Musik Also den Vortrag kann man überschreiben. Was ist eigentlich das Moderne am Modernen? Was ist das? Dazu geschwinden ein paar Vorbemerkungen. Man redet ja viel von der modernen Zeit. Es gibt eben die moderne Zeit. Wir sind moderne Menschen, ihr auch. Könnt ihr gar nichts dagegen machen. Irgendwie lebt ihr in der modernen Zeit. Mehr oder weniger bewusst oder unbewusst. Und deswegen sollte sich eigentlich jeder Mensch so in Mitteleuropa die Frage stellen, was ist eigentlich die angemessene Haltung zur modernen Zeit? Wie soll ich mich als Christ zur modernen Zeit stellen?
Soll ich sie total positiv begrüßen? Soll ich sie ablehnen? Oder welches Mittelding finde ich richtig? Gut, also wie stehe ich zur modernen Zeit? Diese Frage muss man sich mal tiefer stellen. Und dann gibt es eben in der Christenheit große, breite, konservative Strömungen. Also Menschen, die sehr gerne mit Überzeugung von sich sagen, ja, ich bin ein konservativer Christ. Ich gehe von konservativen Voraussetzungen aus. Ich baue mein Glaubensleben in einem konservativen Rahmen auf. Und ich habe auch eine konservative Bibelauslegung. Das sage ich jetzt mal rein sachlich.
Das stimmt, das ist auch wichtig. Es gibt auch andere Voraussetzungen. Liberale Voraussetzungen oder alternative Voraussetzungen. Oder künstlerische Voraussetzungen. Jeder Mensch hat so seine Voraussetzungen. Man könnte auch sagen, seine Welternschauung. Ich auch. Das geht gar nicht anders. Wir können es gar nicht vermeiden. Trotzdem will ich mal zu diesen Grundfragen Stellung nehmen. Denn die moderne Bibelwissenschaft ist nicht konservativ. Sie wird auch niemals konservativ werden. Es gibt einzelne Theologieprofessoren, das ist eine Minderheit, die bewusst konservativ arbeiten, die bestimmte Dinge auch zurückdrehen wollen. Oder die dafür Sorge tragen wollen, dass diese moderne Bibelwissenschaft auch Raum hat für konservatives Denken. Also da entstehen dauernd ein Ringen um diese Dinge.
Gut, und das wird euer Denken und euer Wahrnehmung klären. Und es wird euch gut tun. Ihr werdet also so eine Art Bildungsschub bekommen. Also wenn wir uns fragen wollen, wie soll ich eigentlich zur Moderne stehen? Soll ich zur Moderne aus konservativer Sicht sehr vorsichtig sein, eher skeptisch? Oder trete ich stärker auf die Seite der modernen Entwicklung? Das ist für uns Christen eine wichtige Grundsatzfrage. Und wenn wir diese Frage klären wollen, müssen wir uns zunächst der Frage stellen, was ist das Moderne überhaupt? Was meine ich mit diesem Wort? Das ist in der Regel völlig unklar. Und deswegen kommt man auch nicht weiter.
Und auch die zweite Frage, wann entsteht eigentlich die moderne Zeit? Also es sind so die beiden grundlegenden Fragen. Wann entsteht die moderne Zeit? Schon wichtig, sich das klar zu machen. Aber noch wichtiger ist, was ist das Moderne? Ich habe beobachtet so in den letzten 20, 30 Jahren, wenn man ein konservativer Christ ist. Also ich war schon auf konservativen christlichen Ausbildungsstätten, war ich selber auch kürzere Zeit Lehrer, genauer gesagt Gastlehrer. Und ich war auch Bibelschüler auf einer Bibelschule und so. Also ich kenne dieses konservative Denken und Fühlen ziemlich gut, weil ich es selber fünf bis zehn Jahre total innerlich mitgemacht habe, bis ich mich aus diesem Korsett herausentwickelt habe. Gut, also ich habe da gemerkt, ich habe auch Bücher gelesen in den letzten Jahren,
konservativ geschriebene Bücher über die moderne Zeit. Und da habe ich in den Büchern, die ich gelesen habe, sind schon einige, aber vielleicht gibt es bessere konservative Bücher, konservative Bücher. Aber ich kenne keins, weil die konservativen Bücher, die ich gelesen habe, kommen auch auf die moderne Zeit zu sprechen, aber nicht richtig, inkompetent. Es stimmt so nicht. Nämlich da ist die moderne Zeit irgendwie relativ schnell negativ. Also das Alte war besser, das Neue ist schwierig. Die moderne Zeit, das ist Rationalismus oder Atheismus, Abfall von Gott oder auch die Überheblichkeit des modernen Menschen, habe ich in einem Buch gelesen. Der moderne Mensch, typisch für den modernen Menschen ist,
dass er sich immer klüger fühlt, wie die Generationen vorher. Weil es ist typisch für den modernen Menschen, so heißt es in diesem konservativen Buch, dass er sagt, die hatten ja noch nicht den heutigen Stand der wissenschaftlichen Forschung. Und da steht dann also drin, da sieht man mal, wie gefährlich die moderne Zeit ist, denn sie verleitet sehr schnell zur Arroganz, zur Überheblichkeit. Immer die letzte Generation der Wissenschaftler fühlt sich klüger und zu Maßstabberufen der früheren Generation. Und das ist schlecht. Ja, das stimmt, das ist schlecht. Aber ist das die moderne? Nein, das ist ein konservatives Bild von der moderne. Also ich behaupte, die Mehrzahl der konservativen Christen, man muss aufpassen, dass man nicht zu pauschal wird, schwarz-weiß stimmt nie. Aber in den großen Tendenzen, ich behaupte nicht, dass ich alle konservativen Christen kenne
und dass ich sie alle in jeder Schattierung berücksichtige. Nein, das schafft niemand. Aber ich kann mit gutem Recht sagen, die großen Tendenzen im konservativen christlichen Denken zeichnen sich dadurch aus, dass sie die moderne relativ schnell abwerten, zur Vorsicht mahnen. Moderne heißt verkopft, rationalistisch, atheistisch, Abfall von Gott und Überlegenheitsgefühl, über die früheren alten Völker. Also das ist nach meiner Lektüre der letzten zehn Jahre, ist das das hauptsächliche Bild, das ich gefunden habe. Dieses Bild aber ist inkompetent, es stimmt nicht. Es wird die wahren Gründe der Moderne und was die Moderne wirklich ist, kommt hier gar nicht in den Blick.
Also das kann nicht zu einer tieferen Bildung führen. Das führt zu einseitigen Stereotypen und Klischees und das ist ein echtes Dilemma. Jetzt will ich euch mal schön Gelegenheit geben, dass ihr zu zweit oder dritt mal zwei, drei Minuten, kommt nicht drauf an, ihr braucht es auch nicht melden, überlegt euch mal kurz folgende zwei Fragen. Wann entsteht eurer Meinung nach die moderne Zeit? Überlegt mal und was ist das entscheidende Kennzeichen der Moderne? Also ich sage euch gleich vorneweg, nicht der Rationalismus, nicht die Aufklärung, die philosophische Aufklärung, nicht der Abfall von Gott, das kommt in der Moderne, passiert das alles,
das ist nicht die wirkliche Ursache, der Kern der Moderne. Das sind verschiedene Erscheinungsformen und die muss man auch meiner Meinung nach schon kritisch sehen. Aber was ist das Moderne an der Moderne? Habt ihr eine andere Idee? Also wann entsteht sie und was ist das Moderne? Jetzt tauscht euch da mal so zwei, drei Minuten aus. Das ist ein wichtiger Punkt, was ist Postmoderne? Also das kläre ich jetzt mal vorneweg, ich nehme mal Kurzstellung zur Postmoderne. Also irgendwann, das werde ich gleich beantworten, entsteht die moderne Zeit und die moderne Zeit ist in erster Linie gekennzeichnet durch ein ganz bestimmtes Phänomen
und nur wenn man dieses Phänomen genau trifft, kann man qualifiziert zum Phänomen der moderne überhaupt Stellung nehmen. Das muss man genau treffen und das ist nach meinem Wissen, habe ich das nirgendwo im konservativen Christentum so, ich habe es weder so gehört noch gelesen. Ich will nicht bezweifeln, dass es das vielleicht irgendwo gibt, dann könnt ihr mir das sagen und dann freue ich mich. Gut, Postmoderne, es kommt in den 80er, 90er Jahren ein Begriff auf durch französische Philosophen und andere. Hans Küng, katholischer Theologe hat es auch aufgegriffen. Also ich sage, ich werde gleich merken, ich halte von dem Begriff nichts. Kommt so ein Modebegriff auf Postmoderne. Ich kenne diese Bücher ziemlich genau, keine Sorge. Also da wird mit einem gewissen Recht, die sind nicht dumm, die Leute, dass es zu dieser Diskussion um die Postmoderne,
die gibt es aber heute nicht mehr, die Diskussion, die ist eingeschlafen, und zwar zu Recht. Das ist eine Sackgasse, die nicht wirklich weiterführt, die schläfert die Leute nur ein und führt sie auf oberflächliche Theorien und Antworten. Also in den 80er Jahren treten die ersten Bücher auf 90er Jahre ganz stark. Was ist die Postmoderne? Ja, durch den ersten Weltkrieg, die polare Spannung USA, Eintritt in den ersten Weltkrieg 1917, Bolschewismus, Kommunismus im Osten, und dann diese neueren Entwicklungen, Umweltschäden, Internet, Fernsehen, Medien, also diese, das hat nochmal einen neuen Charakter. Und dann wird auch festgestellt, vor allem die Pluralisierung, dass die Lebenswelten immer stärker auseinanderbrechen.
Es pluralisiert sich viel mehr, wie bisher. Gut, solche, und auch das Pflanzensterben, jeden Tag sterben so und so viele Tierarten, Pflanzenarten unwiederbringlich aus. Das gibt es im 19. Jahrhundert noch nicht und so weiter. Also diese und andere Merkmale, hat man gesagt, ist die Postmoderne. Wir haben keinen besseren Begriff, weil wir wissen noch nicht, was nach der Moderne kommt. Jetzt will ich mit Habermas und vielen anderen sagen, Kokolores. Dieses Wort verwirrt, denn es ist nur eine fortgeschrittene Moderne. Die Moderne schreitet immer weiter fort, da gibt es tatsächlich tiefe nochmal Änderungen. Das ist eben die weiter fortgeschrittene Moderne. Ich will mal feststellen, dass vor allem so Bibelschulen, Bibelschullehrer und so fromme Bücher,
so sagen wir mal halb gebildete Bücher im christlichen Bereich, ich halte von dieser Art von Büchern nicht viel. Sie verwirren, da wird sofort von der Postmoderne. Also erstmal wird der Eindruck erweckt, wir sind ganz modern, wir konservative Christen, wir sind ganz modern, wir springen gleich in die Postmoderne. Nein, ihr habt ja nicht mal die Moderne erkannt. Was wollt ihr mit der Postmoderne, liebe Schwestern und Brüder, wenn die Moderne schief dargestellt wird und dann den Eindruck erwecken, wir sind avantgardistisch, wir sind ganz vorne und die Moderne haben wir schon hinter uns. Nein, die haben wir nicht hinter uns. Das werdet ihr gleich merken. Also das ganze Gerede von der Postmoderne hat in der universitären philosophischen Diskussion ist abgeflaut.
Nach 20 Jahren, heute gibt es da an der Universität keine Diskussion mehr über die Postmoderne. Aber Bibelschullehrer reden dauernd von der Postmoderne. Das ist ihr Trick, unbewusst, dass sie sich um die tieferen Probleme der Moderne herumdrücken. Wir springen sofort in die Postmoderne und wir bewältigen die Postmoderne mit unserer christlichen Botschaft. Pfeifendeckel. Das ist meine Meinung. Ich werde es ja jetzt indirekt begründen. Sie verzichtet auf diesen schnellen Versuch, die Moderne zu überspringen, gleich in die Postmoderne und wir sind so, wir antworten auf die Postmoderne. Nein, ich kenne keine einzige Bibelschule und keine konservative Ausbildungsstätte in dem, was sie so schreibt. Also mir ist es nicht begegnet, dass sie überhaupt die Moderne verstanden hat.
Denn konservativ und modern steht wirklich in einer tiefen Spannung und die muss man erst einmal kapieren. Und so lange bitte Verzicht auf das Modewort Postmoderne. Also die moderne Zeit entsteht im Laufe, niemand kann das genau sagen, von sagen wir mal ungefähr 500 Jahren, nämlich zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert. Im Laufe dieser 500 Jahre wandelt sich in Europa die Gesellschaft ungeheuer. So tief, wie noch nie vorher in 500 Jahren sich was gewandelt hat. Wenn man den Wandel der zwischen 15. und 19. Jahrhundert, ich werde ihn gleich in den Entscheidenden beschreiben, wenn man den vergleicht, sagen wir mal, was hat sich gewandelt mit 2500 vor Christus bis 2000 vor Christus, sind ja auch 500 Jahre.
Oder 7500 bis 7000 oder 1800 bis 1300 vor Christus oder egal, ihr könnt 500 Jahre irgendwo in der Weltgeschichte mal ansetzen und vergleicht das mit dem Wandel zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, das ist nicht mal ein oder zwei Prozent von dem Ausmaß. Also es ereignet sich in Europa ein Modernisierungsprozess im Laufe von 500 Jahren. Und dieser Modernisierungsprozess, der sich nur in Europa, auch Nordamerika, also in der westlichen Zivilisation ereignet hat, heute strahlt er auf die ganze Welt natürlich aus, Globalisierung, aber es geht ja jetzt erstmal um die Entstehung und um was geht es da überhaupt. Das werdet ihr dann morgen bei einer modernen Sexualethik werdet ihr merken, dass man da zu einer anderen Sexualethik kommt,
als wenn man die Moderne unterschätzt. Da geht es um sehr viel. Also in diesen 500 Jahren. Jetzt, was ist der Kern, um das es geht? Das sage ich jetzt mal mit einem Satz, aber mein ganzer Vortrag will euch klären, um was damit alles verbunden ist. Der Clou des Modernisierungsprozesses, der natürlich im 20. und 21. Jahrhundert beschleunigt weitergeht, das ist ja klar, heute mit Internet, Handy und so weiter, aber die moderne Zeit am Ende vom 19. Jahrhundert, sagen wir mal 1899, kann man auf jeden Fall sagen, wir leben in einer modernen Zeit. Das kann man am Ende vom 19. Jahrhundert eindeutig sagen. Es hat sich über 500 Jahre so entwickelt.
Und dieser Modernisierungsprozess, der hier sozusagen prägend wird für die gesamte Gesellschaft, hat sich im 20. und 21. Jahrhundert weiter zugenommen. Der Clou ist die Beschleunigung des historischen Wandels. Das ist der Clou, nicht Atheismus. Die kommen dann mal, aber die sind nicht die Ursache, die sind eine Erscheinungsform. Aber die Ursache der modernen Zeit ist glasklar ein Motor, eine Ursache. Die muss man herausheben, nach vorne bringen und alles andere ist von daher, kann man verständlich machen. Der geschichtliche Wandel wird vom 15. ins 19. Jahrhundert immer schneller. Er beschleunigt sich immer mehr, im 20. noch mehr, im 21. noch mehr.
Wenn heute PH-Studierende, also Lehramtsstudierende, sich über den Musikgeschmack der 12-Jährigen, wenn sie nicht gerade eine Schwester haben oder so, dann müssen sie schon eine Fachzeitschrift lesen. Die heutigen 23-Jährigen haben keine Ahnung von dem Musikgeschmack der 12-Jährigen. Null Ahnung, es leben ein paar in ihrem Umfeld. Sie müssen sich über eine Fachzeitschrift informieren. In zehn Jahren ändert sich das so schnell. Diese Beschleunigung bleibt, sie nimmt immer mehr zu. Aber dieser Beschleunigungsmotor beginnt im 15. Jahrhundert und wird von da an bis heute immer schneller. Und das gab es noch niemals in der gesamten Weltgeschichte. Auch wenn in der Bibel davon nichts steht, ist es trotzdem die wichtigste Veränderung rein weltgeschichtlich.
Das ist ja keine Kritik an der Bibel. Und zwar, die heutigen Historiker sind sich international einig. Es gibt zwei grundlegende Veränderungen in der Weltgeschichte. Die erste ist die Sesshaftwertung des Menschen in der Jungsteinzeit. Die Sesshaftwertung des Menschen, das ist eine irrsinnige Veränderung. Und die zweite, eher noch tiefere, ist der Modernisierungsprozess, der zur modernen Zeit führt. Das sind die zwei tiefsten Veränderungen in der Weltgeschichte. Jetzt dieser Modernisierungsprozess, der darin besteht, dass der geschichtliche Wandel sich immer mehr beschleunigt. Natürlich hat sich die Gesellschaft die Geschichte immer schon gewandelt. Ja, völlig klar, aber viel langsamer. Also der Wandel in der Antike, sagen wir mal zu Cäsars Zeiten oder von mir aus Ramses II. oder ihr könnt irgendwann in die vormoderne Zeit gehen.
Man kann sagen, es gibt die moderne Zeit und die vormoderne Zeit. Man kann auch sagen, es gibt die kritische Zeit und die vorkritische Zeit. Das hängt ganz eng miteinander zusammen. Also in der vormodernen Zeit könnt ihr hingehen, wo ihr wollt. Es gab immer schon einen Wandel, aber der war so langsam, dass man ihn innerhalb einer Lebenszeit, einer Biografie nicht spürt. Also die Leute wurden ja auch nicht ganz so alt. In der Antike durchschnittliches Lebensalter 40 bis 45 Jahre. In dieser Lebensspanne, wenn man dann, sagen wir mal, doch von mir aus 70 wird, ist die Welt auch nicht viel anders, als ich Kind war. Deswegen haben die alten Menschen, waren auch die Weißen, die hatten eine Autorität, weil sie haben schon 80 Monde gesehen.
Also 80 Jahre auf dem Buckel. Das waren die Klügsten, die Weißesten. Heute die 70- und 80-Jährigen, das ist keine Kritik, das hängt mit dem Wandel zusammen, die verstehen die Welt der Enkel nicht mehr. Deswegen sind die heutigen Großeltern auch nicht mehr die Autorität wie früher. Also es gab immer schon einen Wandel, der war aber so langsam, dass man ihn zwischen Geburt und Tod nicht wirklich so gespürt hat, dass man es zum Thema macht. Es gibt in keinem antiken Buch, weder religiös noch sonst wo, irgendwo eine Schrift, die den gesellschaftlichen Wandel zu einem zentralen Thema macht. Der Wandel war kein Thema, er wird aber in der Moderne zum entscheidenden Thema. Dieser Modernisierungsprozess hat zwei Ebenen, und die will ich mal knapp skizzieren. Einmal handelt es sich um immer schnellere Erfindungen und Entdeckungen.
Also es kommen jetzt irgendwie sehr folgenreiche Entdeckungen und Erfindungen im immer rascheren Abstand und auf der anderen Seite, damit zusammenhängend, wirtschaftliche gesellschaftspolitische Veränderungen. Also die eine Ebene sind folgenreiche Entdeckungen und Erfindungen und damit vernetzt, direkt, indirekt, gesellschaftspolitische wirtschaftliche Veränderungen. Im 15. Jahrhundert war Europa keine der führenden Gegenden der Welt. Das türkisch-osmanische Reich im 15. Jahrhundert war zivilisatorisch vom Niveau her Europa deutlich voraus. Das indische Mongulreich hatte eine wesentlich höhere zivilisatorische Niveau, Infrastruktur und in China auch. Auch das politische Gewicht von Europa im 15. Jahrhundert,
die Vorgänge in China im indischen Mongulreich und das aufstrebende osmanische Weltreich, da ging die Post ab. In Europa, die Ritter mit ihren Truhen, wo die hingepinkelt haben, allein die Pinkelkultur im osmanischen Reich und im indischen Mongulreich ist auf einer anderen Ebene wie in den Ritterburgen, da stank es ja fürchterlich. Also im 15. Jahrhundert gehörte Europa nicht zu den führenden Weltgegenden, aber im 19. Jahrhundert war es so. Im 19. Jahrhundert hat Europa den Rest der Welt, jetzt mal USA zählen wir jetzt mal fast zu Europa mal dazu, hat den Rest, ich meine jetzt mal zivilisatorisch,
sind ja Europäer, die ausgewandert sind, am Ende vom 19. Jahrhundert hat Europa die Weltherrschaft und hat kolonial, alles andere waren dann Kolonialmächte. Wie kann diese Veränderung sein? Also jetzt gehen wir mal A zu den wichtigsten Erfindungen und Entdeckungen. Ich nenne sie euch jetzt mal die wirklich Wichtigsten, die muss man mal gehört haben, sonst eiert man im Nebel rum. Also wir brauchen klare, verlässliche Bildungsschritte. Die wichtigsten Erfindungen, die sind sogar ein bisschen vor dem 15. Jahrhundert, wirken sich aber im 15. Jahrhundert dann immer stärker aus, das ist zunächst mal die Erfindung der mechanischen Uhr. Es gab in der Antike eine Sanduhr und eine Sonnenuhr, mehr gab es nicht. Aber jetzt wurde eine mechanische Uhr erfunden mit einer ganz anderen Pünktlichkeit, wo es um Minuten geht und diese Uhren wurden zunächst am Kirchturm angebracht
und wenn der Bauer auf dem Feld war, brauchte er keine Sonnenuhr und Sanduhr in der Nacht, tagsüber Sonnenuhr, Sanduhr in der Nacht, sondern da gab es dann Schläge, Viertelstunde und so. Und jetzt wurde eine Zeitstrukturierung, die veränderte nun wirklich. Ihr müsst euch bei jeder dieser Erfindungen mal versuchen klar zu machen, was sich dadurch alles ändert. Das könnt ihr in zwei Minuten nicht mal ahnen, das sind wirklich, die ganze Lebenswelt ändert sich. Das Zweite ist die Erfindung der Brille. Also ich bin ja sehr sehbehindert, ich sehe nur 10 Prozent, zeitweise konnte man das mit einer Brille auffangen, aber im Mittelalter wäre ich der Dorfdepp. Ich hätte keine Chance mehr, mit meinen Augen wäre ich der Dorfdrottel. Bin ich aber schon froh, dass es Brillen und Folgen, also die Erfindung der Brillen, ihr Brillenträger, überlegt mal.
Dann die Erfindung vom Kompass, kann man die Schifffahrt von der Küste mal wegkriegen. Kolumbus, ohne dass vorher der Kompass erfunden worden, da gäbe es keinen Kolumbus. Dann jetzt kommt die Erfindung des Buchdrucks, überlegt mal, was sich dadurch ändert. Dann die Entdeckung Amerikas, mithilfe des Kompass. Dann, dass die Erde sich um die Sonne dreht, Copernicus, das ändert ja wahnsinnig. Gut, also das sind mal so die ersten, ich sag nochmal, die Erfindung der mechanischen Uhr, der Brille von Kompass, Buchdruck, Entdeckung Amerikas und die copernikanische Wende Galilei. Jetzt müssen wir mal militärtechnisch. In dieser Zeit wird erfunden das Schießpulver und damit das Gewehr. Also fünf Soldaten von Kolumbus konnten 800 Indianer, keine Chance, bis die Pfeile abgeknallt.
Also mit fünf Gewehren kannst du 2000 Indianer in Panik versetzen, Azteken, Inkas, Mayas. Dann aber die Erfindung der Granate und das Geschützrohr. Das sind Erfindungen. Europa hat vor Wien dann das Osman, weil die Erfindung von Geschütz und Granate war in Europa, die Osmanen hatten es nicht. Und da wurden die Osmanen aus Europa hinausgebombt mit Geschütz und Granate. Napoleon war in Ägypten mit, ich glaube, acht Geschützen und 20.000 Leute in Ägypten sind abgehauen, weil die haben mal ein paar Mal gedonnert, die Granate ist explodiert, 30 Pferde sind tot, umgefallen, 20.000 Leute in Panik geflohen.
Das sind die militärtechnischen Erfindungen, die verändern die Welt wahnsinnig. Dann wird erfunden das Fernrohr, das Mikroskop und das Teleskop. Ahnt mal, was sich dadurch ändert. Dann wird zum ersten Mal erfunden, 1600 Sohn zu viel, dass der menschliche Körper einen Kreislauf hat. Das wusste in der Antike kein Mensch. Martin Luther wusste nicht, dass wir einen Kreislauf haben. Wenn eine Leiche rumliegt, da gibt es ja keinen Kreislauf mehr. Es war unbekannt, ein italienischer Arzt entdeckt, wir wissen ja heute, wir haben einen doppelten Kreislauf, einen Körperkreislauf und einen Lungenkreislauf. Also das ist eine Entdeckung im 1620 oder so. Dann bleiben wir mal jetzt bei der Medizin, die Entdeckung der Röntgenstrahlen und der Narkose. Jetzt gehen wir mal in die Technik. Es wurden Motoren entwickelt, Turbinen und es entstanden Labore. Es gibt in der Antike kein einziges Labor. Es wird auch jetzt Geschichte, also greife ich ein bisschen vor, Fossilien.
In der Antike sucht kein Mensch nach Fossilien, das gibt es nicht. Also Maschinen, Turbinen, Labore, es entsteht die Dampfschifffahrt, es entsteht Fabriken, jetzt kommt die Industrialisierung, die verändert ja ungeheuer. Jetzt entsteht auch eine ungeheure Verstätterung, Urbanisierung. Bis ins 19. Jahrhundert lebten jahrtausendelang die meisten Menschen auf dem Land, 90, 95 Prozent waren Bauern und Hirten, gab einige wenige. Aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten in England, Deutschland und Frankreich mehr Menschen in einer Stadt als auf dem Land. Das ist aber eine Veränderung, eine Tiefe, die könnt ihr kaum ermessen.
Also bleiben wir noch mal bei den Entdeckungen. Entdeckt wird also Fabriken, dann die Glühbirne, der elektrische Strom wird entdeckt, dann die Glühbirne, dann die Eisenbahn, dann die Fotografie, dann die Telegraphie, dann das Radio und das Auto. Flugzeug lassen wir mal weg, weil ich gehe nur bis zum Ende vom 19. Jahrhundert. Flugzeug dann Anfang 20. Jahrhundert, Fernseher, Handy, Internet, das lassen wir mal. Das ist nicht postmoderne, das ist einfach eine weiterentwickelte Moderne, die sich auch sehr stark wandelt. Aber es geht immer um den historischen Wandel. Warum bringt der Ausdruck postmoderne nicht viel? Weil auch in der Postmoderne bleibt das Grundprinzip, der historische Wandel wird immer beschleunigter.
Und das ist die Moderne. Die Moderne ist gekennzeichnet durch den zunehmenden beschleunigenden historischen Wandel. Und das ändert wahnsinnig viel. Hat es in der vormodernen Zeit nicht gegeben, kennt auch Jesus nicht und Paulus nicht und David nicht und Mose nicht. Das heißt, wir stehen dann schon vor der Aufgabe, dass wir die biblische Botschaft, die ich über alles schätze und liebe, dass wir die sinngemäß in die Moderne anwenden. Aber da kann man nicht eins zu eins. Wir leben nicht mehr in der biblischen Welt. Gut, die wirtschaftspolitischen, gesellschaftlichen Veränderungen, die mit diesen – ich habe jetzt die wichtigsten Entdeckungen und Erfindungen aufgezählt – und die braucht natürlich eine gewisse Zeit, bis die sich umfassend ausgewirkt haben. Aber ahnt mal, wie tief die Veränderungen sind.
Jetzt gehen wir mal wirtschaftlich gesehen nach den Kreuzzügen 12. und 13. Jahrhundert. Durch die Kreuzzüge entsteht ein intensiver Handel zwischen Abendland und Morgenland. Den hat es vorher nicht gegeben. Durch diesen Handel, der über die oberitalienischen Städte nach Augsburg, die Fugger, entsteht der Frühkapitalismus 14. und 15. Jahrhundert. Und dadurch die ersten Formen des modernen Bankensystems. Durch die Entdeckung Amerikas entwickelt sich eine Hochseeschifffahrt. Die hat es bisher in dieser Form überhaupt nicht gegeben. Man fuhr immer der Küste entlang. Aber diese Hochseeschifffahrt nach Amerika und später überall hin war viel risikoreicher als die Küstenschifffahrt. Deswegen entstehen Versicherungen. Es gibt in der Antike keine Versicherungen. Aber stellt euch mal dein Leben vor ohne Versicherungen.
Die Moderne ist gekennzeichnet durch Versicherungen. Aber das alles, das ist dieser historische Wandel, der immer schneller geht. Durch die Buchdruck und durch die Reformation, ich sage mal nur holzschnittartig, an der Hochschule muss man das mehrere Monate genau behandeln, damit die Leute klar aufgeklärt werden und nicht so rumeiern. Das Bedarf einer Geduld und Sorgfalt, das kann ich nicht in 20 Minuten. Also durch Buchdruck und Reformation entstehen ganz starke Bildungsimpulse. Ich habe in einem großen Festival, Spring, da kommen ein paar tausend Christen zusammen, konservative Christen, haben ein ganzes Programmheft. Kommt das Wort Bildung im ganzen Programmheft nicht vor. Das Wort Bildung kommt nicht vor. Wir leben aber in einer Bildungsgesellschaft mit lebenslangem Lernen. Also durch den Buchdruck, durch die Reformation,
über verschiedene Zwischenschritte entsteht die allgemeine Schulbildung. Die hat es in der ganzen Menschheit der letzten Jahrtausende niemals gegeben, dass alle Kinder einer Gesellschaft, Jungen und Mädchen, eine mehrjährige Schulbildung bekommen. Schulpflicht durch Humboldt in Preußen entsteht 18, ich will jetzt keine Zahlen nennen, wenn Experten zuhören. Also auf jeden Fall, es entsteht die allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen. Hat es niemals in der Menschheitsgeschichte gegeben, dass alle Kinder mehrjährig erst so vier, fünf Jahre, dann sieben Jahre, acht Jahre, später dann zehn Jahre und so weiter. Dann auch, es entsteht die Kleinfamilie. Bisher war das Haus, das Wort Familie gibt es in der Bibel gar nicht. In der Antike gibt es keine Familie. Das Wort Familie entsteht im 18. Jahrhundert. Die heutige kleinbürgerliche Fünf-Zimmer-Wohnung, Mietwohnung mit zwei Kindern, das gibt es in der Bibel wirklich nicht.
In der Bibel gibt es das Haus, ich und mein Haus, aber ein Haus ist was ganz anderes wie die Familie und das ändert auch die Sexualethik, morgen dann. Also aus der Großfamilie oder besser gesagt dem Haus, das sind 20 bis 50 Personen. Entsteht jetzt die kleinbürgerliche Kleinfamilie, die auf Konsum angewiesen ist und die hat die Berufsausbildung der Kinder nicht mehr in der Hand. Das Haus verliert eine Funktion nach dem anderen, es entstehen jetzt Berufsschulen, der Staat übernimmt die Berufsausbildung. Jetzt will ich ein paar andere Dinge nur noch nennen. Es entsteht die Presse, Zeitungen, das gibt es nicht in der Antike. Stellt euch mal ein Leben vor ohne Presse. Es entsteht die Kriminalistik, wissenschaftliche Kriminaluntersuchungen.
Es entstehen Parteien, es entstehen Verfassungen, es entsteht ein Wahlrecht zum ersten Mal in der Menschheit. Stellt euch mal vor, was das für ein Eingriff ist. Zum ersten Mal können Menschen ihre Mächtigen, ihre Regierenden in einem geordneten Prozess wählen oder wieder abwählen. Das müsste man mal im Mittelalter und in der Antike machen, die Monarchen. Es entsteht der Gedanke der Volkssouveränität, alle Regierungsmacht geht vom Volk aus, es entsteht eine Gewaltenteilung, das gibt es in der Antike nicht, zwischen Regierung, Parlament und Justiz. Es entsteht eine Trennung von Staat und Religion, das gibt es in der Antike nicht. Und so durch Ausdifferenzierung der Berufe, des Dienstleistungsgewerbes, entsteht die moderne Zivilgesellschaft. Jetzt breche ich mal hier ab.
Das alles zusammen, wer das nicht würdigen kann, wer das nicht im Blickfeld hat, wer das so abtut, der Mensch war ja immer ein Sünder, stimmt schon. Aber wir wollen den Modernisierungsprozess nicht überschätzen, das gibt es vielleicht auch, nein, das wollen wir nicht, aber auch bitte nicht unterschätzen. Eine realistische Ethik und eine realistische Bibelwissenschaft ist nur möglich, wenn wir die tiefen Veränderungen in diesem Modernisierungsprozess sachgemäß angemessen einschätzen. Das ist die erste Aufgabe, die hat die konservative Christenheit bis heute nicht mal angefangen.
Sie wissen ja in Ihrer Analyse gar nicht, dass das Entscheidende an der modernen Zeit der sich beschleunigende Wandel ist und nicht Atheismus und Rationalismus. Das sind nur, die tauchen mal auf, die gehören auch zur Moderne, sind aber mehr eben Konsequenzen oder Erscheinungsformen, aber nicht die Ursache. Und die Ursache der sich beschleunigende Wandel, wollt ihr den negativ, ist es Sünde, ist die Erfindung von Buchdruck und Fotografie Sünde. Konservative Theologen haben nämlich im 19. Jahrhundert, weil sie diesen Wandel nicht verkraftet haben, es wird eine mobile Gesellschaft, eine dynamisierte mobile Gesellschaft und es entscheidet nicht mehr allein die Geburt über den Stand, sondern jetzt wird leistungsorientiert und vieles andere. Und es war so eine Veränderung, dass nicht wenige konservative Theologen im 19. Jahrhundert gesagt haben, das ist Sünde, das ist Endzeit.
Die Eisenbahn ist Endzeit, bald wird Christus wiederkommen. Also es gibt schon Eisenbahn, also das ist die Hölle, das ist Sünde. Kann man die Beschleunigung des historischen Wandels werten? Wollen Sie das negativ werten? Es entsteht aber auch die Frage, ist es einfach nur positiv? Nein, der Modernisierungsprozess ist ambivalent, aber man kann ihn nicht aufhalten. Wir spüren ihn ja im eigenen Leib, ihr seid ja selber alle Kinder der modernen Welt, ihr müsst euch nur klar machen. Nein, ich würde mal sagen, der modernistische Weg, das sind die Liebhaber des Modernen, die alles Tomaten auf den Augen haben, es wird alles besser. Fortschrittsklaube, nein, ihr habt keinen Fortschrittsklaube, es gibt heute keinen Fortschrittsklauben mehr. Das waren diese rationalistischen Anfänge in der Moderne,
wo man die Vernunft überschätzt hat. Die Vernunft ist schon wichtig, ich werde es gleich sagen. Ohne Vernunft können wir nicht mal den Verkehr von Stuttgart regeln. Irrationalismus ist auch nicht das, was wir brauchen. Die Vernunft hat schon eine bedeutende Rolle, aber die Vernunft ist auch ohnmächtig. Sie kann vieles auch gar nicht. Wie wollen Sie mit Vernunft gegen Geldgier und Machtgier ankämpfen? Hat die Vernunft null Chance. Die Vernunft ist also auch sehr ohnmächtig. Und das haben wir inzwischen gelernt. Heute an der Universität, außer Ingenieure und Techniker, da gibt es noch Rationalisten, aber das mehr so Technokraten. Aber in den Geisteswissenschaften kenne ich keinen Rationalisten mehr an der Uni. Der Rationalismus ist so was von gründlich überholt.
Es gibt heute philosophische Standardwerke, Philosophie der Gegenwart. Da werden zehn, zwölf Strömungen genannt. Da ist der Rationalismus gar nicht mehr vertreten. Auch der kritische Rationalismus völlig ausgespielt. Also der Kampf der Frommen gegen Rationalismus, der ist so was von überholt, das zieht einem die Socken aus. Gut, also das war der erste Schritt. Die Moderne entsteht vom 15. und 19. Jahrhundert. Und zwar, der Kern ist der sich beschleunigende historische Wandel, der sich auch bis heute weiter beschleunigt. Deswegen ist heute in der Moderne der Wandel, der geschichtliche Wandel, ein zentrales Thema für Politik, Wirtschaft, Technik, Ethik und auch für Religion.
Für die Leute, die bewusst in der Moderne leben. In der Antike ist der Wandel gar kein Thema. Durch diesen beschleunigenden Wandel, jetzt kommt der zweite Schritt, ändert sich das Verhältnis des Menschen zur Vergangenheit. Das ist der zweite Punkt, den müsst ihr euch gut merken. Also erster Punkt, die Beschleunigung des geschichtlichen Wandels, dadurch eine Veränderung des Menschen zur Vergangenheit. Jahrtausende lang hat der Mensch in der Kraft der Vergangenheit, das heißt in der Kraft der Tradition, seine Gegenwart gemeistert. Denn die Gegenwart war unsicher, ist ein dünnes Rinnsal, woher bekomme ich die Geborgenheit, die Kraft, um mein Leben zu meistern? Aus der Tradition, aus der Vergangenheit. Denn in der Vergangenheit hat sich ja lang bei den Vätern gezeigt, was sich bewährt. Die Tradition schafft die Kraft und die Geborgenheit, in der der Mensch die Gegenwart meistern kann.
Vergangenheit und Gegenwart sind ganz eng beieinander, denn die Vergangenheit ist die Geborgenheit, das bewährte und in Kraft dieses Bewährten meister ich die Gegenwart. So war es jahrtausendelang. Aber jetzt durch den sich beschleunigenden historischen Wandel wird die Vergangenheit immer vergangener. Die Vergangenheit ist ja das, wo es noch keine Fotografie gab. Da gab es auch noch keine Gewerkschaft, da gibt es auch noch keine Zeitung. Die Sibklässler sagen, es hätte doch Cäsar in der Zeitung lesen können. Da muss man sagen, damals gab es noch keine Zeitung. Und dadurch kommt dieses Überlegenheitsgefühl, wie blöd waren denn die früher? Die haben ja nicht mal eine Zeitung gehabt. Dadurch kommt diese Gefahr, dass wir so arrogant werden, weil die Vergangenheit, da kommt ein historischer Graben. Die Vergangenheit ist jetzt nicht mehr dicht bei der Gegenwart, Geborgenheit und Kraftquelle, sondern die Vergangenheit rückt weit weg.
Das ist die Zeit, wo es das und das und das und das noch nicht gegeben hat. Jetzt kann also die Vergangenheit nicht mehr die Hilfe sein, wie in einer Zeit des langsamen geschichtlichen Wandels. Nicht, weil die Menschen schlechter werden. Ihr dürft es nicht emotional, ethisch oder privatistisch interpretieren. Das sind grundlegende Änderungen, die euch genauso treffen wie mich. Da kann niemand privat was dafür. Wenn die Scheidungsquoten heute zehnmal so hoch sind, nicht, weil die Leute schlechter werden, sondern das hängt mit diesen Wandlungsfaktoren zusammen, die muss man erstmal angemessen in den Blick bekommen. Das ist noch eine Zukunftsaufgabe für die konservative Christenheit.
Sie hat die Wandlungsfaktoren bis heute nicht angstfrei, unbelastet, fair, sachlich analysiert. Sofort apologetisch. Gleich irgendwie mit Bedenken. Da merkt man, sie bewältigen das nicht. Gut, also zum Beispiel dieser Wandel in der Vergangenheit, dass wir ein anderes Verhältnis bekommen, zeigt sich auch in den Erzählformen. Bis ins 19. Jahrhundert erzählte man Sagen, Legenden, Fabeln, Märchen, Mythen. Das ist die Erzählung einer Welt mit langsamem geschichtlichem Wandel. Die Märchen, ich halte sehr viel von Märchen, wir können heute noch sehr viel aus Märchen lernen, gar keine Frage. Trotzdem muss man jetzt mal sagen, Märchen erzählen eine Welt, als ob sie immer die gleiche bleibt. In Märchen gibt es keinen gesellschaftlichen Wandel.
Ist einfach nur gar kein Thema. In Fabeln auch nicht, in Legenden auch nicht, in Parabeln auch nicht, in Mythen auch nicht. Jetzt kommt die Reportage, der Bericht, die Recherche. Es kommen ganz neue Formen, die eben den Wandel berücksichtigen. Heute leben in Stuttgart in einem Drittel aller Wohnungen Singles. In der Antike gibt es gar keine Singles. Aber in einer modernen Hauptstadt zunehmende Tendenz, ein Drittel der Wohnungen sind Single-Wohnungen. Da taucht auch die Frage auf, sollen Singles ihr Leben lang auf Sex verzichten? Kann da eine konservative Ethik? Jetzt kommt die Frage, können die Antworten in der vormodernen Zeit, als die Tradition alles noch, die höchste Autorität war die Tradition.
Die Tradition hat die Erziehung geleitet, die Sozialisation, alles die bewährte Tradition. Aber die Tradition kann nicht mehr die Hilfe sein, wenn sich die Welt immer schneller wandelt. Die Tradition kann einen auch blockieren. Bisher war die Vergangenheit eine ungeheuer schöne Hilfe. Der Mensch hat es auch erlitten, dass diese Hilfe wegbrach. Das war schmerzlich. Diese Geborgenheitskraftquelle der Vergangenheit, der Tradition kann nicht mehr in jedem Fall helfen, weil die Dinge ändern sich. Und wer zu sehr fixiert ist auf Tradition, der verpasst den Anschluss. Die Tradition kann auch blockieren. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Also die Tradition ist jetzt nicht mehr eine selbstverständlich unbefragte Autorität, die immer hilft.
Man muss jetzt von Fall zu Fall sehen, hilft sie noch. Ja, sie kann schon oft noch helfen, aber oft auch nicht mehr. Gut, also wir haben jetzt zwei Schritte. Der erste Schritt, die Beschleunigung des geschichtlichen Wandels. Bitte nicht werten, sondern bewältigen. Das ist die Aufgabe. Sich nichts mehr vormachen, sich nicht in eine konservative Sonderwelt flüchten. Durch diesen historischen Wandel bekommt der Mensch ein anderes Verhältnis zur Vergangenheit. Er löst sich jetzt stärker aus der Vergangenheit, denn die Vergangenheit war auch eine ungeheure Macht. Sie hat den Menschen abgestempelt. Du bist ein Schustersohn, dann wirst du Schuster. Ganz klar. Mädchen mit 14 verheiratet, mit 25 sieben Kinder, mit 31 Großmutter. So ist das und so wird es immer sein. Pass dich mal an. Nein, jetzt durch den Wandel werden Alternativen denkbar.
Solange der Wandel gar nicht bemerkbar ist, herrscht die Tradition und es sind gar keine Alternativen denkbar. Könige gibt es immer. Jetzt merkt man, die Adligen, die Könige könnte man eigentlich auch abschaffen. Das ist nicht naturnotwendig. Gut, jetzt kommt der dritte Schritt. Ich muss mich ein bisschen kürzen. Fünf Schritte sind es. Der erste Schritt ist grundlegend. Das ist wie ein Reißverschluss. Wenn ihr nicht die Beschleunigung, ich habe in keinem buch, christlichen buch außerhalb der Universität, habe ich diese Erkenntnis jemals im Leben gelesen. Und deswegen werden die Leute auch nicht gut emanzipiert. Weil das ist wie beim Reißverschluss. Die Beschleunigung des geschichtlichen Wandels muss klar als der entscheidende Punkt erkannt und ausgewertet werden.
Wo das durch irgendwelche christliche Barrieren nicht möglich ist, habt ihr ein Problem. Also jetzt der dritte Schritt heißt, es entsteht in Europa das historische Denken. Das hat es nie vorher in der Welt gegeben. Nicht weil die Leute blöder waren. Die Lesen konservativen Büchern, Platon und Augustinus waren doch mindestens so gescheit wie die heutigen eingebildeten Universitätsprofessoren. Ach du liebe Zeit, was soll man da sagen. Ja natürlich waren die mindestens so gescheit. Selbstverständlich. Platon waren Genie, Augustinus waren Genie. Die waren viel klüger als 99 Prozent der heutigen Universitätsprofessoren. Aber sie konnten nicht historisch denken, weil sie den Modernisierungsprozess nicht erlebt haben.
Das ist doch keine Kritik an Platon. Aber von Platon können wir keine und Aristoteles bei allem Respekt. Ich habe hundertprozentigen Respekt vor Platon, Aristoteles und Augustinus und Thomas von Aquin. Aber für die moderne Welt haben sie nicht erlebt. Sie haben den Modernisierungsprozess nicht erlebt. Und nur durch diesen Modernisierungsprozess lernt man, wie tief sich alles wandelt. Es wandelt sich nicht nur Technik und Wirtschaft, sondern auch Ethik, Sprache, Denken. Auch die Vernunft wandelt sich. Denn die Vernunft ist auf Sprache angewiesen und die Sprache wandelt sich. Also jetzt entsteht das historische Denken. Und jetzt will ich mal ganz einfach und klar sagen, was ist das historische Denken. Die Entdeckung im historischen Denken, die ist nur möglich, wenn man miterlebt, wie die mittelalterliche Welt,
wie wir aus der mittelalterlichen Welt nach dem 15, 16, 17, 18 Jahrhundert ausgestiegen sind. Und was sich da alles auf allen Ebenen, Großfamilie, Kleinfamilie, Adlige weg, aus Untertanen werden Bürger und Verstätterung, Urbanisierung, Kleinfamilie, Schulpflicht und so weiter. Also das merkt man jetzt, was sich da alles wandelt. Und jetzt heißt historisches Denken, erkennt die historische Bedingtheit der gesamten menschlichen Lebenswelt. Das ist historisches Denken. Das gibt es in der Antike nicht und kann es nicht geben, weil der Ermöglichungsgrund ist, dass du die schnelle Veränderung am eigenen Leib, Mode und alles Mögliche, dass du das am eigenen Leib spürst und dass du das nicht mehr ignorieren kannst. Es wandelt sich tatsächlich sehr viel.
Und dann kommt es zur Erkenntnis, die ganze menschliche Lebenswelt ist historisch bedingt. Das heißt, sie ist geschichtlich gewachsen und kann auch geschichtlich abgeändert werden. Es können tatsächlich Mädchen auf die Schule gehen, das hätte in der Antike niemand für möglich gehalten. Und es können Frauen eine Doktorarbeit schreiben. Die erste Frau 1904 Doktorarbeit. Heute schreiben in der Bundesrepublik alle Doktorarbeiten 55 Prozent Frauen, 45 Prozent Männer. Und da gibt es christliche Gruppen, die sagen, Frauen dürfen nicht leiten. Ja, in der Antike waren Frauen Analphabeten. Die haben nicht lesen und nicht schreiben können. Wie wollen denn die eine Gemeinde leiten? Das geht wirklich nicht. Wie wollen denn die die Heilige Schrift lesen? Die haben ja keine Woche in der Schule zugebracht.
Aber heute schreiben die Doktorarbeiten. Jetzt gibt es tatsächlich fromme Leute, die meinen, dass man die Genderrolle der Frau im Neuen Testament, die waren Analphabeten, dass man die, das ist biblisch, wenn man das heute anwendet. Nein, das ist nicht biblisch, das ist granatendoof. Da brauchst du gar keine Bibelstelle. Du kannst doch das Problem nicht mit der Bibelstelle. Die Frauenrolle heute ist eine völlig andere. Berücksichtigt den historischen Wandel. Der Fundamentalismus kann das nicht. Der muss alles aus der Bibel zack, bumm. Also es entsteht das historische Denken. Und das historische Denken heißt, alles ist geschichtlich gewachsen und veränderbar. Das meint nicht, dass es auch Dinge gibt, die immer gelten. Das muss ich jetzt mal einfließen. Natürlich gibt es Wahrheiten über den Menschen, die werden immer gelten durch allen Wandel hindurch.
Selbstverständlich. Also ich sage mal ein paar Sachen. Der Mensch will immer geliebt sein. Das war schon so in der Altsteinzeit. Der Mensch will geliebt sein, geachtet sein. Er will Teil einer Gemeinschaft sein. Isolation ist schlecht. Und der Mensch hat Ängste, der Mensch hat Sorgen und der Mensch hat Sehnsüchte. Ja, Amen, Halleluja. Das stimmt immer. Aber mit der Betonung dieser Dinge darfst du nicht den Fehler machen, die Bedeutung des historischen Wandels zu unterschätzen. Weil Liebe, der Mensch will geliebt sein, aber heute drückt sich vielleicht Liebe anders aus. Also es gibt Dinge, tiefe Existenzwahrheiten über den Menschen, die immer bleiben. Das ist unbestritten. Kein vernünftiger Mensch bestreitet das. Aber es wird konservativ, eine konservative Trick, eine konservative Ideologie, wenn man sagt, guck doch, es ändert sich doch eigentlich gar nicht viel.
Ich habe mal einen evangelikalen Apotheker, habe ihm mal den Vortrag gehalten und melde, dass ich, Herr Zimmer, ich weiß aber einen Text aus Griechenland, da haben sich die griechischen Philosophen auch schon über die schlechten Manieren der Jugendlichen geäußert. Die räumen nicht auf, sie waschen ihre Hände nicht und beim Essen koppen sie da so rum. Also die regen sich doch, da hat sich doch gar nicht viel geändert. Na sage, lieber Bruder Apotheker, den Generationskonflikt, den gibt es tatsächlich immer. Weil die Generationen stehen in einem Konflikt. Das war vor 3000 Jahren nicht viel anders wie heute. Wenn Sie, lieber Bruder Apotheker, dieses Beispiel missbrauchen, um den historischen Wandel zu unterschätzen, dann unterlaufen Sie einem konservativen Irrtum.
Das müsst ihr unterscheiden lernen. Also viertens, es entsteht eine neue Art von Wissenschaft. Die gibt es erst in der Moderne. Und ganz kurz gesagt, in dieser Wissenschaft ist nicht mehr die Tradition die oberste Autorität. Unbefragbar, selbstverständlich, die Tradition hat Recht. Nein, das ist jetzt in der heutigen modernen Wissenschaft nicht mehr. Also die Tradition wird nicht lächerlich gemacht, bitte nicht. Die wird auch geliebt, wertgeschätzt. Aber sie kann nicht mehr diese absolute, ständige Hilfe sein, wie in der vormodernen Zeit. Die Rolle der Tradition kann heute nicht mehr die sein, wie zur Zeit vom Mittelalter und in der Zeit von Jesus. Kann nicht mehr sein.
Sondern was kommen jetzt für neue Autoritäten? Der moderne Wissenschaftsbegriff hat zwei Autoritäten. Die Tradition kann noch eine dritte sein, dort wo sie immer noch sich bewährt und sehr viel Kluges drin ist, das auch auf heutige Situationen anwendbar ist. Aber in vielen Fällen sind die Antworten der alten Zeit auf die Fragen der heutigen Zeit gar nicht mehr anwendbar. Also es kommen zwei neue Autoritäten und die heißen erstens Vernunft und zweitens Erfahrung. Die Vernunft muss jetzt in einer Zeit des ständigen Wandels, welche Autorität haben wir noch, wenn die Tradition nicht mehr die entscheidende Autorität ist. Die Bibel würde da auch zur Tradition gehören. In diesem Sinn, die Bibel ist schon was einzigartiges. Aber zunächst ist sie ja ein Buch vor 2000 Jahren in einer vorderorientalischen Kultur. Und das können wir nicht einfach übersehen.
Also nein, die Vernunft und zwar die Vernunft kennt ja jeder Mensch und deswegen kann die Vernunft ein Friedensband sein, ein Verständigungsmittel. In der Zeit wo sich alles ändert, auch die Glaubenskriege katholisch, evangelisch, jetzt bekriegen die sich noch im 30-jährigen Krieg. Religion wird jetzt auch unsicher. Jetzt kommen die verschiedenen, großkatholisch, kalvinistisch, lutherisch, anglikanisch, baptistisch, methodistisch. Das weiß man ja gar nicht mehr. Also wir können auch nicht vom Glauben her diese Dinge klären, weil nicht alle Menschen gläubig sind. Also es bleibt nur die Vernunft als eine Autorität, die jeder Mensch anerkennen kann. Denn mit Hilfe der Vernunft können wir auch den historischen Wandel analysieren und auch ein Stück weit gestalten. Also wir wollen die Vernunft nicht überschätzen. Das hat man am Anfang im 19. Jahrhundert getan. Das ist längst korrigiert.
Mit der Vernunft kannst du gegen Adolf Hitler auch nicht viel machen. Das weiß man heute. Also das Zweite ist die Erfahrung. Die Erfahrung spielt natürlich auch in der Antike eine große Rolle. Märchen sind voller Erfahrung. Aber es ist immer die Erfahrung, die zur Tradition passt. Die die Tradition bestätigt. Jetzt kommt die moderne Erfahrung. Das ist eine andere wie die antike Erfahrung. Die moderne Erfahrung wird zum Kriterium des Wandels. Also wir müssen jetzt empirisch arbeiten. Statistische Erhebungen, Meinungsumfragen. Es gibt in der Antike keine Meinungsumfragen, keine statistische Erhebung. Braucht man nicht. Aber jetzt stellt man fest, in Stuttgart jede dritte Wohnung eine Single-Wohnung. Das kannst du nur durch statistische Erhebungen und Befragungen.
Das ist jetzt moderne Erfahrung. Die Erfahrung der Änderung, die Änderungen in der Gesellschaft zeigen sich in veränderten Erfahrungen. Du machst jetzt andere Erfahrungen. Jetzt wird die Erfahrung zum Kriterium der Veränderung. Und das muss man wissenschaftlich berücksichtigen. Also die moderne Wissenschaft hat zwei Autoritäten, sind keine absoluten Autoritäten. Ist ja keine Religion. Aber die zwei Autoritäten sollten wir würdigen. Was wäre denn sonst in Frage gekommen? Gibt gar keine andere Möglichkeit. Also die Autoritäten der moderne Wissenschaft sind Vernunft und empirische Erfahrung. Nicht Märchenerfahrung. Empirische Statistik, Umfragen und so wird es erhoben. Und jetzt kommt der letzte Punkt. Damit bin ich fertig. Wahrscheinlich bin ich weit über der Zeit.
Der fünfte Punkt ist, in dem modernen Wissenschaftsverständnis kommt das Wort Kritik auf. Das Wort Kritik ist der Leitbegriff der modernen Wissenschaft. Und wenn das das konservative Christentum nicht erkennt, woher das kommt und sondern dagegen polemisiert, ist ein Schmampf von vorn bis hinten. Also das Wort Kritik. Wie kommt es so 1780, 1800, 1810, so in diesem Bereich dieser 30 Jahre wird ein Begriff erfunden, den es vorher nicht gibt. Nämlich das Wort kritisch. Martin Luther und die pietistischen Väter kennen dieses Wort gar nicht. Die wissen gar nicht, was ist kritisch. Weil das Wort gibt es gar nicht in der Zeit. Kritisch meint folgendes, das kommt von dem griechischen Wort Grinnein.
Da kommt übrigens auch das Wort Krise her. Das ist aber ein anderes Kapitel. Grinnein heißt im Griechischen unterscheiden. Und jetzt dieses Wort kritisch im Sinne der modernen Wissenschaft. Wenn ihr das inhaliert und versteht, öffnet sich die Tür zur modernen Bibelwissenschaft. Sonst nicht. Ihr könnt sie nur missverstehen. Also das hängt an dem Wort kritisch. Heißt ja auch historisch kritische Forschung und so weiter. Was ist mit diesem Wort kritisch gemeint? Also mach mal ein Beispiel. Im 19. Jahrhundert entstehen jetzt kritische Textausgaben. Das hat es nie vorher gegeben. Also es gibt jetzt eine kritische Textausgabe über Aristoteles, über Augustinus, über Martin Luther, die Weimarer Ausgabe. Es gibt eine kritische Ausgabe, eine Kant, Immanuel Kant, obwohl der ja gerade 100 Jahre alt ist.
Und es gibt eine kritische Hölderlin-Ausgabe. Kritische Ausgabe Hölderlin. Kritische Ausgabe Immanuel Kant. Das meint nicht, dass da Kant kritisiert wird und fertig gemacht wird. Oder kritische Hölderlin-Ausgabe heißt nicht, dass Hölderlin kritisiert wird. Balla, balla. Ich versuche wirklich mal diese unglaublichen Missverständnisse, die lähmen die Christenheit. Nein, kritisch in dieser wissenschaftlichen Sprache, das Wort Kritik ändert sich nämlich bei Bismarck und in der Weimarer Republik. Wenn wir das Wort kritisch verwenden, haben wir den Wandel der letzten 80 Jahre, so sagen wir, Kritik. Aber als das Wort kritisch erfunden wurde, 1780, 1800, hatte es nicht diese Bedeutung. Sondern es meint einfach sorgfältig unterscheiden. Was wird unterschieden? Die Zeiten.
Dass ihr die Zeiten unterscheidet. Dass ihr nicht, wenn ihr ein mittelalterliches Buch lest, dass ihr einfach eure Denkgewohnheiten, euer Lebensstil, eure Umwelt in diese Schrift einfach hineinfantasiert. Nein, die Schrift ist 1000 Jahre alt. Sagen wir mal, bei einer kritischen Kant-Ausgabe heißt es, wenn Kant von Pflicht redet, meint er mit Pflicht nicht das, was wir heute unter Pflicht verstehen. Er meint was anderes. Das ist eine kritische Ausgabe. Das heißt, ihr müsst unterscheiden zwischen dem Wort Pflicht heute und dem Wort Pflicht zu Kantzeiten. Ihr müsst die Zeiten unterscheiden. Deswegen auch Bibelkritik. Bibelkritik meint nicht, dass die Bibel kritisiert wird, sondern ihr müsst methodisch ernst nehmen. Das ist nicht eure Sprache, eure Sprachgewohnheiten, euer Alltagsdenken.
Das ist eine andere Quelle. 2000 Jahre alt. Da müsst ihr damit rechnen, dass ihr hier nicht alles hineinfantasieren könnt. Ihr müsst diese Dokumente aus ihrer Zeit heraus verstehen. Das meint Kanonkritik, Textkritik, Literarkritik, Redaktionskritik. Also im wissenschaftlichen Gebrauch meint Kritik nicht, dass ich etwas kritisiere. Das kommt erst später auf. Sondern es meint, dass ich methodisch überprüfbar ältere Dokumente aus ihrem Kontext zunächst einmal interpretiere, aus ihrer Zeit heraus verstehe. Und dann kann ich in einem zweiten Schritt dieses Dokument auf die heutige Zeit angemessen beziehen. Aber ich muss einen geschichtlichen Text erst einmal aus seiner Zeit. Was wollte der Autor ursprünglich seinen Lesern sagen?
Vielleicht was anderes, wie du denkst. Und vielleicht was anderes, wie dir Recht ist. Und deswegen ist auch in der modernen Bibelwissenschaft, wir müssen die Bibel erst einmal unterscheiden. Sie ist ja nicht im Schwarzwald entstanden und auch nicht in Texas, sondern sie ist im vorderen Orient entstanden. Und der Autor zu seinen Lesern wollte vielleicht was anderes sagen, wie einem heutigen Texaner Recht ist. Oder einem heutigen Jesus-Freaky. Also wir müssen selbst kritisch werden. Wir müssen auch die Bibel gegen uns lesen. Also in der modernen Bibelwissenschaft sagt man, die Bibel muss erst einmal ihr Wort sagen dürfen. Auch wenn das ein sperriges ist und der Bischof nicht hören will und wenn das unserer Bibelsicht vielleicht gar nicht entspricht. Ja, da müssen wir halt unsere Bibelsicht ändern. Also kritisch meint, berücksichtige den Unterschied der Zeit und der Kultur.
Jetzt zur Zeit von Bismarck und in der Weimarer Zeit ändert es durch die Zeitungen, durch die Presse. Jetzt wird Kritik, jemand kritisieren heißt jemand angreifen, seine Schwachstellen. Kritik heißt jetzt auch jemand fertig machen, jemand abwerten. Jetzt müsst ihr wirklich wissen, das ist ein späterer Begriff von Kritik. Der wissenschaftliche Begriff von Kritik schließt die Würdigung dieses Dokumentes voll mit ein. Also meint nicht ein abwerten, gar nicht. Gut, ich fasse zusammen, das ist jetzt mal ein Versuch in einem Vortrag, das dauert ein Semester. Aber trotzdem, mit viel Herzblut habe ich jetzt mal gedacht, ihr macht den Versuch zu einem wirklichen tieferen Bildungsverständnis.
Denn wenn Unbildung zum Vorteil wird, das ist nicht gut. Wenn ihr ein religiöses Konzept habt, wo man sich sagen muss, ich will das alles gar nicht wissen, Unbildung ist eigentlich für meinen religiösen Frömmigkeitstil ein Vorteil, dann habe ich Sorge. Es ist schon gut, wenn wir uns den Dingen stellen. Also was ist das Moderne an der Moderne? Ich habe fünf Thesen als Antwort. Das Moderne besteht in dem sich beschleunigenden historischen Wandel. Dadurch verändert sich das Verhältnis des Menschen zur Vergangenheit. Die Vergangenheit kann nicht mehr die Hilfe sein, wie sie jahrtausendelang war. Die Zukunft wird wichtiger. Der Mensch kann sich aber auch von der Macht, von der abstempelnden Macht der Vergangenheit lösen. Insofern hat das historische Denken eine sehr befreiende Kraft.
Es entsteht drittens das historische Denken. Das historische Denken erkennt die grundsätzliche historische Bedingtheit jeder menschlichen Lebenssituation. Die ist historisch gewachsen und sie kann sich historisch noch ändern. Dadurch entsteht ein moderner Wissenschaftsbegriff, bei dem nicht mehr die Tradition die oberste Autorität ist, sondern die Vernunft in Kombination mit der empirischen Erfahrung. In dem Zusammenhang taucht das Wort kritisch auf. Es meint, dass ich sorgfältig Rechenschaft ablege. Dass ich mit meinem Denken und meinen Sprachgewohnheiten und meinem Tellerrand nicht einfach in ein älteres Dokument alles des hinein fantasieren kann, was ich gern hätte,
sondern kritisch heißt, berücksichtige, dass dieser Text und dieses Dokument in einer anderen Zeit und in einer anderen Kultur ursprünglich geschrieben wurde. Und was wollte der ursprüngliche Autor seinen ursprünglichen Lesern, Leserinnen sagen? An dieser Frage dürfen wir nicht einfach vorbeigehen.
Das Verständnis der Moderne als ein Schlüssel zum angemessenen Verständnis von biblischen Texten | 5.7.2
Der Vortrag lässt sich am einfachsten als eine Art Prostatakrebsvorsorge-Untersuchung für den christlichen Glauben beschreiben. Vor dieser – auch gerne als »große Hafenrundfahrt« bezeichneten – Untersuchung haben viele Männer Scheu. Dabei tut sie nicht wirklich weh, ist aber unangenehm. Je nach Empfinden sogar sehr! Außerdem fürchten sich viele Männer vor Schmerzen, aber auch vor Schäden, die diese Untersuchung verursachen kann. Allerdings kann man nach Abschluss der Untersuchung die »Dinge« klarer einschätzen und muss nicht im Vagen verbleiben. Ganz ähnlich wird es der konservativen Christenheit mit diesem Vortrag gehen. Einige sensible Stellen wie das angemessene Verständnis der biblischen Botschaft, die Übertragbarkeit von biblischen Aussagen auf die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts, die Tatsache, dass biblische Gestalten nicht alles das gewusst haben, was der heutige Mensch weiß, werden gestreift und dabei gezeigt, dass ein konservatives Schwarz-Weiß-Denken weder hilfreich noch intelligent ist. Aber dafür bietet Siegfried Zimmer in diesem Vortrag viele gesunde Erkenntnisse an – ohne auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen. Er weiß auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dass der Modernisierungsprozess auch ambivalent ist und dass ein Überlegenheitsgefühl des modernen Menschen gegenüber Menschen vorheriger Epochen deplatziert ist. Doch statt auf die Herausforderung der Moderne mit Weltflucht in religiöse Schneckenhäuser zu reagieren, hat Zimmer ein anderes Rezept für die Christenheit: Es gilt die Beschleunigung des historischen Wandels nicht zu bewerten, sondern zu bewältigen!
Damit erweist sich dieser einundsechzigste Worthaus-Vortrag auf eine überraschende Weise als absoluter Basis-Vortrag. Hier wird thematisiert, warum Worthaus entstanden ist. Mit dem Kampf Zimmers um ein angemessenes Verständnis der Moderne wird deutlich, warum der christliche Glaube heute zwingend eine Bildungskultur benötigt, um seine biblische Botschaft in das Hier und Jetzt zu tragen. Denn eine 1:1-Übertragung biblischer Texte in die Gegenwart greift nicht nur zu kurz, sie ist nicht nur zu leichtfertig, sie stellt ganz klar einen gravierenden Missbrauch dar. Stattdessen muss genau berücksichtigt werden, in welcher Zeit, in welcher Kultur und mit welcher Intention ein Text ursprünglich entstanden ist. Alles andere führt in Sackgassen und mitunter zu schweren Missverständnissen.