Schönen guten Morgen Ihnen allen. Um gleich etwas modern, provokant vielleicht auch zu diesem Paulus in römischer Zeit einzuleiten. Paulus war mit Sicherheit einer der größten Migranten der griechisch-römischen Antike, vielleicht sogar der größte. Möglich war das durch ein Phänomen, eine Kultur, die wir als Hellenismus bezeichnen. Ich werde gleich etwas mehr zu diesem Rahmen Hellenismus sagen. Migration ist ein wichtiges Phänomen, Bewegung, Internationalisierung und das Ganze auf Griechisch.
Das wurde nicht erst durch das römische Imperium möglich, durch den Bau der riesigen und sehr gut befestigten Straßen, auf denen sich dieser Paulus bewegte, sondern bereits im Zuge der Eroberungen Alexanders des Großen. Denn plötzlich wurde ein Gebiet zwischen der Mittelmeerküste Spaniens und Frankreichs bis hinein nach Indien ein griechisches Kulturgebiet. Griechisch wurde infolge der Eroberungszüge Alexanders des Großen zur Sprache dieses riesigen Gebietes und zwar nicht nur zur Sprache der griechischen, ursprünglich griechischen Bevölkerung. Interessanterweise war Alexander ja eigentlich kein echter Grieche, sondern Makedone aus Sicht der klassischen Griechen ein Barbare, sondern auch zu einer Amtssprache und zu einer Kultursprache. Interessanterweise
haben die Römer, als sie den Osten erobert haben, also Syrien, Judea und weitere Gebiete, griechisch beibehalten. Nicht Latein. Latein war lediglich die Sprache der Armee, des Militärs. Ein Beispiel dafür, wenn der römische Kaiser ein Edikt in die Provinzen schickte und dieses vielleicht in seiner KZ in Rom auf Latein verfassen ließ, dann kam dieses in den Provinzhauptstädten an, in Ägypten zum Beispiel in Alexandria und wurde dort sofort ins Griechische übersetzt und auf Griechisch an die weiteren untergeordneten Abteilungen weitergereicht. Es ist von daher nur verständlich, dass auch ein Paulus aus Tarsus griechisch gelernt hat, griechisch geschrieben hat, ja sogar seinen
Römerbrief auf Griechisch verfasst hat. Um nur ein berühmtes Beispiel zu nennen, ein Zeitgenosse des Paulus, der römische Kaiser Claudius, hat eine römische Geschichte verfasst und diese auf Griechisch geschrieben. Paulus, laut Überlieferung geboren in Tarsus in Kilikien und heute in Türkei, laut Apostelgeschichte war er römischer Bürger. Das wird zum Teil heute noch diskutiert. Interessant finde ich, dass in den Altertumswissenschaften eher mehr vertraut wird diese Angabe Paulus römischer Bürger als das unter Theologen oft der Fall ist. Ein recht bekannter Althistorekar, Art Weber aus Wien hat darauf hin gewiesen, dass doch etwas verwundert ist, dass ausgerechnet
Theologen dem nicht so viel Vertrauen schenken, denn für Althistorekar sei es ganz und gar üblich, den Quellen zunächst einmal zu trauen, auch wenn diese, was die Antike betrifft, fast durchwegs natürlich Tendenzliteratur sind. Aber dafür sind die Althistorekar da, um das kritisch zu betrachten und zu sehen, was ist denn davon zu halten. Und solange man nicht gute Gründe hat, vom Gegenteil auszugehen, vertraut man mehr oder weniger seinen Quellen. Nun, wie könnte denn dieser Paulus von Tarsus das römische Bürgerrecht erlangt haben? Eine sehr plausible Erklärung ist die Vorfahren des Paulus, vielleicht der Großvater und die Großmutter wurden versklavt. Ein Ereignis, an das man da gerne denkt, auf das man gerne verweist, ist die Eroberung Judäers durch Pompeus den Großen,
63 vor Christus. Das würde sich zeitlich dann gut ausgehen. Nach erfolgreicher Eroberung war es ganz normal, Sklaven zu machen, Frauen und Männer am Sklavenmarkt zu verkaufen, um Geld zu machen. Die Großeltern dieses Paulus könnten also unter den sozusagen Kriegsgefangenen und dann versklavten Jüdinnen und Juden gewesen sein und auf diese Weise nach Tarsus gelangt sein. Der Vater des Paulus könnte ein Freigelassener geworden sein, sich selber freigekauft haben, ich komme darauf dann später noch zu sprechen, ein Gewerbe eröffnet haben, eine Weberwerkstatt und somit wäre Paulus als Sohn eines Freigelassenen, der mit der Freilassung das römische Bürgerrecht erlangt
hätte, tatsächlich seit Geburt römischer Bürger gewesen. Ich möchte im Folgenden, da ich auch kein systematischer Theologe, sondern Neutestamentler und vielmehr noch Papyrologer bin, keinen systematischen Überblick jetzt geben über römische Kultur und was das alles für Paulus bedeuten könnte, sondern drei Themen ihnen etwas näher bringen, die eine recht wesentliche Rolle im Leben des Paulus wohl gespielt haben und die sich auch in den Briefen widerspiegeln. Sklaverei habe ich bereits angesprochen, das Handwerk des Paulus und zumindest, wenn es sich zeitlich noch ausgeht, etwas über antike Vereine, das Vereinswesen. Ich möchte das entsprechend des Themas dieser Tagung auch so auf den Unerwarteten hin münzen. Also etwas darüber hier
referieren, was konnte man denn damals voraussetzen, wo bewegte sich von seinem Leben, von seiner Herkunft her, dieser Paulus Fontasus, womit konnte er rechnen bei seinen Adressatinnen und Adressaten und was war dann tatsächlich auf diesem Hintergrund das Unerwartete seiner Botschaft, seiner Äußerungen, die wir in seinen Briefen dann finden. Also zur Sklaverei. Generell ist hier ganz wichtig, die antike Sklaverei, die sollte man nicht mit der neuzeitlichen Sklaverei, und bekanntesten ist die Sklaverei in den USA vergleichen. Wenn Sie von der antiken Sklaverei denken, dann haben Sie es mit einer Vielfalt von Themen, mit einer Vielfalt von Berufen,
Funktionen und so weiter zu tun. Natürlich gab es Sklaven ins Sklaven, die zur Prostitution gezwungen wurden, Sexsklaven, Sexsklaven. Natürlich gab es Geschundene in den Bergwerken und so weiter, aber es gab auch Sklaven, die zum Beispiel als Manager auftraten. Es gab Sklaven, die selber wieder Sklaven zu beaufsichtigen hatten. Es gab Sklaven und Sklaven, die mit relativ hohen Geldsummen hantierten, im Auftrag ihrer Gutsherren zum Beispiel. Wir haben hier einen Fall eines sogenannten Epagathos, so heißt das Klafe, und der Großgrundbesitzer in Ägypten, nicht einmal in Alexandria, sondern in der Provinz würde man heute sagen, auf dem Land, ein Lucius Pelienus Gemellus. Die beiden hatten eine relativ ausführliche Korrespondenz und die ist
uns auf Papyri erhalten, auf Alltagstexten der Antike. Wenn Sie darüber mehr hören möchten, Christina Kreineke hat vor ein paar Jahren hier einen Vortrag gehalten über Alltagstexte, Papyri, Tonscherm und so weiter. Alles das, was man im Alltag damals geschrieben hat. Und da sind also auch Briefe zwischen diesen beiden, zwischen dem Gutsbesitzer und seinem Sklaven erhalten geblieben und viele davon, von dem Pelienus an den Sklaven Epagathos, sind voll von Aufträgen. Das soll er tun und das und den soll er bezahlen und diese Rechnung begleichen und so weiter. Epagathos erfahren wir da, der war selbstständig tätig, etliche Kilometer entfernt von der
Residenz seines Herrn, bekam einfach immer wieder nur Briefe und konnte die Aufträge mit entsprechendem Geld, das er offenbar auch zur Verfügung hatte, das ihm nicht erst Auftrag für Auftrag übermittelt wurde, hantieren. Da geht es um Summen von mehreren hundert Drachmen. Wenn Sie jetzt daran denken, dass ein einfacher, ungelernter Arbeiter ungefähr eine Drachme pro Tag verdient hat, dann sind das zum Teil ganz gehörige Summen. Eine ganz wesentliche Einrichtung der Sklaverei war das sogenannte Peculeum. Das könnte also auch bei Paulus und seiner Familie schon eine Rolle gespielt haben. Peculeum war Geld und zwar jenes Geld, das sich ein Sklave
selber verdienen konnte, indem er von seinem Herrn oder auch von der Herrin am Gewinn beteiligt wurde. Der Sklave hatte in erster Linie nützlich zu sein, der hatte einen Gewinn einzubringen, der hatte das Vermögen des Sklavenhalters zu vermehren. Und wenn er sich da gut gemacht hat, dann konnte er am Gewinn beteiligt werden. Wenn Sie jetzt meinen, da gab es vielleicht so ein Sparbuch, bringt eh keine Zinsen. Oder der hätte vielleicht so sein Sparschwein irgendwo in seiner bescheidenen Kammer gehabt, dann liegen Sie in dem Fall falsch. Natürlich hat dieses Peculeum das Sklavenhalter verwaltet. Aber wenn da eine entsprechende Summe zusammen war, dann war es dem Sklaven vielleicht möglich, sich selber mit dieser Summe freizukaufen. Wenn er klug war,
dann hat er noch etwas länger gespart, dass er gleich ein Anfangskapital hatte, um einen Betrieb zu eröffnen. So könnten wir uns das mit dem Vater des Paulus vorstellen. Paulus war ja gelernter Handwerker, darauf komme ich dann noch ausführlicher zu sprechen. Der Vater des Paulus, die Eltern des Paulus, bei einem angesehenen Römer als Sklaven und als Sklave zu diensten waren und sich dann die Freilassung erkaufen konnten und mit dem restlichen Geld auch noch einen Betrieb eröffnen konnten. Ich komme darauf später noch zu sprechen. Das war jetzt natürlich nicht eine Sache von Nächstenliebe oder Gefälligkeit, dieses Peculeum. Denn der Sklavenhalter oder auch die Sklavenhalterin, die hatten sehr viel davon. Wenn jemand die Aussicht hat, da etwas zu verdienen und anzusparen,
dann motiviert das natürlich zu besonderem Fleiß. Das ist der eine Vorteil, den auch der Sklavenhalter hat. Der zweite Vorteil, er bekommt ohnehin sein Geld, das er für den Sklaven auf die hohe Kante legt, damit er sich vielleicht freikaufen kann. Er bekommt es dann wieder, wenn er sich freikauft und kann sich einen nächsten, vielleicht jüngeren, fitteren Sklaven wieder damit kaufen. Also eine echte Win-Win-Situation, wenn Sie so wollen. Warum ist Sklaverei überhaupt so interessant, relevant bei Paulus? Es gibt einige Stellen in seinen Briefen, wo die Sklaverei eine ganz besondere Rolle spielt. Ich spreche jetzt gar nicht von den Texten, wo er bildhaft über Sklaverei spricht, dass wir früher Sklaven der
Sünde waren, jetzt Sklaven Gottes. Dass ich Paulus selber in diesem Sinne mal Sklave Gottes bezeichne, sondern von der real existierenden Sklaverei und wie Paulus damit umgeht und wie er auf Sklaven in Sklaven eingeht. Besonders wichtig ist hier der Philemonbrief. Der kürzeste Brief des Paulus, da geht es um einen Sklaven, der hieß Onesimus, ein wunderbarer Sklafenname. Denn Onesimus heißt nichts anderes als der Nützliche. Und Paulus spielt darauf auch im Brief an. Er schreibt an den Sklavenhalter Philemon, Philemonbrief. Du Philemon, du hast ja diesen Sklaven Onesimus früher für Unnütz gehalten.
Jetzt aber ist er für mich und für dich sehr nützlich. Das ist reine Sklaven-Terminologie. Paulus schreibt dann sogar, ich hätte diesen Onesimus gern für mich zurückbehalten, aber ohne deine Kenntnis, ohne dein Einverständnis wollte ich nichts tun. Und dann schreibt er noch so nett dazu, das was ich von dir erwarte, so quasi, das soll aber nicht gezwungenermaßen geschehen, eigentlich könnte ich dir das ja auftragen, sondern freiwillig. Da haben wir bereits den großen Diplomaten Paulus. Denn in Wirklichkeit war es ihm strengstens verboten, den Sklaven einen anderen aufzuhalten,
für seine Zwecke zu verwenden. Der Sklave hatte einzig und allein seinem Herrn oder seiner Lady, seiner Herrin zu dienen, nützlich zu sein und sonst niemandem. Wir haben da Texte, wo das auch erwähnt wird, Texte aus dem Alltag, wo genau das Umgekehrte nämlich der Fall ist, wo jemand schreibt, halte meinen Sklaven ja nicht auf, schicke ihn sofort wieder zurück. Paulus tut hier nur so, ich hätte ihn gern bei mir behalten, aber weil ich so nett bin, schicke ich ihn zu dir zurück. Das steht natürlich in einem Kontext, da hat er längst dem Philemon bereits den Honig um den Mund geschmiert, wie großartig du Philemon doch bist für deine Hausgemeinde und so weiter und so
fort. Ein Sklave hat nützlich zu sein, darf von einem anderen nicht aufgehalten werden und wenn irgendjemand anderen mit dem Sklaven oder auch einer Sklavin was vorhat, dann bedarf es des Einverständnisses des Sklavenhalters oder der Sklavenhalterin ja selbstverständlich. Also dieser Zusatz, ohne dein Einverständnis wollte ich nichts tun, ist in der realen Welt natürlich zu verstehen, ich hatte leider nicht ein Einverständnis, sonst hätte ich ihn gern bei mir behalten. Der Hintergrund des diplomatischen Paulus ist ja natürlich, du hast ihn einmal für unnütz gehalten, ich würde ihn sofort einstellen. Das sind schon ein bisschen beim unerwarteten Paulus, ja, einen unnützenden Sklaven, ich würde dem sofort eine Chance geben, bräuchte nur noch
dein Einverständnis, dann würde ich ihn bei mir behalten, dann würde ich ihn anstellen, warum nicht auch du, gib ihm doch eine Chance. Und dann schreibt er an der Stelle noch dazu, und das ist auch ganz interessant, ich wollte ihn bei mir behalten, damit er mir dient in den Fesseln des Evangeliums, so drückt es Paulus aus. In den Fesseln des Evangeliums, Paulus ist in Gefangenschaft. Dieser Onesimus, dieser Sklave ist dort, besucht ihn im Gefängnis und Paulus verwendet jetzt auf einmal eine Formulierung, also ich wollte ihn zurückbehalten, ich wollte ihn so quasi für
meine Zwecke nützen, mit deinem Einverständnis würde ich das sofort tun, damit er mir in der Verkündigung, in den Fesseln des Evangeliums dient. Dieses Dienen auf Griechisch diakoneo, sie haben das auch in diakon, diakonin, diakonat und so weiter, ist ein ganz interessanter Terminus und das ist eine ganz interessante Formulierung, denn im ersten Jahrhundert nach Christus, also zur Zeit des Paulus, begegnet dieser Terminus im Alltag nur in Weberlehrverträgen. Das sind wir beim Handwerk des Paulus. Solche Weberlehrverträge gab es auch über Sklaven und Sklaven. Jemand, üblicherweise ein Vater, eine Mutter, eine Sklavenhalterin, ein Sklavenhalter, ein Vormund,
schickt den Sohn, die Tochter, die Sklaven, den Sklaven, das Mündel in eine Weberlehre. Dafür ist es notwendig, einen Arbeitsvertrag abzuschließen mit einem Webermeister. Da wird dann einiges vereinbart, da gibt es in damaliger Zeit natürlich auch schon ein Formular dafür, leider nicht vorgedruckt, die mussten das alles natürlich noch mit der Hand schreiben. Da wird dann formuliert, ich, der Sohn, Sohn, Vater, Mutter, Sklavenhalter und so weiter, vereinbare mit dir den Webermeister so und so, dass ich meinen Sohn oder ähnlich für, wird die Dauer angegeben,
ein Jahr, zwei Jahre, bis zu fünf Jahren kann das gehen, in die Lehre schicke, damit er das Weberhandwerk erlernt. Im ersten Jahrhundert haben wir da eine kleine Anzahl von solchen Verträgen, wo es dann heißt, damit er für diese Zeit dir dient, dem Webermeister nämlich, dir dient und alles ausführt, was du, Webermeister, ihm aufträgst im Zusammenhang mit dem Weberhandwerk. Paulus, ich wollte ihn bei mir behalten, damit er mir dient in den Fesseln des Evangeliums. Jetzt könnte man natürlich sagen, naja, was hat ein Weberlehrvertrag mit einem Brief zu tun?
Ja, zunächst einmal gar nichts, aber wenn wir da Paulus, einen Handwerker haben, in der Apostelgeschichte ist davon die Rede, dass er dasselbe Handwerk ausübt, wie zwei Leute, die er da kennengelernt hat, Aquila und Priska, denn sie waren Zeltmacher. Dann wird Schluss gefolgert, also war auch Paulus Zeltmacher. In jedem Fall gehört er dem Textilindustriebereich an der Weberei, dem größten Handwerksbereich der Antike überhaupt. Und da macht das Ganze dann Sinn. Wenn jemand, der mit Weberei vertraut ist, so eine Formulierung verwendet, die wir nur in Weberlehrverträgen in dieser Zeit finden, dann liegt der Vergleich ja irgendwo auf der Hand. Als ich auf das drauf kommend bin, habe ich selber noch etwas bescheiden gemeint, naja, also der Vater des Paulus,
der hat ihm vielleicht auch den Paulus einmal da in eine Weberei geschickt, damit er dort das Weberhandwerk lernt. Und so hat Paulus mitbekommen, wie so ein Vertrag aussieht. Da haben mich dann zwei Papilologen, eines Besseren, belehrt. Einen jugendlichen Lehrling interessiert es rein gar nicht, was in so einem Vertrag steht. Für den ist nur wichtig, dass ihm gesagt wird, was er gefälligst zu tun und zu lassen hat. Die haben also dann gemeint, das macht dann Sinn, wenn Paulus selber ein Entrepreneur, ein Leiter einer Weberwerkstatt, ein Weber-Meister war. Das ist für unseren Vergleich ja sogar noch besser. In welchen Weberlehrverträgen kommt so etwas vor mit diesem Dienen?
Interessanterweise geht es in allen diesen Weberlehrverträgen, wo diese Formulierung, damit der Lehrling dem Weber-Meister dient, in Verträgen vor, wo beide Parteien Weber sind. Also ein Weber-Meister schickt seinen Sohn, es geht immer um einen Familienmitglied auch in diesen Verträgen, zu einem anderen Weber-Meister in die Lehre. Also nicht ein Müller oder Schneider oder sonst irgendwer, sondern ein Weber-Meister schickt den Sohn zum Weber-Meister in die Lehre. Ich weiß nicht, wie viele unter Ihnen mit Handwerk vertraut sind.
In meiner Familie gibt es einige, da ist es was Selbstverständliches, dass wenn jemand einen Betrieb leitet, dass man den Sohn, der den Betrieb übernehmen soll, nicht nur selber ausbildet, sondern sozusagen zur Konkurrenz auch einmal in die Lehre schickt. Um die Fähigkeiten zu erweitern, um in einem anderen Betrieb auch einmal dazu zu lernen. Es war in der Antike nicht anders. Es dürfte also wohl so sein, dass diese Formulierung auch deshalb so wichtig war, weil dem Sohn jetzt ausdrücklich gesagt werden sollte, jetzt bilde nicht ich, dein Vater, dein bisheriger Weber-Meister dich aus. Jetzt hast du nicht mir zu dienen, sondern wirklich dem anderen. Es kommt nämlich auch noch dazu, es wird ganz strikt vereinbart, der Lehrling, der muss die ganze Zeit beim Weber-Meister bleiben, dort wo er ausgebildet wird.
Man steht sogar ausdrücklich dabei zu Tage und zu Nacht. Also nicht acht Stunden an sieben Tagen, sondern 24 Stunden an 365 Tagen. Warum? Naja, vom Weber-Meister wird ja erwartet, dass er den Lehrling auch wirklich ausbildet, er haftet dafür. An den Strafklauseln dieser Verträge steht das dann ausdrücklich drin. Wenn es sich am Schluss herausstellt, dass der nichts kann, dann muss der Weber-Meister die Vertragssumme, die er bekommt, für seine Lehre zurückzahlen.
Damit er den entsprechend ausbilden kann, muss er sich ja darauf verlassen können, dass nicht der Vater auf einmal hergeht und sagt, also Bub, heute kommst du zu mir, wir haben einen Großauftrag, die nächsten zwei Wochen musst du bei mir arbeiten. Brotzeit besorgen für die Gesellen oder wie das sonst vielleicht heute noch bei Lehrlingen der Fall ist. Das geht nicht. Und da ist für jeden Tag, der da ausfällt, der Vater oder die Mutter haftbar. Also ein sehr abgesichertes System, damit sich der eine auf den anderen verlassen kann, damit dieser Dienst, dieses Diakonäer auch funktioniert. Wenn man jetzt an den Paulus denkt, dann kann man sich also durchaus vorstellen, wenn der Vater einen Webereibetrieb in Tasos hatte,
dann hat Paulus den irgendwann einmal übernommen, Vater gestorben, hat selber, zum Beispiel für einen jüngeren Bruder, wäre eine denkbare Möglichkeit einen solchen Vertrag abgeschlossen, ist vertraut mit diesen Formulierungen und das wäre der Hintergrund, das jetzt im Philemon-Brief zu verwenden. Das würde schon genügen. Aber besonders viel Sinn macht es natürlich, wenn dieser Philemon vielleicht sogar vom selben Gewerbe ist, denn dann hat er es wirklich verstanden. Bitte die Paulus-Briefe, dazu werde ich morgen dann noch ausführlicher kommen. Das sind Gelegenheitsschriften. Das sind keine dogmatischen Traktate. Da geht es um die Verhandlung von Situationen, von Fragen, von Problemen, die aktuell in einer Gemeinde vorhanden sind.
Und ein Schriftsteller, ein Briefautor, der über solche Dinge schreibt, der möchte natürlich verstanden werden. Sprache, Kommunikation, Internet dazu, um möglichst viel Unverständnis zu erzeugen. Also der Paulus, der hat sich ja sicher was überlegt, wie schreibe ich was. Wir haben vorhin draußen über Korrespondenz und Effekt uns gerade unterhalten. Kommunikation ist auch auf Effekt ausgerichtet. Welchen Effekt hat das, was dieser Paulus schreibt? Welchen Effekt hatte das, wenn er auf einmal schreibt, ich wollte ihn gerne bei mir zurückbehalten? Und der Sklavenhalter weiß sehr wohl, das hättest du ihm nicht dürfen. Aber welchen Effekt hat das, wenn er so schreibt, der Paulus? Welchen Effekt hat das, wenn er schreibt, damit er mir dient in den Fesseln des Evangeliums? Damit er mir dient wie ein Lehrling in einem Handwerk?
Da schreibt der Handwerker Paulus. Und falls der jetzt an den Handwerker oder an den Betriebsleiter Philemon schreibt, dann hat dieser Philemon das mit Sicherheit sofort verstanden. Und dann würde der Vergleich mit diesen Weber-Lehrverträgen ja noch mehr Sinn machen. Wenn Sie noch einmal dran denken, ein Weber-Meister, der sich mit dem Handwerk verhalten hat, dann hätte das mit Sicherheit sofort mehr Sinn machen. Wenn Sie noch einmal dran denken, ein Weber-Meister schickt seinen Sohn zu einem anderen Weber-Meister in die Lehre. So schließen Weber-Meister miteinander den Vertrag ab, damit ein Sohn noch einige Fähigkeiten dazu erlernt im Betrieb des anderen.
So schreibt Paulus an den Philemon. Also dieser Philemon, der muss nicht, was man vielleicht schnell einmal denken würde, ein Großgrundbesitzer gewesen sein. Der könnte einen Weber-Reibbetrieb geleitet haben, vermutlich in Kolosse. Und das, was das Interessante für Paulus ist, er nützt hier, das ist jetzt nicht so sehr das Unerwartete für die Antike, er nützt hier seine Herkunft, er nützt das, wo er sich auskennt, er nützt das, wo er bereits Erfahrungen hat und Erfahrungen, was sich bewährt. Und das überträgt er jetzt, also aus dem Handwerksbereich, das Verhältnis von Meister und Geselle, Meister und Lehrling,
das überträgt er jetzt auf die christliche Gemeinde. Und das ist der Hintergrund, wenn er dann auf einmal, das ist die Kernaussage der eigentliche Appell des Philemon-Briefs, wenn er an den Philemon appelliert, sie haben wahrscheinlich im Ohr das mit dem Bruder, nicht mehr als Sklaven soll er ihn aufnehmen, sondern als Bruder, der eigentliche Appell kommt erst danach, wenn du mich als Partner hast, dann nimm ihn den Sklaven Monasimus, auch wie mich, dann nimm du Philemon deinen Sklaven auf, wie einen Partner. Dann gib ihm endlich eine echte Chance.
Und da kommt jetzt der unerwartete Paulus rein, einem nützlichen, braven, überaus eifrigen Sklaven ein Peculeum zukommen zu lassen, dem immer wieder eine Chance zu geben, das ist normal. Aber einem Sklaven, den der Sklavenhalter bisher für unnütz gehalten hat, dem eine echte Chance zu geben, den als Partner zu behandeln, das ist doch etwas Unerwartetes. Und dafür legt Paulus sich sogar so ins Zeug, dass er sagt, wenn du mich als Partner hast, natürlich auch als Partner im Glauben, von der Partnerschaft des Glaubens ist am Beginn des Philemon-Briefs ausdrücklich die Rede, dann nimm ihn diesen Sklaven auf, wie mich.
Dann haben wir Paulus, der so tut, als könnte er dem Philemon alles anschaffen und den Sklaven bei sich behalten und so weiter und so fort. Dann haben wir den Philemon, der könnte noch sagen, naja, also ganz stimmt das nicht, also eigentlich darf das ja nicht. Aber dann sagt Paulus auf einmal, wenn du mich als Partner hast, Philemon auf Augenhöhe, dann nimm den Onesimus, der unter dir steht, auf wie mich. Dann sind auf einmal alle drei auf Augenhöhe, alle drei in einer Partnerschaft. Und der Hintergrund und die Sprache, die verwendet wird, ist zunächst einmal ganz normale Sklavensprache mit brauchbar, unbrauchbar, nicht aufhalten, ohne Einverständnis. Das Handwerksprache dienen in allem, was mit dem Handwerksbereich zusammenhängt, übertragen auf die Verkündigung des Evangeliums, dienen in den Fesseln des Evangeliums.
Das ist der Hintergrund und da weiß Paulus, naja, wenn sich das immer schon bewährt hat, auch zu Hause in Tasus, dann könnte sich das ja auch in der Gemeindestruktur, und zwar nicht nur bei der Zusammenkunft zum Herrenmal und so weiter, sondern im ganz normalen Alltag bewähren. Nochmal zurück zur Sklaverei. Es wird manchmal, ich sage jetzt etwas salopp davon, geträumt, Onesimus hätte freigelassen werden sollen. Paulus wollte vielleicht von Philemon, dass er den Sklaven freilässt. Vergessen Sie es. Der wäre entweder ein Bandit geworden, der Onesimus, oder verhungert, ein mittelloser, aber freigelassener Sklave, der hat keine Zukunft.
Der kann nur schauen, dass er sich irgendeiner Räuberbande anschließt oder schnell einen neuen Sklavenhalter findet. Denn was soll er denn tun? Und ein unnützer Sklave schon gar nicht. Und das ist immer wieder beim Peculeum. Wenn ihm jetzt aber auf einmal Vertrauen geschenkt wird, wenn er zum Partner gemacht wird, ob jetzt im Betrieb des Philemon oder in der Gemeindeverwaltung, dann kommt das Peculeum ins Spiel, dann kommt die Möglichkeit ins Spiel, dass er sich irgendwann vielleicht freikaufen kann und noch einen finanziellen Polster hat, um einen Betrieb aufzumachen. Dann ist er ein gemachter Mann, der freigelassene Sklave.
Wenn das mit der Familie des Paulus auch schon so war, dann macht das natürlich ganz viel Sinn. Wir haben leider nicht die Antwort Philemon auf das Ganze. Wir wissen nicht einmal, wie die Situation wirklich war. Sie kennen vielleicht die Theorie, Onese muss ein flüchtiger Sklave seinem Herrn davon gelaufen, mit der Handkasse durchgebrannt, weil da im Brief steht auch noch, wenn er dir Unrecht getan hat oder dir etwas schuldet. Er hat die Handkasse geklaut und flüchtiger Sklave. Wir wissen es nicht und wir werden es nie wissen, weil wir haben nichts vom Philemon. Das, was wir sehen und wissen können, ist das Schreiben des Paulus.
Interessanterweise schreibt Paulus über diesen Sklaven nicht so, als wäre er ein flüchtiger Sklave. Paulus schreibt nämlich kurz vor diesem Appell, den ich schon erwähnt habe, vielleicht ist er, der Onesimus, dir, dem Philemon, deshalb für kurze Zeit davon gerannt oder für kurze Zeit von dir weggegangen, damit er auf ewig zu dir zurückkommt. Das ist nicht die Beschreibung für einen flüchtigen Sklaven. Ein flüchtiger Sklave, der geht nicht für kurze Zeit weg. Ein flüchtiger Sklave, der rennt davon, um nie wieder zurückzukehren. Wir haben zeitgenössisch mit Paulus eine Diskussion unter römischen Juristen erhalten, die machen sich Gedanken,
wie kann man einen flüchtigen Sklaven von einem sogenannten Herumtreiber unterscheiden? Und die wesentliche Unterscheidung ist die, der flüchtige Sklave, der entzieht sich möglichst auf Dauer dem Zugriff seines Herrn. Der geht auf Dauer weg, um nie mehr zurückzukehren, in der Hoffnung auch nicht mehr aufgegriffen zu werden. Der Herumtreiber hingegen, der bleibt nur etwas zu lange aus. Da können Sie Ihrer Fantasie jetzt freien Lauf lassen. Man trifft so manchmal halt unterwegs einen Kollegen und entsprechende Lokale, um einen Heben zu gehen, gab es natürlich auch schon in der Antike zur Genüge.
Und er kommt dann halt zu spät nach Hause. Ist auch nicht erlaubt. Ist unnütz für den Sklavenhalter. Aber ist kein Sklavenfluch, der kommt ja immerhin wieder zurück. Genau so beschreibt Paulus den Onesimus. Vielleicht ist er deshalb für kurze Zeit von dir weggegangen, damit du ihn auf ewig auf Dauer zurückerhältst. Das ist genau die Beschreibung für den Herumtreiber. Naja, aber was weiß der Philemon davon? Der könnte natürlich schon längst den Suchtrupp losgeschickt haben. Der könnte schon längst davon ausgegangen sein. Der Sklaven ist entflohen. Schicke ich den Trupp los und wenn die den in Haft nehmen, dann geht es dem schlecht. Wenn der Onesimus jetzt nach Hause zurückgeht und da kommt der Trupp daher und nimmt den fest, dann hat er schlechte Karten.
Dann einfach zu sagen, ich war ja eh schon wieder auf dem Heimweg. Aber wer hat denn das Schreiben des Paulus in der Hand? Der hat genau das Dokument in der Hand, um darauf hinzuweisen, ich gehe freiwillig nach Hause. Ich bin bereits auf dem Heimweg. Hier, der Paulus bestätigt mir das. Ich bin nur für kurze Zeit weggegangen, um auf Dauer zurückzukehren. Paulus hält mich jetzt für einen gut brauchbaren Sklaven. Der würde mich sogar sofort anstellen, damit ich ihm diene. Und du solltest mich jetzt, weil du ja eh der tolle Partner des Paulus bist, auch mich als Partner aufnehmen.
Also ein römischer Bürger, Paulus, ein Weber-Meister, der große Missionar und Gemeindegründer, der sich derart für einen Sklaven einsetzt, das ist schon was sehr Unerwartetes. Auch in der Zeit, wo Sklaverei, wie gesagt, sehr vielfältig aussah. Abschließend noch zum Weberhandwerk ein wichtiger Punkt, Tarsus. Es war eine Metropole der Weberei. In Tarsus hat man sogar eine eigene Webkunst entwickelt, die sogenannte tarxische Webkunst.
Wir erfahren das wieder von Alltagstexten aus Ägypten interessanterweise. Im zweiten Jahrhundert gab es bereits etabliert in Ägypten sogenannte Tarsikaryoi. Das waren Weber, die nach der tarxischen Webkunst ihre Leinen weben konnten. Wenn die schon zu Beginn des zweiten Jahrhunderts in Ägypten bekannt waren, unter dieser Fachbezeichnung sogar, dann gab es die natürlich im ersten Jahrhundert in Tarsus schon. Da war diese Webkunst längst etabliert. Paulus war also als Mann aus Tarsus, als Weber aus Tarsus oder von mir aus auch Zeltmacher aus Tarsus, nicht einfach nur irgendein Weber, sondern er war ein hoch ausgebildeter Spezialist in der tarxischen Webkunst.
Ausgerechnet dieser Paulus schreibt mehrmals in seinen Briefen ausdrücklich, dass er mit seiner eigenen Hände Arbeit sich seine Brötchen verdient, den Gemeinden nicht zur Last setzt. In der neustestamentlichen Wissenschaft ist man deshalb auch schon lange der Ansicht, dass die Mission des Paulus immer in den Handwerksbetrieben begonnen hat. Das ist naheliegend. Kommt wo an, in Korinth, in Ephesus, in Philippi, fragt nach Arbeit. Ich bin ein Weber aus Tarsus, ich beherrsche die tarxische Webkunst. Für so jemanden hat man schnell einen Platz frei in einer Weberei,
denn der kann eine Fachdisziplin mitbringen, der kann die eigenen Leute in dieser Weberei ausbilden. Dann kommt er mit den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb, ins Gespräch und so weiter. Und so entsteht dann langsam die Mission und schließlich eine kleine Hausgemeinde. Zwei Frauen seien dann noch erwähnt. In der Apostelgeschichte wird die Burburhändlerin Lüdi erwähnt. Burbur ist auch ein Bereich, der für die Weberei nicht unwichtig ist. Da geht es um Färberei mit dem Saft der Burburschnecke, was ganz was Kostbares in der Antike. Laut der Postgeschichte gibt diese Lüdi Paulus und seinen Gefährten Kost und Quartier. Und am Ende des Römerbriefs in den Versen 1 und 2 des 16. Kapitels ist von einer Föbe die Rede.
Die ist Diakonin, da haben Sie wieder das Diakonero, da haben Sie Diakonos. Die ist Diakonin in der Gemeinde von Kengräe. Kengräe war einer der beiden Hafen von Korinth, und zwar der Hafen in Richtung Ägäis. Der andere Hafen war der auf der Seite des Golfs von Korinth. Also wenn Paulus über die Ägäis angesegelt kam, dann ist er im Hafen Kengräe an Land gegangen, um nach Korinth zu gehen. Dort war diese Föbe, und die könnte so eine Anlaufstelle gewesen sein, um zum Beispiel zu fragen, wo finde ich Arbeit, wo finde ich Leute, wo ich unterkommen könnte.
Heute würde man das als Netzwerk bezeichnen, das Netzwerk des Paulus. Ich habe schon erwähnt, der Philemon mit seinem Sklaven Onesimus, seiner Familie war vielleicht in Kolosse zu Hause, hatte dort seinen Betrieb, was auch immer. Als Alternative denkt man an Rom oder die Umgebung von Rom. Warum? Weil von der Gefangenschaft des Paulus in dem Brief die Rede ist. Zweimal im Philemonbrief spricht er davon, dass er jetzt in Fesseln ist. Und am Ende des Philemonbriefs gibt Paulus seiner Hoffnung Ausdruck, bald der Gemeinde geschenkt zu werden, und er schreibt dann gleich auch noch zum Philemon, richte für mich schon mal das Gästezimmer her.
Also er hofft, bald persönlich auf einen Besuch vorbeizukommen. Zur Gefangenschaft nur ganz kurz. Es gab in der Antike, zumindest nicht offiziell, eine Strafhaft. Gab es nicht. Also man wurde nicht zu so und so vielen Jahren Gefängnis verurteilt. Es gab nur Untersuchungshaft. So bezeichnen wir das heute. Also wenn Paulus hier davon schreibt, dass er im Gefängnis ist, und das gilt auch für ein paar andere Schreiben, dann heißt es, er war in Untersuchungshaft. Der Prozess hat noch nicht stattgefunden.
Im Philemonbrief hofft er also ganz klar auf Freispruch, um dann Philemon und seine Gemeinde besuchen zu können. Onesimus bitte war auf keinen Fall in Haft. Sonst hätte Paulus ihn ja nicht zurückschicken können. Onesimus hat den Paulus im Gefängnis besucht, hat ihn vielleicht mit Lebensmitteln versorgt, denn die Bedingungen waren denkbar schlecht in den römischen Gefängnissen. Umgekehrt war das Wachpersonal und überhaupt die römischen Behörden relativ großzügig, was Besuche von Gefangenen betraf. Und die waren auch tatsächlich darauf angewiesen, von außen versorgt zu werden. Wir haben da zum Teil recht dramatische Schilderungen, wie jemand sich an einflussreiche Persönlichkeiten wendet, um Hilfe, damit mit dem Prozess jetzt endlich was weitergeht, weil ich sonst Gefahr laufe, an Hunger zu sterben.
Weil ich Gefahr laufe, im Gefängnis umzukommen. Neben Kasus war das Lykos-Tal Kolosse Laudicea Hierapolis ein wichtiges Zentrum Kleinasiens für Weberei überhaupt, für Textilien von der Schaf- und Ziegenzucht angefangen bis zur Färberei, Walkerei, also der ganze Bereich hindurch. Drum würde es sehr viel Sinn machen, den Philemon und seinen Haushalt auch dort in dieser Gegend anzusiedeln. Zum Vereinswesen noch ein paar Dinge. Antike Vereine waren eine etwas zwiespältige Angelegenheit. Für den Alltag etwas sehr Lukratives und sehr Interessantes, für die Obrigkeiten etwas sehr Gefährliches.
Es gab sogar eine andere Angelegenheit, die war, dass die Menschen, die in der Alltagsschrift leben, für die Obrigkeiten etwas sehr Gefährliches. Es gab sogar mehrmals Verbote von Vereinen von oberster Stelle, weil man fürchtete, da könnte es zu Konspirationen kommen, schließlich zu Aufständen, zu Unruhen und so weiter. Gerade in Handwerksbereichen gab es natürlich solche Vereine, Gilden könnte man auch sagen. Es hat viele Vorteile. Man kann Aufgaben verteilen, man kann Kenntnisse einander unterstützen, zukommen lassen.
Zum Beispiel konnte man das Steueraufkommen gemeinsam organisieren. Dass jemand vom Verein verantwortlich zeichnete für alle Mitglieder, um das einfacher, effektiver abwickeln zu können. Bei Webervereinen zum Beispiel die Bezahlung der Webersteuer. Als römischer Bürger wäre Paulus ja von der Kopfsteuer der Grundsteuer der Damling-Zeit befreit gewesen, aber die Webersteuer und viele andere Steuerarten hätte er sehr wohl leisten müssen. Solche Vereine hatten einen Vereinspräsidenten, hatten einen Schatzmeister, einen Kassier. Der Vereinspräsident konnte zum Beispiel Prostatis bezeichnet werden, ein Titel, der auch auf die Föbe angewendet wird, die Diakonin von Ken Grehe.
In den Übersetzungen wird das meistens nur umschrieben mit Sie hat mir geholfen oder so. Im greischen Text steht dort ein Hauptwort, das Substantiv, die Funktionsbezeichnung Prostatis. In manchen Bereichen ist das so was wie ein Bürgermeister, so was ähnliches wie vielleicht ein Konsul. Im Vereinswesen ist das der Vereinspräsident, also diese Föbe hatte zum Beispiel eine sehr wichtige Funktion neben Diakonin noch hinzu. Es gab einen Vereinsgott, eine spezielle Gottheit, der geopfert wurde. Zum Anlass des Hauptfestes dieser Gottheit gab es natürlich ein besonderes Fest, eine besondere Zusammenkunft dieser Vereine.
Und es gab Mähler, Vereinsmähler, die haben regelmäßig Mahlgemeinschaft gefeiert, sogar mit Sitzordnungen. Wer da wo Platz nehmen darf? Das klingelt vielleicht schon, das Herrenmahl in den frühchristlichen Gemeinden und erster Korintherbrief, wo Paulus schreibt, bei euch geht es ja zu. Die einen, die kommen noch hungrig zum Herrenmahl, die anderen sind schon besoffen.
Interessanterweise haben sich solche Vereine auch Vereinssatzungen gegeben. In diesen Vereinssatzungen wurden typischerweise auch die Verhaltensweisen während dieser Vereinsmähler geregelt. Da darf man zum Beispiel nicht ausspucken, da darf man nicht schlecht über einen anderen reden. Man ist auch angehalten, entsprechend etwas mitzunehmen, den Vereinsbeitrag auch zu zahlen, damit alle gleichmäßig und gemeinsam diese Mähler auch finanzieren können. Da gab es darüber hinaus auch moralische Anweisungen.
Natürlich darf ein Vereinsmitglied nicht mit der Frau eines anderen Mitglieds sein Verhältnis anfangen. Es werden auch die Strafen dafür festgelegt, bis zu einem Vereinsausschluss kann das gehen. Da wird aber auch gesorgt, wenn es um ein Begräbnis eines Vereinsmitgliedes geht, dass die Kosten geteckt werden können durch den Verein. Das ist fast so etwas wie Gewerkschaft. Man zahlt einen Vereinsbeitrag und bekommt dafür dann auch entsprechende Vergünstigungen da und dort. Da legen sich dann die Funktionäre des Vereins für einen ins Zeug und unterstützen einen. Natürlich kann man jetzt nicht einfach hergehen und sagen, okay, dann sind die frühchristlichen Gemeinden so etwas wie Vereine. Einer der wesentlichen Forscher über das antike Vereinswesen, John Kloppenburg,
der hat einmal wunderbar auf Englisch ausgedrückt, it's good to think with. Die Vereine sind etwas ausgezeichnetes, um die mitzudenken, wenn man an frühchristliche Gemeinden denkt. Da haben wir jetzt neben dem Handwerksbereich auch noch einmal speziell den Vereinsbereich bei Paulus, der sich auf frühchristliche Gemeinden in römischer Zeit übertragen lässt. Man braucht Funktionäre, man braucht jemanden, der für die Finanzen zuständig ist, man braucht einen Gemeindeleiter.
Das hat nichts mit Hierarchie zu tun noch bei Paulus. Das ist nichts Sakrales, das ist etwas ganz Ziviles. Es gibt in diesen frühchristlichen Gemeinden keine Bischöfe oder Priester oder so. Auch wenn die Begriffe dann später dafür verwendet werden. Die kommen aus dem zivilen Bereich der römischen Gesellschaft. Das, was als Gemeindevorsteher fungiert. Den Diakon habe ich schon erwähnt, der kommt aus dem Handwerksbereich. Der Pressbüter, später wird daraus unser Priester, ist der Älteste in Versammlungen. Das sind die Bereiche, auf die Paulus zugreift, wo er sich bedient, die er übernimmt und die er auf die Gesellschaft erweitert. Die Gesellschaft dann überträgt, auch wenn es jetzt um den Glauben an diesen Messias Jesus geht.
Und ganz bodenständig und finanziell die Kollekte des Paulus. Es ist auch ein Unternehmen, das natürlich zu Hilfe nimmt, die römischen Straßen, die ganzen Verbindungen, gewisser Weise eine Globalisierung. Nämlich das Versprechen, das Paulus einzulösen hat, für die etwas ärmeren Gemeinden Judäers Geld zu sammeln und die finanziell zu unterstützen. Durch Gaben aus den heidnchristlichen Gemeinden, Kleinasiens, Griechenlands. Die sogenannte Kollekte, wo Geld gesammelt wird und Paulus hofft, dass diese Kollekte, diese Sammlung dann auch in Judäer angenommen wird.
Vereine waren damit vertraut, so etwas auf die Beine zu stellen. Vereine waren damit vertraut, Geld zu sammeln, waren damit vertraut, andere zu unterstützen. Vereine hatten sozusagen auch das Know-how, wie schaffe ich es, das Vertrauen zu erwecken, dass wenn man Geld bestimmten Leuten dann übergibt, dass das nicht veruntreut wird, sondern dass das tatsächlich dort ankommt. Heute haben wir Hilfsorganisationen, Rotes Kreuz und so weiter. Das lief über Vereine und dieser konnte sich Paulus da als Hintergrund auch bedienen. Zum Abschluss noch so auf ganz hohem römischen Level ein paar kurze Worte zum römischen Kaiser im Vergleich zu Jesus Christus.
Das Paulus von Jesus als dem Herrn spricht, griechisch Kyrios, vom Herrn, ist nicht weiter verwunderlich. Die Anrede Gottes als Herr ist etwas, das dem Judentum schon lange eigen ist, hängt vor allem auch damit zusammen, dass man den Gottesnamen selber aus Ehrfurcht nicht mehr ausspricht zu dieser Zeit. Und das häufigste Wort, das man dann verwendet, auch wenn in den Heiligen Schriften des Judentums der Gottesname Jahwe steht, ist Herr.
In der griechischen Übersetzung unseres Alten Testament steht an diesen Stellen auch immer Kyrios, steht immer Herr drin. Es ist also durchaus verständlich, sozusagen innerhalb des Judenkristentums, dann den Ausdruck Herr, den Titel Herr auf Jesus zu übertragen. Interessant ist jetzt, genau zur selben Zeit, wo Paulus unterwegs ist, Jesus den Herrn zu verkünden, da nimmt der römische Kaiser für sich diesen Titel in Anspruch. Es hat zunächst natürlich nichts miteinander zu tun. Von Augustus wissen wir noch, dass er den Titel abgelehnt hat. Es gibt nur ganz wenige Beispiele, wo er trotzdem auf Augustus angewendet wird, dieser Kyrios-Titel.
Ganz, ganz häufig aber unter Claudius, den ich schon erwähnt habe, jener Kaiser, der auf Griechisch eine römische Geschichte verfasst hat. Auf diesen Claudius wird dieser Titel Herr schon ganz, ganz oft angewendet. Und zwar nicht nur von der Elite oder auf höchster diplomatischer Ebene, sondern man begegnet dem auch im ganz normalen Alltag in sowas Banalem wie Datierungen. Im so und so fehlten Jahr des Cäsar Claudius, und dann steht noch das Herrn dabei. Datiert wird ja nach den Herrscherjahren.
Und noch häufiger ist bei Claudius dann bei Nero. Solche Titulaturen von Kaisern sind oft sehr lang. Cäsar heißt sowieso jeder, wir übersetzen das dann mit Kaiser. Dann hat noch jeder so ziemlich alle Namen der Vorgänger, bis dann der eigene Name kommt und dann kommen noch alle möglichen Titel. Bei Nero ganz schlicht im so und so fehlten Jahr, Nero des Herrn. Und zur selben Zeit schreibt jetzt Paulus über Jesus den Herrn. Da sehen Sie einen zukünftigen Konflikt grundgelegt. Der bricht zur Zeit des Paulus noch nicht so aus, erst am Ende des Lebens des Paulus, wie Sie wissen. Aber der ist da grundgelegt. Wo zunächst unabhängig voneinander der römische Kaiser als Herr bezeichnet wird und im Juden-Christentum Gott und dann auch Jesus als Herr bezeichnet wird. Und irgendwann läuft das natürlich dann aufeinander zu und stellt sich die Frage, wer ist denn jetzt der höchste und eigentliche Herr?
Da kommt also wirklich der Paulus, der im Römerbrief noch schreibt, dass der Staat, der römische Staat eine Dienerin Gottes ist. Mit den höchsten Autoritäten natürlich in Konflikt. Ja, so viel, nur so ein paar ausgewählte Dinge der Zeit.
Wenn ich also zusammenfasse, ja, vermutlich war Paulus ein römischer Bürger, war dadurch privilegiert. Er musste zum Beispiel die Kopfsteuer eben nicht zahlen, die pro Kopf verrechnet wurde, ob arm oder reich, war völlig gleichgültig. Auch Arbeitslose mussten die Kopfsteuer zahlen, eine und dieselbe Summe. Römische Bürger waren davon ausgenommen. Ich verwende bewusst die maskuline Form. Frauen waren grundsätzlich von der Kopfsteuer ausgenommen. Aber alle anderen Steuern hatte Paulus zu bezahlen, die Weber-Steuer, andere Handelsteuer und so weiter und so fort. Paulus war sich nicht zu schade, mit eigener Hände Arbeit, sein Geld, seine Brötchen zu verdienen. War sogar stolz drauf in gewisser Weise und nützt auch alle seine handwerklichen Erfahrungen für seine Mission und für den Aufbau und die Verwaltung der Gemeinden.
Paulus ist möglicherweise aus seiner eigenen Familienvergangenheit her schon vertraut mit Sklaverei. Wenn er im Korintherbrief dann schreibt, jeder soll nach seiner Berufung leben, jede und jeder in dem Zustand so quasi weitermachen, in dem er berufen wurde, auf die Sklaverei dann zu sprechen kommt und da schreibt, wenn du als Sklave berufen wurdest, dann nütze es. Wenn du freigelassen werden kannst, dann nütze es noch mehr. Dann könnte das ähnlich zu verstehen sein wie das, was ich über den Philemonbrief gesagt habe. Nützlich ist die Freilassung nur, wenn man das Nötige nicht nur Kleingeld, sondern größere Geld hat, um dann gut leben zu können.
Paulus vertraut mit Sklaverei, mit dem Vereinswesen und natürlich auch mit hoher Diplomatie, mit den ganzen Rängen, die es so gab, auch wenn er das selber nicht genützt hat. Das ist das Spannende. Sie finden bei Paulus viele Aussagen über Frauen, über die ärmere Bevölkerung, über Sklaven, über Handwerker, die würden Sie aus dem Mund eines elitären Römers nie gehört haben. Paulus ist nicht interessiert am sogenannten cursus honorum, also an der hohen elitären Karriere eines römischen Bürgers, um politisch und so weiter groß mitzumischen. Das ist das Spannende. Sie finden bei Paulus viele Aussagen über Frauen, über die ärmere Bevölkerung, über die elitären Karriere eines römischen Bürgers, um politisch und so weiter groß mitzumischen.
Das römische Reich – die kulturelle und gesellschaftliche Heimat von Paulus von Tarsus | 14.6.1
Paulus trug zwei Welten in sich. Er war jüdischer Schriftgelehrter und römischer Bürger. Und möglicherweise auch Nachkomme von Sklaven. So erklärt sich, wie er als Jude gleichzeitig Römer sein konnte. So erklärt sich auch, warum Paulus in seinen Briefen so oft von Sklaverei schreibt und warum es ihm so wichtig ist, seinen Lebensunterhalt mit einem eigenen Handwerk verdienen zu können. Und noch ein Thema zieht sich durch Paulus’ Schriften: das Vereinswesen im römischen Reich.
Der Theologe Peter Arzt-Grabner beschreibt die Welt, in der Paulus lebte, die Kulisse, vor der sich die erste große Missionsgeschichte des Christentums abspielte. Er erklärt, wie Paulus an neuen Orten sein Netzwerk aufbaute, was es bedeutete, römischer Bürger zu sein, und wie sich Sklaverei in der Antike von dem unterschied, was wir heute als Sklaverei kennen.