Ich möchte mit Ihnen heute Morgen über die Gottesfrage heute nachdenken. Die hat sich in den letzten Jahrhunderten, muss man sagen, wesentlich verändert, wenn man über die Gottesfrage heute sich Gedanken machen möchte. Früher war gewiss, dass es Gott gibt. Und in unseren breiten Kragen waren auch alle davon überzeugt, dass es den christlichen Gott gibt. Alle Menschen haben an ihn geglaubt. Sie sind im christlichen Glauben aufgewachsen, sind mit dem christlichen Glauben gestorben. Zwar hat man intensiv theologisch darüber gestritten, wie muss man den denn eigentlich genauer verstehen, den christlichen Glauben, wie muss man den christlichen Gott denken wie Jesus Christus. Da gab es immer wieder massive theologische Streitigkeiten, die auch zur Trennung der Konfession geführt haben. Aber dass es Gott gibt und dass der christliche Gott der richtige Gott ist,
das war damals unstrittig. Selbst in der Aufklärung, als plötzlich die Vernunft so wichtig wurde, hat man meistens den christlichen Glauben nicht in Frage gestellt. Man hat bestimmte christliche Inhalte überprüft, ob die eigentlich mit der Vernunft noch zusammenpassen und diejenigen, bei denen man der Meinung war, nein, das passt nicht zur Vernunft, das steht im Konflikt mit der Vernunft, die hat man kritisiert. Aber grundsätzlich war der christliche Glaube nicht problematisiert. Das hat sich geändert in der Moderne mit dem Aufkommen der Religionskritik. Und ich möchte Sie zunächst mit den Grundgedanken der Religionskritik konfrontieren, weil ich glaube, dass man über die Gottesfrage heute nicht nachdenken kann, ohne die Religionskritik aus dem 19. und 20. Jahrhundert zumindest kurz wahrzunehmen. Der wichtigste Denker an diesem Punkt war der Philosoph Ludwig Feuerbach,
der 1804 geboren ist. Feuerbach hat Theologie studiert und Philosophie, und das merkt man seinen philosophischen Texten auch an, weil er sich sehr gut in der christlichen Tradition auskennt. Er hat zunächst eine kleine Schrift veröffentlicht mit dem Titel Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, und er wusste, dass Sprengstoff in dieser Schrift ist, deswegen hat er sie anonym veröffentlicht, damit keiner herausfindet, dass dieser Text eigentlich von ihm ist. In dieser kleinen Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit hat Feuerbach die These vertreten, dass der Glaube an einen persönlichen Gott und an die Unsterblichkeit nichts anderes ist als Egoismus. Auf Nachfragen war er nicht bereit abzustreiten, dass der Text von ihm kommt, da war er dann doch ein bisschen mutiger als im Vorfeld, und das hat bedeutet, dass ein akademischer Laufbahn fortan für ihn ausgeschlossen war. Er hatte aber das Glück, dass er reich geheiratet hat. Er hat eine sehr wohlhabende Dame, eine Fabrikantentochter geheiratet,
und die hat dann sichergestellt, dass er weiter publizieren und Texte schreiben konnte und seine provokanten Thesen auch weiterhin vertreten konnte. Aber eben nicht mehr in einem offiziellen Dienstverhältnis, sondern seine Frau hat einfach dafür gesorgt, dass er überleben konnte. Der wirkmächtigste Text, den Feuerbach geschrieben hat, ist das Buch Das Wesen des Christentums von 1841. Und dieses Buch hat Philosophen Generationen nach ihm beeinflusst. Feuerbach behauptet in diesem Buch, dass Religion nichts anderes ist als die Projektion des eigenen menschlichen Wesens, und zwar des eigenen menschlichen vollkommenen Wesens, in den Himmel. Also dass man im Gottesgedanken, wenn man sagt, Gott ist vollkommen, allmächtig, allwissend usw., dass man da eigentlich nur das, was der Mensch selber schon ist, in Gestalt gießt. Ich möchte Ihnen kurz versuchen, die Gedanken Feuerbachs darzustellen.
Nicht, weil ich denke, dass es richtig ist, aber weil ich glaube, dass man sich den Provokationen, die Feuerbach damit formuliert, stellen muss. Feuerbachs Argument funktioniert nun so. Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Lebewesen dadurch, dass er ein Bewusstsein von sich selbst hat. Er macht sich Gedanken über sich selbst. Was ist der Mensch? Wie funktioniert der Mensch? Das kann die Kuh oder das Gänseblümchen kann das nicht. Aber der Mensch kann das. Wenn ein Mensch sich einen Gegenstand betrachtet, einen Gegenstand erkennt, dann wird ihm immer auch beim Erkennen dieses Gegenstandes etwas über ihn selbst klar. Ich gebe ein Beispiel. Sie riechen an einer Plume. Da erkennen Sie natürlich zunächst etwas über die Plume, nämlich wie die riecht. Und gleichzeitig erkennen Sie aber daran, dass Sie selber ein Wesen sind, das riechen kann. Also Sie erkennen nicht nur das, was der Gegenstand ist, sondern immer auch gleichzeitig etwas über sich selber. Das macht das Schaf eben nicht.
Das merkt nicht, aha, ich habe ja eine Nase, ich rieche. Aber der Mensch kann das, weil er ein Selbstbewusstsein hat. Das ist das Besondere am Menschen im Unterschied zu allen anderen Lebewesen. Aus diesem Grundgedanken, der Mensch, wenn er einen Gegenstand erkennt, erkennt immer etwas auch über sich selber, folgert Feuerbach. Das Bewusstsein eines Gegenstandes ist immer auch das Selbstbewusstsein des Menschen. Und dann überlegt er, wie ist es eigentlich bei der Religion? Bei der Religion ist es so, dass der Gegenstand der Religion, über diese These kann man streiten, aber Feuerbach sieht das so, dass der Gegenstand der Religion dem Menschen innerlich ist. Der Gegenstand, über den er nachdenkt, ist eben ihm selber. Das bedeutet, der Bewusstsein des Gegenstandes ist in mir, ist auch das Selbstbewusstsein des Menschen, das ich habe. Das Gegenstand des Gegenstandes ist in mir, ist auch das Selbstbewusstsein des Menschen, das fällt hier zusammen, Gegenstandsbewusstsein und Selbstbewusstsein, ist beides in mir drin,
daraus folgert Feuerbach. Die Unendlichkeit, die man in der Religion wahrnimmt, ist nicht eine Unendlichkeit da draußen, sondern eine Unendlichkeit in mir drin, weil Religion in mir drin stattfindet. Das Unendliche, was ich da wahrnehme, ist der unendliche Gegenstand, der ich eigentlich selber bin. Ist das klar geworden? Sie nicken, wunderbar. Also das heißt, was man in der Religion wahrnimmt, ist, dass das menschliche Wesen, die menschliche Natur unendlich ist, göttlich ist. Das erkennt man in der Religion. Was die Religion nun aber macht, ist ein zweiter Schritt, nämlich, dass diese Wahrnehmung des Unendlichen in sich selber vergegenständlicht wird, außerhalb seiner selbst. Also in der Religion stellt man sich das so vor, als ob es – das ist jetzt alles Feuerbachs Redeweise – als ob es da draußen dieses unendliche Wesen gäbe, Gott.
Er schreibt, ich zitiere Feuerbach, Die Religion ist das Verhältnis des Menschen zu sich selbst oder richtiger zu seinem Wesen, aber als das Verhalten zu seinem Wesen als zu einem anderen Wesen. Also in der Religion stellt man sich die Unendlichkeit, die man in sich selber wahrnimmt, so vor, als ob da draußen dieses unendliche Wesen wäre. Er schreibt weiter, das göttliche Wesen ist nichts anderes als das Wesen des Menschen, gereinigt, befreit von den Schranken des individuellen Menschen, verobjektiviert, das heißt angeschaut und verehrt, als ein anderes, von ihm unterschiedenes eigenes Wesen. Ich gebe ein Beispiel, damit es noch ein bisschen anschaulicher wird. Er meint zum Beispiel, wenn man in der Religion sagt, Gott ist die Liebe, ein Grundsatz, den Sie aus dem Neuen Testament kennen, dann meint der Satz eigentlich,
die menschliche Liebe ist göttlich. Also es ist keine Aussage über Gott, sondern es ist eigentlich eine Aussage über die menschliche Liebe. Und Feuerbach meint, das ist natürlich nicht bei dem einzelnen Menschen so, der einzelne Mensch ist fehlbar und hat Grenzen und Schranken, aber das menschliche Wesen ist so. Wenn das Menschen lieben können, das ist etwas göttliches. Oder wenn wir uns vorstellen, dass Gott ein vollkommener Gesetzgeber ist, der vollkommene Gebote gibt, dann ist darin eigentlich gesagt, der Mensch besitzt die Kraft, einer moralischen Vollkommenheit nachzukommen. Also das ist nicht etwas, was da jemand macht, sondern das ist etwas, was Ausdruck von uns selber ist. Also nochmal zusammenfassend, ich zitiere nochmal Feuerbach, Gott ist das offenbare Innere, das ausgesprochene Selbst des Menschen. Und nach Feuerbach liegt in diesem Projektionsvorgang, dass man das nach außen setzt und sich da vorstellt,
da gäbe es einen, der wäre so. Darin liegt die Notwendigkeit der Religion. Anders kann man das gar nicht verstehen, als indem man sich das so vorstellt, als ob das da draußen wäre. Aber Feuerbach meint, nun da sind wir angekommen, wir müssen einen Schritt weiter gehen, Religion muss sich weiter entwickeln. Sie muss den Fehler der Religion jetzt bearbeiten. Nämlich der Fehler der Religion liegt nach Feuerbach, dem Religionskritiker, darin, dass man das da draußen platziert, anstatt zu verstehen, wir sprechen eigentlich über uns selbst. Also deswegen ist das Ziel von Feuerbachs Religionskritik, über diese Funktion von Religion aufzuklären. In der Religion projizieren wir unser unendliches Wesen in den Himmel und Gott als selbstständiges Subjekt aufzuheben, weil wir eigentlich darin nur die Göttlichkeit unserer eigenen menschlichen Natur beschreiben. Deshalb formuliert Feuerbach, das Geheimnis der Theologie, also der Rede von Gott,
ist die Anthropologie, die Rede über den Menschen. Und er meint, er als Religionskritiker muss darüber aufklären, da draußen ist niemand, das ist unsere Projektion, unsere Reflexion über uns selber. Und jetzt müssen wir das wieder realisieren, der Himmel ist leer, wir sind es eigentlich selber. Sie merken natürlich, dass darin ein bestimmtes Menschenbild steckt, also eine Vorstellung von, der Mensch ist eigentlich gut, vollkommen, er kann lieben, er kann die Gebote befolgen und so weiter. Die Sünde des Menschen stellt sich Feuerbach so vor, dass er sagt, die Sünde liegt eigentlich darin, dass der Einzelne das eben nicht kann. Die Menschheit als solche kann es, aber der Einzelne kann es nicht. Dahinter steckt ein Fortschrittsoptimismus, die Überzeugung, die Menschheit macht es eigentlich gut, eine Sicht auf den Menschen, die man wahrscheinlich nach dem 20. Jahrhundert so nicht mehr teilen kann.
Aber Feuerbach in seiner Zeit, die ihm doch noch ganz stark durch die Aufklärungsvorstellung geprägt war, dass der Mensch immer weiter sich entwickelt, er sieht das so. Feuerbach selber meint, er sei kein Atheist, obwohl er sagt, der Himmel ist leer, er sei kein Atheist, weil ein Atheist nämlich nur einer ist, der auch die Göttlichkeit leugnet. Und das tut er nicht, sagt er macht er nicht, er leugnet Gott, Gott gibt es nicht, aber es gibt Göttlichkeit, nämlich die Göttlichkeit dieser menschlichen Eigenschaften, die man sich in der Religion veranschaulicht. Ich sage das so ausführlich über Feuerbach, weil er eben die Religionskritiker in der Folge massiv beeinflusst hat. Karl Marx, dessen Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, hat gesagt, wir müssen alle durch den Feuerbach, um deutlich zu machen, wir müssen alle uns mit diesen kritischen Dingen auseinandersetzen.
Marx hat Grundideen von Feuerbach aufgenommen. Er meint, mit der Religion versuche der Mensch sich nur im irdischen Jammertal zu trösten, anstatt die Welt zu verändern, indem er eben auf ein Jenseits hofft, wo alles besser ist. Marx nimmt das schöne Bild, er sagt, mit der Religion machen wir so Blumen an die Ketten dran, in denen wir hier gefangen sind, anstatt uns von diesen Ketten endlich zu befreien. Auch Friedrich Nietzsche, der hier in Weimar ja bekannt sein sollte, schließt an Feuerbach an, indem er insistiert, die Gottesvorstellung, das brauchen eigentlich nur die Schwachen, die nicht selber mit ihrem Leben zurechtkommen, der Starke braucht keinen Gott. Die Projektionstheorie, die Feuerbach entfaltet, findet sich besonders massiv, später nochmal bei Sigmund Freud, dem großen Psychoanalytiker wieder, der behauptet, der Mensch entwickelt Gott als eine Projektion.
Er macht es jetzt noch ein bisschen anders als Feuerbach, aber dieser Grundgedanke der Projektion findet sich eben auch bei Freud, indem er sagt, die Religion, dass wir Religion haben, gehört zu den wesentlichen Kulturleistungen des Menschen, mit denen der Mensch versucht, mit der Natur fertig zu werden. Freud sagt, das Problem, das wir haben in unserem Leben, ist, dass die Natur uns eigentlich immer wieder als überwältigende, beängstigende Kraft entgegenkommt, denken Sie an Erdbeben, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen, Krankheiten, mit denen der Mensch eigentlich kaum klar kommt und die Kultur des Menschen ist der Versuch, diese Angst, die die Natur bei uns auslöst, zu bewältigen und die Religion ist ein Teil des Versuches, mit dieser Angst fertig zu werden. Und Freuds Behauptung ist nun, indem man in der Religion eine Gottesvorstellung entwickelt, also sich vorstellt, da ist ein anderer, den man adressieren, mit dem man sprechen kann, vermenschlicht man die Natur und kann mit ihr besser umgehen.
Ich zitiere Freud, wenn in den Elementen der Natur Leidenschaften toben wie in der eigenen Seele, wenn selbst der Tod die Gewalttat eines bösen Willens ist, wenn man überall in der Natur Wesen um sich hat, wie man sie aus der eigenen Gesellschaft kennt, dann atmet man auf. Also man kann diese Götter dann beeinflussen, man kann mit denen in ein Gespräch treten, man kann denen die eigenen Ängste sagen, kann wahrnehmen, dass sie selber auch sowas wie Zorn und Leidenschaft und Liebe empfinden, wie man das von sich selber kennt und dadurch wird das, was in der Natur begegnet, plötzlich handhabbar bewältigbar. Man kann die eigene Angst psychisch bearbeiten. Man ist vielleicht noch wehrlos, schreibt Freud, aber nicht mehr hilflos, gelähmt, man kann zumindest reagieren, versuchen die Natur zu beschwören, zu beschwüchtigen, zu bestechen, indem man eben da personale Größen in der Natur annimmt.
Weil trotzdem, sagt Freud, das Gefühl der Unterlegenheit bleibt gegenüber diesen verschiedenen Gottheiten, stellt man sich Gott so vor, dass er wie ein Vater ist, damit das Unterlegenheitsgefühl sozusagen abgefedert wird. Auch dem Vater gegenüber ist man unterlegen, aber doch immerhin ist er freundlich und wohlgesonnen, also kann man damit seelisch nochmal besser umgehen. Und am Ende läuft es darauf hinaus, wenn man merkt, die Natur folgt bestimmten Gesetzen, dass man sagt, na Gott ist dafür zuständig, die Gebote uns zu geben, die Moralvorschriften. Insgesamt, so die kritische These Freuds, macht die Religion die menschliche Hilflosigkeit erträglicher, indem sie alles, was in dieser Welt geschieht, als Absicht einer höheren Intelligenz versteht, die letztlich alles zum Guten lenkt. Wenn ich darauf vertrauen kann, dass hinter allem ein guter Plan steckt, dann komme ich mit der Hilflosigkeit, mit den Dingen, die in meinem Leben passieren, besser zurecht. Doch eine solche Auffassung ist nach Freud, das sagt der Provokant, eine Illusion, also ein irrationaler Weltzugang, eben eine Projektion.
Und er sagt, es wäre schön, wenn es einen Gott gäbe als Welten-Schöpfer und gütige Vorsehung, eine sildliche Weltordnung und ein jenseitiges Leben. Aber es ist doch sehr auffällig, dass das alles so ist, wie wir es uns wünschen müssten. Und Freud sagt, der Mensch muss endlich vernünftig werden und dazu gehört, dass der Mensch, ich zitiere ihn nochmal, sich seine ganze Hilflosigkeit, seine Geringfügigkeit im Getriebe der Welt wird eingestehen müssen. Er wird in derselben Lage sein wie das Kind, welches das Vaterhaus verlassen hat, indem es ihm so warm und behaglich war. Aber der Mensch kann nicht ewig Kind bleiben. Er muss endlich hinaus ins feindliche Leben. Das sind die beiden großen Entwürfe der Religionskritiker Feuerbach und Freud, die, ich glaube, sehr wohl berechtigte Anfragen an manche religiösen Vorstellungen auch stellen.
Also wenn man sich zum Beispiel bei Freud der Auseinandersetzung mit dem Leben verweigert, dadurch, dass man sich in einer Gottesvorstellung oder in Gott irgendwie, in dem Vertrauen in Gott birgt und aber nicht mehr die Dinge anpackt, Angst hat, sich den Dingen wirklich zu stellen. Ich glaube, da hat Freud was Richtiges zu sehen. Seit dieser Religionskritiker schien, ist eigentlich ausgemacht, wer immer noch an Gott glaubt, der ist eigentlich vormodern und der ist unvernünftig und letztendlich naiv und ängstlich. Und in den kommunistischen Regimen des 20. Jahrhunderts war es im Anschluss an Marx deshalb eine Selbstverständlichkeit, den Glauben an Gott zurückzuweisen und von religiöser Erziehung Abstand zu nehmen. Und auch in Westdeutschland galt es lange Zeit als schick, sich von der Kirche abzuwenden. Dennoch ist es wohl so, dass es so einen kämpferischen Atheismus, wie es ihn bei Marx, Feuerbach, Freud und Nietzsche gab, wo man militant und mit aggressiven Argumenten gegen den christlichen Glauben meinte, vorgehen zu müssen, inzwischen nicht mehr dominant ist.
Wenn ich es richtig beobachte, dann ist der Atheismus, der uns begegnet in unserer Gesellschaft, eher einer Desinteressiertheit gewichen. Sie schütteln den Kopf. Vielleicht komme ich zu stark aus dem Schweizer Kontext, wo das inzwischen der Fall ist. Vielleicht hilft das, was ich Ihnen vortragen will, trotzdem, um das Phänomen theologisch noch einmal besser zu begreifen. Denn die Modelle, die ich Ihnen jetzt vorstellen will bei der Frage, wie gehen wir eigentlich mit dem Atheismus um, da spielt es, glaube ich, keine Rolle, ob der andere aggressiv Atheist ist oder desinteressiert Atheismus. Mich interessiert zunächst einmal das Phänomen des Atheismus.
Und das möchte ich gerne im nächsten Schritt noch einmal versuchen, genauer in den Blick zu nehmen. Also ein Milieu in unserer Gesellschaft zurzeit, in dem das Leben ohne Religion, ohne Kirche und ohne den Glauben an Gott selbstverständlich geworden ist. Wolf Krötke, der Berliner Theologe, der in der DDR gelehrt und gelebt hat, nimmt das so wahr, dass er sagt, der Atheismus, vor allem jetzt in Ostdeutschland, hat zurzeit keine Aufklärungsinteressen. Er zeichnet sich, so sagt das Wolf Krötke, vielmehr durch eine gänzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Gottesglauben aus. Die Menschen machen sich nicht mehr die Mühe, an die Frage der Widerlegung des Gottesglaubens oder an die Begründung des Atheismus noch irgendwelchen Schweiß zu verwenden. Für sie ist der Glaube an Gott unter die Schwelle der Konfliktfähigkeit gesunken, so meint Wolf Krötke, das wahrnehmen zu müssen.
Wie kann man mit dem Atheismus umgehen? In der Theologie sind, wenn ich das Recht beobachte, zwei grundsätzliche Möglichkeiten präsent. Und die beiden Möglichkeiten möchte ich gerne mit Ihnen bedenken und diskutieren. Also was bedeutet es theologisch, dass es Menschen gibt, die sagen, mit Gott will ich nichts zu tun haben? Das eine Modell, was man dazu verwenden kann, ist das Modell von Friedrich Schleiermacher und das andere Modell ist das Modell von Karl Barth. Friedrich Schleiermacher ist ein Theologe aus der Romantik, der durch die Aufklärung geprägt ist, aber der Meinung war, die Aufklärung hat das eigentlich nicht erschöpfend beschrieben, was Religion ist. Schleiermacher hat gelebt von 1768 bis 1834 und gilt als der Kirchenvater des 19. Jahrhunderts.
Karl Barth ist 1886 geboren und 1968 gestorben, ein Schweizer Theologe, der für die Theologie des 20. Jahrhunderts wichtig war. Sie haben also auch zwei unterschiedliche historische Kontexte in den Modellen hier präsent. Ich will zuerst Schleiermacher Ihnen vorstellen. Schleiermacher meint, der Atheismus von Menschen sei immer nur scheinbar. Also selbst wenn die sagen, sie sind Atheisten, so sind sie es eigentlich, wenn sie sich recht verstehen, nicht. Selbst wenn Menschen sagen, sie glauben nicht an Gott, dann sind sie, mein Schleiermacher, dennoch eigentlich religiös, wenn sie nur wahrnehmen, wie es um sie bestellt ist. Wie argumentiert Schleiermacher? Schleiermacher sagt, die Religion, also der Glaube, ist eine eigene Provinz im menschlichen Gemüte, so nennt er das. Also das ist ein Bereich, der zur menschlichen Existenz dazugehört, so wie die Frage des Denkens, so wie die Frage des Handelns.
So gibt es auch diesen Bereich der Religion. Und jeder Mensch hat einen Sinn und Geschmack fürs Unendliche, so sagt das Schleiermacher. Also als Bild nimmt er beispielsweise, und das kann man, glaube ich, gut nachvollziehen, man steht unter einem Sternenhimmel, merkt plötzlich diese Unendlichkeit und spürt sich gleichzeitig als ein Teil dieser Unendlichkeit. In diesem Moment fühlt man sich, so sagt Schleiermacher, wie geküsst vom Universum, also als Teil eines großen Ganzen. Und dieses Moment, dieses Wahrnehmens, ich gehöre zu einem ganz großen Ganzen mit dazu, das ist für Schleiermacher Religion. Und er würde sagen, jeder Mensch hat so ein Empfinden dafür, dass es da etwas Größeres gibt und dass er Teil dessen ist. Bei vielen Menschen mag das zwar verdeckt sein, also zum Beispiel, weil sie so viel arbeiten müssen oder weil sie andere Sachen gerade im Kopf haben,
aber eigentlich kann jeder Mensch das immer wieder wahrnehmen, dass er so im Großen und Ganzen steht. Religion hat also eigentlich jeder nach Schleiermacher. Ich lese aus seinen berühmten Reden über die Religion, die übrigens Schleiermacher auch anonym veröffentlicht hat, 1799, weil er gefürchtet hat, das ist so provoziert, was er da für eine These vertritt, dass auch er berufliche Konsequenzen davon haben wird. In diesen Reden über die Religion heißt es, der Mensch wird mit einer religiösen Anlage geboren wie mit jeder anderen. Und wenn nur sein Sinn nicht gewaltsam unterdrückt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Universum, also dem Großen und Ganzen, gesperrt und verrammelt wird, so müsste sie sich auch in jedem unfehlbar und auf seine eigene Art entwickeln. Und ähnlich formuliert es dann später in seinem zweiten Hauptwerk der Glaubenslehre, dass jeder Mensch so etwas wie ein schlechthiniges Abhängigkeitsgefühl hat.
Also jeder Mensch spürt, dass er sich nicht selber in diese Welt gesetzt hat. Jeder Mensch spürt, dass er von woanders herkommt. Und es gibt verschiedene Momente, in denen man das merkt. Also nehmen Sie als Beispiel das Moment der Geburt, bei dem man dabei ist, wo man merkt, das ist ein ganz großes Wunder eigentlich, dass Menschen kommen. Oder auch angesichts des Todes, wenn man spürt, ich habe das nicht alles selber in der Hand, ich komme von woanders her. Bei diesem schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl, so sagt Leiermacher, spürt man, dass der Mensch nicht etwas zufälliges und auch nicht etwas persönlich verschiedenes, sondern ist ein allgemeines Lebenselement, heißt jeder Mensch hat diese schlechthinige Abhängigkeit. Also dieses grundlegende Abhängigkeitsgefühl.
Bei manchen Menschen, sagt Schleiermacher, ist dieses Grundgefühl der Abhängigkeit, also dieses ich bin von woanders her, mehr überlagert durch andere Gefühle, durch sinnliche Gefühle, durch Hunger, durch Angst, durch Langeweile, durch Leidenschaften, durch Lust. Bei anderen ist es weniger überlagert. Die sind also ständig sich stärker dessen bewusst, dass sie geschöpft sind, dass sie diese Welt nicht selber geschaffen haben. Aber jeder Mensch hat dieses Grundgefühl. Und das bedeutet für Schleiermacher, dass man eigentlich mit allen Menschen über dieses Grundgefühl ins Gespräch kommen kann. Jeder Mensch ist auf dieses schlechthinige Abhängigkeitsbewusstsein ansprechbar, weil man mit allen Menschen über dieses menschliche Grundgefühl reden kann. Deshalb kann man mit allen Menschen, so meint Schleiermacher, über Religion sprechen.
Schleiermacher ist der Ansicht, dass man, um so über Religion mit Menschen zu sprechen, nicht über Gott sprechen muss. Die Rede von Gott ist für Schleiermacher völlig nachgeordnet, dieser Rede über das menschliche Grundgefühl. In den Reden über die Religion sagt er das so, dass er sagt, der Gottesbegriff ist nicht Angel und Hauptstück der Religion. Eine Religion ohne Gott kann besser sein als eine andere Religion mit Gott. Grundlegender als die Rede von Gott ist dieses Anschauen des Universums, Sinn und Geschmack fürs Unendliche als allgemeiste und höchste Form der Religion. In der Glaubenslehre, also dem zweiten Hauptwerk Schleiermacher, geht er sogar noch einen Schritt weiter, indem er sagt, wir können alle Inhalte des christlichen Glaubens, alle Lehren, die im Christentum vertreten werden, so umformulieren, dass sie nur Beschreibungen des menschlichen Gefühls sind, was sich darin ausdrückt, des menschlichen Selbstverständnisses.
Wir könnten eigentlich auf die Rede von Gott dabei ganz verzichten. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel. Wenn man im christlichen Glauben sagt, Gott ist allmächtig, dann würde er sagen, das brauchen wir eigentlich gar nicht unbedingt sagen. Es reicht, dass wir sagen, man fühlt sich abhängig von etwas, was allmächtig ist. Schleiermacher ist sich aber bewusst, dass zu seiner Zeit dieser Verzicht auf die Gottesrede durchaus provokant ist, weil es in der Kirche seiner Zeit natürlich von Gott gesprochen wurde und er sagt, da müssen andere Zeiten kommen, in denen das nicht mehr anstößig ist, auf den Gottesbegriff zu verzichten. Und er selber spricht auch in seiner Dogmatik immer wieder von Gott. Aber er meint prinzipiell sei es möglich, immer nur über den Menschen und seine Befindlichkeit, das, wie er sich selbst in dieser Welt erlebt, zu verstehen, zu sprechen. Ich will Sie aber gern auf etwas aufmerksam machen.
Wenn man Schleiermacher's Texte liest, dann hat man den Eindruck, dass er sehr viel Raum für den Menschen lässt, weil er eben ausgeht immer davon, wie empfindet der Mensch sich selber, wie nimmt der Mensch sich selber in dieser Welt wahr. Es ist aber eben eine merkwürdige Konsequenz seines Ansatzes, dass er Atheismus und Religionslosigkeit nicht wirklich denken kann, indem er eben sagt, alle Menschen sind eigentlich religiös. Schleiermacher sagt, dass es alle Gottlosigkeit des Selbstbewusstseins innerhalb der christlichen Gemeinschaft nur in mangelhafter oder gehemmter Entwicklung begründet sein kann. Ich übersetze es in meine eigenen Worte. Er sagt, wenn es Menschen gibt, die sagen, sie glauben nicht an Gott, dann hängt das nur daran, dass dieses Grundgefühl, was sie haben, das religiöse Grundgefühl noch nicht ausreichend entwickelt ist. Das ist aber eigentlich da. Daran kann man anknüpfen. Dieses Grundgefühl kann man stärken und verbessern.
Aber wenn ein Mensch wirklich geistig ganz entwickelt ist und reif ist und er sagt, er glaubt trotzdem nicht an Gott, dann würde Schleiermacher sagen, er ist krank in seiner Seele. Das ist quasi ein menschlich ganz absurdes Phänomen, das es Atheisten gibt, weil er eben meint, Religion gehört zum menschlichen Dasein ganz wesentlich dazu. Das bedeutet aber, dass Schleiermacher das Selbstverständnis des Gottlosen oder das Selbstverständnis desjenigen, der sagt, ich glaube nicht an Gott, ich bin nicht religiös, dass Schleiermacher sagen muss, das ist ein Selbstverständnis. Der versteht sich nicht richtig. Ich weiß es besser. Du bist eigentlich religiös. Vielleicht glaubst du nicht an Gott, aber du bist eigentlich religiös.
Er muss sagen, du irrst dich eigentlich über dich selbst. Soweit Schleiermacher. Ich möchte gern jetzt darauf schauen, wie Karl Barth sich das vorstellt. Auch Karl Barth hat die Theologie seiner Zeit wesentlich beeinflusst, indem er der Meinung war, er hat immer wieder mit Schleiermacher sich auseinandergesetzt. Er hielt Schleiermachers Ansatz für grundfalsch. Barth hat sich mit Schleiermacher auseinandergesetzt, weil er den Eindruck hatte, hier wird viel zu viel vom Menschen gesprochen und überhaupt gar nicht von Gott. Und wir müssen, wenn wir Theologen sein wollen, wenn wir Christen sein wollen, eigentlich von Gott sprechen. Und nicht nur, so formuliert er das in einem Text in etwas erhöhtem Ton vom Menschen. Der Auftrag des Christlichen ist, über Gott nachzudenken. Und Karl Barth hat dann Texte geschrieben, in denen er behauptet, Gott ist ganz anders als diese Welt.
Er beschreibt Gott immer wieder, indem er ausgeht von den biblischen Texten. Er geht davon aus, Gott hat sich in Jesus Christus gezeigt. Anders wissen wir gar nichts über Gott eben gerade nicht, indem wir aus dem menschlichen Bewusstsein irgendwie überlegen, wie empfindet das da irgendwas und wie ist also dann Gott? Sondern umgekehrt, wie hat sich Gott in Jesus Christus gezeigt? Wie erzählen davon die biblischen Texte und was heißt das denn dann für den Menschen? Also die Denkrichtung Barths ist umgekehrt zur Denkrichtung Schleiermachers. Und das Überraschende bei Barth ist nun, zumindest in meinen Augen überraschend, dass er die Gottlosigkeit des Menschen denken kann. Also er, der eigentlich bei weitem nicht so sehr beim Menschen ansetzt in seinem Modell, lässt es zu, dass Menschen von sich selber sagen, mit Gott kann ich nichts anfangen. Wie macht er das? Karl Barth diagnostiziert in seinem Hauptwerk die kirchliche Dogmatik, das ist so ein ganzes Regalbrett, füllen Dogmatik mit weißen Leinen Einwände und wird deshalb auch gerne der weiße Wal genannt, weil das einfach so ein Riesending ist, was wahrscheinlich nur ganz wenige Menschen auf der Welt, die das wirklich komplett durchgelesen haben.
In diesem Buch diagnostiziert er, dass es Menschen gibt, auch Menschen in eher christlich geprägten Ländern, die dem Evangelium von Jesus Christus schlechterdings unwissend und in völliger Fremdheit gegenüberstehen, weil das Evangelium sie nie oder vielleicht nur in völlig ungenügender Weise erreicht hat. Und weil sie sich dem Evangelium gegenüber in einer Verfassung befinden, in dem sie feindselig auf das Evangelium reagieren. Man kann denken, es gibt so etwas wie eine Gottlosigkeit des Menschen. Es gibt eine Gottlosigkeit des Menschen. Es gibt Menschen, die dem Evangelium gegenüber feindlich gesinnt sind, denen das Evangelium fremd ist und er versucht, das nicht zu Recht zu interpretieren und zu sagen, aber eigentlich wissen die Menschen doch etwas davon.
Es gibt eine Fremdheit und Feindseligkeit des Menschen dem Evangelium Gottes gegenüber. Das heißt, Barth anerkennt hier das religiöse Selbstverständnis von Menschen, die sagen, damit kann ich nichts anfangen. Jetzt ist interessant, wie Barth an der Stelle weitergeht. Er sagt, es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber, ich zitiere ihn, laut des Wortes von der Versöhnung in Jesus Christus, keine Menschenlosigkeit Gottes. Es gibt zwar eine Fremdheit und Feindseligkeit des Menschen seinem Evangelium. Es gibt aber keine Fremdheit und Feindseligkeit seines Evangeliums dem Menschen gegenüber. Dass der Mensch dem Evangelium gegenüber verschlossen ist, ändert nichts daran, immer noch Barth, dass das Evangelium für ihn offen ist und offen bleibt.
Es gibt in der von Gott in Jesus Christus versöhnten Welt keine von ihm sich selbst überlassene, seiner Verfügung entzogene Profanität. Also was hier passiert, das ist eine ganz interessante theologische Bewegung. Die Blickrichtung Barths ändert sich. Er guckt jetzt nicht auf die Menschen und versucht quasi die so lange zu analysieren, bis er merkt, da ist ja doch irgendwie Gott oder Glaube oder irgendwas bei ihnen, sondern er wendet den Blick auf Gott und fragt sich, was ist eigentlich bei Gott in Bezug auf diesen Menschen? Da sagt er ganz gleich, wie sich die Menschen verhalten, empfinden, beschreiben, Gott selber wendet sich nicht ab. Es gibt keine, diese Menschen sind, es gibt keine Menschenlosigkeit Gottes. Gott lässt diese Menschen nicht los. Und das Besondere bei Barths Ansatz ist hier, dass er nicht vom quasi aus der Gesetzesperspektive hier schaut,
als er sagt, nicht auch diese Menschen sind ja Sünder und jetzt zeige ich euch mal, wieso die Sünder sind, sondern dass er vom Evangelium, also von der frohen Botschaft, von der Zusage Gottes hier auf die Menschen schaut. Und er ist der Meinung, im Gespräch mit den Menschen, egal wie die sich selber religiös verstehen, muss man immer zunächst vom Evangelium, von der Zusage Gottes, von der Zuwendung Gottes zu diesen Menschen sprechen. Der Ansatzpunkt ist nicht deren Selbstverständnis, der Ansatzpunkt ist nicht, worin versagen die, sondern der Ansatzpunkt ist, wie wendet sich Gott ihnen eigentlich zu? Der Zürcher Theologe Ingolf Dallfert hat, ich finde, den Sachverhalt gut auf den Punkt gebracht, deswegen lese ich gerne von ihm noch mal ein Zitat, niemand muss religiös sein und nicht jeder ist es. Aber alle, und das ist theologisch entscheidend, haben es mit Gott zu tun. Dafür muss man nicht nachweisen, dass jeder Mensch religiös ist, auch wenn er es bestreitet,
sondern man muss umgekehrt zeigen, dass Gott so ist, dass er jedem Menschen gegenwärtig ist, wie immer er sich versteht. Also Sie merken hier, verändert sich die Blickrichtung. Gott ist so, dass er keinen Menschen loslässt. Und ich meine, dass Barth und auch Dallfert, der sich hier an Barth anschließt, da etwas Gutes gesehen haben, weil es nämlich ein anderer Umgang mit Menschen ist, die nicht religiös sind, wenn man nicht versucht, ihnen zu unterstellen, sie seien es, sondern weil man nämlich dann auch quasi den Unterschied, der darin besteht, an Gott zu glauben und nicht an Gott zu glauben, eigentlich in einen Topf schmeißen würde, sondern zu sagen, ihr versteht euch so, wir verstehen uns von Gott her, der das noch mal, der sozusagen keinen Menschen aus seiner Wirklichkeit entlässt.
Und es ist wahrscheinlich richtig zu beobachten oder wahrzunehmen, oder es ist richtig, wenn man sagt, es ist auch nicht, als Schleiermacher hat gar nicht recht damit, dass jeder Mensch sein Leben als Geschenk versteht oder dass jeder Menschen Bewusstsein hat, ich habe mich nicht selbst in diese Welt gesetzt, sondern dass es auch Menschen gibt, die sagen, das empfinde ich gar nicht so, ich lebe halt einfach und dann ist es irgendwann zu Ende. Dem Atheismus entspricht sozusagen, das ist ja ein existenzielles Phänomen, dem entspricht auf der anderen Seite natürlich der, ein großer massiver Traditionsbruch, dass Menschen nicht mehr so wie früher selbstverständlich im christlichen Glauben aufwachsen, die gar nicht mehr wissen, worum es eigentlich im christlichen Glauben geht. Ich habe vor einiger Zeit ein Beispiel im Internet gelesen, das mich sehr erschüttert hat, wo das noch mal so deutlich wird,
wie da grundlegendes Wissen über den christlichen Glauben verloren gegangen ist. Ich lese das kurz vor, es war eine Diskussion aus einem Internetforum. Hallo und einen schönen Samstagnachmittag zusammen. Irgendwie ist man es ja gewohnt, bei einer dreieinhalbjährigen Tochter ständig sinngebende Antworten parat haben zu müssen. Aber gestern hat sie uns vor eine ernsthafte Herausforderung gestellt, und zwar mit der Frage, warum Jesus am Kreuz hängt und warum er denn blute. Und das um fünf Minuten vor der Schlafenszeit. Hat jemand mal eine Idee oder einen Literaturtipp? Ich habe das nicht erfunden. Ich würde das Ganze schon gerne über die komplette Ostergeschichte verkaufen, womit der Hase ja nicht zwingend aus dem Rennen wäre.
Danke für euren Input in dieser mit Verlaub etwas schrägen Angelegenheit. Und einer der Diskussionspartner in dem Forum antwortet dann meine Idee, euren Pfarrer vor Ort fragen. Die Damen und Herren werden bestimmt gerne gefordert und der Kindergarten. Die können das Thema aufnehmen, wenn es ein kirchlicher ist, machen die das eigentlich sowieso oder die haben entsprechende Bücher. Man möchte lachen, aber es ist eigentlich gar nicht richtig lustig. Also es ist eher so ein trauriges Lachen, was dabei kommt. Weil man merken kann, wie durch den Rückgang einer christlichen Sozialisation Kirchen, Gemälde, Musiken stumm werden und gar nicht mehr sprechen, weil die Leute nicht mehr verstehen, wovon da eigentlich die Rede ist. Sie wissen gar nicht mehr, was das eigentlich bedeuten könnte oder was das eigentlich sagen könnte.
Ich meine nun, dass man beide Phänomene ernst nehmen muss, also sowohl den Atheismus, das Menschen sich so verstehen, als auch die religiöse Unkenntnis, dass sie viele Sachen gar nicht mehr wissen. Und wenn man das ernst nimmt, dann kann man auch tatsächlich den christlichen Glauben als Alternative zu so einer nicht religiösen Existenz darstellen. Als Alternative jetzt nicht im Sinne von Arroganz und Besserwisserei, ihr blickt es irgendwie nicht und wir blicken es, aber als Beschreibung eines alternativen Lebensvollzugs, man kann es auch anders machen. Der Philosoph Charles Taylor hat das in seinem Buch das säkulare Zeitalter so beschrieben, dass er gesagt hat, heute ist der christliche Glaube eine Option. Das war es früher nicht mehr, früher war das einfach selbstverständlich, aber heute ist er eine Option. Und die Aufgabe der Christen besteht darin zu zeigen, dass es eine plausible, eine lebenswerte Option sein kann.
Und Taylor fügt hinzu, das finde ich noch wichtig, dass Christen auch deutlich machen sollten, es ist nicht unbedingt die bequemste Option. Also vielleicht hat Freud gar nicht recht mit seiner Behauptung, es wäre alles viel zu schön, wenn es so wäre, dass Gott so wäre, weil wenn man sein Leben im christlichen Glauben lebt, es durchaus auch neue Spannungen gibt, die da erzeugt werden, an denen man sich abarbeiten muss und mit denen man kämpfen muss und die nicht alles nur so platt büge. Noch einmal Wolf Krötke, der ich glaube, das ganz gut beschreibt. Es ist inzwischen ein religiöses Vakuum entstanden, in dem Menschen, die an Gott glauben, wie Fremdlinge wirken. Diese Situation andererseits bietet aber auch eine große Chance. Wo wenig oder nichts mehr vom christlichen Glauben bekannt ist, da kommt es auf uns an, welche Vorstellungen und Eindrücke Menschen vom christlichen Glauben gewinnen.
Es kommt eben nicht mehr nur auf den Pfarrer an, zu dem die Leute nicht gehen, sondern es kommt auf jeden Einzelnen, der sich als Christ und Christin versteht, an. Wir können Walter Krötke sie durch unser Leben und Reden abschrecken. Wir können sie aber auch reizen, die Bedeutung des christlichen Glaubens für ein wahrhaft menschliches Leben zu entdecken. Dazu ist es, so Krötke, nötig, dass der christliche Glaube im Alltag der glaubenden Menschen Ausdruck findet. Es kommt also auf den einzelnen Christen und die einzelne Christin an, im jeweiligen Alltag ihrem Glauben entsprechend zu leben, den Glauben ansprechend und einladend zu gestalten. Und dazu müssen Christen sprachfähig sein. Also sie können sich nicht mehr verstecken hinter irgendwelchen Hülsen, sondern sie müssen selber in der Lage sein, Auskunft zu geben. Warum glaube ich? Wie glaube ich? Was ist mir daran wichtig? Das kann man nur, wenn man auch eigene Fragen und eigene Kritik zulässt, weil man nur dann gegenüber Leuten, die Kritik haben am christlichen Glauben, auch Auskunft geben, Argumente bieten kann.
Also es wird nicht gehen, wenn man sagt, ja, aber in der Bibel steht. Das interessiert eben doch die meisten Leute heute nicht mehr. Ich will zu einem zweiten Phänomen übergehen. Das dauert aber nicht so lange wie das erste, keine Sorge. Das erste war jetzt die Situation des Atheismus. Das zweite, was ich mit Ihnen bedenken möchte, ist die Frage, ob es eigentlich Religion ohne Gott gibt. Weil das in der letzten Zeit doch ein gewisser Trend ist, den man beobachten kann. Ein Trend, über den sich Schleiermacher vermutlich freuen würde, dass es zurzeit so etwas wie ein Unbehagen am Gottesbegriff gibt. In aktuellen Büchern auf dem Markt finden Sie Titel wie Religion ohne Gott oder Versuche über das Göttliche. Und wenn man Menschen fragt, was sie glauben, so hört man in manchen Regionen doch, sie glauben an etwas Übersinnliches, an eine höhere Macht, an das Leben.
Aber wenn jemand sagt, ich glaube an Gott, dann wird das irgendwie ein bisschen peinlich. Das klingt irgendwie zu direkt, zu naiv, zu ungebrochen. Das andere ist irgendwie leichter zugänglich. Das kann man noch ganz gut aushalten. Große Zeitschriften haben sich diesem Phänomen auch gewidmet. Vor einiger Zeit titelte der Spiegel, ist da jemand die Zukunft der Religion, Glaube ohne Gott und Geo fragte, brauchen wir Gott? Und hat dann in dem Artikel, hat Geo berichtet, von religiösen Formen, die auf den Gottes Glauben ausdrücklich verzichten. Das prominenteste Beispiel ist da immer die Sunday Assembly in London. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen. Da treffen sich bekennende Atheisten zu einer ganz Gottesdienst ähnlichen Veranstaltung. Also da werden Lieder gesungen, emotionale Lieder, es werden predikthafte Ansprachen gehalten.
Und es gibt andere Elemente in diesem Gottesdienst, die man aus der christlichen charismatischen Bewegung kennt. Aber dahinter steht eben kein Glaube an Gott, sondern eine bewusst gottlose Sicht auf die Welt. Man versteht sich als eine atheistische Kirche. Sie nutzen auch durchaus den Kirchenbegriff als Global Movement for the Wonder and Good, also globale Bewegung für das Wunder und das Gute. Man will das Leben feiern und mit der Welt, die um uns ist, verbunden sein. Das heißt, dort werden religiöse Formen ganz bewusst aufgenommen, Formen, die sich lange, insbesondere im Christentum, in der Gottesdienstpraxis entwickelt haben. Aber der Glaube an einen Gott wird dort dezidiert als verzichtbar angesehen. Der Begründer der Bewegung sagt, wir haben uns die besten Elemente einer Kirche genommen und lassen Gott einfach weg.
Eine solche Religion ohne Gott finden Sie aber nicht nur außerhalb der Kirchen, sondern auch innerhalb der Kirchen. Der Spiegel hat in seinem Artikel einen Angehörigen einer Hamburger evangelischen Gemeinde zitiert, die gesagt haben, sie glauben an ein Energiefeld, an eine abstrakte Macht, eine Kraft, eine Idee. Und auch innerhalb der evangelischen Theologie, zumindest im deutschsprachigen Bereich, also an den Universitäten, gibt es in der letzten Zeit einen Trend, dass der Religionsbegriff wichtiger wird als der Gottesbegriff. Es hat zu tun mit einer Renaissance von Schleiermacher Theologie, die zurzeit stattfindet. Manche sagen sogar, dass es die Stärke von Schleiermachers Denken, dass es hilft, vom Gottesbegriff wegzukommen, eben hin dazu, dass es vor allem um die Religion des Menschen geht.
Schleiermacher leiste so, so wird das von Kollegen von mir formuliert, einen wesentlichen Beitrag zu der tiefgreifenden Umformungskrise des Christentums in der Moderne. Denn was er macht, ist, dass man früher Gott quasi zugeordnet hat, nämlich im Bereich der Moral, im Bereich der Sinnstiftung Begründung zu liefern. Wir machen das, weil Gott das will oder unser Leben ist sinnvoll, weil es von Gott geschaffen ist. Darauf kann man eben heute verzichten. Und der Sinn wird einfach nur darin verortet, dass der Mensch selber Religion praktiziert. So hat das Nordgaslenska, ein systematischer Theologe aus Berlin, vor einiger Zeit diagnostiziert. Er hat beobachtet, dass in der deutschsprachigen Theologie die Mehrzahl der Theologen im Gefolge Schleiermachers stehen und also die These ablehnen, dass es Theologie mit etwas zu tun hat, was dem Glauben vorausgeht, was ihn begründet und von ihm unabhängig ist, sondern Theologie hat es mit dem zu tun,
wie der Mensch sich in der Religion selber versteht. Theologie ist für Slenska nicht Beschreibung von Voraussetzungen des Glaubens, von bestimmten Gegenständen des Glaubens, wie eben Gott oder das Handeln Gottes in Christus oder die Bedeutung der biblischen Texte, sondern Religion ist religiöser Ausdruck gläubigen Selbstverständnisses, also wie der Mensch sich eben selber versteht. Deswegen meint Slenska auch, es sei wichtig, dass man sich nicht länger so vorstelle, dass es da wirklich eine Substanz, etwas außerhalb des Glaubens gebe. Sie merken, wie hier Feuerbach quasi Frucht trägt in diesen theologischen Konzepten. Wenn man die Phänomene Religion ohne Gott sich genauer anschaut, dann beobachtet man, ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht,
eine gewisse Leichtigkeit, in der Menschen, die sich zu einer neuen Spiritualität nahewissen, die absonderlichsten spirituellen Vorstellungen für wahrhalten und gleichzeitig jahrtausendealte gewachsene theologische Traditionen irgendwie komisch finden. Also da ist irgendein Stein, der irgendwas kann, das leuchtet irgendwie mehr ein als eine lang gewachsene christliche Tradition über die Heilsbedeutung Jesu Christi. Und das eine wird sozusagen einfach weggewischt und das andere ist sofort ganz überzeugend. Und das ist also, man hat den Eindruck, das eine ist völlig absurd, obwohl sich da quasi 2000 Jahre lang Leute damit abgearbeitet haben, das zu verstehen, wie das richtig zu denken ist. Und das andere, irgendein Amulett oder so etwas, ist von vornherein offensichtlich viel näher. Wie kommt es zu dieser merkwürdigen, ich nenne das mal Vertrauensasymmetrie? Der Religionssoziologe Detlev Pollack, der in Münster lehrt, hat als Grund für diese Abwendung von der kirchlichen Frömmigkeit und der kirchlichen Tradition hin zu dieser frei schwebenden Spiritualität beobachtet,
dass es den Menschen eben nicht nur im Beruf und Freizeit darum geht, persönliche Selbstverwirklichungsansprüche zu realisieren, sondern auch in der Religion. Und diese freie Selbstverwirklichung, so meint Pollack, zu beobachten, kann man besonders gut praktizieren, wenn man sich eben nicht in irgendeine Tradition einfühlt, sondern wenn man sich solchen frei auf dem Markt befindlichen alternativen religiösen Vorstellungen zuwendet. Pollack beobachtet, dass die traditionelle Christlichkeit als dogmatisch verfestigt, als verstaubt und autoritär offensichtlich wahrgenommen wird. Bedeutet natürlich selbstkritisch, dass es der Kirche und der Theologie offensichtlich nicht gelingt, dieses Vorurteil zu entkräften und zu sagen, das ist nicht nur einfach verstaubt, das ist nicht nur einfach autoritär, das müsst ihr halt eben glauben, sondern das auch plausibel zu machen,
was eigentlich auch der Mehrwert sein kann, wenn man in der christlichen Tradition noch etwas anhängt. Das wäre aus meiner Sicht die Aufgabe, dass man das noch stärker zeigt. Also das ist nicht etwas, was einfach von oben runter befohlen wird, so muss man das glauben, sondern etwas, was den Menschen auch als einen frei denkenden, frei überlegenden durchaus nicht nur zulässt, sondern auch ermutigt, selber sich eine Meinung zu bilden von dem, was in der christlichen Tradition präsent ist. Und ich beobachte tatsächlich, dass die meisten Elemente, weil ich das einfach sozusagen täglich in meiner Arbeit mit den Studierenden mache, dass die meisten Elemente des christlichen Glaubensbekenntnisses sich mit etwas Geduld und mit theologischer Sorgfalt durchaus als relevant für heute herausarbeiten lassen. Also dass man nicht gleich sagen muss, notwendige Abschiede, diese oder jene Vorstellung, da können wir darauf verzichten, sondern dass man durchaus, wenn man sich ein bisschen Mühe gibt, zeigen kann, warum Elemente der christlichen Tradition nach wie vor wichtig sind.
Und es ist ja merkwürdig, also vielleicht auch zu diesem Ressentiment gegenüber Tradition, dass in unserer Zeit, wenn ich es richtig wahrnehme, aber Sie können mir gerne noch mal widersprechen, Tradition durchaus eine Rolle spielt. Also denken Sie an Kinderbücher, obwohl es sowas gibt wie Bernd das Brot oder Prinzessin Lillifee, die Klassiker, mit denen ich noch aufgewachsen bin, Jim Knopf oder der kleine Wassermann, das sind trotzdem noch Bücher, die wichtig sind. Also offensichtlich gibt es doch noch rein auf der menschlichen Ebene sowas wie eine Sehnsucht nach gewachsenen Traditionen, die man auch weitergeben kann an Kinder. Und nicht nur so ein Ressentiment. Das zeigt aber noch mal, dass die Kirche es offensichtlich Probleme damit hat, die Stärke ihrer eigenen Tradition plausibel zu machen. Wichtig ist mir noch am Schluss dieses Abschnittes zu sagen, dass ich der Meinung bin, dass es ein Irrtum ist, dass man einfach auf den Gottesbegriff verzichten kann.
Es macht einen Unterschied, ob man Religion ohne Gott konzipiert oder ob man Gott für wesentlich für die Religion hält. Und das hängt grundlegend damit zusammen, ob man der Meinung ist, der Mensch sei eigentlich von sich selbst heraus in der Lage, sich in dieser Welt angemessen zu verstehen. Er muss einfach nur sich wahrnehmen, wie er sich versteht und das dann interpretieren. Oder ob so etwas nötig ist wie eine, ich nenne es mal, Unterbrechung von außen, dass es da irgendwas gibt, was noch mal im Widerspruch zu dem steht, wie ich mich selbst verstehe. Gibt es also sowas, was ich, eine Stimme von außen, ein Wort von außen, was mein eigenes Selbstverständnis noch mal ganz grundlegend zurechtrücken kann? Ich gebe vielleicht ein Beispiel, an dem es deutlich werden kann, bei der Frage, ob man den Eindruck hat, man selber ist eigentlich annehmbar in dem, wie man ist oder nicht annehmbar.
Da wird jemand, der grundsätzliche Selbstzweifel hat an sich, wahrscheinlich nicht in sich selbst doch noch auf irgendeinen Moment stoßen, wo er sagt, ach, jetzt bin ich doch nicht so schlimm, wie ich dachte. Also der Brauch ist eigentlich das von außen, jemand ihm sagt, du bist annehmbar, du bist geliebt. Er findet es eigentlich nicht in sich selbst, weil das in so einem Widerspruch zu seiner Selbstwahrnehmung steht. Also die Frage ist quasi, drückt sich in der Religion nur das aus, was der Mensch immer schon über sich selber weiß, dann kann er auf den Gottesbegriff gut verzichten? Oder gibt es im Gottesbegriff etwas, oder der Gottesbegriff klingt jetzt zu abstrakt, gibt es quasi bei der Wirklichkeit Gottes etwas, was den Menschen mit etwas konfrontiert, was er nicht immer schon wusste, sondern ihn in einer Weise zurechtdrückt, wie er das selber noch nicht immer schon konnte? Eben zum Beispiel dieses, du bist angenommen, auch wenn du dich selber ganz und gar als unannehmbar erlebst.
Und das kann eben so eine Religion ohne Gott, kann das quasi nicht einspielen. Da braucht man tatsächlich eine Wirklichkeit Gottes, die noch mal jenseits dessen liegt, was der Mensch in sich selber immer schon findet und was nur freigelegt werden müsste. Im letzten Teil meines Vortrages möchte ich gern auf ein drittes Phänomen eingehen, was für unsere Gesellschaft und was für die Frage, wie beantworten wir die Gottesfrage heute wesentlich zu sein scheint. Das ist nämlich die Existenz anderer Religionen und damit die Frage nach anderen Göttern. Wir leben in einer Gesellschaft, die pluralistisch ist. Das bedeutet, dass andere Menschen uns begegnen, die einen anderen Glauben haben, die von sich sagen, dass sie an andere Götter glauben. Wir müssen also realisieren, dass der Glaube an den christlichen Gott, so wie es früher war, sich nicht von selbst versteht, sondern dass andere Menschen, wenn sie nicht Atheisten sind,
wenn sie nicht eine diffuse Religiosität haben, sondern bewusste Anhänger einer anderen Religion, eben von anderen Göttern überzeugt sind. Wie ist damit umzugehen? Grundsätzlich gibt es drei Modelle, drei Grundmodelle, in denen man sich diesem Phänomen annähern kann. Die erste Position ist der sogenannte Exklusivismus, die zweite Position ist der sogenannte Pluralismus und die dritte der Inklusivismus. Der Exklusivismus behauptet, nur die eigene Religion ist wahr und alle anderen Religionen sind falsch. Also die eigene Religion ist exklusiv, wahr, alle anderen Religionen irren sich. So eine Position kann man nur dann vertreten, wenn man der Meinung ist, dass sich Aussagen über die Wahrheit einer Religion quasi wie transportieren lassen in einen anderen Kontext. Also ich bin hier christlich aufgewachsen, mich überzeugt die Wahrheit der christlichen Religion.
Diesen Sachverhalt kann ich transportieren auch nach Indien und sagen, eigentlich müsste jemand, der dort aufgewachsen ist, auch unbedingt einsehen, die christliche Religion ist wahr. Also die Vorstellung ist, das ist quasi objektiv, kontextfrei für jeden zu begreifen. Der Exklusivist, der von der Wahrheit nur seiner eigenen Position überzeugt ist, muss den anderen die Wahrheit ihrer Religion absprechen. Sonst kommt er quasi in einen intellektuellen Konflikt, er kann das gar nicht denken, weil er denkt, Wahrheit ist so objektiv, dass sie überall das Gleiche sein muss. Sonst irre ich mich. Also wenn der Hindu eine wahre Religion hätte, für ihn wahre Religion hätte, dann müsste ich falsch sein. Und das ist richtig, das muss er ja gar nicht denken, dass es seine eigene Fall ist, aber diesen Konflikt kann er nicht anders lösen, als dass er sagt, also muss die Religion des anderen auch falsch sein.
Das Modell, was ich hier zu empfehlen scheint, ich betone scheint, ist der Pluralismus. Nein, ich muss erst noch sagen, was das Problem sozusagen an dem Exklusivismus, Entschuldigung, was das Problem ist, wenn Christen einen Exklusivismus vertreten. Zum christlichen Glauben gehört so meine ich wesentlich die Überzeugung dazu, dass Gott der Schöpfer aller Menschen ist und dass das Wirken Jesu Christi sich auf das Heil aller Menschen richtet. Also das ist ja eine Grundbotschaft des Neuen Testamentes, dass alle durch Jesus Christus gerettet werden sollen. Nun ist aber die Tatsache, dass Menschen dem christlichen Glauben begegnen, historisch durchaus zufällig. Also ob sie mit Christen in Kontakt kommen oder nicht, das ist eben mal so und mal nicht so. Diese Vorstellung führt oder dieser Sachverhalt führt bei Personen, die den Exklusivismus vertreten, natürlich dazu, dass es ihnen ganz wichtig ist zu missionieren, damit möglichst alle diese Botschaft hören.
Aber die Frage, was ist eigentlich damit, dass doch die Mehrheit der Menschen mit dem christlichen Glauben trotz aller Missionen nicht in Kontakt kommen, das bleibt eigentlich hier ungelöst. Und das heißt, es gibt beim exklusivistischen Modell einen Grundkonflikt zwischen dem Heilswillen Gottes für alle und der Tatsache, dass nicht alle Menschen wirklich den christlichen Glauben zumindest mal hören können. Ich meine, die theologische Aufgabe ist an dieser Stelle dann, wie kann der Heilswillen Gottes so gedacht werden, dass auch Menschen anderer Religionen so in ihn einbezogen sind, dass es die eigene Überzeugung von der eigenen Religion nicht gleich in Frage stellt. Hier an dieser Stelle geht die Position des religiösen Pluralismus in der Regel als überzeugend, als besonders hilfreich, weil im Pluralismus behauptet wird, vielleicht nicht alle, aber doch viele Religionen sind wahr.
Die zentrale These des Pluralismus heißt, es ist denkbar, dass Gott sich allen Menschen erschlossen hat oder erschließt. Es gibt so etwas wie eine transzendente, objektive Wirklichkeit, auf die sich alle Religionen beziehen. Und die unterschiedlichen Religionen sind nur Zeichen einer Vielfalt unterschiedlicher menschlicher Reaktionen auf die eine Wirklichkeit. Also es ist quasi ein großer Vorgang, eine Selbsterschließung des Transzendenten oder Gottes in unterschiedliche Kontexte hinein. Und der Unterschied besteht darin, dass die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen kommen und deshalb das unterschiedlich wahrnehmen. Ich lese ein Zitat von John Hick. Das ist einer der bedeutendsten Vertreter des Pluralismus. Aufgrund unterschiedlicher Formen des Menschseins, wie sie sich in den Kulturen und Zivilisationen der Erde ausbildeten, wird das Wirkliche, das im Begriff Gottes wahrgenommen wird,
jeweils als Gott Israels, die heilige Dreifaltigkeit, als Shiva, als Allah, als Vishnu und so weiter erfahren. Das wäre die These John Hicks. Und Sie kennen vielleicht das Bild, was dafür gern verwandt wird, um das zu erklären. Alle Religionen seien der Versuch, einen Elefanten zu beschreiben. Die eine Religion beschäftigt sich mit dem Rüssel. Die andere Religion beschäftigt sich mit dem Schwanz. Das Problem liegt nun darin, dass beide verkennen, dass es sich um den einen gleichen Elefanten handelt. Und der Pluralismus, die Pluralismus Theorie, die klärt jetzt diese Religionen darüber auf. Die These ist problematisch und zwar deshalb, weil diese Vorstellung von dem einen gleichen Elefanten, an dem sich da die Religionen abarbeiten, sehr voraussetzungsvoll ist. Sie behauptet nämlich, obwohl keine Religion zu der objektiven Wirklichkeit direkt Zugang hat, wird sie im Pluralismus vorausgesetzt.
Also der Pluralismus sagt, das gibt es eben, obwohl keine Religion das erkennt, sondern alle erkennen nur diese konkreten Gestalten. Der Pluralismus suggeriert also, unterstellt, man könnte diese Metaperspektive einnehmen. Man könnte erkennen, obwohl alle Religionen es nicht machen, man könnte erkennen, dass es hier den einen gemeinsamen Elefanten gibt. Und wer kann es erkennen? Der Vertreter der pluralistischen Religionstheologie. Im Unterschied zu den ganzen Religionen. Das heißt, der pluralistische Religionstheologe betritt einen Metareligiösen, also aus der Religion herausgelösten, sich dem über die quasi stellenden traditionsübergreifenden Standpunkt und blickt von dort aus einer quasi universalen Zentralperspektive auf die Welt der Religion.
Das Sie merken, das ist voraussetzungsvoll. Niemand kann es, die religiösen gar nicht. Nur der, der diese quasi diese Syntheseleistung herstellen kann. Ein zweites Problem beim Pluralismus liegt darin, dass es die Andersheit des anderen relativiert. Es wird gesagt, wir nehmen die Andersheit des anderen ernst, aber de facto macht man ein Gesamtmodell, in das das alles hineinpasst. Also die Anstößigkeit, dass andere Religionen das ganz anders machen, kann eigentlich nicht ausgehalten werden, sondern es kommt zu einem Übersystem, dass das alles sozusagen kulturell, ist das eben so, hineingepasst wird. Allerell ist es eben nicht mehr anstößig, dass andere Menschen ganz anders glauben, sondern es ist alles Teil der einen großen Wirklichkeit. Das heißt, die Pluralität der Religionen, die man eigentlich hier beschreiben will, wird nivelliert, wird gleichgemacht, ohne sich die Mühe zu machen, den anderen wirklich wahrzunehmen.
Das dritte Modell der Inklusivismus scheint hier dialogfähiger zu sein. Er geht von der These aus, die in der eigenen Religion ist Wahrheit unüberbietbar verkörpert. Also in der eigenen Religion ist das quasi ganz oder fast ganz, aber am besten quasi präsent, die Wahrheit. Und was in den anderen Religionen wahr ist, wird von der eigenen Wahrheit her beurteilt. Also das, was man an Entsprechungen in anderen Religionen findet, in Ähnlichkeiten zu dem, was man von sich selber kennt und bei sich selber für richtig hält, das ist auch wahr. Man macht sich also auf die Suche nach Elementen in der anderen Religion, die analog, die entsprechend zu den eigenen Überzeugungen sind. Das bedeutet aber, dass die anderen Religionen, wenn man jetzt mal vom Christentum, dem christlichen Inklusivismus vertritt, dass die anderen Religionen letztlich christlich vereinnahmt werden.
Also man entdeckt quasi bei den anderen Religionen etwas, was so ist wie im Christentum. Hans Küng, der berühmte katholische Theologe, der gerade seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, beklagt hier zu Recht. Der Wille derer, die nun einmal nicht Christen sind und nicht Christen sein wollen, wird nicht respektiert, sondern nach eigenen Interessen interpretiert, indem man eben sagt, ach, die glauben aber auch an einzelne Elemente, die man aus dem Christentum kennt. Küng fährt fort, eine solche Vereinnahmung des Gesprächspartners beschließt den Dialog, bevor er überhaupt angefangen hat. Also das, wie der andere sich selbst versteht. Es gibt eben Anhänger einer anderen Religion, die sagen, ich will überhaupt gar nicht Christ sein. Ich will zu dieser anderen Religion hören. Dieser Anhänger wird gar nicht ernst genommen. Und auch hier wird natürlich die Andersheit des anderen, das Verstörende, das der eben anders glaubt, gar nicht wirklich ausgehalten, sondern vereinnahmt. Man kann im Fremden immer nur das erkennen, was man selber aus dem eigenen schon kennt.
Es gibt einen Ansatz, der seit einigen Jahren auch in Deutschland fruchtbringend angewandt wird, der das noch mal anders versucht, der also jenseits von diesen drei Modellen Inklusivismus, Exklusivismus und Pluralismus läuft. Die sogenannte komparative Theologie, die komparative, also vergleichende Theologie versucht das so zu machen, dass sie sagt, wir können gar nicht im Vorhinein wissen, was ist mit der anderen Religion, ob die wahr ist oder nicht. Das würde nämlich immer bedeuten, sich quasi auf so eine Vogelperspektive zu begeben, sondern die komparative Theologie sagt, wir müssen miteinander ins Gespräch kommen, um an einzelnen konkreten Punkten uns zu fragen, hast du recht oder habe ich recht? Ist deine Religion wahr oder ist meine Religion wahr? Das heißt, in der komparativen Theologie werden nicht ganze Religionen das Christentum, der Islam, der Buddhismus miteinander ins Gespräch gebracht. Das geht auch gar nicht, weil jeder natürlich immer zu einer bestimmten Tradition gehört, sondern ganz kleine Einzelfenomene.
Also beispielsweise die Frage nach, warum lässt Gott Leid zu? Wie wird das im Christentum im 20. Jahrhundert bearbeitet? Wie wird das im bestimmten oder sagen wir, im evangelischen Christentum im 20. Jahrhundert bearbeitet? Wie wird es in der islamischen Tradition dort und dort bearbeitet? Und bei diesen Einzelfragen, da kommen dann Menschen zusammen und diskutieren darüber, versucht man dann ganz genau hinzusehen, welches Modell ist überzeugender und das Besondere an der komparativen Theologie. Die Antwort auf die Frage gibt man immer aus der Einzelperspektive, also aus der eigenen Perspektive. Man kommt nicht zu einem Aha-Objektiv, ist das so? Sondern für mich als christliche Theologin ist das überzeugend oder nicht überzeugend, dass ihr in diesem Bereich eurer Religion das so macht oder nicht so macht. Das heißt aber, man enthält sich hier tatsächlich solcher allgemeinen Urteile und guckt genau hin,
geht ins Gespräch mit Leuten aus der anderen Religion und versucht so noch genauer zu klären, worüber man hier eigentlich spricht. Im Hintergrund der komparativen Theologie und das ist aus meiner Sicht die Stärke dieses Modells, steht die Einsicht, dass man eine Religion nur von innen heraus verstehen kann. Wahrheit, religiöse Wahrheit ist nicht etwas, was man von der Existenz dessen, dem sie einsichtig geworden ist, lösen kann. Also, dass ich an den christlichen Gott glaube, das hat ganz viel mit meiner Existenz, das ist mein Glaube zu tun. Nicht im subjektivistischen Sinne, aber im Sinne von, das ist so verwurzelt mit meinem eigenen Leben, das kann ich gar nicht trennen davon, dass es eben was mit mir zu tun hat. Das gilt generell für religiöse Überzeugungen, die haben immer was mit dem Leben des Einzelnen zu tun, mit meinen Gefühlen des Einzelnen, mit den Hoffnungen, den Lebenseinstellungen,
sodass man das nicht einfach abtrennen kann und behaupten kann, da können wir jetzt allgemein über die Wahrheit sprechen. Und ein zweites ist wichtig, was für dieses Gespräch mit den anderen Religionen grundlegend ist. Und wenn Sie das führen, werden Sie das merken, dass es, zumindest, ich bin immer wieder im christlich-islamischen Dialog und da ist das was, was mich immer sehr bewegt, nämlich wahrzunehmen, dass für den Anhänger einer anderen Religion sein Glaube genauso wichtig ist wie für mich mein Glaube. Also, wenn der wirklich daran hängt, dann liebt er seinen Gott genauso wie ich meinen. Der lebt davon, der stirbt damit und das ist was, was mir so zu nennen, dass mir selber dann immer auch eine Zurückhaltung gibt zu sagen, ja, das ist alles falsch, sondern ich merke ja, das ist für den genauso wichtig wie für mich meins. Wenn man diesem Ansatz der komparativen Theologie sich anschließt, dann ist es die Folge, dass man in Bezug auf die Religion des anderen sich eines allgemeinen Urteils enthält.
Also, das heißt, man würde folgende Denkbewegung vollziehen. Ich kann und brauche von meinem theologischen Denken her nicht auszuschließen, dass der von mir geglaubte Gott sich auch in anderen Religionen zeigt. Ich kann und darf das hoffen, weil ich davon ausgehe und darauf hoffe, dass der christliche Gott alle Menschen in sein Heil miteinbezieht. Aber ob das so ist, das kann ich nicht feststellen, wenn ich nicht Mitglied der anderen Religion bin. Ja, weil sich das einfach quasi nicht, das lässt sich nicht lösen aus dem, von dem Glauben an die Religion. Das lässt sich nicht auf einer objektiven Ebene betrachten. Ich meine, dass das eine richtige Perspektive ist und zwar deshalb, weil die Frage, warum hängt man einer Religion an? Warum glaubt man an einen bestimmten Gott in der Regel nicht so bearbeitet wird, dass man einfach verschiedene Religionen nebeneinander legt, sich eine Liste macht, wo sind die Vor- und die Nachteile?
Dann zieht man das zusammen und dann sagt man, aha, das ist die beste. Das ist kein rein kognitiver Vorgang. Das ist etwas, was ganz viel mit Erleben, Erfahrung, Existenz zu tun hat. Also religiöse Wahrheit ist eine Wahrheit, die sich in einem bestimmten Kontext erschließt. Das heißt nicht, dass das subjektivistisch ist im Sinne von Beliebe. Es ist ja mein Leben. In meinem Leben hat sich das erschlossen. Mir ist das so deutlich geworden. Eine Begegnung mit Gott, die sich als Wahrheit für mich erschlossen hat, aber die ich eben gerade, weil sie Wahrheit für mich ist, nicht einfach daraus trennen kann. Das bedeutet, dass die Wahrheit einer anderen Religion immer nur vom anderen Subjekt beantwortet werden kann und nicht von mir. Das ist glaube ich gerade aus christlicher Perspektive unverzichtbar. Der christliche Glaube, der geht ja wesentlich davon aus, dass Glaube und Gottes Erkenntnis zusammenhängen.
Martin Luther hat das schön formuliert, indem er gesagt hat, Glaube und Gott gehören zusammen. Also du kannst gar nicht, man kann gar nicht über Gott abstrakt sprechen, sondern immer nur als einen, der sagt, glaub an mich. Das ist sozusagen ganz fundamental miteinander verknüpft. Wenn man diese Perspektive einnimmt, dann wird man aushalten müssen, dass der andere von sich behauptet, also der Einhänger einer anderen Religion, dass er den Eindruck hat, für ihn sei seine Religion wahr. Und das ist, wenn man das ernst nimmt, tatsächlich eine Anfechtung der eigenen Glaubensgewissheit. Das irritiert, dass andere Menschen das anders sehen. Aber ich meine, dass der Glaube eigentlich diese Anfechtung der eigenen Glaubensgewissheit auszuhalten in der Lage sein sollte.
Die Gottesfrage heute | 8.2.1
Früher war es keine Frage (oder man durfte sie nicht stellen): Gott gab es. Punkt. Kein Zweifel. Und natürlich war nur der christliche Gott der einzig wahre. Was dann geschah, erzählt die Theologin Christiane Tietz. Je mehr der Mensch infrage stellte, ob es wirklich nur diesen einen – ob es überhaupt einen Gott gab, umso mehr entwickelten Theologen und Philosophen Erklärungen dafür, warum Menschen trotzdem an einen Gott glauben wollen. Heute ist das Leben ohne Gott selbstverständlich geworden, an Gott verschwenden viele Menschen gar keinen Gedanken mehr. Er ist eine Option unter unzähligen geworden. Und zwar nicht die bequemste. Heute scheint es leichter zu fallen, an die Kraft der Steine zu glauben als an die Macht Gottes. Tietz erklärt, wie Christen mit den Zweifeln ihrer Mitmenschen umgehen können, was es für sie bedeutet, von anderen Weltanschauungen umgeben zu sein, und warum überzeugte Christen sich davon nicht bedroht fühlen müssen.