Der Vortrag lässt sich am einfachsten als eine Art Prostatakrebsvorsorge-Untersuchung für den christlichen Glauben beschreiben. Vor dieser – auch gerne als »große Hafenrundfahrt« bezeichneten – Untersuchung haben viele Männer Scheu. Dabei tut sie nicht wirklich weh, ist aber unangenehm. Je nach Empfinden sogar sehr! Außerdem fürchten sich viele Männer vor Schmerzen, aber auch vor Schäden, die diese Untersuchung verursachen kann. Allerdings kann man nach Abschluss der Untersuchung die »Dinge« klarer einschätzen und muss nicht im Vagen verbleiben. Ganz ähnlich wird es der konservativen Christenheit mit diesem Vortrag gehen. Einige sensible Stellen wie das angemessene Verständnis der biblischen Botschaft, die Übertragbarkeit von biblischen Aussagen auf die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts, die Tatsache, dass biblische Gestalten nicht alles das gewusst haben, was der heutige Mensch weiß, werden gestreift und dabei gezeigt, dass ein konservatives Schwarz-Weiß-Denken weder hilfreich noch intelligent ist. Aber dafür bietet Siegfried Zimmer in diesem Vortrag viele gesunde Erkenntnisse an – ohne auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Er weiß auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass der Modernisierungsprozess auch ambivalent ist und dass ein Überlegenheitsgefühl des modernen Menschen gegenüber Menschen vorheriger Epochen de­plat­ziert ist. Doch statt auf die Herausforderung der Moderne mit Weltflucht in religiöse Schneckenhäuser zu reagieren, hat Zimmer ein anderes Rezept für die Christenheit: Es gilt die Beschleunigung des historischen Wandels nicht zu bewerten, sondern zu bewältigen!
Damit erweist sich dieser einundsechzigste Worthaus-Vortrag auf eine überraschende Weise als absoluter Basis-Vortrag. Hier wird thematisiert, warum Worthaus entstanden ist. Mit dem Kampf Zimmers um ein angemessenes Verständnis der Moderne wird deutlich, warum der christliche Glaube heute zwingend eine Bildungskultur benötigt, um seine biblische Botschaft in das Hier und Jetzt zu tragen. Denn eine 1:1-Übertragung biblischer Texte in die Gegenwart greift nicht nur zu kurz, sie ist nicht nur zu leichtfertig, sie stellt ganz klar einen gravierenden Missbrauch dar. Stattdessen muss genau berücksichtigt werden, in welcher Zeit, in welcher Kultur und mit welcher Intention ein Text ursprünglich entstanden ist. Alles andere führt in Sackgassen und mitunter zu schweren Missverständnissen.

Der neutestamentliche Text aus 1. Korinther 13, gerne überschrieben mit »Das hohe Lied der Liebe« und nicht zu verwechseln mit dem alttestamentlichen Buch »Das Hohelied Salomos«, ist heute einer der bekanntesten Texte der Bibel. Das liegt in erster Linie an seiner poetischen Sprache und an der Thematisierung der Liebe, was ihn zu einem sehr populären Text bei kirchlichen Trauungen macht und ihm eine weite Verbreitung auf allerlei »christlichen«, gerne kitschigen Druckerzeugnissen beschert. Darüber hinaus wird dieser Text aber auch regelmäßig von christlichen Strömungen benutzt, die der charismatisch geprägten Christenheit skeptisch gegenüberstehen, um die Bedeutung der Geistesgaben (Charismen) abzuwerten.
Also beste Voraussetzungen für einen Worthaus-Vortrag und Siegfried Zimmer taucht mit Verve in die charismatische Großwetterlage ein. Er schildert den historischen Kontext den dieser Text adressiert. Er stellt durch genaue Textbeobachtung fest, dass diese Verse die vielleicht wichtigsten »Aber« der Bibel enthalten. Und er arbeitet heraus, dass Paulus als »bekennender« Charismatiker und Autor des Textes wahrscheinlich als Erster eine geniale Erkenntnis formuliert hat: Selbst die besten Dinge im Leben sind ohne Liebe zum Gegenüber sinnlos. Denn ohne Liebe ist alles sinnlos.
Auffällig ist wie leidenschaftlich Paulus schreibt und wie leidenschaftlich Siegfried Zimmer über das Geschriebene redet. Letzteres lässt sich sicher auf die besondere Atmosphäre des Freakstock-Festivals zurückführen, die Zimmers lebhaftes Temperament schon bei früheren Vorträgen herausgekitzelt hat. Aber diese Erklärung greift zu kurz. Bei genauem Hinsehen wir deutlich, dass der Text von 1. Korinther 13 auch der Text von Siegfried Zimmer ist. Er hat ihn verinnerlicht. Dieser Text ist ein wesentlicher Schlüssel, um Zimmers Vortragsarbeit, seine Anliegen zu verstehen. Denn genauso wie es Paulus bei seiner Kritik nicht um eine Verurteilung der Christen in Korinth geht, geht es Siegfried Zimmer bei aller von ihm geäußerter Kritik nie darum Menschen zu verurteilen. Genau wie Paulus treibt ihn der Wunsch »die Dinge« zu justieren, in Balance zu bringen. Die geäußerte Kritik soll nicht vernichten, sondern Anregung zur Korrektur, zur Selbstreflexion, eine Einladung zur Bescheidenheit und Demut sein. Damit die Liebe einziehen kann.

Hinweis zum Video: Der Vortrag wurde unter schwierigen technischen Bedingungen aufgezeichnet, so dass nach rund einer Stunde nur der Ton, aber leider kein Bild mehr zu Verfügung steht.

Willkommen auf einer kurzen Reise in die Lebenswirklichkeit eines von Gott gesegneten Menschen, dem es erst richtig gut und dann noch viel besser geht. Dieser Mann, der im Leben nichts falsch und in der beschriebenen Geschichte alles richtig macht, ist wirklich zu bedauern – schließlich wird sein Leben am Ende von ihm gefordert. Man fragt sich die ganze Zeit, warum er am Ende eine so fette Rechnung präsentiert bekommt? Es ist unbegreiflich und irgendwie auch verstörend.
Der Gleichniserzähler aus Nazareth gibt sich redlich Mühe, diesen Kornbauern als guten Typen darzustellen. Er hat seinen Reichtum nicht auf krummen Wegen erlangt. Er wird unverdient und ohne sein Zutun geradewegs von Gott mit einem immensen Wohlstand überschüttet. Und dann handelt er auch noch ökonomisch weise und weitsichtig. Geht’s noch besser? Und hatte er überhaupt eine andere Wahl?
Siegfried Zimmer gibt am Ende des Vortrags unzweifelhaft zu Protokoll, dass er jederzeit genauso handeln würde wie dieser Bauer. Ist es deshalb nun an der Zeit über ein fortgeschrittenes Stadium von geistiger Umnachtung des Referenten zu spekulieren? Oder ist es tatsächlich möglich, dass man im Leben in jedem einzelnen Schritt richtig rechnet und am Ende das Gesamtergebnis doch nicht stimmt? Wer hierauf eine Antwort haben möchte, sollte genau die Ohren spitzen. Denn in diesem Vortrag gibt es sie.

Siegfried Zimmer widmet sich in diesem Vortrag einer eigenartigen und einzigartigen Gestalt des Neuen Testaments. Der Lebensstil und die Botschaft Johannes des Täufers passen nicht so Recht in die damalige theologische Landschaft. Und auch für den heutigen Betrachter wirkt die Szenerie reichlich bizarr und trägt Züge einer Freakshow.
Interessanterweise verbindet sich der Mann aus Nazareth auf bemerkenswerte Weise mit diesem Sonderling und Zimmer zeigt auf, welche Rolle dieser Mann für den christlichen Glauben spielt. Der Vortag ist – wie üblich – gespickt mit geschichtlichen, gesellschaftlichen und geographischen Details, die einen soliden Rahmen für die eigentliche Botschaft dieses Rufers aus der Wüste geben: Das Gericht kommt – und zwar für alle. Keine Abstammung, kirchliche Tradition oder sonst wie gearteten religiösen Pfunde taugen bei Johannes etwas. Es gibt auch keinen Armen- oder Unterschichtsbonus – alle sind fällig und stehen erstmal, im eigentlichen und übertragenen Sinne, auf der falschen Seite (des Flusses) – das rettende Ufer ist drüben. Das war damals und ist wohl auch heute noch eine erschütternde Botschaft, wenn man sie hört und an sich heranlässt. Aber es gibt Hoffnung!
Der Weg zur Vergebung steht offen – und zwar auch allen. Hier wird nicht diskriminiert und es gibt keine Vorbedingungen. Das Bild der Taufe erklärt auf hervorragende Weise und zugleich auf körperlich erlebbare, emotional spürbare aber auch intellektuell valide Art worum es geht – Umkehr, Rettung, Neuanfang, Leben. Phänomenal.

Marco Frenschkowski zeigt bei seinem zweiten Worthaus-Vortrag sein »zweites Gesicht«. Während der erste eher schwierig verständlich war, präsentiert er hier die Zusammenhänge der frühchristlichen Prophetie in einer einfacheren Sprache. Und das tut dem Vortrag sehr gut!
In der Zeit nach Paulus hat sich Prophetie als selbstverständliches und geordnetes Element in den christlichen Gottesdiensten etabliert. Es entwickelt sich ein mündiger Umgang mit den Geistesgaben. Marco Frenschkowski beschreibt Prophetie als solides, hinterfragbares und geerdetes Element im Leben der ersten Christen. Das klingt so gar nicht nach sensationsgierigem, abgehobenem, charismatischem Holy-Spirit-Hype, der seit dem 20. Jahrhundert in Teilen der Christenheit en vogue ist.
Im zweiten Teil schwenkt Frenschkowski zur Mutter aller prophetischen Bücher: Der Offenbarung des Johannes, dem »Buch mit sieben Siegeln«. Bei dessen Lektüre dürften sich viele Leser gefragt haben, welches Kraut der Autor denn geraucht haben mag, um solche merkwürdigen Bilder zu beschreiben, aber noch viel mehr natürlich, was das alles zu bedeuten hat. Marco Frenschkowski überrascht hier mit der Aussage, dass die Offenbarung doch eigentlich ziemlich einfach zu verstehen sei und liefert tatsächlich eine Reihe von spannenden Auslegungshilfen. Und er geht der nicht ganz unwichtigen Frage nach, was denn die ersten Adressaten dieser Texte unter der wirren Bilderflut verstanden haben mögen.
Man bekommt Lust, sich diesem Buch mal etwas anders zu nähern. Ist es am Ende tatsächlich nicht so verkehrt, mit Worten unbeschreibliche Dinge mal ganz anders auszudrücken und sich als Zuhörer auf diese Bildsprache einzulassen? Dann erschließt sich das letzte Buch der Bibel vielleicht ja doch ein bisschen. Die Chancen stehen nach diesem Vortrag jedenfalls gut!

Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion. Das Wesentliche wird nicht durch das menschliche Erkenntnisvermögen erschlossen, sondern durch Offenbarungen Gottes enthüllt. Dabei spielen Propheten eine wichtige Rolle. Es ist spannend zu analysieren, wie sich Prophetie im Zeitablauf unterschiedlich intensiv und mit wechselnden Schwerpunkten darstellt.
Dabei geht Marco Frenschkowski in seinem nicht ganz einfachen Vortrag folgenden Fragen nach: Was ist mit erloschener Prophetie gemeint? Wie kann vergangene Prophetie für die Gegenwart Identität stiften? Wie wirkt sich das prophetische Element in der entstehenden messianischen Atmosphäre des neuen Testamentes aus? Welchen Stellenwert bekommt Prophetie in den Gottesdiensten der ersten christlichen Gemeinden?

Die »lange Geschichte«, die mit dem Vortrag »Die Visionen des Amos – ein Meilenstein in der Geschichte der Prophetie« begonnen hat, setzt Siegfried Zimmer mit diesem Vortrag mit viel Engagement fort. Natürlich geht es in den Gerichtsworten aus dem Amosbuch weiter um das etwas abstrakt klingende »Gericht«. Aber Zimmer schafft es nicht nur diese alten Worte für das Hier und Jetzt verständlich zu machen. Er eröffnet auch ungewohnte Perspektiven auf die Amos-Verse, indem er sie in aktuelle Bezüge setzt und aus dem klassisch religiösen Kontext herauslöst.
So nähert er sich den Gerichtsworten über ein Gedicht von Nelly Sachs, in dem Propheten als »Einbrecher« verstanden werden. Sie brechen die verstopften Gehörgänge der Menschen auf mit »Sturmschwingen der Ewigkeit«.
Ausgehend von diesem lyrischen Zugang verdeutlicht Zimmer die enorme – und leider oft ausgeblendete – politische Dimension der Gerichtsworte des Amos. Sie klagen die gesellschaftlichen Eliten an, die kleine superreiche Oberschicht, die auf dem Rücken der armen Bevölkerungsmehrheit ihr Luxus-Leben frönt und jedes Gefühl für Anstand verloren hat. Sie konfrontieren die »High Society« mit einem Gott, der sie für ihren Lebensstil Verantwortung ziehen wird und sich eindeutig auf der Seite der Unterdrückten und Armen positioniert. Und es spricht nicht nur vieles, sondern alles dafür, dass sich an dieser Positionierung Gottes bis heute nichts geändert hat und auch nie ändern wird: Seine uneingeschränkte Solidarität gilt den Ausgegrenzten, den Chancenlosen, den Ohnmächtigen, den Entrechteten, den Ausgenutzten.