Video
Audio Als MP3 herunterladen
Text Als PDF herunterladen

00:00
Die Erzähl- und Redeteil-Szene Im Buch hier unterscheidet man ja den Erzählteil und den Redeteil. Der Erzählteil steht am Anfang und am Ende. Am Anfang umfasst der Erzählteil fünf Szenen und am Ende umfasst der Erzählteil eine Szene. Diesen Erzählteil nennt man auch in der Bibelwissenschaft die Hierb-Novelle. In der ersten Vorlesung habe ich die Hierb-Novelle behandelt, soweit sie am Beginn des Hierbuches steht. Und zwar genau von Hierb 1,1 bis hier 2,10. Das waren also die ersten fünf Szenen der Hierb-Novelle. Ich habe den ganzen Text behandelt und so die Hintergrundserklärungen geboten,

01:11
die zum Verständnis dieses Textes wichtig sind. Heute möchte ich mich noch mal dieser Hierb-Novelle zuwenden, aber jetzt unter systematischen Gesichtspunkten. Ich wende mich zuerst folgendem Thema zu. Die Satansvorstellung in der Hierb-Novelle und im frühen Judentum. Dazu wird Martin die beiden Satanszenen, das sind die beiden Himmelszenen, nämlich die Szene 2 und die Szene 4, noch einmal vorlesen. Wir haben ja schon in der ersten Vorlesung alles vorgelesen, aber damit ihr den Text gut präsent habt, liest er nochmals die Szene 2 und 4.

02:02
Das sind die beiden Szenen, wo der Satan vorkommt. Hierb 1,6 bis 12. Und es geschah eines Tages, da kamen die Söhne Gottes, um sich vor dem Herrn einzufinden. Und auch der Satan kam in ihrer Mitte. Und der Herr sprach zum Satan, woher kommst du? Und der Satan antwortete dem Herrn und sagte, vom Durchstreifen der Erde und vom Herwandern auf ihr. Und der Herr sprach zum Satan, hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hierb? Denn es gibt keinen wie ihn auf Erden, einen Mann so rechtschaffen und redlich, der Gott fürchtet und das Böse meidet. Und der Satan antwortete dem Herrn und sagte, ist hier etwa umsonst so Gottes fürchtig? Hast du selbst nicht ihn und sein Haus und alles, was er hat, ringsumhegt? Das Werk seiner Hände hast du gesegnet und sein Besitz hat sich im Land ausgebreitet. Strecke jedoch nur einmal deine Hand aus und taste alles an, was er hat,

03:04
ob er dir nicht ins Angesicht flucht. Da sprach der Herr zum Satan, siehe, alles, was er hat, ist in deiner Hand. Nur gegen ihn selbst strecke deine Hand nicht aus. Und der Satan ging vom Angesicht des Herrn fort. Die vierte Szene hier auf 2, 1 bis 7a. Und es geschah eines Tages, da kamen die Söhne Gottes, um sich vor dem Herrn einzufinden. Und auch der Satan kam in ihrer Mitte, um sich vor dem Herrn einzufinden. Und der Herr sprach zum Satan, von woher kommst du? Der Satan antwortete dem Herrn und sagte, vom Durchstreifen der Erde und vom Umherwandern auf ihr. Und der Herr sprach zum Satan, hast du Acht gehabt auf meinen Knecht hier? Denn es gibt keinen wie ihn auf Erden, ein Mann so rechtschaffen und redlich, der Gott fürchtet und das Böse meidet.

04:00
Und noch hält er fest an seiner Rechtschaffenheit. Und dabei hattest du mich gegen ihn aufgereizt, ihn ohne Grund zu verschlingen. Da antwortete der Satan dem Herrn und sagte, Haut für Haut. Alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben. Strecke jedoch nur einmal deine Hand aus und taste sein Gebein und sein Fleisch an, ob er dir nicht ins Angesicht flugt. Da sprach der Herr zum Satan, siehe, er ist in deiner Hand, nur schone sein Leben. Und der Satan ging vom Angesicht des Herrn fort. Danke Martin für diese beiden Himmelszenen. Die Hiyot-Novelle ist der älteste Text in der Bibel, in der der Satan ausdrücklich vorkommt. Ich könnte auch sagen, es ist der erste Text in der Bibel.

05:03
Nicht in der Reihenfolge der biblischen Schriften, sondern weil es der älteste Text ist. Es gibt dann im Alten Testament noch zwei andere Stellen, die aber sehr kurz sind. Sachariah 3 und 1. Chronika 21. Da wird der Satan auch noch mal kurz erwähnt. Aber in dieser ältesten Stelle ist vom Satan relativ breit die Rede. Es ist also eine enorm wichtige Stelle. Und deswegen will ich darauf nochmal zurückkommen, jetzt wesentlich grundsätzlicher. Ich frage jetzt also nach der Satansvorstellung in der Hiyot-Novelle und im frühen Judentum. Es ist in der Satans-Novelle sehr aufschlussreich, dass sich diese Novelle nicht auf zwei Hauptpersonen beschränkt.

06:02
Es wäre leicht möglich gewesen, dass die Hiyot-Novelle nur von Hiyot redet und von Gott. Wäre möglich gewesen. Dann wäre es um die Frage gegangen, Gott und das Leid oder das Verhalten des Menschen im Leid. Aber der Hiyot-Novelle geht es offensichtlich nicht nur um diese Fragen, sondern es geht ihr auch speziell darum, welche Rolle der Satan bei dieser Gelegenheit spielt. Sonst hätte er die Satansrolle nicht so betont, wie er es tut. Und deswegen stellt sich die Frage, welches Ziel hat sich der Autor der Hiyot-Novelle vorgenommen, was er erreichen will mit dieser Profilierung der Satansrolle?

07:00
Welche Botschaft will er seinen Lesern damit übermitteln? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, müssen wir zwei Ebenen berücksichtigen. Einmal die Textebene der Hiyot-Novelle, man könnte sagen die literarische Ebene, nämlich wie profiliert der Autor der Hiyot-Novelle die Satansrolle? Wie stilisiert er sie? Aber diese Frage allein reicht nicht aus. Wir müssen auch historisch fragen, welche religionsgeschichtliche Situation war damals im Hintergrund? Also reagiert die Hiyot-Novelle auf eine Situation, die sich damals gestellt hat? Diese Frage müssen wir auch bearbeiten. Also die Textebene allein genügt nicht. Wir fangen aber mal mit der Textebene an.

08:01
Die habe ich schon im letzten, in der ersten Vorlesung umrissen. Aber jetzt frage ich nochmal grundsätzlicher danach. Wie profiliert der Autor der Hiyot-Novelle die Satansrolle? Erstens fällt auf, dass er die Satansrolle stark betont. Das zeigt sich an folgenden Beobachtungen im Text. Es wäre ja möglich gewesen, dass Satan gar nicht so im Vordergrund steht. Aber die Hiyot-Novelle konzentriert sich sehr schnell auf das Zwie-Gespräch von Jahwe und Satan. Was die übrige Ratsversammlung, mit der ja die Szene beginnt, es kamen die Mitglieder der Ratsversammlung alle zusammen, um vom Herrn wieder neue Aufträge zu bekommen. Und da kam auch unter ihnen der Satan. Satan ist also einer der zahlreichen Mitglieder der himmlischen Ratsversammlung.

09:04
Aber was die anderen Mitglieder der Ratsversammlung sagen oder denken oder tun, ist dem Autor keine Erwähnung wert. Er konzentriert die Szenerie sehr schnell auf Jahwe und Satan. Dann ist auch interessant, dass der Satan offensichtlich die Problemfigur der Novelle ist. Kaum tritt er auf, fangen auch schon die Probleme an. Satan stiftet dazu an, den Glauben Hiyots auf die Probe zu stellen. Er ist sozusagen der Repräsentant der Anklage. Er ist der Repräsentant des Misstrauens. Und seine erste Frage ist hier etwa umsonst gläubig oder verehrt er dich umsonst?

10:00
Mit dieser Frage fangen die Leiden des Hiyots an. Theologisch neu ist an dieser Stelle diese Störung des innerhimmlischen Friedens. Denn Satan stellt sogar Gegenfragen an den Herrn der Ratsversammlung. Das ist eine ausgesprochen gereizte und gespannte Atmosphäre. Das entspricht diesem Bildmotiv der himmlischen Ratsversammlung nicht. Dieses Motiv himmlische Ratsversammlung kommt im Alten Testament an mehreren Stellen vor. Da wird aber immer die Harmonie betont. Die Cheruben singen heilig, heilig, heilig ist der Herr. Die ganze Erde ist voll von seiner Herrlichkeit. Und ähnliche Dinge. So geht es in der himmlischen Ratsversammlung zu. Aber hier ist offensichtlich eine Störung. Die Beziehung zwischen Jahwe und dem Satan ist schwer belastet, um nicht zu sagen gestört.

11:06
Und der Satan hat auch eine ganz andere Auffassung von der Frömmigkeit des Hiyots als Jahwe. Und er ist sich dieser Auffassung auch sehr gewiss. Was gilt's? Also keine Frage. Hier findet eine Distanzierung eines Ratsmitglieds vom Herrn der Ratsversammlung statt. Und diese Störung der innerhimmlischen Harmonie wiegt theologisch sehr schwer. Andererseits muss man sagen, unbeschadet, dass die Opponentenrolle des Satans so stark herausgestrichen wird, betont der Autor der Hiyot-Novelle glasklar, dass Jahwe der einzige Souverän ist.

12:03
Jahwe hat alle Entscheidungsvollmacht in seiner Hand. Jahwe führt das Gespräch, er beginnt das Gespräch, er steuert das Gespräch und er hat immer das entscheidende Schlusswort. Und Jahwe, also der einzige Souverän, und Satan ist eben einer der Mitglieder der Hofversammlung, allerdings ein sehr widerspenstiger. Jahwe isst sich auch im Klaren darüber, dass er alle Verantwortung hat für die Leiden des Hiyot, er allein. Er sagt nämlich in der zweiten Himmelszene, du hast mich ohne Grund aufgestachelt, Hiyot zu verderben. Also wer hat Hiyot verdorben? Jahwe, Gott. Und auch der Satan isst sich dessen im Klaren, dass alle Verantwortung bei Gott bleibt.

13:02
Er kann ja nur das tun, was Gott ihm erlaubt und Gott setzt ihm auch die Grenzen, die er Gott für richtig hält. Und deswegen sagt der Satan in seiner Rede zu Gott, strecke doch nur einmal deine Hand aus. Also es ist die Hand Jahwes. Das bedeutet, wir haben ein klares Ergebnis. Die literarische Gestaltung der Satansrolle hat zwei Akzente, die beide stark betont werden. Einmal die Opponentenrolle des Satans als Repräsentant der Anklage und des Misstrauens. Aber auf der anderen Seite die alleinige Souveränität Jahwes. Und jetzt, wenn wir weiterkommen wollen, wenn wir fragen, was will der Autor mit dieser doppelten Akzentsetzung erreichen?

14:05
Welche Botschaft hat er? Müssen wir über den Text hinausgehen und historisch fragen, welche Situation war damals, auf die diese Hiob-Novelle reagiert? Und deswegen jetzt ein zweiter Abschnitt. Die Entstehung der Satansvorstellung im damaligen Israel oder man könnte auch sagen im frühen Judentum. Man unterscheidet in der Bibelwissenschaft zu Recht sehr stark zwischen der Zeit in Israel vor dem Exil und der Zeit nach dem Exil. Mit Exil ist das babylonische Exil gemeint. Die Babylonier haben 581 Jerusalem erobert und völlig zerstört, Tempel zerstört, Königsballast zerstört, also alles aus. Und sie haben die Oberschicht nach Babylon deportiert.

15:04
Das ist der Beginn des babylonischen Exils. Das Exil dauert ungefähr 50 Jahre, also sagen wir mal von 580 bis 530. Um 530 kehren große Teile der Deportierten wieder zurück nach Jerusalem, bauen den Tempel wieder auf. Diese Phase des babylonischen Exils ist theologisch von größter Bedeutung. Man kann nach dem Exil, man nennt es dann die nach exilische Zeit, also ab 530, kann man davon sprechen, dass das Judentum entsteht. Vor dem Exil kann man noch nicht von Judentum sprechen. Es gibt vor dem Exil zum Beispiel keine Synagogen, ist vollkommen unbekannt. Aber nach dem Exil entstehen die ersten Synagogen.

16:00
Und das, was wir unter Judentum verstehen, ist ein Synagogales Judentum. Also die Zeit des Exils von 580 bis 530 wird von den Theologen und Priestern, die sind ja arbeitslos, ihr Tempel ist ja zerstört, aber sie nutzen diese 50 Jahre in Babylon, um theologisch neu nachzudenken, den Untergang Jerusalems auch theologisch zu verarbeiten. Das heißt, die israelitische Theologie vertieft sich im Exil enorm. Gut, in der vorexilischen Zeit Israels gab es zwei Erklärungsmodelle für ein unverstehbares Leid. Sagen wir mal, ein Leid, das man nur schlecht aus den Sünden der Leidenden erklären kann, also von den Betroffenen her. Es ist so ungerecht und so unverstehbar, dass man das nicht so billig erklären kann.

17:04
Und für dieses unverstehbare Leid hatte man vor dem Exil zwei Erklärungsmodelle. Das eine Erklärungsmodell ging so, man hat dieses Leid auf Gott selber zurückgeführt, auf Jahwe. Warum war das möglich? In der vorexilischen Zeit hatte Jahwe noch viele unheimliche Züge, willkürliche Züge. Das kann ich jetzt, das würde den Rahmen dieser Vorlesung sprengen, aber es gibt viele Stellen, die man jetzt behandeln könnte. Jahwe ist noch irgendwie unheimlich und er hat willkürliche Seiten. Und auf diese Seiten hat man dieses unverstehbare Leid zurückgeführt. Dann gab es noch ein anderes Erklärungsmodell, das noch wichtiger war. Das unverstehbare Leid hat man auf die Sünden der Vorfahren zurückgeführt, der Väter und der Mütter.

18:03
Der Generationenzusammenhang wurde kollektiv gesehen. Das heißt ja auch in Exodus 20, Vers 5 im Rahmen der Zehn Gebote, Gott sucht die Sünden der Väter heim bis ins dritte und vierte Glied, also bis in die dritte und vierte Generation. Mit dieser Stelle, die voexilisch ist, wird ausgedrückt, dass man den Verantwortungszusammenhang noch ganz kollektiv gesehen hat, von einer Generation zur anderen. Aber diese beiden Erklärungsmodelle stehen nach dem Exil nicht mehr zur Verfügung. Das erste Erklärungsmodell, die willkürlichen und unheimlichen Seiten Jahwes, die gibt es nicht mehr nach dem Exil. Denn im Exil wird Jahwe immer klarer als der treue Bundesgott.

19:01
Er ist der Gott des Bundes, der zu seinen Zusagen treu steht. Also das Gottesverständnis wird im Exil geläutert. Die unheimlichen und die willkürlichen Züge Jahwes treten zurück. In diesem Zusammenhang entsteht jetzt endgültig in Israel der Monotheismus, den es vor dem Exil in der Klarheit nicht gegeben hat. Und diese Entwicklung zum Monotheismus läutert das Gottesverständnis, Gott wird der zuverlässige, treue Bundesgott. Also damit fällt er als Erklärung weg. Und dieses Kollektivdenken, das es übrigens auf der ganzen Welt gab. Es gibt in der Antike bis zu Hesekiel, gibt es nirgendwo die klare Verantwortung des Individuums als unvertretbare Einzelpersönlichkeit.

20:02
Das gibt es bis dorthin nicht. Der Grundzusammenhang war sitenhaft, klanmäßig, also er war kollektiv. Aber Hesekiel, der seine Haupttätigkeit im Exil hat und der für die nachexilische Zeit von größter Bedeutung war. Denn Hesekiel hat angekündigt, dass die Deportierten wieder zurückkommen können nach Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen. Und das ist tatsächlich so gekommen, wie er Jahrzehnte vorher schon gesagt hat. Und das hat der Autorität des Hesekiel enorm nach oben geholfen. Und jetzt dieser Hesekiel ist tatsächlich der erste Mensch in der Religionsgeschichte, der das Kollektivdenken in der Schuld überwindet. Dazu gibt es drei große Texte im Hesekiel. Das wird Martin gleich vorlesen.

21:00
Ihr könnt aber zu Hause, les mal diese Texte mehrfach durch. Sie sind eine tiefe Zäsur in der Menschheitsgeschichte. Nämlich es ist Hesekiel 14, 14 bis 20. Dann das ganze Kapitel 18. Hesekiel 18, 1 bis 32. Martin wird nachher die ersten beiden Verse vorlesen und dann nochmal Hesekiel 33, 1 bis 20. Wenn ihr diese Texte lest, wird euch klar, es gibt jetzt kein Kollektivdenken mehr, sondern jeder Mensch ist nur verantwortlich für seine eigene Schuld. Er wird nicht für etwas zur Verantwortung gezogen, an dem andere Verantwortung haben. Der erste Text ist also Hesekiel 14, 14 bis 20. Das ist, wenn ihr den jetzt zum ersten Mal vielleicht im Leben hört, möchte ich euch nochmal sagen, das ist eine Zäsur in der Religionsgeschichte der Menschheit von allergrößter Bedeutung.

22:09
Hesekiel 14, 14 bis 20. Und wenn in seiner Mitte diese drei Männer wären, Noah, Daniel und Hiob, nur sie würden um ihrer Gerechtigkeit willen ihr Leben retten, spruch Gottes des Herrn. Oder wenn ich wilde Tiere gegen das Land loslasse, die es entvölkern, sodass es zur Wüste wird und angesichts der wilden Tiere niemand mehr hindurchzieht. Und wenn diese drei Männer in seiner Mitte wären, so wahr ich lebe, spruch Gottes des Herrn, weder Söhne noch Töchter würden sie retten. Nur sich selbst könnten sie retten, das Land aber würde zur Wüste werden. Oder wenn ich das Schwert über dieses Land bringe und sage, ein Schwert soll durch das Land fahren, ich will Mensch und Tier aus ihm ausmerzen.

23:10
Und wenn diese drei Männer in seiner Mitte wären, so wahr ich lebe, spruch Gottes des Herrn, weder Söhne noch Töchter könnten sie retten, sondern nur sich selbst könnten sie retten. Oder wenn ich die Pest in jedes Land schicke und meinen Zorn darüber ausschütte und Blut vergieße, um Mensch und Tier auszumerzen. Und wenn Noah, Daniel und Hiob in seiner Mitte wären, so wahr ich lebe, spruch Gottes des Herrn, weder Sohn noch Tochter könnten sie retten. Nur sie würden um ihrer Gerechtigkeit willen ihr Leben retten. Ihr habt jetzt den ältesten Text der Menschheit gehört, der die Verantwortung unvertretbar auf die Person selber konzentriert.

24:00
Die drei Männer Noah, Daniel und Hiob sind ja alles drei Nicht-Israeliten. Noah ist ja ein Nicht-Israelit, Israel gab es ja noch gar nicht. Hiob ist auch ein Nicht-Israelit und Daniel ist nicht der biblische Daniel, sondern es gab einen sehr hoch angesehen kananeischen König Daniel, der als Inbegriff der Gerechtigkeit galt. Der ist hier gemeint. Also drei sehr hervorragende Persönlichkeiten. Und jetzt wird gesagt, wenn Noah heute leben würde, der könnte in die Arche nicht seine ganze Familie mitnehmen, alle Söhne und Töchter, denn er könnte sich nur selber retten. Also jetzt wäre in der Arche nur er drin. Man kann das so formulieren, das ist in der Bibel eine Kritik an der Bibel. Es gibt an vielen Stellen innerbiblische Bibelkritik, denn in diesem Text wird ausgeführt, die Sintflutgeschichte mit ihrem klaren Denken, dass Noah der Gerechte ist, der Gnade vor Gott gefunden hat, dass der seine ganze Sibbe und Schwiegersöhne alle gleich mit retten kann.

25:16
Das gilt jetzt nicht mehr. Diese Antwort des Hesekiel war deswegen damals im Exil von überragender Bedeutung, weil die jungen Leute, junge Erwachsene, die den Untergang Jerusalems an ihrem Leid miterlebt haben, also erst einmal Tausende von Toten, alle Gebäude kaputt, das eigene Haus kaputt, Tempel kaputt, Königsballast kaputt. Die haben also diese Kriegswirren, alles zerstört und dann noch die Verschleppung nach Babylonien, die haben das an ihrem Leib erlebt. Und da waren die sehr empört und wütend, weil damals wurde das so erklärt kollektiv, dass Jerusalem untergegangen ist.

26:08
Ja, das liegt an den Sünden mehrerer Generationen. Die Sünden haben sich immer mehr angehäuft und irgendwann ist das Fass übergelaufen und da haben die gesagt, ja, und uns hat es getroffen. Das finden wir sehr blöd und sehr ungerecht. Und damals bestand die große Gefahr, dass die junge Generation, die den Untergang selber miterlebt haben, erlitten haben und die Verschleppung erlitten haben, einen großen Glaubensabfall im großen Ausmaß. Da hätte die israelische Religion untergehen können, weil die jungen Leute gesagt haben, das stinkt uns, diese ungerechte Verteilung, dass wir Verantwortung, dass wir das ausbaden müssen, was andere mit eingebrockt haben. Und so beginnt auch Hesekiel 18, 1 bis 2. Da hören wir ein Zitat aus dieser jungen Generation und da ahnt man, was damals los war.

27:10
Das Wort Javis erging an mich. Wie kommt ihr dazu, auf dem Ackerboden Israels das Sprichwort zu gebrauchen? Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Das war damals eines der berühmten Zitate, die die junge Generation vorgebracht hat, voller Empörung und voller Wut. Die Väter haben saure Trauben gegessen und uns werden die Zähne stumpf. Das stinkt uns. Und in dieser Situation gibt Hesekiel diesen Protestierenden voll recht. Und er sagt, dieses Sprichwort soll es in Israel nicht mehr geben. Denn es stimmt nicht, dass die Väter saure Trauben essen und die Söhne müssen es ausbaden, sondern ab jetzt gilt die Unvertretbarkeit der Person.

28:10
Ihr seid nur für das verantwortlich, was ihr tut. Und ihr könnt damit weder eure Eltern retten noch eure Kinder. Und umgekehrt, es nützt nichts, wenn eure Kinder gerecht sind. Davon könnt ihr nicht leben. Es zählt nur eure eigene Gerechtigkeit. Damit war das andere Erklärungsmodell für unverstehbares Leid auch weg. Also in der nachexilischen Zeit, in der die Hiob-Novelle geschrieben worden ist. Das werde ich später erklären in der Entstehung des Hiob-Buchs. Das habe ich mir bewusst für den Schlussteil aufgehoben. Also in der nachexilischen Zeit konnte man unschuldiges, schwer erklärbares Leid nicht mehr Jahwe zuschieben, denn er ist der gnädige, treue Bundesgott.

29:04
Und man kann es auch nicht mehr den Vorfahren zuschieben, denn die Verantwortung ist ganz begrenzt. Unvertretbarkeit der Persönlichkeit wird hier zum ersten Mal ausgedrückt. In dieser Situation entsteht in der nachexilischen Zeit eine schwierige Lage, denn es gab ja weiterhin ungerechtes, unerklärbares, unschuldiges Leid für Völker, für Sippen. Es gab es weiterhin. Wie soll man es jetzt erklären, wo die zwei Erklärungsmodelle weg sind? In dieser Zeit, so frühe nachexilische Zeit, ab 530, entstehen in Israel einflussreiche Kreise, die sagen, es muss neben Jahwe noch eine andere destruktive, bösartige Macht geben und die ist dafür verantwortlich.

30:12
So könnten wir das weiterhin erklären. Wie kommt man gerade in der nachexilischen Zeit darauf? Einerseits sind die bisherigen Erklärungsmodelle weg, aber es kommt noch ein anderer Umstand dazu. Im Babylonischen Exil, am Ende der Babylonischen Exilzeit, erobern ja die Perser Babylon. Und jetzt ist dort das Persische Reich und in der persischen Religion, in der Zarathustra Religion, gibt es bereits eine Satansvorstellung. In der Zarathustra Religion ist es so, es gibt einen guten Gott, Ahura Mazda, und es gibt einen bösen Gott. Und der böse Gott ist annähernd gleich stark wie der gute Gott, so wie ja auch Licht und Finsternis ewig im Ringen sind, ungefähr gleich stark sind.

31:08
So hat man eben gesagt, es gibt einen Lichtgott und einen Finsternis-Gott. Und die kämpfen unheimlich lange durch die Geschichte und erst am Ende der Geschichte siegt endgültig der Lichtgott. Er schickt Mitras, so eine Art Messias-Figur, der ist ein gesegneter König und der wird dem Licht endgültig zum Sieg verhelfen. Es spricht alles dafür und nichts dagegen. Es wäre ein riesiger Zufall, dass diese Kreise in Israel durch die Begegnung mit der Zarathustra Religion angeregt, angestupft wurden, eben neben Jahwe mit einem bösartigen, destruktiven Gegengott zu rechnen. Und auf diese Situation reagiert die Hiob-Novelle.

32:03
Da wird sich viel klarer, wenn man diesen Hintergrund kennt. Der Autor der Hiob-Novelle greift diese Gedanken des Satans auf und gibt denen damit irgendwie teilweise recht. Denn er greift die Satansrolle auf und macht sie relativ stark. Er betont diese Opponentenrolle des Satans. Aber unbeschadet dessen seiner Betonung der Satansrolle ist in der Hiob-Novelle glasklar, der Satan ist kein Gegengott. Er kann Jahwe überhaupt nicht gefährlich werden. Er ist nicht gleich stark. Es ist kein Dualismus zwischen Licht und Finsternis, die dann ewig miteinander ringen. Diesen Dualismus lehnt die Hiob-Novelle ab.

33:01
Ich will jetzt also noch mal kurz erklären, was Dualismus ist, weil das ist religionsgeschichtlich bis heute von größter Bedeutung. Dualistisch denken die Menschen, die sagen, es gibt einen guten Gott und es gibt einen Gegenspieler, den nennen wir Satan. Und das Entscheidende ist, der Satan, also hier der, ist unabhängig von Jahwe. Er hat eine eigene Entscheidungsvollmacht. Er ist ein eigenes Machtzentrum. Selbst in manchen dualistischen Spielarten ist der Satan nicht ganz so stark wie Jahwe, aber entscheidend für den Dualismus ist, er ist ein eigenes Machtzentrum. Er hat eine eigene Entscheidungsvollmacht und er ist insofern unabhängig von Jahwe. Das schließt die Hiob-Novelle völlig aus. Die Rolle Jahwes ist innerhalb vom Machtbereich Jahwes.

34:03
Das Böse kann nur das tun, was Jahwe ihm gestattet und Jahwe setzt ihm die Grenzen. Also es ist kein Dualismus. Das Böse ist kein eigenes Machtzentrum, sondern kann nur tun, was Jahwe ihm genehmigt. Und diese einheitliche Sicht der Wirklichkeit nennt man Monismus. Bitte nicht verwechseln mit Monotheismus. Das hängt zwar irgendwie ein bisschen zusammen, aber es ist noch mal was ganz Eigenes. Monistisch denken diejenigen, die sagen, es gibt einen Schöpfer Himmels und der Erden, einen Schöpfer und Herr des Sichtbaren und des Unsichtbaren und daneben gibt es keinen anderen Herrn. Das ist die monistische einheitliche Sicht der Wirklichkeit. Und die dualistische sagt, nein, es gibt zwei Machtzentren, ein gutes und ein böses.

35:06
Also der Autor der Hiob-Novelle gibt ganz klar Antwort. Ein Dualismus kommt nicht in Frage, der Böse ist innerhalb des einzigen Machtbereiches, den es gibt. Und das ist der Machtbereich Jahwes. Diese Ablehnung des Dualismus erklärt auch hintergründig, warum Hiob in der Hiob-Novelle nicht klagt, warum er Gott nicht Vorwürfe macht, warum er ihm nicht die Warum-Frage um die Ohren haut, sondern er bekennt sich allein zu Jahwe, Satan kommt ja in seinen Worten gar nicht vor. Er kann nicht die Warum-Frage stellen, er kann gegenüber Jahwe nicht klagen und ihm Vorwürfe machen. Das würde ja dem Satan in gewisser Weise recht geben.

36:04
Vielleicht wäre der Satan dann sogar noch am Schluss der Sieger von dieser ganzen Wette. Und das will der Autor der Hiob-Novelle ganz strikt vermeiden. Deswegen lässt er Hiob kein einziges Klagewort sprechen. Das würde die Ablehnung des Dualismus verwässern. Dieser Autor der Hiob-Novelle kennt mit Sicherheit schon Klagepsalmen. Der Psalter war damals so im Entstehen, aber es waren ganz früh Klagepsalmen da. Es gibt ja im Psalter mehr Klagepsalmen als Lobpsalmen und das ist auch ganz richtig so, wenn man es versteht. Also er kennt sicher schon die Klagepsalmen und der Autor wird bestimmt das Recht der Klagepsalmen nicht bestritten haben. Aber für Hiob in der Situation, in der er steht, bleibt kein Raum für Klage.

37:02
Denn der Dualismus muss ganz klar in jeder Spielart abgewiesen werden. Das ist die Botschaft, die der Autor der Hiob-Novelle an seine Zeitgenossen ausrichtet. Jetzt will ich in einem dritten Abschnitt mal das etwas weiter verfolgen. Wie ging es weiter in Israel? Ich überschreibe jetzt diesen dritten Abschnitt. Der Kampf des phariseisch-rabinischen Judentums gegen eine dualistische Satansvorstellung. Der Kampf des phariseisch-rabinischen Judentums gegen eine dualistische Satansvorstellung. In der damaligen Zeit entstanden auch einflussreiche Kreise, die sich gegen die Hiob-Novelle für eine dualistische Sicht des Satans ausgesprochen haben.

38:00
Diese Kreise nennt man die apokalyptischen Kreise. Da gehören auch zum Beispiel die Kumran-Eseener dazu, aber später auch die Elot-Zeloten, die Widerstandskämpfer gegen die Römer. Die hatten alle ein apokalyptisches Weltbild. Und in diesem apokalyptischen Weltbild hat Satan eine dualistische Funktion. Er ist ein Gegengott. Zurzeit Jesu war die Satansvorstellung schon sehr weit verbreitet im Judentum, aber nicht alle Juden teilten diese Vorstellung. Die Satuzeer, also die Priester, die Priesteraristokratie, also die leitenden Leute am Jerusalemer Tempel, die hielten gar nichts von Satansvorstellung. Das war für die eine völlig falsche Vorstellung. Sowas gibt es nicht. Warum? Diese Satuzeer haben als heilige Schrift nur die Thora anerkannt. Nicht so spätere Schriften wie Hiob oder Saharia oder erste Chronika.

39:06
Das war für die Satuzeer, für die Priester keine heilige Schrift. Und in der Thora kommt das Wort Satan nirgendwo vor. Also um der Thora-Willen haben sie diese Vorstellung abgelehnt. Aber die Pharisäer, die hatten als heilige Schrift ziemlich genau die gleiche heilige Schrift wie wir, wo also auch die Propheten Saharia, Hiob und erste Chronika heilige Schrift waren. Und die in der pharisäischen Literatur hat sich die Satansrolle durchgehalten, aber nicht dualistisch, sondern so wie in der Hiob-Novelle. Jetzt geschichtlich gesehen kommt es nach Jesus und nach Paulus in den Jahren 67 bis 72 zu einem großen Aufstand gegen die Römer. Die Römer schlagen diesen Aufstand total nieder, alles zerstört in Jerusalem.

40:05
Juden dürfen dann gar nicht mehr in Jerusalem wohnen. Im Jahr 70 wird der Tempel zerstört, 70 nach Christus wird der Tempel zerstört. Die Satuzeer werden jetzt endgültig arbeitslos. Sie verlaufen sich irgendwo in der Geschichte. Man kann das kaum nach irgendwie im Dunkeln verlaufen. Ja, und nach 70 übernehmen jetzt die Pharisäer und die Rabbinen die Schrift, die Lehrer der Heiligen Schrift. Die hängen sehr eng zusammen. Pharisäische Frömmigkeit und die Frömmigkeit der Schriftgelehrten, der Lehrer der Heiligen Schrift, die kooperieren sehr eng. Und denen wird jetzt klar, wer hat eigentlich den Aufstand gegen die Römer angezettelt. Und wenn man das mal kritisch überprüft, nur die apokalyptischen Gruppen. Die apokalyptischen Gruppen haben den Aufstand angezettelt und haben ganz Israel in Leid und Vernichtung hineingerissen.

41:07
Warum haben gerade die apokalyptischen Gruppen den Aufstand angezettelt? Aus folgendem Grund. Sie haben ein dualistisches Weltbild, hartes Schwarz-Weiß-Denken, guter Gott und gegen Gott. Und wenn man den Satan sehr stark macht und in der apokalyptischen Literatur, die sehr rege tätig war. Es gab viele Apokalypsen. Also gerade die apokalyptischen Kreise waren literarisch sehr rege tätig und hatten einen großen Einfluss. Und die haben die Satansrolle noch sehr ausgebaut im dualistischen Sinn. Und wenn man den Satan sehr ernst nimmt, die Rolle sehr wichtig nimmt, dann rechnet man auch mit vielen Satansdienern auf der Erde. Und die Römer, das waren für die apokalyptischen Kreise Satansdiener.

42:04
Das waren Gottlose und Gottlose sind für apokalyptische Gruppen Satansdiener. Und gegenüber Satansdienern kann man keine Kompromisse machen. Apokalyptische Gruppen sind kompromissunfähig. Sie interessieren sich auch gar nicht für das politisch Machbare, über das man nur durch Kompromisse kommt. Nein, wir hatten ein ganz klares, starkes Feindbild. Die Römer sind Satansdiener. Und gegenüber den Satansdienern brauchst du keine Nächstenliebe üben. Das Gebot der Nächstenliebe gilt nicht gegenüber Satansdienern. Die muss man vernichten, weil Gott selber ja ihre Vernichtung beschlossen hat. Und jetzt haben die also den Aufstand der Endzeit angezettelt. Natürlich in der großen Hoffnung, wir werden die Römer besiegen und dann bricht endlich die Endzeit an.

43:06
Aber sie haben sich fürchterlich geirrt. Israel war völlig am Boden vernichtet. Deswegen haben das Pharisäisch-Rabinische Judentum einen neuen Hohen Rat aufgebaut. Es gab ja einen Hohen Rat bis zur Tempelzerstörung. Da hatten die Satuzäer die Mehrheit und die Pharisäer und Rabbinen hatten nur eine Minderheitenfunktion. Jetzt aber tritt ein neuer Hohen Rat auf, der ganz von den Pharisäern und Rabbinen geprägt war. Er tagte nicht mehr in Jerusalem, das war streng verboten. Er tagte jetzt in Galiläa, später in Tiberias. Und deswegen wurde Tiberias am Segen Nezareth eine der fünf heiligen Städte im Judentum. Aber in der Zeit, wo also jetzt die Pharisäer und die Rabbinen die Leitung im Judentum übernommen haben, bis heute übrigens,

44:06
haben sie gesagt, wir müssen die heilige Schrift von uns Juden kanonisieren. Die war nämlich noch gar nicht kanonisiert. Es gab zwar die Thora, die war endgültig fertiggestellt, so ab 400. Dann gab es die prophetischen Schriften, die ja für die Pharisäer und die Rabbinen auch heilige Schrift sind. Die sind so fertiggestellt, kann man sagen, um 200 herum. Dann gab es aber noch einen dritten Teil, die Ketobinen. Das waren die übrigen Schriften, also Psalmen, Hiob, Esther und so weiter. Hohes Lied, die übrigen Schriften. Und die waren aber noch nicht scharf begrenzt. Also es gab bis dorthin keine Grenzlinie, was gehört noch zur Heiligen Schrift. Also dass die Thora heilige Schrift ist, das war so nenn klar.

45:01
Dass die Propheten heilige Schrift sind, war für die Pharisäer und Rabbinen so nenn klar. Dass Hiob heilige Schrift ist und dann Psalmen, auch so nenn klar. Aber es gab zum Beispiel eine griechische Übersetzung der Heiligen Schrift von Juden in Alexandrien. Da wurden noch mehr Schriften, Maccabea, Jesu Sirach und Weisheit Salomon und andere Schriften aufgenommen. Also das heißt, da war die Grenzziehung unklar. Es gab auch viele apokalyptische Schriften, die sehr beliebt waren im Judentum und als heilige Schrift gehandelt wurden. Und jetzt aber der neue Hohe Rate aus pharisäeren Rabbinenbestand hat das Alte Testament so kanonisiert, dass einmal die griechischen Schriften in der Septuaginta, die zusätzlich waren, alle rausgeflogen sind. Und alle apokalyptischen Schriften sind rausgeflogen.

46:00
Es gab keine mehr. Es gibt das Buch Daniel, aber das hat eine andere Hintergrund. Es ist die einzige apokalyptische Schrift, die war aber schon, war schon sozusagen kanonisiert. Aber keine neuen wurden kanonisiert. Und das bedeutete, sie durften, diese apokalyptischen Schriften, durften in der Synagoge öffentlich nicht mehr vorgelesen werden. Und durch diese Entscheidung, Kanonisierung der jüdischen Bibel und nur die kanonisierten Schriften dürfen in der Synagoge verwendet werden, hat wirklich zu einem starken Niedergang dieser ganzen apokalyptischen Denkweise geführt. Das Judentum hat in dieser Zeit die dualistische Gefahr der apokalyptischen Gruppen klar erkannt und sie aus dem Judentum ausgestoßen. Es wurde in dieser Zeit, so um 100 n. Chr., auch eine Verfluchung in ein berühmtes Gebet aufgenommen, nämlich das 18 Bitten Gebet.

47:07
Das 18 Bitten Gebet ist in gewisser Hinsicht das wichtigste Gebet im Judentum. Es wird in jedem Synagogen Gottesdienst gebetet. Und da wurde jetzt neu eine Verfluchung der Ketzer aufgenommen. Und gemeint waren diese apokalyptischen Gruppen. Und die konnten dadurch auch nicht mehr in die Synagoge kommen, denn wenn im Gebet sie verflucht werden und wenn der eine sagt, du, da bist du damit meint mit der Verfluchung, in so ein Gottesdienst gehst du nicht mehr rein. Das heißt, mit der Aufnahme der Verfluchung der Ketzer waren die Apokalyptiker auch aus dem Gottesdienst ausgeschlossen. Früher hat man in der christlichen Theologie gemeint, die Verfluchung der Ketzer im 18 Bitten Gebet würde den Juden christlichen Gemeinden gelten, die in der Zeit auch entstanden sind.

48:04
Aber das ist so nicht richtig. Sondern die Verfluchung der Ketzer galt den apokalyptischen jüdischen Gruppen, war also ein innerjüdischer Ausschluss. Es sei denn, dass die Juden christlichen Gruppen auch dualistisch dachten, apokalyptisch dachten, dann betrafe sie auch. Aber nur sozusagen in zweiter Linie. Damit hat das Judentum sich bis heute zu der monistischen Sicht, der einheitlichen Sicht der Wirklichkeit bekannt. Und jetzt können wir ahnen, welche Bedeutung die Hiops Novelle hat. Der Autor der Hiops Novelle hat in seiner Zeit schon ganz klar sichtig die Gefahr des Dualismus gesehen und ganz eindeutig abgewiesen. Und damit hat die Hiops Novelle dem frühen Judentum den richtigen Weg gewiesen, der erst zu 100 nach Christus dann sich wirklich durchgesetzt hat.

49:10
Auch vor allem dank der Hiops Novelle.

Alles anzeigen
Ausblenden

Die Rolle des Satans in der Hiobnovelle und im frühen Judentum – Hiob Vorlesung Teil 2 | 10.9.1

Worthaus Pop-Up – Tübingen: 29. November 2020 von Prof. Dr. Siegfried Zimmer

Es ist die sicherlich einfachste Erklärung auf die große Frage: Wenn Gott uns liebt, warum gibt es dann Leid? – Warum? Na, weil der Satan da noch mitzureden hat. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel, er scheint das Dilemma der Frage nach dem Leid schnell zu lösen. Doch so einfach ist es natürlich nicht. Siegfried Zimmer dröselt anhand der Hiob-Geschichte diese große Frage auf. Und dafür muss man wissen, welche Rolle der Satan zur Zeit Hiobs – im frühen Judentum also – spielte. Und wie sich die jüdische Vorstellung vom allmächtigen Gott und der Ursache von Leid in einem einzigen Jahrhundert entscheidend verändert. In dem nämlich, als das jüdischen Volk zum ersten Mal in unvorstellbare Not geriet, als es kurz vor dem Untergang stand. In diesen Jahrzehnten des Exils in Babylon wandelte sich die Vorstellung der Gläubigen von ihrem Gott enorm. Und diese Wandlung hat ganz viel damit zu tun, wie wir heute von Gott denken. Und wie wir mit der Frage nach Ursache und Schuld umgehen, wenn wir selbst einmal unvorstellbar leiden müssen.

Dieser Vortrag gehört zu der 10-teilige Hiob-Vorlesung von Prof. Dr. Siegfried Zimmer, die durch die Lesung des gesamten Hiobbuchs als Hiobnovelle (11.5.1) und Hiobdichtung (11.5.2) ergänzt wird.