Video
Audio Als MP3 herunterladen
Text Als PDF herunterladen

00:00
Etische Normen in der Bibel und Übertragung auf heute, naja, das kann hier und da für Verunsicherung, für Verstörung sorgen. Wir befinden uns in einer manchmal schwierigen Gesprächslage und hier kann man im Grunde zwei Probleme identifizieren. Das eine wäre religiöse Normen, säkulare Gesellschaft, passt das überhaupt zusammen? Es gibt Menschen, die sagen würden, wir leben in einer säkularen Gesellschaft, wir leben in der modernen und da ist Religion Privatvergnügen. Da soll man für sich persönlich meinetwegen tun und lassen, was man will, aber man soll bitteschön alle anderen Menschen damit in Frieden lassen.

01:02
Religiöse Normen haben in einer säkularen Gesellschaft nichts zu suchen. Wir wollen davon nichts hören. Das Thema hat eine Geschichte. Es gibt Christen, sicher auch andere Religionsangehörige, die das kennen, diesen Vorwurf, die darunter leiden, die sich bedrückt fühlen, die manchmal das Gefühl haben, sie werden ausgegrenzt, sie werden verfolgt, sagen einige sogar, sie werden nicht mehr ernst genommen. Manche verinnerlichen das und schämen sich für ihren Glauben. Es gibt mehr gläubige Menschen, die sich für ihren Glauben schämen, als man denkt, weil sie so diese Erwartung von außen irgendwo verinnerlichen. Das wird ja gar nicht ernst genommen als Gläubiger. Es gibt andere, die werden da aggressiv und sagen, diese Christophobie, diese antichristliche

02:03
Grundhaltung in unserer Gesellschaft wird immer schlimmer. Wir müssen Gott zurückbringen in die Gesellschaft, in die Politik. Wir müssen den Kulturkampf aufnehmen. Wir dürfen uns das nicht mehr gefallen lassen. Es gibt Länder, da ist das eher so eine verzweifelte Wut, weil die umfragen den Christen, die das wollen, nicht viel Mut machen, dass das klappt. Aber es gibt durchaus Länder in der Gegenwart, christliche, aber natürlich auch anders religiös geprägte Länder, wo das sehr erfolgreiche Wellen sind, wo Menschen sagen, wir holen uns unser Land zurück. Wir lassen uns das nicht gefallen, dass wir von liberalen Säkularisten wie Hinterwäldler behandelt werden. Wir wollen, dass unsere Normen und Werte diese Gesellschaft wieder bestimmen, ihr Richtung geben. Warum? Weil es die Besten sind. Und darum wollen wir für unsere Glaubenswerte einstellen. Das ist oft so ein Konflikt, wo die Streithähne aufeinander losgehen und ungebremst im Grunde

03:05
sich wechselseitig in Feindbilder ergehen. Und klar, das gibt es auf der anderen Seite auch. Was denkt denn so ein säkularer, liberaler, nicht religiöser Mensch? Er sagt, ihr Lieben, ihr hattet eure Zeit. Und die war lang, die war sehr lang. So, ihr wart mal eine merkwürdige Sekte im Römischen Reich und dann irgendwann, es haben sicher auch Fehler passiert bei den Heiden und so, und irgendwann aber wurdet ihr geduldet. Wie lange habt ihr gebraucht, von Verfolgten zu verfolgern zu werden? Ach, war alles im vierten Jahrhundert, aha, okay. Und wie war eure religiöse Praxis im Vergleich mit der der Römer? Naja, die Römer konnten viel Religion leben lassen.

04:01
Die konnten vieles akzeptieren, das Christentum am wenigsten, weil es mit dem Kaiserkult am stärksten kollidierte. Aber die Römer hatten schon so etwas, was man Toleranz nennen konnte. Was war denn nach der konstantinischen Wende? Was war denn in dem großen Zeitraum, dem wir heute das Mittelalter nennen? Das war eine Welt, in der es außer Christen nichts geben durfte, außer vielleicht Juden und die in einer sehr, sehr prekären Stellung. Und ja, wann ging das zu Ende? Dieses sich überhaupt kleine Freiräume der Toleranz zurückzuholen. So, das beginnt irgendwann in der frühen Neuzeit und zieht sich bis ins zwanzigste Jahrhundert und ist längst nicht überall vorbei. Ihr hattet eure Zeit. Wir können eine lange Geschichte anschauen und wissen, was Christentum, wenn es Macht hat, tut. Auch das sollte man hören, so dieser Konflikt.

05:04
Und es sind sehr viele unaufgearbeitete Geschichten in der Vergangenheit. Es gibt solche säkulare Menschen, die da so sagen würden, ihr hattet eure Zeit und es war nicht gut. Naja, es leben Menschen in unserem Land. Die Christen waren und die in ihrer Schule sehr klar gesagt haben, wenn du dich konfirmieren lässt, machst du kein Abitur. Ende der Durchsage. Und wenn sie das dann eben so für sich entschieden haben, war es auch vorbei. Mit jeder höheren Bildung, mit jeder Form des Studiums. Das war real sozialistische Politik. Ist das aufgearbeitet? Werden die gehört? Sind das Menschen, deren Geschichten anerkannt sind? Oft nicht. Darum dieser Gegensatz religiöse Normen, säkulare Gesellschaft, da steckt viel Gift

06:01
drin, viel Unaufgearbeitetes. Und ich würde mal sehr schlicht sagen, religiöse und nicht religiöse Menschen sollten wieder reden lernen. Sollten überhaupt klar kommen, dass es das gibt, dass wir zumindest die Chance haben einer Gesellschaft, wo es religiöse Vorstellungen verschiedenster Art gibt, nicht religiöse, humanistische, säkulare, sozialistische, was auch immer, die eingeladen sind, miteinander in einer Gesellschaft friedlich zusammen zu leben. Aufeinander zu hören, miteinander Gesellschaft zu entwickeln. Alles andere wurde ausprobiert. Mit sehr fragwürdigen Ergebnissen. Darum biblische Normen für heute. Ich glaube, auf verschiedenen Ebenen braucht man hier noch so eine gewisse Arbeit. Das ist nicht sofort zum Aufschreien oder Wegrennen, sondern vielleicht überhaupt mal

07:03
zum Hinhören. Was gibt es denn da? Kann man das vielleicht auch anders wahrnehmen, als es in der realen Christentumsgeschichte gewesen ist? Ein zweiter Gegensatz, der es heute gibt, der mit dem Thema biblische Normen und Übertragung auf heute zu tun hat, ist schlicht der Gegensatz antike Kultur moderne Welt. Und da gibt es heute auch so ein Reflex, der sagt, du willst mir was aus der Antike anschleppen? Ja, bist du wahnsinnig. So, die haben doch in einer Märchenwelt gelebt. Das ist doch alles im Grunde völlig unbrauchbar. Das ist heute eine verbreitete Strömung, die sagt, das Neuste, die neueste Erkenntnis, der neueste Diskussionsstand, das Gegenwärtige ist das Beste und das Höchste und das, was gilt.

08:00
Und alles andere, was einem nicht gefällt, ist Mittelalter oder Steinzeit. Das ist für viele heute eine selbstverständliche Logik. Irgendetwas Altes kann ja nichts mehr sein. Man hat dann gern auch als Argument, because it's 2015 oder because it's 2016 oder because it's 2017 und so weiter. Das reicht für viele als Argument in wichtigen Fragen, dass sie sagen, ja, wir leben ja nicht mehr im Mittelalter. Naja, so gut ist das Argument nicht, sage ich mal. Aber man muss hier auch sehen, das ist eine typisch moderne Einstellung und sie ist in dieser Absolutheit im Grunde das Spiegelbild dessen, was es in der Antike gab. In der Antike gab es den Grundsatz, je älter etwas ist, umso zuverlässiger ist es. Die älteste Überlieferung ist die treueste und wahrste. Alles Neue ist eigentlich so eben von gestern nur, so, aber nicht das, was sich bewährt

09:00
hat. Wir wissen heute, sage ich mal, dass diese Regel absolut nicht so ideal ist. So, gerade Christen sollten das wissen, die waren ja mal eine ganz neue Religion, so und haben sich auch nicht entmutigen lassen und haben gesagt, ja, wir sind ein bisschen neu. Es kann etwas Neues geben, was besser ist. Ich denke, man könnte heute zu der Einsicht kommen, es gibt fatale Entwicklung. Nicht jede Weiterentwicklung ist eine Steigerung, ein Fortschritt, eine Höherentwicklung. Eigentlich hätte man das im 20. Jahrhundert sehr gut lernen können. In welchem Jahrhundert hätte man das besser lernen können als im 20. Jahrhundert, dass sehr viel Fortschrittsoptimismus und Kulturstolz nicht schützt vor dem Absturz in Barbereien und Grausamkeiten, wie sie die ganze Weltgeschichte nicht bietet. Es ist eine Art Lernresistenz, dass Menschen nach zwei Weltkriegen es doch wieder geschafft

10:08
haben zu sagen, der Fortschritt, das Neue, die Moderne, because it's 2017, das ist irgendwie auch widerlegt. So, vielleicht sind wir gerade wieder in einer Epoche leider, wo man ernsthaft lernt anzuerkennen, es gibt Rückschritte. Im politischen Bereich, im kulturellen, in verschiedenen Bereichen des Miteinanders. Darum, dieser Gegensatz Antike, Kultur, moderne Welt geht ja gar nicht. Auch hier würde ich empfehlen, erst mal zu hören und erst mal lernbereit sein. Es gibt viel Neues, was keiner braucht und wirklich Bewährtes, Altes und natürlich Altes, das überholt ist und ganz neue Dinge, die besser sind.

11:00
Und um rauszukriegen, was zu wem gehört, einfach mal probieren, einfach mal hinhören, einfach mal hinschauen. Darum nun der Versuch, an einem Beispiel das mal durchzuspielen, biblische Normen, biblische Ethik, heutige Fragen, heute Herausforderungen, wie kann man das aufeinander beziehen, welche Schwierigkeiten gibt es vielleicht, welche Lösungsmöglichkeiten. Ich möchte das an einem konkreten Text mal aufziehen, einem Text von Paulus aus dem Ersten Korintherbrief, Kapitel 6. Das ist ein Text, der ein Thema behandelt, wo keiner sagen würde heute, oh, was für ein heißes Thema. Man könnte vielleicht sogar sagen, was das denn für ein langweiliges Thema. Darum ist es ein Beispieltext. Ein Beispieltext, um grundsätzlich mal nachzudenken, so über diese Vermittlung, um grundsätzlich darüber etwas zu lernen, wie hermeneutik funktioniert, Textauslegung, Normgewinnung, Ausquellen für

12:04
ethische Herausforderungen. Ich lese mal diesen Text aus dem Ersten Korintherbrief, Kapitel 6, ist die neue Luther Übersetzung. Paulus schreibt, wie kann jemand von euch wagen, wenn er einen Streit hat mit einem anderen, sein Recht zu suchen vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen? Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Wenn nun die Welt von euch gerichtet werden soll, seid ihr dann nicht gut genug, über so geringe Sachen zu richten? Wisst ihr nicht, dass wir über Engel richten werden? Wie viel mehr über Dinge des täglichen Lebens? Wenn ihr nun über diese Dinge richtet, nehmt ihr dann solche, die in der Gemeinde verachtet werden und setzt sie als Richter ein? Euch zur Schande, muss ich das sagen. Ist denn kein Weiser unter euch, auch nicht einer, der zwischen Bruder und Bruder richten könnte, sondern ein Bruder rechnet mit den anderen und das vor Ungläubigen?

13:05
Es ist schon schlimm genug, dass ihr miteinander rechtet. Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen? Sondern ihr tut Unrecht und übervorteilt und das unter Brüdern. Das ist dieser Text aus dem ersten Gründerbrief und wir machen jetzt mal Folgendes. Wir machen uns das kurz klar, was da stand. Mal ohne großen Apparat historische Forschung, Aufklärung über die Antike, ohne eine solche 3D-Brille, die versucht einen solchen Text mit seinem ganzen zeitgeschichtlichen Hintergrund und so weiter. Es gibt bei manchen Christen berechtigt die Angst, wenn Theologen sich anmaßen, dass der normale Christ völlig unfähig ist, die Bibel zu verstehen, ohne fünf Jahre Theologie-Studium. Was sind wir dann für eine Glaubensgemeinschaft?

14:01
Haben wir dann ein Papstum der Wissenschaftler? Oder ist es überhaupt nicht mehr möglich als Christ einfach so einen Text zu lesen und zu verstehen? Das muss doch gehen. Und darum versuchen wir einfach mal den Text zu verstehen ohne viel drum herum. Was passiert da? Worum geht es da? Die Grundthese scheint ja nun einfach zu sein. Paulus schreibt ja an eine Gemeinde und da ist Streit und offensichtlich sind da zwei Christen vor Gericht gezogen. Wenn man das so hört, wundert man sich erst mal und sagt, sein Rechtsuchend vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen. Ja, aber da hilft ja ein bisschen Bibelkunde auch. Wenn man die ganze Bibel kennt, merkt man Folgendes. Die Heiligen sind nicht irgendwelche Menschen auf Goldgrund mit Aura um dem Kopf herum, sondern Paulus bezeichnet die Christen als die Heiligen. Das ist eine Bezeichnung für sie. Sie sind heilig, ausgesondert für Gott, egal. Es sind Christen. Und die Ungerechten meint hier nicht, die Richter sind böse, verkommen, schlecht und

15:03
so. Hier geht es auch darum, Bibelkunde. Paulus kann von den Christen als den Gerechtfertigten reden, den Gerechten. Es geht schlicht darum, es geht vor Gericht bei Ungläubigen. Das ist gemeint. Dafür reicht Bibelkunde. Dann schreibt Paulus, dass die Heiligen die Welt richten werden. Er tut so, als wäre das völlig selbstverständlich. Wisst ihr nicht, dass ihr über Engel richten werdet? Auch ganz bibelkundige Menschen werden sich am Kopf kratzen kurz und überlegen, ja, ich habe es gerade nicht spontan so gewusst, dass ich das werde. Akzeptiere das sofort natürlich. Vielleicht spüre ich Fragen in mir aufsteigen. Egal. Nehmt das mal so zur Kenntnis, dass das hier so steht, dass wir die Welt richten sollen, sogar die unsichtbare Welt, die Engel. Egal für das Verständnis des weiteren Textes. Wie viel mehr über Dinge des täglichen Lebens.

16:00
So. Und was will Paulus? Dafür braucht man offenbar kein griechisch können, nur eine Übersetzung. Er will, dass man nicht zu Ungläubigen geht, sondern dass man intern in der Gemeinde das schlichtet, dass ein Bruder das macht. Ich kann sich hier kurz fragen, wird eine neue Übersetzung sagen, gibt es nicht ein Bruder oder eine Schwester unter euch? Denkt man kurz wieder nach und sagt, wollen wir jetzt nicht vertiefen, irgendwas ist da egal, Bruder halt, egal, ein Bruder. So und am Ende, sagt Paulus, am besten ist natürlich, wenn überhaupt kein Streit entsteht, sagt man, ja, verstehe ich, ist auch gut. Und schon ist man durch eigentlich und hat den Text im Groben verstanden. So, ist doch übertrieben, was manche Theologen sagen. Die übertreiben immer dieses ganze Getue mit der Wissenschaft und der Geschichte und der Exegese. Eigentlich mit bisschen Bibelkunde versteht man doch genug, um so ein Text auch zu begreifen. Und das ist ja eine klare Ansage hier.

17:02
Wenn Christen Konflikte haben, lösen sie die intern. Sie gehen nicht zu Ungläubigen, nicht zu Richtern, nicht nach draußen. Sie kriegen das intern hin, interne Schlichtung. Am besten nie Streit haben, ist immer super. Und wenn doch, so dann ist da eine Lösung. Gut. Und das ist ja auch erst mal ein schönes Ergebnis, dass man sagen kann, ist das hier von Paulus bezogen worden auf eine ganz bestimmte, nur korinthische Sache? Ist das hier etwas, wo Paulus sagt, das ist jetzt nur für dieses Jahr und oder nur für unsere Kultur oder nur für unsere Umgebung? Nein, die Begründung ist ja so universal, wie es geht. Die Begründung ist, ihr werdet die Welt richten, sogar die Engel. Also kriegt ihr das hin. Es ist offenbar überhaupt kein Zeichen in diesem Text, dass das eine zeitbedingte Anweisung ist. Im Gegenteil, es ist ja der Ewigkeitshorizont. Also ewig gültige Anweisung, klares Prinzip. Christen klären niemals Konflikte vor Ungläubigen.

18:01
So gehen wir einen Schritt weiter und sagen das doch schön, dass wir es so hingekriegt haben. Ich formuliere jetzt die Lösung mal immer so ein bisschen weiter. Wenn wir Konflikte haben, halten wir uns an die Bibel. Gerichte sind für uns tabu. Wir holen nicht die Polizei. Wir lassen da auch keinen reingucken bei uns. Wenn bei uns irgendwas passiert, ein Streit ist oder so, wenn da einer die Polizei rief, tete der Unrecht. Der wird ja sündigen gegen hier das klare Gebot des Apostels. Das gilt auch für christliche Einrichtung. Wenn in einer Gemeinde auf einer Freizeit irgendwas passiert oder so und christliche Mitarbeiter irgendwas machen mit christlichen Teilnehmern, wo man echt sagen kann, das ist falsch und ist ein Konflikt und so. Wir klären das intern mit christlichen Eltern, mit christlichen Lehrern, mit christlichen

19:03
Mitarbeitern. Das gehen wir nicht nach draußen an die Öffentlichkeit. Ist ja immer auch so ein bisschen der Ruf so von Gemeinde. Wir wollen ja da nicht komisch dastehen. Wir klären das intern. Wenn in einer christlichen Schule irgendwas passiert, sich da einer irgendwie vergeht, da irgendwie Übergriffigkeit stattfindet oder wenn Regeln gebrochen werden oder Dinge, die echt nicht gehen, ja muss man was machen. Aber unter uns. Wir gehen da nicht an die Öffentlichkeit. So und das gilt für christliche Gemeinden und für christliche Schulen, auch für christliche Chöre natürlich, für all diesen ganzen Bereich. Wir gehen nicht an die Öffentlichkeit. Das klären wir intern. Das bleibt unter uns. Das ist ein ganz klares Gebot von Paulus. Das ist biblisch. Und diejenigen, die sich an die Öffentlichkeit wenden, die da Polizei und Gerichte einschalten, die verstoßen gegen ein klares biblisches Prinzip.

20:00
Die sind ungehorsam. Die sind Nestbeschmutzer. Die tun etwas, was einfach nicht geht. Jetzt habe ich mal die vage Hoffnung, dass dem einen oder anderen ein bisschen mulmig wurde. Ich habe das mit Absicht so immer weiter. Es ist 2017. Das Internet ist vielleicht auch bald wieder vorbei, wer weiß. Aber wer das in ein paar Jahren hört und nochmal ein bisschen googelt, der weiß, das sind im Moment große Debatten in der Öffentlichkeit. Denn bis ins 21. Jahrhundert hinein haben Christen so gesprochen. Sie haben so gedacht. Sie haben ganz schlicht gesagt, wir klären das intern. Und es gab viele große öffentliche Diskussionen und Prozesse um Missbrauchsvorfälle.

21:01
Von Menschen, die übergriffig geworden sind in christlichen Einrichtungen, Schulen, Gemeinden, christlichen Freizeiten, christlichen Kören, wo Gemeindeleiter, Gemeindeführer gesagt haben, das klären wir intern. Strafe muss sein. Das ist schon eine Strafe, wenn ein christlicher Mitarbeiter gerügt wird von seinen Oberen, wenn er versetzt wird, wenn er im schlimmsten Fall seine Stelle verliert. Das ist ja eine schlimmere Strafe vielleicht sogar, als wenn ein öffentliches Gericht sagen würde, na ja, zwei Jahre auf Bewährung und danach bist du wieder in deinem Dienst. Manchmal strafen wir Christen doch intern sogar noch strenger. So hat man das gemacht. Und die Fälle sind weit gestreut. Es ist natürlich klar, diese Fälle betreffen nicht nur christliche Organisationen, auch

22:03
nicht nur katholische. Die öffentliche Diskussion hat besonders katholische Vorfälle und Einrichtungen immer besonders im Visier. Aber wer ein bisschen schaut, weiß, solche Dinge gab es überall. In katholischer Kirche, in evangelischer Kirche, auch in allen Frömmigkeitsgruppen, in Klostern, und reformorientierten sozialen Richtungen, in pietistischen Werken, in traditionellen und offenen, natürlich auch im nicht religiösen Bereich, Reformschulen, linksalternative Projekte, alternative Kinderläden und natürlich unzählige Sportvereine und vor allem Familien. Und im Grunde weiß es jeder, die meisten Missbrauchsfälle geschehen im familiären Raum, aber auch in allen möglichen anderen Bereichen und eben auch in christlichen Gruppen,

23:07
christlichen Gemeinden, christlichen Schulen. Und darüber ist in letzter Zeit viel geschrieben und geforscht und nachgedacht worden. Man kann ziemlich gut sagen, welche Gruppierungen besonders anfällig sind dafür. Es sind im Grunde zwei Merkmale, die ein System anfällig machen für so etwas. Das eine ist eine deutliche Unterscheidung von drinnen und draußen. Eine deutliche Grenze zur Umwelt, vielleicht eine gewisse Abschottung, vielleicht ein gewisses Elite-Bewusstsein, aber eine deutliche Unterscheidung von drinnen und draußen, was schlicht eine Hemmschwelle mit sich bringt, überhaupt nach draußen zu gehen. Und so eine Art hierarchische Schichtung, das kann sehr stark durchs Amt geklärt sein. Es kann aber auch schlicht an der charismatischen Führungskraft von Einzelpersonen liegen.

24:03
Aber da, wo man eine hierarchische Schichtung hat und eine strikte Trennung von innen und außen, ist eine besondere Anfälligkeit da für Übergriffe sexueller Art, auch geistlicher Art, auch seelischen Druck. Und es ist eine Neigung dazu da, das bei sich zu behalten, das irgendwie nicht öffentlich zu machen. Nun gibt es heute bei der großen, großen Mehrheit auch aller betroffenen Einrichtungen dazu eine ganz klare Einschätzung. Nämlich, dass dies ein schrecklicher Irrweg war. Das so zu machen, die Dinge intern zu halten, zu sagen, wir reden nicht darüber, es darf sich nicht rumsprechen, niemand darf das wissen. Wir kriegen das intern im Griff. Es gibt bis heute in verschiedenen Gruppierungen immer noch welche, die sagen, das wird aufgebauscht,

25:01
das ist Teil von, wir werden da verfolgt, wir werden nicht gemocht, wir werden von den Medien abgelehnt. Aber das ist in allen Kirchen, in allen Gruppierungen inzwischen eine kleine Minderheit, die das nicht wahrhaben will, dass es völlig falsch war, so damit umzugehen. Warum war es falsch? Warum glauben heute Christen, alternative, linkshumanistische Menschen, es war falsch, wie wir in unserer Geschichte mit solchem Scheitern umgegangen sind. Weil durch diese Praxis die Opfer ein zweites Mal zu Opfern gemacht worden sind. Weil bei den Opfern nicht nur dies war, dass sie geschädigt worden sind, dass sie etwas erlitten haben, dass ihnen etwas angetan wurde, sondern ihnen wurde danach zugemutet, du

26:01
darfst dich jetzt auf keinen Fall wehren wollen. Du darfst dich jetzt auf keinen Fall rächen, indem du das weitererzählst. Wenn du das weitererzählst, machst du dich schuldig. Das müssen wir intern klären. Und du, du musst das jetzt auch mittragen, dass wir das so intern kriegen. Darum erzähl das nicht rum. Behalte es bei dir. Schluck es irgendwie runter. Es reicht, wenn du es den Zuständigen sagst. Vielleicht deinen Eltern, die werden dann genauso unter Schweigepflicht gestellt. Und das hat den Opfern manchmal noch mehr angetan, als das, was vorgefallen ist. Weil sie mit ihrer Geschichte nirgendwo hin konnten. Weil sie mit ihrer Geschichte allein gelassen wurden. Weil sie in ihre Geschichte eingeschlossen wurden.

27:03
Sie bekamen mit ihrer Geschichte lebenslänglich und konnten es nicht sagen und durften es nicht sagen und konnten es nicht aufarbeiten und es war nicht klar, es blieb bei ihnen und sie konnten daran ersticken, dass es so war. Das zweite, was dies so falsch macht, ist, hier steht letztlich Täterschutz vor Opferschutz. Man könnte sagen, was heißt jetzt Täterschutz? Die werden ja belangt. Da gab es ja harte Gespräche. Da gab es ja Sanktionen. Wir wissen jetzt aus vielen Forschungen, was hilft denn wirklich zur Abschreckung? Was hilft zur Abschreckung für Menschen, die in irgendeiner Weise etwas tun wollen, sei es mit Besitz oder mit Gewalt oder sexueller Übergriffigkeit, dass sie im Zweifelsfall

28:01
davon abstehen, was hilft? Wir wissen, dass nicht das Maß der Strafe da etwas daran ändern kann. Du kannst die Strafen immer härter in einer Gesellschaft, in einem System machen. Wir wissen zum Beispiel Todesstrafe hat überhaupt keine Wirkung, wenn die Strafe immer mehr verschärft wird. Das, was hilft, was ein bisschen abschreckt, ist die Angst, entdeckt zu werden. Die Angst, entdeckt zu werden und das hat im kriminalistischen Bereich also eine funktionierende Polizei und eine hohe Aufklärungsquote, ist mit großem Abstand das beste Präventivmittel. Denn die, die damit rechnen müssen, enterwischt zu werden, die denken zwei oder drei Mal nach. Wenn du maximale Strafen im Raum hast, aber weißt, ich werde sowieso nicht erwischt, ist der Effekt der Strafandrohung völlig verpufft. Und in einer Gesellschaft, in einem System, in einem Kultur, wo Schweigen die oberste

29:05
Regel ist, was passiert denn da? Da hat man minimale Aufmerksamkeit, überhaupt darauf zu achten, läuft hier etwas schief? Die Dinge, über die man redet, für die wird man sensibilisiert. Da achtet man drauf. Da haben viele Menschen auf einmal offene Augen und gucken, läuft bei uns was falsch, läuft was aus dem Ruder? Da, wo alle schweigen, ist es die maximale Sicherheitsstufe für mögliche Täter. Weil sie wissen, da ist so eine Schweigespirale, da redet ja sowieso keiner drüber, da ist die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden minimal. Täterschutz vor Opferschutz. Und das wissen wir inzwischen auch. Es gab oft so die Überzeugung, das lassen wir mal nicht nach außen dringen, denn es könnte ja den Ruf unserer Schule, unserer Einrichtung, unserer Gemeinde beschädigen.

30:05
Das war ein fataler Irrtum. Das war eine furchtbare Selbsttäuschung. Denn Menschen wissen natürlich, Christen und Nicht-Christen, alle Menschen wissen natürlich, dass Menschen schreckliche Dinge tun können. Das weiß man. Und das kann Politiker passieren und Polizisten und Theologen und Psychologen und Arbeiter und Sporttrainer. Und wenn so etwas auffliegt und wenn so etwas aufgearbeitet wird, dann war es der Mensch. Das kriegt ein Großteil der Gesellschaft gut hin. Was aber passiert ist, ist, dass Vereine und Werke, aber auch Kirchen und Gemeinden sich in diese Sache so reingehängt haben, dass sie ihren Ruf dadurch massiv beschädigt haben, dass sie ihn schützen wollten. Dass sie die Selbsterhaltung ihrer Einrichtung gestellt haben über das Wohl der Betroffenen.

31:04
Und das ist etwas, was den Ruf solcher Werke teilweise irreparabel beschädigt. Dass man merkt, die vertuschen, die kehren unter dem Teppich, die haben Leichen im Keller, die tun alles Mögliche, dass so etwas nicht rauskommt. Und dieser Schuss ist brutalst nach hinten gegangen. Und von Ausnahmen abgesehen ist das ein sehr, sehr breiter Konsens. Es war völlig falsch, dass wir gesagt haben, wir halten das unter uns, wir gehen nicht nach draußen, nicht an die Öffentlichkeit, nicht zu anderen Gerichten, wir klären das intern. Und alle müssen mitmachen und die Opfer müssen schweigen und die Opfer müssen vergeben. Heute gibt es einen sehr breiten Konsens, wie wichtig es ist, dass ein solches System nicht bei sich bleibt, sondern gerade eben auch nach außen geht.

32:03
Warum? Wir steigern die Logik. Erstens ist es schlicht der Entlastung aller Beteiligten. Persönliche Beziehungen können außen vor bleiben. Es gibt so ein bisschen das harte Wort im Volksmund, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Da würden manche wieder sagen, das ist beleidigend und empörend, als könnte nicht ein Bischof klar beurteilen, was ein Priester falsch gemacht hat, als könnte nicht ein Schulaufsichtsrat klar beurteilen, dass der Reformpädagoge hier sich furchtbar verhalten hat. Das können wir doch. Ja, können wir das. Wir sind in solchen Systemen oft in einer Welt, wo sehr viel Befangenheit besteht, durch persönliche Beziehungen, durch Bekanntschaft, durch Seilschaft, durch Dinge, die man einander verdankt oder einander schuldet. Und es ist eine ungeheure Entlastung, wenn solche Dinge von außen angeguckt werden und

33:04
nicht von Menschen, die einander sowieso kennen und miteinander vertraut sind und durch ein vielfältiges Gewebe von Verpflichtungen irgendwo verknüpft sind. Das Zweite, wir gewinnen ein ganz anderes Maß an Rechtssicherheit, wenn ein ordentliches Verfahren durchgeführt wird. Es geht nicht um das Maß der Strafe. Es geht um ein ordentliches öffentliches Verfahren nach klaren Regeln, transparent, nachvollziehbar, so dass die Entscheidung des Rechtsstaats ordentlich zustande kommt und endlich auch akzeptiert wird, sodass Rechtssicherheit besteht. Alles andere führt in eine endlose Kette von Kulturkämpfen und Schlimmerem. Und drittens, mit so etwas nach außen zu gehen, dient vor allem der Befreiung der Opfer, die

34:03
ihre Geschichte erzählen dürfen. Die gehört werden, die überhaupt einen Prozess beginnen können, wo sie den Schmerz, das Trauma, die Erniedrigung, wo sie das zulassen können, dass es so ist und dass es gehört wird und dass sie Hilfe suchen, wo sie möchten und nicht mit Zwangsansprechpartnern, die ein System ihnen vorgibt. Dass sie sich auf einen Prozess einlassen können, wo nicht erst mal drüber steht, wir hören dich an, aber vergeben musst du auch. So, vergeben kann man niemals müssen. Vergeben hat im christlichen Glauben einen ungeheuer hohen Stellenwert. Aber vergeben können ist immer ein Wunder der Gnade, ein Wunder, das du nie erzwingen

35:02
kannst und das du nicht beschleunigen kannst. Und es kann ein Prozess sein, der lange braucht und der vielleicht nie einen Abschluss findet. Und wenn du dieses Wunder zur Pflicht erhebst, wir hören dich an, aber vergeben musst du auch, macht man einen Opfer zum zweiten Mal zum Opfer. Und darum sind die allermeisten heute der klaren Überzeugung, es war falsch, falsch und nochmal falsch zu sagen. Wir suchen Recht nicht bei irgendwelchen Leuten draußen, gar bei Ungläubigen. Wir klären das intern. Ja, wir haben mit einem Text angefangen, der ja harmlos klang, dass man sagte, ja nun, ach, Wothaus hatte schon mal heißere Themen im Angebot. Dann kamen wir auf einmal in etwas hinein, auf eine Übertragung, eine mögliche Übertragung des Textes heute.

36:00
Und jetzt stehen wir vielleicht vor einer Art Dilemma. Was ist schiefgelaufen? Was ist hier die Spannung? Was ist das Problem auf einmal, dass da ein antiker Text ist? Und moderner Umgang damit, wo man sich teilweise auf diesen Text, auf seine Logik berufen konnte und das so entgleist. Und es gibt Bibelliebhaber, bibelverbundene Christen, für die das eine tiefe Spannung ist, ein ungeheurer Schmerz, dass sie die Möglichkeit allein anschauen, wie kann das denn sein, dass ich mich ganz und gar an die Bibel halte, an etwas, was doch da klar steht, was doch auch jetzt erst mal gar keine anderen Verständnisweisen zulies und was mich so in die Irre führte. Kann das denn sein? Wie kann das denn sein, wenn ich hier so einen Fall irgendwie habe, dass die Bibel auf einmal

37:03
da auf der falschen Seite zu stehen kommt? Das geht doch nicht. Das ist doch mein Glaube, dass ich in der Bibel Orientierung suche. Ja, kann die Bibel mich irreführen? Kann das sein? Und es ist schwer damit umzugehen. Manche Christen versuchen dann, das irgendwie schlicht nicht wahrhaben zu wollen, zu verdrängen, diesen ganzen Text, diesen Zusammenhang nicht herzustellen, nicht dran denken. Denn wenn ich das so, wie ich es jetzt mal zugespitzt habe, bedenkt, könnte man in seinem Vertrauen auf die Bibel ja Schiffbruch erleiden. Das Vertrauen könnte Schaden nehmen. Und das ist für manche Christen eine große Angst. Wie kann ich damit umgehen? Kann die Bibel mich so irreführen? Man kann dann sagen, lass uns den Sex nochmal anschauen. Lass uns jetzt Exegese treiben.

38:03
Vielleicht war es falsch, dass wir so schnell waren mit unserer Exegese. Vielleicht können wir jetzt doch nochmal historisch und kritisch und irgendwie den Text bearbeiten. Ja, und es gibt Christen, die sagen, jawohl, das müssen wir jetzt vielleicht nochmal machen. Es muss doch möglich sein, den Text so zu verstehen, dass das nicht dabei rauskommt. Das muss doch möglich sein. Und das kann aber manchen Christen auch wieder Mühe machen, dass sie sagen, aber haben wir nicht vor einer Viertelstunde gesagt, es kann doch nicht hinauslaufen auf ein Papstum der Bibelwissenschaftler. Ich muss doch als einfacher Christ so einen Text verstehen können und vertrauen können. Und es ist bei manchen die Angst da, sobald Probleme aufkommen, kommt so ein Bibelwissenschaftler gesprungen und der nimmt dann die Bibel und dann legt er da so ein schwarzes Tuch drüber und dann macht er Abra Kadabra und macht da irgendeinen Zauber und dann nimmt er das Tuch

39:03
weg und das, was früher ganz klar A war, da hat er B draus gemacht. Und wenn man dann guckt und sagt, da stand doch A, wieso sagst du jetzt B? Und dann sagt er, ja, das ist die historisch-kritische Forschung, so ist das nun mal. Und das denken Christen auch, was ist das für ein Zauber? Was tust du da? Das geht nicht mit rechten Dingen zu, du machst da irgendwas, was da nicht steht und auf einmal willst du es rauskriegen und ich spüre doch, du willst auf einmal was anderes rauskriegen, als da eigentlich steht. Das ist der Punkt, wo man hermeneutisch braucht. Was machen wir da mit der Bibel? Wie gehen wir damit um? Ein paar Gedanken dazu. Was kann Hermeneutik, was können solche Klärungen von Bibelverständnis, von Bibelauslegung, was können die leisten? An dieser Stelle kurz, ganz kurz nur dies, das erste, was zu Hermeneutik gehört, eine wichtige Grundregel. Es gehört immer dazu, beim Verstehen der Bibel das eigene Vorverständnis auch mal

40:07
wahrzunehmen. Das ist der Anfang überhaupt von einem bewussten reflektierten Bibellesen. Ich schaue mir an, welche Voraussetzungen bringe ich mit, welches Vorverständnis, welche Brille habe ich auf? Und bei diesem Beispiel, was wir jetzt aufgeworfen haben, können wir das ja sehr schnell sagen. So, wir haben hier ein Vorverständnis, klar. Wir haben das Gefühl, dass eine bestimmte Auslegung dieses Textes an massive Grenzen gekommen ist. So, und wir haben ein Interesse, sogar nicht nur ein Vorverständnis, sondern ein Auslegungsinteresse. Lässt sich das schlichten? Lässt sich das beheben? Lässt sich der Text anders verstehen? Oder muss man zu diesem Text sagen, der führt in die Irre? So, und es ist aber ein Interesse da, jetzt irgendwie damit umzugehen.

41:01
So, dieses Vorverständnis ist da. Und es gibt richtige Familiengruppen von Vorverständnissen. So, es gibt die eine Familie, die hat so, und das ist eher die protestantische Tendenz, sage ich mal, der Protestantismus hat sich so in seiner Geschichte verstanden als moderne Version des Christentums. Neue aufgeklärte, zeitgemäße Version des Christentums. Es war immer so, das Vorverständnis da, Entwicklungsgeschichte, die Reformation war ja besser als das, was davor. Und darum geht es aufwärts. Der Pietismus sagte schon, Hoffnung besserer Zeiten, das Beste kommt noch. Und so manche Richtungen hatten so eine Richtung. Die Tendenz war immer, die Texte passend zu machen für die Gegenwart. Und je nach Frömmigkeitsgruppe haben manche auch gesagt, wir machen die Texte passend oder die kriegen so ein KW vom Erkan weg.

42:00
Und das ist ein hermeneutischer Streit. Manche Protestanten sagen, natürlich, es gibt Texte, vor denen muss man warnen. Und es gibt manche Christen, die sagen, ja, dann könnte ich nicht mehr glauben. Denn woher weiß ich das, was weg kann und was nicht? Das ist ein großer hermeneutischer Streit. Aber im Protestantismus ist diese Tendenz immer da oder oft da. Den Text zeitgemäß machen, entweder durch Interpretation oder durch auch aussortieren. Es gibt andere Deutungsfamilien, Vorverständnisfamilien. Andere große sagen, das Wichtigste beim Bibelverständnis ist die Kontinuität mit der Tradition. Und wenn etwas über Jahrhunderte und Jahrtausende so ausgelegt wurde, dann kann man sie vielleicht ein bisschen anders auslegen. Aber es kann nicht das Gegenteil herauskommen. Es gibt eine Entwicklung von Tradition. Es gibt keinen Bruch. Und da wird sehr stark versucht, die Texte so auszulegen, dass man sie im Sinne der Tradition

43:07
versteht, inklusive behutsamer Weiterentwicklung. Das mag ja sein. So aber ohne Bruch, ohne dass auf einmal etwas, was lange richtig war, völlig falsch ist. Das sind Vorverständnisse. Und es ist gut, das zu wissen. Es ist auch gut bei der Lektüre von Kommentaren oder beim Hören vom Vortrag, vielleicht etwas zu ahnen, welcher Vorverständnisfamilie gehört dieser Bibelausleger jetzt an? Das ist das eine Grundlegende, was zu Hermeneutik gehört. Ich möchte ansonsten drei Punkte nennen, die heute für die moderne Exegese wichtig sind. Das erste ist schlicht diese Bereitschaft zur Selbstkritik. Zur Selbstkritik, Wahrnehmung der eigenen Standortgebundenheit. Zweite ist Anwalt des Textes sein, auch in seiner Fremdheit.

44:04
Es kann nicht so sein, dass ich die Texte immer sofort glatt bügele und alles irgendwie hinstelle und klar kriege. Ich muss auch mal sagen können, das ist fremd. Hier in diesem Beispiel, das wisst ihr nicht, dass ihr über Engel richten werdet. Das ist ein bisschen fremd. So, und das muss man auch ein bisschen aushalten können, ein bisschen stehen lassen können. Dann kann man sich umschauen und findet, es gibt in der jüdischen Tradition Texte, wo auch eine Art Beteiligung am Weltgericht vorgesehen ist. Es gibt Andeutungen, dass es bestimmte Gruppe von Engeln gibt, die ihr Urteil finden werden. Aber so viel weiß man da nicht. Und offensichtlich bezieht sich Paulus hier auf etwas, was er vielleicht da gesagt hat. Er hat da lange gelebt oder was er weiß, was andere sagen. Er setzt es voraus. Wir wissen das heute nicht mehr. Das Neue Testament insgesamt verrät uns dazu nicht mehr viel.

45:02
Und das gibt es ganz oft. Es gehört zur Exegese an vielen Stellen einzuräumen. Da steht was. Was das genau bedeutet, haben wir keine Ahnung. Es ist uns nicht so klar. Wir haben da verschiedene Hypothesen entwickelt. Wenn man Zeit hat, nimmt man dann so sieben oder so. Und das Ergebnis ist, ist aber immer noch fremd. Aber man lässt es auch stehen und tut nicht so, dass man sagt, wisst ihr nicht, ja klar weiß ich das, über die Engel richten wir und so. So klar und logisch und nachvollziehbar und so und mit allem zusammenstimmt, ist das eben nicht sofort. Das Dritte ist eben dann auch Bewusstsein der eigenen Grenzen. Bei Bibelauslegungen, wo alles immer aufgeht, wo am Ende alles immer so in wunderschönster Harmonie sich spannungsfrei im Kopf darstellt, da sollte man lernen, für den Fall so eine Alarmglocke zu haben.

46:01
Da war irgendein Abracadabra zwischen, was nicht gut war. So es ist die Erfahrung bei gründlicher Textforschung, dass man auch Antworten findet und für jede Antwort kriegt man zwei Fragen. Wer das nicht will, ist für gründliche Bibellese noch nicht geeignet. Es ist so. Es entstehen immer neue Fragen und sich gründlich mit der Bibel zu beschäftigen, heißt nicht, die Fragen immer mehr zu reduzieren, sondern heißt bereit zu sein, Antworten zu bekommen für den Preis neuer Fragen. Und ohne ein solches Bewusstsein eigener Grenzen macht man sich was vor. Man macht sich die Texte passend. Man macht sie klein, man schleift sie ab, man zwingt sie hinein in das, was man irgendwie logisch hin kriegt, aber man wird den Texten so nicht gerecht. Exegese ist immer Anwaltschaft für die Texte in ihrer Fremdheit, im Bewusstsein, dass immer

47:05
neue antike Fragen entstehen. Jetzt gibt es bei solchen hermeneutischen Klärungen bei manchen Christen eine grundsätzliche Anfrage, dass sie sagen, ich höre das, ich will es nicht, weil das läuft doch dann doch wieder hinaus auf historische Forschung, historisch-kritische Exegese, lauter Dinge, die nun mal ganz schlicht aus der Neuzeit kommen, aus der Moderne kommen. Das ist so dieser ganze Wissenschaftsheib der Gegenwart. Und nach allem, was ich mitkriege als einfacher Leihenkrist, habe ich das Gefühl, je wissenschaftlicher die Theologen und je mehr da das alles nur so betont wird, desto zerrütteter der Glaube vieler Prediger, desto weniger blühendes Gemeindeleben, desto weniger Liebe zur Bibel.

48:04
Ich möchte bleiben bei den Reformatoren. Die haben die Bibel wieder groß gemacht. Die haben die Bibel wieder ins Zentrum gestellt. Und die stehen für ein Hören auf die Bibel, ohne dies ganze historisch oder gar kritisch oder so. Dazu auch nur dies. Das ist ein Missverständnis der Reformatoren. Wenn man sich anschaut, die frühen Reformatoren, die haben eine sehr klare Meinung gehabt zur Bibelauslegung der Zeit davor. Die haben gesagt, die Bibelauslegung der Scholastiker, der mittelalterlichen Kirche, die haben noch nicht Mittelalter gesagt, die haben von den Scholastikern gesprochen, oder der Väter, geht oft am Text völlig vorbei. Die Reformatoren haben sehr klare Urteile getroffen über die vorreformatorische Bibelauslegung

49:06
und haben behauptet, die geht an den Texten vorbei. Warum? Weil diese Auslegung nicht in der Lage war, sich auf die Urtexte einzustellen, auf die ursprüngliche Bedeutung dessen, was da in Hebräisch und Grieche stand. Die vorreformatorische Bibelauslegung war traditionsgeleitet, autoritätsgeleitet, erbauungsorientiert. Aber sie war nicht kritisch, nicht wissenschaftlich, nicht an den Quellen wirklich orientiert. Und historisch ist es nun mal ein unumstößliches Faktum, keine Reformation ohne Humanismus. Der Humanismus, der ab dem 15. Jahrhundert angefangen hat, die biblischen Texte überhaupt wieder in Griechisch und

50:01
Hebräisch vor Augen zu bekommen, der überhaupt wieder angefangen hat, Autoritätsurteile in Frage zu stellen, der überhaupt angefangen hat, kritisch zu diskutieren, ist das der Sinn von Texten, ist das der Sinn von biblischen Aussagen, ist die geschichtliche Voraussetzung der Bibelauslegung von Martin Luther und von allen weiteren Reformatoren, die alle gesagt haben, wir brauchen die alten Sprachen. Luther sagte, die alten Sprachen sind die Scheide, darin dies Schwert des Geistes steckt. Und die Reformation ist es, die den Fachberuf verwandelt hat. Das war vorher ein Lehrberuf. Man ging in die Lehre bei einem Dorfpriester. Das Theologiestudium war Sache einer ganz kleinen Minderheit, einer Elite in Klöster oder Kirchenhierarchie. Für den normalen Priester war es ein Lehrberuf. Darum konnte er auch kein Latein, geschweige denn Griechisch oder Hebräisch.

51:04
Die Wandlungsworte der Messe lauten ja auf Latein hoc est corpus meum, das ist mein Leib. Und das, was wir heute kennen, Hokus Pokus, kommt daher. Hokus Pokus wandeln, verzaubern. Hokus Pokus als Zauberformel. Und man so den Eindruck hatte, viele ungebildete Dorfpriester, denen wurde das vorgesprochen und sie haben es nachgesprochen, hoc est corpus meum, Hokus Pokus. Und man so, die konnten das gar nicht. Die haben das nicht verstanden, es war ein Lehrberuf. Die Informatoren haben gesagt, Diener des Wortes müssen die Bibel verstehen, müssen sie im Original kennen und verstehen. Und das ist ja der Anfang. Da sagt man nicht, okay, dann kaufe ich mir halt ein Lexikon und dann kriege ich das schon hin. Es gibt nicht einfach Lexika. So Lexika zu erstellen, ist eine ungeheure Arbeit.

52:02
Und wie erstellt man Lexika, dadurch, dass man das gesamte, gesamte schriftliche Überlieferung des Altertums zusammenstellt? Was griechische, hebräische Wörter bedeuten, das steht nicht irgendwo. Dass du Lexika hast, ist das Ergebnis einer langen, langen Geschichte historischer Forschung in dem Maße, wie wir die antike Literatur ganz verarbeiten und sichten. Und das bedeutet für das Hebräische natürlich auch die altorientalischen Vorläufer, das Arkadische und alles, was damit zusammenhängt. Ohne das Studium der gesamten antiken Überlieferung hast du auch kein Lexikon und verstehst du auch die Ursprache nicht. Darum ist die Reformation notwendig verbunden mit historischer Forschung. Man kann auch geschichtlicher Forschung sagen. Ohne diese Arbeit hast du keine Bibel, auf die du pochen kannst.

53:03
Man könnte zu den Reformatoren jetzt noch mehr sagen. Wir haben bei den Reformatoren auch das klare Bewusstsein, dass biblische Aussagen sich an bestimmte Adressaten wenden, die gerade nicht in unserer Situation sind. Und wir haben bei den Reformatoren auch das klare Bewusstsein, dass es kulturelle Veränderungen gibt, die man kennen und mit berücksichtigen muss, wenn man die Bibel auf heute überträgt. Und insofern ist ein historisches Verstehen der Bibel kein Bruch mit der Reformation, sondern eine notwendige Konsequenz. Diejenigen, die jetzt aber hier einen Gegensatz aufmachen zwischen historischer und moderner Bibelwissenschaft und Reformatoren, haben natürlich auch etwas Berechtigtes im Auge. Denn es gibt nichts Gutes, was man nicht durch Übertreibung versauen kann. Das ist überall so.

54:00
Und es gibt auch im historischen Bereich irgendwann ein Übertreibungsmodus. Wir können uns das bei Naturwissenschaften schön klarmachen. Es gibt naturwissenschaftliche Forschung und es gibt Naturalismus, also eine Art weltanschauliche Idee, dass alles, das Ganze erklärbar ist, erklärbar sein muss, aus rein naturalen Prinzipien und dass alles, was im Grunde für naturwissenschaftliche Methodik nicht greifbar ist, damit gleichzeitig auch nicht in Frage kommt, nicht existiert. So und Naturalismus ist etwas anderes als Naturwissenschaft. Zu sagen, ich habe noch nie eine Seele gemessen, auch kein Geist, auch kein Bewusstsein, heißt, das ist alles Käse. Das ist nicht mehr naturwissenschaftliche Forschung. Das nennen wir Naturalismus. Es gibt was Ähnliches mit historischer Forschung und Historismus. Man kann historische Forschung so prinzipialisieren, dass man sagt, historische Forschung heißt,

55:04
alles ist relativ, es gibt nichts Absolutes. Es gibt auch keine Mächte, die nicht im normalen geschichtlichen Zusammenhang in irgendeiner Weise verrechenbar sind. Es ist überhaupt nicht vorstellbar, dass irgendwelche Einbrüche oder Wirkungen oder sonst was, die wir nicht historisch nachweisen oder begreifen können, in der Geschichte angenommen werden können. Und es gab Phasen der Exegese und teilweise bis heute, wo man grundsätzlich sagt, na ja, Wunder gibt es nicht, also ist das alles erfunden. Geister und Dämonen und Auferstehung und all das kann ja gar nicht sein, habe ich noch nie gesehen in meinem Leben. Also sind das, das ist sofort Erfindung. So, solcher Historismus gibt es. Das ist aber was anderes als historische Forschung, wie sie eine notwendige Konsequenz ist der reformatorischen Konzentration auf die Bibel.

56:02
Das Verhältnis zwischen diesen beiden Dingen hätte einen eigenen Vortrag verdient. Wir machen weiter im Text. Das war ein Exkurs dazu. Auslegung historisch ist unverzichtbar, ist notwendig, wenn wir biblische Texte verstehen wollen und sie nicht von vornherein der Geschichte ihrer bisherigen Missverständnisse überlassen. Schauen wir nochmal auf den Text. Aber jetzt natürlich nicht mit der Erwartung schwarzes Tuch, Abra Kadabra und aus A wird B, sondern in allem Grenzbewusstsein mit Zulassung aller offenen Fragen. Aber was lässt sich gewinnen? Was lässt sich vielleicht an Perspektive erreichen, wenn wir jetzt doch etwas stärker berücksichtigen, in welcher Zeit steht dieser Text? Das erste, was stattfindet, wenn wir das tun, ist, dass dieser Text, der erst mal uns fremd

57:04
erschien, auf einmal was normaleres bekommt. Wie war das denn in der Antike mit dem Rechtswesen? Ist das, was Paulus hier sagt, schockierend, total fremd, so typisch christlich strange? Nein, nein, das ist, naja, üblich. Das Judentum hat es genau so gemacht. Jüdische Gemeinden, jüdische Verbände haben schlicht gesagt, wir gehen mit den Dingen, die uns betreffen, Kapitalverbrechen ausgenommen und so, wir gehen nicht an die zuständige heidnische Gerichtsbarkeit. Mal ein Zitat von einem Rabbi, bisschen später, aber selbes Jahrhundert. Überall, wo du Gerichtskollegien der Nicht-Israeliten findest, auch wenn ihre Gerichte den, der

58:02
Israeliten entsprechen, bist du nicht berechtigt, mit ihnen in Verbindung zu treten. Der gleiche Grundsatz. Das war das, was Paulus kannte. Paulus ist Diaspora-Jude. Er stammte aus Talos, er reiste herum in ganz in Kleinasien. Überall war das so. Jüdische Gemeinden hatten ihre interne Gerichtsbarkeit. Und Paulus folgt hier mit seinem Rat ganz schlicht dem, was er als Jude kennt. Das ist für ihn üblich, das ist normal. Ablehnung heidnischer Gerichte und interne Schlichtung. Und bei den Römern war das durchaus üblich, dass sie eine gewisse Elastizität kannten. Sie überließen viele Streitfälle eben lokalen Gemeinschaften, religiösen Gruppen, manchmal auch Bruderschaften und Vereinen. Im römischen Recht war das okay. Dass sie sagten, klärt es doch unter euch.

59:02
Wenn so etwas auffiel, gab es nicht einen Riesenaufschrei, dass man sagte, was sind das denn für Sektierer, die haben sich unserer Gerichtsbarkeit entzogen. Es war normal. Es war kulturell üblich. Das ist das erste, was wir wahrnehmen. Nehmen wir auch wahr, was wir durch historische Forschung aus diesem Text offenbar nicht rauskriegen. Es ist natürlich auch schön, noch mal genauer zu wissen, um was ging es denn da eigentlich? Das wäre ja auch eine Chance zu sagen, vielleicht kriegen wir diesen Text und das heute hin, indem wir einfach noch mal noch viel gründlicher schauen, was sind da für Wörter, was sind da für Begriffe, was war das für ein Streitfall? Das ist jetzt nicht so einfach. Es gibt eine Auslegungstradition, die sagt, vielleicht kriegen wir es durch einen Zusammenhang hin. Was ist das für ein Zusammenhang? 1. Korinther 5, da geht es um was Sexuelles, da geht es um Inzest.

60:01
1. Korinther 6 geht es wieder um was Sexuelles, der Gang zu einer Prostituierten. Dazwischen ist so ein kleiner Lasterkatalog, wieder ein paar sexuelle Begriffe dabei. Und worum geht es in 1. Korinther 7? Da geht es um Heiraten oder Nichtheiraten, Scheidung, Ehelosigkeit, wieder was Sexuelles. Und in diesem ganzen Bereich 1. Korinther 5 bis 1. Korinther 7 steht dieser Text mittendrin 6, 1 bis 8, worum wird es da gehen? Na ja, um Sex. So, das kann man so hören. Kann man das ausschließen? Ich halte es für unwahrscheinlich. Die meisten Exegeten gehen da nicht drauf ein. Manche tun es, weil sie so das Bedürfnis haben, dass sie sagen, der Paulus muss doch irgendwie auch einen aufgeräumten Kopf gehabt haben. Es wäre doch schön, wenn man sagt 1. Korinther 5 bis 7 geht es um Sex, 8 bis 10 geht es um Essen und Trinken, 11 bis 14 geht

61:04
es um charismatische Phänomene, dann noch ein bisschen Endzeit, wer aufgeräumt? Es ist, Paulus ist nicht so aufgeräumt, wie viele moderne Exegeten das offenbar geschrieben haben. Man scheint das so ein bisschen assoziativer zu machen. Es gibt so eine klare Gedankenkette so direkt davor. 1. Korinther 5 geht es darum, einen Bruder auszuschließen, aus der Gemeinde zu richten. Das sollt ihr tun. Und dann fällt ihm offenbar auf einmal ein und die haben doch gleichzeitig Streit umgeben an die Gerichte. Da schreibe ich gleich auch was zu. Ist wahrscheinlicher. Aber man kann es nicht hundert Prozent ausschließen, was sexuell ist. Das wäre natürlich noch schwieriger, ehrlich gesagt, wenn wir an unsere heutigen Beispiele denken. Zwingend ist es nicht. Andere sagen Moment mal, jetzt müssen wir doch hier ganz genau schauen. Hier geht es um etwas geringfügiges. Wie hat es hier gehießen? Wieder die Luther Bibel.

62:00
Ihr seid doch gut genug, über so geringe Sachen zu richten. Ihr könnt doch über die Biotika richten. So also, hier geht es doch wahrscheinlich nur um Bagatell-Sachen. Es ist manchmal nicht so einfach, zwischen Bagatelle und Gewichtigen zu unterscheiden. Wir sind heute über Dinge schockiert, die man in den 50er, 60er Jahren für Petiteszen hielt, für Bagatellen. Es ist nicht so einfach. Und dann muss man sagen, wenn man sich den Text hier anschaut, die Logik ist hier eigentlich eine andere. Hier ist der Gegensatz nicht Bagatelle gegen Kapitalverbrechen, sondern der Gegensatz, die Gegensatzlogik ist die Welt richten, die Welt und die Engel. Und damit verglichen, sagt er hier, was Geringes. Biotika, etwas, was zum Leben gehört. Das kann immer noch fast alles sein.

63:00
Am Ende könnte man sagen, ein Bruder mit dem anderen und übervorteilen, es spricht das meiste dafür, dass das in irgendeinem Rechtsstreit vielleicht geht, der im erweitersten Sinne vielleicht mit Finanz, mit Besitz, mit irgendwie. Zwingend machen kann man es nicht. Und würde man zwingend machen können, wäre auch nicht klar, was heißt das eigentlich? Heißt das, dass es nur für solche Fälle eine Regel war? Würde Paulus da eine Obergrenze der Zuständigkeit definieren? Gibt er keine Antwort für? Gibt es da irgendwie ein Kriterium? Es bleibt viel offen. Der Text ist, wie er ist. Und man müsste insgesamt ja jetzt schon sagen, die Logik ist, ihr richtet über die Welt und die Engel um wie viel mehr über alles andere. Also manchmal ist historische Forschung, grammatische Forschung, grammatisches Abklopfen der Begriffe,

64:02
grammatisches Studium des Kontextes, etwas, wo man sagen kann, ja, lass uns sieben Hypothesen finden. Am Ende sind wir verwirrter auf etwas höherem Niveau natürlich, aber hilft nicht immer. So, man kommt nicht immer damit weiter. Ich denke, wir müssen an der Stelle grundsätzlich uns das mit der Gerichtsordnung einmal vor Augen führen und sagen, welchen Stellenwert hatte das bei Paulus und wie ist man in der Geschichte damit umgegangen? Wir sehen, das, was Paulus hier beschreibt, hat für die antike Welt etwas Normales, etwas Anerkanntes, etwas Übliches. Man könnte an der Stelle über Gründe nachdenken, könnte fragen, hat der Paulus vielleicht Vorbehalte gegen das römische Recht? Da kann man Gründe für haben. Das römische Recht kannte drakonische Strafen.

65:00
Es konnte peitschen und schlagen und kreuzigen. Es konnte für Geldvergehen Menschen zu Tode bringen oder auf Galeren. Es war brutal und bei Bedarf. Dann war es ungleich. Es war ein Recht, das im Grunde Freien am besten römischen Bürgern dienten. Die hatten schlicht Privilegien. Nichtrömische Bürger hatten einen schlechteren Rechtsstatus, Sklaven und teilweise Frauen gar keinen. Frauen konnten vor Gericht mal sprechen. Das ist dann Ausnahme, wenn ihr Vormund das ausdrücklich erlaubt. Normalerweise sind sie da aber keine Rechtsperson. Man kann darüber fantasieren, hatte Paulus vielleicht aus der inneren Logik der christlichen Bruderschaft Vorbehalte gegen das römische Rechtssystem. Kann sein. Wir müssten auch wieder zurück zu seiner Logik.

66:02
Er sagt nicht, geht nicht zu den Ungerechten, klärt das unter den Gläubigen, denn die Ungerechten sind bekanntlich ungerecht in jeder Hinsicht. Und das wäre ja schade. Nein, es ist weder eigentlich die Logik, also so Welt und Engel und darum, wer das kann, kann alles. Das ist seine Argumentation. Also es wäre zu einfach, denke ich, zu sagen, Paulus hatte gute Gründe, gegen das römische Rechtssystem kritisch zu sein. Und darum suchte er eine interne Klärung, die vielleicht fairer ist, gleichberechtigter, ein bisschen barmherziger, egalitärer. So Gedanken darf man haben. Gut und so wäre jetzt aber, denke ich, nicht der Königsweg, diesen Text in irgendeiner Weise schon stillzustellen und zu sagen, das hieße ja, sobald wir supernette, faire Lieberichter hätten, sind die halt eine gleichrangige Option. Das wäre eine andere Logik, die man haben darf.

67:01
Aber es wäre nicht die Logik, die Paulus hier an den Tag legt. Ich möchte an der Stelle einfach aufmerksam machen auf dem Paradigmenwechsel im Verständnis des Rechts. Recht ist in der Antike ein Privileg, ein gewährtes Privileg, ein System, was sich im Aufbau befindet, was in der römischen Zeit, ich würde fast sagen, besser funktionierte als in so manchem Land heute, was sich auf dem Sprung in die Moderne wähnt. Wenn man Stress mit dem Kaiser hatte, war man verloren, klar. Aber in vielen zivilrechtlichen Bereichen gab es eine allgemeine Grundzufriedenheit, dass das römische Rechtssystem, was ist, Paulus hat ja der Apostelgeschichte zufolge auch nicht gezögert, als er einen Prozess an den Hals bekommt, seine Möglichkeiten als römischer Bürger auszureizen. So, wie geht die Entwicklung weiter?

68:04
Dieser Text hat eine enorme Wirkungsgeschichte. Wirkungsgeschichte ist schon die, dass die Christen sich daran gehalten haben. Die kannten den Text, die fanden das wichtig. Es war für sie klar, keine heidnischen Gerichte, wir klären das intern. Es kam zum Aufbau einer innerchristlichen, innerkirchlichen Gerichtsbarkeit. Irgendwann kriegt das Christentum ja so ein hierarchisches Gefälle. Diese egalitäre paulinische Frühzeit läuft aus. Irgendwann ist der Bischof das Maß aller Dinge. Wo der Bischof ist, ist die Kirche und der Bischof repräsentiert Christus. Das ist ein, zwei Generationen später die neue Logik. Entsprechend gewinnt die Gerichtsbarkeit ihre eigene Hierarchie, die sich allmählich aufbaut. Mit der konstantinischen Wende im vierten Jahrhundert wird das Christentum binnen zweier Generationen zur Staatsreligion.

69:02
Man hätte an der Stelle ja sagen können, das ist ja schön. Das heißt ja, alle Richter sind Christen. Sonst machen wir den Kopf kürzer und die sind schon wieder alle Christen. Das sind ja ganz neue Möglichkeiten. So der Exegese und so. Das hätte so kommen können. Und es war aber so, es hatte sich was aufgebaut und geschichtliche Entwicklungen sind manchmal träge und lang. Es entsteht eine Logik doppelter Gerichtsbarkeit, nämlich weltlichen Rechts und kirchlichen Rechts. Und das ist eine Riesenkiste in der Spätantike und im Mittelalter. Na ja, und bis heute, bis heute gibt es Kirchengerichte, nicht nur in der katholischen Kirche, auch in der evangelischen Kirche. Bis heute sind auch in den evangelischen Landeskirchen Kirchengerichte da, die auch Arbeitsfragen und Rechtsfragen und Disziplinarfragen in eigener Gerichtsbarkeit klären. Das ist ein Berufsweig. Es gibt Kirchenjuristen. Man kann als Kirchenjurist promovieren und Karriere machen.

70:04
All das folgt diesem Text hier. Eine riesige Geschichte. Aufbau einer doppelten Gerichtsbarkeit. Damit ist manche Doppelmoral verbunden. Ihr kennt das manchmal aus schäbiger Apologetik, dass manche Kirchenkritiker sagen, ihr Christen habt doch Ketzer verfolgt und verbrannt und Hexen gequält und gefoltert und getötet. Und schäbige Apologetik sagt, haben wir überhaupt nicht, überhaupt nicht. Wir haben Glaubensfragen besprochen. Wir haben Gespräche geführt im Tonfall der damaligen Zeit. Die Sippen waren rauer, kleine Eiszeit und so. Und wenn tragischerweise mal das Ergebnis war, dass da jemand in unserer Glaubensgemeinschaft nicht mehr passt, dann waren wir fertig. Der wurde exkommuniziert.

71:00
Wir waren auch echt traurig. Ja, und was haben wir damals gemacht? Ich meine, ja, es war schon so. Staatliches Recht war, wenn jemand exkommuniziert ist, wenn er nicht mehr zur Kirche gehört, dann Todesstrafe. Da gab es eine kleine Übergabe-Zeremonie. Aber wir haben die nicht verbrannt. Das sind dann die staatlichen Gerichte, die haben gesagt, hier exkommunizierter Ketzer, klarer Fall. Das ist sehr, sehr schäbige Apologetik. Das sollte niemand nötig haben. Aber so war es offiziell, dass man sagte, Kirchengerichtsbarkeit klärt die Glaubensfrage zur Rettung der Seele und das Verbrennen und Töten und so, das macht dann der Staat. Dafür hat er das Schwert. Dafür ist er da. Und da gab es so ein perverses Tandem über lange Jahrhunderte, die das so hinbekommen hat. Die Reformationszeit ist hier ein Einschnitt. Luther hatte mit Kirchenjuristen keine gute Erfahrung. Insgesamt mit Juristen auch nicht immer. Er sah aber ein, dass es sie geben muss. Aber was er loswerden konnte, war er auch dafür.

72:02
Und die Reformation hatte schon so diesen Impuls. Priester-Tum aller Gläubigen. Wir sind alle Kirche. Wir brauchen nicht diesen Apparat, diesen Staat im Staat, diese eigene Welt. Die Obrigkeit, das sind Christen. Die haben einen Auftrag von Christus für Recht und Ordnung zu sorgen. Und die Obrigkeit und die Juristen, die sollen das tun. Und darum wird im Protestantismus Kirchengerichtsbarkeit mindestens verschlankt. Also ist bis heute noch so eine schlanke Säule, die ist da. Die Tendenz war aber Abbau. Abbau der Kirchengerichtsbarkeit, kein kanonisches Recht. Kein kirchliches Recht. Das hat Luther mit der Bannandrohungsbulle verbrannt. So und diese protestantische Losagung vom kirchlichen Recht, vom Aufbau eigener Kirchengerichtsbarkeit

73:02
ist ein Impuls, der in der Neuzeit verstärkt wird durch humanistische, durch aufgeklärte Kritik an kirchlicher Binnengerichtsbarkeit und führt dazu, dass das Rechtswesen sich zunehmend verselbstständigt, dass es autonom wird, natürlich gegenüber der Kirche, aber zunehmend auch gegen den Staat. Jetzt könnte man über John Locke und Montesquieu viele Geschichten erzählen und viel Bildung tanken und sehen, dass Gewaltenteilung eine Schlüsselidee ist der modernen Welt. Amerikanische Geschichte, französische Geschichte. Es gibt gegenwärtig Länder im Rückwärtsgang, aber es gibt noch einen breiten modernen Konsens. Es ist eine sehr gute Idee, das Recht unabhängig zu machen von Kirche und Staat. Heute sind wir der Überzeugung. Das ist gut so. Das ist normal.

74:00
Das kann man an einem Kuriosum deutlich machen. Es gab in den letzten Jahren immer wieder mal so Scharia-Polizei, wo Menschen durch Städte gingen mit schlechten Jacken, guckten auch komisch und so. Was machten die denn? Die haben nicht Oma Krause bei Aldi an der Theke gesagt, Kopftuch. Nein, haben die nicht gemacht. Das stimmt nicht. Nein, die haben bei ihren Leuten, bei denen, wo sie gesagt haben, das sind unsere Leute, da gefragt, Schwester, deine Kleidung, findest du das in Ordnung? So. Ihr habt vielleicht Bildseitungen geguckt oder so und habt da was gehört. Da gibt es ja Leute, die krieg Sonnhalz. Die werden so wütend. Scharia-Polizei, da würden die also drakonische Strafen gern für haben. So und man hört, es gibt so Hinterhofgerichte und Scharia-Rechtsprechung. Viele sagen, die Scharia in Europa, das ist im Grunde der Fuß in der Tür der Islamisierung,

75:02
der Umvolkung, der Zerstörung des Abendlandes und Scharia-Gerichte sind in Begriff des Bösen, des Schrecklichen, des Katastrophalen. Stellt euch vor, wir würden den Apostel Paulus wieder herbeamen können und sagen hier, Paulus, hör mal zu, da ist doch eine andere Religion, schlimme Sache. Die haben eigene Gerichtsbarkeit, Scharia-Polizei, Scharia-Gerichte. Findest du es nicht auch entsetzlich? Na ja, was wird er sagen? Der wird da sagen, nö, normal, oder? Ist doch normal. Ihr habt doch bestimmt auch hoffentlich da eure eigenen Schlichtungen. Ist doch normal, das machen doch alle so. Alle Religionen haben ihre Scharia-Gerichtsbarkeit, das nennen alle anders. Ja, aber sollen die zu euren Gerichten kommen oder zu atheistischen oder sonst wie? Und das einfach mal wahrnehmen. So, da wo heute ganz bibeltreue Christen Wutanfall kriegen, Scharia-Gerichtsbarkeit, jetzt schlägt

76:01
es 13. In gewisser Hinsicht ist das sehr bibeltreu. Das für sich in Anspruch zu nehmen und auch es als normal vorauszusetzen, dass alle das so haben. Und wenn man Scharia-Polizei nicht ertragen kann, so, dann einfach gucken, woran liegt das denn? Wo liegt das? Es liegt an einem sehr langen Paradigmenwechsel. Es liegt daran, dass auch solche Christen in der Moderne angekommen sind und vom Zeitgeist zutiefst geprägt sind, obwohl sie das Gefühl haben, Tag und Nacht dagegen anzukämpfen. Die haben das noch nicht mal gemerkt, dass das völlig normal wäre eigentlich. Paradigmenwechsel im Rechtsverständnis. Eine lange Geschichte, da muss man sich da irgendwann zu verhalten. Wann ging es denn schief? Wann war es denn richtig? So, und ist es heute richtig, kann man natürlich auch fragen.

77:04
Man kann, man muss fragen, gibt es vielleicht Entwicklungen im Rechtssystem, wo das immer mehr überbordet, wo es ausartet? Es geht nicht um die These, alles Neue ist besser als das Alte. Aber so wie ich versucht habe, die Geschichte schlicht und schlank und klar zu beschreiben, halte ich es für eine Entwicklung, die ist erst mal so, wie sie ist. Es spricht vieles für sie. Ich halte sie im Grundriss für gut. Und von daher muss man jetzt noch mal auf den Text schauen. Und jetzt, wir haben keine schlimmen Zauberei getan. Ich habe nicht mal ein schwarzes Tüchlein mitgemacht zur Demonstration, kein Abracadabra gesprochen. Es ist auch nicht wahr, dass da, wo im Text A stand, jetzt B steht. Es ist nicht wahr. Es sind Erklärungen zum Text angefügt worden. Was ist das Ergebnis dieser Erklärung? Klar, das ist ein antiker Text in einer bestimmten Zeit mit einer bestimmten Logik.

78:05
Was ist B? Wie gehen wir damit um? Es gab moderne Bibelausleger, die an dieser Stelle dann immer gesagt haben, selbst die Bibeltreuen merken, dass dieser Text so nicht mehr funktioniert. Das war eine doofe Idee von Paulus. Der war da nicht auf der Höhe. Da hat er einfach so. Da brauchen wir Bibelkritik. Das müssen wir einfach schlicht sagen, sachkritisch eliminieren. KW-Vermerk kann weg. Erledigt. Da würde ich sagen, ja, jetzt beruhigt euch mal. Was der Paulus hier will, das ist doch, es ist normal damals. Es ist normal und es ist doch auch nicht unvernünftig. Und es ist doch auch gut zu sagen, am besten kein Streit, ansonsten versucht's auf irgendeiner Ebene zu schlichten und so. Es ist ja völlig verständlich. So, und dann hat die Welt sich weitergedreht. Und die Welt hat sich so weitergedreht, dass wir heute in einer Lage sind, wo es ein anderes

79:07
Verständnis von Recht gibt, von Rechtsordnung, von System des Rechts, was Rechtfrieden gewährden kann, was auch Schlichtung ermöglicht, so dass Opfer gehört werden, dass sie ihr Recht finden, dass es von Unbeteiligten gesprochen werden kann. Und das ist eine Entwicklung weit über das hinaus vielleicht, was Paulus sich vorstellen könnte. Wir finden es gut. Und es wird vielen Betroffenen heute gerechter. Und es ist kein Grund, diesen Text irgendwas Böses nachzurufen und ihn mit Fußtritt in die Antike zurück zu befördern. Wir lesen diesen Text und sagen, es ist normal und gut. Und die Welt hat sich weitergedreht. Und wir wissen heute, das, was hier steht, in einem Fall, den wir nicht genau kennen, sollte man niemals so verallgemeinern, dass so schreckliche Missbräuche mit Missbrauch

80:06
getrieben werden, wie es das im 20. Jahrhundert gegeben hat. Und hier kann eine Exegese, die geschichtsbewusst schaut auf damalige und heutige Verhältnisse und die solche Texte nicht generalisiert, nicht absolut setzt, sondern verschiedene Einzelfälle wahrnimmt, zu heutigen Fragen Empfehlungen geben, die mit diesem Text eben nun mal nicht zu begründen, aber auch nicht zu widerlegen sind. Werfen wir einen letzten Blick auf den Text. Denn eine Sache haben wir bislang noch gar nicht gewürdigt. Ich habe es bis jetzt immer ein bisschen heimlich runter gespielt und gesagt, am besten keinen Streit haben, das ist das Beste. Und wenn, kriegt das unter euch klar. Na, da steckt mehr dran. Da steckt viel mehr drin in dieser Geschichte.

81:01
Nochmal die letzten Verse. Es ist schon schlimm genug, dass ihr miteinander rechtet. Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber übervorteilen? Und das ist noch mal eine andere Linie. Was wir hier wahrnehmen können bei Paulus ist, er gibt eine differenzierte Antwort. Er sagt erst mal ganz klar interne Schlichtung. Und das ist etwas, das widerruft er nicht. Er sagt, es gibt aber noch einen besseren Weg. Es ist besser, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun. Es kann besser sein, die andere Wange hinzuhalten und nicht zurückzuschlagen. Es kann besser sein, die zweite Meile mitzugehen. Es kann besser zu sein, wenn dir etwas geraubt wird, es zu lassen. Nimmt dir einer den Mantel, gibt den Rock noch dazu.

82:00
Es kann besser sein, auf Gewalt zu verzichten, auf Recht zu verzichten. Und Paulus formuliert das hier sehr sorgfältig. Das ist nicht das Gebot, was er gibt. Paulus gibt nicht das Gebot an den Übervorteilten. Vergib, lass dich betrügen, lass dich beschädigen. Du musst es, du bist Christ. Du musst vergeben. Wir haben vorhin gesehen, vergeben kann man nie müssen. Vergeben ist ein Wunder, eine Gnade, ein Geschenk. Und darum führt es Paulus hier auch nicht als Gebot ein. Warum habt ihr Streit? Vergib doch du, der du benachteiligt bist. So nicht. Eröffnet dafür den Horizont als das, was noch besser wäre. Und so funktioniert der ganze erster Korinther Brief. Was ist die entscheidende Leitlinie im ersten Korinther Brief?

83:02
Das, was im Hohelied der Liebe, ersten Korinther 13, aufleuchtet. Und nicht nur da, sondern diesen ganzen Briefen durch. Ich will euch einen noch besseren Weg zeigen. Jagt der Liebe nach. Das ist der bessere Weg. Das ist das höchste Prinzip, was Paulus anbietet. Ersten Korinther 16. Alles soll in der Liebe geschehen. Denn die Liebe ist das Größte. Und die Liebe ist das Höchste. Liebe ist nie zu trennen von Mündigkeit. Sie kann nicht erzwungen werden. Du kannst auch kein Mitgefühl erzwingen. Du kannst Menschen nicht sagen, jetzt hab doch mal Mitgefühl. Jetzt hab doch mal Mitleid. Jetzt sieh doch mal, wie schlecht es geht. Jetzt spür es doch mal. Es wird nicht so einfach funktionieren. Du kannst für die Möglichkeit des Mitfühlens vielleicht Beispiele nennen. Vielleicht die Augen öffnen.

84:02
Und das aber muss in dir wachsen. Es ist der höhere Weg. Es ist die Frucht des Geistes. Es ist das, was in uns wächst, wenn Menschen von Christus ergriffen werden. Wenn Jesus sie berührt. Wenn Jesus Geschichten, die Fantasie von Menschen durchdringt. Die Gedanken, die Gefühle, die Wahrnehmung. Wenn man einen von Christus geprägten Blick entwickelt. Sein Herz so offen hält, dass man mit den Augen Jesu sehen lernen möchte. Dann öffnet man sich für die Möglichkeit der Liebe. Dann ist es möglich, Rechtsverzicht zu denken, für möglich zu halten. Dann ist es möglich, sich für die Möglichkeit einer Vergebung offen zu halten. Ich bin überzeugt, viele Menschen haben am christlichen Glauben bislang vorwiegend antike

85:06
Gewänder mit historischen Filz in gestriger Verpackung vor Augen bekommen. Und ich fürchte, das gilt auch für manche Christen. Das ist in diesem Text das große Licht. Das ist diese Leuchtspur der Liebe. Das ist dieser Zauber der Verwandlung, der sich durch das ganze Neue Testament zieht. Und lass es antik sein. Ich glaube, dass diese Leuchtspur gestern und heute und in Ewigkeit das Größte ist, was Menschen vor Augen bekommen können. Das Schönste, das Kräftigste, was ein Leben auf dem Kopf stellen kann. Dieses Wunder der Liebe. Dieses hohe Lied der Liebe, was einen neuen Blick erlaubt auf Schmerz, auf Unrecht, auf Leid. Was Täter und Opfer versöhnen kann.

86:03
Was Dinge bewirkt, die kein Rechtssystem je hinkriegen könnte. Das ersetzt Rechtssystem niemals. Paulinische Ethik ist an vielen Stellen gestuft, beschreibt einen normalen Weg des Gerechten, aber auch einen höheren Weg. Einen höheren Weg der Liebe, der nie zu erzwingen ist. Diese Norm der Bibel ist antik wie modern wie ewig. Und diese Norm auf heutige Herausforderungen zu übertragen, das ist die größte Herausforderung jeder Bibelauslegung.

Alles anzeigen
Ausblenden

Ethische Normen in der Bibel und ihre Übertragung auf heutige Herausforderungen – eine Fallstudie zu 1. Korinther 6 | 7.10.2

Worthaus Sommerakademie – Hilchenbach: 29. Juli 2017 von Prof. Dr. Thorsten Dietz

Es gibt unzählige Christen, die sich für ihren Glauben schämen. Andere sind wütend auf diese antichristliche Stimmung im Land, die den Glauben an Gott belächelt oder gar verspottet. Und sie alle wissen oft nichts zu antworten, wenn wieder jemand sagt: »Was in der Bibel steht, ist mehrere tausend Jahre alt – das kann uns heute doch völlig egal sein. Lass mich bloß mit dem alten Zeug in Ruhe.«
Wie wir auch heute noch von dem lernen können, was in der Bibel steht, erklärt Thorsten Dietz anhand eines Bibeltextes, der auf den ersten Blick kaum auf die Gegenwart übertragen werden kann. Als Paulus nämlich an die Gemeinde in Korinth schrieb, forderte er, dass die sich nicht dem geltenden Recht unterwerfen. Dietz nimmt den Text auseinander, macht deutlich, was Paulus eigentlich sagen wollte, und gibt all jenen Christen damit ein Werkzeug an die Hand, die sich gegen den Vorwurf wehren wollen, die biblischen Texte seien doch längst überholt.