Ist das fair? Zehn Stunden in der Hitze des Tages schuften und genau so viel bekommen wie die Kollegen, die kurz vor Feierabend mal etwas mit angepackt haben! Das ist für keine Gewerkschaft in Deutschland in Ordnung, aber auch die schwarz-gelben Freundinnen und Freunde mit ihrem Leistung-muss-sich-lohnen-Credo laufen bei einem solchen Verhältnis Amok. Doch Jesus scheint damit überhaupt kein Problem zu haben. Oder geht es ihm gar nicht um diesen Vergleich, sondern um etwas ganz anderes? Siegfried Zimmer nimmt sich 73 Minuten Zeit, um die Situation des Textes lebendig werden zu lassen und bricht einmal mehr mit üblichen, gerade auch christlichen Vorstellungen und Klischees. So wird das Gleichnis der Arbeiter vom Weinberg so hörbar, wie es die Menschen vor 2000 Jahren in Juda aus dem Mund des Nazareners gehört haben, und landet ganz nebenbei bei den tieferen Geheimnissen des Lebens.

Was soll man so einer bekannten Geschichte wie der vom barmherzige Samariter noch Neues abgewinnen können? Und kann man wirklich ernsthaft über diese paar Zeilen des Gleichnisses eine 69-minütige Vorlesung halten, ohne dass Langeweile aufkommt? Die zweite Vorlesung der Gleichnis-Trilogie gibt hier eine verblüffend einfache Antwort: Man kann es und es gibt vieles zu entdecken. Mit fundiertem Hintergrundwissen und großer Leidenschaft nähert sich Siegfried Zimmer diesem Text. Fernab von jeglicher Spekulation oder Verklärung, eröffnet er die Lebenswelt des Textes und nimmt einen mit auf den staubigen und gefährlichen Pfad von Jerusalem nach Jericho bis man selbst die Spitze des Textes spürt.

Ohne Umschweife kommt Siegfried Zimmer direkt zum Punkt, um dann voll durchzustarten. In der ersten Minute stellt er gleich klar, dass das Lesen mit Lineal unerlässlich für das Verstehen biblischer Texte ist. Denn nur wer ernsthaft Wort für Wort Millimeterarbeit leistet, hat die Chance einen unverstellten Blick zu bekommen. So demonstriert Siegfried Zimmer in den verbleibenden 76 Minuten an dem ersten Gleichnis-Text eindrucksvoll, was das bedeutet: Er sensibilisiert für Ausblendungen, erläutert Hintergründe, erschliesst neue Zugänge, feiert Jesus als Meister der Sprache, spricht von Nähe, Freiheit, Faszination und Energie, um in einer geheimnisvollen Verbindung zu enden. Was für eine Eröffnung der Gleichnis-Trilogie!