Mein Name ist Michael Blume. Ich bin von der Ausbildung her Religionswissenschaftler. Also ich habe erst einen Wehrdienst gemacht, dann eine Banklehre und dann nach dem Studium der Volkswirtschaft im Angefangenen gemerkt, dass ich mit Geld als Tierarzt in der Bundeswehr gearbeitet habe. Und dann habe ich gemerkt, dass ich mit Geld als Tierarzt in der Bundeswehr gearbeitet habe. Und dann habe ich gemerkt, dass ich mit Geld als Thema nicht glücklich werde, ein Leben lang. Und bin in die Religions- und Politikwissenschaft gegangen, habe hier in Pflübingen studiert und hier auch promoviert zum Thema Religion und Hirnforschung. Ich bin also kein Theologe. Theologen müssen glauben, Religionswissenschaftler dürfen. Sondern die Religionswissenschaft, die ist vergleichend, ist nicht konfessionell oder überkonfessionell, wie natürlich Religionswissenschaftler gerne sagen. Ich bin aber persönlich evangelischer Christ, als junger Erwachsener per Erwachsenentaufe der evangelischen Landeskirche beigetreten,
mit einer Muslimin verheiratet, habe im Jahr 2015, 2016 ein Projekt, ein humanitäres Projekt geleitet, mit dem wir jesidische, vor allem jesidische Frauen und Kinder aus dem Nordirak geholt haben und wurde von den jüdischen Landesgemeinden vorgeschlagen als Beauftragter gegen Antisemitismus. Die haben mich vorher nicht gefragt, ob ich das machen möchte, aber wenn sich Baden und Württemberg einig sind, dann ist das quer durch alle Weltreligionen einfach eine ganz starke Ansage. Deswegen konnte ich Nein sagen. Und natürlich auch, weil das Hauptargument stimmt, Antisemitismus ist nicht ein Problem der Jüdinnen und Juden. Es ist ein Problem der Antisemiten, die es zum Problem von Jüdinnen und Juden machen. Es ist also auch richtig, dass Nichtjüdinnen, Nichtjuden und gerade auch Angehörige der christlichen, der islamischen Religionen, aber auch säkularer Weltanschauungen sich selbst gegen den Antisemitismus stellen.
Deswegen danke ich Ihnen alle, wenn Sie sich jetzt auch die Zeit dafür nehmen, weil es gibt natürlich schönere Themen und niemand von uns mag die schwereren Themen und wir haben momentan ja auch sehr, sehr viele davon. Und das löst bei uns Reaktanz aus. Reaktanz, meiner Achtens nach, eines der wichtigsten psychologischen Begriffe, dass wir nämlich eigentlich nicht gerne hören, wenn etwas von uns Veränderungen verlangt, dass wir unsere Optionen verteidigen, das, was uns zugesagt wurde, also zum Beispiel, dass wir als Männer der Auffassung sind, dass unsere Privilegien doch eigentlich erhalten bleiben sollten oder dass wir als Europäer es unangenehm finden, wenn wir über die Situation von Hungernden in Afrika oder im Eurasischen Gürtel nachdenken sollen oder wenn junge Klimaaktivistinnen uns konfrontieren mit der Klimakrise und den Hitzemorden, die jetzt schon stattfinden, zum Beispiel im Irak,
wo ich Ihnen sagen kann, dass wir in wenigen Jahrzehnten große Gebiete haben werden, die nicht mehr bewohnbar sind, jetzt schon nicht mehr bewohnbar sind, aber auch beispielsweise Bagdad, die große alte Stadt, das Gebiet, wo Abraham losgezogen ist, in wenigen Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar sein wird. Das sind Dinge, die hören wir nicht gerne. Das löst Reaktanz aus. Und alle Religionen haben das Problem, wie sie mit Reaktanz umgehen. Auch das Christentum hat das ja sogar als Zentralsymbol, dass da einer, der eigentlich eine gute Botschaft bringt, dafür nicht etwa nur geliebt, sondern auch abgelehnt und sogar schließlich gekreuzigt wird. Und prompt kommen einige auf den Gedanken, obwohl das Kreuz eindeutig eine römische Strafe ist, von den römischen Besatzern erlassen wurde und sich eindeutig gegen Juden gerichtet hat und auch nicht nur gegen Jesus gerichtet hat. Es wurden Jüdinnen und Juden gekreuzigt. Es wurden aber im Römischen Reich auch zum Beispiel Sklaven gekreuzigt. Trotzdem hat in der christlichen Theologie es eine lange unseelige Tradition, auch dafür die Juden zu beschuldigen.
Also wir haben einen jüdischen Messias, einen Jesus und auf der anderen Seite aber dann schon sehr, sehr früh einen christlichen Antisemitismus, der sich gegen die Juden wendet. Wenn Sie sich das anschauen in den Evangelien, dann haben Sie sogar eine gewisse Entwicklung, dass in den frühen Evangelien die Schilderung noch sehr nah am Jüdischen ist. Es ist noch eine jüdische Innenperspektive. Und im Johannesevangelium lesen wir dann plötzlich von Jesus und seinen Jüngern und den Juden, als ob Jesus und seine Jünger nicht auch selbst jüdisch gewesen wären. Also da findet ein Prozess statt, der sich sogar in unseren Evangelien abbildet. Als Titel habe ich gebeten, dass ich diesen Vortrag betiteln kann. Und das wird ein wenig überraschen, aber ich möchte Sie ja auch heute ein bisschen über Aspekte informieren, die vielleicht noch nicht so allgemein bekannt sind.
Ohne Seem und Japheth kein Jesus. Ohne Seem und Japheth kein Jesus. Christlicher Antisemitismus. Jetzt werden Sie vielleicht erst einmal staunen, Japheth, wer ist das? Wir kommen dazu. Aber ich kann Ihnen gleich sagen, dass mein Vortrag nicht auf ethnischen oder völkischen Theorien oder so etwas aufbaut, auch nicht auf Abstammungslinien, sondern auf Medien. Wir werden heute darüber sprechen, welche Bedeutung Seem und Japheth im Judentum haben, im Talmud, in der jüdischen Auslegung haben und damit erkennen, dass wir einen völlig neuen Blick auch auf unsere eigene, die christliche religiöse Tradition dadurch gewinnen können. Also Sie haben schon gemerkt, ich habe gerade noch gesagt, ohne Seem und Japheth kein Jesus und plötzlich sprach ich von Seem. Das ist die hebräische Bezeichnung. Und ich möchte also beginnen, Ihnen diesen Seem vorzustellen, dann den Japheth.
Und dann gehen wir in die christliche Geschichte hinein, weil ich glaube, dann erschließt sich uns vieles neu. Wo lernen wir den Seem kennen, den ich ja auch in meinem Titel trage oder der mir verliehen wurde? Ich bin ja Beauftragter gegen Antisemitismus. Also da steckt der Seem schon drinnen. Das ist einer der vielen Wortgebräuche, die sich so eingebürgert haben, wo aber nur die wenigsten wissen, was eigentlich dahintersteckt. Nun, wir finden den Seem in diesem Buch, das einige vielleicht kennen. Es ist die Thora, das Gesetz des Mose, die ersten fünf Bücher Mose, die Jesus übrigens niemals altes Testament genannt hätte. Never ever. Da werden wir nachher drauf kommen. Das ist schon ein erster Schritt in den Antisemitismus, dass man nämlich diese Schrift abwertet und so tut, als hätte sie in der heutigen Zeit nichts mehr zu sagen. Im Judentum selbst und auch bei Jesus selbst kann davon überhaupt keine Rede sein.
Er lebt aus der Heiligen Schrift, aus seiner Thora und aus dem Tanach. Er legt sie aus. Und er betont, dass sich kein Jotha ändern dürfe am Gesetz des Moses. Was hat es damit auf sich? Das Jotha ist keine Gewichtseinheit, wie man häufig glaubt, sondern im Hebräischen ist es tatsächlich der kleinste Buchstabe des J. Und tatsächlich ist eine Thora-Rolle nur dann eine koschere Thora-Rolle. Sie darf nur dann im Gottesdienst verwendet werden, wenn sie genau 304.805 von Hand geschriebene Alphabetbuchstaben umfasst. Ich wiederhole das nochmal. Den Mittelpunkt des jüdischen Glaubens bildet die Thora. Und eine Thora-Rolle ist nur dann koscher. Sie macht nur dann ein Gebäude zu einer Synagoge, zu einem Lehrhaus, zu einem heiligen Ort,
wenn sie aus genau 304.805 von Hand geschriebenen Alphabetbuchstaben besteht. Das ist der Mittelpunkt des jüdischen Glaubens. Und das war auch der Mittelpunkt des Glaubens von Jehoschua, Jesus, wie wir ihn im Griechischen nennen, aber Jehoschua, wie er im Hebräischen wohl genannt worden ist. Also in dieser Schrift hier finden Sie nicht nur Shem und Japheth, sondern auch die Bedeutung von Shem und Japheth. Schauen wir uns diesen Shem noch einen Moment an, weil er so bedeutend ist. Schon der Name ist außerordentlich bedeutend. Denn Shem heißt Name. Also der Name heißt Name. Shem heißt Name. Ich hoffe, es ist deutlich geworden. Das ist im Judentum außerordentlich bedeutungsvoll. Warum? Es wird gesagt, dass Namen das sind, was dem Menschen gegeben wurde, auch als Recht gegeben wurde, als er die Tiere benennt.
Die werden ihm zugeführt. Die erste Tätigkeit des Menschen ist es Namens geben. Und bei Hans Blumenberg, dem großen Philosophen in Deutschland 20. Jahrhundert, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft sein Theologiestudium, katholische Theologie, abbrechen musste, in Zwangsarbeit gezwungen wurde. Hans Blumenberg hat es einmal so formuliert, dass er gesagt hat, alles Weltvertrauen beginnt mit Namen. Wir geben Phänomene Namen, um sie begreifbar zu machen. Das ermöglicht uns einen Zugriff. Deswegen sprechen wir auch vom Begriff, den wir in den Dingen machen. Also wenn wir zum Beispiel von christlicher Theologie sprechen oder von Pädagogik sprechen, dann sind auch hinter diesen Begriffen, hinter diesen Namen ganz komplexe Geschichten, was jetzt eigentlich Theologie oder Pädagogik bedeutet. Shem trägt den Namen namenselber. Und es ist die einzige Person in der gesamten Bibel, die das tut. Es gibt in der jüdischen Tradition dann später,
bei El Shem Tov zum Beispiel, gibt es dann noch weitere, die den Namen heiligen, die den Namen hüten. Aber in der Bibel ist Shem der Träger des Namens. Es geht sogar so weit, wenn Sie im Judentum den Gottesnamen schützen wollen vor Missbrauch, dann sagen Sie zum Beispiel zu Gott HaShem, der Name. Und wenn Sie nicht nur als Jüdinnen und Juden, sondern als Besucherinnen und Besucher in Israel, und das würde ich jedem Deutschen und vor allem jeder Bürgerin und jedem Bürger in Baden-Württemberg durchaus einmal wünschen und empfehlen, wenn Sie einmal die Chance hatten, Israel zu besuchen, besuchen Sie bitte auch die Gedenkstätte Yad Vashem, Denkmal und Name, weil dort dem Namen der Ermordeten gedacht wird. Es gibt zum Beispiel eine Halle der Namen, in der bewusst jetzt nicht sehr berühmte Persönlichkeiten im Mittelpunkt stehen, sondern wo man sagt, jeder einzelne Name ist es wert, erinnert zu werden.
Also Sie merken, Namen sind im Judentum von riesiger Bedeutung. Das ist sogar in die christliche Theologie eingeflossen. Wenn Menschen getauft werden, Kinder oder wie in meinem Fall dann auch als junge Erwachsene, dann wird man bei seinen Namen gerufen von Gott. So lautet die Formel dazu und tritt damit in einen Bund, in ein Bundesverhältnis mit Gott ein. Nach jüdischem Glauben sind wir alle in einem Bund. Der Shem ist nämlich der Sohn von einer ganz bestimmten Gestalt, die man auch in der christlichen Theologie gut kennt, die aber, das erlaube ich mir zu sagen, meistens unterschätzt wird. Noah ist keinesfalls nur ein netter alter Mann in einer Kindergeschichte mit schönen Farben und Tierchen, sondern er hat in der jüdischen Tradition eine enorm große Bedeutung.
Und man hört gerade nicht auf, mit im Alter von neun Jahren an ihn zu glauben, sondern Noah steht im Judentum für den ersten Bund Gottes mit der gesamten Menschheit. Der Bund des Regenbogens, den wir ja gerade viel leuchten sehen, wenn Menschen für den Frieden auf die Straße gehen, wenn sie für die Gleichberechtigung von Mann und Frau, von LGBTQ, wenn sie gegen Querdenken und andere Verschwörungsbewegungen auf die Straße gehen, wenn sie gegen Homophobie auf den Fußballplatz auflaufen, wie es Manuel Neuer zum Beispiel gemacht hat mit einer Regenbogenbinde, dann berufen wir uns als Menschen immer wieder auf ein biblisches Symbol. Der Regenbogen steht in der jüdischen Tradition für den ersten Bund Gottes mit allem Leben und insbesondere mit allen Menschen.
Das ist übrigens der Grund, warum das Judentum nicht missioniert, nicht missionieren muss. Ich bin jetzt wirklich seit Jahrzehnten in der engen Zusammenarbeit und Freundschaft mit vielen Jüdinnen und Juden und natürlich wird mal geschärzt, aber es gab nie einen ernsthaften Versuch, mich zu bekehren. Warum? Weil es nicht nötig ist. Nach jüdischem Glauben können auch Nichtjuden Anteil haben an der kommenden Welt. Es gibt keinen Bedarf, uns Nichtjuden zu retten, sondern wir sind Kinder Noas. Wir stehen bereits in einem Bundesverhältnis mit Gott. Und wenn geschärzt wird, dann wird zum Beispiel gesagt, naja, du kannst schon auch zum Mosaischen Bund übertreten, dann hast du 613 Gehundverbote. Im noachidischen Bund, in dem du dich befindest, da hast du sieben. Also wähle weise. Und das ist tatsächlich so. Also nach jüdischer Auslegung sollen sich die Kinder Noas, also alle Menschen an sieben noachidischen Geboten orientieren und dann können sie Anteil haben an der kommenden Welt.
Das ist heute nicht mein Hauptthema. Allein das wäre ein ganz spannendes Thema, der noachidische Bund, das mir auch sehr wichtig ist. Aber ich kann das jetzt knapp abkürzen. Wenn Sie ein im guten Sinn aufgeklärtes christliches, muslimisches, humanistisches Leben leben, dann brauchen Sie keine Angst zu haben. Da sind die noachidischen Gebote da drinnen. Es sind so Sachen, was man nicht tun soll. Die Gebote sind ja negativ formuliert. Wir haben es gehört. Reaktanz, was man alles nicht tun soll. Nicht morden, nicht stehlen, keine Tiere quälen. Ganz interessant. Also wir haben schon Tierschutz in diesem alten Bund. Nicht die Ehe brechen. Und ein positives Gebot baut Gerichtshöfe, begründet einen Rechtsstaat, begründet Gleichberechtigung.
Eine staatsbürgerliche Idee, die lange bevor wir überhaupt moderne Staaten haben bereits im Entstehen ist. Und ich spreche hier von einer Überlieferung, die es zur Zeit von Jesus schon gegeben hat, die übrigens auch viele Gleichnisse und viele Verhaltensweisen von Jesus wunderbar erklärt. Dass er erstaunt ist, dass nicht Juden auf ihn zukommen, dass er den Hauptmann von Kafarnau nicht gleich bekehren will, weder taufen noch beschneiden möchte. Dass er gegenüber seinen eigenen Jüngern sagen kann, schaut, einen solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Das hat christliche Theologinnen und Theologen immer wieder arg verblüfft. Aber es macht völlig Sinn, wenn man den noachitischen Bund kennt. Jesus war der Auffassung, dass er Gesandt ist zu Israel. Und er war überrascht, dass seine Botschaft weit darüber hinaus traht.
Und da haben sie in den jüdischen Studien eine große Debatte darüber, die weit, weit zurückgeht bis zu Maimonides und noch früher, ob Gott sich etwas dabei gedacht hat, dass er Jesus auf die Welt gesandt hat. Und eine auch von orthodoxen Rabbinern vertretene, natürlich nicht von allen, aber von immer mehr orthodoxen Rabbinern vertretene Auffassung ist, dass er den Völkern der Welt den noachitischen Bund vermittelt. Wer das nachlesen möchte, dem empfehle ich zum Beispiel die wunderbare Erklärung, den Willen unseres gemeinsamen Vaters im Himmel tun. Eine Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum. Eigentlich eine Sensation, dass nach Jahrtausenden nicht nur Christen sich neu auf das Judentum beziehen, sondern dass auch jüdische Gelehrte, Liberale, Konservative, aber auch Orthodoxe sagen, auch das Christentum steht in einer Tradition Gottes.
Und Jesus ist nicht zufällig auf die Erde gekommen. Hier merken sie schon, dass man also tatsächlich sagen kann, okay, die Geschichte ist also ein bisschen größer, als dass da nur irgendwie etwas zufällig geschehen sei. Und dieser Seem, dieser Schem hat also offensichtlich eine Bedeutung, die man weltweit lesen kann. Zu seiner Zeit gab es das Judentum ja noch gar nicht in der biblischen Tradition. Es kommt ja alles erst ganz viel später, Moses und Jakob, der dann zu Israel wird. Sondern dieser Schem gilt als der erste Begründer einer Schule. Er begründet die erste Schule in Alphabet-Schrift. Mit ihm beginnt nach jüdischer Überlieferung die Alphabetisierung der Welt. Der Semitismus ist eine Bildungsbewegung und das Judentum ist die erste Religion, die eine Alphabet-Schrift in den Mittelpunkt des eigenen Glaubens stellt.
Das macht das Judentum aus. Es geht nicht um Rasse oder Genetik oder so ein Kust. Wir finden in den biblischen Büchern zum Beispiel ausdrücklich die Ruth, wo also festgestellt wird, dass eine Nicht-Jüdin konvertiert, übertritt zum Judentum und dann zu einer Ahnen von König David wird. Und selbstverständlich finden wir diese Ruth auch in den Ahnentafeln von Jesus. Es geht nicht um irgendwie genetische Reinheit oder ähnlich fixe Ideen, wie sie gerade hier auch in Dübingen gelehrt worden sind. Es gibt Jüdinnen und Juden aller Hautfarben. Es gibt ein afrikanisches Judentum, ein arabisches, ein kurdisches Judentum. Wer einmal in Israel war oder wer einmal in einer größeren jüdischen Gemeinde war, wird sehen, wie bunt auch das Judentum ist, genauso wie das Christentum oder der Islam. Sondern was das Judentum ausmacht, ist die Tradition der Schrift. Man wird Jüdin oder Jude, indem man das Lesen lernt.
Und Cem sei der Allererste, der eine solche Schule, eine Schul, eine Synagoge, übrigens mit einem griechischen Wort benannt, gegründet habe. Mit ihm beginnt die Tradition der Alphabetisierung. Und aus der heraus werden wir dann Jesus neu verstehen können. Was ist das Besondere am Alphabet? Es gibt ältere Schriftsysteme, die babylonischen Keilschriften, die chinesischen Schriften. Was soll da jetzt das Besondere sein? Die ägyptischen Hieroglyphen, aus denen über eine Zwischenform tatsächlich die erste Alphabet Schrift entstanden ist. Im 18. Jahrhundert vor Christus auf dem Sinai finden wir die ersten Alphabetzeichen. Und im 15. Jahrhundert vor Christus finden wir sie schon bei Jerusalem in Lachish. Passt also sehr, sehr gut zu der Geschichte. Meine Damen und Herren, das Besondere an Alphabet Schriften und alle Bücher, die ich hier vor mir liegen habe, die anderen werden auch noch zu ihrem Recht kommen, bestehen aus Alphabet Schriften.
Also aus maximal 30 Buchstaben. Es ist die Idee, eine Schrift zu entwerfen, die kinderleicht zu lernen ist und für jede Sprache angewendet werden kann. Eine Lautschrift. Davor war es so in den Keilschriften oder auch in den Hieroglyphen, dass jedes Symbol einen Namen hat, eine Bedeutung hat. Und wir sehen das zum Beispiel in den ägyptischen Kartuschen, in den Hieroglyphen mit der Aufschrift Ramses, wo dann zum ersten Mal man mit Symbolen einzelne Worte bilden kann. Das ist die Idee des Alphabetes. Ich habe jetzt nur noch maximal 30 Buchstaben und ich kann mit denen alle Sprachen der Erde wiedergeben. Englisch, Russisch, Spanisch, Italienisch, Thailändisch, Badisch, Schwäbisch, Sächsisch. Alle Weltsprachen lassen sich jetzt mit den gleichen Buchstaben darlegen.
Das ist die Medienrevolution. Das beginnt mit Seen in der jüdischen Überlieferung. Und da wird zum Beispiel berichtet, dass in seiner Schule nicht nur Abraham, Abraham gelernt habe, sondern auch dessen Sklave Eliesa. Nicht mehr nur der Fürst, auch der Diener. Es entsteht die verrückte Idee, dass wir einmal in einer Welt leben werden, in der alle Menschen lesen und schreiben können, in der alle Kinder Noas, also alle Juden, aber auch alle Nichtjuden lesen und schreiben werden können. Das haben wir noch nicht erreicht. Aber dafür steht Schem. Und da merkt man schon, das ist eine größere Bedeutung, als man sie sich vielleicht zunächst gedacht hat. Jesus selber ist der Sohn eines Zimmermanns, eines Tektonen, ein Bauhandwerker, eher ärmliche Verhältnisse.
Aber er kann so gut lesen und schreiben, dass er drei Tage mit den Schriftgelehrten im Tempel von Jerusalem nörden kann. So richtig hoch und runde diskutieren. Das war, meine Damen und Herren, vor 2000 Jahren nur im Judentum möglich. Ich wiederhole das nochmal. Das war vor 2000 Jahren in dieser Form, diese Alphabetisierung als religiöse Pflicht für jeden Jungen und dann auch jedes Mädchen nur im Judentum möglich. Das ist der Grund, warum wir heute unsere Zeitrechnung nach Jesus, nach einem Arbeiterkind ausrichten, während wir dem Kaiser Augustus, dem römischen Kaiser Augustus, der zur gleichen Zeit regierte, immerhin noch einen Sommermonat gelassen haben. Das ist sozusagen, da kann man also ganz klar sagen, wissenschaftlich gesehen, war es kein Zufall,
dass aus dieser alphabetsierten Tradition des Judentums wiederum die alphabetsierte Tradition des Christentums hervorgegangen wäre. Es mag große Geister gegeben haben und es gab sie natürlich überall auf der Welt. Aber diese besondere Schriftform, aus der Jesus lebte und lehrte, die er verkörperte, buchstäblich verkörperte, das Wort wird Fleisch. Die fand sich nur in Israel in der damaligen Zeit. Jetzt wissen Sie übrigens auch oder bekommen vielleicht einen neuen Blick dafür, warum dieser Jesus nur in einer einzigen Szene im Neuen Testament, in den Evangelien schreibt. Nur in einer einzigen. Ich sehe den Theologen im Raum nicken und er weiß es. Es ist bei der Beinahe-Steinigung der Ehebrecherin. Jesus hinterlässt uns keinen Text, keinen einzigen, der kanonisch gewesen wäre.
Und das ganze Christentum hätte vielleicht eine ganz andere und ich möchte behaupten, schlechtere Entwicklung genommen, wenn er das getan hätte, sondern er schreibt in den Sand. In der einzigen Szene, in der er schreibt. Es gibt viele Szenen, wo er liest, vorliest, auslegt, aber er schreibt in den Sand. Denn er fügt den Schriften, der Thora, dem Tanach nichts hinzu, sondern er legt sie aus. Er tut das, was Rabbinerinnen und Rabbiner, Schriftgelehrte auch in der jüdischen Tradition machen, dass sie die Schrift versuchen, in die jeweilige Zeit hinein auszulegen. Da kommt dann auch heraus, dass sie alle kennen die Phänomene, dass wir zum Beispiel Todesstrafen in der Bibel haben, dann aber in der rabbinischen Auslegung, dass so weit verschärft wird, dass nachher gesagt wird, ein Gerichtshof, der alle 70 Jahre ein Todesurteil verhängt, soll als mörderisch gelten. Also man liest die Schrift auch gegen den Strich. Man unterwirft sich ihr nicht in dem Sinne, dass man sagt,
wir müssen jetzt auch noch im 21. Jahrhundert Menschen steinigen, was wir übrigens nicht im Koran finden, sondern nur in der Bibel, sondern ganz im Gegenteil, man legt die Schrift immer wieder neu aus. Genau das tut Jesus. So gesehen steht er tatsächlich in einer guten frührabinischen Tradition und wird ja auch als Rabbi, als Lehrer bezeichnet. Ich hoffe jetzt, einige von Ihnen haben vielleicht gestutzt, weil sie gesagt haben, Moment, Moment, Moment, es gab noch ein anderes Volk zur gleichen Zeit, das auch ein Alphabet hatte. Aus dem Sinai hat sich das hier entwickelt, auch über die Phönizie und so weiter. Wir haben nicht nur die semitischen Schriften, wir haben auch noch ein weiteres Alphabet, nämlich das griechische. Und tatsächlich, meine Damen und Herren, hat die jüdische Tradition das griechische Alphabet mit dem anderen Noason verbunden, mit Japheth. Japheth ist der Bruder von Shem, daneben gibt es noch Ham, der mit keinem Alphabet verbunden wird.
Und von diesem Japheth wird gesagt, dass er so seinen eigenen Segen bekommt. Es gibt sogar die biblische Voraussage, dass wir einmal in einer Zeit leben werden, in der Japheth in den Zelten Shems zu Hause sein wird. Es gibt eine große jüdische Diskussion darüber, was das bedeutet. Ist damit das Christentum gemeint? Ist damit das Miteinander von griechischer, jüdischer Kultur gemeint? Ist damit das Miteinander von Religion und Wissenschaft gemeint? Oder vielleicht von allem. Ebes, wie der Schwabe sagt, das müssen die Theologen beantworten. Das darf ich als Religionswissenschaftler nicht. Aber ich kann Ihnen sagen, dass tatsächlich mit dem griechischen Alphabet, mit den japhethitischen Alphabeten noch einmal etwas grundlegend Neues passiert. Ich habe Ihnen ein Buch mitgebracht. Das ist eines von mir. Das ist in japhethitischer Alphabetschrift geschrieben.
Also wir haben heute gerade schon ein Buch gesehen in semitischer Schrift und eines in japhethitischer Schrift. Was ist der Unterschied? Beide sind Alphabet-Schriften. Semitische Alphabet-Schriften wie das hebräische, das aramäische, das arabische sind vokalarm. Das heißt, wenn Sie die lesen, dann müssen Sie die Vokale einfügen. Einige werden das vielleicht schon kennen. Es ist inzwischen ein beliebter Gag und ich finde ihn auch sehr, sehr klug, dass wir tatsächlich ganze Sätze lesen können, wenn wir nur die Konsonanten da drin stehen haben. Aber wenn Sie das mal ausprobieren, das macht wirklich Spaß, dann werden Sie feststellen, dass Ihr Gehirn dabei ganz schön rödelt. Warum? Nehmen Sie drei Konsonanten wie W, R, T. Aus diesen drei Konsonanten können Sie jetzt bilden Wort, Wirt, Werte, Warte.
Also Sie können aus drei Konsonanten ganz unterschiedliche Wortbedeutungen herausziehen. Und Ihr Gehirn muss beim Lesen die Konsonanten also ersetzen, durchspielen. Das ist eine unglaublich intensive Tätigkeit, die vor allem rechtshemisphärisch in der rechten Gehirnhälfte bearbeitet wird bei den meisten Menschen. Assoziatives Lesen, unglaublich intensiv. Und das, meine Damen und Herren, führt dazu, dass in der Thora, aber auch im Koran, das ebenfalls in einem semitischen, nämlich dem arabischen Alphabet geschrieben ist, die Lesung unglaublich körperintensiv ist. Also wenn Sie das vielleicht kennen, wie Juden, Jüdinnen und Juden bei der Lesung in Trance geraten können, wie der ganze Körper erfasst werden kann von der Schrifterfahrung. Auch im Islam, also in der Familie meiner Frau, habe ich das zum Beispiel einmal erlebt, wie ein Großvater von ihr in Tränen ausbrach
in einer Rezitation des Koran, weil er so ergriffen war. Er hatte übrigens im Raum den Fernseher abgehängt, damit ihn nichts ablenkt, kein Spiegelbild. Denn das ist tatsächlich eine wunderbare neurobiologische Erklärung auch dafür, warum das Judentum und der Islam keine Bilder brauchen können. Wenn Sie ein semitisches Alphabet haben, wo Sie Wort für Wort assoziieren müssen, stören überbordende Bilder, Statuen, Orgeln. Das ist der Grund, warum Judentum und Islam den Monotheismus, den Eingottglauben, so mit einem Bilderverbot verbunden haben, Transzendent verbunden haben. Eine Schrift und ein Koran erlauben Ihnen eine religiöse Erfahrung im Bereich der Bildlosigkeit, der Transzendenz.
Großartig. Und gleichzeitig sehr geeignet auch für religiöse Auslegungen. Denn wenn jedes Wort unterschiedliche Bedeutungen haben kann, unterschiedlich gelesen werden kann, dann entstehen Auslegungsräume. Sie kennen wahrscheinlich den Witz über zwei Rabbiner, drei Meinungen. Der wird gerne auf den Talmud bezogen, weil es dort tatsächlich so ist, dass Rabbiner, manchmal auch Frauen, aber vor allem sind es männliche Stimmen, manchmal sogar ein römischer Kaiser, also auch nicht-jüdische, werden da durchaus einbezogen. Aber das gestritten wird, was bedeutet dieses Wort. Und man kann sie immer unterschiedlich lesen. Religion als Möglichkeitenraum, der nicht beliebig ist, wo man schon abgrenzt und sagt, das gehört jetzt nicht mehr dazu, aber wo immer eine Vielfalt der Auslegungen entsteht. Das macht die jüdische Auslegung aus. Wenn Sie sich den Talmud anschauen, dank Reim Guski gibt es ihn inzwischen auch deutschsprachig im Internet auf talmud.de.
Wenn Sie sich eine beliebige Stelle im Talmud anschauen, werden Sie feststellen, da steht nie, das bedeutet das, sondern da steht immer, Rabbi Ismael sagte so und Rabbi Meir sagte so. Die ganzen Themen werden durchdiskutiert, es werden Möglichkeitenräume aufgespannt und die Schriftgelehrten sind dazu aufgerufen, daran teilzunehmen. Eines meiner absoluten Lieblingsbücher von Rabbi Jonathan Sacks, seligen Angedenkens, er ist jetzt gestorben, der ehemalige Oberrabiner von Großbritannien. Ich hatte mit ihm kurz Kontakt und wir hatten einen wissenschaftlichen Austausch und ich liebe dieses Buch auch, weil er mich darin zitiert hat. Aber das ist nicht die Hauptsache, sondern tatsächlich, weil er hier zum Beispiel schreibt in confronting, not in Gods name, confronting religious violence, wie Extremismus in die Religionen kommt, in alle Religionen kommt. Er nimmt seine eigene dabei nicht aus, ja, er sagt sogar, dass die Zerstörung des zweiten Tempels ausgelöst wurde, weil auf das Judentum von Extremismus gezeichnet war
und das rabbinische Judentum habe daraus die Lehre gezogen, nämlich sich immer neu auszulegen. Er unterscheidet den Dualismus, wo er sagt, Freund-Feind-Denken, ich beschuldige andere, absolut böse zu sein. Da sind wir schon dicht am Antisemitismus. Vom Monismus, in dem ich anerkenne, dass wir alle Menschen, alle Menschen im Bilde Gottes sind und selbst dann, wenn wir miteinander im Konflikt sind, selbst dann, wenn wir miteinander im Krieg sind, trotzdem nicht unsere gemeinsame Menschenwürde verlieren. Monismus und Dualismus, das spannt er dort auf. In einem Miteinander aus Wissenschaft, Evolutionspsychologie vor allem und biblischer Auslegung jüdischer Tradition. Also da merken Sie gewissermaßen, das ist möglich, wenn Sie immer neue Wortbedeutungen haben.
Aber die Evolutionspsychologie ist ja nun nicht im hebräischen Alphabet erfunden worden. Also was ist denn das, was das japhätische Alphabet einbringen kann? Was auch Rabbi Sex in seinem Buch und in anderen Büchern ausdrücklich anerkannt. Nun, das griechische Alphabet, das lateinische Alphabet, das kyrillische Alphabet, die sind voll vokalisiert. Die lesen sich außerordentlich schnell und sie sind außerordentlich exakt. Nun kann ich mit einem einzigen Wort, eben Wort zum Beispiel oder Wirt oder Wert genau ausdrücken, was ich meine. Japhätische Alphabete sind unglaublich geeignet für Zwecke der Philosophie, der Wissenschaft und auch der Theologie. Jetzt verstehen Sie übrigens auch, warum nur das Christentum eine Disziplin namens Theologie ausgeprägt hat
mit Lehren wie Dreifaltigkeit und so weiter. Das ist für jüdische und muslimische Kolleginnen und Kollegen oft ziemlich schwer erst mal nachzuvollziehen. Schauen Sie sich nur vergleichend die Glaubensbekenntnisse an. Im Judentum und im Islam kommt man mit einem Satz aus. Höre Israel, dein Gott ist einer. Das Schema Israel oder die islamische Schahada. Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet. Klappe Sätze beim Schiiten, etwas verlängert. Aber jetzt schauen Sie sich dagegen mal die christlichen Glaubensbekenntnisse an, solche Jollies. Und wie viele, wie viele christliche Glaubensbekenntnisse wir haben. Die japhätische Alphabetform ist unglaublich geeignet für Philosophie und Wissenschaft. Aber sie verführt auch dazu, dass wir alles mit Worten begreifen wollen. Obwohl wir einen Jesus haben, wo es ausdrücklich heißt, das Wort wird Fleisch,
versuchen wir immer wieder, das Fleisch in Wort rückzuübersetzen. Und versuchen immer wieder, die Lehre zu entwickeln, die perfekt wäre. Obwohl wir einen Jesus haben, der ausdrücklich keinen Text geschrieben hat, versuchen wir immer wieder, den Text zu entwerfen, der ihn greifen kann. Und wundern uns, dass wir daran immer und immer wieder neu scheitern. Fruchtbar scheitern, aber eben scheitern. Jetzt hoffe ich, ist deutlich geworden, warum ich sage, ohne Säm und Japhät kein Jesus. Denn tatsächlich hätte er in seiner eigenen Sprache, im Hebräischen und Arameischen, da hätte er gesagt, ich bin das Aleph und Taube. Und stattdessen ist er uns überliefert als das Alpha und Omega. Also das heißt, das Christentum selber übersetzt den Juden, den Hebräer Jesus, in das japhätische Alphabet.
Wenn man das verstanden hat, versteht man eine ganze Menge, warum auch das Christentum zwischen den Religionen so diese ganz eigenartige Form angenommen hat. Warum wir Bilder in den Gottesdiensten haben und Musik und Lichter und Passion und Statuen. Warum wir das brauchen. Wenn Sie ein japhätisches Alphabet lesen, ein vollvokalisiertes Alphabet, kann ich Ihnen versprechen, Sie geraten nicht in Trance. Beim Bibelmarathon, auch vom CVJM muss nach zwei, drei Stunden abgelöst werden, sonst kriegen die Leute Kopfschmerzen. Unser Alphabet ist großartig. Und es ist in der Lage, Dinge zu tun, die das semitische Alphabet nicht kann. Aber es kann eben auch Dinge nicht, die die semitischen Alphabete können. Im Idealfall ergänzen wir uns. Und im schlimmsten Fall werden wir Gegner.
Und damit sind wir jetzt auch schon bei dem Thema. Also es gibt ohne Shem und Japhät kein Verständnis von Jesus, wie wir es kennen. Das Christentum ist eine Mischung, eine Übersetzung semitischer und japhätischer Traditionen. Übrigens spreche ich hier ja gerade aus Tübingen. Und in der jüdischen Tradition spreche ich aus Ashkenaz. Wir haben letztes Jahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland begangen, teilweise auch gefeiert. Aber in der jüdischen Tradition hieß der deutschsprachige Raum lange, bevor es den Begriff Deutsch überhaupt gab. Nach einem Enkel des Japhät. Nach einem Urenkel des Noah. Nach Ashkenaz. Man hat nämlich damals, und das finde ich außerordentlich interessant, gesagt, die Sprache nördlich der Alpen, die verbinden wir auch mit der Bibel.
Was sind die Nachkommen von Ashkenaz? Es ist faszinierend, wenn sie also Shem und Japhät werden mit Alphabeten verbunden. Ashkenaz aber wird mit der deutschen Sprache verbunden. Und jüdische Gelehrte haben lange das Judendeutsch, ja, so hieß jüdisch bis ins 20. Jahrhundert, es hieß Judendeutsch mit hebräischer Alphabet-Schrift geschrieben. Wir sind Ashkenazim, Deutschsprechende. Und das Judentum war es auch hier in unserer Region. Im nördlichen Alpenraum zwischen dem heutigen Baden-Württemberg und drüben Böhmen, Prag und Österreich. Dort entstand Judendeutsch. Das merken Sie übrigens immer noch an der Endung le. Das ländle, ich glaube, so darf man immer noch sagen.
Das häusle, aber genauso im Judendeutschen, im Jidischen, das Mamele, das Bubele. Oder im Wienerischen das Beisel für die kleine Gaststätte. Die schöne le-Endung am Ende haben wir bis heute gemeinsam. Judendeutsch ist Deutsch. Und die Jüdinnen und Juden, die vertrieben worden sind im Gefolge der Kreuzzüge und der Pestprogramme, sind nach Osteuropa vertrieben worden, zum großen Teil. Wenn wir heute über ein russisches oder über ein ukrainisches Judentum sprechen, dann sprechen wir über die Nachfahren deutschsprachiger Jüdinnen und Juden, die vertrieben worden sind. Das ist deswegen ein großes Anliegen, das ich immer noch hoffe, den Tag zu erleben, an dem der Deutsche Bundestag Judendeutsch als deutsche Sprache anerkennt
und damit eine Diskriminierung in unserem Recht endlich beendet. Wir leben heute noch in der Situation, dass Spätaussiedler zu Recht die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie nach Deutschland kommen. Also wenn sie zum Beispiel aus Moskau oder aus Kiew oder aus Lviv, Lemberg zu uns kommen, dann bekommen Spätaussiedler die deutsche Staatsbürgerschaft anerkannt. Sind es aber aschkenasische Jüdinnen und Juden, selbst wenn sie noch jiddisch, judendeutsch sprechen in dieser Tradition, dann wird ihnen dieses Recht verwehrt mit der Begründung, judendeutsch sei kein Deutsch. Sie stünden nicht in einer deutschen Tradition. Das bedeutet ganz konkret, dass wir auch in unserem Land Baden-Württemberg tausende Jüdinnen und Juden haben, deren Rentenansprüche nicht anerkannt wurden, die erst eine Einbürgerung erringen müssen,
während diejenigen, die aus der gleichen Stadt zu uns gezogen sind als Spätaussiedler, all das vom ersten Tag her anerkannt bekamen. Das ist immer noch eine Diskriminierung, von der ich hoffe, dass wir sie überwinden können. Also, Shem, Japheth, Aschkenas. Sie merken, die biblischen Namen, da sind sie wieder die Namen, sind von einer außerordentlich großen Bedeutung. Ich hoffe, es ist auch deutlich geworden, dass die Alphabetisierung eben kein Randthema ist, sondern dass sogar die Form der Alphabete die Form unserer Religionen ganz entscheidend prägt. Und ich gehe noch einen Schritt weiter, weil ich es vorher schon erwähnt habe, als ich von Bildungsbewegung gesprochen habe. Auch Bildung, der vielleicht schönste Begriff der deutschen Sprache, vielleicht der wichtigste, vielleicht einer der am häufigsten Verwendeten, entstammt diesem Buch. Der Mensch sei im Bilde Gottes geschaffen worden, so heißt es.
Und Maimonides, ein großer jüdischer Arzt und Gelehrter, leitet daraus schon die Pflicht ab, dass alle Menschen gebildet sein sollen. Er schrieb übrigens als Arzt im heutigen Ägypten in arabischer Alphabetschrift. Und im Deutschen ist es dann ein Meister Eckhart, ein berühmter Theologe, der daraus dann wiederum mit Begeisterung für Rabbi Mäuses, wie er den Maimonides nennt, daraus dann ableitet den Begriff der Bildung. Wir haben viele schöne Begriffe von ihm wie Gelassenheit oder Wirklichkeit. Aber Bildung ist schon ein Hammer. Es bedeutet also ursprünglich nicht einfach nur, dass man möglichst viel Geld verdienen soll, möglichst viele Scheine und Punkte sammeln soll, sondern Bildung bedeutet das Potenzial,
das in jedem Menschen, in jedem Mädchen, in jedem Jungen angelegt ist, zu entfalten. Das Judentum schreibt das vor, aber es will auch, dass alle Kinder Noahs, also alle Menschen, daran teilhaben können. Was im Evangelischen die Konformation ist, ist im Judischen die Bar Mitzvah für Jungs und die Bad Mitzvah für Mädchen. Das Kind wird in der Synagoge bei seinem Namen gerufen, bei seinem Namen gerufen, Samuel, Sohn von Daniela, Tochter von... und es liest. Und wenn das geklappt hat, wenn das Kind gelesen hat, dann jubelt die ganze Gemeinde und in einigen Synagogen regnet das Bonbons. Dieses Kind kann lesen. Wir haben teilgenommen am Auftrag Gottes.
Jetzt wissen Sie das Geheimnis, warum nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung jüdisch sind. Nur 0,2 Prozent der Weltbevölkerung sind jüdisch. 15, 16 Millionen Menschen. Aber über 20 Prozent aller Nobelpreise, die jemals verliehen worden sind, sind an jüdische Preisträger und Preisträgerinnen ergangen. Das ist ein Faktor von 100. Evangelische kommen mit 60 Prozent, die ich danach, also sind sehr viel mehr, aber sind natürlich auch sehr viel mehr, schlicht und ergreifend, weil man das dann auch in der evangelischen Tradition übernommen hat. Die evangelische Pfarrfamilie hat genau dieses Modell übernommen. Viele Kinder, Frühbibel, frühe Einüben von Musik, Tradition und so weiter. Na klar kommt da hin und wieder ein Käpste dabei rum. Unter anderem die erste Bundeskanzlerin, die Deutschland jemals hatte.
Das ist das Geheimnis Bildung. Das ist das Geheimnis des Judentums. Der Auftrag, den sich aber auch nicht jüdische Religion, wenn sie im noachidischen Bund stehen, eigentlich annehmen sollten. Denn die Idee einer Welt, in der alle lesen und schreiben können und gleichberechtigt zusammenleben, auf der Basis von gemeinsamen, gleichem Recht, die ist noch nicht erfüllt. Ich hoffe, jetzt wird aber auch schon deutlich, was Antisemitismus ist und wie er entsteht. Wir reden hier also von einer Tradition, die nicht mehr funktioniert wie die religiösen Traditionen davor, die sich nicht mehr nur auf einen bestimmten heiligen Berg, auf ein Buch, eine Schrift, ein Feuer oder ähnliches bezieht. Nicht einmal auf eine Pyramide oder ähnliches, auf eine Hieroglyphenschrift, sondern die sagt, im Mittelpunkt unseres Kultus steht jetzt die Alphabet-Schrift, steht jetzt die Thora.
Und jedes Kind soll lesen und schreiben lernen, ob von reichen oder von armen Eltern. Christina von Braun hat es in einem großen Vortrag in Wien genannt, den Übergang zur sekundären Religion. Was ist damit gemeint? Ein Medium wie die Sprache, für das wir keine Technologie benötigen, ist ein primäres Medium. Ein Medium wie die Schrift, wo wir zum Versenden bereits Technologie benötigen, Stift und Papier beispielsweise, ist ein sekundäres Medium. Ein Medium, für das wir an beiden Seiten, Sender und Empfänger, Technologie benötigen, also zum Beispiel Telegram, Radio, Fernsehen, ist ein terziäres Medium, Stufe 3. Ein Medium, wie das, was wir gerade nutzen, wie das Internet, in dem wir kommunizieren im gleichen Kanal,
das Telefon, aber jetzt vor allem das Internet, das Faxgerät, wenn vielleicht einige auch noch kennen, das gab es auch, ist ein quarteres Medium. Und möglicherweise die letzte Stufe, zumindest wissen wir nicht, ob danach noch etwas kommt, ist dann die sogenannte virtuelle Realität, wenn wir nicht mehr einen Kanal nutzen, sondern in den Medienraum hineingehen, das Medium, unsere Umwelt ausmacht. Mit dem Judentum beginnt, so sagt Christina von Braun, und da bin ich bei ihr, der Übergang von den Primären in die Sekundären Medien. Die erste Religion, die auf Basis von Alphabet-Schrift funktioniert. Und interessanterweise, das sagt Marshall McLuhan, haben wir dann bei Jesus wieder einen Rückgriff, der sagt, ja, von jetzt an könnt ihr alle Medien nutzen, denn ich bin das primäre Medium. Über ihn wird geschrieben, er wird gemalt, von ihm werden Statuen errichtet,
denken Sie an Rio de Janeiro, auch sehr, sehr große. Über ihm werden Filme gedreht, Computerspiele angelegt. The Medium is the message, sagt Marshall McLuhan, und Jesus sei das perfekte primäre Medium gewesen. Das Judentum aber ist die Religion, die damit angefangen hat. Das Judentum ist also die Religion, die auch alle Wut und allen Hass und allen Neid abbekommt. Weil Leute jetzt sagen, die sind anders. Schon in der Antike geht das los, schon in vorchristlicher Zeit geht das los. Was ist mit denen? Warum sind die alle so gebildet? Aristote lässt er, die Juden das Volk der Philosophen nennt. Durchaus noch anerkennend übrigens. Aber es kippt dann auch sehr schnell um. Warum töten die ihre Mädchen eigentlich nicht? Warum haben die so viele Kinder? War völlig normal in der Antike, und wir haben es auch heute noch in einigen Regionen der Welt, in Indien oder in China, dass in den meisten Kulturen Mädchen ausgesetzt oder getötet worden sind.
Auch noch im alten römischen Recht entscheidet der Pater familias bei jedem Kind, ob er es annimmt oder aussetzt. Und wer schon zwei Mädchen hatte, hat eben häufiger zum Beispiel das dritte nicht aufgezogen. Und da entsteht eine Tradition, die sagt, jedes Kind ist im Bilde Gottes geschaffen. Und auch wenn es vier oder fünf Mädchen sind, die behalten wir, die gehören dazu. Wir unterwerfen uns nicht der Logik des verschütterten Wassers, wie es Konfuzius genannt hat, dass ein Mädchen weniger wert sei, weil es ohnehin nach draußen heiratet. Jetzt wissen Sie auch ganz nebenher, warum in der Moses-Geschichte der Pharao unbedingt die Jungs töten möchte und die Mädchen, die jüdischen Mädchen gerne behalten hätte. Ein absoluter No-brainer in der Antike war völlig klar, warum. Es war überall Mädchenmangel. Nur eben bei den Juden nicht.
Verbindliche Familien, das gemeinsame Aufwachsen jedes Kindes, egal welche Hautfarbe, egal welchen Geschlechtes. Kinderreiche Familien, Bildung. Das löst den Antisemitismus aus. In allen anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird die angegriffene Gruppe abgewertet. Da wird gesagt, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Frauen, Menschen mit einer Behinderung, Roma und Sinti und so weiter und so fort, die werden abgewertet, die werden abgestempelt, wie man auch so schön sagt, die werden abgeschrieben. Im Antisemitismus aber wird die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit immer, immer und ohne Ausnahme mit Verschwörungsmythen verbunden. Die seien besonders gefährlich. Die kontrollieren alle anderen. Die seien ja so schlau und so reich. Das macht den Antisemitismus so unglaublich gefährlich.
Wenn Sie noch einmal ans Johannesevangelium denken, dann treffen Sie dort schon auf die Juden als Kinder des Teufels. Es reicht also nicht zu sagen, die sind nicht Christen, sondern sie werden mit einer teuflischen Macht in Verbindung gebracht. Es reicht nicht mehr darauf hinzuweisen, dass das selbstverständlich die Römer waren, die die Kreuzestrafe verhängt haben, die es im jüdischen Recht überhaupt nicht gibt. Es gibt keine Kreuzigungsstrafe. Es gab keine Kreuzigungsstrafe im jüdischen Recht zu der Zeit. Und trotzdem wird zum Beispiel der Blutruf eingefügt, wo es dann heißt, Juden hätten gesagt, das Blut Jesu soll über sie und ihre Kinder kommen. Schon ganz früh beginnt der christliche Antisemitismus, in dem man Jüdinnen und Juden als das Gegenüber, als das teuflische Gegenüber bezeichnet. Da wird dann zum Beispiel gesagt, dass sie nicht nur Christusmörder, sondern auch Gottesmörder gewesen seien.
Dass sie die göttliche Botschaft nicht in die Welt gebracht hätten, sondern verdunkeln wollten. Wir haben schon sehr früh in der christlichen Tradition, Traditionen wie Markion, die wollen, dass man alle jüdischen Elemente herausschneidet aus dem Christentum. Später wird sich das weiter zuspitzen in die Lehre von zwei Göttern. Den Gott der Juden, ein böser, täuschender, eine letztlich teuflische Gestalt, dämonische Gestalt und den vermeintlich wahren Gott der Christen, der im Verborgenen waltet und den man durch die jüdische Verschwörung hindurch erst erblicken müsse. Hier in Tübingen beispielsweise hatten wir dann einen Theologen wie Gerd Kittel, der dann allen Ernstes gefordert und auch umgesetzt hat, die Bibel zu entjuden. Also das heißt, alle jüdischen Bezüge aus der christlichen Tradition und aus den heiligen Schriften herauszuschneiden.
Das klingt für uns verrückt und tatsächlich haben die Kirchen dem insgesamt widerstanden, aber eben nur zum Teil. Es ist eingeflossen in unser Schriftgut, in unsere Traditionen. Und auch völlig wohlmeinende Christinnen und Christen, auch welche, die das Judentum gut kennen und schätzen, sprechen nach wie vor vom Alten Testament und nehmen damit einen Teil der Abwertung ganz unbewusst in sich auf. Und noch einmal, Jehova, Jesus selber, hätte Thora und Tanach niemals als veraltet abgewertet, sondern immer gewusst, dass wir in dieser Tradition stehen, dass das für Jüdinnen und Juden gilt, aber auch für die Kinder Nuas. Und tatsächlich sagen die orthodoxen Rabbiner, die dem Christentum so eine besondere Deutung zumessen, genau das, dass wir eben die ganze Schrift bewahrt hätten,
nicht nur Geschichten über Noah beispielsweise, sondern die Noah-Geschichte in unserer heiligen Schrift bewahrt worden wäre. Das macht es sogar ein bisschen näher als zum Beispiel der Islam, wo ebenfalls eine Suche nach Noah benannt ist, wo Noah eine große Rolle spielt, wo eben die Noah-Geschichte selber angedeutet wird. Übrigens genauso wie die Geschichte der Pilgerfahrt, Mekka und Medina, die sich ebenfalls auf die biblische Geschichte von Abraham bezieht und die man gar nicht verstehen kann, wenn man die Bibel dahinter nicht kennt. Also aus jüdischer Sicht bewahrt das Christentum die ursprünglichen biblischen Traditionen. Und ich wünsche mir einmal, dass wir ein Christentum erreichen werden, indem wir unsere jüdischen Wurzeln nicht mehr als altes Testament abtun,
sondern indem wir sie wertschätzen und indem es vielleicht auch normal wird, auch hier in Tübingen, dass jede und jede, der Theologie studiert, vielleicht mindestens ein Semester, ein Seminar zum Judentum abbekommt. Viele machen es freiwillig, viele gehen sogar nach Israel, das sind, will ich sagen, dann auch oft diejenigen, die mehr verstehen, die Jesus vielleicht dadurch auch noch mal anders verstehen können, tiefer verstehen können. Aber das wünsche ich mir für die Zukunft als theologische Normalität, wenn ich das als Religionswissenschaftler sagen darf. Der Antisemitismus ist also von Anfang an Teil der christlichen Tradition. Wir haben diesen Dualismus, in dem wir dann die vermeintlich Guten sind, die Juden, Kinder des Teufels, die Bösen sind, ohne der sie doch dazu immer mit Verschwörungsmythen verbunden werden. Ich habe es erwähnt, bei den Kreuzzügen gab es pogromen Vertreibungen. Warum? Weil es viele ganz selbstverständlich fanden, den Juden vorzuwerfen, sie wären heimliche Spione der Muslime.
Und bei den Pestpogromen? Bei den Pestpogromen fanden es wieder viele ganz arg einleuchtend zu sagen, an der Krankheit seien ja die jüdischen Brunnenvergifter schuld. Und ganze jüdische Gemeinden, wie zum Beispiel Würzburg, wurden vernichtet, wo der Arzt und Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, herkommt, er ist Vorsitzender jüdischer Gemeinde in Würzburg. Es arzt auch weiterhin immer noch als Notfallarzt aktiv, weil Leben retten in der jüdischen Tradition einfach unglaublich wertvoll ist. Und wir haben darüber gesprochen und ich habe ihm gesagt, dass ich nicht davon ausgehe, dass es wieder Pestpogrome geben wird. Aber radikalisierte Einzeltäter, die Synagogen angreifen, die wird es wieder geben. Und jetzt wissen Sie, warum das Land Baden-Württemberg einen großen Sicherheitskongress mit den jüdischen Gemeinden in Stuttgart
drei Wochen vor dem Anschlag von Halle tun konnte. Nicht, weil wir eine Glaskugel hätten oder irgendwie die Zukunft gucken konnten, sondern weil ich Innenminister Strobl damals sagen konnte, Herr Innenminister, ich kann Ihnen nicht sagen wo und ich kann Ihnen nicht sagen wann, aber ich kann Ihnen sagen, dass es werden Synagogen angegriffen werden. Nicht mehr von Mops, aber von Einzelnen, die sich im Internet so radikalisiert haben, dass sie zu Gewalt greifen. Und er reagierte damals und er hat mir gesagt, dann lassen Sie uns mit den jüdischen Gemeinden ein Sicherheitskonzept festlegen, das ist eine der Belastungen unserer Polizei. Und als dann der Anschlag von Halle geschah, war unser Sicherheitskonzept schon da. Das ist eine der Belastungen als Religionswissenschaftler, wenn man die Dinge kommen sieht und trotzdem oft nicht verhindern kann.
Und Sie erinnern sich vielleicht an den Angriff auf Halle, dass es dem Angreifer nicht gelungen ist, in die Synagoge einzudringen. Und er ermordete einfach eine Passantin, eine Frau und einen Mann im Dönerladen, die keine Beziehung zur jüdischen Gemeinde, keine Näher hatten. Der Antisemitismus bedroht alle. Wie es Jonathan Sacks in diesem Buch formuliert hat, Rabbi Sacks, It is a hate that always starts with Jews, but it never ends with Jews. Es ist ein Hass, der immer bei Juden beginnt, aber niemals bei Juden endet. Und den Grund dafür kennen Sie schon. Wenn Sie der Auffassung sind, die Juden sind das Urböse, die sind die Kinder des Teufels, dann werden Sie jede andere Gruppe, die Sie nicht mögen, in diesen Verschwörungsmythos einbeziehen. Zum Beispiel Muslime, zum Beispiel Ärzte, zum Beispiel Frauen, zum Beispiel Homosexuelle.
Als der Buchdruck aufkam und Luther gerade mal zwei Jahre alt war, noch das Laufen lernte, erschien bereits der Hexenhammer hier in Süddeutschland bei Heidelberg. Und was lesen wir im Hexenhammer? Dass sich Juden und Frauen zum Hexensabbat verbinden. Hexensabbat. Da wird Antifeminismus und Antisemitismus miteinander verbunden. Und diese Juden und die Frauen, die Hexen, die würden also christliche Kinder töten und aus denen Hexensalbe herstellen, um fliegen zu können. Es klingt absolut bizarr. Aber das wirklich Bizarre ist, dass Sie im 21. Jahrhundert von Xavier Naidoo, einem sich als christlich verstehenden Musiker, die gleichen Töne im Internet hören und sehen konnten.
Er weint in sein Handy über das vermeintliche Leid der Kinder einer Weltverschwörung von Juden und Frauen wie Hillary Clinton und Angela Merkel. Und die würden die Kinder in unterirdischen Verließen halten und aus ihnen Adrenochrom herstellen. Das ist ein Stoffwechselprodukt von Adrenalin. Das kann man in der Apotheke kaufen. Das hat keine Bedeutung und das macht schon gar nicht unsterblich. Und fliegen kann man damit auch nicht. Wird nicht mal High davon. Aber in der Tradition des Antisemitismus ist es eben nichts weiter als Hexensalbe im 21. Jahrhundert. Der gleiche Verschwörungsmythos. Antisemitismus ist so angstbesetzt, dass er immer und immer wieder repetitiv arbeitet. Und jetzt wissen Sie also, warum der Antisemitismus nicht nur irgendeine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist, sondern sich immer wieder gegen die Wurzel auch des Christentums richtet.
Auch des Humanismus richtet. Auch des Islam richtet. Bei Martin Luther sehen wir beides. Er startet als großer Reformer. Er betont in seinen frühen Schriften, dass Jesus ein Jude gewesen wäre. Und am Ende kippt er um. Und dann haben wir Schriften wie Wieder die Juden und ihre Lügen. Und den ganz furchtbaren Kommentar zum Schem Hamforas, der sogenannten Judensau von Wittenberg. Übrigens, da haben Sie wieder den Schem, den Namen. Das ist eine Ausführung über den Gottesnamen. Ein wirklich furchtbarer Text, in dem Martin Luther, wir würden das heute ein Rent nennen, über das Judentum herzieht, als wäre es ein YouTube-Kommentar. Und er endet damit, dass er sich wünscht, die Juden hätten nie auch nur einen Buchstaben entdeckt. Was völlig irre ist, weil er ja damit auch sein eigenes Lebenswerk, sein Übersetzungswerk, die Lutherbibel, die 95 Thesen,
selber damit in Frage stellt. Aber das macht Antisemitismus. Im letzten Brief an seine Frau, nach heutiger Kenntnis hatte er einen Herzanfall, schreibt Luther, er sei durch ein Dorf gefahren und die Juden hätten ihn angeblasen. Selbst noch am Herzanfall sind vermeintlich die Juden schuld. Antisemitismus ist unglaublich gefährlich, weil er immer mit Verschwörungsmythen verbunden ist. Und das funktioniert in zwei Richtungen. Antisemitinnen und Antisemiten werden immer an Weltverschwörung glauben. Und Leute, die an Weltverschwörung glauben, werden früher oder später zu Antisemitinnen und Antisemiten. Weil man keiner anderen Gruppe diesen weltweiten Einfluss zutraut. Weil man alle anderen Gruppen abwertet. Weil man Frauen nicht zugetraut hat, selber Hexensalbe zu brauen, sondern gesagt hat, die machen das am Hexensabatt. Antisemitinnen und Antisemiten stehen nicht morgens auf und sagen, ich bin jetzt mal böse.
Das gibt es auch, aber das ist außerordentlich selten. Sondern normalerweise sagen sie, ich mache das in Notwehr, weil die mich ja impfen wollen, weil die mich ja vergiften wollen, weil die mir mein Haus wegnehmen wollen, weil die mir meine Töchter wegnehmen wollen oder mein Geld. Halt das, woran das Herz hängt. Antisemiten rechtfertigen vor sich selber ihre Gewalt als Notwehr. Und deswegen, das habe ich im Irak erlebt, haben sie Antisemitismus auch in Regionen, wo es gar keine Jüdinnen und Juden mehr gibt. Man nennt das den Antisemitismus ohne Juden. Den haben wir heute im Irak, wo die jüdischen Gemeinden, die noch viel älter waren als die deutschen jüdischen Gemeinden, die aschkenasischen jüdischen Gemeinden, alle vernichtet wurden im 20. Jahrhundert. Beginnend mit Großmufti Al Husseini, einem Verbündeten von Adolf Hitler, der 1941 die Farhut-Pogrome in Bagdad entfesselt.
Und die letzten paar tausend Jüdinnen und Juden werden unter Saram Hussein vertrieben. Machen wir uns bitte bewusst, was das für eine unglaubliche Situation ist, dass das sehr viel ältere irakische Judentum, das arabische, das kurdische Judentum heute nur noch in Israel, in Europa und den USA existiert. Aber das aschkenasische, das deutsche Judentum, selbst nach dem Holocaust, nicht erloschen es. Als Religionswissenschaftler wüsste ich keine bessere Annäherung an den Begriff Wunder, als dass wir hier noch mal eine Chance haben, gemeinsam in die Zukunft zu gehen. Wenn Sie sich also diesen Vortrag antun, nur der Jüdinnen und Juden zuliebe, dann wäre ich noch nicht richtig verstanden worden. Ich bitte Sie, den Antisemitismus zu bekämpfen, auch um Ihrer Selbstwillen, um Ihres eigenen Glaubenswillen. Als Christen, als Muslime, als Humanisten, als Deutsche, als Europäer.
Antisemitismus bedroht uns alle. Und das sehen Sie an den Menschen, die zum Beispiel falsch handeln und sich nicht impfen lassen, und glauben, dass im Impfstoff eine Verschwörung drinstecke, ein Nanochips drinstecke. Wir hatten monatelang Suchanfragen, Christian Drosten, Jude, im deutschsprachigen Internet. Nun darf ich Ihnen versichern, auch als Religionswissenschaftler, Christian ist nicht der aller häufigste jüdische Vorname. Aber aus der Logik eines Verschwörungsmythologen, eines Verschwörungsglaubigen muss natürlich ein Virologe aus der Charité in Berlin, der Hochdeutsch spricht und für Impfungen wirbt, Teil der jüdischen Verschwörung sein. Es sterben Menschen, die nicht sterben müssten, wenn sie geimpft worden wären.
Und wir haben sogar in Wustershausen in Brandenburg einen Fall gehabt, wo ein Vater erst den Impfpass seiner Frau fälschte, Impfpässe der Familie fälschte, und als das aufflog, Angst hatte, dass die vermeintliche jüdische Weltverschwörung ihm seine Kinder wegnimmt. Und er tötete seine drei Töchter, seine Ehefrau und sich selber. Sie sind jetzt in der offiziellen Kriminalstatistik ausgewiesen als Opfer des Antisemitismus. Und das stimmt, denn dieser Mensch hat sich der jüdischen Weltverschwörung so tief eingeredet, dass er schließlich zur Gewalt gegen seine eigenen Kinder, gegenüber seiner Ehefrau und gegen sich selber geschritten ist. Antisemitismus bedroht uns alle, am Ende sogar die Antisemiten selbst. In der NS-Geschichte wurden die Roma und Sinti ermordet, mitermordet und mit unter die Nürnberger Rassegesetze genommen,
weil man ihnen vorwarf, sie wären von den Juden nach Europa geholt worden, um die Arier zu durchrassen. Genau das Gleiche hören sie heute gegen Flüchtlinge, da heißt es dann Umfolgen. Es ist der gleiche Verschwörungsmythos. Sogar eine europäische Regierung, die ungarische Regierung hat Plakate drucken lassen, in denen George Soros, ein Holocaust-Überlebender, angeblich den Claude Juncker von der EU kontrollierte und die Flüchtlinge nach Europa holte. Diese Mythen sind überaus gefährlich. Ja, ich hoffe, es ist auch deutlich geworden in der Ausführung von Buchdruck, dass neue Medien immer wieder zu einer Verstärkung von Verschwörungsmythen führte. Sie haben keine Hexenverfolgung in Europa gehabt im 11. oder 12. oder 13. Jahrhundert, sondern das geht eben los mit dem Buchdruck, mit dem Papier, Beginn 15. Jahrhundert und dann richtig mit dem Buchdruck.
Die Zeit der Hexenverfolgung geht vom 15. bis ins 18. Jahrhundert. Das ist die frühe Neuzeit. Genauso die elektronischen Medien, die tarziären Medien, ich hatte sie vorgestellt, die Medien, wo sie Sender und Empfangsgeräte brauchen. Radio und Film, wer nutzt das, um die deutsche Demokratie zu vernichten? Die Weimarer Republik, die Nazis, die Nationalsozialisten. Und auch in den USA, wo der Ku Klux Klan schon erloschen ist, entsteht nach dem Kinofilm Birth of a Nation der Ku Klux Klan neu. Und wir hatten hier in Baden-Württemberg sogar Polizeibeamte, die sich einem Chapter des Ku Klux Klan angeschlossen haben. Jetzt wissen Sie auch, warum der Antisemitismus wieder da ist. Warum er seit den 2000er Jahren ganz massiv seit 2008 immer weiter zugenommen hat.
Die Finanzkrise, wir haben damals doch gedacht, es verschwindet wieder, aber es ist nicht mehr verschwunden. Warum? Weil die gute Nachricht zwar ist, dass nicht die Zahl der Antisemiten steigt, auch nicht in Baden-Württemberg. Es ist nicht so, dass plötzlich ganz viele Menschen auf einmal antisemitisch würden. Aber die schlechte Nachricht ist, die Leute, die in die Richtung tendieren, die Verschwörungsgläubig sind, radikalisieren sich im Internet. Sie werden lauter. Sie versammeln sich zu regelmäßigen Demonstrationen. Und einige von ihnen gehen bis zur Gewaltbereitschaft. Und jetzt wissen Sie auch, warum ich so früh vor Querdenken warnen konnte. Wieder keine Glaskugel, sondern es war immer wieder so. Und als Querdenken in Stuttgart ausgerechnet Ken Jepsen eingeladen hat, einen bekannt antisemitischen Verschwörungsunternehmer, da war klar, das geht wieder in diese falsche Richtung. Und da ist es ja dann auch gelandet.
Dann noch die Verbindung mit QAnon, wie die Verschwörungsbewegung in den USA heißt, Where we go one, we go all. Und es wird richtig, richtig schrecklich. Und so ist es gekommen. Im Januar 2020, noch bevor irgendeine Maskenpflicht da war, noch bevor von Impfstoffen die Rede war, noch bevor klar war, ob das Virus Europa überhaupt erreichen würde, schrieb ein Schweizer christlicher Fundamentalist, ein Sektengründer, übrigens kein Theologe, gelernter Automechaniker, aber er versteht sich als Prophet, schrieb Ivo Sasek oder verkündete Ivo Sasek, das Covid-19-Virus sei eine jüdische Biowaffe, entwickelt, um die Menschheit auf 500 Millionen zu reduzieren. Die sogenannte organische Christus-Generation ist eine antisemitische Bewegung hier im Alpenraum.
Es gibt weitere, wie Tillmann Knechtl, aus der gleichen Stadt wie ich stammend, aus Vilderstadt, jünger als ich. Wir kennen uns wahrscheinlich nicht, denn er ist in die Schweiz ausgewichen und hat unter anderem ein überaus erfolgreiches Buch geschrieben über die Rothschilds, in dem er Jüdinnen und Juden nicht nur vorwirft, dass sie die Nicht-Juden angreifen wollen. Aber nein, sie hätten auch beide Weltkriege und den Holocaust selbst ausgelöst, um die Gründung des Staates Israel zu erzwingen. Ich wiederhole das nochmal. Im libertären Antisemitismus, und das sind Menschen, die sich als Mitte empfinden, die sagen, wir verteidigen nur unsere Freiheit, haben sie die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit dem Nationalsozialismus. Weil da nämlich gesagt wird, dass die Jüdinnen und Juden selber, die jüdischen Weltverschwörungen selber, Hitler gezwungen hätten zum Holocaust.
Wir haben das auch in Schriften von Leuten wie Roland Baader, der jetzt noch nicht in den Bereich des Extremismus zu verorten ist, aber der eine Art Scharnierfunktion übernimmt, wo dieser Dualismus aufgespannt wird und wo gesagt wird, Nationalismus und Sozialismus, das sei ja mehr oder weniger das Gleiche, und übrigens auch die Sozialdemokratie und die kompromissbereite Christdemokratie und Sozialliberale. Der Staat selber wird als dämonisches Feindbild entworfen, als absolutes Übel entworfen, und dann verschwinden alle Unterschiede. Ich warne deswegen davor, weil ich selber noch als junger Mensch dem liberalismus, dem christlichen liberalismus verhaftet, damit konfrontiert worden bin. Mensch, Michael, ließ das doch mal. Der Roland Baader, der ist doch auch christlich und der wird dir gefallen. Vorsicht.
Und wir haben Jakob Czarnke hier bei uns in Bad Württemberg, einen furchtbaren antisemitischen Hetzer, der sich als Pastor ausgibt, der von seiner Kirche selbstverständlich ausgeschlossen wurde, der aber eine kleine, extra-Gemeinde gegründet hat und sich jetzt vor allem über das Internet organisiert. Heute Morgen, bevor ich hierher kam, zeigte mir meine Mutter ganz erschüttert ein kurzes Video, wie er auch den Angriffskrieg von Russland als Ergebnis einer Verschwörung dargestellt hat, aber natürlich nicht einer russischen Verschwörung. Und sie fragte mich, wie das sein kann, dass Pfarrer im 21. Jahrhundert, dass Pastoren so antisemitisch reden dürfen. Noch einmal, mit einer organisierten seriösen Kirche hat er nichts mehr zu tun. Aber er benutzt die Bühne einer kleinen Gemeinde, um sich über das Internet als führender Antisemit in Deutschland zu präsentieren, Leute anzuwerben, Spenden zu sammeln.
Antisemitismus, christlicher Antisemitismus ist kein Thema von gestern. Es ist auch ein Thema von heute. Es ist weiter auch im Alpenraum präsent und sogar in Baden-Württemberg. Und natürlich habe ich mich an das Recht zu halten, habe als Beauftragter gegen Antisemitismus auch nicht unendliche Möglichkeiten. Musste sogar gegen Kürzungen vom Etat anrennen. Politik ist immer hart und da bekommt man jetzt nicht unbedingt viel geschenkt. Aber die Hoffnung, die ich habe, die liegt eben auch nicht in politischen Ämtern, sondern in Ihnen, die Sie sich diesen Vortrag gerade angetan haben und bereit waren, durch die Geschichte des christlichen Antisemitismus mit hindurchzugehen. Zu sehen, dass der Nationalsozialismus zwar eine esoterische Bewegung war, aber dass Hitler problemlos auch auf christlichen Antisemitismus zurückgreifen konnte.
Zu sehen, dass QAnon und Querdenken nicht komplett aus Antisemiten bestehen, aber dass da Verschwörungsmythen von Anfang an eine Rolle spielten und verstärkt wurden, um Menschen in einen Dualismus hineinzulocken. Zu verstehen, dass die regelmäßigen Demonstrationen dieser Gruppe wie ein umgedrehter Gottesdienst funktionieren, in dem sich die Menschen gemeinsam davon überzeugen, dass sie ja die Wahrheit vertreten und alle anderen, einschließlich der Kirchen, auf der falschen Seite wären. Zu verstehen, dass wir in Baden-Württemberg einen Abgeordneten in unserem Parlament hatten, einen Doktor, Dr. Gedeon aus Bayern, der ein Riesenwerk geschrieben hat, Christlich-Europäische Leitkultur, ich musste das lesen, der schuldet mir was, in dem er unter anderem ausführt, dass die Protokolle der Weisen von Zion echt wären, diese furchtbare Fälschung, 100 mal der Fälschung überführt.
Wissenschaftlich ist es völlig klar, aber er sagt, nein, die sind echt, es gibt die jüdische Weltverschwörung. Die haben alles im Griff, die Medien, die demokratischen Länder, nur die autoritären Länder, die sieht er davon ausgenommen. Und er könne leider auch kein Mitglied einer christlichen Kirche sein, denn die seien ja allesamt verjudet. Noch einmal, kein Migrant aus der arabischen Welt oder aus Osteuropa, wo wir natürlich auch Probleme, massive Probleme mit dem Antisemitismus haben, sondern ein einstmals linksstehender Arzt aus Bayern, und der war in unserem Parlament, im Landtag von Baden-Württemberg. Antisemitismus, auch christlicher Antisemitismus, ist leider kein Thema von gestern. Es ist ein Thema von heute und aufgrund der Digitalisierung muss ich Ihnen sagen, dass ich glaube, dass wir noch einige sehr harte Jahre vor uns haben werden.
Ich habe es auch dem Innenminister und der Justizministerin in einem Gespräch mit unseren neuen Polizeirabinern gesagt. Ich fürchte, wir werden weitere Gewalt erfahren und muss sogar selber aufgrund vieler Drohungen und Beschimpfungen teilweise Sicherheitsvorkehrungen einhalten. Ein Antisemit aus Sachsen, der twitterte, der Blume ist ein falscher Jude, der seine Daseinsberechtigung verwirkt habe. Gegen den wurde die Ermittlung durch die Staatsanwaltschaft in Sachsen eingestellt. Unsere Polizei hat ihn ermittelt, aber es hieß, wenn man Antisemitismus-Beauftragter ist und mit einer Türkin verheiratet sei, dann müsse man das halt schlucken. Also in Sachsen dürfen Sie nach geltender Rechtslage sagen, ich sei ein falscher Jude, der seine Daseinsberechtigung verwirkt hatte.
Das macht es mir nicht unbedingt leichter, in den jüdischen Gemeinden dafür zu werben, dass die Leute doch unserem Rechtsstaat vertrauen, dass sie Anzeige erstatten sollen, dass sie dem Antisemitismus entgegtreten. Ich bin trotz allem optimistisch. Ich glaube, wir werden es schaffen. Ich gehe davon aus, dass der Antisemitismus in den nächsten Jahren noch gefährlich sein wird, dass ihn Mächte wie Russland und der Iran weiter schüren. Ich sehe Kriegsgefahr sowohl in Russland, wo eine Demokratie angegriffen wird, die Ukraine angegriffen wird mit einem jüdischen Präsidenten, aber auch im Mittleren und Nahen Osten, wo es offizielle Staatsdoktrin des Iran ist, dass der Staat Israel von der Landkarte verschwinden muss. Und der Iran ist nur noch wenige Wochen von Atomwaffen entfernt. Also ich mache mir Sorgen und ich glaube trotzdem, dass wir es schaffen können. Unter anderem, weil mich Worthaus eingeladen hat und weil Sie, wenn Sie bis hierher dabei geblieben sind, echt gezeigt haben, dass Ihnen das Thema etwas wert ist.
Und deswegen ist mein Schlusswort. Diesmal werden es die Antisemiten nicht schaffen, unser Zusammenleben und unsere Demokratie zu vernichten. Diesmal nicht. Vielen herzlichen Dank.
Ohne Sem und Japheth kein Jesus – christlicher Antisemitismus | 12.2.1
Sem und Japhet kennt man vielleicht, aber eigentlich nur in einer Reihe mit Ham, allesamt Söhne Noahs, damit irgendwie Vorfahren aller Menschen. War da sonst noch was?
Ja, sagt Religionswissenschaftler Michael Blume, und das wissen wahrscheinlich die wenigsten. Er erklärt, welche Bedeutung Japhet und Sem im Judentum zukommt, warum es Antisemitismus heißt und was ausgerechnet diese beiden damit zu tun haben, dass der junge Jesus Jahrtausende später in einer Synagoge mit Schriftgelehrten diskutieren kann. Denn Sem erfand etwas, was die Menschheit verändern sollte, was im Judentum Arme und Reiche einander gleicher stellte und was Menschen in Trance versetzen kann. Sein Bruder Japhet soll diese Erfindung noch weiter ausgefeilt haben, so dass die Trance ausblieb, aber Theologie und Bürokratie möglich wurden. Und Blume erklärt, was diese Erfindungen damit zu tun haben, dass Islam und Judentum keine Bilder brauchen, dass das Christentum dagegen ohne Bilder, Musik und Lichter im Gottesdienst nicht auskommt und dass gerade Juden so oft angefeindet und verfolgt werden. Dabei trifft der Antisemitismus auch ins Herz des Christentums und des Islams. Und bedroht schließlich uns alle.