Ich habe jetzt vor, den Schritt aus dem Alten Testament heraus zu machen und zu schauen, wie ist im Neuen Testament von Christen das Alte Testament gelesen und gedeutet worden und wie ist es bis in die Gegenwart rezipiert worden. Das ist ein großes Thema und darüber habe ich viele Materialien gesammelt, ich könnte da wirklich Tage füllen. Ich werde mich jetzt ein bisschen begrenzen müssen und schaue mal im ersten Teil auf das Neue Testament und dann im zweiten Teil in relativ großen Schritten auf die Rezeptionsgeschichte des Alten Testaments in der Kirche. Welche Bedeutung hat das Alte Testament angesichts der Offenbarung Gottes und Jesus Christus
behalten? Hat das Alte Testament seine Bedeutung verloren? Wie soll man sich das denken? Es gibt eine ganze Reihe von unterschiedlichen Modellen, wie man mit dem Alten Testament christlich umgehen soll. Und wenn Sie das Neue Testament lesen und wie gesagt die Bibel genau zu lesen, das lohnt sich, finden Sie auch da eine ganze Reihe von unterschiedlichen Konzepten. Also offenbar sind die ersten Christen in einer heftigen Diskussion darüber, welche Bedeutung hat die Offenbarung Gottes im Alten Testament jetzt noch. Und ich wollte es versuchen, erstmal die Stimme Jesu, dann die Stimme der Evangelisten, dann Paulus und die übrigen Briefe darauf hin zu bedenken. Das Alte Testament im Neuen ist eine sehr, sehr umstrittene Problematik und das hat
eine ziemlich heftige Wandlung dieses Thema. Wenn Sie das mal überblicken, gab es immer Phasen in der Weltgeschichte und Gegenden in der Welt, wo das Alte Testament sehr gering geachtet wurde. Dann gab es aber auch wieder Phasen, in denen das Alte Testament als ganz entscheidend angesehen wurde und sich da einen Weg zu bahnen ist nicht so einfach. Also erstmal bitte ich Sie um ein bisschen Geduld und um Differenzierung, wie haben die das gemacht? Jesus von Nazareth und seine Verkündigung zu rekonstruieren ist eine schwierige historische
Aufgabe. Ich glaube, die ist fast unlösbar. Obwohl es sehr viele Bücher gibt, was Jesus gelehrt hat und was Jesus wirklich gesagt hat. Was Jesus gesagt hat und was man ihm später in den Mund gelegt hat zu unterscheiden ist ganz, ganz schwierig. Es gab mal eine Phase, da hat man gesagt, alles was nicht jüdisch ist und alles was nicht christlich ist, das ist Jesus. Zum Beispiel die Anrede Gottes mit Abba, Papi. Beten Sie Papi, unser, nein wir sagen Vater. Kein jüdischer Beter benutzt die Anrede Papi, kein christlicher Beter, aber Jesus. Das ist so das sogenannte Unähnlichkeitskriterium. In der jüdischen Rabbinerschule saß keine Frau, in der christlichen Tradition saß keine Frau, aber bei Jesus, der hatte Frauen in seinem Jüngerkreis.
Jesus, unähnlich zu seiner Umwelt, also das ist ziemlich sicher Jesus. Da bleibt aber nicht so furchtbar viel übrig, was relativ sicher jesuanisch ist. Trotzdem nach dem sogenannten Kriterium der Plausibilität kann man doch noch einiges vermuten, was Jesus gesagt hat. Dabei zeigt sich, dass Jesus sehr eingebunden ist in die jüdische Schriftauslegung seiner Zeit. Wir haben durch einen sensationellen Fund in Kumran, 1947 ist da Schriftmaterial entdeckt worden, das immer noch sehr stark erforscht wird, Einblicke in die Bibelauslegung zur Zeit Null, so um das Jahr Null herum, also in die Zeit, in die Jesus dann hineingeboren wurde. Und in Kumran gibt es bestimmte hermeneutische Methoden, wie man das alte Testament auslegt.
Und ganz hervorragend dabei ist die Methode des sogenannten Pescher. Pescher heißt Auslegung. Dann wird ein Stück Bibel zitiert, dann kommt Pischro, seine Auslegung ist, dann kommt die Auslegung. Die Auslegung geht meistens nach dem Muster, das ist eine Verheißung, die sich auf unsere jetzige Gegenwart bezieht. Das, was da verheißen wurde, wird jetzt erfüllt. In Kumran läuft das halt so, dass die Gemeinde, die in Kumran ansässig ist, die Ereignisse, die in der Prophetie vorhergesagt sind, auf ihre Situation bezieht. Und genauso ist es bei Jesus. Sie kennen die Antrittsvorlesung in Nazareth, Entschuldigung, die Antrittsbredigt in Nazareth, das war jetzt ein akademischer Versprecher, Jesus geht in die Synagoge und man gibt ihm die Jesaja-Rolle und er liest ein Stück und soll darüber sprechen.
Die Antrittsbredigt. Und er sagt dann, das, was hier verheißen ist, ist heute erfüllt. Das ist genau die Pescher-Methode aus Kumran. Das, was Jesaja verheißt, jetzt wird es vor euren Augen erfüllt. So liest Jesus das alte Testament in hohem Maße als Voraussage seiner selbst. Er liest die Schrift und sagt, ja, das bin ich. Ich bin die Erfüllung. Wenn davon die Rede ist, dass ein Gottesknecht die Krankheit auf sich lädt, dass er für die Schuld der vielen sein Leben hingibt, ich, Jesus Christus, bin die Erfüllung. Also wahrscheinlich hat der historische Jesus das alte Testament gelesen als ein Fingerzeig auf ihn selber. Das zweite, was mir sehr auffällt, es gibt die sieben Auslegungsmethoden des Rabbi Hillel.
Der Rabbi Hillel hat auch ungefähr zur Zeit Jesu gelebt. Er hatte dauernd Streit mit seinem Gegner, dem Schamai. Das waren so zwei Schulhäupter, so wie evangelisch, katholisch, in bestimmten Zeiten haben die sich gestritten. Und der Hillel hat ein paar Auslegungsregeln, die offenbar für Jesus auch maßgeblich sind. Zum Beispiel der Schluss vom Einfachen aufs Schwere. Wenn Jesus sagt, sähe die Vögel unter dem Himmel. Sie säen nicht, sie ahnten nicht, aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr als sie. Dann ist das ein Schluss vom Leichten aufs Schwere. Wir sind mehr wert als Vögel. Und wenn wir mehr wert sind als Vögel, dann kann man vom Alttesamentlichen aufs Neutestamentliche sozusagen schließen, Gott sorgt für uns viel mehr noch als für die Vögel.
Oder von einer Bibelstelle auf eine andere Bibelstelle zu beziehen. Ein Beispiel zum Beispiel, wenn Jesus in Markus 11, 27 sagt und er lehrte und sprach zu ihnen, steht nicht geschrieben, mein Haus wird ein Beethaus genannt werden für alle Nationen, ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht. Dann kombiniert Jesus hier zwei Alttesamentliche Texte. Das ist ein Kombi aus Jesaja 56,7. Ich werde euch zu meinem heiligen Berge bringen und es soll ein Beethaus sein. Ein Beethaus und Jeremia 7,11. In der Tempelrede des Propheten Jeremia schimpft er und sagt, mein Haus ist eine Räuberhöhle geworden. Jesus ist als Ausleger damit beschäftigt, Stellen aufeinander zu beziehen, die eigentlich
weit auseinander stehen. Zwischen Jesaja 57 und Jeremia 7, da ist eine ganze Menge Zwischenraum, aber er kombiniert das. Oder wenn Jesus Alttesamentliche Texte zitiert, dann tut er das häufig in überraschenden Kombinationen. Was ist das höchste Gebot? Diese Frage wird ihm ja von einem Jüngling vorgestellt, ja gestellt und er soll jetzt eine Antwort geben. Was tut er? Er kombiniert zwei Stellen, die eben der hebräischen Bibel weit auseinander stehen. Einmal aus dem fünften Buch Mose, du sollst Gott lieben, mit all deiner Seele, mit all deiner Kraft und dann überraschend Leviticus 19, du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Das ist das höchste Gebot.
Der Rest ist Auslegen. Also er kombiniert Schriftstellen und dadurch schafft er neue Bedeutungen und kräftigere Profilierungen. Also nach meiner Sicht ist Jesus ein Schriftausleger. Er begreift sich selbst als einen Menschen, der in der Tradition lebt, der in dieser reichen Überlieferung lebt, von der ich vorhin ja versucht habe, Ihnen einen Eindruck zu vermitteln und er kombiniert das. Jesus kennt die Thora, er kennt die Propheten, er kennt die Weisheitsüberlieferung, die Weisheitsschriften und er ist selbst, also wenn ich jetzt ein bisschen übertreiben darf, das war Alttestamentler, wie ich, er hat interpretiert und hat es geschafft, die Bedeutung der Texte seinen Hörern zugänglich zu machen mit den Methoden, die ihm im Judentum seiner Zeit
gegeben sind. Und wenn wir in dem Neuen Testament dauernd in Diskussionen finden mit den Schriftgelehrten, die kennen diese Streitgespräche mit den Schriftgelehrten, dann gibt das meines Erachtens einen guten Einblick in das, was Jesus tat. Er versucht die Welt so zu deuten, dass sie im Lichte der Heiligen Schrift verstehbar wird. Er versucht sein eigenes Leben so zu deuten, dass sie im Lichte der Heiligen Schrift Israels begreiflich wird. Diese Nähe Jesu zum Alten Testament, diese tiefe Verwobenheit mit der jüdischen Tradition der Schriftauslegung markiert ihn. Also ich verstehe Jesus als Alttestamentler, der es schafft, aufs Wesentliche zuzuspitzen. Sie können sich ja, und das befürchten die meisten, wenn Professoren auftreten, in Kleinigkeiten
einen verlieren, so die Korinthen rauspopeln. Das tut Jesus gerade nicht, sondern er spitzt zu, das ist das Entscheidende, das ist das Wichtige. Darum geht es, was ist das entscheidend Wichtige am Willen Gottes? Wenn man jetzt in den vier Evangelien schaut, die ja alle ihr Porträt von Jesus malen und sehr unterschiedlich, das müssen Sie sich klar machen. Der Jesus des Matthäusevangeliums ist nicht der Jesus des Markus und der lukanische ist keineswegs der johannäische Jesus. Das sind eben die Theologien dieser jeweiligen Autorenkreise oder Personen. Ob das Matthäus oder Lukas ist, das wissen wir auch nicht. Die sind im Grunde auch anonym. Bei Matthäus erscheint Jesus als der neue Mose. So wie Mose auf den Sinai geht und dort die Offenbarung Gottes empfängt, so steigt Jesus
auf den Berg und hält eine Bergpredigt. Das ist eine ganz starke Analogisierung zwischen Jesus und Mose in den großen Reden, die das Matthäus-Evangelium komponiert. Und bei Matthäus spielen die alttestamentlichen Überlieferungen eine ganz entscheidende Rolle. Wenn Sie das neue Testament von vorne anfangen zu lesen, was finden Sie? Die Stammbäume Jesu. Die meisten schlagen dann gleich schon mal eine Seite weiter. Aber das sind die Wurzeln, die Jesus im alttestamentlichen hat. Das sind Generation um Generation die Menschen, die in der Heilsgeschichte Gottes eine Rolle spielen. Auch vier Frauen werden genannt, was bei Genealogien unüblich ist. Es sind auch sehr spezielle Frauen nebenbei bemerkt. Das sind doch sagen wir eher Damen im Zwielicht, die Hure Rahab und die Ausländerin und die
des Uria, also die Batsebal, die mit David Ehebruch begangen hat und dann die Maria, die noch nicht verheiratet ist. Also alles Frauen, die in den Maßstäben der damaligen Gesellschaft eher problematisch waren. Und mit solchen Leuten ist Jesus verwandt. Schon die vier Frauen im Stammbaum Jesu bei Matthäus sind das Programm. Jesus kommt eben auch zu den Ausländerinnen, zu den Huren, zu den unverheirateten Schwangeren. Im Matthäus-Evangelium werden sehr viele christologische Hoheitstitel benutzt, die die Kontinuität Jesu mit dem Alten Testament hervorheben. Jesus ist der Sohn Davids. Er ist der Sohn Abrahams. Er ist der wiedergekommene Elias. Er ist derjenige, der dasselbe gewaltsame Geschick erteilt wie die Propheten.
Also Jesus wird ganz eng zusammengesehen mit der alttestamentlichen Tradition. Und er ist nach Matthäus derjenige, der der Offenbarung des Mose die letzte Sinnspitze verleiht. Es gibt einen Streit darum, wer hat Gott das gemeint und Jesus sagt dann, so ist das gemeint. Gott hat gesagt, du sollst nicht Ehe brechen und dann sagt er, wer eine Frau ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen. Da macht er deutlich, es kommt nicht auf einen formal juristischen Akt an oder auf den Akt, sondern schon die Intention, schon der Gedanke ist das Problem. Also wir haben es bei Matthäus mit einer Gesetzesauslegung zu tun, die sehr streng ist, ein sehr radikaler, strenger Gesetzesausleger.
Gehen wir in das Markusevangelium, das viel dünner ist und sehr viele Reden nicht enthält, die Bergpredigt gibt es eben im Markusevangelium nicht, dann erscheint Jesus sehr viel stärker in kritischer Distanz zum Judentum. Bei Markus finden Sie solche Sätze wie, nicht was in den Mund hineingeht macht den Menschen unrein, sondern was aus dem Mund herausgeht. Das ist im Grunde eine Absage an die Speisegebote. Im Judentum spielt das, was Sie essen eine entscheidende Rolle. Sie müssen koscher essen, Sie dürfen kein Schweinefleisch essen, Sie dürfen kein Blut essen, Sie dürfen nicht Milch und Fleisch mischen, Sie müssen koscher essen. Und der markinische Jesus sagt, das spielt keine Rolle, was man isst, sondern das was man sagt, was aus dem Mund herausgeht, das ist entscheidend. Das ist im Grunde der Anfang der gesetzesfreien Interpretation des Christentums ohne Rückbindung
an die alttestamentliche Gesetzgebung. Also wenn der Sabbat für den Menschen da ist und nicht der Mensch für den Sabbat, dann ist das im Grunde schon eine scharfe Kritik an der Sabbat-Observanz, also an der strengen Befolgung der Sabbat-Gesetze des Judentums seiner Zeit. Also der Jesus im Markusevangelium hat wesentlich weniger jüdische Züge als der matäische. Im Lukasevangelium ist Jesus eingezeichnet in ein heilsgeschichtliches Konzept. Da gibt es die Zeit Israels, da gibt es die Zeit Jesu und dann kommt die Zeit der Kirche. Das ist bei Lukas wie ein Fahrplan. Gott hat einen Fahrplan, da gab es eine Zeit, in der Israel zentral war, dann gab es eine Zeit, in der Jesus zentral ist und dann kommt die Zeit der Kirche. Also wenn Sie zum Beispiel die Emmaus-Jünger in Lukas 24 schauen, da wandert Jesus mit
seinen Jüngern und öffnet ihnen die Schrift und ihr Herz brannte, als er ihnen die Schrift öffnete und er erklärt ihnen Schritt für Schritt, wie der Plan Gottes ist. Das musste alles so geschehen und das musste so geschehen und dann musste Jesus leiden, dann musste er sterben, jetzt ist er auferstanden und jetzt kommt ihr. Dann kommt Apostelgeschichte 1, haben wir ja gerade gefeiert, Pfingsten und dann fängt die Zeit der Kirche und der Predigt an. Das ist bei Lukas ein ganz anderes Konzept wieder, da ist Jesus eingebaut und Israel ist eingebaut in eine Geschichte. Im Johannesevangel ist das alte Testament wieder anders beleuchtet. Da wird ja gesagt, ich und der Vater sind eins. Und im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, das besagt,
Jesus Christus ist Gott und alles was im alten Testament von Gott gesagt wird, muss man christlich auch als Aussage über Jesus lesen. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, heißt Jesus Christus war bei der Schöpfung dabei. Und Gott führte Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten heraus, heißt Jesus hat Israel aus der Gefangenschaft heraus geführt. Ich und der Vater sind eins. Das ist eine Totalübernahme des alttestamentlichen Erbes in Christus. Wenn man Gott dreifaltig denkt, Gott dreifaltig, Vater, Sohn und Geist, dann ist alles was im alten Testament steht Christus Zeugnis. Christus ist immer dabei. Und wenn Jesus im Johannesevangelium auffordert sucht in der Schrift, ihr werdet mich finden, dann ist das genau diese Vorstellung, die wahre Intention des alten Testaments ist das
Christus Zeugnis. Und das ist gleichzeitig verbunden mit einer ziemlich scharfen Abgrenzung gegenüber der jüdischen Auslegung. Wenn Matthäus noch diskutiert, ist im Johannesevangelium die Synagoge schon sehr weit weg. Johannes 8, 43 werden die Juden die Teufelssöhne genannt. Und sie sind angeblich blind für den Sinn. Gehen wir zu Paulus. Paulus in seinen Briefen hat ein sehr kompliziertes Verhältnis zum Gesetz. Die Stellung des Paulus zum Gesetz ist in der Forschung sehr sehr umstritten. Da gibt es wirklich massive Schlachten unter die richtige Auslegung bei den Neutestamentlern. Und das liegt zum Teil eben auch daran, dass Paulus sehr merkwürdige Formulierungen hat.
Paulus kann sagen, Christus ist, jetzt benutze ich mal ein griechisches Wort, telos nomu. Telos heißt das Ziel oder das Ende. Und je nachdem, wie Sie es übersetzen, kriegen Sie einen ganz anderen Sinn. Jesus Christus, das Ende des Gesetzes, würde heißen, mit Jesus ist das alles vorbei. Wenn Sie übersetzen, Christus ist das Ziel des Gesetzes, dann heißt es, wir brauchen das Gesetz, weil das hinführt zu Christus. Also bei Paulus, die Formulierungen sind halt sehr sehr schwierig zu deuten. Paulus kann das Gesetz loben und sagt, das ist die Gabe Gottes zum Leben, das Gesetz ist die Orientierung für jeden Menschen, aber man muss es auch komplett halten. Sie dürfen nicht ein einziges Gebot brechen, sonst wird das Gesetz zum Fluch und der Mensch, der das Gesetz bricht, gerät unter den Fluch Gottes. Also Sie können nicht sagen, ja das Gesetz ist schön und gut, aber ich halte nicht alle.
Also wenn Sie vor dem Richter stehen und sagen, also ich fahre immer nur 60 in der Ortschaft, diesmal war es halt 120, aber einmal ist ja keinmal, das geht nicht. Paulus sagt, immer, kontinuierlich, wer das Gesetz einmal bricht, ist verloren. Deswegen setzt der Gesetz und das Evangelium sehr stark gegeneinander. Im Hebräerbrief, ich weiß nicht, ob Sie den mal gelesen haben, das ist eine sehr merkwürdige Theologie, Jesus Christus als der hohe Priester, unser himmlischer hoher Priester, der uns im himmlischen Kult vertritt. Da ist die Vorstellung, es gibt im Himmel einen Tempel und im Himmel werden Opfer dargebracht und da gibt es himmlische Priester und himmlische Opfer. Das Besondere ist, Jesus ist selbst das Opfer und der Priester. Er bringt sich selbst als Opfer dar für uns.
Und dadurch, dass Christus sich für uns geopfert hat im Himmel, ist ein für alle Mal nicht mehr nötig zu opfern. Also durch das Opfer Jesu am Kreuz ist das gesamte jüdische Opferwesen obsolet, also überflüssig. Damit hat der Hebräerbrief einerseits sehr stark das ganze Altersdämmliche Opferdenken aufgenommen, aber gleichzeitig gesagt, nur in Christus, mit diesem einen genügenden Opfer ist es vorbei. Aber im Jakobusbrief ist das alte Testament total zentral. Also wenn Sie im neuen Testament eine jüdische Stimme suchen, dann den Jakobusbrief. Der Jakobusbrief ist von A bis Z der Überzeugung, der Glaube ohne Werke ist tot. Also wenn die Christen sich mit Paulus auf Glauben berufen, ich glaube, ich glaube, ich
glaube, das nutzt nichts, wenn sie es nicht tun. Paulus ist nach der Überlieferung der Bruder Jesu. Und dieser Bruder Jesu, der leibliche Bruder Jesu, fordert ganz klar, jedes Gebot muss erfüllt werden und wehe euch, wenn ihr die Gebote nicht erfüllt. Der Glaube nutzt dann gar nichts. Ich breche hier mal ab. Jetzt könnte man noch in die Pastoralbriefe und die katholischen Briefe gehen. Das wird jetzt vielleicht ein Überkomplex. Worauf es mir ankommt zu zeigen, ist, dass im neuen Testament schon eine Diskussion diskutiert wird. Also das neue Testament hat nicht eine einheitliche Meinung, sondern es gibt Pro und Contra. Es gibt ganz stark alttestamentliche und es gibt stark kritisch gefärbte Stimmen im Blick auf das alttestamentliche Erbe. Und diese Diskussion, die im neuen Testament drinsteckt, zwischen einem Matthäus, der
Jesus wirklich als direkten Mose darstellt und einem Johannes, der eine ganz scharfe Antithese konstruiert, da liegen theologische Welten. Diese Diskussion um die Bedeutung des alten Testaments, die setzt sich jetzt in die Kirchengeschichte hinein fort. Das ist der zweite Teil, den ich Ihnen jetzt skizzieren möchte. Es ist leider ja zeitlich geschuldet nur eine Skizze möglich. Wie geschiebt die weitere Rezeption des alten Testaments in der alten Kirche? Und da muss man jetzt zunächst einmal eine Stimme sich bewusst machen, nämlich die Stimme von Marzion. Marzion war ein reicher Mensch, ein römischer Reder, der ungefähr um 150 vor eine Idee hatte. Er meinte und ich referiere das immer ungern, weil ich da Probleme habe, aber ich referiere
jetzt mal Marzion. Bitte ganz deutlich, das ist nicht meine Meinung. Marzion sagt, das alte Testament ist vor allen Dingen Zeugnis eines Schöpfergottes. Dieser Gott ist aber ein anderer Gott als der Gott des neuen Testaments. Dieser Gott im alten Testament, er nennt ihn den Demiurge, den etwas verrückten Gott, der hat ziemlich viele Pleiten und Pannen gebaut. Der Gott des alten Testaments hat eine Schöpfung gemacht voller Krankheit, eine Schöpfung voller Kriege, eine Schöpfung voller Leiden und Tod. Das kann doch nicht sein, dass das der Vater Jesu Christi ist. Dieser fremde Gott, dieser andere Gott ist von Jesus abgeschafft worden.
Jesus kommt und verkündet einen neuen Gott, einen Gott der Liebe, einen Gott der Krankheit und Tod überwindet, einen Gott, der ein neues Reich aufrichtet. Und dieser neue Gott der Vollkommenheit, der muss auch durch eine entsprechende Schrift bezeugt werden. Wir haben es da zu tun mit dem Programm einer gereinigten Tradition. Marzion kämpft dafür, dass die Kirche das alte Testament komplett abschafft. Das ist jüdisch, hat nichts mit Christus zu tun, das ist unterchristlich, also vorchristlich. Und er kämpft dafür, dass auch das neue Testament gereinigt wird. Dieser Matthäus, der ist ja im Grunde Jude, dieser Jakobus, der ist ja im Grunde Jude, das muss raus. Marzion schafft einen eigenen Kanon mit einem gereinigten Lukasevangelium und seiner Meinung nach echten Paulusbriefen. Das ist ein schmales Bändchen. Die Bibel des Marzion.
Und da er Knete hatte, hat er auch entsprechende Propaganda dafür gemacht. In der Mitte des zweiten Jahrhunderts stand die Kirche vor der entscheidenden Frage, behalten wir das alte Testament oder werden wir Marzioniten? Bleiben wir bei der alttestamentlichen Überlieferung oder sagen wir, wir geben euch Israel eure heilige Schrift gerne wieder, nehmt sie, wir brauchen sie nicht. Und ihr könnt auch noch gleich zwei Drittel des neuen Testaments mit haben. Das war eine Schicksalsfrage der Kirche. Ja oder nein zum alten Testament? Ja oder nein zum Gott des alten Testaments? Die Kirche hat diese Entscheidung sehr bewusst gefällt. Das war kein Zufall. Sondern in der Kirche wurde wirklich im Sinne eines Dogma entschieden, der Gott des alten
Testaments ist der Vater Jesu Christi. Im alten und neuen Testament haben wir den gleichen Gott. Und diese Vorstellung von Marzion, dass da nur ein vorläufiger Gott am Werke ist, ein Demiurge, ein Idiot, die ist heretisch. Marzion wurde rausgeschmissen aus der Kirche und als Erzketzer verbannt. Und die Kirche hat sich entschlossen den gesamten Bestand der hebräischen Bibel als heilige Schrift zu übernehmen. Also es ist nicht nur Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung gewesen. Nun ist es ja mit Heretikern häufig so, man schmeißt sie auf der rechten Seite raus und links kommen sie wieder rein. Also ich war im Bonn, Pfarrer, und behaupte jetzt mal etwas frech, dass 75 Prozent meiner
Kollegen Marzioniten sind. Also Marzion ist sehr in. Ich springe jetzt gerade in die Gegenwart. Es gibt also zum Beispiel auch in Berlin einen Professor für systematische Theologie, der genau diese Meinung des Marzion vertritt, 2013, ganz programmatisch vertreten hat, wir müssen das alte Testament abschaffen. Wir werden gar nicht richtige Christen, wenn wir dauernd diesen Ballast mit uns rumschleppen, wobei in dem Zuge seiner Argumentation wir das neue Testament auch gleich abschaffen können, denn auch das ist ja historisch etwas abständig geworden. Also ich sage das mit Schmerz. Also die Wertschätzung des alten Testaments ist seit dem zweiten Jahrhundert ganz massiv angefochten. Es gab immer wieder Stimmen, die gesagt haben, wir müssen uns davon lösen. Die Kirche hat das alte Testament beibehalten.
Allerdings, und das muss man auch dazu sagen, mit einer ganz bestimmten Interpretation. Die Kirche hat das alte Testament beibehalten als Buch der Weissagung. Das alte Testament ist nach der Lesart des zweiten Jahrhunderts vor allen Dingen Vorhersage Jesu Christi, so wie Jesus von Nazareth es wohl selbst auch gelesen hat. Es geht also vor allen Dingen um Christologie und um Ethik. Es wird nicht der Eigenwert des alten Testaments festgehalten, sondern nur seinen Hinweiskarakter auf Jesus Christus. Das ist eigentlich schon ein gewisser Verlust nach meinem Verständnis. Das alte Testament hat mehr zu sagen als Weissagung und Ethik. Ich hoffe, dass Sie mir das jetzt schon auch abkaufen können auf Grundlage dessen, was
ich vorhin gesagt habe. Da gibt es theologisch wesentlich mehr zu sagen als nur das. Aber in der christlichen Tradition wurde ab jetzt vor allen Dingen der Weissagungskarakter des alten Testaments betont. Und wenn Sie mal im Gottesdienst überlegen, welche alttestamentlichen Texte werden denn heute noch gelesen, meistens sind es solche Texte, die zum Evangelium passen. Man sucht die Texte so aus, dass sie Verweiskarakter haben auf das Evangelium. Es geht eigentlich ums Evangelium, nicht um das alte Testament in sich. Dabei war auch sehr stark eine Ablehnung des Judentums mit im Spiel. Die Juden haben, Sie kennen das vielleicht von den Kathedralen, ich habe vor Augen Straßburg, ich habe vor Augen Bamberg, Regensburg, da wird immer die Synagoge mit einer verbundenen
Frau dargestellt, deren Lanze gebrochen ist, deren Ehre dahin ist. Die Synagoge ist blind. Sie erkennt nicht, dass das alte Testament Christuszeugnis ist. Also in dieser Frage, welche Bedeutung hat das alte Testament, ist auch immer das Verhältnis Christentum-Judentum mit im Spiel. Jetzt mache ich einen Sprung von der alten Kirche, was im Mittelalter ungefähr genauso geblieben ist in die Zeit der Reformation. Also springen Sie bitte mit, wir kommen jetzt von Martion und dem Entschluss, wir behalten das alte Testament als Christuszeugnis bei, zu Luther. Wir wissen nicht genau, in welches Jahr sein Tomerlebnis fällt. Er hat es als alter Mann im Rückblick festgehalten, im Vorwort zu seinen lateinischen Werken, 1545, das sogenannte Tomerlebnis.
Luther war vom Beruf Altesstamentler. Er war in der Universität Wittenberg angestellt, um die Psalmen auszulegen, die Genesis auszulegen, die Propheten auszulegen. Und bei der Auslegung der alttestamentlichen Überlieferung hatte er ein großes Problem. Das Wort Gerechtigkeit Gottes. Luther hatte als skrupulöser Mensch, der sein Gewissen pflegte, immer Angst, dass er nicht der Gerechtigkeit Gottes entspricht. Ich zitiere jetzt mal aus Luthers Schrift. Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren. Und durch offene Tore trat ich in das Paradies ein. Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht.
Was Luther vorher gemeint hatte, ist, dass die Gerechtigkeit Gottes etwas niederschmetterndes ist, etwas Zerdrückendes. Er hat darüber geklagt, dass Gott den armen, elenden Menschen auch noch mit dem Gesetz bedrückt und bedrängt. Und dann plötzlich geht ihm auf, die Gerechtigkeit Gottes meint etwas ganz anderes. Gott ist nicht der, der das belohnt oder bestraft, was Menschen tun, sondern Gott schenkt die Gerechtigkeit. Gott rechtfertigt den sündigen Menschen aufgrund des Glaubens. Gerechtigkeit Gottes ist also nicht der strenge Richter, der beurteilt, ob die Leute sich konform verhalten haben oder gegen die Regel verstoßen haben, sondern die Gerechtigkeit Gottes ist eine Gnadengabe. Und als Luther das begriffen hat, bot ihm das alte Testament zum Paradies. Er hat das alles wiederentdeckt in seiner Psalmen-Vorlesung, in seiner Genesis-Vorlesung.
Luther hat also als Exeget erkannt, dass Tzedakar, das hebräische Wort für Gerechtigkeit, etwas ganz anderes meint, als er geglaubt hat, dass es meint. Er hat erkannt, dass die Gerechtigkeit Gottes Evangelium bedeutet, Gnadengabe. Oder noch anders gesagt, als Ausleger der Bibel hat Luther eine Entdeckung gemacht, einen bisher verschütteten Textsinn aufgeschlossen. Und das ist ein fantastisches Erlebnis. Ich habe das in meinem Leben auch ein paar Mal haben dürfen, dass man Textstellen, die man wichtig findet, die man immer wieder bedacht hat, plötzlich neu versteht. Es gibt so ein paar Momente, wo man als Exeget das Gefühl hat, wow, ich habe jetzt was Wichtiges
gefunden. Also bei mir war das zum Beispiel bei Gottes Antwort an Hiob. Da steht, Gott war sauer auf Hiob und seine drei Freunde, denn ihr habt nicht recht über mich geredet. Und ich habe mir gedacht, das gibt doch keinen Sinn. Warum kriegen Hiobs Freunde, die versucht haben, Hiob zu trösten und die gesagt haben, Gott ist gerecht, Gott wird dich nicht im Stich lassen, warum ist Gott böse auf die? Das ist doch wirklich paradox. Bis mir aufgefallen ist, dass da steht, ihr habt nicht zu mir geredet. Also das, was wir im Deutschen bei Luther alle gelernt haben, ihr habt nicht recht über mich geredet, muss heißen, ihr habt nicht recht zu mir geredet. Und dann plötzlich bekam das einen Sinn. Gott ist zornig auf die Freunde, weil sie nicht zu ihm geredet haben. Sie haben eine Dogmatik betrieben, aber sie haben nicht gebetet.
Hiob bekommt recht, weil er zu Gott geredet hat, auch wenn das, was er gesagt hat, gerade zu Gottes Listern war. Aber er hat zu Gott geredet, die Sprechrichtung stimmt. Das war so mein Tomerlebnis. Gott ist bereit, sehr viel Skepsis und sehr viel Kritik zu ertragen, solange wir mit ihm im Gespräch bleiben. Ihr habt nicht zu mir geredet. Hiob hat seine ganze Kritik zu Gott hingetragen. Gegen Gott, aber zu Gott. Und so hatte Luther diese Erkenntnis, dass man, wenn man die Schrift auslegt, ohne Bindung an die Tradition, wenn man wirklich sich den Text aussetzt, Entdeckungen machen kann und ohne Tabus und ohne Engführungen wirklich liest, was da steht, da kommt viel bei raus. Und diese Entdeckung, dass die Gerechtigkeit Gottes besagt, es kommt nicht auf dein Tun
an, sondern letztlich entscheidet sich dann Heil an der Tat Gottes, der für dich etwas getan hat. Die hat Luther in Bewegung gesetzt, die hat ganz Deutschland in Bewegung gesetzt, ganz Europa, die ganze Welt in Bewegung gesetzt. So la Scriptura, allein die Schrift, gegen die Tradition der Kirche. Lässt die Bibel. Luther hat es auf Deutsch übersetzt, damit jeder es lesen kann, damit jeder selbst die Schrift kennenlernen kann. Dieses Kampfwort der Reformation, allein die Schrift, sola Scriptura, hat dazu animiert, die Bibel im Urtext zu studieren. Viele Theologie Studierende sind darüber traurig, denn das bedeutet, sie müssen Griechisch lernen, um das neue Testament in der Ursprache zu lesen, sie müssen Hebräisch lernen, um das Hebräisch in der Ursprache zu studieren, dann noch Aramäisch, naja, und wenn sie dann noch Kaltschriften und Chirurgliefen lernen müssen, dann ist es ganz aus.
Aber das ist der Sinn der Reformation. Lässt die Schrift exakt. Schaut hin, was da wirklich steht. Lasst euch nicht durch dogmatische Traditionen Binden auflegen, sondern schaut, was Christum treibt. Wobei mir selbst erst später deutlich geworden ist, was das heißt, was Christum treibt. Da geht es um Handwerker, die auf Kupferplatten, in der Schule haben wir so Bastelarbeiten auch mal machen müssen, das was aus dem Kupfer dann eine Form hervorbringt. Haben sie das auch mal gemacht in der Schule? So Kupfer treiben, das was Christum hervortreibt, das ist das Kriterium. Die alttestamentliche Lektüre soll dazu dienen, das Profil Jesu zu schärfen, was Christum treibt. Und Luther hat von daher ganz massiv in den Bestand der Kirche eingegriffen.
Zum Beispiel das Zölibat. Wo steht das? Steht nicht in der Bibel. Das ist eine Forderung, die abzulehnen ist. Luther hat die Siebenzahl der Sakramente auf zwei Sakramente reduziert, weil das allein in der Schrift bezeugt ist. Also bis in die konkreten Lebensvollzüge von Priestern hat sich das ausgewirkt. Dieses lest die Bibel und orientiert euch allein an dem, was aus der Schrift zu erheben ist. Das war eine Revolution. Also man hatte bisher die Schrift immer harmonisch mit der köchlichen Tradition abgedeckt und jetzt hat man entdeckt, die Schrift kritisiert auch die Tradition. Die Schrift ist auch ein kritischer Stachel gegen den Zeitgeist, gegen das was Menschen meinen, was Gott gesagt hätte. Und ich glaube das brauche ich jetzt hier nicht auszuführen, wir haben ja bald Reformationsjubiläen
in Hülle und Fülle. Das hat die Welt verändert, dieses Sola Scriptura. Man muss das was Luther tut auch sehen in anderen geistesgeschichtlichen Entwicklungen, denn gleichzeitig mit Luther und der Reformation gab es die sogenannte Renaissance. Die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike hat in allen anderen Geisteswissenschaften außerordentliches hervorgebracht. Erasmus von Rotterdam hat ein griechisches neues Testament herausgebracht. Zurück zu den Quellen war der Schlachtruf, zurück zu den Original-Ursprachen. In der Renaissance und im Humanismus, der damit eng verbunden war, fing man an Bibel Handschriften systematisch zu sammeln und zu vergleichen und das ist kein harmloses Geschäft. Wenn Sie anfangen Bibel Handschriften zu vergleichen, werden Sie schockierende Entdeckungen machen.
Die Bibel ist nämlich selbst im Abschreibeprozess verändert worden. Das war so im 16. Jahrhundert ein Forschungsprogramm, wir stellen Handschriften zusammen und da gibt es halt Überraschungen, Überraschungen, Überraschungen. Zum Beispiel schreibt Paulus in 1. Korinther 15 im Kontext der Auferstehungsthematik an die Korinther, ich sage euch ein Geheimnis. Paulus schreibt den Korinthern ein Geheimnis. Wir werden und jetzt kommen halt Sätze, die in verschiedenen Handschriften unterschiedlich stehen, wir werden alle sterben, aber wir werden nicht alle auferstehen oder wir werden nicht alle sterben, aber wir werden alle auferstehen. Jeweils in den Handschriften unterschiedlich überliefert.
Und die Humanisten haben ein Apparat geschaffen, wo die verschiedenen Handschriftenvarianten vermerkt sind. Ja, was hat der Paulus denn jetzt für ein Geheimnis? Hat der gesagt, wie es in der einen Handschrift steht, wir werden nicht alle sterben, aber wir werden alle verwandelt werden. Das würde ja heißen, Paulus rechnet damit, die Wiederkunft Christi, das neue Reich Gottes geschieht noch zu Lebzeiten. Wir werden nicht alle sterben. Dann hat der spätere Abschreiber gesagt, Moment, Paulus ist tot, alle Korinther sind tot, irgendwas kann da nicht stimmen und hat dann geschrieben, wir werden alle sterben, aber wir werden nicht alle verwandelt werden. Hat einfach nur das nicht drei Wörter rüber geschoben, dann stimmt es wieder. Was ist jetzt der Urtext? Und diese Studien, was ist der Urtext, die wurden in den Kreisen, und zwar in den besonders
frommen Kreisen, also im pietistischen Geist, sehr intensiv betrieben. Ich wollte genau wissen, was hat Paulus denn jetzt für ein Geheimnis gehabt. Die nächste geistesgeschichtliche Etappe, die ich beleuchten möchte, ist die Aufklärung. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts ist wieder so eine Umbruchsituation, auch im Verständnis des Alten Testaments. Sie wissen, Immanuel Kant, was ist Aufklärung? Aufklärung ist, habe den Mut, deinen Verstand zu gebrauchen. Gebrauche dein moralisches Urteil, gebrauche dein logisches Urteil, gebrauche dein naturwissenschaftliches Wissen, wenn du die Bibel liest. Lass jetzt nicht alles fallen, wenn du die Bibel liest, jetzt muss ich fromm sein, jetzt gebe ich meinen Verstand ab, sondern die Forderung der Aufklärung bezieht sich auch auf das Interpretieren
biblischer Traditionen. Da muss man klar sagen, spielt die Moral eine große Rolle. Immanuel Kant war im Grunde Moralist. Für ihn war die praktische Vernunft, das moralische Empfinden, der eigentliche Maßstab auch im Umgang mit der Bibel. Und jetzt liest er zum Beispiel, Gott sprach zu Abraham, opfere mir deinen Sohn als Schlachtopfer. Dann sagt Kant, wie kann Abraham denn auf die Idee kommen, seinen Sohn zu opfern. Abraham hätte sagen müssen, ich höre zwar eine Stimme, die sagt mir, ich soll meinen Sohn opfern, aber das kann nicht Gott sein. Ich weiß nicht, wer da spricht, aber du bist nicht Gott und ich opfere niemals meinen Sohn. Das sagt Kant. Und er ist empört darüber, dass Abraham sich früher morgen aufmacht und seinen Sohn Isaac nimmt und tatsächlich anfängt, den da aufs Holz zu binden und das Messer schon hoch
legt. Kant empört sich über die Geschichten im Alten Testament und sagt, das ist doch total unmoralisch. Und er hat viele Beispiele für solche moralisch problematischen Fälle. Ein Weggefährte der Aufklärung, Samuel Raimarus, Hermann Samuel Raimarus, hat ein Buch geschrieben, in dem er das gesamte Alte Testament mit den Mitteln der Vernunft mal durchgeht. Dieses Buch war lange sozusagen im Giftschrank, ist erst 1978 veröffentlicht worden, 1978. Lessing hatte ein paar Fragmente veröffentlicht und damit ein riesen Ärger heraufbeschwört, eines Ungenannten.
Raimarus macht zum Beispiel alle möglichen Überlegungen, um die Ethik der Patriarchen zu durchleuchten. Also die Opferung Isaks. Wieso will Abraham Isak schlachten? Dann stellt er folgende Berechnungen an und das ist wirklich erst mal ganz verblüffend. Die Sarah ist nach Genesis 20 im Harem des Abimelech gelandet. Der Abraham hatte ja gesagt, sie ist meine Schwester. Dann überlegt er, wie lange ist die schwanger und kommt zu dem Ergebnis, Abraham ist nicht der Vater, sondern die Sarah war im Harem des Abimelech von dem Abimelech geschwängert worden. Abraham will den Isak auch opfern, weil er diesen Beik loswerden will. Und was für eine Moral. An diesen Überlegungen des Raimarus kann man sich die Zähne abreißen.
Ich habe das mal, das sind Dünndruck 1700 Seiten, mal durchgearbeitet. Raimarus versucht wirklich auf Schritt und Tritt zu zeigen, dass das den moralischen Ansprüchen eines Menschen der Gegenwart, also seiner Gegenwart nicht genügen kann. Die Patriarchen, Mose, David, Salomo, unter dem Kriterium aufgeklärter Moralität. Dann die Frage der Wahrhaftigkeit. Wie wahr kann das sein? Raimarus berechnet zum Beispiel, nach den Angaben des Exodus Buches sind 600.000 Männer aus Ägypten ausgewandert. Und er berechnet, wie lange ist die Reihe, wenn 600.000 Männer eine Reihe bilden. Jetzt waren die noch verheiratet, das heißt, es sind noch 600.000 Frauen und so und so viel 100.000 Kinder.
Jetzt machen Sie mal eine Linie mit einer Million, 1,5 Millionen Menschen. Wie lange muss Gott das tote Meer spalten, damit die alle da durchlaufen können. Und er berechnet, das kann nicht sein. Das kann nicht sein. Die müssen jahrelang marschiert sein, um durch das Meer durchgekommen zu sein und er beweist, dass das alte Testament lügt. Es lügt. Und das macht er nicht nur am Exodus, das habe ich jetzt als Beispiel, von dem werden Sie gleich noch mehr hören, sondern es kommt zu einer ganz massiven Stimmung gegen das alte Testament. Das alte Testament ist moralisch minderwertig und es ist historisch eine Lüge. Und entsprechend hat Kant auch sich für die Abschaffung geäußert und damit kommt er schon wieder in die Nähe von Marzion. Das alte Testament hat es wirklich sehr, sehr schwer.
Also wie geht man da meteorologisch um? Ich will das jetzt noch nicht ausführen, aber das alte Testament klärt tatsächlich, dass Gottes Werkzeuge moralisch durchaus problematische Menschen sind. Gott erwählt sich nicht nur Heilige, nicht nur Menschen ohne Makel, sondern Gottes Wege sind halt so, dass er sich tatsächlich mit Sündern und mit Menschen einlässt, die sehr, sehr viel Schwächen haben. Und das ist gut so. Für mich ist jedenfalls der Erweis des Raimarus, dass die Helden des alten Testaments vielfach moralische Makel haben, eine Werbung für das alte Testament. Da habe ich auch noch eine Chance. Der nächste geistesgeschichtliche Epochenschritt in meiner Perspektive, die Romantik.
Die Romantik. Das war die Reaktion auf die Aufklärung im 19. Jahrhundert. Aufklärung im 18. Jahrhundert, sola ratio, nur die Vernunft. Jetzt kommt nur das Gefühl. Die Romantik entdeckt gegen das Logische, gegen das Rationale die hohe Bedeutung des Emotionalen, die hohe Bedeutung des Einfachen, des Ursprünglichen. Und gegen den dürren Begriffsidealismus der Aufklärung wird jetzt das wahre Leben, das wirkliche Leben wiederentdeckt. Ein Johann Gottfried Herder, der über die Poetik der Psalmen wunderbar geschrieben hat, der weiß, dass Menschen, wirkliche Menschen, echte Menschen, nicht so sind wie die Aufklärung sich das zurechtkonstruiert. Wir sind nicht so vernünftig, wie wir es gerne wären vielleicht, sondern in unserem Leben spielen Gefühle, Widersprüche, Abrisse, Zweifel, Schuld eine entscheidende Rolle und
die Aufklärung hat das alles verurteilt. Die Romantik hebt es auf den Schild und sagt wunderbar. Schaut euch diese Menschen im Alten Testament an, das sind doch Echte, da liebt man, da hasst man, da tötet man seine Feinde. Das ist wirkliches Leben. So sieht es aus in der Welt. Und dagegen, naja, das Neue Testament wurde da sehr viel kritischer gesehen, das sind da alles so Abziehbilder. Also in der Aufklärung wurde das Alte Testament runtergewertet, in der Romantik genau umgekehrt. Alte Testament als ein Buch des wahren Lebens, als ein Buch, in dem man Menschlichkeit, realistische Menschlichkeit finden kann und das noch in ganz wunderbarer Sprache. Die Poesie, der Psalmen, die Schönheit der Geschichten, also das was ja so auf einem
Niveau mit den Erzählungen, die die Romantiker selber versucht haben zu erzählen, steht. Also die Romantik schafft ein Gegengewicht und damit komme ich jetzt, also entschuldigen wenn ich ein bisschen voran mache, so ein Blick auf die Uhr, ich weiß ja noch wo ich noch hin will. Der nächste Schritt ist der Historismus. Der Historismus ist sozusagen das Kennzeichen des 20. Jahrhunderts. Wir haben im 20. Jahrhundert ganz stark von allen Geisteswissenschaften eingehämmert bekommen, alles ist historisch. Alles unterliegt einem permanenten Wandel und es ist alles so anders, dass wir schon gar nicht mehr verstehen können, wie anders das alles gewesen ist. Die Hauptaufgabe der Bibelwissenschaft ist zu rekonstruieren, wie anders es damals war. Also wenn wir wirklich historisch denken wollen und das müssen wir nach den Historisten,
dann muss die Bibel uns davon befreien, also wir müssen bei der Lektüre der Bibel uns davon befreien, die Gegenwart dauernd ins Spiel zu bringen. Wir müssen nur das, wie es wirklich damals gewesen ist, rekonstruieren. Und bei der Rekonstruktion dessen, was damals wirklich gewesen ist, brauchen wir auch keine Kanongrenzen zu respektieren. Also die historistische Bibelinterpretation sagt, die Bibel ist Teil einer altorientalischen Literaturgeschichte, das wissen wir ja und diese Sonderstellung der Bibel als heilige Schrift, die müssen wir aufgeben, a priori. Es kann nicht darum gehen, irgendwelche normativen Ansprüche aus der Bibel abzuleiten, sondern wir müssen historisch kritische Bibelauslegung betreiben. Das ist es, was jeder, der heute Theologie studiert, im ProSeminar lernt. Historisch kritische Bibelauslegung.
Da muss man halt lernen, übersetzen, Textkritik, Literarkritik, Traditionsgeschichte, religionsgeschichtlicher Vergleich und als normativer Bestand wird das auch im theologischen Examen abgeprüft. Falls Sie sich überlegen sollten, Theologie zu studieren, überlegen Sie sich, worauf Sie sich da einlassen. Historisch kritische Bibelbetrachtung. Diese Art des Denkens ist sozusagen meine Profession auch. Wir müssen zum Verstehen der Bibel tatsächlich in eine Vergangenheit eintauchen. In einer Vergangenheit, in der vieles anders war als in der Gegenwart. Also, wenn ich jetzt ein Beispiel spontan herausgreife, wenn wir über Krieg reden,
dann dürfen wir nicht unsere Maßstäbe des 21. Jahrhunderts übernehmen, sondern wir müssen schauen, wie wurde Krieg betrachtet im Jahre 1000 vor Christus oder im Jahre 1200 vor Christus. Da war der Krieg ein legitimes Mittel der Politik, das war mehr oder weniger selbstverständlich, dass man Krieg führt. Und damals war das Besondere, dass man keine Beute machte, dass man keine Sklaven machte, sondern der sogenannte Bann wurde vollstreckt. Das heißt, die Israeliten haben, wenn sie eine Stadt erobert, alle Menschen ermordet und alle Bräute verbrannt. Man hat sich nicht bereichert, man hat keine Sklaven gemacht, keine Gefangene gemacht. Das ist grauenhaft, das ist furchtbar, das halte ich für völlig inhuman, aber es ist historisch. Also, wenn wir mit den Maßstäben der Gegenwart versuchen zu bewerten, was an Kriegsberichten im Alten Testament steht, dann fehlen wir sozusagen den Rahmen.
Es ist so, und ich kann es nicht beschönigen, immerhin kann man sagen, wichtige Motive für Kriegsführung wurden weggenommen. Also, wenn man keine Beute macht, dann lohnt es sich vielleicht gar nicht, Krieg zu führen. Aber es bleibt grausam, es bleibt furchtbar. Aber historisch kritisch muss man es eben rekonstruieren. Lassen Sie mich nochmal kurz rekapitulieren, was ich bisher versucht habe, Ihnen zu verdeutlichen. Ich habe versucht zu zeigen, im Neuen Testament selbst ist der Wert des Alten Testaments umstritten. In der Alten Kirche ist er sehr umstritten, Martian wollte es ganz abschaffen. In der Antike und im Mittelalter hat man das Alte Testament beibehalten, aber in allegorischer Umdeutung auf Christus, nur als Weissagung, nicht mit einem eigenen Wert. In der Reformation hat Luther die Schrift selbst wieder entdeckt. Er hat angeleitet, diese Schrift wertzuschätzen, zu lesen.
Und die Humanisten, die Renaissance-Philosophen haben uns beigebracht, den Wert der Ursprache, die Forschung am Alten Testament muss eben in den jeweiligen Urdokumenten durchgeführt werden. Die Aufklärung hat das Alte Testament stark abgewertet, weil es unmoralisch ist oder scheint, weil es nicht vernünftig ist, weil es vielfach dem naturwissenschaftlichen Denken widerspricht, die vielen Wunder. Die Romantik hat das Alte Testament enorm aufgewertet, als wahres Leben, so ist der Mensch. Und der Historismus hat es sehr stark relativiert und eingemeindet in die altorientalischen Kulturen. Das sind jeweils ganz unterschiedliche Epochen und machen Sie sich bewusst, dass Sie selber
in Personam alles das mit sich tragen. Jeder von Ihnen ist Kind der Aufklärung. Jeder von Ihnen ist sozusagen dazu verdammt geistesgeschichtlich, naturwissenschaftlich rational zu denken. Jeder von Ihnen ist Romantiker. Jeder von Ihnen hat dieses Gefühl für das Leben, für die Kraft der Emotionen. Wir sind ja als postmoderne Menschen in solche Pluralitäten hineinverdammt. Und wenn Sie die Bibel Alten Testaments lesen, dann wird Ihnen das da dann hoffentlich auch bewusst, wie sehr Sie sozusagen, wie wir, ich brauche jetzt gerne mal das Wort wir, wie sehr wir alle als Lesergemeinschaft des Alten Testaments in dieser geistesgeschichtlichen Situation gefangen sind. So, jetzt noch 20 Minuten, wo ich versuche die Diskussion ums Alte Testament in der Gegenwart
zu rekapitulieren. Das war auch das Thema meiner Doktorarbeit. Also ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass mein Verhältnis zum Alten Testament durchaus auch schwierig war. Und wenn man Schwierigkeiten hat, dann schreibt man am besten eine Doktorarbeit, um diese Probleme zu lösen. Warum haben wir denn das Alte Testament? Warum ist das Alte Testament Teil des christlichen Kanons? So lautet sie. Und ich habe da versucht eine Übersicht zu machen, ja was sagen denn die Alttestamentler dieser Zeit? Ich habe so die Großen der Zunft befragt, was antworten die mir, welche geistlichen Impulse bekomme ich von den Alttestamentlern? Also ich habe von 1960 bis 1985 die letzten, damals letzten 25 Jahre analysiert und möchte Ihnen jetzt kurz versuchen die Hauptantworten vorzuführen.
Ist ein bisschen ehrgeizig auf 25 Minuten, aber Sie können es ja gegebenenfalls nachlesen. Ich unterscheide da drei verschiedene Typen von Antworten. Es gibt Modelle, auch in der Gegenwart, die das Alte Testament überwiegend kritisch sehen. Es gibt Modelle, die das Alte Testament teils negativ, teils positiv sehen. Dann gibt es Modelle, die das Alte Testament eindeutig positiv sehen und dann gibt es meine Modelle. Ich referiere Ihnen jetzt knapp die Modelle, die das Alte Testament ganz negativ sehen. Da kann ich drei benennen. Das eine ist das sogenannte antithetische Modell. Ihr habt gehört, dass den Alten gesagt ist, ich aber sage euch.
Man hat die Bergpredigt so als Modell genommen und sagt, das Alte Testament ist Gesetz, das Neue Testament ist Evangelium und das steht so antithetisch, gegensätzlich sich gegenüber. Diese Vorstellung ist auch sehr beliebt bei Predigern. Wenn Sie mal Ihre Pfarrerinnen und Pfarrer darauf abhören, wie die über das Alte Testament predigen, dann haben Sie häufig dieses Modell. Im Alte Testament, wir Christen aber wissen das. Es wird sehr gerne als Schlüssel genommen, das Alte Testament Gesetz, das Neue Testament Evangelium. Ich sage ganz kurz jetzt meine Bewertung, ich halte das für Unsinn. Das Alte Testament ist selbst Gesetz und Evangelium und das Neue Testament ist selbst Gesetz und Evangelium. Also das auf zwei Testament zu teilen ist meines Erachtens unsachgemäß.
Zweite Modell, das Alte Testament brauchen wir, damit wir sehen können, wie Menschen scheitern. Das Alte Testament als Dokument, als Buch des Scheiterns. Und zwar deswegen, weil im Alten Testament ja versucht wird, eine Gemeinde so zu konstruieren, dass sie empirisch ausweisbar ist. Also zum Beispiel in den Stammbäumen, da wird genau gesagt, wer gehört dazu, wer hat den Stammbaum, wer hat den Stammbaum nicht. Und so geht das nicht. Das Volk Gottes kann man nicht genealogisch beschreiben. Wir können nie wissen, wer gehört zum Volk Gottes, wer nicht. Das weiß allein Gott und wir nicht. Also diese feine Trennung zwischen dem, was zu Gott gehört und dem, was zu Menschen gehört, das schaffen wir nicht. Im Alten Testament hat man das versucht und damit ist man gescheitert und deswegen brauchen wir das Alte Testament als Warnung.
Wir brauchen immer eine Warnung, damit wir uns nicht verrennen. Das dritte und schärfste Modell, das das Alte Testament negativ sieht, hatte ich schon referiert, bei Marzion und den Seinen. Also Marzion ist immer noch sehr in und ich glaube, viele, viele haben gegenüber dem Alten Testament eine sehr kritische Grundhaltung und dafür bin ich ja selbst auch in meiner Jugend jedenfalls Zeuge. Als ich das Alte Testament zum ersten Mal ganz gelesen habe, so mit 18, da war ich schon ziemlich fertig. Also gerade Christ geworden und dann das. Es ist sehr verbreitet, diese negative Sicht des Alten Testaments, so Auge um Auge, Zahn um Zahn und dann ich aber sage euch, wenn der eine auf die rechte Wange haut, dann halt ihr auch die linke hin. Das ist aber Missverständnis.
Auge um Auge heißt, wenn du jemandem ein Auge ausschlägst, dann hast du die Folgen dafür zu bezahlen und ich bin heilfroh, dass es diesen Grundsatz gibt. Jetzt die zweite Gruppemodelle, die Modelle, die teils negativ, teils positiv mit dem Alten Testament umgehen. Und da würde ich vor allem auch Luther nehmen. Luther hat nämlich diese Vorstellung von der Mitte des Alten Testaments, von der Mitte, vom Kanon im Kanon. Und Luther sagt, es gibt im Alten Testament viele Texte, die uns helfen, gute Christen zu sein. Viele Texte, die gemessen an dem, worum es im Christentum geht, wirklich dazugehören. Luther war Psalmen Spezialist, er war Genesis Spezialist und der hat es wunderbar verstanden, diese Alten Testamentchen Texte aber kritisch gefiltert, am Maßstab dessen, was Christ umtreibt, zu benutzen. Also Luther sagt, wir können nicht flächig das Alte Testament nehmen, sondern wir müssen
schon schauen und differenzieren von Fall zu Fall. Ein weiteres sehr beliebtes Modell, das teils positiv, teils negativ argumentiert, Offenbarung als Geschichte. Das verbindet sich mit einem Namen, der hier in Heidelberg groß war, Beufert Pannenberg, Wolf Renddorf. Die Offenbarung geschieht halt peu a peu. Gott hat sich nicht auf einen Schlag aufgebaut, sondern wir brauchen das Alte Testament, um die verschiedenen Stufen der Offenbarung nachzuvollziehen, um sozusagen hineinzuwachsen in den Glauben. Das Alte Testament hilft uns, diese Schritte nachzuerleben und insofern ist es ganz wichtig. Die Modelle, die das Alte Testament eindeutig positiv sehen, sind vor allem dadurch gekennzeichnet,
dass man sagt, das Alte Testament hat dasselbe Daseinsverständnis, dasselbe Weltverständnis, Gottesverständnis, Menschenverständnis wie das Neue und zwischen Altem und Neuem gibt es eine Strukturehnlichkeit, eine Strukturanalogie oder eine existenztypologische Entsprechung. Verzeihen Sie die Ausdrücke, aber Theologen neigen halt zu griechischen und lateinischen Wörtern, das ist unsere berufsbedingte Deformation. Strukturanalogie in existenztypologie, das heißt, das Verständnis des Menschen in dem Simon ist dasselbe wie das Verständnis des Menschen im Neuen. Der Mensch ist sündig, er ist angewiesen auf die Gnade Gottes, er ist ein Betender,
der zu Gott kommt und ihn um Verzeihung bittet, der die Gnade Gottes zugesprochen bekommt, der in Dankbarkeit auf diese erwiesene Gnade antwortet und sein Leben entsprechend ausrichtet. Also da ist das Alte Testament im Grunde auf derselben Ebene wie das Neue Testament, eine Strukturensprechung. Also ganz knapp, das sind die Stimmen der Autoren, die ich damals studiert habe. Eine damalige Meinung und diese auch heute noch, das reicht mir nicht. Wenn das alles wäre, dann bräuchte mir das Alte Testament nicht wirklich. Also wenn das Alte Testament nur dasselbe sagt wie das Neue oder nur das vorbereitet, was das Neue sagt, ja Gott, also ich benutze ja auch nicht mehr Windows 1.0, das war ja alles mal schön, aber wir sind jetzt bei Windows 7 oder 8 oder wer weiß, was jetzt noch kommt,
ich benutze doch immer die letzte Software und nicht die erste. Also mein Apple 64, der steht noch nicht mal mehr im Keller. Und wenn das Alte Testament so ein Dokument wäre für eine übergeholte Form der Religion, die sich dann weiterentwickelt hat und dann in Christus eine Erfüllung gefunden hat, brauche ich es dann wirklich noch? Ich glaube nein. Das müssen Sie für sich natürlich selbst überlegen, aber mein Angebot oder meine Lösung war, das Alte Testament braucht einen eigenen Wert. Nur wenn es etwas Eigenes hat, was im Neuen Testament nicht steht, wenn es etwas Profiliertes sagt, was nicht im Neuen Testament abgedeckt ist, dann brauche ich es. Nur dann. Und meine Antwort, also diese Theorie vom Eigenwert des Alten Testaments bezieht sich
auf ganz grob gesagt folgende Bereiche. Im Neuen Testament gibt es nur ein Gebet, das Vaterunser. Bei aller Liebe zu diesem Gebet ist es ein bisschen wenig. Warum hat die neuntestamentliche Gemeinde nicht mehr Gebete produziert? Ja, weil sie die Psalmen haben. Wir haben 150 Psalmen. Das Alte Testament ist notwendig und ergänzt das Neue Testament. Das würden wir verlieren, wenn wir die Psalmen nicht hätten. Schauen Sie im Blick auf die Weisheit. Ich habe dafür eine gewisse Schwäche, habe versucht vorhin auch ein bisschen zu vermitteln, das Nachdenken über die Welt, das Reflektieren, das Kritisieren, auch die Skepsis und der Zweifel. Das gehört zum Alten Testament dazu. Hiob, Kohelet, die sogenannten Weisheitssalmen, die gehören dazu.
Die sind im Neuen Testament nicht abgebildet. Sie haben im Neuen Testament nicht die Skepsis. Sie haben nicht das Ringen mit Gott. Vielleicht in Gethsemane. Aber das Auseinandersetzen mit der Theodizeeproblematik, die Zweifel am Leben und am ewigen Leben, das steht im Alten Testament und nur im Alten Testament. Das ist das Plus des Alten Testaments. Oder schauen Sie die Politik an. Das Neue Testament ist grausam unpolitisch. Da wird nicht viel nachgedacht über Macht und Umgang mit Macht. Da wird nicht über Kritik am Königtum, über Kritik an hierarchischen Entgleisungen nachgedacht. Gebt dem Kaiser was des Kaisers, gebt Gott was Gottes, schiedlich friedlich auseinander. Das Alte Testament ist ganz anders. Ich bin der Herr, der Gott, der dich aus der Sklaverei herausgeführt hat. Du sollst keine Sklaven haben. Du sollst dich auflehnen, wenn die Könige dich unterdrücken und ungerechte Herrschaft
musst du beenden. Ungerechte Verteilung der Güter. Das muss man politisch angeben. Dieses politische Erbe haben wir im Alten Testament. Das fehlt im Neuen Testament weithin. Oder die Bedeutung von Liebe und Erotik. Also die paar Tage bis Gott wiederkommt, bis Christus wiederkommt, sagt Paulus, könnt ihr es auch ohne aushalten. Aber es sind jetzt schon 2000 Jahre. Da bin ich doch heilfroh, dass wir die alttestamentliche Überlieferung haben, die da eine ganz entscheidende Dimension des Menschseins beleuchtet und wertschätzt. Mein Ansatz ist immer wieder aufzuzeigen, wo liegt der eigene Wert des Alten Testaments und gerade nicht im Neuen Testament abgebildet. Sondern wir haben das Alte Testament und das macht seine Würde und seine Bedeutung aus
als eine Ergänzung zur neuntestamentlichen Christologie, zur neuntestamentlichen Gotteserfahrung. Wenn das Alte Testament nur dasselbe sagen würde und nur vor Abschattung dessen wäre, was ich dann in Christus in voller Blüte habe, dann wäre ich nicht so begeistert von der Sache. Aber das Alte Testament hat Ergänzungen. Es hat Dimensionen und zwar viele und reiche Dimensionen der Gotteserfahrung, die ich für meinen Glauben nicht wissen möchte. Also ich versuche das Alte Testament in der Weise wertzuschätzen und für Christen fruchtbar zu machen, dass es als gleichwertiger Gesprächspartner ins Boot kommt. Das Alte Testament in seiner Reflektion, in seiner pluralen, also vielstimmigen Gottesbezeugung
hilft mir, mich selbst und mein Verhältnis zu Gott zu durchdenken, zu durchfühlen, zu artikulieren. Und wenn ich über die verschiedenen Probleme des Lebens nachdenke, Partnersuche, Kindererziehung, Vorbereitung auf den Tod, Umgang mit allen möglichen Problemen, dann finde ich im Alten Testament immer einen Gesprächspartner. Und das ist mir entscheidend wichtig. Das hat auch entscheidende Konflikten im Blick auf das Verhältnis zum Judentum. Ich habe das ja immer so ein bisschen im Hintergrund jetzt gehalten. Die christliche Kirche hat sich am Anfang sehr stark dadurch profiliert, dass sie das Judentum abgewertet hat. Wir sind das Volk, nicht die Juden.
Und es gab dann eine sehr, sehr schlimme Geschichte der Judenverfolgung durch die Kirche, indem im Augenblick, als die Kirche die Macht hatte, so ab Konstantin 312, Schlacht an der Milwischen Brücke, da wurde das Christentum ja Staatsreligion, weil Christus der beste Soldat ist. Sie machen das Kreuz mit den Schilden und dann hat man die Schlacht gewonnen. Also Christus als Soldat, der Christus Militans ist der Grund, dass wir Staatsreligion wurden. Und dieses Christus Militans wurde dann auch im Blick auf das Judentum grausame Wirklichkeit. Die Juden wurden verfolgt. Sie waren ja so doof, dass sie nicht verstanden haben, was die Schrift sagt. Ihre Bücher wurden verbrannt, sie wurden getötet. Gar nicht weit von hier in Speyer, 1098 fing der erste Kreuzzug damit an, dass man erst mal 4000 Juden umgebracht hat. Die waren ja sozusagen schon mal gleich vor Ort, bevor man dann ins Heilige Land gezogen
war, konnte man in Worms, Speyer, Mainz schon mal mit den Kreuzzügen anfangen. Das hat damit zu tun, dass man das Alte Testament nicht richtig verstanden hat. Wenn man verstanden hätte, welchen Schatz das Alte Testament darstellt, hätte man auch ein anderes Verhältnis gegenüber dem Judentum gewonnen. Und das gehört für mich jedenfalls ganz wesentlich auch zu der Rückbesinnung auf den Eigenwert des Alten Testaments dazu, dass man die Wertschätzung Israels als eines Bruders, als eines Zeugen der offenbaren Gottes, unseres Gottes, des Vaters Jesu Christi mitwiederentdeckt. Also die Wertschätzung des Alten Testaments und die Versöhnung zwischen Kirche und Synagoge gehen Hand in Hand. Und ich bitte Sie auch, das immer mit zu bedenken.
Wer das Alte Testament entdeckt, der entdeckt auch den älteren Bruder, Israel. Und ich halte das für eine Aufgabe, die immer wieder neu und immer wieder auch spannend zu gestalten ist. Und vielleicht, wenn Sie nachher nach Heidelberg reingehen, wir haben in Heidelberg die Hochschule für jüdische Studien. Das ist in der Landfriedstraße Nummer 12. Ein besonderer Ort, da gibt es nämlich eine Universität, eine jüdische Universität, acht Lehrstühlen und entsprechenden Assistenten, also 16 Wissenschaftler, die da hauptamtlich jüdische Studien betreiben. Da kann man Judentum original studieren. Das ist die größte wissenschaftliche Institution für Judaistik außerhalb Israels und den Vereinigten Staaten. Also jedenfalls in Europa ist Heidelberg der Top-Ort für jüdische Studien.
Die Hochschule für jüdische Studien ist eine Institution. Durch verschiedene Umstände, die ich Ihnen jetzt nicht erkläre, war ich vier Jahre der Leiter dieser Hochschule. Und so im Rückblick betrachtet ist da schon eine höhere Weisheit Gottes im Spiel. Ich bin evangelischer Pfarrer und das wussten die auch. Trotzdem durfte ich vier Jahre diese Hochschule leiten und alle Professoren, die da sind, und ich berufen, was auch nicht jeder gut findet. Aber dieser Punkt, den möchte ich Ihnen wirklich zum Abschied auch nochmal für den Vormittag sozusagen zum Schluss aufs Herz binden. Bedenken Sie, das Alte Testament ist eben auch Teil der heiligen Schriften des Judentums. Es ist die Schrift der Tynach des Judentums. Und wer sich mit dieser Schrift auseinandersetzt, der findet eben auch zurück oder hinein in
das Gespräch mit dem Judentum.
Die Bedeutung des Alten Testaments für das Neue Testament und die Christen | 4.2.2
Für die Christenheit ist das Alte Testament von jeher eine einzige Herausforderung gewesen. Die ersten Christen überlegten, es komplett zu verwerfen, die Aufklärung verdammte es als ethisch inakzeptabel, die Romantik verklärte es als wahrhaft menschlich. Irgendwo dazwischen liegt vielleicht die Wahrheit, nach der sich Manfred Oeming auf die Suche macht. Dass der Alttestamentler eine Lanze für das Alte Testament bricht, überrascht vielleicht nicht so sehr, wie er das tut, dagegen schon. Er hat viel zu sagen dazu, dass die Bibel der Juden auch den Christen viel zu sagen hat. Über das Leben an sich, über die menschliche Existenz, über Liebe und Erotik, über Antworten auf Fragen, die das Leben stellt. Manfred Oeming zeigt das Alte Testament als das, was es ohne Zweifel ist: Ein gleichwertiger Gesprächspartner im Boot des Glaubens.