Das Verständnis der Moderne als ein Schlüssel zum angemessenen Verständnis von biblischen Texten | 5.7.2
Der Vortrag lässt sich am einfachsten als eine Art Prostatakrebsvorsorge-Untersuchung für den christlichen Glauben beschreiben. Vor dieser – auch gerne als »große Hafenrundfahrt« bezeichneten – Untersuchung haben viele Männer Scheu. Dabei tut sie nicht wirklich weh, ist aber unangenehm. Je nach Empfinden sogar sehr! Außerdem fürchten sich viele Männer vor Schmerzen, aber auch vor Schäden, die diese Untersuchung verursachen kann. Allerdings kann man nach Abschluss der Untersuchung die »Dinge« klarer einschätzen und muss nicht im Vagen verbleiben. Ganz ähnlich wird es der konservativen Christenheit mit diesem Vortrag gehen. Einige sensible Stellen wie das angemessene Verständnis der biblischen Botschaft, die Übertragbarkeit von biblischen Aussagen auf die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts, die Tatsache, dass biblische Gestalten nicht alles das gewusst haben, was der heutige Mensch weiß, werden gestreift und dabei gezeigt, dass ein konservatives Schwarz-Weiß-Denken weder hilfreich noch intelligent ist. Aber dafür bietet Siegfried Zimmer in diesem Vortrag viele gesunde Erkenntnisse an – ohne auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Er weiß auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass der Modernisierungsprozess auch ambivalent ist und dass ein Überlegenheitsgefühl des modernen Menschen gegenüber Menschen vorheriger Epochen deplatziert ist. Doch statt auf die Herausforderung der Moderne mit Weltflucht in religiöse Schneckenhäuser zu reagieren, hat Zimmer ein anderes Rezept für die Christenheit: Es gilt die Beschleunigung des historischen Wandels nicht zu bewerten, sondern zu bewältigen!
Damit erweist sich dieser einundsechzigste Worthaus-Vortrag auf eine überraschende Weise als absoluter Basis-Vortrag. Hier wird thematisiert, warum Worthaus entstanden ist. Mit dem Kampf Zimmers um ein angemessenes Verständnis der Moderne wird deutlich, warum der christliche Glaube heute zwingend eine Bildungskultur benötigt, um seine biblische Botschaft in das Hier und Jetzt zu tragen. Denn eine 1:1-Übertragung biblischer Texte in die Gegenwart greift nicht nur zu kurz, sie ist nicht nur zu leichtfertig, sie stellt ganz klar einen gravierenden Missbrauch dar. Stattdessen muss genau berücksichtigt werden, in welcher Zeit, in welcher Kultur und mit welcher Intention ein Text ursprünglich entstanden ist. Alles andere führt in Sackgassen und mitunter zu schweren Missverständnissen.