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Also zuerst zur Vorgeschichte der Heidelberger Disputation. Am 31. Oktober 1517, Luther hat immer die Reformation auf diesen Tag datiert, am 31. Oktober 1517 schreibt Luther nach langem Zögern an den Erzbischof Albrecht von Mainz und an den Diözesanbischof von Brandenburg, Hieronymus Schulze. Beigefügt sind den Briefen 95 Thesen, die als Grundlage für eine Disputation gedacht waren, lateinisch verfasste Thesen. Unter dem ins Deutsche übersetzten Titel von der Kraft der Ablässe wendet sich Luther gegen die sich ausbreitende Ablasstheologie und Praxis.

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Er klagt über die theologisch und seelsorgerlich verheerende Wirkung des Ablasshandels. Im Brief an den Erzbischof heißt es, ich beklage die falsche Auffassung, die das arme, einfältige, grobe Volk daraus entnimmt. Die unglücklichen Seelen glauben, wenn sie nur Ablassbriefe lösen, seien sie ihrer Seligkeit sicher. Ach, lieber Gott, so werden die eurer Sorge anvertrauten Seelen, teurer Vater, zum Tode unterwiesen. Und dann wird Luther schärfer im Ton. Er schreibt, welche eine Schande für einen Bischof, wenn er für das Evangelium kein Wort übrig hat und bloß den Ablasslärm in sein Volk ausgehen lässt. Welch eine Schande für einen

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Bischof. Luther hatte in These 82 provokativ gefragt, warum befreit der Papst nicht alle Seelen zugleich aus dem Fegefeuer um der allerheiligsten Liebe will? Warum nur einzelne Zahnungswillige um des allerunheilvollsten Geldes will? Buße könne allein aus der Erkenntnis der Sündenschuld der Menschen und der Gnade Gottes kommen. Beides aber werde offenbar, wenn die Christen, ich zitiere Luther nochmal, ihrem Haupte Jesus Christus durch Kreuz, Tod und Hölle nachzufolgen sich befleißigen, so These 94. Die in lateinischer Sprache verfassten Thesen werden in der gelehrten Welt und unter der kirchlichen Führung schnell verbreitet. Nachdem sie ohne

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Luthers Einwilligung in die deutsche Sprache übersetzt und in Nürnberg, Leipzig und Basel gedruckt worden sind, gehen sie wie ein Lauffeuer durch Deutschland. Menschen aller Schichten und Bildungsgrade sind begeistert. Albrecht Dürer schickt Luther sogar aus Dankbarkeit ein Geschenk. Im März 1518 legt Luther in der Schrift ein Sermon von dem Ablass und der Gnade seine Sicht erstmals in deutscher Sprache für eine größere Öffentlichkeit dar. Dieser Sermon wird auch im NU verbreitet. Noch im selben Jahr erscheinen zwölf Nachdrucke. Immer deutlicher zeichnet sich ab, die Auseinandersetzung über den Ablass und die Ablasstheologie ist nicht nur eine Diskussion über ein theologisches Spezialthema und nicht nur ein kirchenpolitischer Disput. Sie wird zu

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einer öffentlichen Anklage gegen den Missbrauch kirchlicher Macht und die Verbreitung falscher religiöser Lehre. In dieser brisanten Situation bitten Luthers Ordnsobere, ihn wiederholt, dem Orden bloß keinen Schaden zuzufügen und sich öffentlich zu erklären. Sie schreiben, die anderen Orden hupften schon vor Freuden, die Augustiner mussten nur auch brennen. Also die anderen Orden sagen, euch wird es auch bald so gehen, dass ihr auf dem Scheiterhaufen landet. Im April 1518 macht sich Luther zu Fuß auf den Weg nach Heidelberg, wo das Generalkapitel der deutschen Augustiner-Iremiten-Strenger Observanz auf den 25. April angesetzt ist. Luther berichtet

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von einer fröhlichen Reise mit vielen guten Begegnungen und vielen festlichen Bewirtungen. Er klagt über Leibeszunahme aufgrund der vielen guten Bewirtungen. In Heidelberg wird er unter anderem vom Sohn des Kurfürsten, der bei ihm in Wittenberg studiert hatte, auf dem Schloss empfangen. Also so ein kleiner Staatsbesuch war das schon. Nach der Regelung von Ordnungsangelegenheiten veranstalten die Augustiner am 26. April eine wissenschaftliche Disputation unter dem Vorsitz Luthers, in denen er in 40 Thesen und Erläuterungen seine Theologie zur Diskussion stellt. Die Disputation findet nicht im Augustinerkloster, sondern in der Universität, im Hörsaal der Fakultät der Artis Liberales statt. Das waren also alle Fächer, die zur Vorbereitung auf die

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gehobenen Studien Theologie, Jura und Medizin dienten. Heute würden wir sagen die philosophische Fakultät im breiten Sinn. Und diese Disputation bietet eine große und revolutionäre Auseinandersetzung Luthers mit der vorherrschenden schulastischen Theologie seiner Zeit. Und wenn man im akademischen Betrieb steht, soll man sehr vorsichtig mit dem Wort revolutionär umgehen. Aber hier darf man das mutig sagen. In den ersten 12 Thesen geht es um die richtige Verhältnisbestimmung der Werke Gottes und der Werke der Menschen. Die Thesen 13 bis 18 behandeln den menschlichen Willen, problematisieren die Rede vom freien Willen, bestreiten die menschliche Möglichkeit, aus eigenen Kräften Gutes zu tun. These 13 sagt, das freie Willensvermögen nach dem Sündenfall ist ein

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bloßer Name und indem es tut, was in seinen Kräften steht, sündigt es tödlich. Die Thesen 19 bis 24 bieten in ihrer Unterscheidung eine Theologie des Kreuzes und eine Theologie der Herrlichkeit, Theologie der Kukis und Theologie der Glorie, das entscheidende Zentrum der Disputation und das Programm der neuen reformatorischen Theologie. Die abschließenden theologischen Thesen 25 bis 28 betonen noch einmal die Unterscheidung der Werke Gottes und der Werke der Menschen. Sie schließen mit den Worten, und das schließt sehr stark an das an, was Siegfried Zimmer gesagt hat, die Liebe Gottes findet das für sie Liebenswerte nicht vor, sondern erschafft es. Die Liebe Gottes

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findet das für sie Liebenswerte nicht vor, sondern erschafft es. Die Liebe des Menschen entsteht aus dem für sie Liebenswerten. Zwölf philosophische Thesen, die vor allem der Kritik des Philosophen Aristoteles gewidmet sind, bilden den etwas schwächeren Schlussteil der berühmten Disputation. Etwas schwächer, versteht sich relativ, sie sind auch noch in sich interessant und brisant, aber sie haben nicht diese revolutionäre Power, die wir in den ersten Thesen finden. Die Reaktionen auf Luthers Präsentation sind gemischt. Etablierte Kollegen und selbst einige seiner früheren Freunde können seine Angriffe auf die scholastische und mit der physisch-philosophische Theologie das Übernatürliche nicht nachvollziehen und wenden sich von ihm ab. Ermutigend ist die Begeisterung der theologischen Jugend. Mehrere der späteren

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bedeutenden Reformatoren sind bei der Heidelberger Disputation anwesend. Johannes Brenz, Reformator von Schwäbisch Hall und im Greichgau, Martin Buzer, später einflussreicher Reformator in Straßburg, Martin Frecht, Reformator in Ulm, Erhard Schnepp, Reformator in Hessen und Württemberg und viele andere junge Theologen sind von Luthers Gedanken überzeugt und begeistert. Worum geht es? Zweiter Teil, die Faszinationskraft und reformatorische Revolution in der Theologie des Kreuzes. Die Theologie des Kreuzes ist eine revolutionäre Theologie. Erst im Licht des Lebens Jesu und im Licht der Macht seiner Auferstehung lässt sich diese Revolution in ihrem ganzen

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Ausmaß erfassen. Sie richtet sich gegen Gottes Vorstellungen und Gottes Gedanken, die nur in tiefsinnigen Spekulationen ausgebildet werden und nur geistigen Eliten zugänglich sind. Und sie richtet sich gegen Formen von Religiosität, die von Gottes Auseinandersetzung mit dem Leiden, der Not und der vielfältigen Selbstgefährdung der Welt und der Menschen absehen. Also es sind die Punkte, die Siegfried Zimmer auch angesprochen hat. Gott ist schöpferisch. Gott kommt uns nahe. Gott setzt sich auseinander mit dem Leid der Welt. Gott tut etwas für die Menschen und ist nicht nur eine spekulative Größe, die wir bebrüten und im Übernatürlichen irgendwo suchen und zu ahnen

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versuchen. Gottes Gegenwart in der radikal von Gott unterschiedenden Schöpfung, aber auch der Ernst und die richtende und rettende Macht dieser Gegenwart werden in der Theologie des Kreuzes respektiert. Martin Luther hat diese Theologie programmatisch im Zentrum der Reformation gestellt und er folgt damit Paulus, der gegenüber den Korintern erklärt, 1. Korinther 2.2, denn ich entschloss mich unter euch von nichts anderem zu wissen als von Jesus Christus und zwar dem Gekreuzigten. Am 12. Februar 1519 schreibt Luther an Sparlatin, Sekretär von Kurfürst Friedrich des Weisen, in einem brieflichen Gutachten über das Johannesevangelium und über die Willensgemeinschaft von Jesus mit seinem Vater und ich liebe dieses Zitat überaus,

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da haben Sie es sehr schön auf den Punkt gebracht. Er schreibt, wer da will heilsam über Gott denken oder spekulieren, der setze alles andere hintan gegen die Menschheit Christi. Wer also über Gott heilsam denken will, soll sich ganz auf die Menschheit Jesu Christi konzentrieren und er betont und das ist die einzige und alleinige Weise Gott zu erkennen, von der die scholastischen Sentenzenlehrer weit gewichen sind und jetzt kommt eine wunderbare Wendung, die an der Menschheit Christi vorbei in die absoluten Spekulationen von der Gottheit sich eingeschlichen haben. Also eine Theologie, die in absolute Spekulationen in die Gottheit sich einschleichen wollen, an der Menschheit Jesu Christi, in der Gott sich offenbart hat und offenbaren will, vorbei. Niemand kommt zum

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Vater außer durch mich. Johannes 14, 6. Dieses Wort wollten christliche Theologen und Theologinnen allerzeit wohl ernst nehmen, aber nur zu oft haben sie dies an der Menschheit Jesu und an seinem Leiden und Sterben vorbei zu tun versucht. Luther bestreitet radikal, dass die Offenbarung Gottes in Jesus Christus an der Menschheit Christi vorbei und durch absolute Spekulationen über Gott wahrgenommen werden kann. Die Offenbarung Gottes ist nicht in metaphysischen Spekulationen zu erfassen, sie ist auch nicht nur kleinen Gruppen von Gelehrten und Kirchenfürsten zugedacht. Gott hat es gefallen, sich in seinem Sohn, in dessen Leben und damit auch in seiner Ohnmacht und seinem Leiden zu offenbaren. Darauf müssen der Glaube und die Theologie, müssen sich alle Gelehrten und

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alle geistlichen und weltlichen Würdenträger bitte schön einlassen. Diese Konzentration auf die Offenbarung Gottes in der Menschheit Jesu Christi löst eine bereits im Spätmittelalter und im Humanismus vorbereitete Bildungsrevolution aus. Sie ist durchaus vergleichbar der Revolution, die die empirisch orientierten modernen Naturwissenschaften ausgelöst haben. Der große Mathematiker, Naturwissenschaftler und Philosoph Alfred North Whitehead, Begründer der Prozesstheologie, die in den USA und im englischen Bereich sehr wirksam geworden ist, hat darauf aufmerksam gemacht. Er sagt, wir haben da im Humanismus des Spätmittelalters zwei revolutionäre Entwicklungen. Die Reformation, die sich konzentriert auf Gottes Offenbarung in der Geschichte, in Jesus Christus und damit auch in

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den Zeugnissen der Schrift und die modernen Naturwissenschaften, die empirische Bestätigung für ihre Erkenntnisse suchen. Zwei sehr verschiedenartige Entwicklungen kommen da zusammen, die beide revolutionär wirken. Schnell wird deutlich, dass es nicht nur um die Erneuerung der gesamten Theologie und Frömmigkeit geht, sondern um eine Umorientierung in Kultur, Wissenschaft und Bildungswesen. Gemeinsam mit Sparlatin, dem Sekretär des Kurfürsten, mit Karlstadt, seinem Kollegen und später Konfliktgegner und mit Philipp Melanchthon plant Luther eine Universitäts- und Wissenschaftsreform, zunächst für Wittenberg, in der die scholastische Philosophie und Theologie zurückgedrängt werden soll. Eine Rückkehr zu den

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Quellen der Theologie, eben zu den biblischen Texten und die Pflege der griechischen und hebräischen Philologie sollen den Monopolanspruch der spekulativ-philosophischen Theorie brechen. Mit der biblischen Bildung, durch kompetente Übersetzungen und Buchdruck sollen auch breite Bevölkerungsschichten für einen direkten Zugang zu den biblischen Zeugnissen und zu Gottes Offenbarung gewonnen werden. Dies erfordert gewaltige bildungspolitische Anstrengungen, die aber nicht nur der geistlichen, sondern auch der weltlichen Freiheit der Christenmenschen zugutekommen. Die von der Reformation ausgelöste Bildungsrevolution ist höchst beeindruckend. In der folgenden Vorlesung werden wir einige Eindrücke von ihr gewinnen. Nun aber zu den Schlüsselgedanken der Heidelberger Disputation. Luther stellt 28 theologische Thesen zur Diskussion, die von

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fünf Doktoren der Theologie diskutiert werden. Die erste These lautet, das Gesetz Gottes, die heilsamste Lebensregel, kann einem Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen, steht vielmehr im Wege. Luther begründet das damit, dass die Menschen auf ihre eigenen Werke fixiert sind und nicht auf die Werke und Zusagen Gottes blicken, dass sie sich mit dem Schein der Gerechtigkeit zufrieden geben und nicht auf Gottes Handeln sehen. Also liegen wir ganz auf einer Linie mit dem ersten Vortrag, den sie heute gehört haben. Gott aber offenbart sich nicht im Glanz, sondern in Leiden und Ohnmacht. In einem Retter, der wie Jesaja 53 sagt, keine Gestalt noch schöner hat. Und er offenbart sich in

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dramatischem Wirken. Luther zitiert 1 Samuel 2, dass er nicht nur in der Gerechtigkeit zufrieden bleibt, sondern auch in der Leidenschaft. Und er offenbart sich in dramatischem Wirken. Luther zitiert 1 Samuel 2, der Herr macht tot und lebendig. Die Menschen, die einen göttlichen Glanz und den eigenen Glanz suchen, missbrauchen das Gute Gesetz, das wie Luther ausdrücklich bezeichnet. Er ist der Gerechtigte, Wahre, Gerechte, das dem Menschen von Gott zur Hilfe gegeben ist, um ihn über seine natürliche Kraft hinaus zu erleuchten und zum Guten zu bringen, so die Erläuterung zu These 2. Also Sie merken schon, Sie müssen jetzt bei Luther sehr, sehr vorsichtig sein wie auch bei Paulus. Einfach nur das Gesetz negativ zu besetzen, ist problematisch. Das hat im Protestantismus immer wieder getan. Sobald Sie Gesetz hörten, schalteten Sie ab und aus und

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sagten nur negativ. Nein. Im Gesetz geht es um Gerechtigkeit. Ist das schlecht? Es geht um Barmherzigkeit. Ist das übel? Es geht um den ordentlichen Gottesdienst, den Kult, Gottesdienst, Ordnungen und Gestaltung. Das Gesetz an sich ist, wie Luther sagt, heilig, gerecht und gut, sagt Paulus auch. Aber jetzt kommt die große Gefahr. Dieses Gesetz kann missbraucht werden. Und dann wird das, was zum Guten angelegt war, zu einer ganz bösen Macht. Sie kriegen dann den Schein einer ordentlichen Religion. Sie kriegen den Schein einer Gerechtigkeit und Sie kriegen den Schein einer guten Moral. Und das wird dann sehr, sehr gruselig. Wir kommen darauf zurück. Mit der Theologie des Kreuzes hat das sehr viel zu tun. Also die Menschen missbrauchen das Gesetz,

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indem sie ohne Gottesfurcht und in Hochmut auf ihre eigenen Werke bauen. An diese Einstellung und Haltung kann dann die Ablasskremerei ansetzen, die Luther in der Heidelberger Disputation allerdings nicht mehr zum direkten Thema macht. Sie sehen, der Ablasshandel ist ein Anstoß, ein Auslöser für die reformatorische Wende. Aber die Probleme liegen tiefer. Missbrauch des Gesetzes, falsche Gottesvorstellungen, Herrschaft von Menschen über andere mit Hilfe einer falschen Gesetzesfrömmigkeit und spekulativen Gottesgedanken. Dem gegenüber heißt es in These 11, Vermessenheit kann nur da vermieden werden und wahre Hoffnung kann nur da sein, wo man bei

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jeglichem Werk das Gericht der Verdammnis fürchtet. Denn es ist unmöglich, auf Gott zu hoffen, ohne an allen Kreaturen zu verzweifeln und zu wissen, dass einem nichts nützen kann außer Gott. Hier sehen Sie sehr radikale Dualismen, Konzentration auf Gott allein und nicht auf die eigenen Werke oder Leistungen unserer Mitmenschen. Eine radikale Konzentration auf Gott, Gottes Offenbarung und Gottes gnädiges Heilswirken liegt der Kritik an der Gesetzesfrömmigkeit und der Werkerichtigkeit zugrunde. Was aber kann der Mensch tun, um wirklich Gott zu suchen und auf Gott zu hoffen? Was kann er tun, um zu vermeiden, dass er nicht allenthalben das Seine sucht, wie Luther formuliert, das Seine sucht und damit Sünde an Sünde fügt? These 16. Was kann der Mensch tun, dass er in dieser beklemmenden Situation nicht in

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Verzweiflung oder in Fatalismus fällt? These 17. Die Antwort lautet, er muss sich an Gottes Offenbarung, genauer an die Offenbarung der Gnade Gottes in Christus halten. Und das wird zugespitzt und entfaltet in den berühmten Thesen 19 bis 21. Also wenn Sie zeitknapp sind und wenig Zeit zur Lektüre theologischer Texte haben und Sie sagen, wo finde ich einen Schlüsseltext von Luther, dann würde ich sagen, Heidelberger Despotation, Thesen 19 bis 21. These 19. Nicht der heißt mit Recht ein Theologe, der Gottes unsichtbares Wesen durch seine Werke wahrnimmt und versteht. Das unsichtbare Wesen Gottes ist seine Kraft, Gottheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Güte und ähnliches. Die Erkenntnis aller dieser Dinge

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macht nicht weise und würdig. Ein Schock für eine metaphysische Theologie. Wer diese Erkenntnis anstrebt, wird versuchen, in die absoluten Spekulationen über die Gottheit sich einzuschleichen. Gottes Weisheit, Gottes Güte und so weiter. These 20. Sondern der heißt mit Recht ein Theologe. Heute würden wir hinzufügen, die heißt mit Recht eine Theologin, der das, was von Gottes Wesen sichtbar und der Welt zugewandt ist, als in Leiden und im Kreuz dargestellt begreift. Gott hat der Welt seine Menschheit und Schwachheit zugewandt. Gott will, dass er aus den Leiden erkannt werde. Gott will die Weisheit des Unsichtbaren durch eine Weisheit des Sichtbaren verwerfen. Auch das haben wir heute im ersten

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Vortrag gehört. Die Weisheit des Unsichtbaren soll durch eine Weisheit des Sichtbaren ersetzt werden. Luther summiert in der Erläuterung zu These 20. So ist es für niemand genug und nütze, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkennt. Mir ist dieses zugleich sehr wichtig. Ich werde das später noch unterstreichen, weil man sehr leicht, wenn man Luthers scharfe Entgegensetzungen folgt, wenn man denen folgt, dann eine abstrakte Theologie des Kreuzes, die von der Auferstehung absieht, ins Auge fasst. Das bringt dann nochmal Folgeprobleme, mit denen wir uns befassen werden. Aber hier sagt Luther, zugleich will Gott in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkannt werden. In These 21 bringt Luther dann die beiden Theologien auf den Begriff, indem er die Theologie, die Gott aus dem unsichtbaren Wesen, aus

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seiner Herrlichkeit, Weisheit, Kraft und Gottheit erkennen will, Theologie der Herrlichkeit, Theologie der Glorie nennt, die andere aber Theologie des Kreuzes. Ich zitiere ihn, These 21, der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge beim richtigen Namen. Der Theologe der Herrlichkeit nennt hingegen das schlechte gut und das gute schlecht. Wie kann Luther so hart über die Theologie der Herrlichkeit urteilen? Er tut es deswegen, weil sie von der Offenbarung Gottes in Christus absieht. Sie kennt Christus nicht und kennt nicht den im Leiden verborgenen Gott. Daraus aber folgt, so Luther, dass sie Gottes glänzende Werke dem Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Kraft der Schwachheit vorzieht. Die Theologen der Herrlichkeit hassen Kreuz und Leiden, lieben aber glänzende Werke, die Gottes und ihre eigenen. Deswegen nennen

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sie das Gute des Kreuzes böse und das Böse der Werke gut. In der Erläuterung zu These 21 folgt dann der entscheidende Satz, zitiere Gott aber kann nur in Kreuz und Leiden gefunden werden. Die Theologie des Kreuzes ist der Weg, die eigene Unfähigkeit zum Guten zu ertragen, anzuerkennen und sich in Gottes Furcht auf den schöpferischen Gott auszurichten. Luther betont in der These 25, dass durch diese Haltung die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben eingegossen wird. Aufgrund der durch den Glauben eingegossenen Gerechtigkeit folgen dann auch die guten Werke, die dem Gesetz entsprechen. Das Gesetz befiehlt, was der Glaube erreicht, was der Glaube erfüllt. Im Glauben werden die Absichten des Gesetzes

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erfüllt. Doch vor dem Glauben steht die Umwertung aller Werte durch das Kreuz, die Offenbarung Gottes in der Menschheit, im Elend und in der Niedrigkeit. Gegen einen selbstgerechten Triumphalismus, welcher Art auch immer, emphatisch oder moderat, gegen alle offenen und verdeckten Formen des Selbstvertrauens lehrt die Theologie des Kreuzes das radikale Vertrauen auf den auch aus Leid und Not heraus schöpferischen Gott und auf die Kraft des göttlichen Geistes, indem sie die Menschen ganz auf Jesus Christus in seiner Menschheit und in seinem Leiden konzentriert. Konzentration auf den schöpferischen Gott. Wir sprechen gerne in sehr abstrakter Theologie der Herrlichkeitweise von der Allmacht Gottes. Ganz metaphysisch. Allmacht Gottes,

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Allmacht Gottes. Wenn Sie sich die Bibel ansehen, gründlich, erste Kapitel, dann staunen Sie, wie viele ungeheure Macht Gott der Schöpfung und den Menschen zuweist. Die Erde bringe hervor, die Wasser bringen hervor, die Himmel scheiden, die Gestirne regieren, auch die Festtage. Und der Mensch erhält den berühmt-berüchtigten Herrschaftsauftrag, wie immer die Menschen dann damit umgehen. Ungeheure Eigenmacht. Und damit beginnt dann eine realistische Theologie und eine realistische Schöpfungswahrnehmung. Das ist dann immer die Folgefrage. Ja, aber hat dann die Schöpfung nicht auch die Macht, sich selbst zu gefährden? Ja, leider. Willkommen in der wirklichen Welt. Und dann kommt zu der Trick. Aber warum heißt es denn, Gott

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sah, dass es gut war? Sogar sehr gut. Und da muss man sagen, gut hebräisch, lebensförderlich, heißt nicht herrlich. Die Schöpfung ist nicht das Paradies, sondern Gott bezeichnet der Schöpfung in ihrer radikalen Unterschiedenheit von Gott, dass sie gut ist, lebensförderlich, endlich. Wir rufen immer die TUDC-Frage auf, wenn die Tsunamis da sind oder Kinder in Krebs sterben. Wie kann Gott das zulassen? Wir machen uns nicht so deutlich, dass die gesamte Schöpfung endlich ist, sterblich, vergehen wird, fragmentarisch und dass alles Leben auf Kosten von anderem Leben leben muss. Auch wenn Sie Vegetarier und Vegetarierinnen sind, müssen Sie unendlich viel Leben zerstören, um sich zu erhalten. Willkommen in der wirklichen Welt. Das überrollen

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wir häufig in vielen Formen der Frömmigkeit mit einer metaphysischen Theologie der Herrlichkeit. Sie sehen, wie vergiftet die ganze Sache ist. Jetzt gehen wir in solche Spekulationen rein, machen uns falsche Vorstellungen von Gottes Allmacht. Gottes Allmacht ist die Macht, auch aus Leid und Not Neues und Gutes zu schaffen. Und Gottes Allmacht ist nicht der große Puppenspieler der die gesamte Schöpfung nur immer an seinen Bändern hat. Im Gegenteil, wenn Sie also Gottes Allmacht zu sehr überziehen, dann kommen Sie in ziemlich ketzerische Bemerkungen. Ist es Gottes Wille, dass ich das jetzt hier runter schmeiße? Oder hat Gott auch meinen

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Kragenknopf geschaffen? Sie merken, es geht ins banale, triviale, Dumme. Gottes Allmacht ist die Macht, auch aus Leid und Not Neues und Gutes zu schaffen. Und Gott hat eine Welt geschaffen, der sehr viel Eigenmacht gibt, die aber dann eben auch zum Nichtguten verwendet werden kann und auch verwendet wird. Luthers theologischer Neuansatz ist bahnbrechend und bleibt das bis heute. Das ist wirklich diese Konzentration auf die Theologie des Kreuzes und die großen Warn- und Fragezeichen gegenüber der Theologie der Herrlichkeit bleiben bahnbrechend. Er muss immer wieder gegen eine mächtige Theologie oder mächtige Theologien der Herrlichkeit gewonnen, erneuert und verteidigt werden. Sie muss verteidigt

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werden gegen viele verführerische Angebote, zum Beispiel aus dem Gebiet der Philosophie. In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am Karlsplatz können Sie das herrliche Gebäude bewundern. Es ist ziemlich groß und diente seinerzeit den beiden Söhnen des Kurfürsten als Studentenbude mit Personal, versteht sich. In der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hielt vor nicht langer Zeit ein sehr gebildeter Philosoph einen Vortrag zum Thema Gott im Denken, warum die Philosophie auf die Frage nach Gott nicht verzichten kann. Er präsentierte einige tiefsinnige, metaphysische und spekulative Gottesgedanken und war sehr erstaunt, als ein Theologe fragte, welche rettenden, erlösenden und erhebenden Wirkungen von seinem gedachten

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Gott eigentlich ausgingen. Ist ein im Fachterminus gesagt soteriologisch leerer Gott, also wo sich mit Rettung und so weiter nichts ereignet, da sagen wir soteriologisch leer, ist er mehr als ein Gedankengötze? Das Erstaunen, das dann viele Mitglieder der Akademie ergriff, es ging so richtig so ein Raun durch den Saal, wurde noch vertieft als ein sehr angesehener Jurist, früherer Verfassungsrichter, die Frage stellte, was dieser Gottesgedanke denn mit Gerechtigkeit zu tun habe und ob ein Gott, der nicht in wesentlicher Beziehung zur Gerechtigkeit steht, überhaupt glaubwürdig sei. Zahlose andere Beispiele könnten gegeben werden, um zu verdeutlichen, dass das Problem der Theologie der Herrlichkeit auch heute keineswegs erledigt ist. Kant hat mal im Alter gesagt, Gott bewahre uns vor unseren Freunden, vor unseren Feinden wollen wir uns schon selbst in Acht nehmen. Das gilt leider auch für

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die Theologie der Herrlichkeit. Wir kriegen da immer sehr faszinierende Angebote von allen Seiten, greift doch zu. Und früher haben wir uns auch immer gefreut, wenn die Philosophie überhaupt mal von Gott geredet hat. Wir sind jetzt Gott sei Dank ein bisschen anspruchsvoller geworden, jedenfalls einige von uns. Die immer wieder neue Flucht in die Theologie der Herrlichkeit ist aber den vormaligen Freunden und Gegnern Luthers und auch unseren heutigen Zeitgenossen kaum zu verargen. Wenn die mit der Kreuzestheologie gegebene Herausforderungen, die Herausforderungen wirklich verdeutlicht werden. Denn was verhindert, dass die Konzentration auf das Kreuz Christi die Gotteserkenntnis unmöglich macht? Was verhindert, dass Gott in seiner Menschheit und Schwachheit als Gott einfach unkenntlich wird? Was verhindert,

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dass das Kreuz nur zur Botschaft wird, es ist kein Gott? Tod Gottes. Luthers Ausführungen selbst, ich hatte es schon angedeutet, weisen zwei problematische Spannungen auf, die über Jahrhunderte hinweg die Theologie und die Christologie im Besonderen belastet haben. Erstens betont er in der Erläuterung zu These 21 Gott aber kann nur in Kreuz und Leiden gefunden werden. In der Erläuterung zu These 20 hingegen heißt es, so ist es für niemanden genug und nütze, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schmach seines Kreuzes erkennt. Eine Theologie des Kreuzes kann und darf nicht von der Auferstehung abstrahieren. Wenn sie nicht in einer ebenso abgründigen, irgendwie problematischen Leidensmystik oder in trotzigen Beschwörungen von Paradoxien

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als vermeintlicher Offenbarung ein trauriges Ende finden will. Das ist bei uns immer so die Notbremse in der Theologie, dann sagt man, das ist eine Paradoxie. Oder gar den Satz, den ich überhaupt nicht mag, credo quer absurdum. Ich glaube gerade, weil es absurd ist. Gefährliches Zeug. Es war wirklich ein absoluter Irrweg, Glauben gegen Denken zu setzen, Glauben rein zu emotionalisieren, Glaube rein zu subjektivieren. Ein riesiger Irrweg und ich sehe ihr Programm auch als eine kräftige Gegenunternehmung und wir bemühen uns auch seit 30 Jahren mit vielen international interdisziplinären Forschungsprojekten dagegen zu halten. Natürlich ist der Glaube auch emotional, natürlich ist er auch etwas Subjektives. Natürlich geht er nicht einfach in bestimmten Formen von Rationalität auf. Aber der Glaube

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hält eben auch das Denken beides. Wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Der Glaube ist nicht sozusagen die dumme Seite der menschlichen Existenz, sondern er ist eine bescheidene Seite. Er sieht Grenzen der Erkenntnismöglichkeit, aber nicht credo quer absurdum, sondern credo intelligam. Ich glaube, um zu erkennen, um Erkenntnissuche, tieferer Erkenntnis zu gewinnen. Aber wie gesagt, die Herausforderung, wenn sie nur Kreuz und Leiden, dann droht das sehr schnell in Paradoxien hineinzugehen oder es droht der Umschlag der These, nur der Gott, der sich in Kreuz und Leiden offenbart, kann helfen, in die These, der nur leidende Gott kann helfen. Und dann bleibt die Frage, wie

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soll das geschehen? Ohne überzeugende Antwort. Der zweite Punkt, an dem sich in der Heidelberger Disputation und auch in anderen Texten Luthers eine problematische Unausgeglichenheit findet, die die Theologie der Reformation und besonders das ihr folgende Luttertum belastet hat, betrifft das Gesetz. Einerseits spricht Luther in den Thesen eins und zwei davon, dass das Gesetz Gottes die heilsamste Lebensregel sei, das heilige Gesetz Gottes, das Unbefleckte, Wahre, das den Menschen zur Hilfe gegeben ist, um ihn über seine natürliche Kraft hinaus zu erleuchten und zum Guten zu bringen. Andererseits zitiert Luther mit Recht die Aussagen des Paulus, dass die Gerechtigkeit Gottes ohne Zutun des Gesetzes offenbart wurde. Römer 3. Und dass das Gesetz die Sünde nicht nur erkennen lasse, sondern sie auch stärken

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könne. Erste Korinther 15. Diese verschiedenen Bestimmungen werden dann aber nicht differenziert entfaltet, untereinander zugeordnet, sondern die gesamte Kritik Luthers konzentriert sich auf die polarisierende Entgegensetzung von Werken Gottes und Werken des Menschen. Lutter war ein fantastischer Polemisierer, aber eben auch mit dem Preis, dass eine sehr klare, starke Zuspitzung manchmal mit sich bringt, man überzeichnet, man übersteuert. Als Werke des Menschen werden vor allem die Todsünden angegriffen, die darin bestehen, dass etwas als gut erscheint und dennoch inwendig eine schlechte Wurzel, eine schlechten Baumesfrucht ist. Und diese Werke des Menschen werden nun schlicht als Werke des Gesetzes bezeichnet. Damit nimmt Lutter in unklarer Weise Wendungen des Paulus auf, statt das Problem genauer

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zu analysieren, dass es Werke gibt, die dem Gesetz zu entsprechen scheinen, die deshalb gut erscheinen und die dennoch eine schlechte Baume, schlechte Frucht sind. Lutter hätte dann zwischen dem guten Gesetz und dem von der Sünde missbrauchten Gesetz unterscheiden und unterscheiden müssen. Er hätte dann allerdings auch unterscheiden müssen zwischen dem Gesetz, das die Sünde erkennen lässt und dem Gesetz, das zu schwach ist, um seinen eigenen Missbrauch durch die Sünde zu entlarven. Diese Verunmächtigung des Gesetzes muss zu einem ganz zentralen Thema jeder Kreuzestheologie werden. Und leider weiß die Heidelberger Disputation dieses Differenzierungsvermögen nur in Ansätzen auf und auch zahllose Theologien von Gesetz

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und Evangelium lassen das vermissen. Dieses Differenzierungsvermögen ist aber unverzichtbar, um zu erkennen, was eigentlich am Kreuz Jesu Christi geschieht. Und damit komme ich zum dritten Teil. Theologie des Kreuzes, Sünde und Süne, schwierige Themen der Theologie neu durchdacht. Das Kreuz Jesu Christi offenbart die Welt unter der Macht der Sünde. Jesus von Nazareth wird hingerichtet im Namen der politischen Weltmacht Rom. Und wenn Sie die sich richtig vorstellen wollen, dann müssen Sie heute Amerika, Russland und China zusammennehmen, um zu sehen, wie machtvoll Rom damals war. Im Namen der politischen Weltmacht Rom wird er hingerichtet, im Namen der herrschenden jüdischen Religion, unter Berufung sowohl

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auf jüdisches als auch römisches Recht und unter dem Druck und Beifall einer aufgewiegelten öffentlichen Moral und Meinung. Selbst seine Anhänger und sogar seine Jünger verlassen ihn, verleugnen ihn, verraten ihn. Ein sehr komplexer politischer, rechtlicher, religiöser, moralischer Normzusammenhang steht hier vor Augen. Die Institutionen und Kräfte wie Politik, Recht, Religion, Moral, Öffentlichkeit, die eigentlich die Menschen in der Suche nach Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit, nach dem Guten, nach dem Heil lenken und orientieren sollen, sie alle werden pervertiert, von interessierter Seite für eigene Ziele missbraucht und verstärken

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sich in ihrer negativen Wirkung wechselseitig. An dieser normativen Verstrickung sind aktiv beteiligt die Vertreter der Religion, die über Tempel und das Gesetz, Thora, die Identität des Volkes erhalten wissen wollen und auf Respekt vor diesen religiösen Instanzen, Tempel und Gesetz dringen. Sie meinen es durchaus gut, denn sie wollen die religiöse Identität Israels vor dem Einfluss der römischen Fremdherrschaft schützen. Ich befürchte, ich wäre damals auch auf Seiten der Pharisäer gewesen. Diese Identität sehen sie gerade durch Jesus gefährdet, weil er den Tempel und das Gesetz problematisiert und relativiert. Die religiösen Führer manipulieren darum die Zeugen und die öffentliche Meinung. Sie heucheln Loyalität gegenüber der Weltmacht

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Rom und dem Kaiser. Hier zeigt sich die Religion unter der Macht der Sünde. Aktiv beteiligt an der normativen Verstrickung sind auch die politischen Mächte. Ganz konkret geht es um Pilatus, der als Präfekt des römischen Kaisers Tiberius in der Provinz Judea verständlicherweise für Ruhe und Ordnung sorgen will. Pilatus fürchtet die Erregung der öffentlichen Meinung im von den Römern besetzten Land. Er will auf keinen Fall in den Ruf kommen, seinem Kaiser die Loyalität schuldig zu bleiben. Beteiligt sind ebenso die öffentliche Moral und Meinung, die sich nun nach dem Motto heute Hosianna, morgen Kreuziget ihn, auf die sichere Seite der religiösen Führer schlägt. Beteiligt sind sogar die engsten Verbündeten Jesu, seine

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Jünger. Politik, Recht, öffentliche Moral und Meinung, selbst enge Freundschaft zeigen sich genau, wie die Religion als unter der Macht der Sünde steht. Und vor allem wechselseitige Verstärkung. Das ist für uns immer das Schlimmste, was passieren kann. Denn normalerweise stehen diese Kräfte ja in Balance. Wenn die Religion durchdreht, dann bleibt hoffentlich Politik, Recht und öffentliche Meinung noch wach. Wenn die öffentliche Meinung wild wird, dann hoffentlich Religion und Recht noch stabil und so weiter. Aber wenn die alle zusammen und in wechselseitiger Verstärkung wirksam sind, dann erleben wir gruselige Dinge wie Deutschland unter dem Faschismus oder Südafrika unter der Apartheid. Wie kann ein Ausweg aus

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solchen Verblendungszusammenhängen gesucht und gefunden werden? Die Entfesselung eines moralischen Kampfes aller gegen alle kann ebenso wenig eine Lösung bieten wie heutzutage die Aktivierung von Stimmungen durch massenhafte Twitter-Kommunikation. Natürlich ist die intensive moralische Kommunikation auch in solchen diffusen Formen ein wichtiger Aspekt menschlichen Zusammenlebens und möglicherweise ein Ferment gemeinsamen Lernens. Es kann was Gutes rauskommen. Es droht aber beständig der Umschlag in Tyrannei oder Chaos. Wenn die Formen kollektiver Selbstgefährdung durch das Versagen der gesellschaftlichen Formen Politik, Recht, Religion und öffentliche Moral nicht erkannt werden. Im biblisch bezeugten Lebenszusammenhängen sind es die Süne und das Opfer in ihren materiellen und in ihren sublimierten kultischen Formen, die an diesen Grenzlagen Orientierung und Hilfe bieten wollen.

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Das Thema Süne hat uns in der Theologie noch viel größere Schwierigkeiten bereitet als das schwierige Thema Sünde. Die christliche Theologie war lange von einem Paradigma beherrscht, das sagte, Gott ist barmherzig, aber Gott ist auch gerecht. Die Menschen haben sich durch die Sünde der Gerechtigkeit Gottes entzogen und haben damit zeitliche und ewige Strafe verdient. Gott will sich ihrer aber erbarmen. Dafür braucht er als der nicht nur barmherzige, sondern auch gerechte Gott einen Ausgleich. Die sündigen Menschen sind nicht in der Lage, diesen Ausgleich zu erbringen. Also wählt Gott seinen eigenen Sohn, ein sündloses Lamm, Johannes 1, Offenbarung 5 und öfter, und gibt ihn in dem blutigen Tod, um die Menschen zu

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retten. Gegen diese Vorstellung von Gottes Versöhnung mit der Welt durch den Tod seines Sohnes am Kreuz als Süne bezeichnet, ist mit Recht immer wieder polemisiert worden. So hat der Berliner Theologe Wolf Kröttke betont, es müsse, ich zitiere ihn, klar bleiben, dass Menschen Jesus hinrichten, nicht mit dem mörderischen Tod der Hinrichtenden, sondern mit dem Hingerichteten identifiziert sich Gott und macht sich so in der Tat im Sohn Gottes selbst zum Opfer. In diesem Sinne gibt die nachösterliche deute Kategorie Opfer bzw. Süne diesem Tod eine Sprache. Im Licht dessen, was wir uns zum Thema Sünder erschlossen haben, müssen wir hinzufügen,

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dass es nicht einfach einige bösartige Menschen waren, die Jesus hinrichteten, sondern dass es Menschen in politischen, rechtlichen und religiösen Machtpositionen sowie die Moral und Stimme des Volkes waren, die Jesus zum Tod am Kreuz verurteilten. Auf der Suche nach einem Ausweg aus solchen hochgefährlichen Schuld- und Verhängniszusammenhängen müssen wir uns auch dem Phänomen der Süne zuwenden. Nach bahnbrechenden Einsichten des Tübinger Alttestamentlers Hartmut Geese, sein wichtigster Schüler Bernd Janowski hat das dann aufgenommen und dann die ganze Tübinger Schule, auch die Neuttestamentler. Nach bahnbrechenden Einsichten Geeses greift die Süne dort in das Leben von Menschen ein, wo Menschen auch mit ihren besten Mitteln die vorzeitige Verfallenheit an

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den Tod nicht abwenden können, wo sie in einem irreparablen Unheilsgeschehen stehen, wo nichts wieder gut gemacht werden kann. Die Süne antwortet auf die Frage, gibt es für den Menschen, der in Schuld, in welcher Form auch immer, an die Grenze seiner Existenz kommt, gibt es für ein Volk in entsprechender Situation die Möglichkeit, sich aus dieser Verstrickung zu lösen? Gibt es die Möglichkeit eines neuen Lebens jenseits des irreparablen Geschehens? Oder wir können auch etwas erlobber formulieren, wie kommen wir aus einer Situation heraus, wo alle Sicherungen ausgefeilt sind? Politisch, rechtlich, religiös, moralisch. Die Antwort auf diese Frage ist im Alten Testament, in der hebräischen Bibel, eine dem Menschen im Kult vermittelte Erfahrung von

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Befreiung, eine Befreiung durch das rituelle Opfer, das uns heute natürlich relativ fremd ist, obwohl so fremd ist es auch nicht, wenn Sie die Inflation von Tagesschauern, nicht von Tagesschauern, von Tatorten im Fernsehen sich ansehen, dann wird da fleißig Opferkonsum betrieben. Der Sühnopferkult besteht in der rituellen Tötung von Haustieren. Diese Tiere werden zur Ernährung und zum Lebensunterhalt im weitesten Sinne gehalten. Sie sind wichtige Elemente des Besitzes des Kapitals im damaligen Israel. Wer ein Tier im kultischen Opfer darbringt, gibt bewusst einen Teil seiner wirklichen Lebensmöglichkeit hin. Als wäre es ein Stück von mir. Ein Stück der realen Zukunftsgrundlage, der Weiterexistenz, ein Stück des Vermögens. Durch den Ritus erfolgt eine

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Identifikation des sogenannten Sühnopferspenders mit der Opfergabe, diese berühmte Handaufstimmung. Sie gehen in den Tempel und legen ihre Hand dann auf das Tier, das sie opfern. Das ist Leben, das für mein Leben bestimmt ist. Ganz real meine wirkliche Lebensgrundlage, ein Stück meiner Existenzermöglichung, meiner auch physischen Zukunft. Diese Hingabe wirklicher Lebensmöglichkeit wird im kultischen Opfer zu erfahren, der Hingabe von Lebenswirklichkeit. Dass ich noch eben in meinem Besitz befindende vielfach verwendbare Tier stirbt durch einen gewaltsamen Eingriff in sein Leben. Es erfährt total und unüberschreitbar, was der Opfernde partiell und überschreitbar erlebt, die Hingabe von Leben. Die bewusste Erfahrung der Hingabe von Leben wird durch die rituelle Tötung und im Blutritus nun vollzogen. Das Blut wird biblisch

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als der innere Träger des Lebens angesehen. Leviticus 17 Deuteronomium 12. Die Freisetzung des Blutes ist für das Opfertier mit dem Tod, für den Opfernden mit einer Todeserfahrung verbunden. Die Einschränkung der eigenen Lebensmöglichkeit durch die Gabe des Tieres wird am verblutenden Tier als Hingabe von Lebenswirklichkeit erfahren. Doch diese Todeserfahrung ist zugleich verbunden mit erneuernder Lebensgewissheit. Dabei handelt es sich nicht um schuldhaft erworbene, sondern von Gott gewährte und gewollte Lebensgewissheit. Das Blut als Träger des Lebens wird nicht willkürlich, sondern dem Gesetz gemäß vergossen. Im Rahmen des Kultes freigesetzt. Es wird mit dem Heiligtum in Kontakt gebracht, indem

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das Blut an den Altar, an den Vorhang des Allerheiligsten, ja an die Stätte der Herabkunft Gottes selbst gesprengt werden darf und soll, wird das kultische Ertragen und Erfahren des Todes gerechtfertigt. Die Lebensgewissheit des Opfernden ist von Gott gewährt, ja sie ist von Gott getragen, sie ist geheiligt. Lebensgewissheit und Heilsgewissheit verbinden sich gegenüber dieser Lebenshingabe und im Angesicht dieses Todes. Diese Lebensgewissheit und Heilserfahrung wird dem kultischen Opfer mit kaum überbietbarer Evidenz zugeeignet und diese elementare Gewissheitserfahrung befreit von der Ungewissheit der Existenz zwischen Leben und Tod. Die biblische Kreuzestheologie knüpft an diese Vorstellungswelt an und ich betone nochmal eine uns im Prinzip fremdgewordene, aber in vielen Formen, Stichwort Tatort, Konsum,

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auch weiter in unseren Kulturen wirkende Ritualisierung. Also die biblische Kreuzestheologie knüpft an, sie führt vor allem aber in das hoffnungsvoll Offene und Befreiende, indem sie das Geschehen des Kreuzes in das Licht der Auferstehung und der Geistausgießung rückt. In der Bescheidenheit des Brotbrechens, des Friedensgrußes, der Erschließung der Schrift, des Taufauftrags und der missionarischen Sendung, alles Promissio Aktion. Offenbart sich der Auferstandene den Seinen, nimmt er sie in sein nachösterliches Leben hinein. In der Kraft der Geistausgießung werden sie mit seinen diakonischen, prophetischen und priesterlichen Kräften begabt, die ihnen

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Anteil geben am Leben des Auferstandenen und Erhöhten. Gott zum Dank und zum Lob und den Mitmenschen zum Trost und zur liebenden Hilfe. Von diesen segensreichen Wirkkräften Jesu Christi hat Martin Luther viel zu sagen gewusst, ganz besonders in seinen Ausführungen zum Thema Abendmahl. Aber all das geht weit über die Impulse der Heidelberger Disputation und die Anfänge der Reformation hinaus, die uns heute hier beschäftigen sollten. Aber es war mir doch wichtig, am Ende zu zeigen, die Kreuzestheologie heute weiter gedacht, welche Dramatik in dieser Theologie steckt, wie sie an Traditionen im Bibelschen anschließt, wie sie uns heute Sühneopfer schwierig geworden sind, bis hin in unsere verdorbene Sprache,

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Kriegsopfer, Rauschgiftopfer, Drogenopfer. Keine ordentliche Unterscheidung zwischen dem Vorgang des Sacrificium und der Viktimisierung. Im Englischen können Sie Sacrifice und Victim unterscheiden, im Lateinischen auch, im Deutschen können wir das nicht, im Russischen auch nicht. Da haben wir nur diesen oparken Begriff des Opfers und dann schleicht sich da alles Mögliche ein, dumpfe Vorstellungswelten. Die Kreuzestheologie hat da viele, viele Möglichkeiten klärend zu wirken, aber sie hat eben auch die große Herausforderung, uns mit einer sehr schwierigen Situation unserer menschlichen Existenz unter der Macht der Sünde zu konfrontieren und zu zeigen, wie der allmächtige Gott rettend, liebevoll mit dieser Situation umgeht. Und es ist eben wichtig, sich dann nicht nur auf Sühne und Opfer zu fixieren, sondern auf Verstehung und Geisterausließung, eben die Kräfte Gottes, die dann ins Freie und Befreiende führen.

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Luthers bahnbrechende Heidelberger Disputation und die reformatorischen Anfänge | 6.2.2

Worthaus 6 – Heidelberg: 14. Mai 2016 von Prof. Dr. Dr. Michael Welker

Eigentlich wollte Martin Luther nur eine Debatte anstoßen über die verheerende Wirkung des Ablasshandels auf das „arme, einfältige, grobe Volk“. Das nämlich erliege durch den Ablasshandel nämlich dem fatalen Irrtum, so glaubte Luther, dass nur der Kauf eines Ablassbriefes der Seele den Weg in den Himmel ebnen würde. Doch als Luther 1518 nach Heidelberg gerufen wurde, um seine Thesen zum Ablasshandel zu verteidigen, stellt er weitere neue Thesen auf – Lehren, die die Reformation noch mehr anheizen und die Kirche der damaligen Zeit auf den Kopf stellen sollte. Der Heidelberger Theologe Prof. Dr. Dr. Michael Welker seziert diese 28 Thesen, die Luther in seiner Heidelberger Disputation aufgestellt hat. Er erklärt, warum Gott nicht in seiner Herrlichkeit erkannt werden kann, sondern in Verzweiflung und Leid Christi. Und vor allem setzt er sich dabei immer wieder mit einer der größten Fragen der Christenheit auseinander: der Theodizeefrage. Wie kann Gott Leid und Not in der Welt zulassen? Wie passt die Allmacht und Liebe Gottes zur Verzweiflung unzähliger Menschen? Wie kann Leid gar nötig sein, um Gott zu erkennen? Es ist kein einfacher Vortrag. Es ist ein theologischer. Und es lohnt sich, gut zuzuhören.