, wenn man überhaupt schreibkundig war. Zurück zu den sieben Briefen des Paulus, mit denen ich mich in der restlichen Zeit beschäftigen und Ihnen einiges dazu sagen möchte. Man kann die Gut als Gelegenheitsschriften bezeichnen. Verschiedene Gelegenheiten müssen da erfüllt sein, damit so ein Brief, ob das jetzt 1 Korinther, Philämon oder sogar der Römerbrief ist, geschrieben, ankommen, übermittelt, vorgelesen werden können. Paulus braucht Zeit. Er hat einen bestimmten Anlass, das wird aus allen

26:09
diesen Briefen dann deutlich. Das sind also nicht Traktate, wie ist das frühe Christentum von der Lehre her zu verstehen. Darüber hat Paulus ja höchstens ansatzweise im Römerbrief geschrieben. Es gibt Gelegenheiten in der Adressatengruppe, die den Paulus veranlassen, etwas zu schreiben. Man braucht die gute Gelegenheit, dass man entweder selber Zeit hat und schriftkundig ist, dass man so einen Brief schreiben kann oder man braucht einen Schreiber zur Hand, womöglich gratis oder das entsprechende Geld, um einen Berufsschreiber bezahlen zu können. Man benötigt die günstige Gelegenheit, einen Briefboten zur Hand zu haben,

27:08
der nach Möglichkeit das Schreiben in einer Zeit überbringen kann, sodass das noch aktuell ist, wenn es schon auf aktuelle Situationen Bezug nehmen soll. Schließlich auch, wenn das Schreiben ankommt, braucht man jemanden, der den Brief auch vorlesen kann. Bei allgemeinen Texten, bei erzählenden Texten, auch bei den Evangelien zum Beispiel, braucht man die meisten dieser Gelegenheiten nicht. Da spielt die Zeit, ob das heute oder morgen losgeschickt werden kann, an eine Zielgruppe oder erst in einem halben Jahr nicht so eine große Rolle. Auch der Römerbrief ist eigentlich nicht einfach als Traktat zu verstehen. Der Römerbrief ist auch

28:06
mit einer ganz bestimmten Situation verbunden, nämlich mit der Situation, Paulus möchte endlich nach Rom und möchte die Gemeinde oder die Gemeinden in Rom besuchen. Wir können annehmen, dass es in so einer Riesenstadt wie Rom mehrere kleine Hausgemeinden gegeben hat. Paulus, das Verraten, der Römerbrief und auch andere seiner Briefe, war noch nie in Rom. Er möchte sich mit diesem Brief auch vorstellen. Er möchte seinen Beruf vorbereiten. Das heißt, auch wenn er zum Beispiel über die Gerechtigkeit Gottes da in einer Weise sehr allgemein und ausführlich schreibt, so müssen Sie sich vorstellen, das ist jetzt die eine Chance, die Paulus hat, um aus der Entfernung die Christinnen und Christen von Rom für sich zu

29:01
gewinnen. Eine zweite Chance hat er nicht. Wenn dieses Schreiben schiefgeht, dann kann er den Besuch vergessen. Ja, es gibt noch keinen Papst von Rom oder eine Kurie oder sonst irgendjemanden. Es gibt noch keine Machtstrukturen. Paulus hat noch keine Autorität in Rom. Er hat einen Versuch, den er mit diesem Brief unternehmen kann. Ganz wesentlich im Zusammenhang mit Briefen damals wie heute sind Formeln, Briefformeln. Und denken Sie bitte nicht, naja, wenn etwas nur eine Formel ist, dann hat das ja keine Bedeutung. Formeln sind ganz was Wesentliches. Wenn wir heute oder wenn

30:10
Sie heute ein Schreiben finden und da steht irgendwas drauf, sehr geehrter Herr oder lieber Martin, liebste Mutter und danach ist das Schreiben abgerissen, dann wissen Sie sofort, ah, das ist der Beginn eines Briefes. Sogar der Beginn einer geschriebenen Rede, eines Vortrags würde anders aussehen. Es wäre höchstens vergleichbar mit so einem Brief an irgendeine Institution, wo man auch niemanden kennt, deshalb keinen Namen nennen kann und dann vielleicht schreibt, verehrte Damen und Herren. Einen Brief wird man zum Beispiel nicht beginnen,

31:05
so wie ich heute. Schönen guten Morgen. Die Formel zeigt sofort, ah, ich habe hier mit einem Brief zu tun, ich habe hier zu tun mit der Situation. Zwei Leute, zwei Gruppen, wer auch immer, sind entfernt voneinander und es gibt da irgendwas Wichtiges mitzuteilen, darum geschieht es in der Form eines Briefes. Oder schon von der Ausgestaltung dieser ersten Anrede her kann man manchmal feststellen, wie ist denn die Beziehung. Wenn ich an die Mutter schreibe, dann würde ich normalerweise schreiben, liebe Mutter oder liebe Mama oder irgendwie. Wenn ich plötzlich nur mal schreiben würde, Mutter, Kommentar überflüssig. Genauso am Ende eines

32:04
Briefes, da sind auch die zwei Teile, die besonders formelhaft sind, der Briefanfang und der Briefschluss. Wenn wir schreiben mit freundlichen Grüßen, dann wäre das so das übliche, höfliche an eine Institution, an eine Autorität, an jemanden, mit dem man noch nicht befreundet ist und so weiter. Würde auch nicht so gut kommen, wenn ich an die Mama am Schluss dann schreibe mit freundlichen Grüßen. Da schreibt man dann liebe Grüße oder mit herzlichen Grüßen oder irgend so was. Ja, es ist interessant, dass über tausende von Jahren, das geht auch lange Zeit vor Paulus zurück noch in die Vergangenheit und ja bis zum Beginn unseres Jahrhunderts kann man sagen, blieben diese Formen

33:02
immer gleich. Die einzige Veränderung, die es gegeben hat zwischen der Antike und heute ist nur, dass man umgestellt hat. In der Antike hat man einen Brief üblicherweise geschrieben, A an B Grüße und am Schluss nur mehr lebt wohl oder viele Grüße. Wir teilen das auf, wir nennen die den Angeredeten am Anfang und um selber erst am Schluss, abgesehen jetzt von einem Briefkopf, einer Adresse und so weiter. Ansonsten sind diese Kromstrukturen gleich geblieben. Erst durch SMS und E-Mail hat sich das geändert. Das wäre früher unmöglich gewesen, einen Brief zu schreiben ohne eine Einleitung, eine Anrede und einen freundlichen oder nicht

34:08
so freundlichen Schlussgruß oder keinen Schlussgruß. Dann hätte das schon was bedeutet. Bei SMS ist das normal, da brauche ich keine Anrede, da brauche ich keinen Gruß, das ist eine knappe kurze Form. Ja, das kann ich ja aber auch nur deshalb tun, weil durch die elektronische Übermittlung ja auch klar ist und auch sichtbar ist, wer bin ich, der da schreibt und an wen schreibe ich. Und bei E-Mail ist das genauso. Das macht dem schon mein Programm. Jetzt nur so am Rande bemerkt so meine persönliche Sicht, etwas seltsam ist es trotzdem, wenn ausgerechnet bei E-Mails am Schluss nur mehr abgekürzt wird GLG oder LG, liebe Grüße, MFG mit freundlichen Grüßen, denn genau dort braucht man sich ja

35:08
nur automatisiert eine Signature einrichten und mit jeder neuen E-Mail, die man startet, steht unten schon vielleicht auch einmal ausgeschrieben mit freundlichen Grüßen oder mit herzlichen Grüßen oder wie auch immer. Eigentlich eine seltsame Entwicklung. Zurück in der Antike und zu den Paulusbriefen. Da eingangs groß war, ist da schon noch mal ganz was Wichtiges. Ein normaler griechischer Brief und im Lateinischen ist das ganz ähnlich bei lateinischen Briefen, beginnt mit so einer kurzen Formel, der Absender an den Adressaten oder die Adressatin und dann eine einfache Formel, sich zu freuen. Das wäre die wörtliche Übersetzung.

36:03
Ein Infinitiv, kein Prädikat. Im Griechischen ist das ein Wort, Chyren, hat jetzt gleich für uns Papyrologen wieder den Vorteil, wenn wir ein Schreiben entdecken, ein Fragment eines Papyrus und wir können da ein Chyren drauf entziffern, wissen wir sofort, aha, ein Brief. Das geht zurück auf eine natürlich etwas umfangreichere vollständige Formel, die man noch auf Briefen, die im Original auf Bleitefelchen erhalten sind aus dem vierten Jahrhundert v. Chr. gefunden hat. Da steht nämlich drauf, ich zitiere ein ganz konkretes Beispiel, Nesi ergos an die seinen

37:03
Zuhause. Er fordert sie auf, er empfiehlt ihnen, sich zu freuen. Und da fügt er gleich noch hinzu, ungesund zu sein. Und dieses er fordert sie auf, er empfiehlt ihnen oder man könnte es auch übersetzen mit Erschickt zu ihnen, ist das griechische Verb epistello. Davon kommt das Hauptwort epistole, die epistl, lateinisch epistula, Deutsch Brief. Da haben sie eine wunderbare Definition für das, was ein Brief ist. Ein Absender schickt etwas an den Adressaten mit

38:02
der Aufforderung, sich zu freuen. Warum soll er sich freuen? Na ja, weil sogar in der Entfernung jetzt deutlich gezeigt wird, wir haben eine Beziehung, ich vermisse dich, ich habe etwas wichtiges mitzuteilen. Freue dich darüber, dass du von mir eine Nachricht bekommst. In dieser kurzen Formel steckt im Grunde alles drin, was ein Brief sein soll. Und die wird über Jahrhunderte verwendet. Ja, da gibt es ein interessantes Beispiel aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. Eine Tochter, eine gewisse Taubass, schreibt an ihren Vater Pompeus, Taubass an Pompeus, den Vater, sich besonders zu freuen. Ja, ist er der liebe Vater. Komm, so schnell du kannst, deine Tochter, Herr Renier ist gestorben. Man könnte jetzt sagen, na ja, das ist halt eine

39:09
Formel. Sogar bei einer traurigen Nachricht wird halt einfach dieses sich zu freuen hingeschrieben, das ist ja nicht mehr ernst gemeint. Ganz so ist es nicht, denn man entdeckt, dass dieses besonders, das wurde ausgekratzt. Die hat also gemerkt, das geht jetzt in dem Fall nicht, bei so einer traurigen Nachricht. Ja, ein sehr dramatisches Beispiel aus dem ersten Jahrhundert, das auch deshalb dramatisch ist. Zuvor hat die andere Tochter, wir haben von der sogar auch Briefe an den Vater erhalten, das war offenbar sogar die Lieblingstochter des Pompeus, die Herr Renier, die hat ein Kind geboren, das etwas zu früh auf die Welt gekommen ist, es ist bei der Geburt gestorben. Sie hat die Geburt noch überlebt, aber ein paar Tage danach

40:04
ist auch die Tochter, die Mutter des Babys gestorben. Was macht der Paulus? Der macht aus dem Eingangsgruß sehr gekonnt viel mehr als nur diese kurze Formel, die sie übrigens genau am Beginn des Jakobusbriefs finden, dieses griechische Chayrin. Wie schreibt Paulus? Paulus an die Gemeinde oder an Philemon und so weiter. Also schön, die Form zuerst nennt sich der Briefschreiber selber, das hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun, das macht man so. Dann die Adressatengruppe und dann schreibt er nicht einfach Chayrin, sondern dann schreibt er Charis, Chay, Erene, Gnade und Friede. Charis, Chayrin, das klingt ja so ähnlich. Ja, diese Ähnlichkeit ist sicher bewusst gewählt.

41:07
Da hört man das Chayrin so ein bisschen heraus, auch wenn Charis eben dann Gnade, Kunst und so bedeutet. Erene, Friede, das ist das Schalom. Das ist der Gruß, den Jüdinnen und Juden heute noch verwenden. In Israel sagt man nicht guten Tag, sondern da sagt man Schalom, wenn man sich begegnet oder auch in einem Brief. Die beiden verwendet Paulus und dann schreibt er noch dazu Gnade und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus oder so ähnlich. Paulus ist schon ein schlauer Briefschreiber. Paulus an zum Beispiel die Gemeinde von Korinth,

42:02
Gnade und Friede euch von Gott unserem Vater und so weiter und so fort. Aha, der Paulus ist der Vermittler dieser Gnade und dieses Friedens, die von Gott und von Jesus Christus kommen. Analogien dazu findet man in manchen Bereichen der Antike auch. Er stellt da gleich am Anfang hin. Diese Eigentümlichkeit, dass jemand eine Form für den Eingangsruß verwendet, die viel ausführlicher oder auch sehr individuell, sehr persönlich geprägt ist, die findet man auch immer wieder mal. Paulus ist hier nicht einzigartig, ist ja nicht die einzige Ausnahme. Um nur ein Beispiel zu nennen, ein antiker Philosoph, der Begründer der Künnischen Schule, Diogenes von Sinope,

43:06
von dem ist ein Brief erhalten geblieben durch Überlieferung. Da bezeichnet er sich selber schon einmal nicht als Diogenes, sondern als Kühion, Kühniker, Kühn, der Hund. Die Kühniker haben ihre Bezeichnung von den Hunden. Jetzt hören alle Hunde, die da sind, was mich sehr freut, vielleicht besonders gut zu auch. Diogenes bezeichnet sich auch als Hund, Kühniker. Der Hund an seinen Adressaten und dann schreibt er statt Kairin, schreibt er, dich selbst zu erkennen, das ist das berühmte griechische Knotis-Sauton, erkenne dich selbst. Dieser philosophische Spruch der Selbstbesinnung, der über dem Eingang des Apollontempels in Delphi stand. Dass das ein

44:06
Brief ist, erkennt man trotzdem sofort und da gibt jemand sofort so seine Botschaft rein, so ähnlich wie Paulus mit Nadeweich und Friede von Gott zu unserem Vater und so weiter und so fort. Zum Briefanfang gehören dann auch noch, wenn es verwendet wird, ein Gebetbericht, ein Erinnerungsmotiv, das verwendet Paulus auch sehr häufig. In allen meinen Gebeten denke ich an euch, das kann so kombiniert sein. Ja, in einem religiösen Kontext verwenden wir das auch heute noch. Ich denke immer an dich. 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Ja, ich denke so oft an dich. Das sind Formeln und auch wenn man das nicht 24 Stunden lang macht, man vermittelt damit sofort,

45:09
unsere Beziehung ist eine gute, die ist in Ordnung. Ich denke wirklich oft an dich. Du bist mir wichtig. Und Paulus macht das auch. Danach beginnt der Hauptteil des Briefes. Und der kann natürlich unterschiedlich lang sein. An einigen seiner Briefe verwendet Paulus etwas, das wir als Danksagung traditionell bezeichnen. Ich danke Gott für euch. Und im Grunde schreibt er darüber, er dankt Gott dafür, dass die Adressatinnen und Adressaten so gut im Glauben unterwegs sind. Eigentlich ist das der Bericht einer Danksagung und nicht eine Danksagung. Wir finden parallel

46:03
dazu in Alltagsbriefen der Antike die typische Situation ist. Und wenn es bereits um eine Situation geht, dann ist das nicht mehr der Briefanfang, sondern gleich der Hauptteil. Am Anfang schreibe ich etwas, was ich in jedem Brief schreiben kann. Diesen Eingangsgruß oder ich denke immer an dich, ich denke oft an dich, ich bete für dich. Es hat mit der Situation zu tun. Ganz häufig, jemand dankt den Göttern, weil er gute Nachrichten bekommen hat, dass es der Adressatinnen und Adressaten gut geht, dass die gesund sind. Also es wird berichtet, ich habe, nachdem ich deinen Brief erhalten habe, sofort den Göttern gedankt, weil ich erfahren habe, dass es dir gut geht. Hast

47:00
du gesund bist. Es kann sogar sein, ich war sehr besorgt, als ich erfuhr, dass du krank bist. Aber als ich dann hörte, dass du gesund bist, dankte ich sofort den Göttern. Und wenn man bei Paulus nachschaut, dann ist auch sein Dank immer mit guten Nachrichten, die er erhalten hat, verbunden. Irgendwo im Brief, wenn so eine Danksagung vorkommt oder er berichtet, dass der Gott dankt oder Gott gedankt hat, irgendwo im Brief findet sich dann ein Hinweis, wer ihm aus der Gemeinde, an die er schreibt, gute Nachrichten gebracht hat. In mündlicher Form oder in Briefform. Und jetzt komme ich zum Römerbrief, denn da ist Paulus wirklich genial. Ich habe gesagt, da war er noch nicht, da kennt er noch nicht persönlich die Leute, da hat er auch noch keine Nachrichten bekommen.

48:06
Aber auch am Beginn des Hauptteils des Römerbriefs findet sich so ein Bericht einer Danksagung. Was schreibt Paulus da? Im ganzen Kosmos, auf der ganzen Welt hört man ja, jetzt hat etwas salopp ausgedrückt, wie toll ihr doch seid im Glauben. Und dafür dankt der Gott. Die Konvention ist sofort wieder da. Wer damit vertraut ist, wer merkt sofort, ah, Paulus hat dafür, dass es uns so gut geht, dass er von uns gehört hat, nur positives Gedankt. Die Intention, die Message,

49:09
die damit verbunden ist, kommt an, die wird verstanden. Gegenüber unbekannten Leuten tut Paulus so, als wir kennen uns ja eh schon. Er bereitet da schon sofort den Boden dafür, dass die, ja, ihm drauf reinfallen, wäre jetzt böse gesagt, dass die das aufnehmen, hey, ihr seid mir wichtig. Auch wenn ich selber noch nicht dort war, ich möchte endlich auf Besuch kommen. Man trifft jemanden zum ersten Mal und wird vielleicht vorgestellt und dann, ah, von Ihnen habe ich schon viel gehört. Und dann sagt man, hoffentlich nur Gutes. Genau das macht Paulus hier. Ganz anders im Galaterbrief.

50:02
Man hat da manchmal gesagt, im Galaterbrief fehlt eine Danksagung. Na, wenn keine guten Nachrichten kommen sind, ah, Sie haben eine Ahnung vom Galaterbrief, da geht es ganz schön deftig zur Sache, mit denen dort liegt er wirklich im Clinch. Ja, da gibt es keinen Grund für irgendwas dankbar zu sein. Da hat er keine guten Nachrichten bekommen. Da verwendet er genau das Stichwort, das man in vergleichweisen Fällen verwendet. Ich bin ganz schön erstaunt. Das findet man in vielen Papyrusbriefen in der Weise, ich habe schon fünfmal dir geschrieben, ich bin ganz schön erstaunt, du hast mir nie zurückgeschrieben. Na ja, damit hat der Galaterbrief nicht viel zu tun. Da steht

51:03
nichts davon. Das ist jetzt schon der zehnte Brief, den ich euch schreibe und von euch höre ich nie was. Das erstaunt mich doch sehr. Im Galaterbrief schreibt Paulus, ich bin erstaunt, ich wundere mich schon ganz schön, dass ihr so schnell von dem, der euch in der Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium umwendet. Es gibt interessanterweise zwei Beispiele, die dem sehr nahe kommen, in einem Papyrusbrief ganz besonders. Der lässt sich sogar genau datieren auf den 16. Dezember 87 nach Christus. Das Datum ist auch erhalten auf dem Brief. Da schreibt eine Frau, ich bin ganz schön erstaunt, ich wundere mich doch sehr, wie du deine Treue verändert hast, wie du untreu geworden bist, unzuverlässig. Und Treue ist im Griechischen Pistis dasselbe Wort, das auch Glaube bedeutet.

52:08
Pistis, Glaube im Sinn von Treue, im Sinn von Zuverlässigkeit, im Sinn von Vertrauen. Glauben hat also gar nichts mit Nichtwissen zu tun, sondern mit Vertrauen. Also eine interessante Parallele. Paulus schreibt zwar vom Abfall, so quasi, vom Weggehen vom Evangelium, aber es hat ja mit Pistis zu tun. Und das passt, das haben die verstanden, wenn da auf einmal, ich wundere mich doch sehr steht. Im Hauptteil nur kurz noch ein paar Formeln, um so ein bisschen entlang zu gehen, an solchen Briefen. Sogenannte Disclosure-Formulas kommen oft vor. Das sind Formeln, die sagen

53:02
eigentlich überhaupt nichts aus. Die sind inhaltsleer. Da wird also etwas eingeleitet, eröffnet, Disclosure ge offenbart, angezeigt. Das ist so was wie, ihr wisst doch das oder wisst ihr nicht das oder ihr solltet wissen das. Dann gibt es auch so Aufrufe, so schaut's doch, holla. Jetzt aber, das wären jetzt so heutige Formulierungen vielleicht. Ein Inhalt wird damit nicht übermittelt, aber die Leserinnen und Leser werden zur Aufmerksamkeit gerufen. Da hockt man auf. Und streichen sie bitte alles an Überschriften, die sie in den Schriften des

54:05
Neuen Testament so zwischendrin finden, Überschriften von Perikopen, von Kapiteln, die stehen alle nicht in den Originaltexten. So was kannte man auch in der Antike gar nicht. Das was man kannte, was man verwendet hat, auch bei langen philosophischen Texten, sind genau solche Formeln, wo man eben die Hörerinnen und Hörer, die Leserinnen und Leser zur Aufmerksamkeit wieder gerufen hat. Beim Lesen hat man da natürlich noch viel mehr Möglichkeiten als nur beim Schreiben. Da kann man dann auch mit der Stimme arbeiten. Da kann man plötzlich ganz laut werden. Dann wachen auch die in der letzten Reihe wieder auf. Man kann eintönig dahinreden und

55:02
solche Formeln nicht verwenden, dann hat man irgendwann einmal alle verloren, es sei denn, es geht um Reizthemen. Die hat es bei Paulus natürlich auch gegeben. Man kann auf frühere Nachrichten Bezug nehmen, ja, auf frühere Briefe. Man kann auf Briefe, auf mündliche Nachrichten jener Bezug nehmen, an die man jetzt schreibt. Denken Sie an den ersten Korintherbrief von den Leuten der Chloë. Da hat Paulus Nachrichten bekommen, das erwähnt er auch und dann geht er genau darauf ein. Man kann das auch ein bisschen systematisieren, finden Sie auch im ersten Korintherbrief von Kapitel 7 bis 14. Jede Frage, auf die Paulus da eingeht, die offenbar an ihn gestellt wurde, beginnt mit über dieses Thema. Darüber in 1 Korinther 7, es ist nicht gut eine Frau zu berühren.

56:13
Wird heute noch darüber diskutiert und gerätselt, ist das jetzt die Meinung des Paulus oder war das die Anfrage von Korinth? Wir werden nie drauf kommen. Wenn wir den Fragebrief aus Korinth hätten, der vielleicht von den Leuten der Chloë ja da überbracht wurde, zusammen mit den Nachrichten, da gibt es diese Parteihungen, dann wüssten wir mehr. Das ist aber nicht erhalten. Das ist was Typisches. In den meisten Fällen sind solche Briefe, insbesondere die aus der Antike Einbahnstraße, wie so auf der einen Seite der Telefonleitung, wir hören, wir lesen nur den Paulus. Wir wissen nicht,

57:06
wie Philemon über den Onesimus gedacht hat, dass der jetzt weg war von ihm. Wir können nur lesen, wie Paulus damit umgeht. Wir wissen nicht in manchen Fällen, wie die Korintherinnen und Korinther wirklich gedacht haben, was sie genau gefragt haben, weil wir haben nur die Antwort des Paulus darauf. Wir finden in den Alltagsbriefen nur zwei Fälle, wo wir in der glücklichen Lage sind, dass wir beide Seiten haben. Das ist ein echter Glücksfall, wo man sozusagen den ersten Brief hat mit einer bestimmten Frage und dann auch den Antwortbrief, wo jemand zurückschreibt. Moralische Anweisungen kommen in Alltagsbriefen kaum vor. Und es ist durchaus interessant,

58:05
dass bei Paulus auch wenige so ganz allgemeine Formulierungen vorkommen. Die meisten sind anlassbezogen. So 1 Korinther 5 und 6, da gibt es jemanden, der lebt mit der Stiefmutter zusammen. Dann schreibt er, wie er diesen Fall sieht, wie er da vorgehen würde und was er erwartet. Er handelt die Fragen ab, die an ihn gestellt werden. Wie ist das mit Ehe? Wie ist das, wenn jemand Witwer oder Witwe ist? Wie ist das mit jungen Frauen und so weiter und so fort? Manchmal hat er da ein Wort des Herrn. Manchmal sagt er ausdrücklich, da habe ich kein Wort des Herrn. Aber das heißt noch lange nicht, dass ihr denken könnt, was ihr wollt. Denn ich bin der berufene

59:06
Apostel und ich sage euch, man war schon ein Fuchs der Paulus. Da gehe ich jetzt noch einmal kurz zu den Pastoralbriefen rüber, 1 Timotheus und Titus vor allem. Es gibt also in der antiken Briefliteratur keine echten Parallellen zu einer solchen Anhäufung von abstrakten Anweisungen, ethisch-moralischer Natur. Man kann sich da wirklich fragen, warum sind die überhaupt in Briefform erhalten? Ja, es könnte sein, dass jemand schon im Sinne einer Autorität, eines gewissen Machtanspruchs da jetzt sagt, so habt ihr es zu tun und nicht anders. Zu Paulus

60:01
passt das nicht. Zum Beispiel in 1 Timotheus 2,12, einer Frau gestatte ich nicht, dass sie leere, auch nicht, dass sie über den Mann herrsche, sondern sie sei still. Man nimmt an, dass das von dort erst nachtweglich auch zu 1 Korinther 14 rübergewandert ist, die Frau Schweige in der Gemeinde. Diese Formulierung, ich gestatte nicht, gestatten, eine Anweisung oder was mit gestatten oder nicht gestatten einzuleiten, das finden sie nicht in privaten Briefen. Das findet man in Amtsbriefen, wo eine hohe, eventuell sogar die höchste Autorität eben an Untergeordnete eine

61:05
Anweisung oder ein Verbot übermittelt. Das ist die Sprache, die wir halt in den Pastoralbriefen haben. Paulus schreibt da wirklich anders. Paulus war schon, ja, ich würde schon sagen, ein bisschen ein Narzisst. Mit Selbstbewusstsein war er gesegnet. Er hat auch viel in Kauf genommen dafür, das muss man auch sagen. Oft in Gefangenschaft, ausgepeitscht, schief brücherlitten, gesteinigt wurde er ein paar Mal und so weiter. Das hat er auch in Kauf genommen für seine sehr klare, pointierte Ausdrucksweise, für seine sehr selbstbewusste Botschaft. Und bitte lesen Sie auch einst die

62:01
Salonika, diesen Abschnitt, der eine ganz unselige Wirkungsgeschichte im Antisemitismus erlebt hat, in dem Kontext, wo Paulus einfach einmal die Geduld durchgeht, ausgeht, in der Zorn durchkommt, über die, die ihm am nächsten sind, über seine Mitjüdinnen und Mitjuden. Also ausgerechnet von denen so viel Schikanen immer wieder erlebt hat. Da leidet ein Jude unter den Schikanen seiner Allernächsten, seines Volkes. Keine persönliche Notiz am Rande. Mir hat nie etwas so weh getan, mich hat nie etwas so enttäuscht wie der Moment, wo der Personalchef meiner Universität,

63:02
die ich bei jedem Vortrag mit erwähnt habe, da arbeite ich, da werde ich gefördert, da habe ich meine wunderbaren Arbeitskonditionen. Wenn mich der Personalchef meiner Universität in einer ganz, ganz dringenden Angelegenheit sowas von dem Stich lassen hat. Eine Dokumentation, die ich auf dem Dienstweg eingereicht habe, wo es seine verdammte Dienstpflicht gewesen wäre, das zu lesen. Nicht einmal gelesen hat. Wo ich etliche Wochen warten musste, dass es sich eine halbe Stunde Zeit genommen hat für diesen Fall. Da ging es auch noch um sehr viel Geld, das ich eingeworben hatte und das ich verantwortlich war. Der mir dann ins Gesicht gesagt hat, ich habe mir nicht die Zeit genommen, das zu lesen, aber ich glaube, das haben wir eh

64:00
gleich erledigt. Und alles, was ich gebraucht hätte, hat er schlicht und einfach verweigert. Dass ich auf den sauer bin, ist verständlich. Aber deshalb hat niemand einen Grund, über meine Universität schlecht zu reden. Dass Paulus über seine Allernächsten, über sein Volk, richtig sauer ist und ihm der Zorn durchkommt, das ist verständlich. Aber deshalb hat niemand ein Recht zum Antisemitismus. So viel nur zu dieser Stelle. Danke für den Applaus, aber es ist schade, dass man da überhaupt applaudiert. Denn das sollte selbstverständlich

65:02
sein. Ich komme zum Briefschluss. Der ist wieder sehr formelhaft. Da werden Grüße ausgerichtet, in beide Richtungen. Das finden Sie in den Paulusbriefen genauso wie in den Briefen anderer bekannter Persönlichkeiten wie auch in den antiken Privatbriefen. Der und der grüßt dich, oder alle, die mit mir jetzt da sind, grüßen euch. Oder eben auch, grüßt bitte auch den und den, die bei dir sind. Besonders ausführlich ist das im Römerbrief, am Schluss des Römerbriefs, im 16. Kapitel. Eine Riesenliste. Diese ganzen Theorien, dass das vielleicht nicht zum ursprünglichen

66:04
Römerbrief gehört, der mal beiseite. Wenn man das als Gesamtes liest, dann hat man den Eindruck, alle, die Paulus irgendwie kennt, die jetzt gerade in Rom schon sind, von denen er irgendwie mal gehört hat, die grüßt alle. Passt wunderbar zum Danksagungsbericht am Beginn. Es lässt sich ein Rahmen. Von euch hört man auf der ganzen Welt nur Gutes. Dafür bin ich Gott so dankbar. Und jetzt listet er auch noch auf, wen er da alle schon einmal kennt, anderswo kennengelernt hat und die sind jetzt schon in Rom und so weiter und so fort. Unter anderem Andronikus und Junia, sie kennen wahrscheinlich alle die Gesichter der Junia, die leider Gottes wirklich durch Martin Luther rausgeworfen wurde mit der Begründung, wenn der Andronikus und Junia, Luther meinte,

67:08
das sei der Mann Junias, wenn die als Apostel bezeichnet wären, das wären sie nämlich an der Stelle, sogar als Angesehene unter den Aposteln, dann müssten das ja zwei Männer sein. Schon die antiken Kirchenväter waren ganz normal der Überzeugung, das ist eine Frau, die heißt Junia. Wie wunderbar da Paulus da über Frauen schreibt. Johannes Chrysostomos. Uns Männern sind diese Frauen ein Vorbild, auch für Paulus und deshalb hebt er die da extra hervor, Junia und andere Frauen, die in Römer 16 erwähnt werden. Dann kommt der Schlussgruß.

68:01
Der kürzeste, den man in den Briefen findet, ist so ein einfaches Leibwohl. Paulus natürlich wählt da auch wieder seine so quasi persönliche Note, noch einmal mit Gnade von Gott, wie auch immer. Es wird unterschiedlich dann formuliert. Damit enden die Paulusbriefe. Bei antiken Briefen konnten da noch einige Zusätze dazukommen. Es konnte ein Postscriptum dazukommen, findet sich in den neustestamentlichen Briefen insgesamt nicht. Ein Brief konnte datiert sein, ungefähr die Hälfte der Papyrusbriefe, die wir haben, sind datiert. Steht also ein genaues Datum drauf. Ein Beispiel habe ich Ihnen vorhin erwähnt. Wie das bei den Originalbriefen des Paulus war, wissen wir schlicht und einfach nicht. Ich habe gesagt, die Hälfte der erhaltenen Papyrusbriefe

69:05
enthalten ein Datum. Also man hat nicht jeden Brief datiert, je nach Bedarf oder nach Laune. Sollten Paulusbriefe datiert gewesen sein oder ein paar von diesen, dann liest man halt bei der Paulusbriefsammlung, bei der Publikation das Datum weg. Das wäre nicht unüblich gewesen, durch die Veröffentlichung, durch die Sammlung und spätere Veröffentlichung hebt man ja diese Schreiben aus der speziellen Situation, aus der speziellen Gelegenheit heraus. Man macht sie zeitlos. Da will man eventuell bewusst kein Datum mehr mit überliefern. Andererseits sind viele Briefe Ciceros auch in der veröffentlichten Form, und nur so haben wir sie erhalten,

70:01
noch immer datiert. Also denken kann man darüber alles und wie es wirklich war, werden wir nie erfahren. Ein längerer Brief wurde dann zusammengerollt, ein kleiner Brief wurde gefaltet. Gab es bestimmte Formen, wie man das richtig gemacht hat. Dann wurde ein Brief gerne versiegelt, eventuell wirklich mit einem Siegelring. Wachs hat man eher wenig genommen, so ein Lehm, so ein Lehmpropfen drauf und mit einem Siegelring versiegelt. Oder ganz einfach, hat jeder Bauer einen Siegelring zu Hause. Man hat den Brief mit einem Faden verschnürt und dann über den Faden ein X gezeichnet. Wenn man den Faden runter nimmt, ist das X durchbrochen. Dann hat man

71:05
so die Striche. Das war die einfachste Form der Siegelung. Dann wurde der Brief losgeschickt. Es gab eine so Art staatliche Post, die von Augustus eingerichtet wurde, der sogenannte Cursus Publicus. Aber der war der Verwaltung und vor allem dem Militär vorbehalten. Für die Privatpost gab es offiziell gar nichts. Man brauchte also private Briefboten. Jeder, der unterwegs war, konnte dafür dienen, wenn die Richtung stimmte. Wie kann man sich das bei Paulus vorstellen? Entweder hat er, so wie alle anderen auch, bewusst für diese Aufgabe jemanden

72:02
losgeschickt mit einem Brief dorthin. Beim Philemonbrief liegt es auf der Hand. Das ist ein Empfehlungsbrief für den Sklaven Monesimus, der schickt den Brief der Paulus mit dem Empfohlenen mit. Bei anderen Briefen kann das jemand sein, der zufällig unterwegs ist. Wir haben ganz nette Beispiele. Jetzt hat mich der und der besucht. Weil der unterwegs ist, schreibe ich ihm schnell ein paar Zeilen und gebe ihm die mit, um dich zu grüßen. Gerne schickt man auch noch gleich ein bisschen eine Todzeit mit dem Studenten in der Stadt oder so. Das gab es alles in der Antike

73:01
auch schon. Und dann führt man peinlich genau im Brief auch auf, was man alles mitschickt, damit das ja auch alles ankommt. Dann kommt eventuell noch der zweite Brief nach. Ich habe dir das und das geschickt, aber noch keine Antwort bekommen, ob du das auch erhalten hast. So hat damals Paketversicherung funktioniert. Manchmal haben die Briefbotinnen und Briefboten gleich den Brief vorgelesen. Es gibt deutliche Hinweise in diesen Papyrusbriefen. Es könnte zum Beispiel sein, dass Vöbe, die den Römerbrief überbracht hat, den auch gleich vorgelesen hat, wenn die alle Zeit hatten. Manchmal wird in solchen Privatbriefen ausdrücklich erwähnt,

74:09
dass die oder der, der den Brief überbringt, dir noch genauer was erzählen zu dieser Angelegenheit. Also man konnte Briefboten, Briefüberbringerinnen auch dafür verwenden, um noch zusätzliche Informationen an die Adressatinnen und Adressaten zu bringen. Eventuell auch das, was man nicht schreiben wollte, nicht die Zeit hatte, das so ausführlich zu schreiben oder auch bewusst nicht, wenn das womöglich ein anderer liest. Also das unter vier Augen. Da wissen wir natürlich, was Paulusbriefe betrifft, rein gar nichts. Aber man kann sich gut vorstellen, dass die Broten, nachdem die Erwähnten ja zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Paulus

75:03
gehörten, dass die zumindest für Fragen auch zur Verfügung standen. Wenn da zurückgefragt wurde, naja wie meint der Paulus das jetzt wirklich? Und wenn die konnten, haben sie sicher da auch noch Auskunft gegeben. Später wurden die Paulusbriefe, wie auch Briefe anderer Persönlichkeiten, Zizaro, Seneca, Plinius, der Jüngere, da gibt es eine ganze Reihe in der Antike, gesammelt und publiziert. Es ist eine Tatsache, dass nicht alle Paulusbriefe gesammelt wurden und publiziert wurden. Wir erfahren aus den beiden Quarinterbriefen, die wir in unseren Ausgaben finden, dass es zumindest noch zwei weitere gegeben hat. In 1 Quarinter erwähnt Paulus schon, dass er in einem früheren Brief etwas geschrieben hat. Und zwischen dem ersten und zweiten Quarinterbrief muss auch ein

76:03
Brief gewesen sein, den er im zweiten Quarinterbrief erwähnt. Speziell diese Situation hat auch Anlass dazu gegeben, dass man sich auf die Suche gemacht hat nach diesen beiden Quarinterbriefen. Da sind wir jetzt bei dem auch sehr komplexen Thema Kompilationstheorien. Es gab so eine Hochblüte dieser Disziplin. Da hat jemand, Walter Schmidthals, rekonstruiert in den beiden Quarinterbriefen, dass in dem ersten und zweiten Quarinterbrief sind 13 Briefe des Paulus an die Quarinter enthalten, die da zusammen kompiliert wurden. Diese Zeit ist mit Sicherheit vorbei. Vielleicht kommt sie irgendwann wieder, in gewisser Weise etwas inflationär. Man nimmt heute weitgehend an,

77:07
dass der zweite Quarinterbrief aus zwei Briefen zusammengestellt wurde. Das macht in gewisser Weise Sinn, weil sich die Kapitel 1 bis 9 des ersten Quarinterbriefs von 10 bis 13 unterscheiden. Manche nehmen an so deutlich, dass da unterschiedliche Briefsituationen zugrunde liegen. Wie dem auch sei, ich habe mir da mal die Frage gestellt, macht das überhaupt Sinn? Also warum sollte man zwei Briefe, wenn man die hat, warum sollte man daraus einen machen? Also ein Brief mehr des Paulus ist ja toll. Hätten wir drei Quarinterbriefe oder vier, müssen ja nicht gleich 13 sein. Für den zweiten Quarinter wäre das vorstellbar,

78:09
wäre das auch vernünftig nachvollziehbar. Denn wenn 10 bis 13, wo Paulus doch in einem recht scharfen Ton mit der Gemeinde da umgeht, dann kommt die sogenannte Narrenrede auch vor, wo er sich selber so zum Narren macht, um Ihnen eigentlich zu zeigen, eigentlich seid ihr den Narren natürlich. Wenn dieser Brief tatsächlich der Brief dazwischen wäre, auf den Paulus in den Kapiteln 1 bis 9 Bezug nimmt, ich habe euch da einen Brief geschrieben und da wurde jemand betrübt und schlussendlich führte das zum Besseren, weil ich da hart mit euch umgegangen bin. Dann wäre das ja ein Brief, also da ist man nicht so interessiert, dass man den in eine Sammlung aufnimmt. Da ist man

79:07
vielleicht auch nicht so interessiert, dass man den unter besten Umständen lagert. Also ein vernünftiger Grund für eine Kompilation oder der für mich noch am besten denkbare wäre der, dass man einen Brief nicht mehr vollständig erhalten hat, wie es zur Sammlung kommt. Und das könnte ja also dieser Tadelbrief gewesen sein und wenn man den nicht optimal gelagert hat, wenn der schon beschädigt war, dann fehlt der Anfang. Der ist bei der Rolle außen. Wenn der Anfang verloren gegangen ist und man möchte aber trotzdem was davon in eine Sammlung aufnehmen und publizieren, dann besteht ein vernünftiger Grund, dass man einen anderen Brief anzuhängen und

80:01
deshalb auch hinten dran gehängt, obwohl zeitlich früher. Den Anfang hat man eh nicht mehr, man braucht dann nur einen Schloss dann weglassen und hat einen Brief. Also das wäre eine mögliche Erklärung, warum es überhaupt dazu gekommen sein könnte. Im Kolosserbrief wird außerdem ein Brief an die Gemeinde von Laodicea erwähnt. Sie erinnern sich, ich halte den Kolosserbrief nicht für einen echten Paulusbrief, aber interessant, dass da ein weiterer Brief erwähnt wird, nämlich an die Gemeinde von Laodicea. In gefälschter Form liegt der vor. Wenn man hat in späterer Zeit wirklich einen gefälscht, dann können wir es nachlesen, hat mit dem Paulus aber nichts zu tun. Der interessante Hinweis, der sich dort nämlich findet, in Kolosser 4, wenn ihr den Brief gelesen habt, gemeint ist der

81:07
Kolosserbrief, dann gebt ihn auch an die Gemeinde von Laodicea, damit auch die ihn lesen, so wie umgekehrt auch ihr den aus Laodicea lesen sollt. Also wie auch immer, ob das jetzt ein Paulusbrief ist oder nicht, das ist auf alle Fälle schon ein Hinweis darauf, auf diesen Austausch von Briefen, dass auch andere Gemeinden dann gewinnbringend den Brief der Nachbargemeinde gelesen hat. Da wären wir also wirklich auch schon am Beginn von Sammlungen, vom Austausch von Briefen, da wird dann auch schon vorstellbar, dass man die auch schon kopiert hat. Es wird viel diskutiert, hat Paulus selber die erste Sammlung erstellt, hat er Kopien gehabt von seinen Briefen oder hat jemals halt dann irgendwann begonnen, die zu sammeln, zu schauen in den Gemeinden, was ist dann noch erhalten.

82:04
Sie sehen zumindest am Beispiel des Kolosserbriefs, dass sehr früh schon das Interesse darin besteht, die Paulusbriefe weiterhin zu lesen. Und das ist auch der Grund, warum wir heute noch in der Lage sind und warum es durchaus im Sinne des Paulus oder seiner Schüler ist, dass diese Briefe weiterhin gelesen werden, auch unabhängig von der konkreten Situation, von der Zeit. Also wir haben durchaus eine in der Intention des Paulus liegende Erlaubnis, wenn nicht sogar die Aufgabe, diese Briefe zu lesen und zu schauen, was können wir denn daraus lernen und warum können wir die heute noch mit sehr viel Gewinn lesen. Ich danke Ihnen.

Alles anzeigen
Ausblenden

Die Briefe des Paulus | 14.7.1

Worthaus 12 – Tübingen: 21. Mai 2024 von Prof. Dr. Peter Arzt-Grabner

Im 21. Jahrhundert schreibt man Mails und Kurznachrichten, schreibt »Hi« und »LG« oder auch gar keine Grußformeln mehr, schickt Emojis und »LOL«. Viele wissen, was gemeint ist, manche sind empört ob der Unhöflichkeiten, und wenn die Server und Festplatten irgendwann einmal kaputtgehen, ist alles Geschriebene auf immer verloren.
Anders als Briefe, die vor 2000 Jahren geschrieben wurden. Sie waren lang, sie enthalten ausführliche Grußformeln, keine Emojis, und wir können sie heute noch lesen (wenn auch meist nicht im Original). Der Apostel Paulus ist gerade wegen seiner Briefe unter Christen und darüber hinaus bekannt. Anders als viele Menschen heute Nachrichten schreiben, hat Paulus seine Briefe mit Bedacht verfasst. Die meisten seiner Adressaten kannten ihn noch gar nicht, seine Briefe waren der erste Eindruck, den andere von ihm bekamen, seine einzige Chance, in der Ferne bei den jungen »christlichen« Gemeinden ernst genommen und bei Besuchen aufgenommen zu werden.
Der Theologe und Professor für Papyrologie Peter Arzt-Grabner erklärt in seinem Vortrag, was wir heute über die kunstvollen Briefe des Paulus wissen, warum er welche Worte benutzt hat und wie uns diese Jahrtausende alten Briefe überliefert wurden.