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Gebäudereiniger, Dachdecker und Schornsteinfeger haben die schönste Aussicht über ihre Stadt, oder? Hoch und weit könnte ihr Blick schweifen, des Panoramas könnten Sie sich erfreuen und Ihrer gehobenen Stellung in der Gesellschaft natürlich auch. Machen Sie aber nicht. Sie prüfen die Karabinerhaken an ihren Sicherheitsgurten und deren korrekten Sitz um Becken und Schultern. Der Gebäudereiniger guckt auf die Schlieren und Flecken an der Scheibe direkt vor seiner Nase, der Dachdecker auf die Schindeln und Hämmer in seinen Händen und der Schornsteinfeger guckt in sein CO2-Messgerät. Und erst in der Kaffeepause staunen Sie über die Skyline der Gebäude oder

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den Verlauf der Straßenzüge oder die Schönheit der Höhenrücken in der Ferne. Drei Blickrichtungen. Prüfend nachschauen auf die Voraussetzungen, sorgfältig hinschauen auf das, was vor der Hand getan werden muss und weit hinausschauen. Prüfend nachschauen, sorgfältig hinschauen, weit hinaus schauen. Die Summe dessen heißt Zuversicht. Zuversicht, drei Silben, in denen stecken drei Substantive, nämlich Zuverlässigkeit, Verantwortung und Sichtweite. Zuverlässigkeit, Verantwortung und Sichtweite. Stürzt ein Gebäudereiniger aus seinem Krankorb und fällt

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vom 18. Stock eines Hochhauses herunter und als er beim vierten Stock vorbei fliegt, sagt er, ach bis jetzt ist alles gut gegangen. Dann nennt man das Optimismus. Zweckoptimismus. Das naive Schönreden einer Situation, die ausweglos ist, deren grausame Ausweglosigkeit aber fröhlich geleugnet wird. Weniger tragisch, mehr tragikomisch könnt ihr Optimismus bzw. Zweckoptimismus live jeden Samstag beobachten. Und zwar an der Rampe des Abhollagers von IKEA. Da schieben junge Familien riesige Möbelkartons auf den Parkplatz, öffnen den Kofferraum ihres Kleinwagens und wissen schlagartig, warum der Kleinwagen heißt. Ich dachte, das geht noch rein. Zwei Wochen später

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kann man nochmal Optimismus live beobachten, wenn derselbe Mann zum Service-Counter kommt und sagt, ich dachte, die Einbauküche kriege ich alleine an die Wand getackert. Aber jetzt gehen die Schubladen nicht auf und die Schranktüren nicht zu und meine Frau findet sie scheiße aus. Was kostet so eine Möbel-Monteurstunde eigentlich? Das Gegenteil von Optimismus oder sagen wir, die Fortsetzung von enttäuschtem Optimismus ist übrigens nur Kurzresignation. Langfristig oder dauerhaft, denn irgendwie muss das Leben ja weitergehen, auch nach der Enttäuschung über falschen Optimismus. Meistens ist das Gegenteil von Optimismus Restoration. Ja, dann machen wir es halt so wie bisher. Kaffeefilterhalter auf Thermoskanne und dann aus dem Kocher das Wasser reingeschüttet und die Spülmaschine heißt Elise. Das Gegenteil von Optimismus ist, denken wir zunächst Resignation,

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meist aber auf Restoration, dazu später mehr. Ich lese aus 4. Mose 13, 25 bis 33. Nachdem die Männer das Land 40 Tage erkundet hatten, kamen sie zu Mose und Aaron und der Gemeinde der Israeliten und erstatteten Bericht. Es ist tatsächlich ein Land, in dem Milch und Honig fließen, allerdings sind die Bewohner stark und die Städte groß und befestigt. Dann verbreiteten sie Gerüchte unter den Israeliten. Wir haben dort Menschen gesehen, die unfassbar groß sind, Riesen, die von Riesen abstammen. In deren Augen sind wir klein wie Heuschrecken und so haben wir uns auch gefühlt. Kaleb aber beruhigte das Volk, das sich bei Mose beklagte und sagte, wir werden auf jeden Fall

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losziehen und das Land in Besitz nehmen. Wir werden das ganz sicher schaffen. Ich habe in der gesamten Kunstgeschichte, der sakralen Ikonographie, kein einziges Altarbild gesehen, das Kaleb mit Merkel-Raut darstellt, obwohl das Nummerier 13 eigentlich hergeben würde. Andererseits ja auch noch keine Skulptur von St. Angela in der Seitenkapelle einer Kathedrale. Zur Situation des Textes, dem Abraham, dem Isaak, dem Jakob, dem Mose, allen Generationen hatte Gott Land versprochen. Ein Land und das so penetrant, dass es zum sprichwörtlich verheißenen, gelobten Land wurde. Projektionsfläche für alles, was man sich an paradiesischen Verhältnissen nur vorstellen kann. Das promised land, Levante hat man dann später gesagt, was heute Palästina, Libanon, Israel ist.

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Die fruchtbaren Ebenen und Täler der östlichen Mittelmeerküste. Jetzt stehen die Kinder Israel am Ende ihrer Wüstenwanderung und am Anfang ihrer Landnahme. Fromme Bibellesende sagen Landgabe, denn nicht sie haben es sich genommen, sondern Gott hat es ihnen gegeben. Folgt man den biblischen Berichten aus dem vierten und fünften Büchern Mose, den Büchern Joshua und Richter und folgt man der Interpretation dieser Texte durch die Alttestamentler William Albright und George Ernest Wright 1946 oder der Archäologin Kathleen Kenyon 1960, dann war die Landnahme eine Invasion, eine Eroberung, eine militärische Invasion und die in 4. Mose 13,29 aufgezählten dort lebenden

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Volksgruppen, die Amalekiter und Amoriter und Hetiter und Hiviter und Jebusiter, die wurden massakriert oder vertrieben oder versklavt. Was natürlich Fragen an unser Gottesbild aufwirft, ist der Kriegsgott von Feldherr Joshua derselbe, dem wir heute vertrauen, der Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat und von dem es im Johannes-Evangelium heißt, dass er wesensmäßig Liebe sei. Denn auf Gottes ausdrückliche Anordnung hin, Joshua 6,19 bis 21, ich zitiere, vollstreckten sie den Bann an allem was in der Stadt war mit der Schärfe des Schwertes, an Mann und Frau, an Jung und Alt, an Rindschaf und Esel. Besingt also unser fröhlicher spiritual, Joshua, the battle of Jericho, besingt dieses Lied marodierende Gotteskrieger beim Genozid.

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Dafür gibt es doch nur ein Wort, oder? Massenmord, Völkermord. Das ist auch anderen schon aufgefallen, im ersten Jahrhundert, vermutlich geboren 1985. Zieht ein schwerreicher Reeder von der Schwarzmeerküste in die Gemeinde nach Rom, spendet ihr eine, was wir heute namenhaften, Betrag, verlangt aber zu glauben, dass das alte Testament komplett in die Tonne gehört und der Gott des alten Testaments, der Schöpfergott zwar gerecht, aber eben auch grausam ist und nichts mit dem zu tun habe, der sich in Christus geoffenbart hat. In Jesus Christus sei der unbekannte, völlig neue Gott der Gnade und der Liebe erschienen. Dieser Mensch hieß Marzion, war ein Paulus-Fan und hat praktisch den paulinischen Dualismus zwischen Gesetz und Evangelium auf die Spitze getrieben.

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Aber er hat auch verlangt, dass man als Christin und Christ bitte ehelos bleiben möge, lebenslang Zölibatär und die bereits Verheirateten entheilsam. Wahrscheinlich deshalb wurde nichts aus den Marzioniten. Kirchenvater Origenes, etwas später, zweites Jahrhundert oder drittes Jahrhundert, hat gesagt, ja, ist wahrscheinlich so passiert, müssen wir aber heute allegorisch verstehen, also im übertragenen Sinne Karna, ansteht für das Böse und das sei bitte schön mit Stumpf und Stil auszurotten. Das müssen wir ohne Reste, restlos in unseren Herzen ausmerzen. Die Landnahme als Eroberungsmodell wirft aber auch Fragen an unser Schriftverständnis auf, denn die Stereotyp zu lesende Aufzählung der Gemetzel in den Kapiteln Joshua 10 und 11 und die Liste der 31 besiegten

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Könige Joshua 12 münden ja immer in der Summa, so unterwarf Joshua das ganze Land. Kapitel 10 Vers 40 oder Joshua nahm das ganze Land ein. Kapitel 11 Vers 16. So, Mission accomplished, sogar in der hochzulobenden Übersetzung der Basisbibel von 2021 steht als Absatzüberschrift an dieser Stelle, die Einnahme des Landes ist abgeschlossen. Aber ach, wie das mit dem Bibellesen so ist. Zwei Kapitel weiter sagt Gott zu Joshua, du bist nun sehr alt geworden, aber viele Teile des Landes sind noch nicht erobert. Kapitel 13 Vers 2. In Kapitel 15 heißt es, deshalb wohnen Jebusiter in Jerusalem, die sie nicht vertreiben konnten. Dann kommt eine Liste von knapp 70

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Ortschaften, Joshua 17 und die endet lapidar mit dem Satz, deshalb blieben die Canaaniter in dem Land wohnen. Und das Richterbuch beginnt mit drei Kapiteln, die beschreiben, welche Gebiete und Volksgruppen keineswegs erobert werden konnten und mit wem man entgegen Jahwes ausdrücklicher Anordnung übrigens doch Friedensverträge geschlossen hatte. Also zum Schluss wohnen nicht etwa ein paar versprengte Überlebende der Massaker als marginalisierte Ureinwohner unter lauter siegreichen Invasoren, wie wir sagen würden Hopis, Apaches und Oglala in Arizona, New Mexico und South Dakota, sondern offensichtlich wohnen Zitat die Israeliten inmitten der Canaaniter. Richter 3, Vers 5. Ja was denn jetzt? Wer mit Bekenntnisschaum vorm Mund die absolute

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Widerspruchsfreiheit der Bibel behauptet, sollte sie einfach nochmal lesen. Neben dem Eroberungsmodell gibt es aber in der Forschung auch das sogenannte Migrationsmodell. Folgt man den von mir erwähnten versteckten Zeit- und Ortsangaben und Versen, die ich gerade erwähnte, sowie deren Interpretation in den Büchern Vierter Mose bis Zweite Könige, dem sogenannten Deuteronomistischen Geschichtswerk und folgt man der Interpretation von Altes Testamentler Martinot 1925 und Antonius Gundeweg von 1972, dann war die Landnahme eine Einwanderung, eine Unterwanderung, ein Einsickern. Die Umstellung der Arbeits- und Ernährungsweise von nomadischem Viehtrieb auf sesshaften Fruchtbau. Ja liebe

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Leute, was ist das für eine Umstellung der Arbeits- und Ernährungsweise? Die Religionsdissidenten aus England, die 1620 auf der Mayflower in Cape Cod, Massachusetts anlandeten, die deutschen Mennoniten aus Krefeld, die 1683 auf der Concord an der Mündung des Delaware Rivers anlandeten, die nannten dieses Land auch Promised Land, das war ihr verheißenes Land und was ist als erstes passiert? Sie sind alle an Krankheiten erkrankt, die durch Mangelernährung entstanden, ihre Kinder sind reihenweise gestorben, warum? Weil sie nicht wussten, auf welchen Böden man welche Pflanzen zu welcher Jahreszeit säen einstecken muss, anpflanzen muss. Erfahrungen mit Pflanzen sammle ich nicht von Dienstag auf Mittwoch. Die Umstellung von Leben in Zelten auf das Wohnen in festen Häusern,

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feste Häuser, hoch, da muss mir jemand meinen Grundbesitz dokumentieren, da brauche ich ja plötzlich Investitionskapital für die Instandhaltung der Bude und wenn ich Räume vermieten will, müssen wir Verträge machen über Rechte und Pflichten. Sesshaftigkeit in festen Häusern lässt sofort ein Rechtssystem, lokal zunächst oder regional entstehen. In den Zelten als Nomaden war das einfach, patriarchale Familienstruktur, was Papa sagte, war gesetzbar, da sind die Fälle schnell erledigt. Jetzt ist klar, es bildet sich ein organisierter Staat. Kurz, der Struktur- und Kulturwandel, die grundstürzende Transformation der Arbeits- Ernährungsweise, der Lebensweise veranschlagen Archäologinnen und Archäologen, Theologinnen und Theologen so 200 Jahre mindestens,

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in denen dann natürlich kriegerischer Mützel zwischen Dörfern und Städten, zwischen diesen kleinen Stadtstaaten und Miniaturfürstentümern stattfanden. Ja, natürlich gab es gewalttätige Auseinandersetzungen, leicht vorstellbar, zwischen Ureinwohnern und Einwanderern. Und ja, sicher gab es Aufstände der haben nichts gegen die Wohlhabenden, der Rechtlosen gegen die Alteingesessenen. Die Bibel erzählt diese Entwicklung offensichtlich in umgekehrter Reihenfolge oder sowohl in umgekehrter als auch chronologischer Reihenfolge. Springen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage, was unterscheidet Zuversicht von Optimismus? Wie geht es eigentlich unserem zuversichtlichen Kundschafter Kaleb? Der mit der Merkel-Raut, ne? Nummerie Kapitel 14, 6 bis 8, 10, 11 und 23 bis 24. Joshua und Kaleb sagten, wir haben das Land erkundet. Es ist ein

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überaus gutes Land. Wenn der Herr es gut mit uns meint, wird er uns dorthin bringen und es uns geben. Es ist ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Aber die Gemeinde wollte sie steinigen. Da erschien die Herrlichkeit des Herrn im Zelt der Begegnung. Das kennt ihr vielleicht aus Luther Übersetzung Stifzhütte, sodass alle Israeliten sie sehen konnten, die Herrlichkeit des Herrn. Und der Herr sprach zu Mose, wie lange will dies Volk mich derart gering schätzen? Wie lange weigert es sich noch, mir zu vertrauen? Ich habe ihm doch oft genug Zeichen gegeben. Keiner von ihnen wird das Land sehen, das ich ihren Vätern versprochen habe. Nur mein Knecht Kaleb soll es sehen. In ihm ist ein anderer Geist. In ihm ist ein anderer Geist. Alle zwölf Kundschafter haben

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dasselbe gesehen. Zehn haben gesagt, wird nix. Blicken auf das, was vordergründig vor ihrer Nase ist. Der Gebäudereiniger und der Fleck an der Fensterfront. Und sie dürfen für sich das Etikett Realisten in Anspruch nehmen. Zwei, zwei blicken prüfend nachschauend, weit hinausschauend auf eine Voraussetzung. Welche ist das? Wie hat sich Gott dem Mose im brennenden Dornbusch vorgestellt? Ich bin der Gott deiner Väter und Mütter, Abraham, Isaac und Jakob. Kurzum, ich kenne deine Vergangenheit. Du löffelst aus, was andere eingebrockt haben. Du bist das letzte

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Glied einer langen Kette. Du kannst gar nicht an allem Schuld sein, was dich bedrückt. Ich bin der, ich bin, jetzt rede ich ja einen Moment zu dir. Und jetzt kommt dieser schwer zu übersetzende Satz. Ich bin der immer mit dir sein werdende. Neutrister mittlicher Entsprechung ist, siehe, ich bin bei euch alle Tage. Der Gebäudereiniger guckt auf den Karabinerhaken seines Sicherheitsgurtes und dann auf die Flecken an der Scheibe und dann in der Kaffeepause schaut er ins Weite. Kaleb und Joshua müssen mit dem Etikett Utopisten leben, Traumtänzer. Und da, finde ich, schildert der Text etwas Zeitloses. Denn die Reaktion der Zuhörenden, die Reaktion des Volkes oder der Gemeinde hat sich in 3000 Jahren nicht geändert. Die Gemeinde wollte sie steinigen. Sie, die zwei.

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Komisch, ne? Wer nichts mehr hofft, wer resigniert hat oder wer nur zurück nach Ägypten will, angeblich zehnmal haben die schon gesagt, warum gehen wir nicht zurück nach Ägypten. Wer nur Resignation und Restauration zu verkaufen hat, muss das weniger gründlich begründen als der Zuversichtliche. Verzagte Angstmacher ist irgendwie selbst legitimiert. Komisch, ne? Wir haben seit zehn Jahren eine Partei in den Landtagen und seit 2017 im Bundestag, die, wenn ihr ihr Programm lest, herzlich wenig zukunftsweisendes Konstruktiv anzubieten hat, die aber irgendwie das Kinderbuch von den Kölner Heinzelmännchen, wie war in Köln ist doch vor dem mit Heinzelmännchen so bequem, als Mantra singt. Wie war es Deutschland doch vor dem vor 68 so

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bequem. Wollen wir nicht zurück in die 50er Jahre, als Frauen ohne Genehmigung ihres Mannes keinen Führerschein machen konnten und keinen Beruf ergreifen durften und kein Konto eröffnen. Dafür durfte der Mann seiner Frau den Arbeitsplatz kündigen, ohne ihr was zu sagen. Das Jugendamt konnte alleinerziehenden Frauen die Kinder wegnehmen. Die wenigen Muslime, die gingen ja hoffentlich bald wieder, Ausländer gab es auch wenige, Schwule kamen ins Gefängnis, aber Nazis kamen in verantwortliche Positionen der Verwaltung, Justiz und Medizin. Wie war die Welt doch so vor dem vor 68 so bequem. Restaurativ aus enttäuschtem Optimismus, die langen Version der Resignation. Das Volk wollte sie steinigen. Seid darauf vorbereitet, sagt 1. Petrus 3,

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Vers 15. Seid bereit, Rechenschaft abzulegen über die Hoffnung, die in euch ist. Die musst du begründen. Und dieses seid bereit, jeder sagt, ja bin ich ja bereit, bloß mich fragt ja keiner, aber nee, damit ist nicht seid vorbereitet gemeint, wie meine Frau den Tisch dekoriert, wenn Gäste kommen, sondern seid vorbereitet, dass beinahe oder tatsächlich die Visionäre gesteinigt werden, nicht die Resignierten. Als 1963 John F. Kennedy und 1968 Martin Luther King ermordet wurden, sang Jesusrocker Larry Norman, we shot our dreamers, so there's no one left to lead us. Wer erschossen unsere Träumer? Wer sollte uns jetzt noch führen? Am Vorabend des Attentats von Martin Luther King, am 3. April 68, predigte er im Mason Temple Church in Memphis, Tennessee,

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über das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Und am Ende, am Schluss fügt er völlig zusammenhanglos hinzu, Zitat, wie jeder Mensch möchte ich lange leben, aber darum geht es jetzt nicht mehr, denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen und habe hinüber gesehen. Gipfel des Berges, prüfend nachschauen, wie die Voraussetzungen sind, in der Welt habt ihr Angst, Punkt. Aber seid getröstet, der Treue versichert, getrost, nicht ihr müsst, sondern ich habe die Welt überwunden und sehe,

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ich bin bei euch alle Tage. Sorgfältig hinschauend, was ist vor der Hand jetzt zu tun? Aufhebung der Rassentrennung in Schulen, öffentlichen Gebäuden, Kneipen, öffentlichen Verkehrsmitteln für King 68, was ist jetzt zu tun? Und weit hinausschauend, ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen und habe hinüber gesehen, das gelobte Land, ich habe es gesehen. Vielleicht gelange ich nicht mit euch dorthin, aber wir als ein Volk werden ins verheißene Land kommen, denn meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrn gesehen, wendet sich ab, setzt sich wieder hin, am nächsten Abend um 19 Uhr ist er tot. Ich hatte zum 25. Todestag im April 1993 Samuel Kiles im Sendesaal des

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Deutschlandfunks, der war der Pastor der Mason Temple Church, der ihn nach Memphis überhaupt erst eingeladen hatte und der im Türrahmen stand zwischen Hotelzimmer und Balkon, als der Schuss fiel im Lorraine Hotel. Wir hatten sein Predigtmanuskript den Radiosendern und Zeitungen vorab gegeben, erzählte Kiles. Diese Mosesnummer am Ende stand da nicht drin, die hat er irgendwie, es läuft einem kalt den Rücken runter, wie eine Vorahnung spontan hinzugefügt. Aber spontan hinzugefügt hat er ja auch jene drei Minuten seiner 16-minütigen Rede vom 28. August 1963 an der Washington Mall, wo er vorher den kalten Kaffee einer schon gehaltenen Gewerkschaftsrede von Detroit wiederholte und plötzlich sich vom Manuskript löste und sagte I have a dream. Und

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dann fängt er an spontan so eine Art Heimatkunde durch Amerika zu machen, The Red Hills of Georgia und sonst noch was, plus ein kleiner Bummel durch alttestamentliche Schriften. Das waren die drei Minuten, die ihn weltberühmt und zur Ikone machte. Es war, sagte Samuel Kiles, der übrigens bewegend davon erzählte, dass ihn das Schuldgefühl ein Leben lang nicht losließ. Ich habe ihn nach Memphis gelockt. Es war ein Geistesblitz. Es blitzte etwas Unverfügbares und möglicherweise ihm selbst gar nicht bewusstes auf. Kaleb hat nicht die Menge und das Durchschnittsalter sowie die Fitness der wehrfähigen jungen Israeliten vorher gezählt und gecheckt und die Schaffenheit ihrer Schwerter geprüft, sondern er hat einfach einen anderen Geist, sagt Gott. Der hat einen anderen Geist.

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Martin Luther King hat nicht das politische Gewicht der Müllmänner-Gewerkschaft, deswegen war er ja da in Memphis, oder seine eigene Popularität als Ikone der Bürgerrechtsbewegung den Zuhörerinnen und Zuhörern der Gemeinde in Memphis vor Augen geführt und in die Waagschale geworfen, sondern er hat an Gottes Verheißung erinnert. Er hat prüfend nachschauend, sorgfältig hinschauend und weit hinausschauend eine Zuversicht geäußert, die man anders als den Optimismus nicht selber herstellen kann oder muss. Verlässlichkeit, Verantwortung und Sichtweite werden offenbar von außen geschenkt. Sie sind eine Geisteshaltung, sie sind ein Inspiriertsein. Wenn ich mir überlege,

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ich übersetze das Stichwort Land für uns mal mit Zeit oder Kerner an mit Zukunft, eine überschaubare, stimmen dich die unleugbaren Krisen, Risiken, Bedrohungen, Gefahren eher düster oder stimmen dich die ebenfalls unleugbaren Chancen und Verheißungen und Möglichkeiten eher heiter und hell. Und das meine ich jetzt nicht so im Stil Roland Berger spreche und McKinsey Deutsch, wo wollen sie in fünf Jahren sein? Diese Karriereplanerfrage. Woody Allen hat darauf geantwortet, am liebsten zu Hause. Sondern ich meine das als eine Überlegung, wie uns möglicherweise dieser Text seelsorglich etwas sagen könnte. Wes Geistes Kind bin ich, wenn ich an meine

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nächste Lebenszeit denke, von der ja niemand weiß, wie lange sie noch ist. Ich finde es ja ungerecht, alle reden von trans Menschen, also deren Geist und Seele sich nicht in der vorhandenen Physik wiederfindet. Und es ist absolut notwendig und ich finde das ganz wichtig, trans Menschen in jede Gerechtigkeit und Unterstützung und Anerkennung zukommen zu lassen. Wer redet von uns, von uns Bumern? Ich fühle mich 30, bin aber gefangen im Körper eines 68-Jährigen. Hermann van Veen sagt, ich denke ich bin 16 und morgens vor dem Spiegel sage ich, warum rasierst du deinen Vater? Also, nenn das Land doch mal Zeit und keine an Zukunft und horche in dich hinein, Wes Geistes Kind du bist,

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was diese drei Blickrichtungen angeht. Naja, das kommt objektiv darauf an, welchen Wirtschaftsprognosen und Zukunftsszenarien und Statistiken man glaubt und welche Politikerinnen man mehr oder weniger vertrauensvoll findet und subjektiv ist das ja wohl eine Frage des Temperaments und der Mentalität. Es gibt halt sonnige frohe Natur und eher schwere Trübsalbläser. Ja, gibt es. Ich werde das jetzt nicht am Beispiel Badener und Schwaben verdeutlichen, also hier in Tübingen nicht, dann brauche ich ja 100 Meter Vorsprung. Aber zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, da leben doch auch zwei verschiedene Mentalitäten, oder? Also es gibt die Menschen zwischen Aachen und Köln, die nennt man Rheinländer und es gibt die Menschen zwischen Bielefeld und Dortmund,

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das sind die Westfalen. Und den Unterschied erkennt man, wenn ein Wunderheiler nach NRW kommt und sagt, wem darf ich meine wundertätigen Hände auflegen? Der Westfale sagt mir, mir bitte, ah hier und hier. Der Rheinländer sagt, Finger weg du Idiot, ich bin noch 14 Tage krankgeschrieben. Nein, ich glaube, Zweckoptimismus oder Zuversicht ist keine Frage des subjektiv individuell persönlichen Temperaments oder der folkloristischen Mentalität. Denn auch die rheinische Frohnatur kann sich nicht selber kitzeln. Niemand lacht überrascht über einen Witz, den er sich selber

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ausgedacht hat. Sondern beim Kitzeln und beim Witze lachen bin ich darauf angewiesen, dass etwas von außen auf mich zukommt. Niemand kann sich selber dauerhaft auf die Schulter klopfen und in die Rippen knuffen. Schlimmstenfalls angeleitet von Jürgen Höller, Motivationstrainer, wenn sich einige noch erinnern. Ich hatte ihn in der Sendung nach seiner Insolvenz und vor seiner Inhaftierung, also ein glücklicher Moment seines Lebens, der stand in der Schleierhalle in Stuttgart und 8000 Leute skandierten gemeinsam Schaka, Schaka, ich bin der Beste, ich bin der Beste und ein Wirtschaftsjournalist neben mir sagte, wer ist denn jetzt der Beste? Optimismus muss sich selber herstellen, aber niemand lacht über Witze, die er selber erfunden hat. Zuversicht wird mir von außen geschenkt,

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von einem Geist, dem anderen Geist, von dem Gott spricht, bei Kaleb, von der Gewissheit, dass der Unterschied übrigens, Bilder hinken ja immer vom Sicherheitsgurt des Gebäudereinigers, der ist Securitas, aber die Bibel spricht bei Zuversicht von Gewissheit, Certitudo, von der Gewissheit des kontinuierlichen Beistands Gottes, ich bin der immer mit dir seinwerdende und es ist die Weitsicht und die Demut, vielleicht gelange ich nicht mit euch dorthin, aber wir als ein Volk werden das gelobte Land sehen. Ein anschauliches Beispiel für Zuversicht ist für mich immer noch der 31. August 2015 in der 13. Minute einer Pressekonferenz. Im Januar 15 hatte ein 16-mal rechtskräftig verurteilter Verbrecher, ein Auftragsschläger und Einbrecher des Dresdner

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Rotlichtmilieus Lutz Bachmann 15.000 Menschen unter dem Stichwort Pegida zu Drohmärschen gegen Muslime und Asylbewerber und Flüchtlinge aufgerufen. Zuhälter wissen, wie man Leute in Verzweiflung und Panik treibt, ohne dass es erkennbare körperliche Spuren gibt. Dann hat die Polizei ja einen Beweis, das wäre ja blöd, wenn die ein blaues Auge hat. Nö, man kann auch Leute in Panik versetzen, indem man einfach so lange um ihr Haus herum läuft, bis der Ortsvorsteher von Tröglitz ein Pfarrer sein Amt aufgibt, weil die Kinder nicht mehr schlafen können und sich nicht in die Schule trauen. Für diese Aufmärsche wurde er vom evangelikalen Wochenmagazin Ideaspektrum bejubelt, soweit, dass im Heft vom 19. Januar 2010 auf Seite 10 Ideaspektrum sogar die Bischöfe von Sachsen

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aufforderte, sich für ihre mangelnde Unterstützung von Pegida zu entschuldigen, was sie nicht tat. Jetzt haben wir August 15 und unter dem Eindruck, dass der österreichische Polizei auf der Autobahn von Budapest nach Wien 70 erstickte, in einem Kleinlaster gefunden hatte und der dreijährige Alan Kurdi an der Ostküste, an der Westküste der Türkei im roten Pullover wie eine tote Möwe in der Brandung schwappte, sagte die damalige Bundeskanzlerin am 31.8. in der 13. Minute wörtlich das Motiv, aus dem heraus wir an diese Dinge herangehen müssen, gemeint ist Aufnahme von Flüchtlingen, das Motiv muss sein, wir haben so vieles geschafft, wir schaffen auch das. Das ist

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ziemlich genau Zuversicht. Es ist nämlich ein dankbar erinnernder, nochmal prüfender Blick auf die Voraussetzung. Jeder Fußballtrainer der Kreisklasse und jede Bergführerin am Großglockner kann sowas, zu sagen Jungs, wir haben vor zwei Wochen die Gurkentruppe aus Y-Stadt besiegt, wir werden diesen Samstag die aus Zettdorf aufschlagen. Liebe Wanderfreunde, wir haben 2000 Höhenmeter geschafft, die letzten 500 bis zum Gipfelkreuz dürften doch kein, das nennt man zuversichtlich Leute von außen motivieren. In der medialen Verkürzung und kollektiven Erinnerungen aber schnurrten 16 Jahre Merkelkanzlerschaft zu diesen drei Wörtern zusammen. Wir schaffen das. 39 Jahre Lebenswerk von Martin Luther King zu vier Wörtern. I have a dream. Bei Barack Obama waren es auch wieder nur drei. Yes, we can. Das ist aber nicht alles. Was wurde denn

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geschafft? Rund fünf Millionen Deutsche haben durch ihr ehrenamtliches Engagement rund 900.000 und meist syrische Kriegsflüchtlinge innerhalb von fünf Jahren zu 46 Prozent in Lohn, Brot und Wohnung gebracht, sagt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Innerhalb von fünf Jahren 900.000 Leute zu 46 Prozent. Nicht verhindert wurde, dass 0,1 Prozent dieser Geflüchteten schwere Straftaten begingen. Morde, Breitscheidplatz, Messerattacken etc. Auch nicht verhindert wurde, dass im gleichen Zeitraum rund 900 Anschläge gegen Asylbewerberheime und 250 Morddrohungen

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und tätliche Angriffe gegen Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer verübt wurden, sagt das BKA. Das war die Bilanz von 2017 dann, zwei Jahre. Motiviert von ebenfalls rund fünf Millionen Leuten, die ihre Kritik, ihre zum Teil ja völlig berechtigte Kritik an den Mächtigsten eines Landes in Hass auf die Ohnmächtigsten eines Landes umgewandelt wissen wollten und dementsprechend ihr Kreuzchen machten. Da hatte Frisch schon recht. 1959 Hörspiel Biedermann und die Brandstifter. Denn wenn gewählte parlamentarische Volksvertreter sich bei verurteilten Verbrechern unterhaken. August 18 Chemnitz und in der Reihe hinter Andreas Kalbitz und den anderen, jener Stefan B. lief,

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der dann später Walter Lübcke umbrachte. Das konnte man 18 noch nicht wissen. Aber welche Art Menschen sich untergehakt gemeinsam mit gewählten Parlamentariern auf der Straße präsentieren, das ist immer schon so gewesen. Es ist immer Biedermann, der den Brandstiftern die Zündhölzer in die Hand reichte. In Numerie ist es die Gemeinde, die griffen nicht nach Streichhölzern, sondern nach Steinen. Das Land zu besiedeln ist utopisch. Da kommt der Träumer. Lass ihn uns, wenn schon nicht umbringen, dann wenigstens in den Brunnen werfen. Der Utopist. Utopos,

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griechisch kein Ort, keine Konkretion. Eine Utopie ist deshalb aber keine Illusion. Eine Vision ist kein Tagtraum, sondern eine Idee, die zu verfolgen sich lohnt. Auch wenn sie möglicherweise erst nach 40 Jahren oder erst posthum oder erst in der Enkelgeneration politische Wirklichkeit werden sollte. 1516 schreibt ein stockkatholischer Jurist und Theologe in England einen Roman, in dem er eine Gesellschaft gleichberechtigter Teilnehmer eines sozial gerechten Marktes träumt. Das Buch heißt Utopia, der Mann heißt Thomas Morus, 1535 wird er gehängt und seinen Kopf stellt man auf der Tower Bridge aus. They shot all our dreamers so there is no one left to lead us. 113 Jahre nach seinem Tod, aber passiert in Münster und Osnabrück, es wird etwas ganz

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Erstaunliches. Es gibt nämlich den westfälischen Frieden nach 30 Jahren Massakern zwischen Katholiken und Protestanten. Für uns vollkommen selbstverständlich, Katholiken und Protestanten kennen sich doch nicht, also außer in Belfast, aber sonst. Eine Utopie ist Wirklichkeit geworden. Die Utopie des 18. Jahrhunderts war Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, in einem monarchistischen Absolutismus von Louis XIV und Marie Antoinette völlig unvorstellbar. Ja, noch schöner. Ohne Besitz sollen jetzt alle gleich sein. Die Utopie des 19. Jahrhunderts war Abschaffung des Glavereins. Der wirtschaftliche Zusammenbruch des britischen Empire stand zu befürchten. Und William Wilberforce und William Pitt, die zwei Freunde und ihr väterlicher Freund John Newton, ehemaliger Sklavenkapitän und dann Pfarrer in Olney, haben über 20 Jahre lang baggern müssen, bis 1807 im britischen Parlament der Sklavenhandel verboten wurde. 1865 im amerikanischen Parlament.

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Es ist Wirklichkeit geworden. Die schwarze Fluchthelferin Harriet Tubman und die weiße Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe haben es vorbereitet und daran geglaubt. Die Utopie des 20. Jahrhunderts, Friede zwischen den Völkern Europas und Friede zwischen Deutschen und Juden, völlig unvor- 50 Millionen Tote, 6 Millionen industriell umgebrachte Zivilisten. Er ist gekommen. Die Utopie ist Wirklichkeit geworden. Dass dieser Friede 77 Jahre lang halten würde und selbst die Implosion des Ostblocks überleben, konnte keiner voraussagen. Aber in dankbarer

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Erinnerung sollten wir daraus Zuversicht schöpfen. Was ist denn die Utopie des 21. Jahrhunderts? Eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Weltwirtschaft und für mindestens 10 Milliarden Menschen ein Konsum- und Lebensstilniveau, das dem Planeten eine Chance lässt. Das ist ja lächerlich naiv oder frömmlerisch naiv, sagen die Pessimisten. Fühlen sich gut dabei, das wisst ihr auch, glücklich ist der Pessimist, wenn was schief gegangen ist. Ist die Welt auch noch so schlecht, sein Trost bleibt, ich hatte recht. Das ist frommer Zweck-Optimismus, sagen die Realisten. Und alle haben die Statistiken und die Prognosen und die Wahrscheinlichkeiten auf ihrer Seite. Das ist ein Geschenk, sagen wir. Diese Blickrichtung aus Zuverlässigkeit, Vertrauen in die Zuverlässigkeit

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Gottes, Verantwortung für das, was jetzt vor der Hand zu tun ist und Weitsicht ist ein Geschenk. Nicht äußere politische, wirtschaftliche, soziografische Daten und Fakten, nicht innere Mentalitätsfaktoren von Dur- oder Mollgestimmtheiten meiner Person, sondern Gott selbst ist die Quelle der Zuversicht. Sie ist eine Gabe. Fiducia wird übersetzt, manches Mal mit Glaube, manchmal mit Vertrauen, manchmal aber auch, wie Luther es schon machte, mit Freimut. Vielleicht könnte man auch Unbekümmertheit sagen. Da ist der Naivitätsverdacht schon mitgeliefert, schon recht, aber Fiducia, ich höre da immer das Wort Fidesz und bei Fidesz höre ich das altdeutsche Adjektiv Fidel. Herbei, euer Gläubigen, Weihnachtslied heißt auf Lateinisch Ad esti Fidelis. Könnte man auch

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übersetzen, kommt rein, ihr Lustigen. Das ist der andere Geist, der in ihm ist, sagt Gott über Kale, indikativ. Indikativ. Er sagt ja nicht, möge die Macht mit ihm sein, sondern dieser Geist ist in ihm. So erstaunlich indikativisch und typischerweise rückblickend erinnernd, tröstet ein väterlicher Freund auch seinen jungen Mitarbeiter. Paulus sitzt im Knast in Rom, wir vermuten Mitte der 60er Jahre des ersten Jahrhunderts und weil seit 54 am Psychopath Kaiser ist, sieht es nicht gut aus für Paulus. Er muss damit rechnen, getötet zu werden und jetzt schreibt er oder lässt schreiben, wenn es noch nicht genau, einen sogenannten Pastoralbrief, ein Trostwort, ich zitiere. Dankbar erinnere ich mich, damit fängt es an, dankbar erinnere ich mich daran, wie aufrichtig du glaubst.

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Es ist derselbe Glaube, der schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eugenieke wohnte. Und ich bin überzeugt, er wohnt auch in dir. Deshalb ermahne ich dich, das Feuer der Gabe Gottes anzufachen. Es brennt ja schon in dir, seit ich dir die Hände aufgelegt habe, denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen. Der Geist lässt uns nicht verzagen, nicht unsere eigene Fronatur. Vielmehr gibt dieser Geist uns Kraft, Liebe und Besonnenheit. Schäme dich also nicht, als Zeuge für unseren Herrn aufzutreten. 2. Timothy 1, 5-8. Wieso schäme dich nicht?

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Weil Hoffnung haben Rechenschaftspflichtig macht, weil die Resignierten ihre Gründe weniger gründlich erklären müssen als die Zuversichtlichen. Schäme dich nicht deiner Fiducia, nicht für Gott Vertrauen und Zuversicht. Wenn ich mich in die Lage des Timotheus versetze, die politischen Verhältnisse sind aussichtslos. Nach Neros dankenswerten Selbstmord kommt das Vier-Kaiser-Jahr 69 mit Galber in Rom und drei Prutschisten auf dem Sprung in den Provinzen. 69 belagert und erobert fällt Herr Titus Jerusalem. Laut Josephus sind angeblich bis zu eine Million Leute entweder umgebracht worden oder haben Selbstmord gemacht oder verhungert. Und Sommer 70 reitet er dann, lässt er sein Paradepferd schon mal ins Allerheiligte scheißen und der Tempel wird zerstört. Es ist der Untergang des antiken Judentums. Es ist übrigens auch der Anfang des Endes der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Falls Timotheus oder Petrus oder Föbe oder Junia oder Priscilla oder all die tapferen namentlich erwähnten Leute in Rom in Römer 16, Grußliste.

47:18
Falls die Kinder hatten, dann hatten die in den 60er und 70er Jahren des ersten Jahrhunderts allen Grund, sich letzte Generation zu nennen. Deren Anliegen heute ich völlig berechtigt finde, deren Methoden ich kontraproduktiv finde, deren Selbstbezeichnung ich eine Anmaßung finde. Ich werde im Jahr zu so 70 bis 90 Votras-Veranstaltungen eingeladen und wenn man das 40 Jahre lang macht, kennt man alle Hotelketten. Also von Fünf-Sterne-Luxus bis Pension Fußbilds und deshalb lasse ich mich gerne in Privatquartieren unterbringen.

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Für richtig Profi-Reisende ist das wahrscheinlich eine Horrorvorstellung. Ich mache das gerne. Man hört Lebensgeschichten und der Wein ist umsonst. Und da war ich im Januar 16 einquartiert bei einem alten Ehepaar, echte Berliner. Es gab wahnsinnig, was die aufgefahren haben. Unglaublich lecker, drei Sorten Fleisch und zum Nachtisch Petit Four und noch ein Schwarzbeet. Ich sage, meine Güte, machen Sie wenigstens so Umstände. Nee, nee, sagt die Frau, das sind noch die Reste von meinem 70. Geburtstag. Ich sage, wie? Sie hatten ja letztes Wochenende den 70. Geburtstag und jetzt staunend entfuhr mir ein eigentlich sehr unhöflicher Satz. Ich sagte, dann sind Sie ja April 45 gezeugt worden.

49:06
Worfen, beide zum Glück lachen und strahlend sagte sie, ja, meine Eltern waren jung und zuversichtlich. Liebe Wörtherausleut, April 45, Berlin, Rauchen der Ruinen, Bombenhagel. Die Russen sind schon in der, am liebsten hätte ich noch gefragt, wo konnte man denn da überhaupt? Die ist Jahrgang 46, fertig. Zuversichtlich. Die Verhältnisse. Und da denke ich, ist es nötig, dass tatsächlich und deswegen finde ich diesen 2. Timotheus 1 so toll. Dass der Paulus den Timotheus an seine Großmutter erinnert.

50:08
Da ist es nötig, glaube ich, dass wir in einen konstruktiven Generationendialog kommen. Denn, ihr lieben Menschen unter 40, lebhaft erinnere ich als 7-Jähriger, dass meine Eltern angstvoll vor dem schwarz-weiß Fernseher saßen, als das rote Telefon ja geklingelt hatte zwischen Washington und Moskau. Es lag ja lediglich an der Art der Bewaffnung und dem Kurs eines russischen Kriegsschiffes vor Kuba. Und seiner Beurteilung durch amerikanische Militärexperten, ob es zu einem Atomkrieg der beiden Supermächte kommen würde oder nicht. Die Kuba-Krise war eine Minute vor Atomkrieg. Und 1986, 26. April ist ein Atomkraftwerk in Europa explodiert. Und eine radioaktiv strahlende Wolke ist über Europa, also um die DDR hat es so eine Westkurve gemacht.

51:04
Aber sonst ist ja diese Wolke über alle Länder. Und wir haben den Sand in den Sandkästen der Spielplätze umgegraben. Und am 9. Oktober 1989, nicht 9. November, Mauerfall und Schabowski und so weiter. Nein, am 9. Oktober 1989 auf dem Ring in Leipzig zwischen Bahnhof und Gewandhaus. Da stand es doch auch eine Minute vor Massaker, denn Egon Krenz hatte doch der chinesischen Regierung nach dem 4. Juni 1989 schon gratuliert, wie souverän sie die 3000 Studierenden auf dem Tiananmenplatz niedergewalzt hatten. Lurio sagt in seinem Sketch Weihnachten bei Hoppenstedts, früher war mehr Lameta.

52:01
Früher war nicht alles besser, aber heute ist auch nicht alles schlimmer. Und manches Mal, wenn ich solche Worte lese wie letzte Generation, da denke ich, dankbar erinnere ich mich deiner Großmutter Lois und deiner Mutter Eumike und ihres Glaubens, der auch in dir lebt. Außerdem heißt es Gott hat uns gegeben den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Kleine Randbemerkung, eine der Gaben des Heiligen Geistes kann auch Besonnenheit sein. Vernünftigkeit ist auch eine Frucht des Heiligen Geistes vielleicht. Denn solistische Privatoffenbarungen münden aus erwählter Geisterfahrer kippen dann doch allzu leicht in knatschig mitleidige Weltuntergangsdatierung.

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Ich schließe mit einem Zitat von Martin Luther King, das wir ihn auch am Ende unseres Musicals sagen lassen. Im November ist noch nicht zu sehen, dass im Frühling hier die Bäume blühen. Dass nach Schnee und Eis der Weizen sprießt. Wer nicht glaubt, wer nicht hoffen kann, ist kein Realist.

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Zuversicht statt Zweckoptimismus (Num 14,24 + 2 Tim 1,7) | 13.7.3

Worthaus 11 – Tübingen: 29. Mai 2023 von Andreas Malessa

Wenn es scheinbar nicht mehr weitergeht, aber aufgeben nicht infrage kommt – was bleibt dann noch? Die Hoffnung, auch bekannt als Zuversicht. Was sie von Zweckoptimismus unterscheidet, beschreibt Andreas Malessa in diesem Vortrag anhand der Geschichte von Kaleb, Josua und der Landnahme. Es ist ein zeitloser Text, der vor allem zeigt, wie schwer es jenen gemacht wird, die Hoffnung haben. Hoffnung muss man erklären. Resignation nicht. Zurückgehen in eine schreckliche, aber vertraute Vergangenheit, scheint oft leichter und verständlicher als die Zuversicht, dass eine andere, bessere Zukunft möglich ist, wenn man sich nur weiter durch die Wüste kämpft. Anhand dieser jahrtausendealten Geschichten wirft Malessa Fragen für die Gegenwart auf: Stimmen uns Krisen eher düster? Oder sind sie Chancen, über die wir uns freuen können? Lohnt es sich zu träumen? Können Utopien und Tagträume wahr werden?
Dass Malessa nicht nur Theologe und Autor, sondern auch Hörfunkjournalist ist, das hört man. Unterhaltsam und beschwingt tanzt er mit Worten durch sein Thema. Und lässt die Hörerschaft zuversichtlich zurück.