Wenn Sie einen einigermaßen guten Religionsunterricht hatten, dann ist Ihnen vielleicht begegnet die Einsicht, dass für die Reformatoren ein vierfaches Allein ganz charakteristisch war. Allein durch den Glauben, allein aus Gnade, allein durch Christus, allein die Schrift. Sola oder Solus heißt das im Lateinischen immer. Und das klingt sehr einträgsam. Allein, Glaube, Gnade, Christus, Schrift. Und nach einer Weile sagt man sich, Moment, wie kann denn das überhaupt angehen? Viermal allein. Das ist ja schon erkennbar, dass das vier sind und nicht allein. Da stimmt doch irgendwas nicht. Also entweder allein oder vier. Und darin steckt tatsächlich ein großes Problem, das viele noch nicht mal als Problem erkannt,
geschweige denn gelöst haben. Wie verhält sich denn, und da sind die beiden eigentlichen Problemstellungen, wie verhält sich die Aussage, wir werden gerecht allein aus Gnade oder allein durch den Glauben. Ja was denn nun? Aus Gnade Gottes oder aus unserem Glauben. Und man kann feststellen, dass auch in der Geschichte der Christenheit so ein Pendeln ist oder unterschiedliche Richtungen, solche, die von Augustinus her, aber auch bei Thomas, Luther, Calvin sagen, Gnade, das ist das Entscheidende, Gottes Gnade, wir brauchen uns seine Liebe nicht erst zu verdienen. Auch Christus musste nicht durch seinen Tod erst Gott zu einem gnädigen Gott machen und umstimmen, denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab, auf das alle, die
an den Glauben nicht verloren gehen. Und die anderen, die sagen, nein, es kommt aber auch auf unser Glauben an, die Gnade alleine, die steht da irgendwo, aber ich muss doch was dazu tun, ich muss doch darauf vertrauen, ich muss es doch nehmen. Das ist vor allem im erwecklichen, evangelischen Bereich oder auch im freikirchlichen Bereich sehr stark. Mein Anteil ist der Glaube. Aber wie verhält sich beides zueinander? Für dieses Problem hat wahrscheinlich Paulus schon ganz knapp und gut die Lösung gefunden, indem er in Römer 4, Vers 16 sagt, es ist aus Glauben, damit es aus Gnade ist. Er sagt, bitte nochmal zum Mitschreiben, aus Glauben, damit aus Gnade. Das setzt ja voraus, dass der Glaube selber etwas ist, was einem Menschen durch Gnade zu Teil wird. Kann man nur sagen, Bingo, das ist es.
Und das ist eine rettende Einsicht für Menschen, die sich oder andere quälen, damit glauben zu sollen, aber zu merken, das kann ich nicht, ich schaffe das nicht. Wie macht man das eigentlich? Wie bringt man sich dazu? Und wenn man nachdenkt und am besten, wenn man Glauben verstehen will, ersetzt man immer das Wort Glauben durch Vertrauen. Und zwar durch das Leben bestimmendes Vertrauen, ein tiefes Vertrauen. Wie entsteht denn Vertrauen? Nicht dadurch, dass ich es mir vornehme. Vielleicht habe ich den starken Wunsch, ich würde gerne dir vertrauen, aber du hast mich einmal enttäuscht oder mehrfach, ich kann es nicht mehr. Es entsteht dadurch, dass mir ein Gegenüber als vertrauenswürdig begegnet. Es muss das Vertrauen in mir geweckt werden durch die Begegnung mit dem Gegenüber. Und darum ist der Glaube nicht unser eigenständiger Beitrag, den wir zu Gottes Gnade dazu bringen,
sondern der Glaube ist die Antwort auf Gottes uns zugesprochene in Jesus Christus, in der Begegnung mit der Gemeinde geweckte Vertrauen. Es ist die Antwort. Es ist keine automatische Antwort, das würde ich auch dazu sagen. Dass uns die Gnade Gottes in Jesus Christus begegnet, schließt nicht aus, dass wir dazu auch nein sagen können. Da denkt man erstmal, was für einen guten Grund sollte es denn geben, zu Gnade nein zu sagen. Als Schwabe weiß ich, welchen Grund es gibt. Das ist die Einstellung, ich zahle meine Sache. Ich will von niemanden abhängig sein. Ich will niemanden was verdanken und der Schwabe hat alles im Leben selber geschafft. Ich weiß das, ich bin einer. Der hat niemanden was zu verdanken und der Schwabe tut sich insofern ganz schwer mit dem Reich Gottes, wo das geschenkt wird.
Jetzt hoffe ich, dass hier wenigstens ein paar Schwaben sind, die das auch hören und da weiterkommen. Andere tun sich leichter damit zu sagen, ja Geschenke anzunehmen, das ist ja überhaupt keine Leistung. Das ist die Weise, wie man in das Reich Gottes hineinkommt. Dann fällt einem plötzlich ein, hat nicht da Jesus mal sowas gesagt? Markus 10 mit den Kindern, sagen wir ja, wehrt ihn nicht, schickt sie nicht weg, die gehören auch dazu, ja das hat er auch gesagt. Und dann sagt er aber noch was, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann kommt ihr gar nicht rein in die Gottesherrschaft. Und er sagt es genauer, wenn ihr die Gottesherrschaft nicht annehmt wie Kinder, dann könnt ihr sie nicht bekommen und wir nehmen Kinder an, unverschämt. Ich weiß nicht, ob sie schon mal einem Kind begegnet sind, gesagt hat, das Geschenk ist jetzt zu groß oder das verpflichtet mich jetzt zu irgendwas, überhaupt nicht.
Man ist noch kaum in der Tür drin, dann heißt, Opa, was hast du mir mitgebracht? Und die Geschenke können in Massen aufgehäuft werden. Das kommt eher später, dass man sagt, was hat das gekostet und was musst du beim nächsten Mal mitbringen oder ist das nicht peinlich. Einem Kind ist das überhaupt nicht peinlich. Bei Kindern kann man lernen, unverschämt anzunehmen und darum geht es. Die Gnade unverschämt anzunehmen heißt zu glauben. Und dann merkt man, ja, auf menschlicher Seite gilt allein der Glaube und auf Gottes Seite allein die Gnade. Man muss das so unterscheiden können. Und wie ist das nun mit Christus und der Schrift? Allein Christus und allein die Schrift. Wenn man das nicht auch unterscheidet, kriegt man auf einmal so eine Art doppelte Offenbarung und wenn die miteinander kollidiert, dann weiß man gar nicht, wie man das richtig unterscheiden soll. Ich habe im Handout einen Text, den wir auch gleich lesen werden, in dem Luther darauf
kommt und sagt, was ist denn der Fall, wenn die Kritiker des Glaubens oder die Kritiker der reformatorischen Theologie die Schrift gegen Christus anführen? Wie verhalten wir uns dazu? Bleiben wir noch einen Moment und lassen es. Das ist jetzt die Aufgabe, die vor uns steht oder ein erster Schritt der Aufgabe. Wie verhält sich die Schrift und Christus zueinander? Ich möchte aber noch einen Nachsatz heute Morgen zum ersten Teil zu der Bedeutung des Heiligen Geistes sagen. Ich vermute, dass viele von Ihnen der charismatischen Bewegung nicht feindlich gegenüberstehen, sondern nahestehen und das wichtig finden und ich kann nur sagen, ich teile die Überzeugung von dieser Wichtigkeit. Denn erst wenn vom Heiligen Geist die Rede ist und von den Charismen, dann sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir von Gott in unserem Leben sprechen.
Der Schöpfer ist über uns und um uns herum. Christus begegnet uns als Gegenüber. Dass das für unser Leben eine Wirklichkeit wird, das hängt ab davon, dass Gott uns seinen Geist gibt oder wie es oft in der Bibel heißt, dass er ihn ausgießt in unsere Herzen, dass Gott in uns Wohnung nimmt. Und es bleibt immer eine letzte Distanz, wenn dieses Wirken des Heiligen Geistes in unseren Herzen, in unserem Leben keinen Ort und keinen Ausdruck findet. Und deswegen ist für mich auch die Beschäftigung mit der Bibel, mit dem Gebet, dem Gottesdienst sind Möglichkeiten, sind Gelegenheiten, sind Chancen, so mit Gott in Berührung zu kommen, dass Gott in unser Leben hineinkommt. Dass er zu einer Kraft, zu einer Strahlkraft wird, die auch nach außen wirkt.
Und ich denke, man spürt es oft an Menschen, dass sie eine solche Gottesbeziehung haben, dass das nicht nur irgendeine Theorie ist, die sie sich angelernt haben oder die Vereinsideologie von Christen, sondern eine Lebenskraft, die sie erfüllt. So, nun zurück. Wie ist das mit der Schrift und Christus aus christlicher Sicht? Und ich gehe einen Schritt raus und sage, ich betrachte das mal aus islamischer Sicht. Muslime können mit Christen und Juden freundlicher umgehen als mit sogenannten Ungläubigen. Denen ist das Haus des Krieges zugewiesen. Wir als Christen und als Juden haben eine etwas bessere Platzierung und Chance aus einem einzigen Grund, weil wir Schriftbesitzer sind. Wir sagen auch, Christen haben eine heilige Schrift, dadurch stehen sie uns näher als
andere Menschen, die das nicht haben. Christen und Juden haben ihre heiligen Schriften verfälscht, sonst hätte Gott nicht den Koran offenbaren müssen, um das alles wieder in Ordnung zu bringen. Die Christen haben das vor allem dadurch getan, dass sie behauptet haben, Jesus sei Gottes Sohn. Er ist zwar nach muslimischer Auffassung Sohn der Jungfrau Maria, aber er ist deswegen nicht Gottes Sohn, also nicht gleichen Wesens mit Gott. Und für einen Muslim ist es auch unerträglich sich vorzustellen, dass Jesus Isa als einer der größten Propheten gekreuzigt wurde. Das war er nicht, sondern das war ein anderer, der sein Kreuz trug und dann aus Versehen gekreuzigt wurde. Der Kreuz ist tot. Jesu wird ebenso abgelehnt, wie die Gottes Sohnschaft. Das sind Elemente, von denen der Islam sagt, die habt ihr hinzugefügt und die müssen wieder rausgenommen werden und weil das nötig ist, darum hat Allah in seiner Gnade den Erzengel Gabriel gesandt und den Mohammed so lange gepresst, bis der bewusstlos wurde und ihm
dann den ganzen Koran diktiert. So geschieht Gottes Offenbarung nach muslimischer Vorstellung. Deswegen dürfen Christen und Juden gegen eine gewisse Steuer, die sie entrichten müssen, auch meistens in islamischen Ländern leben, aber sie dürfen für ihre Religion keine Werbung, keine Reklame, keine Mission machen. Viele Christen sagen, ja das stimmt doch eigentlich. Was für einen Muslim der Koran ist für uns die Bibel und was für uns Christus ist, ist für einen Muslim Mohammed. Völlig falsch. Es ist genau umgekehrt. Ein Muslim hat keine Schwierigkeiten zu gestehen, dass Mohammed in mehrerer Hinsicht gar nicht den Vorschriften des Koran entsprechend gelebt hat. Ein Muslim als Mohammedaner zu bezeichnen, wie das noch in meiner Kindheit und Jugend
der Fall war, geht voll daneben. Ein Muslim ist einer, der davon überzeugt ist, dass Allah sich im Koran geoffenbart hat und zwar auf Arabisch. Deswegen ist der strenge Islam auch derjenige, der nicht einmal eine Übersetzung des arabischen Koran in eine andere Sprache zulässt, in der richtigen Erkenntnis, jede Übersetzung ist bereits eine leichte Veränderung. Und wenn das der Wortlaut ist, den Allah gesprochen hat durch den Engel Gabriel gegenüber Mohammed, dann kommt alles darauf an, dass dieser Wortlaut nicht verändert wird. Deswegen sehen wir die Bilder mit den kleinen Jungen und Mädchen, die vor den Bänken knien und den arabischen Koran auswendig lernen. Und das Ziel ist, möglichst den ganzen Koran Wort für Wort arabisch rezitieren zu können. Das ist die Begegnung mit der Offenbarung schlechthin.
Deswegen ist es für einen Muslim eine furchtbare, fast die furchtbarste Gotteslästerung, wenn man einen Koran schmählich behandelt, sei es verbrennt, besudelt oder was auch sonst. Schlimmer ist nur Allah etwas anderes göttliches beizugesellen, also etwa zu sagen, Jesus Christus ist gleichen Wesens wie Gott. Das heißt, man muss im Dialog und ich war viele Jahre im christlich-islamischen Dialog, das ist also auch erfahrungsgehärtet, wenn man vorankommen will, darf man immer nur miteinander vergleichen den Koran mit Jesus Christus. Und umgekehrt darf man gerne vergleichen Mohammed mit der Bibel. Das sind jeweils die Zeugen und das andere ist der Inhalt. Dort ereignet sich Gottes Offenbarung. So wie wir mit Johannes 1,14 sagen, das Wort Gottes ist Fleisch geworden und wohnte mitten
unter uns in Jesus Christus, so kann und würde das ein Muslim immer nur für den Koran sagen können. Wohl aber können wir beide sagen, Mohammed bezeugt das, er ist der Hinweis auf dieses Offenbarungsereignis, durch ihn ist es hindurch gegangen und wir sagen, und die Bibel ist das Zeugnis von Jesus Christus und da können wir sofort und müssen hinzufügen und ohne die Bibel hätten wir vermutlich überhaupt keine verlässliche, belastbare Erkenntnis von Jesus Christus mehr. Zwar haben die altorientanischen Menschen, weil wenige nur schreiben und lesen konnten, gewaltiges an Gedächtnis Erinnerung entwickelt, Erinnerungsfähigkeit entwickelt, aber über die Jahrhunderte hin entwickeln sich auch Kleinigkeiten dann zu großen Differenzen.
Und das war auch letztlich der Grund, warum nach einer Phase von etwa drei Jahrzehnten mündlicher Überlieferung von Jesus dann Markus als Erster aufgeschrieben hat, die Erzählungen, die Worte Jesu, die Taten, das was sich um ihn herum ereignet hat. Aber dieser Text ist nicht der Glaubensinhalt und Gegenstand, wir glauben nicht an die Bibel, sondern um der Bibel willen oder aufgrund des Zeugnisses der Bibel an Jesus Christus. Und ein Muslim glaubt nicht an Mohammed, sondern er glaubt um des Zeugnisses von Mohammed-Willen an den Koran. Wenn das deutlich geworden ist, dann merkt man, warum der Dialog manchmal so schief läuft, wenn man Äpfel und Birnen miteinander vergleicht und wenn man das anders sagt, wird auch jeder Muslim sagen, ja jetzt fühle ich mich gut von dir verstanden und jetzt hast du auch begriffen, warum wir Muslime keine Mohammedaner sind.
Genauso könnte man sagen, ihr Christen seid Biblikaner oder Bibliozisten, das wäre dann auch voll daneben. Damit taucht aber die Frage auf für beide und ist beantwortet, was steht im Zentrum eigentlich? Wodurch offenbart Gott sich uns? Worin kommt er uns so nahe, dass wir ihn erkennen können? Und da gibt es im Johannesevangelium mehrere eindrucksvolle Szenen, die schönste finde ich, die Begegnung als Philippus zu Jesus kommt und man kann sich direkt vorstellen, wie das heute auch ablaufen würde und sagt, kannst du uns nicht mal Gott zeigen, zeig uns doch mal den Vater, du kannst doch alles, mach doch mal. Und was sagt Jesus drauf? Philippus, so lang bin ich schon bei euch und du stellst eine solche, jetzt charakterisiere ich es mal nicht, eine solche unerleuchtete Frage.
Und dann kommt die Antwort, wer mich sieht, sieht den Vater. Das ist die Ponte. Nicht weil Gott so aussähe wie der Mensch Jesus, sondern weil das Wesen Gottes, wie es in der Bibel an mehreren Stellen hat, das Wesen Gottes, das Liebe ist, in Jesus Christus, in einer menschlichen Gestalt erschienen ist und unter uns wohnte und für uns zugänglich und fassbar geworden ist. Im Zentrum des christlichen Glaubens steht die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus. Die hat eine Vorgeschichte und die reicht zurück bis Johannes 1,1, den Anfang, bis noch hinter die Schöpfung, die auch schon in Jesus Christus und auf ihn hingeschehen ist. Die umfasst auch die Offenbarung Gottes am Sinai, als die Offenbarung der Rechtleitung, des Gesetzes, des Gebotes und der Erwählung seines Volkes.
Aber sie hat ihren Gipfelpunkt in Jesus Christus und strahlt von da aus auch auf die Zukunft aus und weiter. Also nicht dann ist Schluss und jetzt kommt nichts mehr, sondern dies wirkt weiter, leuchtet weiter, geschieht weiter. Aber das ist das Zentrum des Glaubens. Und die Bibel ist der Text, in dem Menschen das, was sie selber erfahren haben, aufgeschrieben und weitergegeben haben. Deswegen finde ich den altmodischen Ausdruck Zeugnis immer noch unersetzlich gut. Er erinnert mich nämlich an eine Zeugenaussage vor Gericht. Da wo Indizien fehlen, aufgrund der man einen Beweis führen kann, brauchen wir Zeugen. Menschen, die dabei waren, in der Nähe waren, die es gesehen oder gehört haben, die es auf ihr Wort nehmen, die sich aber auch täuschen können. Manchmal in bester Absicht und mehrere Zeugenaussagen können einander widersprechen.
Deswegen gilt schon im alten Testament zweier Zeugenaussagen müssen es sein, die müssen sich ergänzen, die müssen zusammen stimmen. Aber wir haben nicht mehr als diese Zeugenaussagen von Menschen. Aber in so großer Übereinstimmung hätten wir mehr, dann wäre das Gefäß selber nicht mehr Irden, sondern himmlisch. Das ist uns nicht zu Teil geworden. Deswegen lag mir heute Morgen im ersten Vortrag daran, dies beides festzuhalten, dass die Bibel selber nicht der Glaubensgegenstand und Inhalt ist, sondern das Zeugnis, das aber dieses Zeugnis unersetzlich ist und das auch seine Kostbarkeit ausmacht. Deswegen haben wir Reformatoren so großen Wert darauf gelegt, gegenüber der mittelalterlichen Kirche zu sagen, nehmt nicht spätere Auslegungsgestalten, dafür stehen die Kirchenväter, wie das im
3., 5., 10., 12., 15. Jahrhundert interpretiert worden ist, sondern geht zurück auf das ursprüngliche Zeugnis. Das ist auch ein bisschen der Geist des Humanismus, der im 15. Jahrhundert sagt, wir müssen wieder nach den Quellen fragen und nicht die fünfte Überlieferung. Ich habe das mal bei einer ökumenischen Versammlung, da sind die Mennoniten meistens durch ganz schlichte Personen vertreten, die auch gar keine theologische Ausbildung hatten und es war auf einer Konferenz über die Bedeutung der Bibel ein Schreinermeister da und sagt, naja, das ist doch ganz einfach, wenn ich 40 Hölzchen machen muss, die alle genau 3 Zentimeter lang sein sollen, dann kann ich entweder das erste machen und danach das zweite und danach dann das dritte und das vierte und dann kann ich sicher sein, ab dem 15. Jahrhundert stimmt das von hinten nicht oder ich nehme jedes Mal wieder Maß an dem Urmeter, an dem ersten, an der genauen oder möglichst nahen Einheit, immer wieder zurückfragen
nach dem ursprünglichen Zeugnis. Und das hat Luther in einem bemerkenswerten Text sehr bemerkenswert formuliert. Das ist der erste Text auf dem Handout. Im Jahr 1520, Luther war gerade als Ketzer verurteilt und alle seine Anhänger mit ihm und da hat er eine Schrift geschrieben, die heißt Asercio, auf Lateinisch Asercio Omnium Articulorum, man kann es am besten übersetzen, Wahrheitsbekräftigung aller der Artikel, die mir die römische Kirche als heretisch oder gottlos vorwirft. Und da sagt er, wir müssen uns jetzt aber gleich am Anfang mal verständigen, was ist denn der Maßstab, an dem wir messen, ob etwas heretisch oder christlich ist. Und da sagt er, zuerst will ich, dass Sie wissen, meine Ankläger in Rom und dafür Zeugen sind, dass ich durch überhaupt keine Autorität irgendeines heiligen Vaters genötigt
werden will, es sei denn, insofern er durch das Urteil der heiligen Schrift bestätigt wird. Wenn er natürlich dasselbe sagt wie die Bibel, dann ist okay. Und die Schriften sind nur nach demjenigen Geist zu verstehen, in dem sie geschrieben worden sind, nicht nach unserem Geist, das wir reinlegen. Und dieser Geist kann nirgendwo lebendiger und gegenwärtiger und lebendiger gefunden werden als eben in seinen heiligen Schriften, die er geschrieben hat. Denn die Texte sind ja im Geist geschrieben. Wenn wir glauben, dass die heilige katholische Kirche denselben Geist des Glaubens hat, den sie am Anfang einmal empfangen hat, ja warum sollte das heute nicht erlaubt sein, entweder nur oder jedenfalls zuerst in den heiligen Schriften zu studieren, wie es der ersten Kirche erlaubt war.
Durch welches Urteil kann eine Frage abschließend beantworten, wenn die Aussprüche der Väter einander widersprechen, widerstreiten? Man muss hier mit der heiligen Schrift als Richter ein Urteil fällen, was nicht geschehen kann, wenn wir nicht der heiligen Schrift in allen Dingen den ersten Rang beilegen. Und jetzt kommt eine berühmte Formulierung, das heißt, dass sie, die heilige Schrift, durch sich selbst ganz gewiss, ganz leicht zugänglich ist, ganz verständlich, ihr eigener Ausleger, alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend. Ihr eigener Ausleger. Dieser Spruch, die Schrift ist Sui Ipsius Interprese, was soll denn das heißen? Das heißt nicht, dass irgendwo nachts im Dunkeln die Bibel anfängt, sich selber auszulegen, sondern es bedeutet etwas ganz Normales und natürlich, wenn ihr die Bibel auslegt, dann
schaut in die Bibel rein und nirgendwo anders hin. Es gibt gar keine Autorität, die über der Bibel stehen könnte, denn wir haben keine anderen Quellen. Das ist natürlich polemisch gerichtet gegen die römisch-katholische Kirche, schon damals, die im Konzil von Trient, aber genauso wieder im zweiten vatikanischen Konzil gesagt hat, die Auslegung des Papstes steht über jeder anderen Bibelauslegung. Dann kann man vorher sagen, ja, die Kirche steht auch unter der heiligen Schrift und ihrer Autorität, aber wenn allein die päpstliche Auslegung der Bibel maßgeblich ist, dann ist das natürlich der Interpretationsschlüssel, mit dem die Vorordnung der Bibel in Frage gestellt, wenn nicht sogar ausgehebelt wird. Was ist die Alternative? Die haben wir heute Morgen kennengelernt. Alle Christenmenschen sind dazu berufen, die Bibel aus sich selbst auszulegen, auch die,
die kein Hebräisch, Griechisch, Lateinisch oder sonst was können. Und wie kommt Luther auf die Idee, dass alle Christenmenschen gleichermaßen Recht und Macht haben, die Bibel auszulegen? Das sagt er, das steht im Johannesevangelium in einem wunderbaren Bild im zehnten Kapitel, wo Jesus sagt, meine Schafe kennen meine Stimme. Und die können auch unterscheiden, ob das ein Mietling ist, einer, der das bloß um das Geldeswillen macht und die Schafe verrät und verkauft oder ein Dieb ist oder der Hirte, der sie aus und einführt auf gute Weide. Und dann ist klar, er ist dieser gute Hirte und der Test für die Gemeinde ist, erkennt ihr in den Texten und in den Auslegungen die Stimme des guten Hirten wieder. Ich halte das für ein schwer widerlegbares Argument und das ermächtigt und gibt der
Gemeinde eine ganz große Bedeutung. Deswegen ist es für mich auch als Prediger sehr wichtig, wenn ich am Ausgang eines, nach dem Gottesdienst nicht nur höre, das war wieder toll und spannend und ich hätte noch wer weiß wie lange zuhören können, sondern jemand mir auch sagt, also da haben sie heute etwas gesagt, das kann ich überhaupt nicht akzeptieren. Da müssen wir im Kontakt bleiben. Hier, schreiben Sie mir eine E-Mail oder können Sie noch einen Moment warten, dass wir darüber sprechen. Da hat jeder Christen Mensch in gleicher Weise mitzureden, zu sagen, in dem was sie heute verkündigt haben, habe ich die Stimme Jesu Christi nicht erkennen können. Und dann, wer dann als Prediger, da würde ich auch von der Deformation professionell sprechen, wenn jemand dann sagt, das weiß ich besser, ich kann schließlich Hebräisch und Griechisch, da geht es überhaupt nicht um Hebräisch oder Griechisch, da geht es darum, die Stimme des guten Hirten zu erkennen. Es gibt eine schöne kleine Anekdote von einem Theologen, der vor 100 Jahren einer der größten
Wissenschaftsorganisatoren war, eine bedeutende Figur, Adolf von Harnack, vielleicht hat man hier den Namen gehört. Die ganze Harnack-Familie stammt aus dem Baltikum, vor allem aus Estland, da war auch der Vater schon Professor und Adolf von Harnack, der berühmte, manche sagen auch der berüchtigte, große liberale Theologe hat dann mal seine Tanten besucht, die dort in Estland lebten. Und so im Gespräch sagt er, na was macht ihr denn so? Na ja, sagen die Tanten, zurzeit lesen wir den Propheten Hesekiel. Uh, sagt er, der ist aber doch sehr, sehr schwierig. Ja, sagen sie, das stimmt, der ist schwierig. Aber was wir nicht verstehen, das legen wir uns jenseitig aus. Und das denke ich, das ist reformatorisches Schriftprinzip angewandt auf die Grassroots. Was wir nicht verstehen, da beugen wir miteinander die Köpfe drüber und versuchen es uns verständlich
zu machen. Und dann, wenn man dann anfängt weiter reinzugraben, dann sagt man, kommt denn der Ausdruck nochmal in diesem Text vor, an einer anderen Stelle, wo er klarer ist. Und so kann man sich Texte miteinander erschließen. Deswegen hat Luther den Mut gehabt, im Jahr 1523 eine Schrift zu schreiben, deren Titel eigentlich ein ganzes Programm war. Dass eine christliche Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehrer und alle Lehrer zu beurteilen, Pfarrer ein- und abzusetzen, bewiesen aufgrund der Schrift. Und da hat er das allgemeine Priestertum, das zugleich eine Gewalt des Vorrechts ist, hat früher gesagt, das ist der unmittelbare Zugang jedes Menschen zu Gott und zugleich eine Entpflichtnahme, nämlich die Aufgabe jeder von uns hat, das Evangelium in seinem Lebensbereich weiterzugeben.
Am besten ist man direkt vor Ort im Nahbereich, das andere findet sich später. Hagar erobert erst die Welt, bevor er sein Saustall zu Hause in Ordnung bringt. Das ist die verkehrte Ordnung. Man muss dort anfangen, wo man lebt, mit den Kindern, den Eltern, den Lebenspartnern, den Freunden am Arbeitsplatz, dort das auszurichten, was man erkannt und verstanden hat. Wir haben genau vor einem Jahr in der evangelischen Kirche ein Problem auf den Tisch bekommen. Ich weiß nicht, wer es von Ihnen mitbekommen hat. Die Orientierungshilfe über neue Formen des familiären Zusammenlebens. Darf ich mal fragen, wer davon gehört hat von Ihnen? Ja, das sind noch mehr als die, die Schleske kennen, aber nicht viel mehr. Das Problem dieses Textes ist, dass er eine theologische Begründung hat, von der inzwischen alle sagen, sie ist völlig unzureichend, weil sie an zwei Stellen Kurzschlüsse begeht,
die sehr folgenreich sein können. Der eine Kurzschluss betrifft den Umgang mit der Bibel. Es wird in diesem Text völlig zu Recht gesagt, dass es ganz vielfältige Lebensformen in der Bibel gibt und sehr unterschiedliche Aussagen zur Familie und zur Ehe und zum Zusammenleben. Daraus wird dann aber kurzschlüssig gefolgert, also kommt es darauf an, wie wir die Bibel auslegen, was wir also daraus machen. Das ist ein Weg, um die Bedeutung der Bibel und das Gewicht der Bibel letztlich auszuschalten und zu umgehen. Was wäre stattdessen angesagt? Man müsste die vielen und muss die vielen biblischen Aussagen mal darauf hin überprüfen, inwieweit sind sie dem angemessen, was wir aufgrund der Offenbarung Gottes in Jesus Christus
als Gottes Willen erkennen können. Und wenn man das tut, dann kann man sehr erstaunliche Entdeckungen machen. Ich habe das mal in sechs Punkten zusammengefasst und schiebe es gewissermaßen ein, damit wir auch Fleisch noch an die Knochen bekommen. Die Bibel enthält unterschiedliche Aussagen über Geschlechtlichkeit, Lebensformen, Ehe, Familie und über Ehelosigkeit. Maßgeblich sind diejenigen Aussagen, in denen Gottes Wille für das Zusammenleben der Menschen, wie er in Jesus Christus offenbart und von daher auch im Dekalog und in der Schöpfung erkennbar ist, zum Ausdruck kommt. Das ist wenig, aber wichtig. Und ich fasse es in sechs Punkten zusammen. Erstens, die Anerkennung der Geschlechtlichkeit als guter Schöpfungsgabe Gottes in dieser
Welt. Das ist keineswegs selbstverständlich, wenn man in die Landschaft der Religionen schaut. Es gibt auch religiöse Überlieferungen, die das Sexuelle von vornherein mit Sünde in Verbindung bringen und negativ bewerten. Das tut die Bibel überhaupt nicht. Das erste, was zum Menschen gesagt wird, ist nicht, dass er arbeiten soll, das kommt erst als Zweites oder Drittes, sondern dass er fruchtbar sein soll und sich mehren. Ab ins Bett, das ist der erste Schöpfungsauftrag, der erteilt wird. Und in der zweiten Schöpfungserzählung der Älteren, dass ein Mann Vater und Mutter verlassen soll und seiner Frau anhangen und die beiden ein Fleisch werden. Und das in einer Gesellschaft, die wir gemeinhin als patriarchal bezeichnen. Was für eine Hellsicht steckt da drin, dass nicht den Frauen gesagt wird, nur löst euch aus euren Familienbanden und hängt euer Mann an, sondern der Mann soll Vater und jetzt
betone ich allerdings und Mutter verlassen und seiner Frau anhangen. Stellen Sie sich mal vor, wie gut es unserem Land ginge, wenn Männer das machen würden. Wer weiß, wie lange mit ihrer Mutter verheiratet wären und lavieren zwischen den beiden Frauen, die rechts und links an ihren Ohren oder an sonst was ziehen, sondern sagen, hallo, ich bin jetzt mit der verheiratet. Ein Mann, Vater und Mutter verlassen, seiner Frau anhangen und ein Fleisch werden, das ist eines der Lieblingsworte Jesu gewesen, das er immer wieder zitiert hat. Hier merkt man, so ist das mit dem Menschen und seiner Geschlechtlichkeit gedacht und das soll offen sein für Nachwuchs, also die Sexualität und Erotik von vornherein bejahende Einstellung und lassen sich nichts anderes einreden, das Christentum sei von der Bibel her sexualitätsfeindlich. Das ist geradezu lächerlich, aber es gibt im Christentum natürlich viel Verklemmtheit
und Sexualitätfeindschaft. Zweitens, dabei ist die jenige Lebensgemeinschaft, die muss da nicht Ehe heißen, die Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf lebenslange Dauer angelegt ist, ist dasjenige, was einerseits den Raum bildet, in dem Sexualität lustvoll gelebt und Kinder in Geborgenheit und Freiheit geboren werden und aufwachsen können. Also eine stabile Zweierbeziehung mit dem biblischen Menschenbild wäre so eine Lebensabschnittspartnerschaft, die schon das Verfallsdatum auf sich trägt, überhaupt nicht vereinbar, denn ich kann mich nicht mit einem Menschen vorbehaltlos, leiblich, seelisch verbinden, wenn ich weiß, aber am 31. März 2017 ist das zu Ende, da ist das abgelaufen.
Drittens, jetzt kommen die Ehe und Familie ins Spiel. Die Schutzbedürftigkeit dieser Lebensgemeinschaft durch die Rechtsform der Ehe und die Rechtsform der Familie, die als weltliche Ordnung die Risiken dieser Lebensgemeinschaft nicht vermeidet oder eliminiert, die bleiben auch bei Christen natürlich erhalten, aber sie abfedert, so wie andere Lebenspartnerschaften, etwa gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, der Schutzgemeinbedürftigkeit anderer Lebensformen Rechnung tragen können. Viertens, die Charakterisierung von Ehebruch und Ehescheidung als ein Übel, ein Übel, ich verwende bewusst diesen Ausdruck, das dem Schöpferwillen widerspricht, aber auf Grund der menschlichen Herzenshertigkeit vorkommen kann.
Ich finde das eine großartige Einsicht bei Jesus zu sagen, von Anfang an ist nicht so gedacht und gewollt, das soll nicht so sein, dass Ehen zu Bruch gehen, aber es kommt vor und wenn es vorkommt, dann soll es ordnungsgemäß abgewickelt werden, dann soll auch der verlassene Partner, in der Regel der ungeschützte, also der weibliche Partner, den Scheidebrief bekommen, dass das unter dem Schutz des Rechts geschieht und mit einer Chance fair weiterzuleben. Fünftens, die uneingeschränkte Wertigkeit und Gleichwürdigkeit von Mann und Frau in ihrer Gottesbeziehung und darum auch in ihrer Beziehung untereinander. Jetzt wird mancher denken, oh, das habe ich aber in der Bibel immer anders gelesen. Ja, es gibt einige Stellen in den neustestamentlichen Briefen, in den Anhängen, in denen man merkt, hier ist die Höherwertung des Mannes in die christliche Glaubensüberlieferung einbezogen
worden, aber ich bin der festen Überzeugung und meine auch, dass man es zeigen kann, das ist immer ein Import von außerhalb. Wie fängt denn die Schöpfungsgeschichte an, die Erschaffung des Menschen und Gott erschuf sie zu seinem Ebenbild, männlich und weiblich. Das ist eine kulturgeschichtliche Revolution. In Ägypten gab es den Gedanken, dass der Pharao das Ebenbild Gottes ist, dann hätte man sich denken können, naja, die Männer, die sind es, aber doch nicht auch die Frauen. Immer wo das kommt, wird das ausdrücklich betont, dass es hier eine grundsätzliche Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit gibt. Das ist doch toll und dessen brauchen wir uns ja nicht zu genieren, sondern das ist ein Aktivposten, für den wir eintreten. Und anschließend sechstens und letztens die herausragende Stellung der Kinder und ihres
Wohles als Orientierungspunkt und Maßstab für das menschliche Zusammenleben vor Gott und unter Gott. Ich habe das vorhin verdeutlicht anhand von Markus 10, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, wenn ihr der Gottesherrschaft nicht annehmt wie Kinder, so unverschämt, so nicht berechnend, nicht leistend und bezahlend, dann werdet ihr sie nicht annehmen können. An dieser Stelle schließt dann sogar die Familienordnung oder die Bedeutung der Kinder unmittelbar an, an das Evangelium. Das ist jetzt so ein exemplarischer Versuch zu zeigen, was kann man denn der Bibel, die man so von ihrer sachlichen Mitte her interpretiert, für eine hochaktuelle Frage entnehmen. Und meine Überzeugung ist, dass wir daraus von der christlichen Kirche her auch ein Modell von Lebensformen entwickeln könnten und unserer Gesellschaft anbieten, nicht aufzwingen, aber
anbieten, das für sie orientierungskräftig ist und lebensdienliche Verhältnisse schafft. Und dass das nötig ist, davon bin ich allerdings tief überzeugt. Dabei setze ich voraus, dass es für das angemessene Verständnis der Bibel grundlegend wichtig ist, zwischen dem Wortlaut der Bibel und der Sache, dem Inhalt, von dem sie redet, zu unterscheiden. Der Wortlaut ist nicht die Sache, sondern der Wortlaut ist ein Zeichen in Form von Wörtern, von Sätzen, von Fragen, von Ausrufen, von Kompositionen, die auf die Sache verweisen, nämlich darauf, dass Gott sich in dieser Welt von der Schöpfung an immer wieder gezeigt hat, erschlossen, geoffenbart und dass dies seinen Mittel- und Höhepunkt in Jesus Christus findet. Diese Worte, in denen Menschen davon reden, können mehr oder weniger angemessen sein.
Zwar ist es richtig, dass wir von diesem Inhalt nur aufgrund von Worten wissen, wenn wir die nicht hätten, wüssten wir gar nichts. Aber von diesem Inhalt her können wir dann und müssen gelegentlich zu einzelnen Passagen auch Nein sagen. Damit kommen wir zu dem zweiten Stichwort, das Sie mir gegeben haben für den zweiten Vortrag, Bibelkritik. Dabei ist mir wichtig, dass die Bibelkritik erstmal eine ist, die die Bibel an mir übt. Und das ist eine sehr fruchtbare. Ich finde es sehr wichtig, im Licht von biblischen Aussagen, etwa der Bergpredigt oder der Seligpreisungen, mein Leben anzuschauen und mir sagen zu lassen, wo bleibt das ziemlich weit dahinter, wo bin ich vielleicht ein Schalksknecht, der selber für sich Vergebung in Anspruch nimmt, aber sie nicht weitergibt. Also die Kritik, die die Bibel übt, ist sachlich das erste.
Aber wenn das stimmt, dass die Sache nicht identisch mit den Worten ist, dann muss es auch denkbar sein, theoretisch, und ich will es gleich an Beispielen zeigen, dass auch das umgekehrte gilt, dass wir sagen müssen, die Aussage der Bibel, die da gemacht ist, die können wir uns so nicht aneignen. Der können wir nicht zustimmen. Und ich habe dafür wieder das Handout nochmal drauf verwiesen, Nummer zwei, das wir vorhin hatten, das ist der Maßstab, der rechte Maßstab, alle Bücher zu tadeln, wenn man sieht, ob sie Christum treiben oder nicht. Und was Christus nicht lehrt, das ist noch nicht apostolisch. Dagegen, wenn gleich Hannes, Judas und Pilatus es täten, dann wäre es apostolisch. Und es gibt noch einen kühleren Text, das ist das dritte Handout, kriegen wir gleich.
Ich schiebe jetzt die Beispiele ein. Normalerweise erwartet man als so ein Beispiel den Gegensatz zwischen Paulus und Jakobus. Paulus sagt, wir werden gerecht durch den Glauben allein, ohne das Gesetzeswerge. Jakobus sagt, wir werden nicht gerecht durch den Glauben allein, ohne Werke, sondern ein Glaube ohne Werke, der ist tot, den haben auch die Teufel und deswegen sieht man schon daran, dass der Glaube alleine nicht retten kann. Jakobus will an dieser Stelle ganz offensichtlich Paulus oder Schüler von Paulus kritisieren, aber ich zähle das nicht als einen sachlichen Widerspruch, weil sie in der Sache gar nicht weit auseinander sind. Der eigentliche Meinungsunterschied zwischen Jakobus und Paulus besteht in dem, was sie unter Glauben verstehen.
Jakobus versteht unter Glauben, wie er deutlich sagt, die Überzeugung davon, dass es einen Gott gibt. So, wir brauchen das ja auch im Alltagsgespräch, oft glaubst du an Gott, joa, aber... Das stört mich auch nicht weiter, also, kann es ruhig geben, aber hat mit meinem Leben nichts zu tun. Für Paulus wäre das überhaupt kein Glaube, das ist eine intellektuelle Überzeugung, die folgenlos ist. Glaube ist für ihn das Vertrauen auf den Gott, der sich in Jesus Christus erschlossen hat und von dem sagt er, na der kann gar nicht folgenlos bleiben. Wer auf diesen Gott vertraut, dessen Denken fühlen wollen, Leben verändert sich. Und da würde Jakobus sagen, na siehst du, das sage ich doch. Das wäre ein toter Glaube. Und Paulus würde sagen, ein toter Glaube ist überhaupt kein Glaube. Und dann wird es ein lächerlicher Wortstreit. Deswegen sage ich, das ist kein gutes Beispiel, obwohl es immer wieder als Paradebeispiel gewählt wird. Paulus und Jakobus widersprechen einander.
Nein, sie haben unterschiedliche Sprachen und Begriffe. Aber es gibt solche Widersprüche, ich hatte einen schon erwähnt, in der Schilderung der Bekehrung des Apostels Paulus, wo im einen Fall gesagt wird, die Begleiter, die sahen auch das Licht, aber sie haben nichts gehört. Und eigentlich ein Kapitel weiter, das genau umgekehrt behauptet wird. Und das geht ja schon an die Substanz. Was konnten andere, die da nicht involviert waren, bei einer solchen Auferstehungserfahrung mit wahrnehmen? Hatten wir schon erwähnt, viel tiefer reicht meines Erachtens ein Widerspruch, über den Luther gestolpert ist und der im Hebräerbrief vorkommt. Und weil dieser Text im Hebräerbrief vorkommt, hat Luther den Hebräerbrief ans Ende versetzt. Der kommt eigentlich im Griechischen viel weiter vorne, sozusagen strafversetzt an die drittletzte Stelle. Und hat sogar im ersten Neuen Testament ihm keine Ziffer gegeben, aus der Nummerierung
herausgenommen. Da muss ich sagen, Junge, Junge, so einen Mut muss man haben, also schon kräftig. Um welche Aussage geht es? In Hebräer 6, in den Versen 4 bis 6, da heißt es, denn es ist unmöglich, die, die einmal erleuchtet worden sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und Anteil bekommen am Heiligen Geist und geschmeckt haben das Gute Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt und dann doch abgefallen sind, da ist es unmöglich, dass sie wieder erneuert werden zur Buße, da sie für sich selbst den Sohn Gottes abermals kreuzigen und zum Spott machen. Das heißt im Klartext, wenn man einmal geglaubt hat und abgefallen ist, ist aus und vorbei. Dann hat keine Chance mehr. Und da sagt Luther völlig zu Recht, das ist gegen das ganze Evangelium. Was sagt denn Jesus dem Petrus, als der fragt, wie oft muss ich meinem Nächsten vergeben,
der wieder mich sündigt? Reicht es sieben Mal? Sieben Mal, 70 Mal, sagt Jesus. Der geht ja immer in die Vollen. Und wenn man sagen würde, ja einmal abgefallen, du hattest eine Chance, vorbei, dann ist das überhaupt nicht der Geist des Evangeliums, das ist noch nicht mal richtig der Geist des Gesetzes. Das ist eine mit knapper Not gerade festgehaltene Erklärung, du hast eine einzige Chance in deinem Leben, fällt einem fast der Kallauer an, du hast keine Chance, also nutze sie. Und deswegen muss man, sage ich aus Überzeugung, dieser Aussage des Hebräerbriefs widersprechen. Ich würde dann gerne mit ähnlicher Ernsthaftigkeit sagen, aber ich will mich und andere darauf
aufmerksam machen lassen, dass vom Glauben abzufallen nicht irgendeine lächerliche Sache ist. Das kann sein, dass ich den Weg zurück nicht mehr finde. Und wenn das gemeint wäre, nicht dort steht, es ist unmöglich, sondern es ist unglaublich schwer und es ist aus eigener Kraft gar nicht möglich, dann würde ich sagen, das ist richtig. Und die Einschärfung dieses Hinweises verdient wirkliche Beachtung. Und dann gibt es ein letztes Beispiel, das ist von allergrößtem Gewicht. Und ich habe jetzt gerade im Zusammenhang mit den Diskussionen über diesen Text der GKD über Familie und andere Lebensformen gemerkt, wie wenig der eigentlich den meisten auch Theologen bekannt ist. Es gibt im Markusevangelium gar nicht zu übersehen an einer herausragenden Stelle im siebten Kapitel von Vers 14 bis 23, also zehn Verse lang, ein Abschnitt, in dem Jesus sich äußert
über die Frage rein und unrein. Gibt es unreine Dinge in dieser Welt? Seine Antwort heißt, das was unrein ist, kommt aus dem menschlichen Herzen. Das sind die bösen Gedanken. Aber in der von Gott geschaffenen Welt der Dinge gibt es nichts, was unrein wäre. Kein Schweinefleisch, keine Mischung von irgendwelchen Geweben, keine Berührung von Blut, kein Sperma. Es gibt nichts, was unrein ist. Das hat das Neue Testament in den späteren Schriften noch aufgenommen, in der Apostelgeschichte, in den Pastoralbriefen. Und da kommt es auf den Punkt, alles was Gott geschaffen hat, ist rein. Das ist eine enorme Anfrage, sowohl ans Judentum, wie an den Islam.
Wenn man mit diesem Satz im Hintergrund, es gibt nichts was Gott geschaffen hat, das unrein wäre, nun das Alte Testament aufschlägt, dann wimmelt es nur so von Aussagen, die das Gegenteil behaupten. Ich habe mir mal, weil ich merke, manche notieren sich gerne die Schriftstellen, nenne ich ihnen mal einige davon. 3. Mose 5, Vers 2 bis 6. 3. Mose 10, Vers 10. 3. Mose 11, Vers 4. 3. Mose 14, Vers 57. Hesekiel 22, Vers 26. Hesekiel 44, Vers 23. Und ich könnte noch lange weitermachen, Sie können ja selber mal nachschauen, was alles als unrein in dieser Welt bezeichnet wird. Und wenn man in die Religionsgeschichte hineinschaut, nicht nur Judentum und Islam, dann merkt man,
dass das in den meisten Religionen eine Grundunterscheidung in dieser Welt ist. Es gibt Reines und Unreines. Das Reine kann genossen und berührt werden. Das Unreine muss gemieden werden, wenn man es aus Versehen angefasst hat, muss man entweder sich eine Zeit vom Gottesdienst enthalten, muss Waschungen auf sich nehmen, Bußgänge oder was auch immer. Und in Jesu Verkündigung gibt es diesen, sage ich jetzt mal, genial einfachen Gedanken, wie kann etwas, was Gott geschaffen hat, unrein sein? Und wenn man den festhält, kriegt man eine sehr freie und klare Stellung zu den Gütern dieser Welt. Es ist alles euch gegeben, es soll euch aber nichts gefangen nehmen, es soll euch nicht so zum Gott werden, von dem ihr abhängig werdet. Und das ziehen die übrigen Schriften des Neuen Testaments auch mit großer Klarheit durch.
Und hier muss man sagen, das Alte und das Neue Testament bringen uns in dieser Hinsicht vor eine ganz klare Entscheidungssituation. Und wer sagt, für mich ist die ganze Bibel Gottes Wort, das ist alles für mich verpflichtend und danach versuche ich zu leben. Dann müsste man sagen, schau mal bloß deinen Kleiderschrank an und vergleich den mal mit dem, was im Alten Testament über das Nichtzugleichtragen von Wolle und Baumwolle oder anderen steht oder welche Speisevorschriften gemacht werden, gegen die du fortgesetzt verstößt. Wir kennen das ja so ein bisschen, was es heißt koscher zu leben oder zu essen im Judentum, dass jede jüdische Hausfrau zweierlei Geschirr haben muss, eines koscher, eines treffe und das ja nicht verwechselt werden darf. Und wir empfinden es in der Regel als eine große Erleichterung, dass wir das nicht müssen, weil wir sagen können, das ist alles von Gott geschaffen, egal welches Tier das jetzt ist und das dürfen wir alles mit Dankbarkeit genießen.
Dass Juden auf ihre Weise in der Regel Möglichkeiten gefunden haben und auch Muslime das zu umgehen, das belegt die Kultur der Witze darüber hinreichend und einer der einfachsten und schönsten lautet ja, der Jude geht in das Metzgereigeschäft und zeigt auf den großen Schinken, Schweineschinken, der dort liegt und sagt, ich hätte gerne eine große Scheibe von diesem Fisch da. Daraufhin sagt der Metzger zu ihm, das ist ein Schinken, sagt der Jude. Hab ich gefragt, wie der Fisch heißt? Auf dieser Linie bewegt sich unser dritter Text aus dem Handout. Es ist einer der kühnsten Texte, die Luther zum Thema Umgang mit der Bibel formuliert
hat und ich habe ein bisschen gezögert, aber da sie alle volljährig sind, wage ich ihnen den zuzumuten und wir werden ihn nicht missbrauchen. Wenn nun die Gegner die Heilige Schrift gegen Christus ins Feld führen, also wie so Druck, dann führen wir Christus gegen die Heilige Schrift ins Feld. Denn wenn wir Christus festhalten, machen wir leicht Gesetze und beurteilen alles richtig. Wir können sogar, und jetzt zuckt man, neue Dekaloge, also neue Zehn Gebote aufstellen, wie es Paulus in allen seinen Briefen, stimmt in den Schlussteilen, macht und Petrus, im ersten Petrusbrief, vor allem aber Christus im Evangelium, dabei denkt er an die Bergpredigt.
Und diese Dekaloge, jetzt setzt er noch einen drauf, sind vortrefflicher als der Dekalog des Mose, wie auch das Anklitz Christi strahlender leuchtet als das Angesicht des Mose. Soweit dieses dritte Handout und ich denke, das liest man dann gerne noch einmal zu Hause in Ruhe nach, vergleicht es auch noch einmal mit der Quelle, ich habe Ihnen ja da Übersetzungen geliefert und angegeben, woher die Übersetzungen stammen. Eine kühle Aussage zu behaupten, dass aus dem christlichen Glauben ein Mensch im Umgang mit dieser Welt und in der Weltgestaltung zu Einsichten kommen kann, die über den Wortlaut des Alten Testamentes weit hinausgehen und klarer sind als die dortigen Vorschriften. Die Kompetenz zu dieser Auslegung und Interpretation, das wie gesagt, hat nach evangelischem Verständnis
im Prinzip jeder Christenmensch. Die besondere Aufgabe der Theologie und danach wurde ja heute Mittag schon gefragt, ich habe es hier mir notiert, ist die kompetente Auslegungshilfe und ich denke mal, in den letzten zwei, drei Tagen haben Sie in den Vorträgen über das Alte und Neue Testament solche Hilfen bekommen, dass Fachleute einem einen genaueren, besseren, verständlicheren Blick geben und man davon auch als nicht studierter Laienchrist sehr profitieren kann. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Kirche sei die einzige Institution, in der es keine Gefälle von Macht und Wissensvorsprüngen gäbe und keine Herrschaft. Das entscheidende Kriterium ist ja nicht, ob jemand weitergekommen ist, länger nachdenken
konnte, sondern wie er damit umgeht, ist dieser Machtvorsprung einer, den ich für mich behaupte, um andere klein zu halten, ihnen möglicherweise auch noch mindere Selbstbewusstsein zu vermitteln oder benutze ich das, was mir in der Ausbildung, in der Lebensgeschichte zu Teil geworden ist dazu, dass andere weiterkommen, dass sie selbstständiger werden, wird also Macht weitergegeben zur Verstärkung anderer. Der große Friedrich Schleiermacher, der sogenannte Kirchenvater des 19. Jahrhunderts hat gesagt, so muss es in der Kirche laufen. Diejenigen, die schon größere Einsichten gewonnen haben, dürfen die nicht für sich behalten und reservieren als Herrschaftswissen, sondern müssen sie, und er nennt es die Methode des Umlaufs oder des Zirkels, weitergeben an die Gemeinde, damit alle selbstständiger
verurteilen können. Und was haben die anderen davon? Sagt er, ihre Aufgabe, die sie nicht Theologen sind, besteht vor allem darin, Fragen zu stellen. Fragen Sie die Theologen, nerven Sie sie mit ihren Fragen, löchern Sie sie. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag und ich hatte ja heute früh angedeutet, dass ich seit über einem Jahr nun noch, auf meine alten Tage Seelsorger geworden bin in einem Wohnheim für alte Menschen und ich habe etwas eingeführt, wo ich immer dachte, wenn ich Pfarrer wäre, würde ich das öfter mal machen, so einen Nachmittag unter der Überschrift, was ich immer schon mal die Kirche fragen wollte. Und ich habe gleich gesagt, ich kann nicht alle Fragen beantworten, aber ich bemühe mich wenigstens und was nicht aus dem Stegreif geht, das arbeite ich danach. Das sind faszinierende Veranstaltungen, da ist der Raum brechend voll. Wir wollten das einmal machen, inzwischen haben wir vier gemacht und die Fragen für die fünfte Veranstaltung sind jetzt schon da. Da fängt das an zu funktionieren, dass Menschen lernen, ihre Fragen zu artikulieren und dann
auch lernen, die Fragen sind nicht doof, es gibt gar keine wirklich dummen Fragen, wir haben aber zu wenig Orte, in denen solche Fragen angesprochen werden kann und dann vielleicht auch ein studierter Theologe sagen muss, ja das frage ich mich auch schon lange und ich habe keine Antwort darauf und dann jemand anderer aber sagt, aber ich habe mir da eine Antwort zurechtgelegt, man sagt, na du ist gar nicht so dumm, da können wir draus lernen. Im Mittelalter wurde der Versuch gemacht, die Schwierigkeiten bei der Schriftauslegung dadurch zu handhaben oder man könnte auch sagen zu umgehen, dass man eine Lehre vom vierfachen Schrift-Sinn entfaltet hat und das sollen Sie doch wenigstens kurz von mir gehört haben, auch wenn es heute nicht mehr so oft vorkommt oder behandelt wird. Was ist damit gemeint? Dahinter steckt die These, jeder biblische Text hat vier verschiedene Bedeutungsebenen
und das ist in ein lateinisches Epigramm zusammengefasst worden, weil es so knapp und gut lateinisch klingt, sage ich es erstmal nicht, um Ihnen zu zeigen, dass ich Latein kann, da ich einmal im Gymnasium sitzen geblieben bin, habe ich zehn Jahre Latein gelernt, das haben wenige von Ihnen wahrscheinlich und diesen Bildungsvorsprung muss man noch zur Geltung nehmen. Das Epigramm heißt Littara Gesta Dozet. Quid credas allegoria moralis quid agas quotendas anagogia, übersetzt. Der buchstäbliche Sinn eines Textes sagt, was passiert ist, was Sache ist würden wir sagen. Der historische Sinn sagt, was man glauben soll, der moralische Sinn eines Textes sagt, was man tun soll und der anagogische würden wir heute wieder geben, der eschatologische
oder auf die Zukunft ausgerichtete sagt, worauf wir uns ausrichten und worauf wir hoffen sollen. Das klingt erstmal gar nicht schlecht, der eigentliche Problempunkt ist dieses zweite Element. Das was wir glauben sollen sagt uns die Allegorie und die Allegorie, das ist ein ganz schaumiges Gebilde. Das geht davon aus, dass das eigentlich so nicht wörtlich gemeint ist, wie es dasteht, dass man aber dazu Vergleiche anstellen kann. Das wird immer wieder verdeutlicht an einem Beispiel, Jerusalem heißt im Wortsinn nach die Hauptstadt von Israel. Jerusalem, der allegorischen Sinn nach, ist die Kirche. Jerusalem, dem moralischen Sinn nach, ist ein gut funktionierendes Gemeinwesen und Jerusalem, dem eschatologischen Sinn nach, natürlich das himmlische Jerusalem, auf das man hofft mit 12 Perlen und Toren und so weiter.
Der Knackpunkt ist dieses zweite Element. Wenn der Glaube nicht im wörtlichen Sinn zu verstehen ist, sondern nur allegorisch, dann ist das zugleich das Öffnen einer Tür für beliebige Hineinlegung und Herausholung, wie man es will. Und deswegen sagt Luther, nein, kein vierfacher Schrift-Sinn. Einer, was ist gemeint, was steht da? Lasst eure Gedanken disziplinieren durch das, was Menschen seit Jahrhunderten überliefern als ursprüngliches Zeugnis von Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus, in der Geschichte, in dieser Welt. Dass Gott sich nicht nur in Christus geoffenbart hat, also nicht nur das Buch der Geschichte mit Jesus Christus im Zentrum, sondern zum Beispiel auch im Buch der Natur offenbart, das lehren uns die Psalm und das hat auch Paulus ausdrücklich unterstrichen. Auch im Buch der Natur können wir Gottes Stimme, Gottes Worte hören und lesen, freilich in
Jesus Christus erhalten Sie Ihre größte Klarheit. Nochmal Luther, Sie merken, ich kann es gar nicht verneugen, dass ich ein ziemlicher Luther-Fan bin. Was ist Jesus Christus? Jesus Christus ist der Spiegel des väterlichen Herzens Gottes. Wenn du darin Gott siehst, dann siehst du einen brennenden Backofen voller Liebe, das ist das Wesen Gottes. Wenn du woanders hinschaust, vielleicht auf die Ausbildung des Waldsterbens, wirst du auch Gott sehen, aber wahrscheinlich einen zornigen und nicht den, mit dem du gut leben und sterben kannst. Und deswegen lehnt Luther die Lehre vom vierfachen Schrift-Sinn ab, vielleicht ein bisschen zu
rigoros, aber an der entscheidenden Stelle ganz zu Recht, weil er sagt, wir sollen nicht über unsere Einfälle und Auslegungen miteinander streiten, sondern miteinander über den Wortlaut der Bibel, was wir nicht verstehen, das legen wir uns gegenseitig aus und zwar aufgrund dieses Wortlautes. Und dabei steht im Hintergrund die Überzeugung, dass in Jesus Christus die Wahrheit erschlossen ist. Das ist ein großes Wort, aber ich bleibe dabei, nicht nur weil es das Johannes-Evangelium sagt, ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich, durch diese Wahrheit und auf der anderen Seite auch im Johannes-Evangelium, die Wahrheit wird euch frei machen. Und das ist eine ganz besonders kostbare Überlieferung aus der biblischen Botschaft, die wir weiter zu geben haben. Wahrheit macht frei.
Wahrheit kostet oft Mut, Wahrheit kann schrecklich unbequem sein, Wahrheit kann schmerzlich sein, aber sie macht frei. Und wenn uns das persönlich klar wird in der Begegnung, was für eine Wohltat ist, die Wahrheit über sich zu erfahren und anzuerkennen und dann sie auch weiter sagen zu können, dann haben wir aus dieser Überlieferung viel für uns gewonnen. Letzte Unterscheidung und dann sind wir dann durch, wie ist das nun mit der Autorität der Bibel? Die Bibel hat nach theologischer Überzeugung eine zweifache Autorität. Die Tradition nennt das eine verursachende und eine beurteilende Autorität. Was ist damit gemeint? Die grundlegende Autorität und Autorität ist immer dort gegeben, wo ein Urheber zu seiner Sache, zu seinem Werk steht, also sich dabei behaften lässt.
Diese ursprüngliche Autorität der Bibel besteht darin, dass sie Glauben wecken kann. Man muss dazu sagen, wo und wann es Gott gefällt. Die Bibel kann Glauben wecken und das ist ungezählten Menschen so gegangen, dass sie beim Hören, beim Lesen von Bibelworten dieses Vertrauen zu Gott gewonnen haben, von dem sie dann sagen konnten, damit kann ich leben und sterben. Das trägt mich, das hält mich. Man weiß es meistens vorher nicht, bevor ich mit 47 Jahren mal so eine Fehldiagnose bekam, dass ich in einem Vierteljahr tot sein werde, weil mein Herz zuwachsen wird, wusste ich nicht, wie mein Glaube tragen oder halten wird, wenn es ernst ist. Ich habe es gehofft, dass er sie als tragfähig erweist und da gilt generell mit Glaubenseinsichten,
es ist übrigens bei anderen Einsichten gar nicht so ganz anders, Ihren Wahrheitsgehalt kann man in der Regel nur erfahren, indem man sich probierend, versuchend auf sie einlässt, indem man es damit wagt, mit dem Risiko getäuscht zu werden, aber billiger ist das nicht zu haben. Und das ist die grundlegende Autorität der Bibel, das ist nicht irgendeine mit erhobenen moralischen Zeigefinger zu sagen, vor allem das alles dürft ihr nicht, was euch so viel Freude macht im Leben, sondern die Autorität, die verursachende Autorität der Bibel ist, dass sie einsteht in der Vielstimmigkeit ihrer Zeugen für das Wirken Gottes in dieser Welt. Mit dem Mittelpunkt Jesus Christus sagt, wagt es doch, glaubt an den Herrn Jesus Christus, verlasst euch darauf. Aus dieser ursprünglichen verursachenden Autorität folgt dann die andere, auf die wir
schon gestoßen sind, die beurteilende. Was ist denn, wenn zwei Glaubensrichtungen, Pietisten und Charismatiker oder Lutheraner und Katholiken oder Muslime und Christen miteinander streiten? Wo ist denn unser Schiedsrichter, wo ist denn die Instanz, an der wir uns orientieren können? Mit dem Islam haben wir wahrscheinlich keine gemeinsame Instanz, aber als Christen haben wir dieses Angebot, den Text der Bibel als diejenige Instanz zu nehmen, aus der die Entscheidung zu gewinnen ist. Und zwar gemeinsam, nicht so, dass die einen verfügen, so ist das zu verstehen und so ist das zu handhaben, sondern miteinander im Nachdenken, im Lesen, im Hören. Und das überzeugt doch auch. Der Text, der die Kraft hat, Glauben zu wecken, der sollte auch das Ansehen haben, dort wo es Streitfragen gibt, zu einer Entscheidung zu kommen oder jedenfalls ein paar Schritte
näher auf eine Entscheidung zuzugehen. Davon handelt das fünfte und letzte Text im Handout, da die Zeit schon sehr weit fortgeschritten ist, sage ich Ihnen, das können Sie ja in Ruhe zu Hause lesen. Das ist aus der letzten lutherischen Bekenntnisschrift, wo genau das ausgedrückt wird, warum wir uns an die Bibel halten sollen, sind die Gedanken, die Luther 1520 auch schon formuliert hat. Sie haben mich gefragt, ist die Bibel Gottes Wort? Gestern fragte mich eine ältere Dame, worüber hast du denn morgen zu sprechen? Na, ich habe zwei Vorträge, was bedeutet die Bibel für Christen und ist die Bibel Gottes Wort? Die letzte Frage ist ja ganz klar, natürlich ist das Gottes Wort selbstverständlich. Da sage ich, naja, das siehst du so, aber was heißt das denn im Blick auf das Ernstnehmen
all der Brüche, des Irrdenen, des Irrtischen in diesen Texten? Und da ist meine Antwort zum Schluss eine zweifache. Die Bibel ist durch ihren Inhalt Gottes Wort, indem sie Jesus Christus als das Mensch geworden eine Wort Gottes bezeugt, indem sie das tut, wird sie und ist sie Gottes Wort. Und die zweite Antwort, die sich daran anschließt, weil sie dies in dem selben Geist tut, in dem Jesus Christus Gott geoffenbart hat, darum kann die Bibel für uns in Situationen des Suchens, des Trauerns, des Hoffens, aber auch der überschwänglichen Dankbarkeit zum Wort Gottes werden, an dem wir uns halten im Leben und im Sterben.
Ist die Bibel Gottes Wort? Bibelauslegung, Bibelkritik und Bibelautorität | 4.4.2
Mit der Bibel ist das so eine Sache. Christen und Nichtchristen reiben sich an ihr, an ihren Widersprüchen, an ihrer herausfordernden Botschaft. Ohne die Bibel hätte der christliche Glaube vermutlich kaum überlebt. Aber ist die Bibel auch Gottes Wort? Ja, sagt Wilfried Härle, und zwar, in dem sie den Mann aus Nazareth bezeugt und indem sie Menschen im Leben und im Sterben Hoffnung schenkt. Wilfried Härle sieht zwar keine uneingeschränkte Autorität der Bibel, denn es gibt auch Botschaften der Bibel, denen man widersprechen müsse, trotzdem sei sie eine Instanz. Als Vermittlerin von Glauben, als Werk, das einstehe für das Wirken Gottes in der Welt.